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Eine Künstlerkolonie am Lago Maggiore wird durch einen Todesfall ins Licht des Kommissariats Mailand gerückt. Inspektor Bandini ermittelt vor Ort und auf ungewöhnliche Art und Weise, so wie es seine unkonventionelle Methode ist. Doch in diesem Fall führen die Zusammenhänge in eine längst vergangene Zeit und gibt der alten Sage vom Nackten Berg eine völlig neue Bedeutung. Erotik als Motiv einer unseligen Verbindung zu deutschen Aussiedlern? Oder steckt ein skurriles Geschäftsmodell dahinter. Und wer ist überhaupt der Mörder? Bandini ist ganzheitlich gefragt.
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Veröffentlichungsjahr: 2014
I M P R E S S U M
Monte Nudo
von Walter Gerten
© 2001 Walter Gerten.
Alle Rechte vorbehalten.
Autor: Walter Gerten
Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne
Zustimmung des Autors nicht vervielfältigt, wieder verkauft oder weitergegeben werden
Text, Zeichnungen, Bilder und Fotos von Walter Gerten. © 2001 Walter Gerten
Der Autor:
Walter Gerten lebt seit vielen Jahren in der Südeifel und hat sich bei seinen Romanen von dieser Landschaft beeinflussen lassen. Ausnahmen sind „Monte Nudo“ und „Unterwegs mit Tom Kerouac“, welche in Norditalien bzw. Frankreich spielen.
Menschen abseits der üblichen Handlungsmuster, getrieben von tiefgreifenden emotionalen und rationalen Strömungen verlieren sich in existentiellen Verstrickungen, zumeist auf einer psychologisch-kriminalistischen Bühne, auf der sich die Beteiligten an ihren Grenzen bewegen und den Leser einbeziehen.
Weitere Romane:
Manfred Wilt und der Tote am Fluss
Manfred Wilt und die Rocker
Der Bote des Zarathustra
Unterwegs mit Tom Kerouac
Das Buch:
Eine Künstlerkolonie am Lago Maggiore wird durch einen Todesfall ins Licht des Kommissariats Mailand gerückt.
Inspektor Bandini ermittelt vor Ort und auf ungewöhnliche Art und Weise, so wie es seine unkonventionelle Methode ist. Doch in diesem Fall führen die Zusammenhänge in eine längst vergangene Zeit und geben der alten Sage vom Nackten Berg eine völlig neue Bedeutung.
Erotik als Motiv einer unseligen Verbindung zu deutschen Aussiedlern? Oder steckt ein skurriles Geschäftsmodell dahinter. Und wer ist überhaupt der Mörder?
Bandini ist ganzheitlich gefragt.
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden, die Orte finden sich teilweise in Norditalien. Alle Texte, Fotos und Grafiken: copyright
Walter Gerten
1. Kapitel Bandini
2. Kapitel Michael
3. Kapitel Die Sage
4. Kapitel Kreuzweg
5. Kapitel Aufgescheucht
6. Kapitel Sterne
7. Kapitel Eifersucht
8. Kapitel Forschung
9. Kapitel Entdeckt
10. Kapitel Bacchus
11. Kapitel Absturz
12. Kapitel Das Geheimnis
13. Kapitel Die Höhle
14. Kapitel Natalie
15. Kapitel Das große Kleinod
Inspektor Bandini war nicht zum ersten Mal in diesem Künstlerort am Monte Ròssel. Er malte selbst; Aquarelle vom Lago, auch Landschaften in Öl, Zeichnungen mit Gebäuden und Pflanzen. Er bildete sich nichts Besonderes darauf ein. Aber er hielt sich für begabt, in gewissem Maße, jedenfalls ausreichend für eine Freizeitbeschäftigung, und als solche sah er seine künstlerische Betätigung an. Jedenfalls im Moment. Später vielleicht, wenn er pensioniert war und seine Tage nicht mehr in Mailand verbringen mußte, . . . wer weiß?
Bandini stieg aus dem heißen Auto, strich das kurzärmelige Hemd glatt und warf einen Blick auf das große Wandbild mit dem modernen Abendmal, eines der vielen Fresken an den Häuserwänden. Er ging die Gasse entlang zu der berühmten Radlerszene. Sie nahm fast ein Drittel der gesamten Seite des Hauses ein. Sechs Radfahrer waren darauf zu sehen, schwitzend und kämpfend während einer Bergetappe, angefeuert von drei enthusiastischen Zuschauern. Bandini strich sich die grauen Haare aus der Stirn, tupfte den Schweiß mit einem Taschentuch aus dem Gesicht.
Er war nicht zu Kunstbetrachtungen hier, sonst wäre er die Gassen entlang geschlendert, von einem Bild zum nächsten, über 170 sollten es mittlerweile sein.
Direkt um die Ecke vermutete er das Haus des vermißten Malers.
Zunächst suchte er Nr. 12, dort war er mit Signora Gravelli verabredet. Sie würde ihm den Schlüssel geben.
Zehn Minuten später, nachdem er die neugierige Frau abgewimmelt und versprochen hatte, ihr Auskunft über den Verbleib des Malers zu geben, sobald er etwas wisse, stand er in dem dunklen und stickigen Atelier. Er stieß die Fensterläden auf und sah sich in dem Raum um.
Der erste Eindruck entsprach nicht ganz seiner Erwartung. Er hatte sich ein Chaos aus halbfertigen Bildern, zerknüllten Skizzen, verschmutzten Lappen, Aschenbechern, Gläsern, Speiseresten und leeren Flaschen vorgestellt; etwas in dieser Art. Wie man sich nun einmal ein Maleratelier vorstellt. Aber Roman Wagner war offensichtlich ein überaus ordentlicher Mensch, falls er noch lebte. Anscheinend hatte er seine Werkzeuge nach Gebrauch sorgfältig gereinigt und an ihren angestammten Platz zurückgelegt. Die Pinsel in das Regal über dem großen, mit Farbklecksen übersäten Tisch, die Skizzenblätter in ein Fach unter der Platte, die Stifte und Kreiden in verschiedene Tontöpfe.
An der Wand standen ordentlich aufgereiht die fertigen Ölbilder, gerahmte Zeichnungen hingen an den Wänden. Bandini zügelte seine Neugier auf die Werke und begann zunächst mit der Suche nach Notizen, die Aufschluß geben könnten über den Verbleib des Künstlers. Er durchstöberte Jackentaschen und Mäntel im Flur, blätterte im Telefonbuch nach Markierungen und Zetteln, suchte in der Küche die Fensterbänke und Regale ab. Keine eindeutigen Hinweise auf seinen Verbleib.
Signora Gravelli, die das Haus einmal in der Woche putzte und sich seit dem Verschwinden Wagners um die Katze kümmerte, hatte zugegeben, ebenfalls bereits alles durchsucht zu haben - ohne Erfolg. Für eine genehmigte Hausdurchsuchung war es noch zu früh, nach einer Woche. Sonst hätte Bandini alles mitgenommen, was ihn interessierte, aber immerhin war es möglich, dass Wagner heute noch auftauchte.
Signora Gravelli hatte die Carabinieri in Mailand alarmiert, weil sie ein Verbrechen vermutete. Das hatte sie auch jetzt wieder in beschwörendem Tonfall behauptet. Der Maler sei mit einem anderen Mann davongefahren. Bereits beim Einsteigen in den alten Land-Rover hätte es Streit gegeben zwischen den beiden - auf Deutsch, so dass sie kein Wort verstanden habe. An dem Tag sei er nicht wieder zurückgekommen, obwohl sie abends mit ihm verabredet war. Er hatte sie zum Essen eingeladen und wollte sie bezahlen, wie immer am Monatsanfang. Er hatte das noch nie vergessen.
Bandini öffnete das Küchenfenster und blickte hinab in den kleinen Garten. Säuberlich angelegte Reihen von Tomaten, Gurken, Kräutern, Zwiebeln. Auf dem Steintisch saß eine rotgetigerte Katze, die sich die Pfote leckte. An der verfallenen Begrenzungsmauer flitzte eine Smaragd-Eidechse hoch. Agaven und Feigen füllten die Lücke zum Nachbarhaus, wo Signora Gravelli aus dem Fenster sah. Natürlich war es möglich, dass sie übereilt reagiert hatte, aber eine ganze Woche war schon besorgniserregend bei einem ansonsten zuverlässigen Menschen.
Auf dem Tisch lag eine deutsche Zeitung - eine Woche alt. Inspektor Bandini blätterte die Seiten um, hielt dann plötzlich inne, als er auf dem breiten rechten Rand eine Kulizeichnung entdeckte.
Sie erstreckte sich fast über die gesamte Länge. Mehrere Kaffee- und Fettflecken deuteten darauf hin, dass der Maler beim Essen vor sich hin skizziert hatte. Ganz unten begann die Zeichnung mit einem einfachen Wellenmuster, einem Uferstreifen, stilisiert und reduziert auf eine einzige Linie, und dennoch markant genug. Eine vor- und zurückweichende Uferlinie, kleine Buchten und Landzungen bildend.
Mit winzig kleinen Buchstaben hatte er ein Wort darunter geschrieben. Bandini fingerte seine Lesebrille aus der Brusttasche.
"Flüssig", entzifferte er.
Die Uferlinie wurde oberhalb von einem zweiten Strich nahezu parallel begleitet, der dann am Rand des Zeitungsblattes umkehrte und eine aufsteigende Serpentine bildete, in hin und her laufenden Bögen. Geschickt eingefügte Aussparungen suggerierten Bäume, Häuser und Felsen, hinter denen die Serpentinenstraße verschwand, alles äußerst minimalistisch angedeutet und dennoch organisch und rhythmisch.
Auch an dieser Linie fand Bandini eine Beschriftung: "Flüssig."
Der Weg verlief vom einen Rand des unbedruckten Streifens zum gegenüberliegenden und immer aufsteigend wieder zurück, bis oben endlich die Kontur der Bergkuppe ins Bild kam. Wie ein angenähertes Dreieck mit mehreren Senken und einigen Bäumen verziert, begrenzte diese Linie eindeutig das Festland gegen den Himmel. Genau in der Mitte traf der immer enger werdende Serpentinenweg auf den Gipfel. Darüber war der verbleibende Platz auf dem Zeitungsblatt mit einigen Wolken bevölkert, von denen eine den Gipfel des Berges halb einhüllte.
Auch an den Wolkenlinien fand sich wieder eine Beschriftung. Durch die Brille entdeckte Bandini wiederum das Wort: "Flüssig".
Und noch etwas: Unter der angedeuteten Flugbahn einer winzigen Schwalbe, die vor dem Berghang kreiste, entzifferte er das unterstrichene und mit einem Ausrufezeichen versehene Wort: "Monte Nudo!"
Nun, den Monte Nudo kannte er, der lag nur wenige Kilometer westlich, in Richtung des Lago, und auch das deutsche Wort "flüssig" war ihm geläufig, ansonsten konnte er allerdings mit den Informationen zunächst nur wenig anfangen.
Vielleicht hatte der Maler an jenem Tag vor einer Woche einen Ausflug zum Monte Nudo geplant, in Begleitung jenes zweiten Mannes, den Signora Gravelli gesehen hatte?
Der Inspektor zog aus der Hosentasche eine kleine stabförmige Digitalkamera und machte ein Foto vom Rand der Zeitung. Er überflog den Text der Seite. Sein Deutsch reichte aus, um zu verstehen, dass er keinen Zusammenhang zwischen dem Inhalt der Beiträge und der Zeichnung herstellen konnte.
Er ging zurück in den Arbeitsraum des Malers und betrachtete unterwegs die Zeichnungen an den Wänden des Flurs und der Küche. Landschaften, organische Strukturen, Pflanzen, Menschen, auch phantastische Bilder ohne realen Bezug.
"Eine ganze Menge Berge", dachte Bandini. "Scheint sein Lieblingsthema zu sein."
Ob der Maler Roman Wagner kommerziell erfolgreich war, wußte er nicht, jedenfalls zeugte die Fülle der fertiggestellten Werke von einer außergewöhnlichen Produktivität. Bandini war durchaus interessiert, wenn nicht sogar angetan. Er blätterte durch die Entwürfe, schob die Stapel der Ölbilder auseinander und studierte die Maltechnik, die Ausführung der Einzelheiten, die Farbwahl.
Speziell die phantastischen Sujets entsprachen absolut nicht seiner eigenen Themenwahl, aber vielleicht war gerade das der Grund für sein Interesse. Der Symbolgehalt vieler Elemente erschloß sich ihm nicht sofort, manche schienen philosophische Hintergründe zu haben. Speziell bei den Entwurfsskizzen entdeckte er immer wieder beschriftete Markierungen, Hinweise auf später zu beachtende Merkmale, wenn der Maler dann die endgültige Version in Angriff nahm.
Worte wie: "Transzendenz - also Transparenz", oder "Entwicklungsstufen - Kadenz" fand er da. Oder auch kritische Anmerkungen wie "Kopfgeburt", oder "Zentrum fehlt!", oder einfach "Scheiße!", "Krampf".
Der Inspektor sah auf die Uhr. Er wollte auf jeden Fall noch zum Monte Nudo, sehen, ob die einzige Spur, die er entdeckt hatte, dorthin führte. Trotzdem konnte er es sich nicht verkneifen, die interessantesten Bilder nacheinander in das offene Fenster zu stellen und mit seiner kleinen Kamera zu fotografieren. Vom Küchentisch nahm er ein Foto mit, das offensichtlich den Künstler selbst zeigte.
Am Ende verließ er das Haus und wollte Signora Gravelli den Hausschlüssel zurückbringen. Die dickliche Frau keuchte die Treppe herab und fragte nach seinen Ergebnissen:
"Nun, Commissario. Haben Sie etwas herausgefunden? Was meinen Sie, ob er nur unerwartet verreisen mußte? Haben Sie nichts gefunden?"
Ihre besorgten Augen musterten das Gesicht des Inspektors. Nervös trocknete sie ihre Hände an der Schürze ab.
"Leider nein, Signora. Nur ein kleiner Hinweis, dass er vielleicht an dem Tag seines Verschwindens zum Monte Nudo wollte. Kann das sein? Hat er etwas in der Art gesagt?"
Sie überlegte kurz.
"Nicht zu mir. Dieser andere Mann kam morgens, nach 10:00 Uhr ungefähr. Danach sind sie bald davongefahren."
"Wie sah der Mann aus?", fragte Bandini. "Und wie kam er hier an? Zu Fuß, mit dem Auto? Und dann bräuchte ich auch noch eine Beschreibung des Land-Rover."
"Der Mann kam mit einem Motorrad. Jedenfalls hatte er einen Helm in der Hand . . . Ja, und eine schwarze Lederjacke hatte er auch an. Sonst kann ich nicht viel über ihn sagen. Ich sah ihn ja nur von oben, aus meinem Küchenfenster. Seine Maschine hatte er woanders abgestellt. Signore Wagners Land-Rover ist blaßgrün; ein ganz altes Modell mit grauem Dach. Die Nummer weiß ich nicht, aber es gibt sicher irgendwo Unterlagen im Haus. Versicherung oder Zulassung, was weiß ich. Er hat eine italienische Nummer. Er lebt ja schon seit neun Jahren hier im Dorf."
"Gracie, Signora. Sie haben mir sehr geholfen", bedankte sich Bandini und reichte ihr die Hand.
Sie hielt die Hand fest. "Oh, da fällt mir noch etwas ein. Er war einige Tage vorher mit einem anderen Mann auch zum Monte Nudo gefahren. Dieser andere Mann war jünger, er hatte ebenfalls so ein großes Geländeauto, mit breiten Reifen."
Bandini lenkte seinen Fiat die Serpentinen hinauf zum Monte Nudo. Er achtete auf die wenigen Ausblicke ins Tal, prägte sich die Farben der bewaldeten Hänge und Felsen ein.
Er dachte an Hermann Hesse; speziell an seinen Roman "Klingsors letzter Sommer". Der letzte Sommer eines kranken Malers, der weiß, dass er sterben muß. Sein Aufbäumen gegen den Tod, sein Versuch, den rauschhaften Sommer im Tessin noch einmal zu malen, die Todesahnung mit kräftigen Farben zu vertreiben.
Der Fiat kämpfte sich durch die steilen Kurven; der Motor drohte, zu überhitzen. Noch eine enge Wende in dem dunklen Maronenwald, noch einmal im zweiten Gang beschleunigen und der Temperaturanzeiger zuckte zur 110. Bandini hielt beim nächsten Aussichtspunkt an und gönnte dem Motor eine Ruhepause. Die Bäume gaben den Blick frei auf den See und die gegenüber liegende Stadt Intra. Die Luft über dem See war klar, fast schien sie die Einzelheiten zu vergrößern.
Weiter oben, in den engen Schluchten stieg Nebel aus den Wäldern, sammelte sich zu Wolken, die sich schließlich vom Gebirge lösten und in den blau-weiß gefleckten Himmel aufstiegen. In der Ferne, zwischen den Alpenausläufern bildeten sich zusammenhängende Mäander aus empor fließenden Wolken.