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Mary, alias Maria Weidinger, ist nun keine Kommissarin mehr, dennoch kann sie das Schnüffeln nicht lassen. Vor allem nicht, als in ihrem beschaulichen Heimatdorf Essing im Altmühltal schon wieder ein Mord geschieht. Diesmal in der Burgruine, in der ihr ältester Sohn eigentlich gerade heiraten wollte. Ein lässiger Oberkommissar, der Marys Herz zum Klopfen bringt, hat in der Polizeiinspektion Kelheim ihren Posten übernommen. Er beginnt mit Kommissar Erdem Alemdaroglu zu ermitteln. Der unbekannte Tote gibt ihnen Rätsel auf, genauso wie das Verschwinden der Verwaltungsangestellten Swetlana Nemkova, die sich als Täterin herausstellt. Die hübsche Blondine war erst seit Kurzem in Essing heimisch, alles andere als ein Mauerblümchen, und hatte mit einigen Männern ein Techtelmechtel. Nun gilt es für Mary wie für die Kommissare herauszufinden, wer von diesen der flüchtigen Mörderin Unterschlupf gewährt. Dabei nützt ihr der neue Job beim Lindenwirt, denn die Gerüchteküche am Stammtisch brodelt. Mary deckt nach und nach einige Geheimnisse auf, bis Swetlana tot in der Altmühl gefunden wird. Was hat der Bürgermeister damit zu tun? Was will der brutale Zuhälter aus Tschechien in Essing, der Frauen überfällt? Und warum verhält sich der Opa, Marys sonst umtriebiger Schwiegervater, diesmal so brav? Auf all diese Fragen muss sie eine Antwort finden und bekommt dabei Hilfe von ihrem alten Partner, dem Bär.
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Marion Stadler
Über die Autorin:
© Mirjam Landfried, Kameraflimmern
Marion Stadler hält dem Altmühltal schon seit ihrer Kindheit die Treue. Sie lebt und schreibt dort, wo andere Urlaub machen, und ihre Krimis spielen: in Essing bei Kelheim in Niederbayern.
Als Agatha-Christie-Fan lässt sie sich von der großen Krimiautorin inspirieren. Durch ihre Arbeit zuerst in der Gastronomie und dann im Verkauf begegnet ihr außerdem immer wieder allzu Menschliches, was in ihre Krimis miteinfließt, wobei es in ihrer Heimat eher idyllisch und friedlich zugeht. Diese Idylle und die Sehenswürdigkeiten baut sie als Schauplätze in ihre Krimis mit ein. Inzwischen sind sechs Essingkrimis entstanden. Ihre Kommissarin Mary Weidinger und deren eigensinniger Schwiegervater erfreuen sich bei ihrer Leserschaft großer Beliebtheit.
Sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Kunsthandwerkerin und leidenschaftliche Hobbygärtnerin.
Buchbeschreibung:
Mary, alias Maria Weidinger, ist nun keine Kommissarin mehr, dennoch kann sie das Schnüffeln nicht lassen. Vor allem nicht, als in ihrem beschaulichen Heimatdorf Essing im Altmühltal schon wieder ein Mord geschieht. Diesmal in der Burgruine, in der ihr ältester Sohn eigentlich gerade heiraten wollte. Ein lässiger Oberkommissar, der Marys Herz zum Klopfen bringt, hat in der Polizeiinspektion Kelheim ihren Posten übernommen. Er beginnt mit Kommissar Erdem Alemdaroglu zu ermitteln. Der unbekannte Tote gibt ihnen Rätsel auf, genauso wie das Verschwinden der Verwaltungsangestellten Swetlana Nemkova, die sich als Täterin herausstellt. Die hübsche Blondine war erst seit Kurzem in Essing heimisch, alles andere als ein Mauerblümchen, und hatte mit einigen Männern ein Techtelmechtel. Nun gilt es für Mary wie für die Kommissare herauszufinden, wer von diesen der flüchtigen Mörderin Unterschlupf gewährt. Dabei nützt ihr der neue Job beim Lindenwirt, denn die Gerüchteküche am Stammtisch brodelt. Mary deckt nach und nach einige Geheimnisse auf, bis Swetlana tot in der Altmühl gefunden wird. Was hat der Bürgermeister damit zu tun? Was will der brutale Zuhälter aus Tschechien in Essing, der Frauen überfällt? Und warum verhält sich der Opa, Marys sonst umtriebiger Schwiegervater, diesmal so brav? Auf all diese Fragen muss sie eine Antwort finden und bekommt dabei Hilfe von ihrem alten Partner, dem Bär.
Marion Stadler
Dorfkommissarin Mary ermittelt 8
Kriminalroman
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© März 2024 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Daniela Guse – https://www.danibakerbooks.com/lektorat
Korrektorat: Julia Kuhlmann – https://www.juliesbookhismus.de/Korrektorat/
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Illustrationen: Adobe Stock ID 531096692, Adobe Stock ID 18873593, Adobe Stock ID 663217061
Prolog
Swetlanas Herz raste vor Angst. Die beiden Männer hatten sie umzingelt. Wie hatten die zwei sie hier finden können? Hatte sie sich zu sicher gefühlt? War sie zu leichtsinnig geworden? Hinter ihr war die nackte Mauer der Burg. Sie saß in der Falle. Es gab keine Fluchtmöglichkeit. Aber so einfach würde sie sich nicht ergeben, sprach sie sich selbst Mut zu. Sie hatte es schon einmal geschafft, ihnen zu entkommen. Sie würde es auch ein zweites Mal schaffen.
Nur noch einen Meter, dann war die Mauer erreicht. Ihr Blick streifte die altertümliche Dekoration an der Wand. Zwei gekreuzte Ritterschwerter hingen dort. Zwei Waffen! Schnell drehte sie sich um, griff nach einem und riss es aus der Halterung. Es war schwerer, als sie vermutet hatte, und es entglitt ihr fast. Sie nahm die zweite Hand zu Hilfe und hielt es schließlich drohend vor sich.
»Haut ab und lasst mich endlich in Ruhe!«, schrie sie die beiden an.
Kurz wichen sie zurück, lachten aber dann spöttisch.
»Mach es doch nicht komplizierter, als es eh schon ist«, drohte der eine mit seinem tschechischen Akzent. Seine dunkelbraunen Augen funkelten sie böse an. »Je länger du dich so wehrst, desto länger wird deine Strafe dauern.«
Und der andere höhnte: »Du gehörst uns, meine Kleine. Anscheinend will das nicht in deinen hübschen, dummen Schädel.«
Wenn die zwei sie erst hatten, dann würden sie sie grün und blau schlagen, das ahnte sie. Es wäre nicht das erste Mal. Die Panik in ihr nahm überhand und verlieh ihr ungeahnte Energie.
Swetlana schluchzte auf. »Niemals!«, schrie sie, riss das Schwert hoch, machte einen Schritt nach vorne und hieb mit zugekniffenen Augen zu. Sie spürte einen Widerstand. Als sie die Augen wieder öffnete, lag er da. Aus einer tiefen Wunde am Hals strömte Blut und tropfte auf den staubigen Steinboden.
Vor lauter Entsetzen, was sie da getan hatte, ließ sie das Schwert fallen. Es schepperte laut. Sie schlug die Hände vor den Mund. »O mein Gott!«
»Du blödes Luder!«, fuhr der andere sie ebenfalls fassungslos an. »Du hast meinen Bruder erschlagen!«
Er fasste sich allerdings schnell wieder und packte sie am Arm. Seine geballte Faust landete in ihrem Gesicht. »Du bist doch nicht ganz dicht! Das wirst du büßen, du blöde Schlampe!«
Swetlana wimmerte. Die Wucht seiner Faust ließ sie Sternchen sehen und ihr Kopf dröhnte. Sie taumelte und knickte mit ihren hohen Hacken um, doch sein eiserner Griff hielt sie fest. Seine Finger krallten sich schmerzhaft in ihren Oberarm. Blut rann aus ihrer Nase und tropfte auf einen ihrer blauen Pumps.
Grob zerrte er sie zur Treppe. »Na, warte! Dir werd ich’s noch zeigen!«
Auf den Stufen verlor sie einen Schuh und stolperte neben ihm hinunter.
Als sie unten angekommen waren und er die Tür aufriss, musste ein Touristenpaar, das gerade eintreten hatte wollen, zur Seite weichen. Sie erschraken und Swetlana appellierte mit einem kläglichen »Hilfe!« an sie.
Doch sie sahen zu, wie er sie weiterschleifte.
Swetlana hörte noch, wie sie ihm befahl: »So tu doch was, Hermann!«
»Hey, Sie! Lassen Sie die Frau in Ruhe!«, rief er ihnen nach, doch ihren Entführer ließ das völlig ungerührt und sie erreichten den Ausgang am Burggraben.
Auf der anderen Seite der Zugangsbrücke stand schon sein schwarzer Pick-up bereit. Swetlana erkannte, dass ihr niemand mehr zu Hilfe kommen würde. Er riss die Beifahrertür auf und bugsierte sie grob hinein. Noch mal nahm sie all ihren Mut zusammen und versuchte zu fliehen, während er um das Fahrzeug auf die Fahrerseite rannte. Doch die Tür hatte automatisch verriegelt und sie konnte sie nicht von innen öffnen. Wieder fing sie sich dafür eine schallende Ohrfeige ein, als er neben ihr saß. Sie gab auf und sank leise weinend auf dem Sitz zusammen.
Kapitel 1
Die Burgruine Randeck thront auf dem Felsmassiv, das den Ort Essing so prägt. Ihr zu Füßen schmiegen sich die Häuser im Tal, heute wie im Mittelalter, an die Felswand. Wie es damals üblich war, wachte der Burgherr über seine Untergebenen unter ihm. Einst mag die Burg prächtig und erhaben das Altmühltal auf seinen vierhundertneunzig Höhenmetern überblickt haben, aber heute besteht sie nur noch aus teils mächtigen Mauerresten, einer Zisterne, einem Burgverlies und einem dreiseitigen sechsunddreißig Meter hohen Wehrturm, der im letzten Jahrhundert wieder aufgebaut worden war.
Von dort oben hat man eine wunderbare Aussicht über das untere Altmühltal. In jenem Turm kann man sich seit einigen Jahren auch standesamtlich trauen lassen. Die jungen Leute heutzutage brauchen ja immer eine besondere Location für so was. Zu diesen Leuten gehören anscheinend auch mein ältester Sohn Quirin und meine zukünftige Schwiegertochter Vroni. Sie trägt ein cremefarbenes Dirndl aus glänzendem Taft mit eingewebten Ornamenten, eine weiße Spitzenschürze und eine schulterfreie Spitzenbluse darunter. Sie hat auch die ideale Figur für so ein Gewand und auch den passenden Balkon. Die hellbraune Lederhose von Quirin mit vielen Stickereien, sein beiges Hemd und das Gilet, auf der viele kleine gestickte Hirsche herumspringen, stehen dem großen breitschultrigen Bräutigam sehr gut und passen farblich wunderbar zu ihrem Outfit. Vronis halblange, blonde Haare sind mit einem Kränzchen aus Schleierkraut gekrönt, das auch im Brautstrauß aus cremefarbenen Rosen zu sehen ist. Ein wirklich schönes Paar, die zwei! Sie haben schon einen fast einjährigen Sohn, meinen Enkel Michael, kurz genannt Michi. Obwohl er nur an der Hand laufen kann, haben sie auch ihn in eine Lederhose und ein Trachtenhemd gesteckt. Herzallerliebst! Es ist wirklich Zeit geworden, dass Quirin und Vroni endlich heiraten, wenn auch nur standesamtlich.
Wir alle stehen also herausgeputzt in Tracht, wie es sich die zwei für diesen festlichen Anlass gewünscht haben, vor dem Burgturm, vor dessen Zugangstür dreizehn Stufen hinaufführen. An ihr hängt ein einlaminiertes DIN-A4-Blatt mit der Aufschrift Heute wegen Privatfeier gesperrt angeschlagen.
Alle, das sind die Angehörigen des Brautpaares. Ich bin die Bräutigammutter Mary Weidinger und ich habe mich in mein schwarzes Dirndl gezwängt, das ich vor nunmehr fünf Jahren selbst auf meiner Hochzeit mit Toni getragen habe. Er ist mein zweiter Mann und quasi der Stiefvater von Quirin, aber dazu wurde er, als mein ältester Sohn schon längst ausgezogen war und in Regensburg studiert hat. Toni, der George Clooney mit seinen graumelierten dunklen Haaren und dem kantigen Gesicht recht ähnlich sieht, passt seine Lederhose von damals noch einwandfrei. Kein Wunder, er joggt fast täglich und hält sich aus sonst fit. Er ist Hauptkommissar in Regensburg und deshalb ziemlich ehrgeizig, auch wenn sein Job fast ausschließlich am Schreibtisch stattfindet. Allerdings bekochen wir uns beide gern. Das heißt, er isst dasselbe wie ich, doch er nimmt einfach nicht zu. Darum schiebe ich meine wachsenden Speckröllchen jetzt einfach mal auf meine Wechseljahre, in denen ich grad mittendrin stecke. Das ist echt kein Zuckerschlecken, das kann ich wahrlich behaupten. Aber das ist eine andere G’schicht.
Dann wären da noch Lukas, der jüngere Bruder des Bräutigams, mein zweiter Sohn mit seiner Freundin Suri. Ihre Eltern sind vor Jahren aus Thailand nach Deutschland gekommen und haben in Mannheim ein gut gehendes Thaifood-Restaurant. Lukas und sie haben sich beim Studieren in Regensburg kennen und lieben gelernt. Sie als kleine, zarte Asiatin trägt auch ein Dirndl. Dünn und schmalbrüstig wie sie ist, hat sie nicht die Idealfigur für so eine Tracht, aber in dem altrosa Kleid mit der hellblauen Schürze und der Froschgoscherlborte am Karreeauschnitt schaut sie noch niedlicher aus als sonst.
Die wichtigste Person in unserer Familie ist natürlich der Opa des Bräutigams. Vinzent Spangler ist der Vater meines ersten verstorbenen Mannes Martin und eindeutig das anstrengendste Mitglied in diesem zusammengewürfelten Patchwork-Haufen. An seiner Seite seine Lebensgefährtin Rita Katzmeier, die Dorfratschkathl Nummer eins in Essing, und ihres Amtes auch Mesnerin der beschaulichen, ständig schrumpfenden Kirchengemeinde. Sie haben sich auch in Tracht geschmissen, aber eher dezent. Der Opa in eine einfache Baumwollbundfaltenhose und ein Trachtenhemd mit Hornknöpfen. Rita in einen geblümten Faltenrock und eine weiße Bluse mit Stickerei am Kragen.
»Wann dürfen wir denn endlich rein?«, drängelt mein Neffe Nepi, der mich an der Hand gepackt hat und daran zerrt. Er ist inzwischen fünf Jahre alt und der blonde, dem Michel aus Löneberga sehr ähnliche Sohn meiner Schwester Ulli. Sie ist natürlich die unübertroffen Schönste unter all den geladenen Gästen. Mit ihrer blonden Hochsteckfrisur, dem edlen Dirndl aus hellblauem Brokat, der Glitzerschürze und ihren High Heels stiehlt sie fast der Braut die Show. Das ist Ulli, wie man sie kennt. Auf ihr Äußeres legt sie halt immer schon sehr viel Wert.
Ich sehe auf die Armbanduhr. Zehn Minuten vor vierzehn Uhr. Eigentlich sollte uns laut Quirin der Bürgermeister um dreiviertel zwei hier abholen und uns hinauf auf die zweite Ebene im Turm begleiten. Dort findet nämlich die Trauung statt.
»Gleich, Nepi!«, vertröste ich ihn, obwohl ich genauso ungeduldig bin.
Ulli hat Gwendolin, ihre eineinhalbjährige Tochter auf dem Arm, die ebenfalls ein rosa Dirndl anhat. Die Kleine mit dem blonden Lockenkopf, den hellblauen Augen und dem Puppengesichtchen ist darin genauso süß wie Michi in seiner Lederhose.
»Der Weinzierl lässt sich aber auch wieder Zeit«, stänkert Ulli und verdreht ihre blauen Augen. »Gweny ist jetzt schon so unruhig, wie soll ich sie da während der Zeremonie noch bändigen?«
Und tatsächlich ist meine Nichte schon sehr quengelig und streckt die Ärmchen nach ihrem Vater aus. Jo, eigentlich Johannes Birnthaler, ist der Lebensgefährte von Ulli und war mein Arbeitskollege in der Polizeiinspektion in Kelheim. Ich war dort bis März Kommissarin. So hat Ulli ihn auch kennen und lieben gelernt. Seit fast vier Jahren sind sie nun ein Paar und haben gemeinsam ihre Tochter Gwendolin. Nepi, Ullis erstes Kind aus einem Techtelmechtel mit einem schwedischen Studenten, ist inzwischen, wenn auch nicht genetisch, zu seinem Sohn geworden.
Grantig nimmt Jo seine quengelnde Tochter an sich. »Der Weinzierl könnt aber auch pünktlich sein. Er weiß doch, dass kleine Kinder dabei sind und die nicht so lang stillhalten.«
Tatsächlich gibt es in der Familie der Braut auch welche von der Sorte: Einen Jungen von ungefähr sieben Jahren und ein Baby im Kinderwagen. Die Kinder gehören den beiden Geschwistern von Vroni, die ebenfalls in schönen Dirndln und Lederhosen und mitsamt ihren Ehegatten hier angetreten sind.
Jo startet ein Ablenkungsmanöver mit seinen gelangweilten Kindern und geht hinüber zu den Fensteröffnungen, die in den Ruinen der Außenmauer der Burg eingelassen sind. Ganz begeistert sieht er mit Nepi und Gweny hindurch. »Schaut mal, du unten ist Essing! Ob wir die lange Holzbrücke finden, über die wir neulich drüber gelaufen sind …«
Ich beachte sie nicht weiter und schlendere mal zum Brautpaar, um mich bei ihnen zu erkundigen, warum der Weinzierl so lang auf sich warten lässt.
Die zwei unterhalten sich grad mit den Brauteltern. Vronis Vater Ferdinand ist Ingenieur bei einem großen bayerischen Autohersteller und ihre Mutter Monika arbeitet Teilzeit als Erzieherin in einem Kindergarten. Darum bin ich bei meinem Enkel Michi auch abgemeldet, weil seine andere Oma ihn von vorne bis hinten bespaßt. Aber ich gönne ihn ihr natürlich, denn ich kann ihn ja sehen, wann ich will, weil mein Ältester mit seiner Familie in meinem Haus in der Wohnung über mir wohnt.
»Sag mal, Quirin«, unterbreche ich ihr Gespräch. »Wo bleibt denn der Bürgermeister?«
Auch er blickt genervt auf seine Armbanduhr. »Keine Ahnung! Er hat gesagt, er holt uns hier um Dreiviertel an der Tür ab und wir gehen gemeinsam rauf. Wir dürfen nicht allein reingehen.«
»Aber jetzt ist es schon fünf vor …«, weiter komme ich nicht, weil der Opa hinter mir hergedackelt ist und herumkrächzt: »Ich habs euch gleich gesagt, heiratet nicht bei dem. Er ist ein Politiker durch und durch: Viel reden, wenig tun.«
Mit aufgeplustert, eingebildet, großkotzig und g’schaftig hat er noch ein paar Eigenschaften unseres Dorfoberhauptes vergessen. Während meiner Dienstzeit bin ich oft mit ihm zusammengerückt, wie man bei uns so schön sagt, wenn man nicht auf einer Wellenlänge ist. Aber das gehört jetzt nicht hierher und ist somit eine andere G’schicht.
Im Markt Essing kann man zwar heiraten, ob im historischen Rathaus oder hier oben auf der Burg, aber es gibt halt keinen extra Standesbeamten. In so einer kleinen Gemeinde, die um die tausend Einwohner zählt, übernimmt halt auch der Bürgermeister die standesamtlichen Trauungen. Toni und meine hat er aber damals wirklich schön gemacht. Das hatte ich ihm gar nicht zugetraut.
Der Opa setzt grad zu einer weiteren Schimpferei an, da kommt er endlich daher gerauscht, der Bürgermeister. Damit hat er seinen Auftritt, so wie er es mag, denn er hat unsere volle Aufmerksamkeit. Ich muss erst zweimal hinschauen, damit ich ihn als Manfred Weinzierl erkenne und den anderen gehts wohl genauso. Natürlich habe ich schon Gerüchte über die Verwandlung unseres Marktoberhauptes gehört, konnte es mir aber nicht vorstellen. Ich weiß gar nicht, wann ich ihm das letzte Mal begegnet bin, aber da hat er noch ausgesehen wie der jüngere, dicke und kleinere Bruder von Edmund Stoiber. Seine Standardkleidung waren ein Trachtenhemd, Trachtenjanker, Bundfaltenhose und Haferlschuhe, aber heute hat er sich in einen dunkelblauen, edel glänzenden Anzug geworfen, der ihn direkt schlanker wirken lässt. Oder hat er auch noch abgenommen? Sein sonst rundes Gesicht schaut auch irgendwie schmaler aus, oder liegt es an dem Trumm Schnurrbart, der auf einmal weg ist? Nicht einmal die wenigen Resthaare, die er sich aus seinem Haarkranz immer über die Glatze gekämmt hat, sind mehr da, sondern nur noch kurzgeschorene graue Stoppeln.
Mit seiner Aktentasche baut er sich atemlos vor uns auf und entschuldigt sich: »Grüß Gott, beinand. Es tut mir so leid! Wirklich! Der Zitzelsberger Alois hat heut seinen neunzigsten Geburtstag und ich war zum Weißwurstfrühschoppen eingeladen. Er wollt mich fast nicht mehr gehen lassen.«
»Sich die Wampn vollhauen und uns hier schwarz werden lassen«, kommentiert der Opa brummig, während wir dem Weinzierl den Weg zur Tür freimachen.
Er ignoriert den Opa und begrüßt das Brautpaar mit einem Händeschütteln. Nicht nur ich bin dermaßen geplättet vom neuen Erscheinungsbild unseres Dorfoberhauptes, auch meine restliche Familie gafft ihm nach, als er eilig die Tür aufreißt.
»Ich brauch nur fünf Minuten, um mich vorzubereiten, dann hol ich euch hinauf«, beschwichtigt er noch schnell und verschwindet im Burgturm.
»Jetzt aber flott!«, ruft ihm der Opa hinterher. »Wir stehen schon seit einer Ewigkeit in der Hitz rum. Ich hab schon so einen Durst.«
Rita legt ihre Hand beruhigend auf seine Schulter. »Sei froh, dass es nicht regnet.«
»Aber diese stechende Julisonn tut mir nicht gut, Rita«, regt er sich weiter auf und fasst sich an die Brust. Das ist immer so seine Masche, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Immerhin hat er schon zwei Herzinfarkte überlebt, aber den Leidenden spielt er immer wieder gern.
»Was ist denn mit dem passiert?«, staunt Toni genau wie ich über den neuen Weinzierl.
»Ja, habt ihr denn das noch nicht mitgekriegt, dass der sich verwandelt hat wie eine Raupe?«, tut Rita geschäftig.
Raupe trifft wohl zu, aber aus dem Weinzierl ist nun auch kein schöner Schmetterling geworden. Wenns hochkommt, geht er eventuell noch als pummliger Nachtfalter durch.
Ulli reckt stolz ihren hübschen Kopf. »Na, jedenfalls hat er eine gute Modeberatung gehabt.«
Meine jüngere Schwester hat früher für ein großes Modelabel in München gearbeitet und war in den Modemetropolen dieser Welt unterwegs. Seit sie Kinder hat, ist sie Modeberaterin in Teilzeit in einem Bekleidungsgeschäft im Kelheimer Einkaufszentrum und ich ahne, wer ein Kunde von ihr war.
»Du hast ihn neu eingekleidet?«
Selbstbewusst wie gewohnt zuckt sie mit ihren zarten Schultern. »Ich will mich ja hier nicht rühmen, aber der hat wirklich mal eine Stilberatung gebraucht. Gemeinsam mit der Swetlana hab ich einen neuen Menschen aus ihm gemacht, wie ihr seht.«
»Der war mit der Swetlana bei dir?«
Ich kenne nur eine Swetlana, denn dieser russische Name ist in unseren niederbayerischen Breitengraden eher unüblich. Freilich gibt es auch hier bei uns Immigranten aus den osteuropäischen Ländern, und die sind in dem kleinen Essing bald bekannt. Besonders, wenn es sich um so eine auffallend hübsche und junge Blondine handelt wie sie, nach der sich so ziemlich jedes Mannsbild umdreht. Wenn es eine lebendige Barbiepuppe geben würde, dann wäre das Swetlana. Sie hat ein paar Wochen beim Lindenwirt als Bedienung gearbeitet und so ihren Bekanntheitsgrad gesteigert.
»O ja«, frohlockt Ulli. »Die zwei verstehen sich wirklich gut. Der Weinzierl war so gut drauf und hat alles anprobiert, was die Swetlana oder ich ihm in die Umkleidekabine gebracht haben. Und er hat auch viel davon gekauft.«
»Das passt«, gibt der Opa seinen Senf dazu. »Der ist ja schon als eingebildeter Gockel auf die Welt gekommen.«
»Du lässt aber heut auch kein gutes Haar an unserem Häuptling«, stellt Toni fest.
Der Opa schnaubt abfällig. »Wie könnt ich, nachdem, was der alles zusammenregiert …«
Weiter zum Rumnörgeln kommt er nicht, weil der Weinzierl schon wieder da ist. Seine rosige Gesichtsfarbe ist einer Blässe gewichen, um die ihn Onkel Fester von der Addams Family beneiden würde. Sich an den Handlauf klammernd taumelt er die Stufen aus dem Turm herunter.
»Ist dir der Burggeist über den Weg gelaufen, Manfred?« Der Opa macht ein paar Schritte auf ihn zu und beäugt ihn mit einer Spur Hohn um die faltigen Augen näher.
»Da liegt einer …«, stammelt der Bleiche. »Alles voller Blut …«
»Ach, geh!«, tut die Rita ab. »Also, es reicht ja schon, dass du zu spät kommst, aber dass du uns jetzt auch noch auf den Arm nehmen willst, das ist schon die Höhe.«
So wie der Weinzierl sich verhält, ist da wirklich was passiert. Dermaßen geschockt wie er ist, kann der das unmöglich spielen. Jedenfalls regt sich sofort mein kriminalistischer Spürsinn, den ich eigentlich mit meinem Dienstaustritt in diesem Frühjahr verloren geglaubt habe. Auch der Toni scheint ihn ernst zu nehmen. »Was ist denn passiert?«
Fassungslos stiert und deutet der Weinzierl zur Eingangstür hinauf. »Toni, kannst du … kannst du dich vergewissern? Bitte! Überall Blut …«
Ich bin schon bei Toni, als ich in die verwirrte Runde befehle: »Kümmert euch um ihn, der Toni und ich schauen nach!«
Wir beide rennen also nacheinander die Holztreppen hinauf. Hier drin ist es angenehm kühl. Auf der Stiege liegt ein Schuh, genauer gesagt ein blauer Stöckelschuh. Wir beachten ihn nicht weiter und rumpeln weiter hinauf. Und tatsächlich: Als wir auf die erste Ebene kommen, finden wir einen Mann. Mit dem Rücken zu uns liegt er seitlich da. Ein ziemlich kräftig gebauter und großer Kerl. Toni steigt über ihn, um seine Vorderseite zu begutachten und kniet sich vor die Blutlache. Ich bleibe am Treppenabsatz stehen, weiß ich noch aus meiner Dienstzeit, dass ich an einem Tatort so wenig Spuren wie möglich verwischen beziehungsweise meine eigenen hier nicht verteilen darf. Die Vitalwerte am Hals des Opfers zu überprüfen, ist Toni anscheinend unmöglich, denn er wirkt unentschlossen.
»Was ist?«
Er blickt sich um und entdeckt das große Schwert, das am Boden liegt. Die Schneide ist blutig. »Offenbar hat ihn jemand mit dem da fast geköpft.« Dann sucht er den Puls am Handgelenk des Opfers. Schließlich schüttelt er bedauernd den Kopf. »Nix mehr zu machen! Hätt mich auch gewundert, wenn der noch leben würd.«
Jetzt bin ich doch zu neugierig, sodass ich meinen Platz verlasse und mit großen Schritten um den Toten herum zu Toni stelze, um möglichst wenig Abdrücke im staubigen Steinboden zu hinterlassen. Und er hat recht. Ein Schlag mit dem Schwert hat den Hals des mir völlig Unbekannten aufgeschlitzt. Dort klafft eine große Wunde, aus der das viele Blut wohl geströmt sein muss. Ich wende mich angewidert ab. Es ist ja nicht so, dass ich während meiner Laufbahn als Kommissarin noch keine Toten gesehen hätte, aber so was ist schon heftig.
»Der muss noch ein paar Minuten gelebt haben, sonst wär nicht so viel Blut ausgetreten. Tote bluten nicht mehr«, stellt Toni fest, nachdem er sich wieder erhoben hat. Er streckt mir auffordernd seine Hand hin. »Gib mir mein Handy. Ich muss deine Ex-Kollegen anrufen.«
Weil wir in Tracht sind, hat er keinen Platz für sein Mobiltelefon in seiner Lederhose gefunden und ich habe es in meiner Handtasche bei meinem verstaut.
Ich krame es also heraus und reiche es ihm mit zitternden Fingern. Er nimmt es mit der Rechten und greift dann mit der Linken besorgt nach meiner Hand. »Alles gut?«
Ich schlucke schwer und nicke. »Passt scho.«
Während Toni telefoniert, schaue ich mich um. Der Raum ist nicht sehr groß, vielleicht fünfunddreißig Quadratmeter. Alle Wände sind hier gebogen, wie in einem Turm so üblich, und aus rohem Stein, teilweise und notdürftig verputzt. Hinter dem großen, schweren und antiken Eichentisch, an dem der Bürgermeister wohl die Trauung vorgenommen hätte, prangt nur noch ein Schwert an der Wand. Das andere, das eindeutig als Tatwerkzeug gedient hat, hing wohl gekreuzt dort mit ihm. Die leeren Halterungsstifte sind zu sehen. Links und rechts vom Tisch stehen Blumengestecke mit denselben Blumen des Brautstraußes in Herzform gesteckt. Dazwischen die Stühle für das Brautpaar, dahinter die für die Hochzeitsgesellschaft, also uns. Es ist alles so schön arrangiert und mir wird, als mein Blick zu dem Toten weiterschweift, auf einen Schlag klar, dass es hier heute keine Trauung geben wird.
»Kreizkruzinesn!«, fluche ich.
»Das kannst aber laut sagen«, pflichtet mir mein Gatte bei. Er hat den Anruf schon getätigt.
Von unten höre ich Quirins Stimme: »Was ist denn jetzt los?«
»Ich komm gleich runter«, rufe ich zurück und seufze. »Endlich wärs so weit gewesen, dass der Quirin und die Vroni heiraten und jetzt das!«
»Das werden die zwei wohl verschieben müssen«, befürchtet auch Toni, deutet zu dem Toten und will wissen: »Kennst du ihn?«
Ich versuche, das Blut und die Wunde auszublenden und mustere ihn. Altersmäßig schätze ich ihn auf Mitte dreißig. Seine Augen sind glücklicherweise geschlossen. Ich hatte schon mal ein Trauma, als mich die aufgerissenen Augen eines Sterbenden nachts aus Albträumen immer wieder aufschrecken ließen. Das Gesicht von dem hier hat harte Züge, die Nase ist schmal und lang. Ein Dreitagebart verleiht ihm etwas Grobschlächtiges, genau wie seine seitlich abrasierten braunen Haare. Auf dem Scheitel trägt er sie wie ein Schiffchen, festzementiert mit viel Gel. Über der rechten Augenbraue hat er eine längliche Narbe. Mag sein, dass ich nicht vorurteilsfrei bin, aber rein optisch würde ich ihn sofort ins kriminelle Milieu verorten: protzige Goldkettchen an Handgelenken und Hals, schwarze Jeans, schwarze Lederjacke, schwarzes T-Shirt und schwarze Sneakers. Ziemlich finsterer Typ also. Ich schüttle den Kopf. »Nein, mir völlig unbekannt.«
»Mir auch.«
Mit großen Schritten bin ich schnell wieder am Treppenabsatz. »Hast du den Schuh auf der Treppe gesehen?«
Noch bevor er antwortet, steige ich wieder hinunter, um das Corpus Delicti näher zu begutachten.
»Fass ihn ja nicht an!«, mahnt mich Toni.
Ergeben hebe ich die Hände. »Hatte ich nicht vor. Nur anschauen. Dann geh ich runter, klär die anderen auf und weise die Kollegen ein.«
»Ex-Kollegen«, berichtigt er, doch ich überhöre es, weil ich mich schon auf den knallblauen Pumps konzentriere. Umgekippt liegt er da. Wie bei Aschenputtel, fällt mir auf. Welcher geheimnisvollen Prinzessin hat er wohl gehört? Ziemlich hohe Absätze, gut und gerne acht Zentimeter, würde ich sagen. Wie kann man nur mit so was laufen? Ich würde mir mit denen garantiert beide Beine brechen. Ich beuge mich hinunter, weil ein dunkler Punkt meine Aufmerksamkeit auf sich zu zieht. Ist das Blut? Schwer zu sagen. Aber was sonst könnte das für eine dunkle Flüssigkeit sein, die der Stoff, Wildseide würde ich sagen, aufgesaugt hat? Auf der Innensohle lese ich die Herstellermarke: Manolo Blahnik steht da in goldenen Lettern. Ich kenne mich in der Modewelt nicht so gut aus, aber ich glaube zu wissen, dass diese Marke ziemlich teuer ist. Es muss also eine gut betuchte, geheimnisvolle Prinzessin gewesen sein, die diesen Schuh getragen hat.
Plötzlich stehen Quirin und der Bürgermeister am unteren Treppenabsatz. Das neue adrette Erscheinungsbild von Letzterem irritiert mich immer noch. Jetzt bin ich wieder in meinem Element und ich pfeife die beiden zurück: »Hey, das ist ein Tatort! Stehen bleiben!«
»Also, hab ich mich nicht getäuscht mit dem Blut?« Der Bürgermeister hat seine Fassung anscheinend schon wieder einigermaßen zurück. »Ist der Mann tot?«
»Mausetot.«
Inzwischen hat er den Schuh entdeckt und fixiert ihn gebannt. »Swetlana …«
Schon wieder wird sie erwähnt, fällt mir auf. Ich kenne sie schon auch, denn sie war ein paar Wochen meine Arbeitskollegin. Dazu muss ich jetzt erklären, dass ich zurzeit beim Lindenwirt aushelfe, weil ich ja seit März keine Kommissarin mehr bin. Es ist heutzutage wirklich schwierig, in der Gastronomie zuverlässiges und fleißiges Personal zu bekommen. Und da hat mich meine Freundin Bärbel, die die Wirtin in dem Gasthof mit zugehörigem Hotel ist, gleich eingespannt. Seitdem bin ich von Montag bis Donnerstag für das Frühstück der Gäste zuständig. Angefangen hab ich im April, genau wie Swetlana. Ihr Dienstbeginn war immer, wenn ich um elf Uhr Feierabend gemacht hab und wir haben hin und wieder ein Schwätzchen gehalten.
»Der gehört Swetlana?«, will ich vom Weinzierl wissen.
Er schluckt schwer und nickt. »Ja … Swetlana Nemkova.«
Weil ich jetzt beim Wirt arbeite, bin ich über die Vorgänge im Dorf meistens auf dem neuesten Stand. Bärbel erzählt mir, während sie ihren Kaffee trinkt und ich mich um das Buffet und die Gäste kümmere, immer alles brühwarm, was am Abend zuvor die Gemüter am Stammtisch erregt hat. Also bin ich natürlich darüber im Bilde, dass Swetlana bei der Bärbel gekündigt hat, weil sie die Stelle im Essinger Rathaus angetreten hat. Wie sie allerdings dazu gekommen ist, haben die Bärbel und ich uns nicht so recht erklären können. Swetlana hat oft nicht den Preis von zwei Bier im Kopf zusammenrechnen können. Ich will damit nicht sagen, dass sie dumm war, eher naiv und fahrig, also alles andere als geeignet für den Job als Verwaltungsangestellte. Diese Stelle gibts im kleinen Markt Essing nur einmal und sie war lange ausgeschrieben, bis sich der Bürgermeister endlich und ausgerechnet für Swetlana entschieden und sie eingestellt hat.
»Die Swetlana muss ja gut bei Ihnen im Rathaus verdient haben, wenn sie sich solche Schuhe hat leisten können«, bemerke ich zum Weinzierl gewandt und steige die letzten Stufen hinunter, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein.
Verlegen räuspert sich der Weinzierl. Ich bin per Sie mit ihm, um Abstand zu wahren und auch um meinen Respekt nicht zu vergessen, den ich eigentlich nicht vor ihm haben müsste.
»Na ja …«, ist er verlegen und druckst herum.
»Die Frau Nemkova war also hier?«
Er nickt immer noch ziemlich verwirrt. »Ich habe sie beauftragt, hier im Turm alles für die Hochzeit herzurichten …«
Quirin mischt sich ein, weil der Weinzierl wieder nur rumstottert. »Die Vroni und ich hatten beim Vorgespräch im Rathaus mit ihr vereinbart, dass sie schon um dreizehn Uhr auf der Burg ist, um die Floristin, die den Blumenschmuck bringen sollt, einzuweisen.«
»Aber wo ist sie jetzt?«
Ahnungslos zuckt der Weinzierl mit den Schultern. »Ich hab zu ihr gesagt, sie soll der Trauung beiwohnen, mir handlangern und nachher wieder aufräumen. Habt ihr denn nicht den ganzen Turm kontrolliert?«
Da fällt mir ein, Toni und ich hätten tatsächlich erst den Tatort sichern und im Zuge dessen auch den ganzen Turm nach einem möglichen Täter absuchen müssen. Grober Fehler! Aber er war ja gesperrt, wie wir unten an der Tür lesen konnten. Es dürfte also niemand den Turm betreten haben. Ausgenommen die Floristin mit den Blumen, das Opfer, das oben liegt, und natürlich sein Mörder.
Ich übergehe seine Frage. »Hat die Frau Nemkova die Tür unten abgesperrt, bevor sie raufgegangen ist, um alles herzurichten?«
Der Weinzierl zuckt mit den Schultern. »Sie sollt das Schild an die Tür hängen. Ob sie sie verschlossen hat, weiß ich doch nicht.«
»Hatte sie denn einen Schlüssel?«
Jetzt ist der Bürgermeister wieder ganz der geschäftige Dorfhäuptling. »Sie müssten doch wissen, dass die Burg für die Besucher tagsüber für einen freiwilligen Obolus zugänglich ist, Frau Weidinger. Morgens um neun wird das Eingangstor von einem Bauhofarbeiter auf- und um siebzehn Uhr wieder zugesperrt.«
»Das ist aber keine Antwort auf meine Frage.«
Direkt genervt sieht er mich an. »Wozu hätte sie denn einen Schlüssel gebraucht, wenn offen gewesen ist?«
»Ja, das gilt für das Eingangstor am Burggraben, aber auch für die Tür hier in den Turm?«, tue ich nun genauso besserwisserisch.
Das bringt den Weinzierl aus dem Konzept. »So weit ich weiß, war der nicht extra verschlossen.«
»Also hat trotz des Schildes unten jeder hereingehen können«, grüble ich laut.
»Du meinst den Toten?«, erkennt Quirin meine Gedanken. »Und der ist hinauf zur Swetlana …«
Ich spinne die Szene fort: »Sie fühlt sich von ihm bedroht, greift sich das Schwert von der Wand und köpft ihn fast damit, lässt es fallen und haut ab. Auf der Flucht verliert sie den Schuh auf der Treppe.«
Der Weinzierl lacht höhnisch. »So ein Schmarrn! Die Swetlana ist so zart wie eine Fee. Die hätt niemals das schwere Eisen halten können. Und außerdem wär sie nicht in der Lage gewesen, jemanden auf so eine grausame Art und Weise umzubringen.«
Kommt es mir nur so vor, oder verteidigt er seine Verwaltungsangestellte da ein bisserl zu eifrig. Allerdings traue ich ihr das auch nicht zu. Jedenfalls so weit ich sie kennengelernt habe. Wir haben uns wie gesagt immer nur kurz unterhalten, aber auf seltsame Weise hat sie irgendwie meinen Beschützerinstinkt geweckt. Mit ihren einundzwanzig Jahren könnte sie meine Tochter sein. Mit ihren langen Beinen, ihrer, für ihre schlanke Figur, doch recht üppigen Oberweite, der blonden Mähne und ihrem wirklich hübschen Gesicht hat sie die Männer magisch angezogen. Auf einmal war der Stammtisch voller als sonst. Dann hatten sie dagesessen, die ganzen gierigen Geiferer aus dem Dorf und haben ihr nachgeglotzt oder mit ihr geschäkert. Aber laut Bärbel hat sich Swetlana nichts gefallen lassen und ihre Grenzen klar abgesteckt. Auch der Opa hatte Gefallen an der schönen Tschechin gefunden, sehr zum Leidwesen seiner Rita. Keiner, auch nicht Bärbel, weiß, woher sie eigentlich gekommen ist. Eines Tages im März war sie vor der Wirtin gestanden und hatte um eine Arbeit und ein Zimmer gebeten. Bärbel hat Mitleid mit ihr gehabt und sie eingestellt, nicht zuletzt, weil sie dringend Personal gesucht hat. Doch ihre neue Bedienung hat nichts weiter von sich preisgegeben.
»Da müssen wir noch jede Menge herausfinden«, kündige ich nachdenklich an.
Der Weinzierl stemmt die Hände in die Hüften, sodass sich sein zugeknöpftes Sakko über seinen Bauch spannt. »Soweit ich weiß, sind Sie a. D., Frau Weidinger.«
Kruzinesn! Jetzt war ich schon wieder so vertieft, dass ich ganz vergessen habe, dass ich gar keine Kommissarin mehr bin.
Von unten kommt nun auch noch Jo herauf. »Was ist denn jetzt hier los, verdammt?«
Der taucht genau zum richtigen Zeitpunkt auf. »Mein lieber Schwager, ab sofort bist du im Dienst.«
Überrumpelt verteidigt er sich: »Ich wollt einfach nur wissen, wie es jetzt weitergeht.«
»Ja, Mama!«, stimmt Quirin mit ein. »Was ist mit der Hochzeit?«
Mitleidig verziehe ich mein Gesicht. »Die müssen wir abblasen, Quirin. So leid es mir tut.«
Diesmal verdreht er die Augen und stöhnt entnervt. »Verflucht! Der ganze Aufriss für die Katz! Die Vroni wird verzweifeln.«
Wütend stampft er in seiner feschen Lederhose zur Treppe, die ganz hinunterführt. Mir passt das auch nicht, aber ich habe mir die Leiche, die einen Stock höher liegt, nicht ausgesucht.
»Kann ich dann heimgehen?«, will der Weinzierl wissen.
»Auf keinen Fall!«, halte ich ihn zurück und wende mich an Jo. »Er muss seine Aussage noch zu Protokoll geben.« Auf einmal hat es der Weinzierl ziemlich eilig von hier abzuhauen. Ich frage mich, wieso.
Auf meinen auffordernden Blick kapiert Jo, dass ich den Bürgermeister hinhalten will, und befiehlt ihm: »Warten Sie bitte unten bei den anderen. Ich nehm Ihre Aussage gleich auf.«
Murrend und mit rollenden Augen trottet der Bürgermeister ebenfalls hinunter. Dann bin ich mit Jo allein und kläre ihn über alles auf, was ich bisher weiß.
»Hört sich ganz nach einer Tat im Affekt an«, meint er abschließend.
»Zuerst müssen wir den Toten identifizieren, dann können wir eventuell erkennen, in welcher Beziehung die Swetlana zu ihm gestanden hat«, weise ich ihn hin.
Jo kraust die Stirn. »Wir?«
»Na, dann halt du oder der Erdem«, gebe ich mich geschlagen und eile schon zur Treppe.
»Gib meine Infos an ihn weiter. Der Toni ist oben bei der Leiche.«
Ich nehme die ersten Stufen nach unten und Jo ruft mir nach: »Und was machst du?«
»Ich tröste das Brautpaar!«
Das war nicht gelogen. Bestimmt werde ich das heute noch tun, aber zuerst muss ich Swetlana finden und zwar noch vor Erdem. So wie ich meinen Ex-Kollegen und Kommissar Erdem Alemdaroglu kenne, passt Swetlana genau in sein Beuteschema und das würde seine Urteilskraft trüben. Ansonsten ist er ein sehr akkurat arbeitender, ehrgeiziger Kommissar, aber sobald er eine schöne Blondine sieht, setzt da irgendwas in seinem Kopf aus. Das weiß ich aus unserer kaum einjährigen Zusammenarbeit zur Genüge. Tief drinnen ist er eigentlich ein ganz netter Kerl, aber den lässt er nur sehr selten erkennen.
Unten angekommen, bestürmt mich sofort der Opa. »Ist jetzt nix mit Hochzeit, oder wie?«
»Nein, da oben ist jemand getötet worden.«
Ich schaue in die Runde der verstörten Gäste, Vroni liegt heulend in Quirins Armen. Sie tut mir leid, habe ich doch mitgekriegt, mit was für einem Eifer und einer Vorfreude sie diesen Tag vorbereitet hat.
»Sacklzement«, flucht der Opa. »Kannst du denn da gar nix machen! Die arme Vroni!«
»Sorry, aber ich kann den Toten da droben nicht wieder zum Leben erwecken«, bedauere ich übertrieben ironisch.
»Ha, ha!«, lacht der Opa mindestens ebenso sarkastisch und hakt sofort nach: »Wer ist es denn?«
Da ist er wieder, der neugierige Alte.
»Das darf ich dir nicht sagen«, wimmle ich ihn ab.
»Aber du bist doch gar keine Kommissarin mehr, also auch nicht mehr an das Dienstgeheimnis, oder wie der Krampf heißt, gebunden …«
Ich dränge mich an ihm vorbei, um von hier zu verschwinden, noch bevor die Polizei eintrifft.
Vorerst muss ich Erdem und dem neuen Kommissar nicht begegnen. Mit Ersterem bin ich nicht unbedingt im Guten auseinandergegangen. Natürlich habe ich mitgekriegt, dass für mich ein Neuer in die PI beordert worden ist. Er heißt Heinrich Ertl. Von Jo weiß ich, dass er so um die fünfzig und ein eher unkonventioneller Typ sein soll. Erdem beißt sich an ihm angeblich die schneeweißen Zähne aus. Schadet ihm nicht, nachdem, was er mit unserer Kollegin Anke, dem Bär und mir abgezogen hat, aber das ist eine andere G’schicht.
»Wo willst du denn hin?«, schreit mir der Opa nach.
»Ich muss jemanden suchen.«
»Und wie kommen wir von dieser blöden Burg wieder runter ins Tal?«
»Ihr findet schon eine Mitfahrgelegenheit.« Schon bin ich durchs Tor hinaus.
Kapitel 2
Im Biergarten vor dem Lindenwirt, in dem, wie es der Name schon sagt, vier große Linden Schatten spenden, haben sich der Burschenverein, die Arbeitskollegen und Freunde des Brautpaares schon zum Sektempfang für das Brautpaar versammelt. Auch sie tragen ausnahmslos Tracht, die Männer T-Shirts zu den Lederhosen mit den Gesichtern des Brautpaares darauf. Darunter steht Grod gheirat. Die haben sich wirklich Mühe gemacht und es ist so schade, dass sie umsonst ist.
Und auch der Biergarten ist mit weißen Lampions, Bändern und Luftballons, die von den Ästen der Bäume baumeln, wunderbar geschmückt. Neben dem Eingang steht ein Buffet mit weißen Tischdecken, auf dem es nach dem Empfang Kuchen und Häppchen für die Gäste geben sollte. Soweit ich weiß, wollten Quirin und Vroni auch eine Hochzeitstorte anschneiden. Ein Discjockey hat seine Soundanlage in der Ecke aufgebaut und es tönt schon ein Schmusesong aus den Lautsprechern ringsherum.
Eilig und ohne die wartenden und gespannten Gäste zu beachten, bahne ich mir meinen Weg durch sie zum Eingang und ignoriere die Rufe von ein paar Freunden von Quirin, wo denn das Brautpaar bleibe. Gleich gegenüber dem Eingang ist die kleine Rezeption.
»Servus, Bärbel!«, begrüße ich meine Freundin, die dahinter sitzt. Das ist ihr Stammplatz. Hier ist sie Chefin über den Computer, das Zimmerschlüsselboard und darüber, wer im Lindenwirt ein und ausgeht. Wie immer trägt die zierliche Wirtin eine hellgrünkarierte Trachtenbluse mit dem eingestickten Lindenwirt-Logo auf der Brust, und eine Jeans. Das ist auch meine Arbeitskleidung, wenn ich morgens am Buffet bediene. Ihr trotz ihrer fünfundvierzig Jahre noch sehr mädchenhaftes Gesicht, auf dem immer ein keckes Lächeln zu sehen ist, wird umrahmt von dunkelbraunen Locken, die bei jeder ihrer Kopfbewegungen wackeln. Trotz des Stresses und der anstrengenden Arbeit hat sie sich ihre Heiterkeit und offene Art bewahrt. Darum ist sie sehr beliebt bei ihren Gästen.
»Ach, ihr kommt schon?« Sie ist überrascht. »Die Trauung ging aber schnell. Da hat sich der Weinzierl aber geschickt.«
»Die Hochzeit ist abgeblasen.«
Entsetzt steht sie aus ihrem Bürostuhl auf und kommt zu mir herum. »Ist der Vroni schlecht geworden?«
»Nein«, wiegle ich ab und stutze. »Wie kommst du jetzt da drauf?«
Bärbel macht eine wegwischende Handbewegung. »Was ist denn passiert?«
»Ein Toter auf der Burg!«
Sie reißt geschockt ihre braunen Augen auf. »Schon wieder?«
Ich ächze und nicke. »Weißt du, wo die Swetlana jetzt wohnt?«
»Die Swetlana?«
»Ja, deine ehemalige Bedienung, die jetzt als Verwaltungsangestellte im Rathaus arbeitet?«
»Ich weiß schon, wen du meinst«, tut sie ab. »Was willst du denn von ihr?«
»Sag mir einfach, wo sie jetzt wohnt!«, fordere ich sie ungeduldig auf. »Es pressiert!«
»Auf dem Steininger-Hof.«
Ich stutze. »Auf dem Steininger-Hof?«
»Du wirst doch mitgekriegt haben, dass die Gemeinde den Hof gekauft hat …«
»Ja, freilich.«
Der Hof am südöstlichen Ende von Altessing, dem Ortsteil von Essing, in dem auch ich wohne, stand längere Zeit leer. Seit dort einige Morde passiert und zuletzt auch noch eine Sekte gehaust hat, hat es wohl keine Kaufinteressenten gegeben, bis die Gemeinde das Areal schließlich zu einem Spottpreis erworben hat. In den Ställen und Hallen kann man sich einen Standplatz für seinen Wohnwagen oder andere Gefährte mieten und das große Bauernhaus wurde umgebaut. Vier kleine Apartments sind darin entstanden, die angeblich auch alle schon bewohnt sind. Anscheinend eins davon von Swetlana. Ich habe sie aus den Augen verloren, nachdem sie beim Lindenwirt aufgehört hat.
Schon bin ich wieder weg.
»Was ist denn jetzt mit der Hochzeitstorte und dem Abendessen?«, ruft mir Bärbel nach.
»Frag das Brautpaar!«
Wie oft ich schon auf dem Steininger-Hof im Einsatz war, kann ich gar nicht mehr sagen. In den Fünfzigern, also weit vor meiner Zeit, wurde hier eine Magd erschlagen, vor ein paar Jahren beinahe eine ganze Familie mit Arsen ausgelöscht, dann ein Jesus-Doppelgänger mit Schlaftabletten ins Nirwana geschickt und zu guter Letzt hat ein rechtsextremer Attentäter aus einem Auto heraus zwei Sektenmitglieder erschossen. Kaum zu glauben! Diese Gedankenblitze zucken durch mein Hirn, als ich mit meiner roten Knutschkugel wieder vor dem Bauernhaus stehe. Es ist frisch renoviert und wirkt größer und moderner, als ich es in Erinnerung hatte.
Offenbar weiß Swetlana davon nix. Ich frage mich, wie sie sich die sündteure Miete leisten kann. Im Marktblatt, das monatlich jeder Haushalt in Essing erhält und Infos zum Gemeindeleben enthält, waren die vier Wohnungen mit Grundriss, Maßen und Mietpreis aufgeführt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mit dem Halbtagsjob im Rathaus so viel verdient. Aber ich hoffe, ich kann Swetlana gleich selbst dazu fragen und schreite zur Klingel. Das ist jetzt blöd! Auf keinem von den vier Klingelschildern steht ein Name, nur Nummern. Na egal, dann drücke ich eben alle. Das tue ich dann auch schön nacheinander, wie wir es als Kinder beim Klingelputzen immer getan haben. Nur heute laufe ich nicht davon, um nicht ertappt zu werden.
Der Summer für die Haustür ertönt und ich trete ein. Das Treppenhaus mit dem langen Flur und der Holztreppe rechter Hand ist noch so, wie ich es das letzte Mal gesehen habe und wie es in alten Bauernhäusern früher üblich war. Links steckt eine Blondine ihren Kopf zur Tür mit der Nummer 1 über der Klingeltaste heraus. Dort waren einst das Esszimmer und die Küche samt Speisekammer. Sie wirkt verschlafen. Ihre kurzen, wasserstoffblonden Haare mit dem nachwachsenden dunklen Ansatz sind zerwühlt und ihr Make-up verschmiert.
»Hallo«, grüße ich sie. »Entschuldigung, wenn ich stör, aber ich such die Swetlana, Swetlana Nemkova.«
Sie deutet hinauf. »Wohnt oben, aber jetzt sie muss in Arbeit sein. Sie gestern gesagt zu mir. Hochzeit, oder so.«
Sie hat einen osteuropäischen Akzent.
»Danke, aber ich schau trotzdem nach, ob sie da ist.« Schon steige ich die Treppe hinauf. Sie ist zwar neu gestrichen, aber sie knarzt immer noch so laut wie damals. Von dem Flur oben gehen links und rechts zwei Türen ab, Nummer 3 und Nummer 4 steht über den Türklingeln. Welche ist nun die zu Swetlanas Wohnung? Egal, ich klingle einfach, zuerst bei der Nummer 3. Keine Reaktion. Ich drücke nochmals. Wieder nix. Dann eben die andere, Nummer 4. Wieder kein Mucks. Kruzinesn! Wenn sie nicht daheim ist, wo ist sie hin?
Es hilft nix, ich muss noch mal mit der Bewohnerin unten reden. Vielleicht weiß sie ja noch was. Also trotte ich wieder hinunter und läute bei ihr.
Sie öffnet die Tür sichtlich genervt. Immer noch sieht sie aus, als wäre sie grad erst aufgestanden. Aber zumindest hat sie sich inzwischen die Haare gekämmt. Der Ausschnitt des übergroßen T-Shirts mit Minnie Mouse vorne drauf, hängt ihr über die rechte tätowierte Schulter. Eine Ananas, erkenne ich. Wie kommt man nur auf so ein Motiv?
»Hey, was du wollen, ha?«, fährt sie mich respektlos an.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie noch mal belästige, aber kennen Sie die Swetlana näher?«
Die junge Frau zieht irritiert ihre Augenbrauen zusammen. »Was du wollen von ihr, ha?«
»Ich will nur kontrollieren, ob es ihr gut geht.«
Neugierig mustert sie mich in meinem festlichen Dirndl. »Wer du bist?«
»Mary Weidinger, eine Arbeitskollegin von ihr«, sage ich. Es ist nur halb gelogen, schließlich war Swetlana mal beim Lindenwirt angestellt.
Das stimmt mein Gegenüber wenigstens ein wenig vertrauensselig, denn sie bietet an: »Ich ihr sagen, dass du da warst, wenn ich seh.«
Rums und schon ist die Tür wieder zu.
Unverrichteter Dinge muss ich also wieder gehen. Als ich wieder in meinem Auto sitze, hole ich mein Handy aus der Handtasche. Ich muss Toni anrufen, um zu erfahren, was es am Tatort auf der Burg Neues gibt. Drei verpasste Anrufe zeigt mir mein Display an. Darunter zwei von Toni und einer von Quirin. Dann muss es dringend sein. Also rufe ich Toni zurück.
»Herrschaftszeiten, Maria!«, schimpft er gleich, nachdem er abgehoben hat. »Du kannst doch nicht einfach abhauen!«
»Ich hab einer Spur nachgehen müssen«, verteidige ich mich.
Aber er ist immer noch sauer: »Erstens bist du keine Ermittlerin mehr, zweitens ist heut einer der wichtigsten Tage im Leben deines Sohnes und drittens reagierst du schon wieder über.«
»Die Hochzeit ist doch hinfällig.«
»Ist sie eben nicht! Der Weinzierl hat sich bereit erklärt, die Trauung doch noch zu machen und zwar im Standesamt. Der Erdem hatte nix dagegen einzuwenden«, klärt er mich auf. »Damit der Quirin und die Vroni nicht auf allem sitzen bleiben. Wir sind alle schon im Rathaus und niemand weiß, wo du hin bist.«
»Ich komm sofort«, verspreche ich und lege auf. Welch schlechtes Gewissen mich plagt, brauch ich nicht extra beschreiben, oder?
Auf meinem Weg nach Neuessing, wo das Rathaus am idyllischen Marktplatz steht, kommt mir auf der Dorfstraße durch das langgezogene Altessing ein schwarzer, sportlicher 3er BMW entgegen. Ich weiß, wem dieses Fahrzeug gehört: Erdem! Ich grüße ihn, als wir aneinander vorbeifahren und erkenne auf die Schnelle nur, dass jemand neben ihm sitzt, aber nicht wie der Beifahrer aussieht. Ich kann mir schon denken, wohin die zwei wollen. Sie suchen wahrscheinlich Swetlana Nemkova in ihrer Wohnung, bevor sie eine Fahndung nach ihr einleiten werden. In ihren Augen ist sie nach den ersten Erkenntnissen und Verhören am Tatort wahrscheinlich die Hauptverdächtige Nummer eins.
Natürlich gibts für mich auf dem Marktplatz keine Parkmöglichkeit mehr, darum stelle ich mich in die Einfahrt des Kramerladens. Eilig reiße ich die Ladentür auf und gebe der Besitzerin Elfi Zitzelsberger Bescheid, dass ich mich einfach dort hingestellt habe, weil es pressiert. Ihre Antwort warte ich gar nicht ab und renne schon weiter zu der Treppe, die hinauf zum Eingang des Rathauses führt.
Toni fängt mich dort ab. »Endlich! Alle warten nur noch auf dich!«
»Ist die Swetlana da?«, frage ich schnaufend.
Ich folge ihm hinein und die nächste Treppe hinauf unters Dachgeschoss, in dem sich unter dem historischen und restaurierten Dachstuhl der Sitzungssaal und das Standesamt befinden.
»Ist die Swetlana da?«, wiederhole ich angespannt, weil er mir nicht antwortet.
»Meinst du die Angestellte, die der Weinzierl vermisst?«
»Ja, genau die«, stimme ich zu. »Ist sie da?«
»Nein. Soweit ich mitgekriegt hab, haben Erdem und sein neuer Kollege sich schon auf die Suche nach ihr gemacht.«
»In ihrer Wohnung werden sie sie aber nicht finden und beim Lindenwirt auch nicht. Da komm ich grad her. Also ist sie jetzt hier?«
»Nein, verdammt noch mal!«, ist Toni grantig und bleibt stehen.
Die Tür zum Standesamt, in dem schon alle Hochzeitsgäste und das Brautpaar warten, steht offen. Neugierig schielen sie zu uns heraus.
Darum mahnt mich Toni flüsternd: »Es ist nicht mehr deine Angelegenheit, eine Tatverdächtige ausfindig zu machen und du solltest spätestens jetzt einen anderen Kopf aufsetzen. Dein Sohn heiratet gleich.«
Er hat ja recht. Also atme ich tief durch und streiche mir ein paar blonde Strähnen aus meiner Stirn, die sich aus der Hochsteckfrisur, die mir Suri mit ihren geschickten zarten Fingern verpasst hat, gelöst haben. Ich streiche meine Schürze glatt, strecke mein Kreuz durch, sammle mich tief durchatmend und nicke dann.
»Bereit?«, fragt Toni mich.
Ich nicke wieder und mein Gatte geht voraus ins Standesamt.
Es ist schon nach Mitternacht, als Toni und ich ins Bett gehen und ich mich an seine Seite kuschle. Gedanklich lasse ich die Feier Revue passieren. Nach der doch recht rührigen und tränenreichen Trauung, dem begeisterten Empfang im Lindenwirt von den Freunden des Brautpaares, dem Kuchenbuffet mit Hochzeitstorte anschneiden, dem leckeren Abendessen, dem ausgelassenen Tanzen und lustigen Einlagen auf der Tanzfläche erfüllt mich ein befriedigendes Glücksgefühl. Quirin und Vroni hatten doch noch einen unvergesslichen Tag und endlich sind sie verheiratet. Sie waren eben bei der Verabschiedung sehr gerührt und glücklich. Gleich morgen früh wollen sie samt ihrem Michi ein paar Tage in ein Wellnesshotel ins Allgäu fahren. Flitterwochen sozusagen.
»Ist trotzdem eine schöne Hochzeit gewesen«, meine ich zufrieden.
»Und du bist hoffentlich jetzt zufrieden, weil die zwei endlich einen Trauschein haben. Schon komisch, dass dir das bei uns nicht so wichtig war.«
Toni hatte mir damals einen Heiratsantrag gemacht. Ich hätte ihn nicht heiraten müssen, nur um zu besiegeln, dass wir zusammengehören. Ich war schon mal verheiratet und das standesamtlich und auch kirchlich mit dem ganzen Brimborium, weil Martin und ich Kinder wollten und es sich im erzkatholischen Bayern halt so gehört. Aber mit dem Alter denkt man anders über die Ehe und das Thema Nachwuchs stellte sich bei uns nicht mehr, weil wir beide Mitte vierzig waren, als wir zusammengekommen sind. Außerdem hatte Toni ein Leben vor mir, genau wie ich vor ihm. Wir mussten uns nix mehr gemeinsam aufbauen und brauchten keine Sicherheiten mehr, weder finanziell noch gesellschaftlich.
»Mir gehts nur um die Kinder und ihre Zukunft. Es ist halt einfach alles unkomplizierter, wenn die Eltern verheiratet sind.«
»Bis jetzt haben sie nur eins.«
Ich muss schmunzeln, wenn ich an den kleinen Michi in seiner Lederhose denke. Ihm war die Trauung eindeutig zu langweilig. Mittendrin hat er losgebrüllt und wollt zu seiner Mama. Die andere Oma hatte ihn nicht mehr bändigen können. Und so haben sich Quirin und Vroni mit Michi auf ihrem Arm das Ja-Wort gegeben.
»Ich muss den Weinzierl wirklich bewundern, wie er die Trauung doch noch einigermaßen routiniert rumgebracht hat.«
Toni schnaubt. »Er ist halt Politiker durch und durch. Unerschütterlich, zielstrebig und absolut professionell.«
»Dass seine neue Sekretärin die Täterin sein soll, hat ihn aber ziemlich aus dem Gleichgewicht gebracht.«
»Wie würds dir gehen, wenn auf einmal der Bär in einem so ekelhaften Mordfall verdächtigt wird?«
Der Bär, der mit richtigen Namen Markus Bärnreuther heißt, war acht Jahre lang mein Partner in der PI in Kelheim. Seinen Spitznamen hat er nicht umsonst, denn sein Äußeres und seine Eigenschaften ähneln dem des pelzigen Tieres doch ziemlich. Ein gemütlicher, behäbiger und übergewichtiger Brummbär ist er halt. Wenn es mit ihm auch nicht immer einfach war, mochte ich ihn. Wir sind weiterhin befreundet, sehen uns aber eher selten, obwohl er auch in Essing wohnt, allerdings am anderen Ende. Ich schäme mich heute noch, dass ich ihn in unserem letzten Fall, der uns beide ziemlich viel abverlangt hat, in Verdacht hatte, Holzklötze von unserer Holzhängebrücke zu schmeißen. Aber das wische ich schnell aus meinen Gedanken. Auf einmal vermisse ich ihn.
»Hm«, kommentiere ich und spreche meine Vermutung aus: »Glaubst, der hat was mit ihr?«
»Der Bär mit dieser Swetlana?«
Weil er mich aufzieht, kneife ich ihn in seinen Sixpack-Bauch, was ihm nur ein Grunzen entlockt. »Du weißt schon, wie ich das mein. Der Weinzierl und die Swetlana. Die wickelt doch alle Männer ein.«
Toni stutzt. »Also sind dir beim Lindenwirt diesbezüglich noch keine Gerüchte zu Ohren gekommen?«
Mein Gatte zieht mich andauernd auf, wenn ich wieder Tratsch mit von der Arbeit heimbringe. Aber es ist einfach unmöglich, dem zu entkommen, wenn man in einem Wirtshaus arbeitet und die Wirtin zur Freundin hat.
»Na ja, die Swetlana soll so ziemlich mit jedem einigermaßen gestandenen Mannsbild in Essing was gehabt haben, wenns nach dem Tratsch der Leute geht. Die Bärbel ist ganz froh, dass sie weg ist, sagt sie. Die hat das Betriebsklima ziemlich durcheinandergebracht.«
»Das kann ich mir vorstellen«, stimmt Toni zu. »Aber im Grunde ist sie doch ein nettes Mädel, allerdings viel zu naiv und mit zu viel Sex-Appeal. Die weiß gar nicht, was sie mit ihren Reizen hier auf dem Land bei den Männern alles anstellt.«
Ich hebe meinen Kopf, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Sie hat dir also auch den Kopf verdreht?«
Toni runzelt ergeben die Stirn. »Die paar Mal, die ich drüben am Stammtisch war, hab ich grad noch widerstehen können.«
»Aber du findest sie hübsch?«, bohre ich weiter nach. Seit seinem Techtelmechtel mit der kessen Staatsanwältin, das eigentlich keines war, neige ich vielleicht eine Spur zu sehr zur Eifersucht.
Mit einem tiefen Seufzer gibt er zu: »Ich würd lügen, wenn nicht, aber wie gesagt, noch sehr unreif. Es wär mir eindeutig zu anstrengend, sie zu bändigen. Mir reichts schon mit dir.«
Ich weiß, dass er mich ärgern will, trotzdem spiele ich die Empörte und kitzle ihn an seinen empfindlichen Stellen, die ich inzwischen sehr gut kenne. Natürlich ist er viel stärker als ich. Schließlich liegt er auf mir und drückt meine Hände links und rechts in die Matratze. Heroisch grinst er auf mich herab. »Du versuchst es immer wieder, gell?«
»Ich ergebe mich!«, stöhne ich übertrieben.
»Und du wirst aufhören, dir weiter über diese Swetlana den Kopf zu zerbrechen. Das sollen der Erdem und der Ertl tun. Dich geht das Ganze nix mehr an, verstanden!«
»Aber die Swetlana …«
»Nix da!«, unterbricht er mich, also presse ich die Lippen und Augenlider zusammen und nicke.
Dann spüre ich seine leidenschaftlichen Lippen auf den meinen …
Kapitel 3
Am nächsten Tag mache ich mich schon nach dem Frühstück mit meinen Walkingstöcken auf für ein bisserl sportliche Betätigung nach der Völlerei gestern. Es ist Montag und Bärbel hat mir frei gegeben, damit ich mich von der Hochzeit erholen kann. Zufällig führt eine meiner üblichen Walkingrunden am Steininger-Hof vorbei. Da kann ich wirklich nix dafür. Der Hof liegt halt am Ende von Essing. Die Dorfstraße mündet danach an einer kleinen Holzbrücke, über die man auf den Radweg auf der anderen Seite des alten Ludwigkanals gelangt. Dieses etwa fünfhundert Meter lange gerade Teilstück des alten Kanals, den im 19. Jahrhundert Ludwig I. hat bauen lassen, um die Mosel mit der Donau zu verbinden, und damit die Wasserverbindung von der Nordsee zum Schwarzen Meer zu schaffen, ist ein bekanntes Postkartenmotiv. Links und rechts des Gewässers steht eine Allee aus Eschen und Ahornbäumen. Es endet nach ungefähr fünfhundert Metern an der alten Schleuse mit dem Wärterhäuschen. Dort entlang führt also meine Lieblingswalkingstrecke und als ich so durchs Dorf stöckle und immer näher auf den Steininger-Hof zu komme, fällt mir eine Person ins Auge, die mit dem Rücken zu mir am Zaun steht und neugierig den Kopf gen Haus reckt. Durch seine gebückte Haltung, die altbackene, ihm viel zu weite Hose, die er immer mit Hosenträgern an Ort und Stelle hält, die weinrote, altmodische Strickjacke und den glatzköpfigen Eierkopf kommt er mir allzu bekannt vor.
»Was gibts denn da zu sehen, Opa?«, frage ich ihn, als ich mich an ihn herangepirscht habe.
Er erschrickt und fährt herum. »Maria! Du kannst mich doch nicht so erschrecken! Mein Herz!« Theatralisch fasst er sich an die Brust.
»Tschuldigung.« Die Gelegenheit war einfach zu verführerisch und ich habe seine geschundene Pumpe völlig vergessen. Neugierig schiele ich an ihm vorbei auf den Hof. Vor dem Haus parken der schwarze BMW von Erdem und ein weiteres Polizeiauto. Das dürfte laut Autokennzeichen das von meinen Ex-Kollegen Niedermayer und Strobl sein. Habe ich mir doch gedacht, dass sie einen Durchsuchungsbeschluss vom Staatsanwalt erwirkt haben, um die Wohnung von Swetlana auf den Kopf zu stellen. So wäre ich auch vorgegangen, allerdings schon gestern.
»Die sind bei der Schwetlana in der Wohnung, oder?«, fragt mich der Opa angespannt.
»Ich nehms an.« Ich mustere ihn von der Seite. Er schaut mich absichtlich nicht an, sondern starrt auf das Haus. Offenbar weiß er, wo sie wohnt. »Was interessiert dich denn das?«
»Na ja, die Rita hat vom Einkauf beim Kramer heut früh mit heimgebracht, dass die Schwetlana die Hauptverdächtige bei dem Mord an dem Mafiosi auf der Burg gestern ist.«
»Sie heißt Swetlana, ohne ch, und es heißt Mafioso«, korrigiere ich ihn. Fremdsprachen waren noch nie seine Stärke. Tratsch zu verbreiten allerdings schon. Ich kann mir vorstellen, dass heute Morgen der Ratschkathl-Treff im Kramerladen wieder eifrig getagt hat.
Er wiegelt mit einer wischenden Handbewegung ab. »Aber die Schwetlana wars doch nicht.«
»Aha. Und was macht dich da so sicher?«
»Die könnt doch keinem den Hals aufschlitzen.«
Meine Neugier wächst. »Kennst du sie so gut, dass du das beurteilen kannst?«
Er wird rot. »Die war so eine nette Bedienung.«
»Alle Bedienungen sind im Idealfall nett. Schon wegen dem Trinkgeld.« Ich spüre, dass da noch mehr im Busch ist. Normalerweise hat der Opa eine Schwäche für Krankenschwestern, für Bedienungen jetzt anscheinend auch.
»Ach, geh! Du weißt schon, wie ich das mein«, fährt er mich grantig an. »Du hast doch mit ihr gearbeitet. Also musst du dich doch für sie ins Zeug legen und deinem türkischen Kollegen und dem Schimanski da sagen, dass sie es nicht getan hat.«
»Sie sind nicht mehr meine Kollegen.«
Mit einem wütenden Schnauben und einer weiteren gleichgültigen Handbewegung wackelt er davon.
Kopfschütteln und doch ein bisserl verwundert, blicke ich ihm nach. Seit drei Jahren wohnt er nun schon nicht mehr bei mir, sondern bei seiner Lebensgefährtin Rita in deren Haus. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich einsetzt und auch aktiv wird, wenn er für jemanden oder etwas Feuer und Flamme ist. Seine Aktivitäten sind allerdings meistens nicht regelkonform oder schrammen scharf an irgendwelchen Gesetzen vorbei. Also steigt wegen seines Interesses an Swetlana in mir die Befürchtung hoch, dass er irgendwas im Schilde führt oder führen wird. Mit dieser düsteren Vorahnung walke ich also auf den Hof. Der Strobl kommt zur Haustür heraus. Er trägt Einweghandschuhe und eine Plastikkiste mit Deckel, in der die Polizei die beschlagnahmten Fundstücke verstaut und zur weiteren Untersuchung mitnimmt.
»Servus, Mary!«, begrüßt er mich sichtlich erfreut. »Hab mir schon gedacht, dass du hier aufkreuzt.«
»Griaß di, Strobl. Ich kann mich doch nicht einfach zurücklehnen, wenn in Essing schon wieder gemordet wird.«
In seinem runden Gesicht zeigt sich ein süffisantes Grinsen. »Es hört halt nicht auf, nur weil du jetzt keine Kommissarin mehr bist.« Dann stellt er die Kiste in den Kofferraum des Dienstfahrzeuges.
»Habt ihr schon was Interessantes in Swetlanas Wohnung gefunden?«
Seine hohe Stirn runzelt sich. »Du kannst dich bestimmt noch dran erinnern, dass ich gegenüber Zivilisten über laufende Ermittlungen nix sagen darf.«
Ich brumme unzufrieden und er verschwindet wieder im Haus. Gleich darauf erscheint Erdem. Erscheinen trifft es in seinem Fall genau, denn er verkörpert den südländischen Macho perfekt. Zwar ist er nicht besonders groß, aber breitschultrig mit gebräuntem Teint, dunklen Mandelaugen und übertrieben gegelten, schwarzen dicken Haaren. Er legt sehr viel Wert auf sein Erscheinungsbild und kleidet sich gern in Markenklamotten, inklusive Lederjacke und weißen Sneakern eines bekannten Sportkleidungsherstellers. Seit meinem Ausscheiden bin ich ihm nicht mehr begegnet. Ich habe nicht vergessen, dass er mir vorgeworfen hat, eine miese Polizistin zu sein. Dafür hatte ich ihm lautstark vorgehalten, dass er Anke, eine unserer Kolleginnen, wirklich mies behandelt und hinausgeekelt hatte. Zum Schluss unseres Streits hat er mich dann quasi aus der PI geworfen.
Gleich hinter ihm tritt ein weiterer Mann aus dem Haus, mit dem er sich angeregt unterhält. Das muss Heinrich Ertl, der neue Kommissar, sein. Ich erkenne sofort, wen der Opa mit Schimanski gemeint hatte. Der Ertl ähnelt Götz George, Gott hab ihn selig, wirklich sehr. Mit blonden, nach hinten gekämmten Haaren, einem großen Schnurrbart im Gesicht und einem offenen Blick aus hellblauen Augen mustert er mich in meinem Walkingoutfit. Fehlt nur der Trenchcoat. Doch seine Lässigkeit unterstreichen die abgetragene Jeans, Turnschuhe und ein blaues Karohemd. An dessen weit aufgeknöpften Kragen ragt seine Brustbehaarung heraus und gleich darunter wölbt sich ein kleiner Bauchansatz.
Als Erdem mich entdeckt, kann er sich ein Stöhnen und Augenrollen nicht verdrücken.