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Leverkusen ist nicht nur Fußball, Autobahn oder Chemie, es ist ein spannender Ort mit viel Geschichte. In 11 kurzweiligen Krimis lässt Regina Schleheck bekannte Schauplätze der Stadt und des Umlands in neuem, kriminellem Licht erscheinen. Unterhaltsam und bunt sind die Geschichten - wie auch ihre 11 verschiedenen Protagonisten. Abwechslung garantiert! Und nach dem Lesen heißt es: Runter vom Sofa, hinaus in die Stadt oder die idyllische Umgebung, um die 125 Freizeittipps selbst vor Ort zu erkunden.
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Seitenzahl: 392
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Regina Schleheck
Mörderisches Leverkusen und Umgebung
11 Krimis und 125 Freizeittipps
Mord und Totschlag Von der Straße betrachtet könnte man meinen, Leverkusen bestehe nur aus Autobahnen. Doch wer sich in die Stadt hineinwagt, wird überrascht sein, wie grün sie tatsächlich ist. Folgen Sie Regina Schleheck in 11 Kurzgeschichten auf kriminelle Entdeckungstour durch ihre Wahlheimat Leverkusen und deren Umgebung, geprägt durch idyllische Natur, wirtschaftlich-kulturelle Blüte, sportliche Höchstleistungen – und entsprechende Risiken. Ein Kletterwettbewerb moderner »Kreuz-Ritter« endet tödlich. Abgründe der durch wechselnde Machtverhältnisse zusammengeschweißten Gegend offenbaren sich beim Ein- und Ausbuddeln von Leichen. Selbst Wanderausflüge im Bergischen bergen ungeahnte Abenteuer. Gleich mehrere Schlaglichter gelten Sonnen- und Schattenseiten der Chemieindustrie, die seit 150 Jahren die Region prägt. Leverkusen ist anders als andere Städte in der Umgebung – und hochspannend. Ergänzt werden die Geschichten durch 125 Freizeittipps zu Orten, die man erlebt haben muss. Also machen Sie sich am besten gleich auf den Weg.
Regina Schleheck hat sich im Krimi und in der Phantastik einen Namen gemacht. Mit dem Friedrich-Glauser-Preis der Krimiautoren und dem Deutschen Phantastikpreis wurden ihr die begehrtesten Auszeichnungen beider Genres zugesprochen – neben vielen anderen. Die Oberstudienrätin, freiberufliche Referentin, Herausgeberin, Lektorin und fünffache Mutter veröffentlicht seit 2002 ihre Werke. Unter ihrem Namen sind Hunderte Kurzgeschichten erschienen, zudem Hörspiele, Lyrik, Theaterstücke und Drehbücher. Sie ist Mitglied im Phantastik-Netzwerk PAN, in den Kriminetzwerken »Syndikat« und »Mörderische Schwestern« sowie im PEN. Mit »Mörderisches Leverkusen und Umgebung“ wendete sie sich ihrer Wahlheimat Leverkusen schriftstellerisch zu.
www.regina-schleheck.de
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Der Kirmesmörder – Jürgen Bartsch (2016)
Wer mordet schon in Köln? (2016)
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© 2018 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0
Alle Rechte vorbehalten
2. Auflage 2019
Lektorat: Katja Ernst
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Jeppe Hein, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jeppe_Hein,_Water_Island,_2010.jpg
ISBN 978-3-8392-5818-7
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Wir waren noch mitten in dem Alter, in dem man auf Mittelalter steht, Ritter und so. Beziehungsweise die moderne Variante: Jedi-Ritter. »Wir« hieß Finn und ich. Weil man modernen Rittern nix vom Pferd erzählen kann, waren wir mit Skates und Mountainbikes unterwegs. Im Neuland-Park 1 , im Wiesdorfer Skatepark 2 unter der Stelzenbrücke und auf der Leichlinger Sandberge-Crosspiste 3 von »Forest Jump«. Als Padawane – so was wie Knappen oder Azubi-Ritter – wussten wir, dass es neben flexiblen Fortbewegungsmitteln auf totale Körperbeherrschung ankam. Also lagen wir unseren Eltern in den Ohren, dass wir was mit Klettern machen wollten. Im Aktionsklettergarten Alkenrath 4 , im A-Werk 5 und im Leichlinger Steinbruch 6 . Wir wollten fit sein für den nächsten Krieg der Sterne.
Bis uns George und Lucas in die Quere kamen.
Finn kannte ich schon seit dem katholischen Kindergarten Kreuzhof bei St. Antonius 7 . Die Kommunion, das Café Mittenmang 8 , diverse Zeltlager und die Zeit am Lise 9 hatten uns zusammengeschweißt. Unsere Freundschaft überlebte, als wir in die Pubertät kamen, Lisa und Maite und sogar Günni, der sich, wenn wir uns mit einigen aus der Klasse abends zum Lagerfeuer zwischen den Wiesdorfer Buhnen 10 unterhalb des Kanuclubs 11 und der »Wacht am Rhein« 12 trafen, vergeblich bemühte, uns ans andere Ufer zu locken, bis er schließlich dem dicken Dorian auf die Nerven ging, der bei den Mädels eh nix zu melden hatte.
Finn stand Schmiere, als ich am Regenrohr zu Lisas Fenster hochkletterte, um einen Maibaum auf dem Sims zu befestigen. Zwei Monate später zündete ich auf demselben Fensterbrett eine Stinkbombe in Form einer mit Milch, Cola, Apfelschorle und Deo gefüllten Plastikflasche, in der eine Wunderkerze steckte, nachdem ich Lisa nach ein paarmal knutschen und kurz nach dem öffentlichen Bekenntnis, dass wir miteinander gingen, mit einem anderen Jungen erwischt hatte.
Bei Maite war weder das eine noch das andere erforderlich, weil sie erst ab Juni mit Finn gegangen und in den Sommerferien überraschend weggezogen war. Ihr Vater wurde vom Bayer nach Brunsbüttel geschickt, wie sie Finn per SMS mitteilte.
Das war’s dann erst mal mit der Minne. In den Sommerferien konzentrierten wir uns wieder auf unsere Kernkompetenzen als Ritter und trainierten Urban Climbing auf den Dächern unserer Elternhäuser. Als die Nachbarn Alarm schlugen, mussten wir etwas Neues auftun. Also suchten wir am Wochenende Baustellen heim und fuhren unter der Woche durch die Gegend, um Gelegenheiten zu checken. Unsere Eltern waren einigermaßen gechillt und fragten nicht, wo wir uns rumtrieben, während sie in der Firma waren. Auch nicht, als die Schule wieder anfing. Hauptsache, es gab keine Klagen und wir brachten gute Noten heim. Wo es später hingehen sollte, war eh klar: Unsere Eltern und Großeltern waren beim größten Arbeitgeber vor Ort, auch wenn der inzwischen lauter andere Namen hatte. Irgendwie blieb trotzdem alles in der Familie. Opa hatte noch Elektriker gelernt, Papa war Industriemechaniker. Ich hatte in beiden Abteilungen ein Praktikum gemacht, aber als wir in der siebten Klasse Chemie bekamen, wusste ich, dass ich wie meine Mutter Chemikant werden wollte.
In der Schule kamen wir klar. Die meisten Lehrer waren cool drauf und verstanden Spaß. Einmal packte Herr Sauer, unser Chemielehrer, Finn, der mitten im Unterricht laut und anhaltend rülpste, unter den Armen, hob ihn hoch und hängte ihn mit den Worten: »Frische Luft gefällig?«, aus dem Fenster unseres Klassenzimmers im ersten Stock. Herr Sauer hatte Schwarzenegger-Format und hielt Pädagogik für Bullshit, wie er sagte. Alle Mädchen waren in ihn verknallt. Noch in der gleichen Nacht schmissen wir ihm eine Rauchbombe durch das gekippte Klofenster seines Einfamilienhäuschens in der Waldsiedlung 13 . Da er uns das Rezept dazu – mit Kaliumnitrat, braunem Zucker und Backpulver gefüllte Tischtennisbälle – im Chemieunterricht persönlich diktiert hatte, konnte er sich denken, von wem der Gruß kam. Als er am nächsten Tag den Klassenraum betrat, steuerte er mit erhobenem Arm unseren Tisch an, knurrte: »Finn und Oliver! Wie ich sehe, habt ihr in meinem Unterricht tatsächlich etwas gelernt!«, holte mit der geöffneten Handfläche aus, als wollte er uns eine scheuern, stoppte mitten in der Bewegung, zwinkerte, sagte: »Gimme five!«, und wir klatschten uns ab.
Chemie war neben Sport unser Lieblingsfach. Schon großartig, was man mit ein bisschen Pulver oder Säure anstellen konnte. Als Ritter sowieso. Wobei wir weniger über Sprengstoffanschläge, Raketen oder Bomben nachdachten als über Nebelmaschinen und Blendfeuerwerk, alles also, was den Gegner verwirrte, aber nicht umbrachte. Wir waren Jedis, keine Schlächter.
Am Kiosk im Stadtpark 14 trafen wir die Realos, die inzwischen an der Ecke Rathenaustraße/Am Stadtpark untergebracht waren. Bis vor Kurzem hatte unser Gymnasium das Gebäude des ehemaligen Carl-Duisberg-Gymnasiums 15 gemeinsam mit der Realschule genutzt. Da hatte es auf dem Schulhof dauernd Zoff gegeben. Außerhalb des Schulgeländes flogen erst recht die Fetzen. Gelegentlich, wenn die eine oder andere Gruppe in der Unterzahl war, landeten Turnbeutel in der Dhünn. Oder deren Besitzer. Was nix machte, weil die Dhünn viel zu niedrig war, als dass man hätte ertrinken können. Aber auch nasse Schuhe und Klamotten sorgten für Ärger, es gab Elternabende, Konferenzen, Bannmeilen.
Am Kiosk kamen natürlich trotzdem alle zusammen. Da lernten wir George und Lucas kennen. Die genauso dicke Freunde waren wie wir. Nur eben nicht unsere. Realos halt. Wir waren die Gümmis. So was wie natürliche Feinde. Wie Sith-Lords die Feinde der Jedis sind. Wichtigster Unterschied: Jedi-Ritter kämpfen für das Gute. Sie beherrschen ihre Gefühle und stehen einander bei. Die Sith bedienen sich der dunklen Seite der Macht. Von ihnen gibt es im Star-Wars-Imperium immer nur zwei, einen Lehrer und einen Schüler, der seinem Meister so lange unterlegen ist, bis er ihn tötet und selbst zum Meister wird. Für die beiden Realos passte das wie die Faust aufs Auge. Der eine war gut einen Kopf größer und doppelt so breit. Eindeutig der Bestimmer.
Einmal nickte der Kleinere uns zu, als wir am Kiosk rumstanden. »Hallo.«
»Fresse, Lucas!«, knurrte sein Kumpel.
Der zog den Kopf zwischen die Schultern. »Ist ja gut, George!«
Das Muskelpaket machte nicht den Eindruck, als wäre es Lucas an Intelligenz überlegen. Wieso ließ der sich das gefallen? Was in ihm steckte, war schwer einzuschätzen, weil er tatsächlich meist die Fresse hielt. So oder so: Es musste Gründe geben, wieso beide es nicht aufs Lise geschafft hatten.
»Wie heißt du? George?«, vergewisserte Finn sich. »Bist du Engländer?«
»Geht dich das was an?«, pampte der zurück. Vermutlich hatte er die Frage nicht zum ersten Mal gehört.
»Komm, Finn.« Ich zog meinen Kumpel am Ärmel.
»Finn?«, höhnte George. »Bist du Finnländer?«
»Wenn schon, dann Finne«, gab Finn zurück.
George zog geräuschvoll Rotz hoch und spuckte uns vor die Füße. Damit waren die Fronten geklärt.
Sportlich waren sie. Was George Lucas an Kraft voraushatte, machte der mit Gewandtheit wett. Im Luna-Park rund um die Doktorsburg 16 standen reichlich Bäume, die Finn und ich zum Klettern nutzten. Das war halt unser Ding. Bis wir eines Tages George und Lucas beobachteten, die in den Platanen an der Dhünnallee herumkraxelten. Unser Ehrgeiz war geweckt. Wir nahmen uns vor, sämtliche Bäume im Stadtpark bis an das CaLevornia 17 zu schaffen.
George und Lucas sahen es – und machten es nach.
Wir fingen an, Zeichen in die Baumstämme zu kratzen, die zeigten, dass wir dagewesen waren. Ein »F« und »O« für »Finn« und »Oliver«. Dazwischen ritzten wir eine Schlangenlinie, von der ich gar nicht mehr sagen kann, wie sie zustande gekommen war. Vielleicht hatten wir den Bindestrich beim ersten Mal nicht sauber hingekriegt, später verband ich damit die geschlängelten Wege, die man halt beim Biken, Skaten und Klettern zurücklegt.
Dann registrierten wir, dass unsere Zeichen entfernt wurden. Die Rinde war mehr oder weniger sauber abgeschält, und unmittelbar daneben hatte jemand ein »G« und »L« angebracht. Damit wären wir ja noch irgendwie klargekommen. Aber die Schlängellinie zwischen den beiden Buchstaben war geklaut. Das konnten wir nicht auf uns sitzen lassen.
Wir hinterließen am Kiosk Botschaften. Zettel, die wir mit Kreppband befestigten. Zeichnungen vom Park, auf denen wir Bäume mit Kreuzchen versahen, die wir markiert hatten. Reine Provokation. Klar hätten wir das auch bei Instagram oder so hochladen können. Aber der Kick war ja gerade das Nichtvirtuelle. Die physische Herausforderung.
»Wat soll der Quatsch?«, fragte Eddy, der den Kiosk betrieb.
Wir erklärten es ihm.
»Immer noch besser, wie wenn ihr euch die Fresse poliert.« Er hatte einschlägige Erfahrung, im wahrsten Sinne des Wortes, und keinen Bock auf geschäftsschädigende Auseinandersetzungen. Die Zettel ließ er hängen.
Der Battle zog Kreise, als wir nach den Bäumen im Park auf alle möglichen und unmöglichen Objekte stiegen und mithilfe von Zetteln an Eddys Büdchen die jeweiligen Gegenden und Gebäude kommunizierten.
Das Hitdorfer Kran-Café 18 . Eigentlich Pipikram. Wir waren mit den Bikes am Rhein entlanggefahren. Es dämmerte, keine Passanten in der Nähe, die Fähre 19 war gerade auf der anderen Seite angekommen. Wir über das Geländer auf das Dach und dann den Kran-Ausleger-Arm rauf bis zur Spitze. Ganz oben malten wir unser Logo mit Edding auf den Stahlträger. In dem Moment kam der Betreiber des Cafés raus, vielleicht hatte er was gehört, und schrie uns zu, wir sollten runterkommen. Im Yachthafen wurde es lebendig. Auf einmal waren da allerhand Leute, zückten Handys, fotografierten, was uns zu allerhand Posen und Stunts anspornte. Bis schließlich eine Polizeisirene aufheulte. Da waren wir im Nullkommanix unten, schafften es, uns vom Dach zu hangeln und Haken schlagend zu entkommen. Trotzdem gab es am nächsten Tag einen Bericht mit Bild in der »Rheinischen Post«. Am selben Nachmittag stand ein Beamter in Zivil bei unseren Eltern auf der Matte.
»Olli«, sagte meine Mutter, als er weg war. »Ich finde es schon toll, was ihr gemacht habt. Aber erstens will ich dich nicht im Krankenhaus besuchen müssen. Schon gar nicht im Leichenschauhaus. Zweitens fände ich es auch nicht okay, wenn jemand Wildfremdes einfach auf unserem Dach rumklettert. Drittens: Wenn man schon Blödsinn macht, sollte man sich nicht erwischen lassen.«
Mein Vater stand hinter ihr, die Arme um sie gelegt. Als hätten sie sich gegen mich verbündet. Trotzdem irgendwie total lieb. Er guckte ernst, aber so, dass man es nicht wirklich ernst nehmen konnte. »Du musst jetzt ganz stark sein, Olli«, sagte er. »Deine Mutter hat eine Vergangenheit, von der du bisher nichts geahnt hast. Sie war einmal der Stern des Tanzcorps der KG Wiesdorfer Rheinkadetten 20 und hat sich erst durch mich Karnevalsmuffel von einer Karriere als international gefeiertes Hebe-Mariechen abbringen lassen.«
Mutter drehte sich um und boxte ihm in den Bauch. Vater tat, als bräche er zusammen und müsste nach Luft ringen, fasste meine Mutter um die Taille, revanchierte sich mit einer Kitzelattacke, ließ aber gleich wieder von ihr ab, als sie quietschte, und wurde ernst. »Dass deine Mutter eure akrobatischen Darbietungen bewundert, nachdem sie ihre eigenen Träume von einer Luftnummer begraben hat, kann man vielleicht nachvollziehen. Trotzdem habt ihr schlicht Scheiße gebaut. Ist das klar?«
»Klar«, sagte ich.
Im Rausgehen drehte er sich um. »Mach das nicht noch mal!«
Mein »Versprochen!« war absolut ehrlich gemeint. Wozu sollten wir noch mal auf den Kran steigen? Kindergarten.
Finns Eltern reagierten ähnlich. Seine Mutter entpuppte sich zwar nicht als ehemaliges Funkemariechen, aber sie nahmen es auch locker.
In der Schule waren wir die Helden.
Ein paar Tage später klebte eine Nachricht mit Bild am Kiosk. »G~L« stand da auf dem Stahlträger neben unserem mit Edding übermalten Logo, eine nächtliche Blitzlichtaufnahme vom Hitdorfer Kran.
Wir rissen das Blatt ab und hielten ein Feuerzeug dran.
Eine Woche darauf hängten wir ein Foto des Kesselhauses 21 in der Neuen Bahnstadt Opladen 22 auf, eine Aufnahme von der Seite, auf der das Rohr bis zu den Schornsteinen auf dem Dach führte. Und eins mit unseren Initialen an einem der Kaminrohre. Eine Nachtaufnahme, klar.
Ein paar Tage später kam die Revanche.
Das einzig Schöne an diesem Hase-und-Igel-Spiel war: Wir waren immer die Ersten. Die anderen zogen zwar nach und löschten unsere Spuren aus. Aber sie waren die ewigen Zweiten. Loser halt.
Wir begannen die Stadt mit anderen Augen zu sehen. Der Blick ging nach oben. Wo ließen sich Aufstiegsmöglichkeiten finden? Es war wie ein Fieber. Die Herausforderung war nicht nur rein sportlicher Natur. Neben der Frage »Würden wir das überhaupt schaffen?« beschäftigten uns andere: Welche Wege konnten wir nehmen? Welche Hilfsmittel benötigten wir? Seile, Haken, Gurte, Karabiner?
Zuallererst aber musste geklärt werden, wie wir uns dem Objekt unserer Begierde überhaupt nähern konnten. Gab es Mauern, Bauzäune, Sicherheitspersonal, Kameras, Alarmanlagen? Wir begannen uns für Herausforderungen zu interessieren, die bisher außerhalb unserer Reichweite gelegen hatten. Für eine, mit der wir endgültig unter Beweis stellen konnten, dass wir die Guten. Die Besten. Die Jedis waren.
Die. Größte. Challenge. Überhaupt.
The. One. And. Only.
Das. Symbol. Der. Macht.
Ich vermute, George und Lucas waren irgendwann davon ausgegangen, dass wir aufgegeben hatten. Dabei hatten wir kaum noch etwas anderes im Kopf. Wir schmiedeten Pläne, beratschlagten das Vorgehen, spionierten die Möglichkeiten aus und nahmen schließlich mehrere Probebegehungen des Geländes vor. Erst als wir uns unserer Sache ganz sicher waren, fertigten wir einen Lageplan für George und Lucas, den wir mit Datum, Uhrzeit und einem Treffpunkt versahen. Eine Herausforderung zu einer Challenge, in der wir unmittelbar gegeneinander antreten würden. Wir klebten den Zettel in der ersten großen Pause an den Kiosk. In der zweiten war er verschwunden.
Als ich am nächsten Abend wie verabredet an der Musikschule 23 ankam, lehnte Finn neben seinem Bike an der Backsteinmauer und wirkte grün im Gesicht. Vielleicht lag es am Licht der Außenlampe. Ich fragte lieber nicht. Schweigend radelten wir zum vereinbarten Ort.
War ich erleichtert, als ich die massige Gestalt neben der schmalen Silhouette erblickte?
»Hallo«, raunte Lucas.
»Fresse!«, zischte George.
Wir ketteten die Fahrräder fest. Finn ging voran, ich bildete die Nachhut.
Es ist merkwürdig mit der Verachtung. Solange man den anderen nicht sieht, kann man ihn ohne Probleme verachten. Wenn man dem anderen aber in die Augen guckt, funktioniert es nicht mehr richtig. Erst recht nicht, wenn man einen gemeinsamen Job ausführt. Dies war kein gemeinsamer Job. Und irgendwie doch. Wir traten gegeneinander an. Zu einem gemeinsamen Abenteuer. Ich fühlte tatsächlich so etwas wie Achtung, als ich hinter den beiden herschlich. Sie hatten sich der Herausforderung gestellt. Waren gekommen. Nun mussten wir erst einmal an den Punkt gelangen, von dem es losging. Dazu hatten wir ihnen Firmenausweise in die Hand gedrückt, die wir zu Hause ausgeliehen hatten. Wir mischten uns unter die Belegschaft, die zum Schichtwechsel antrat, und gelangten ohne Probleme durch die Drehtür. Auf dem Gelände nahmen wir unterschiedliche Wege. Trafen uns schließlich im Obergeschoss des Gebäudes, auf das es ankam. Auf meinen Schlüssel war ich superstolz. Ich hatte ihn selbst nach einem Modell gefertigt, das ich mir bei meinem Großvater geborgt hatte. Wozu ein Industrie-Praktikum gut sein kann! Leider hatte ich das Ergebnis weder meinem Opa noch meinem Vater zeigen können. Aber ich bin sicher, sie wären stolz gewesen.
Wir hatten mit Klebeband, Klorollen, Alufolie und Wunderkerzen Pyrofackeln gebaut, die wir verteilten, bevor es losging. Wer oben als Erster ankam, würde sie zünden.
Finns Gesichtsfarbe sah wieder besser aus, soweit ich das in der Dämmerung erkennen konnte. Bis hierhin hatten wir es geschafft. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Dieser Gedanke sorgte für einen Adrenalinschub, den wir bitter benötigten.
Lucas hatte die ganze Zeit über kein Wort von sich gegeben. Jetzt legte er den Kopf in den Nacken und kicherte. Es klang ein wenig irre. Dass George ausholte und ihm mit der flachen Hand eins auf den Hinterkopf gab, nervte mich trotzdem.
»Hey, lass das!«, sagte ich. »Wir bleiben fair. Auch im Team!«
George glotzte mich an, dass ich einen Moment dachte, jetzt knallt er mir eine. Das Schlimme ist, dass er es in dem Moment vermutlich gar nicht einmal richtig böse gemeint hatte. Es war einfach eine Gewohnheit, dieses Runtermachen von seinem Kumpel. Er war der Boss und duldete keinen Widerspruch. Wie so eine Art Ritus. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Ich denke, er war kein wirklich schlechter Mensch. Ein super Sportler und durchaus fair. Aber eben nicht zu seinem Freund. Wenn ich die beiden so sah, dachte ich manchmal, wie sich das für Lucas wohl anfühlen mochte. Er duckte sich halt immer weg. Wie jetzt auch wieder. Wer wollte sich in dieser Situation schon streiten?
Mit meinem Opa war ich einmal im Förderkorb gefahren. Er hatte im Spätsommer 2009 die Leuchtdioden in die »Leverkusener Sonne« eingesetzt, sie hatten damit für eine Stromersparnis von 80 Prozent gesorgt, worauf er total stolz war, vor allem nachdem das Wahrzeichen zwei Jahre zuvor noch hatte abgerissen werden sollen.
Wir kletterten los. In Sichtweite, aber mit ausreichendem Abstand, sodass wir uns nicht in die Quere kamen. Wir konnten nur den Mittelweg nehmen. Den über den vertikalen Schriftzug. Eine andere Aufstiegsmöglichkeit gab es nicht. Natürlich führte das dazu, dass das Licht von der einen oder anderen Seite kurz verdeckt wurde. Außerdem geriet die Anlage ins Schwanken, klar. Wir mussten uns beeilen, um nicht entdeckt zu werden. Auf der anderen Seite: Die Drahtseile schwankten immer. Bei starkem Wind oft so sehr, dass man den Förderkorb nicht ausfahren konnte. Entsprechend war es normal, dass das Licht blinkte. Einzelne Dioden fielen auch mal aus. Und: Wir hatten Neumond. Vor dem dunklen Nachthimmel würde man uns nicht gut ausmachen können. Die Beleuchtung auf dem Gelände war auf die Wege der Belegschaft beschränkt. Weit nach oben reichte sie nicht. Wer guckte auch schon auf dem Weg von und zur Arbeit in den Himmel?
Während des Aufstiegs vergisst du sowieso darüber nachzudenken, was du da machst. Du bist tausendprozentig auf das Klettern konzentriert. Immer nur auf den nächsten Griff. Und auf deinen Partner. Man entwickelt einen Rhythmus, die Bewegung wird fließend. Der Blick geht immer nach oben oder zur Seite. Never ever nach unten. Noch nicht einmal beim Abstieg. Die Hände sind das Wichtigste. Jeder Griff muss sitzen. Die Füße tasten sich ihren Weg, suchen Halt. Wenn du nach unten guckst, wird es schwierig. Dann kommt der Schwindel.
Auf den Partner musst du dich total verlassen können. Wir sicherten uns mit Gurten und Karabinerhaken und halfen uns gegenseitig beim Befestigen und Lösen. Mit Finn lief das großartig, wir waren ein eingespieltes Team.
Unsere Gegner nahmen wir nur schemenhaft wahr. Hörten ihr Keuchen. Spürten das Schwanken, das sie erzeugten. Es hatte eine gewisse Unwucht, logisch. Aber war auch durchaus rhythmisch. Man konnte sich drauf einstellen. Sie waren nicht schlecht, keine Frage. Auch wenn wir ihnen ein kleines Stückchen voraus waren. Wir erreichten den einzigen Engpass auf der Strecke, den Fuß des Ypsilons, als Erste. An der Stelle kam nur einer nach dem anderen weiter. Finn kletterte voraus, ich folgte. An der Gabelung angekommen, riskierte ich einen kurzen Blick zurück. Ich schwöre, es muss ein Sekundenbruchteil gewesen sein, bevor George aufschrie. Vielleicht war da eine Ahnung, eine ungute Schwingung, ich kann es nicht erklären. Ich gucke sonst nie nach unten. Ich sah den Moment gestochen scharf. Wie in Zeitlupe. Den Moment, als George, der sich eben hochziehen wollte, ins Schwanken geriet, das Gleichgewicht verlor und stürzte. Er war in dem Augenblick nur durch einen Gurt gesichert. Der mit einem kleinen krachenden Geräusch riss.
Ich schwöre: Lucas hat ihn nicht berührt! Er stand stocksteif auf der oberen Leiste des E und klammerte sich mit beiden Händen fest. Sein Gesichtsausdruck war so verzerrt, dass er mich an sein irres Kichern vor dem Aufstieg erinnerte. Vollkommen panisch, wie es schien. Er musste den Moment genauso deutlich gespürt haben wie ich. Georges Aufschrei. Nur kurz. Ich sah ihn noch zappeln. Stumm. Im Fallen. Über mir kreischte Finn. Dann der Aufprall. Gut 30 Meter unter uns.
Im Nachhinein weiß ich, dass viel Zeit verstrichen, viel passiert sein muss. Der Alarm. Der Werksdienst. Feuerwehr. Notarzt. Abtransport. Der Förderkorb, mit dem man uns aus dem Kreuz pflückte. Die Polizisten. Unsere Eltern.
Wir müssen unter Schock gestanden haben. Ich erinnere nichts mehr von alledem.
Das Einzige, was mir seitdem nicht aus dem Kopf geht: ein abgerissener Schnürsenkel. In dem Moment, als ich nach unten sah, hatte ich ihn mikroskopisch scharf vor Augen. Das eine Ende verschwand unter Lucas’ Fuß. Einem Fuß, der seine Position auf dem Draht nicht verändert hatte. Das andere Ende des Schnürsenkels baumelte aufgefasert in der Luft. Das Ende, an dem eben noch George gehangen hatte. George, der ins Schwanken geraten war, weil etwas ihn abrupt gebremst haben musste, als Lucas’ Fuß den Senkel erwischt und nicht mehr losgelassen hatte.
Der Sekundenbruchteil, der dem vorausgegangen sein musste, verfolgt mich in meinen Albträumen. Nacht für Nacht versuche ich seitdem, das Bayer-Kreuz 24 zu bezwingen. Immer kommt der Moment, wenn ich gerade auf halber Höhe bin. In dem irgendeine Macht mich bremst. Wenn ich mich gerade mit Schwung hochziehen will. An meinem Fuß reißt, sodass ich die Balance verliere. Weil jemand auf meinem Schnürsenkel steht.
Der endlose Sturz in die Schwärze.
Bis ich schreiend aufwache.
1 Neuland-Park
Der Neuland-Park ist in Wirklichkeit eine beschönigte Altlast. Auf 25 Hektar in unmittelbarer Werksgelände- und Rheinnähe hatte die Bayer AG ab 1923 bis Ende der 40er-Jahre etwa drei Millionen Tonnen Müll, Bauschutt und Chemierückstände in Wiesdorf 2 abgelagert. Ab den 50er-Jahren wurden darüber die A 1, Wohnungen und Freizeiteinrichtungen gebaut. Erst 1985 begann man über die Verträglichkeit des Untergrunds nachzudenken. Nach langwierigen Prüfungen und Planungen wurde das Gelände »entwohnt«, die Bebauung abgerissen und ab 1985 mit der Abdichtung der Deponie begonnen. Allein zum Rhein hin musste eine 3,6 Kilometer lange und 40 Meter tiefe Sperrwand als Grundwasserbarriere gebaut werden. Fünf Jahre wurde abgedichtet, Schicht für Schicht gesichert, belüftet, ab- und aufgetragen. Von den 110 Millionen Euro Kosten trug die Stadt Leverkusen ein Drittel. Auf der frisch aufgetragenen Oberflächen-Bodendecke wurde anlässlich der Landesgartenschau 2005 der Neuland-Park errichtet, der nicht nur die Vegetation sämtlicher Städtepartner in Themengärten vereinte, sondern sich bemühte, mit einem vielfältigen Freizeit-, Sport-, Fitness- und Spielplatzangebot der gewachsenen Vegetation vergleichbarer Gartenschauareale etwas entgegenzusetzen. Vier Brückenkonstruktionen verbinden Bereiche des Parks miteinander und mit der Umgebung und schaffen Übergänge über umliegende Straßen und die Dhünn. Außer dem Sport sollte die Gestaltung kulturelle Angebote wie Konzerte, Lesungen, Theater und Kleinkunst ermöglichen.
Im Zuge der Vorarbeiten zum Autobahn(um)bau 41 wurden im März 2017 im Neuland-Park größere Flächen gerodet, insbesondere am oberen Rand, dem sogenannten »Waldgürtel«, für den 2005 viele Leverkusener Bäumchen und größere Bäume gespendet beziehungsweise Patenschaften für Bäume übernommen hatten, darunter ein Mammutbaum aus Kanada. Zum Dank dafür erhielt jeder einen persönlichen Granitstein mit Messingplatte für eine Widmung. Die Steine wurden samt den Bäumen entfernt. Da es sich um bedingungslose Spenden handelte, gab es keine Einspruchsmöglichkeit für die Bürger, die ihr Engagement schlecht gewürdigt sahen.
Von unzähligen Events, denen der Neuland-Park seit seiner Entstehung Raum bot, sei der Nordische Weihnachtsmarkt erwähnt, der seit der Eröffnung 2005 jährlich stattfindet. Immerhin seit 2008 gibt es die Irish Days im August/September. Im Mai 2017 veranstaltete der Verein Internationale Liste ein Festival der Kulturen, erstes Gastland war Hellas – aus guten Gründen: Die Griechische Gemeinde von Leverkusen konstituierte sich 1964 unter Jannis Goudoulakis als erster ausländischer Verein der Stadt.
2 Wiesdorfer Skatepark
Der Skatepark unter der Stelzenautobahn umfasst 3.400 Quadratmeter und wurde 2004 eingeweiht. Damit wurde er aus dem Sportpark 17 an der Bismarckstraße ausgelagert, wo Jugendliche bis dahin kostenlos skaten konnten. Der Sportpark umfasst heute neben dem Freizeitbad CaLevornia 17 die Trainingsstätten, die den Ruhm der Sportstadt Leverkusen beziehungsweise der Bayer-Sportvereine begründeten: die BayArena 62 , das gegenüberliegende Soccer-Centor, bis 2007 Eissporthalle, jetzt kommerzielle Fußballhalle, und die Kurt-Rieß-Anlage der Leichtathleten. Der Skatepark als Just-for-fun-Sportstätte wurde durch die Auslagerung sicherlich eher aufgewertet, zumal die Lage unter der Autobahn und fern von Wohnbebauung optimal ist. Der 2015 entstandene Skate-Pool in der Neuen Bahnstadt Opladen 22 kann der Wiesdorfer Anlage nicht das Wasser reichen. In Wiesdorf ist man auf einem großen Areal neben den Grünanlagen an der Dhünn unter sich, kann auch mal die Boxen aufdrehen und Party feiern. Wie es weitergeht, hängt vom Schicksal der Stelzenbrücke ab. Die aus Beton gegossene, 900 Meter lange Hochstraße B, die vom Kreuz Leverkusen-West ausgehend den Stadtteil Küppersteg durchquert, weist erhebliche Schäden auf. Sie muss dringend saniert und um zwei Spuren verbreitert werden. Das mag für die Skater noch lustig sein, für die Anwohner von Wiesdorf und Küppersteg ist es ein Riesenproblem. Der Ausbau hängt am Bauvorhaben Leverkusener Autobahnbrücke 41 . Zur Verbreiterung der Trasse wird es wohl nur eine Alternative geben: eine von mehreren Tunnelvarianten, für die sich Leverkusener Politiker und Bürgerinitiativen einsetzen. Die Entscheidung über die Maßnahme liegt in den Händen von »Straßen.NRW«, für die die Kommune, wie Bert Gerhards, Leiter der Lokalredaktion des »Leverkusener Anzeiger« im Mai 2018 formulierte, eher ein »Verkehrshindernis« zu sein scheine.
Der Stadtteil Wiesdorf an der Südgrenze der Stadt ist als Heimat des Bayer-Werks von zentraler Bedeutung und Sitz des Rathauses, weshalb der Wiesdorfer Bahnhof auch »Leverkusen Mitte« heißt. Das war nicht immer so. 1107 findet sich »Wistubbe« erstmals urkundlich erwähnt. 1815 wurde es Teil der Bürgermeisterei Schlebusch im Kreis Opladen. 1820 wechselte Wiesdorf in die Bürgermeisterei Opladen. Mit der Ansiedlung der Ultramarin-Farbenfabrik des Apothekers Carl Leverkus am Kahlen Berg bei Wiesdorf im Jahr 1860 nahm die Industrialisierung Fahrt auf. Der ursprüngliche Wermelskirchener benannte den Kahlen Berg nach seinem Stammsitz Leverkusen. 1889 schloss sich Wiesdorf mit dem benachbarten Bürrig 44 zu einer gemeinsamen Bürgermeisterei zusammen, die sich nach der an beide angrenzenden Ortschaft Küppersteg nannte. 1891 wurde das erste Werk des Wuppertaler Unternehmens Bayer in Wiesdorf eröffnet. Als die heutige Bayer AG 1912 ihren Firmensitz an den Rhein verlegte, wuchs Wiesdorfs Bedeutung. Acht Jahre später entstand die neue Bürgermeisterei Wiesdorf, der Bürrig und Küppersteg angehörten. 1921, ein Jahr später, erhielt Wiesdorf die Stadtrechte. Wieder neun Jahre darauf, 1930, wurden Schlebusch 73 , Steinbüchel 93 und Rheindorf 84 Wiesdorf zugeschlagen. Die von drei auf sechs Stadtteile gewachsene Stadt erhielt den Namen Leverkusen. 1975 kamen Opladen 22 , Bergisch Neukirchen 17 und Hitdorf 18 dazu.
Der Stadtteil Küppersteg ist von den anstehenden Baumaßnahmen noch stärker betroffen. Darüber hinaus wird er von der B 8 durchschnitten, verkehrstechnisch-baulich ist er also eher ein Stiefkind. Neben den erwähnten Sportstätten gibt es die katholische Christus-König-Kirche an der B 8, eine Backstein-Saalkirche mit Satteldach von 1928 mit 52 Meter hohem querrechteckigem Glockenturm aus den 50er-Jahren. Freizeitwert erhält Küppersteg vor allem durch den Wildpark Reuschenberg an der Grenze zu Bürrig, nach dem ehemaligen Schloss Reuschenberg benannt, das sich 1295 bis 1968 in der Nähe befand, aber aufgrund von Kriegsschäden abgerissen wurde. Zur Opladener Seite, an der Robert-Blum-Straße, kann Küppersteg mit dem von Wäldern und Wiesen umgebenen Silbersee punkten.
3 Leichlinger Sandberge-CrossPiste
Unter dem schönen Namen »Forest Jump« haben Mountainbikefreunde aus Leichlingen und Langenfeld 78 einen Querfeldeinparcours wenige Meter hinter der Leichlinger Stadtgrenze gebaut, Trampelpfade zwischen den Bäumen zu Fahrspuren eines Rundkurses angelegt und Sprunghügel modelliert. Im Sommer 2014 erhielten sie schließlich den Segen der Stadt Langenfeld und des Kreises Mettmann. Der Parcours darf nun offiziell als Trainingsgelände genutzt werden.
Vorausgegangen war dem ein Verbot der Unteren Landschaftsbehörde des Rheinisch-Bergischen Kreises aus dem Jahr 2010, als Mountainbiker nur ein paar Hundert Meter entfernt in den Leichlinger Sandbergen eine Crosspiste geschaffen hatten. Die Rampen, Schanzen, Baumbrücken und Steilkurven gefährdeten das Naturdenkmal des eiszeitlichen Sandberg-Hügels, hieß es damals. Andere Behörden, andere Sichtweisen.
Leichlingen, Leverkusens nördliche Nachbarstadt an der Wupper, trägt seit 2013 den Namenszusatz »Blütenstadt«, was den Stellenwert der Natur unterstreichen mag, der bereits im Namen angelegt ist, sich aber auf ein anderes Element bezieht: »Leich« kommt – anders als der Krimiliebhaber vermuten könnte – von »(Fisch-)Laich« und »lingen« steht für eine Flussschlinge oder -schleife. Das Attribut »Blütenstadt« bezieht sich auf die zahlreichen Obst(streu)wiesen und -plantagen rund um die Ortschaft, die 973 n. Chr. als »Leigelingon« erstmals urkundlich erwähnt wurde und seit dem 12. Jahrhundert ein Kirchort war, in dem die Landwirtschaft bis heute eine große Rolle spielt, was in dem Obstmarkt in der Balker Aue, der seit mehr als 120 Jahren im Herbst stattfindet, und dem bei Wanderern beliebten »Leichlinger Obstweg« Niederschlag findet. Etwa acht Kilometer beträgt er und führt über Hülstrung nach Bennert, Oberschmitte und Leysiefen, wo der östliche Scheitelpunkt erreicht ist. Zurück geht es über Dierath und Bergerhof.
Daneben gab es, wie in fast allen Gemeinden an der Wupper, jahrhundertelang Schleifer, Weber, Bleicher, Färber und Gerber. Die Industrialisierung konzentrierte sich auf die Branchen Textil- und Metallverarbeitung. 1909 verschaffte der Elberfelder Luftfahrtpionier Oskar Erbslöh dem Ort durch den Bau eines Hangars, damals der größten freistehenden Luftschiffhalle Deutschlands, kurzzeitig Ruhm als »Stadt der jungen Luftfahrt«, von der ein Jahr später niemand mehr etwas wissen wollte, als das Luftschiff »Erbslöh« im dichten Nebel abstürzte und fünf Besatzungsmitglieder in den Tod riss. Ein Denkmal an der nach ihm benannten Oskar-Erbslöh-Straße in Balken, das einen mit ausgebreiteten Flügeln auf dem Rücken liegenden Bronze-Adler zeigt, vermeldet: »13. Juli 1910 – Himmelan ging euer Flug, wie ein Aar der Sonne entgegen. Doch ein widriges Geschick stürzte euch jählings herab.« Erfolgreicher und bekannter wurde in der Folgezeit Graf Zeppelin, dessen Luftschiffe zunächst zivil, ab 1914 auch zu Kriegszwecken eingesetzt wurden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg endete die Ära der Luftschiffe.
Sehenswert: die Höhenburg Haus Vorst aus dem 13. Jahrhundert, bis 2015 für Ausstellungen und Veranstaltungen genutzt, heute in Privatbesitz, Zugang nicht mehr gestattet. Für die Krimireihe »Mord mit Aussicht« hielt Haus Vorst als Spukschloss her. Die Dreharbeiten zu »Die Erfindung der Liebe« mit Mario Adorf und Sunnyi Melles mussten 2011 unterbrochen werden, als die Hauptdarstellerin Maria Kwiatkowsky in Berlin an einer Überdosis Kokain starb, 2014 kam der Film aber doch noch in die Kinos. Weitere (bau-)historische Leichlinger Denkmäler: Die »kleine« Villa Weyermann, Überbleibsel eines Villenensembles der Industriellenfamilie Weyermann, 1877 im Stil des späten Historismus erbaut, wird heute als Bürgerhaus genutzt. Schloss Eicherhof, Rokoko-Schlösschen von 1762/63, Am Hammer, ist heute in den Händen einer privaten OHG, kann aber für standesamtliche Trauungen genutzt werden und gibt seit 2007 die Kulisse für die städtische Kleinkunst-Reihe »Kultur im Schloss«.
Mehr Beispiele für die Naturnähe Leichlingens?
Ein junges Unternehmen namens »Baokyard Boat Customs« baut nachhaltige Kanus, Kajaks und Surfbretter aus Wupperbambus mit einem Plastikanteil von weniger als fünf Prozent.
Im Eicherhofer Park hat die Stadt genau an der Stelle, an der Flaneure bereits 1890 an einem berankten Gartenpavillon auf einem wie eine Aussichtsplattform wirkenden Rondell die Idylle an der Wupper genießen konnten, Sitzstufen aus Steinquadern angelegt.
Wem der Leichlinger Obstwanderweg nicht genügt, der kann im Leichlinger Ortsteil Witzhelden noch fünf Kilometer (oder mehr) dranhängen und Gegenden mit so interessanten Namen wie Krähwinkel, Holzerhof und Claasholz kennenlernen – immer dem Apfel-Hinweis folgen!
In der feuchten Weltersbachaue gibt es Wasserbüffel zu bestaunen, die in der Nacht zum 14. Mai 2018 landesweit für Aufsehen sorgten, als sie aus ungeklärter Ursache ihre Weide verließen und auf die nahe gelegene A 3 ausbüxten. Polizei und Feuerwehr waren stundenlang auf dem beidseitig gesperrten Autobahnabschnitt zwischen der Ausfahrt Langenfeld und dem Kreuz Leverkusen im Einsatz, ehe die fünf Tiere eingefangen waren und der morgendliche Berufsverkehr wieder ins Rollen kam.
Im Pilgerheim Weltersbach wird dem Besucher auf einem 1.700 Quadratmeter großen Gelände die Bibel auf Botanisch nahegebracht: 80 der im Alten und Neuen Testament genannten 120 Pflanzen werden dort angebaut. Zudem werden Begebenheiten wie die Schöpfung, die Zehn Gebote, die Hochzeit zu Kanaa, die Emmausjünger und viele andere mehr künstlerisch dargestellt. Überregional wahrgenommen wurde das Pilgerheim als Hintergrund in dem Film »Sein gutes Recht« mit Thekla Carola Wied und Matthias Habich.
Neben dem pfingsttägigen Grammo-Festival im Leichlinger Stadtpark, bei dem Rock und Reggae dominieren, − 2018 zum zehnten Mal mit Teilnehmer- und Besucherrekord − bietet das städtische Kulturprogramm seit über 20 Jahren die sogenannten Sommerserenaden im Grünen: handgemachte akustische (Volks-)Musik auf seltenen Instrumenten wie Autoharp, Harfe oder Dudelsack.
Seit 2015 macht die Traube dem Apfel Konkurrenz: Ein Winzerfest im Stadtpark bietet süffige Erfrischung im August.
Literarischer Botschafter Leichlingens ist ein Hase. Ein glücklicher: Annette Langens »Felix«-Kinderbücher wurden in über 30 Sprachen übersetzt.
Dem SinnesWald an der Wietsche ist ein eigener Eintrag gewidmet 6 .
4 Aktionsklettergarten Alkenrath
Der Aktionsklettergarten Alkenrath ist nur eines von vielen Angeboten, mit denen die Evangelische Jugend der Kirchengemeinde Leverkusen-Schlebusch Kindern und Jugendlichen am Alkenrather See Anregungen zur Entwicklung persönlicher, sozialer und emotionaler Kompetenzen geben und interkulturelles Lernen ermöglichen möchte. Ob Teilnehmer sich vom Rest der Gruppe hochziehen lassen, am Seil über den Boden pendeln, eine frei hängende Strickleiter hochklettern, eine Rutsche aus acht Metern Höhe heruntergleiten – oder auch zwischendrin einmal Kaulquappen beim Schlüpfen beobachten: Es geht um neue Erfahrungen, das Überwinden von Grenzen, allein und mit Hilfe anderer. Dem gemeinsamen Erleben dienen auch Kulturveranstaltungen wie Konzerte, Kabarett, Apfelsaftaktionen, liturgische Feste und Ferienfreizeiten. Maßnahmen, die in ähnlicher Form auch von katholischen Einrichtungen in einem Wohngebiet angeboten werden, das zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen alarmierenden Anstieg in der Jugendkriminalität aufwies und sich zum sozialen Brennpunkt zu entwickeln schien. Dabei hatte es so schön begonnen: Alkenrath ist der jüngste von 13 Leverkusener Stadtteilen, wenngleich es dort sogar Funde aus der Jungstein- und Hallstattzeit gibt und eine erste urkundliche Erwähnung von »Alfkenroide« das Jahr 1458 angibt. Die Gezelinkapelle 70 und Schloss Morsbroich 69 gehören zu Alkenrath. Aber erst 1953 wurde das bis dahin landwirtschaftlich genutzte Gebiet von der Stadt Leverkusen erworben und systematisch mit Wohnbebauung und Infrastruktur versehen. Ein beschauliches Pflaster für Besserverdienende und Rentner mit vielen Einfamilien- und Reihenhäusern entstand rund um den Alkenrather Park. Daneben gibt es heute eine stark befahrene Durchgangsstraße und große Wohnblöcke im Norden dicht an der A 1, in denen sich Sozialhilfebezieher konzentrierten. Wer den Stadtteil mit dem Auto durchquert, wird die Tankstelle nicht übersehen können, auf deren Dach eine Antonov AN 2 steht, als wäre sie eben notgelandet. 2011 fügte der Besitzer dem Flieger einen zweiten Blickfang hinzu: einen Hubschrauber.
5 A-Werk
Das A-Werk, Kürzel für »Ausbesserungswerk«, ist Geschichte. Daher hat es unter dem Stichwort »Neue Bahnstadt« 23 nichts mehr verloren. Weil es so schön war, soll es hier dennoch einen Gedächtniseintrag bekommen. Es stand für ein Stück Leverkusener alternative Lebenskultur. Weniger geeignet für sportliche Höchstleistungen, da die Höhe der Fabrikhalle dem Klettern natürliche Grenzen setzte, aber im oberen Bereich gab es durchaus knackige Routen. Mangelnde Heizmöglichkeit sorgte in der kälteren Jahreszeit für eine besondere Herausforderung. Punkten konnte es mit der familiären Atmosphäre, die sich nicht nur in liebevoller Betreuung und vielfältigen Anregungen niederschlug, sondern auch in gelegentlichen Grill- oder Flammkuchenabenden. Überlegungen, auf dem Neue-Bahnstadt-Gelände am Kesselhaus 21 eine Kletterwand einzurichten, zerschlugen sich leider. Kletterfreunde können in Opladen seit 2010 aber den großartigen Klettergarten Birkenberg in der Nähe des Wildparks Reuschenberg 2 nutzen. Er bietet einen Kinderparcours für die Kleinen bis 120 Zentimeter Körpergröße, eine »Free-Fall«-Station in 13 Metern Höhe, einen Panoramaparcours mit 14 Stationen in fünf beziehungsweise neun Metern Höhe und ein Bistro. Außerdem gibt es eine 130 Meter lange Seilrutsche in den Wald, wo man für alle Altersgruppen erlebnispädagogische Teamtrainings buchen kann. Wem das nicht genug ist, dem bleibt der Steinbruch an der Wietsche 6 – neben dem Aktionsklettergarten in Alkenrath 4 .
6 Leichlinger Steinbruch
Südlich des Leichlinger 3 Zentrums fließt der Murbach in der Ortschaft Balken in die Wupper, ein Name, der vermutlich auf eine Wegsperre oder einen Schlagbaum zurückzuführen ist. Ein Stückchen oberhalb im Grünen liegt die Hofschaft Wietsche, abgeleitet von dem alten Gewässernamen des Murbachs, der vom althochdeutschen Wort für »weiß« stammt. An der Wietsche gab es mehrere Steinbrüche, die seit Tausend Jahren zur Gewinnung von Baumaterial für die umliegenden Orte genutzt wurden. Erst gegen Mitte des letzten Jahrhunderts wurden die Arbeiten in dem größten Steinbruch eingestellt. Seit der letzten Jahrhundertwende wird er für kulturelle Veranstaltungen, wie Konzerte und Open-Air-Kino, und zudem als Kletterort genutzt. 2017 ließen die heutigen Grundstückseigentümer, denen auch die historische Wassermühle am Murbach aus dem 14. Jahrhundert gehört, in einer spektakulären Aktion einen bröselig gewordenen Felsüberhang sprengen, um die Sicherheit der Besucher zu garantieren, die in den Sommermonaten zahlreich herbeiströmen, um die Kulturaktionen an historischem Ort zu genießen.
1855 hatte ein Leichlinger Tuchfabrikant die Mühle erworben und eine Spinnerei errichtet, 1916 folgte ein Solinger Unternehmer, der das Obergeschoss der Fabrik in eine Wohnung umbaute und medizinische Geräte und Prothesen produzierte. Zum Gelände gehören Nebengebäude und die alten Wasseranlagen, ein Wehr und der 1.500 Quadratmeter große Stauteich. 1956 kauften Flüchtlinge aus Ostpreußen das Anwesen und betrieben als Nebenerwerb Landwirtschaft. Ihre Tochter Wicze Braun, deren Vorname den Vor-Namen des Murbachs aufgreift, trat 1986 das Erbe ihrer Eltern an und wandelte es zusammen mit ihrem Lebensgefährten Wolfgang Brudes zu einem Erlebensort von Kultur und Natur um. Jedes Jahr findet dort nun eine Skulpturenausstellung mit um die 100 Kunstwerken zwischen Wald, Steinbruch, Wiese und See statt. Künstler, Schulklassen und Initiativen stellen Exponate inmitten schönster Natur im »Sinneswald« aus und bieten vielfältige Wahrnehmungen und Eindrücke, die zum Entdecken, Ausprobieren, Staunen, Bewundern, Rätseln und Nachdenken einladen. Zu jährlich wechselnden Mottos: ursprünglich waren es sagen- und märchenhafte Themen, seit den Terroranschlägen am 11. September 2001 sind sie politisch, 2018 lautete das Thema »Freiheit«. Die Ausstellung ist frei zugänglich. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Workshops im historischen Gebäude und unter freiem Himmel.
Für ihr außergewöhnliches Engagement wurden Wicze Braun und Wolfgang Brudes 2007 mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet, 2012 zum Gartenfest des Bundespräsidenten ins Schloss Bellevue eingeladen, und 2014 erhielten sie die Ehrenplakette der Stadt Leichlingen. Besucher sollten die Parkplätze an der Oskar-Erbslöh-Straße nutzen und bedenken, dass die Tallage den Hall verstärkt, sodass Kindergeschrei die meditative Erfahrung des Ortes beeinträchtigen könnte.
7 St. Antonius
St. Antonius an der Kirchstraße in Wiesdorf 2 ist eine kleine katholische neugotische Backsteinhallenkirche, eine Filialkirche der Gemeinden Herz Jesu und St. Antonius.
1657 war die Vorgängerkirche bei Rhein-Hochwasser weggespült worden, weshalb die heutige Kirche an einer etwas höher gelegenen Stelle steht. 1966 wurde der Turm vollendet, Erweiterungsbauten entstanden 1872 und 1902. Nicht nur die Kirche, auch Ausstattung und Ausbauten stehen unter Denkmalschutz, außerdem die Glocken und die Orgel. Letztere war Anfang des 19. Jahrhunderts von Wilhelm Schaeben aus Köln für die Kölner Dompfarrkirche St. Maria im Pesch erbaut worden und kam 1863 nach Wiesdorf.
Aus der Gemeinde ging ein Verein hervor, der sich in Sachen Jugendarbeit engagiert. Legendär ist die über 60-jährige Tradition der Zeltlagerfahrten, zunächst in den Schwarzwald, schließlich viele, viele Jahre an die Ardèche in Südfrankreich. Aufgrund kommunaler Umstellungen auf französischer Seite steht das Projekt allerdings derzeit auf der Kippe.
Vor der Kirche befindet sich eine bronzene Figur mit einer Kuh, erschaffen von dem Leverkusener Bildhauer Kurt Arentz, das »Paulinchen«. Pauline Pohnke gilt als Leverkusener Original, 1907 mit Bruder und Schwägerin aus Westpreußen nach Wiesdorf in die Kirchstraße gekommen, am 15.04.1980 gestorben und auf dem Manforter Friedhof begraben 81 . In Arentz’ Abbildung von 1982 scheint die Kuhmagd mit Kopftuch, Kittelschürze und Gehstock stracks auf die Kirche zuzumarschieren, das etwas widerspenstige Rindvieh, das den Kopf zur Seite abwendet, am Seil mit sich führend. Genau so muss sie täglich durch die Wiesdorfer Straßen zu den Rheinwiesen in den Kämpen gezogen sein, wo sich heute der Neuland-Park 1 befindet. Nebenbei ging sie »beim Bayer« putzen. Sie blieb zeitlebens ledig und war stolz darauf, bestand auf der Anrede »Fräulein«. Angeblich hatte sie schon in Westpreußen alles getan, um Bewerber um ihre Hand abzuwimmeln. So habe sie es einmal, als ein junger Mann sich bei ihr vorstellte, fertiggebracht, das Kaffeewasser anbrennen zu lassen, und den armen Aspiranten so in die Flucht gejagt. Die Kinder hätten sich über sie lustig gemacht, heißt es, aber sie habe jeden Spaß verstanden und auch gut austeilen können. Ihr Wahlspruch lautete: »Immer lustig und vergnügt, bis der Arsch im Sarge liegt.« Die Nazis konnte sie nicht leiden. Als sie an einer Sammelstelle Milch abliefern sollte, mischte sie Wasser darunter. Von SA-Leuten zur Rede gestellt, soll sie aus ihrer Verachtung keinen Hehl gemacht haben: »Unsere gute Milch ist zu schade für euch!«
Die Karnevalsgesellschaft »Rheinkadetten« 20 verleiht einmal jährlich den »Paulinchen-Orden«.
8 Café Mittenmang
Das Café Mittenmang ist einer von vielen Jugendtreffs oder eine der OT, »Offenen Türen«, in Leverkusen, von denen ein kleines Spektrum vorweg angerissen werden soll: Das »Medienzentrum Wiesdorf« spricht internetaffine Jugendliche an. Das »Fan-Projekt Leverkusen« in der Wiesdorfer Lichstraße will Jugendliche für Fußball begeistern. Der städtische Manforter Jugendtreff »Lindenhof« bietet im gleichnamigen historischen Gebäude freie Jugendarbeit an. Im Jugendzentrum Bunker an der Manforter Dr.-August-Blank-Straße ebenso, hier haben Jugendliche sich einen Proberaum für Bands eingerichtet und veranstalten wöchentliche Song-Contests. In Rheindorf 84 gibt es einen Bauspielplatz, der zunächst von der AWO betrieben wurde, heute von katholischen und evangelischen Gemeinden gemeinsam betreut wird. Das »JuLe-Café« unter der katholischen Aloysiuskapelle in Opladen 22 macht offene Jugendarbeit mit jugendpastoralen Angeboten. Der Mädchentreff »MaBuKa« 92 in Quettingen 26 möchte Stärken, Fähigkeiten und Wünsche von Mädchen fördern. Die »Evangelische Jugend Schlebusch« ist mit Freizeitangeboten bis hin zu Segeltouren in Schul- und Ferienzeiten am Start. Die städtischen »Jugendkunstgruppen« bieten an verschiedenen Orten ebenfalls ganzjährig und speziell in den Ferien Kurse mit künstlerischen Schwerpunkten.
Das Wiesdorfer »Café Mittenmang« steht also alles andere als allein im Bemühen, Jugendliche von der Straße zu holen und für gemeinsame Aktionen zu begeistern. Als Jugendzentrum der katholischen Herz-Jesu-Kirche 28 ist es seit 2008 offen für Kinder aller Konfessionen ab dem Schulalter. Zur Verfügung gestellt werden Möglichkeiten zum Kickern und im Internet zu surfen, Tischtennis, Billard, Wii, Karten- und Gesellschaftsspiele. Darüber hinaus gibt es Nachhilfeunterricht in Deutsch und Mathematik, nächtliches Geocaching, gemeinsames Kochen und Backen, man geht skaten, ins Schwimmbad und in Freizeitparks, trifft sich zum 3-D-Minigolf, zu Stadionführungen und Karnevalspartys, zum Mädchencafé, zu »Boysdays« und, und, und. Der interkulturelle Ansatz ist speziell in der Wiesdorfer Innenstadt, in der viele Kinder einer großen Roma-Familie leben, ein wichtiger Beitrag zur Integration.
9 Lise-Meitner-Gymnasium
1923 wurde das spätere »Lise« als »Höhere Mädchenschule Wiesdorf« gegründet, 1925 an das Realgymnasium angegliedert, 1928 erfolgte der Umzug in dessen neues Gebäude am Stadtpark.
Das »Lise« wurde nach der jüdischen Physikerin Lise Meitner (1878–1968) benannt, Wegbereiterin der Atomforschung in Zusammenarbeit mit Otto Hahn, 1938 aus Berlin ins Exil ans Nobelinstitut nach Stockholm vertrieben, bis zum Tod entschiedene Befürworterin der friedlichen Nutzung von Kernenergie. Die Schule ist heute Mint-EC-Gymnasium (Verein mathematisch-naturwissenschaftlicher Excellence-Center), Eliteschule des Sports und des Fußballs samt Sportinternat. Um die Jahrhundertwende hatte es eine Vorreiterrolle im Rahmen des Schulversuchs »Schule & Co.« der Bertelsmann-Stiftung, der das selbstständige Lernen in den Fokus nahm, weshalb der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder der Schule im Jahr 2000 einen Besuch abstattete, und damit vielen Kooperationen den Boden bereitete. Auch künstlerisch war/ist das »Lise« gut aufgestellt, unter anderem war seine Theater-AG die Keimzelle für das Junge Theater Leverkusen 94 . Sein »Eine-Welt-Café« steht für das soziale und globale Engagement, das 1959 seinen Ursprung in der Partnerschaft mit der Leprastation in Mwena/Ndanda in Tansania nahm. Seit 1998 ist der Eine-Welt-Kreis als gemeinnütziger Verein anerkannt. Daraus erwuchs eine Eltern-Lehrer-Schüler-Initiative, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlug: Vollwert-Pausenverpflegung durch ehrenamtliche Elternarbeit und Erwirtschaftung von Mitteln zur Unterstützung von Entwicklungsprojekten. Seit 2011 ist durch einen Mensabau und einen Caterer das Mittagsangebot deutlich erweitert worden, aber das »Eine-Welt-Café« ist nach wie vor eine wichtige Versorgungsbasis und Projektträger in Kooperation mit Tansania und Chinandega in Nicaragua, einem der Städtepartner Leverkusens.
Die Geschichte des »Lise« oder LMGs ist eng mit der des Carl-Duisberg-Gymnasiums verknüpft 15 , dessen ehemalige Räumlichkeiten es bis 2016 als Nebengebäude nutzte. Unbedingt empfehlenswert für Passanten ohne besondere Absichten: ein Blick auf das Glasfenster von Georg Meistermann im Treppenhaus des ersten Gebäudetrakts und einer in die ebenfalls im ersten Trakt parterre beheimatete Bibliothek, die nicht nur ein Selbstlernzentrum mit 80 Schülerarbeitsplätzen – auch am Computer – bietet. Die liebevolle Gestaltung der Räumlichkeiten mit Bildern, Kunstobjekten, Dokumentationen, historischen und naturkundlichen Sammlungen macht den Aufenthalt zum Genuss und ist einfach sehenswert.
10 Wiesdorfer Buhnen
Dem Rhein sei aufgrund seiner Bedeutung ein Extravermerk gewidmet. Wenn Leverkusen ohne die Bayer AG nicht denkbar ist, so wäre die Bayer AG in Wiesdorf nicht ohne den Rhein denkbar gewesen. Der schrittweise Umzug der »Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co.« zwischen 1895 und 1900 nach Wiesdorf 2 wurde nötig, da das Betriebsgelände zwischen den Abhängen im Wuppertal nicht weiter wachsen konnte. In und um Wiesdorf war Raum, der allerdings von den Mitarbeitern eher als Walachei empfunden wurde. Zu jener Zeit kursierte in der Firma der Spruch:
»Kann er einen nicht verknusen,
schickt er ihn nach Leverkusen.
Dort an diesem End’ der Welt
ist man ewig kaltgestellt.«
Mit »er« war der Chemiker Carl Duisberg (1861–1935) gemeint, der mit der Planung des neuen Unternehmenssitzes beauftragt war. Natürlich ging es dem Unternehmen nicht nur um Platz, sondern auch um Transportwege. Der Rhein war eine der bedeutendsten Handelsstraßen seit der Römerzeit. Er bot aber weitere Optionen: Der Betrieb des expandierenden Unternehmens benötigte Wasser für Produktion und Energiegewinnung, insbesondere entstanden in der chemischen Industrie Abwässer, die kostengünstig entsorgt werden sollten. Die schmale Wupper war längst zur Kloake verkommen. Bereits 1876 konstatierte eine von der preußischen Regierung genehmigte Schrift, im Raum Barmen und Elberfeld gleiche der Fluss »meistens einem Tintenstrom«. Beschwerden häuften sich. Dem großen Rhein unterstellte man eine Selbstreinigungskraft, die Durchsetzung von Grenzwerten sei nicht praktikabel, zumal bei der Vielzahl der anliegenden Fabriken Verursacher schwer zu ermitteln waren. Die wirtschaftliche Bedeutung der Industrie erfordere nun mal Zugeständnisse, hieß es. Anfängliche Selbstverpflichtungen und -kontrollen wurden zwar mit Beginn des 20. Jahrhunderts durch unabhängige Sachverständige ergänzt, man erkannte die Verpflichtung zur Vermeidung von Verschmutzung grundsätzlich an, aber Auflagen wurden abgelehnt. Duisberg nannte sie eine »Vergeudung von Nationalkapital«, trat für die »Freiheit der fließenden Welle« ein und forderte eine unbeschränkte industrielle Nutzung der Wasserläufe. Von dieser Auffassung will man heute nichts mehr wissen. Das globale Wirken des Chemiekonzerns ist allerdings in Hinsicht auf ökologische und ethische Prinzipien immer wieder der Kritik ausgesetzt.
Dass das Wohnen am Fluss auch ein Stück Lebensqualität sein kann, erleben die Leverkusener erst, seit die Deponie Dhünnaue zum Neuland-Park 1 umgestaltet wurde. Der Rheinzugang war von dem heutigen Chempark-Gelände schlussendlich vollkommen in Beschlag genommen worden, weiter rheinabwärts hatte sich die Mülldeponie ausgeweitet, im Bürriger Bereich blockieren die Verbrennungsanlage und das Klärwerk das Flussufer. Wer die Nähe des Wassers suchte, musste nach Rheindorf 84 oder Hitdorf