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Marion Stadler

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Beschreibung

Schon wieder ist es mit der Beschaulichkeit in dem schönen Essing im Altmühltal vorbei, als bei Bauarbeiten ein Skelett ausgegraben wird. Diesmal braucht Dorfkommissarin Mary etwas länger, dem Opfer einen Namen zu geben und ihr Schwiegervater, der Opa, ist ihr eine große Hilfe dabei. Beide werden dadurch in die die Vergangenheit versetzt: Die Tote und ihr Bruder waren in den 1950er-Jahren als Magd und Knecht beim wohlhabenden Steininger-Bauern angestellt und verschwanden eines Tages spurlos.

Mary und ihr Kollege, der Bär, beginnen zu ermitteln. Doch der Opa verschweigt ihnen etwas über die Geschehnisse von damals und ein weiterer Zeuge kann sich wegen seiner Demenz nur bruchstückhaft erinnern. Dann wird der Nachfolger des Steininger-Hofes vergiftet. Kurz darauf stirbt auch noch sein Sohn auf mysteriöse Art. Was haben diese Verbrechen mit der toten Magd zu tun? Wo ist ihr vermisster Bruder? Und auch privat ist Mary mit der freizügigen Einstellung ihrer Schwester Ulli zum Thema Beziehung und Treue überfordert.
Nur langsam setzt sich ein Puzzlestück um das andere zusammen, bis der Opa beginnt, herumzuschnüffeln und dabei selbst in Todesgefahr gerät …

Der vierte Teil der Dorfkommissarin-Mary-Reihe ist ein in sich geschlossener Fall. Der Krimi ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel Felsenkraxler.

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Prolog
Kapitel 1 – Eine Woche zuvor
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Nachwort
Weitere Veröffentlichungen

Marion Stadler

Mordsgebräu

Über die Autorin:

 

 

© Mirjam Landfried, Kameraflimmern

 

Marion Stadler hält dem Altmühltal schon seit ihrer Kindheit die Treue. Sie lebt und schreibt dort, wo andere Urlaub machen, und ihre Krimis spielen: in Essing bei Kelheim in Niederbayern.

Als Agatha-Christie-Fan lässt sie sich von der großen Krimiautorin inspirieren. Durch ihre Arbeit zuerst in der Gastronomie und dann im Verkauf begegnet ihr außerdem immer wieder allzu Menschliches, was in ihre Krimis miteinfließt, wobei es in ihrer Heimat eher idyllisch und friedlich zugeht. Diese Idylle und die Sehenswürdigkeiten baut sie als Schauplätze in ihre Krimis mit ein. Inzwischen sind sechs Essingkrimis entstanden. Ihre Kommissarin Mary Weidinger und deren eigensinniger Schwiegervater erfreuen sich bei ihrer Leserschaft großer Beliebtheit.

Sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Kunsthandwerkerin und leidenschaftliche Hobbygärtnerin.

 

 

Buchbeschreibung:

 

 

Schon wieder ist es mit der Beschaulichkeit in dem schönen Essing im Altmühltal vorbei, als bei Bauarbeiten ein Skelett ausgegraben wird. Diesmal braucht Dorfkommissarin Mary etwas länger, dem Opfer einen Namen zu geben und ihr Schwiegervater, der Opa, ist ihr eine große Hilfe dabei. Beide werden dadurch in die die Vergangenheit versetzt: Die Tote und ihr Bruder waren in den 1950er-Jahren als Magd und Knecht beim wohlhabenden Steininger-Bauern angestellt und verschwanden eines Tages spurlos.

 

Mary und ihr Kollege, der Bär, beginnen zu ermitteln. Doch der Opa verschweigt ihnen etwas über die Geschehnisse von damals und ein weiterer Zeuge kann sich wegen seines Alzheimers nur bruchstückhaft erinnern. Dann wird der Nachfolger des Steininger-Hofes vergiftet. Kurz darauf stirbt auch noch sein Sohn auf mysteriöse Art. Was haben diese Verbrechen mit der toten Magd zu tun? Wo ist ihr vermisster Bruder? Und auch privat ist Mary mit der freizügigen Einstellung ihrer Schwester Ulli zum Thema Beziehung und Treue überfordert.

Nur langsam setzt sich ein Puzzlestück um das andere zusammen, bis der Opa beginnt, herumzuschnüffeln und dabei selbst in Todesgefahr gerät …

 

Marion Stadler

Mordsgebräu

 

Dorfkommissarin Mary ermittelt 4

 

 

 

Kriminalroman

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© August 2023 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Carina Weigert

Korrektorat: Julia Kuhlmann – https://www.juliesbookhismus.de/Korrektorat/

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

https://buchcoverdesign.de/

 

Prolog

 

»So, jetzt weißt du also die ganze G’schicht!« Der alte Mann lässt seine runzligen Hände langsam in den Schoß sinken und schaut den jungen Burschen ihm gegenüber forschend an. Er sieht sich selbst in ihm, seinem Enkelsohn, als er so jung war. Damals in der Wirtschaftswunderzeit: So voller Tatendrang und Hoffnung auf ein neues, schöneres Leben in sorgenlosem Wohlstand und Selbstbestimmung mit dem eigenen Besitz. Diese Hoffnung hatte ein paar Mal ein jähes Ende genommen. Aber dieses Mal sollte es nicht so weit kommen!

»Es tut mir leid, wenn ich dir mit dieser Wahrheit dein Bild über mich zerstört hab«, entschuldigt sich der Alte und beobachtet seinen Enkel weiter, wie er wohl darauf reagieren wird.

Der Gesichtsausdruck des Jungen ist ungläubig, verwirrt und steht voller Fragen. »Warum erzählst du mir das dann, Opa?«

Der steht von seinem Sessel auf und wandert hinüber zum Fenster, aus dem er sinnierend hinausschaut. Sein Blick geht hinüber zu den hohen Fichten, die hier schon immer stehen und ihm die Sicht versperren. Aber sie bieten auch Schutz vor neugierigen Blicken.

»Vor ein paar Tagen haben sie die Leiche von der Katharina in Essing gefunden.«

Sein intelligenter Enkel kombiniert blitzschnell die Geschichte seines Opas mit dieser Information und ist alarmiert. Ihm schwant die Bedeutung dieses Fundes mit einem Schlag.

»Das war doch in den Fünfzigern, hast du gesagt! Dann besteht die doch sowieso nur noch aus Knochen! Und was sollen die da schon noch finden?«

Sein Opa seufzt tief. »Das will ich ja eben in Erfahrung bringen. Und eventuell, wenn nötig, das Schlimmste verhindern. – Und dafür brauch ich dich!«

»Mich?«

Der Großvater geht auf seinen Enkel zu. Trotz seines hohen Alters ist er immer noch gut auf den Beinen. Immer schon war er ein kräftiger Kerl, den nichts so leicht aus der Bahn geworfen hat, aber in dieser Sache machte er sich Sorgen. Wirklich ernste Sorgen! Sein ganzes Lebenswerk war in Gefahr!

Er packt seinen Enkel eindringlich am Arm. »Du bist mein Nachfolger. Du wirst nach deinem Vater einmal diesen Betrieb hier übernehmen. Das war mir schon klar, als du noch ganz klein warst. Du bist fleißig, entschlossen, gescheit und zielstrebig, so wie ich und darum bist du mein ganzer Stolz.«

»Das weiß ich, aber …«

»Es wird keine Firma mehr geben, wenn das alles rauskommt, was ich dir erzählt hab. Die Presse wird mich in der Luft zerreißen und unser Ruf wär dahin.«

Was sein Großvater da sagt, beunruhigt ihn immer mehr. »Aber, du bist doch so alt …«

Der Großvater lacht sarkastisch. »Eben! Ich will in Ruhe daheim sterben und nicht in einem Gefängnis!«

Sein Enkel stellt sich vor, wie es sein würde, wenn sein Opa wirklich des Mordes angeklagt werden würde, und er kann dessen böse Ahnungen gut nachvollziehen. Und auch, welche Folgen das für ihren Betrieb und die ganze Familie haben würde. Es wäre eine Katastrophe, die sie zugrunde richten würde, erkennt er. Seine Gedanken rattern weiter und suchen nach Auswegen, während Adrenalin durch seine Adern jagt, genau wie an einer Steilwand beim Klettern.

»Aber seit damals sind über siebzig Jahre vergangen!«

»Mord verjährt nicht!«

Schweiß drängt sich aus den Poren der jungen Haut des Enkels, der jetzt unruhig, wie ein Tiger im Käfig, im Zimmer auf und ab läuft. Dann bleibt er entschlossen vor seinem Opa stehen.

»Was kann ich also machen?«

Aus seiner Stimme hört der Großvater Unerschrockenheit heraus und er kann sich ein Schmunzeln nicht verdrücken. Sein Enkel war ihm wirklich unheimlich ähnlich.

»Genauso kenn ich dich!«, freut er sich, klopft ihm anerkennend auf die Schulter und lässt sich wieder in seinem Sessel nieder. Er kramt einen zusammengefalteten Zettel aus seinem Jackett und hält ihn seinem Enkel hin. »Ich hab da diesen Brief gekriegt.«

Der Junge nimmt ihn, faltet ihn auf und liest die krakelige Schrift darauf.

 

Ich weiß, dass Sie die Katharina auf dem Gewissen haben! Ich kenne die ganze Geschichte und auch Ihren richtigen Namen! 500.000€ wäre Ihnen doch sicher mein Schweigen wert! Hinterlegen Sie das Geld innerhalb einer Woche in dem Schließfach 223 am Hauptbahnhof in Regensburg. Der Schlüssel dazu liegt bei! Falls nicht, wäre die Polizei sicher sehr interessiert an meiner Geschichte!

 

»Das ist Erpressung!«, stellt er dann aufgeregt fest und wirft das Papier verächtlich auf das kleine Tischchen, vor dem sein Großvater in seinem Sessel hockt.

»So schauts aus. Und da können wir zwei doch nicht tatenlos herumsitzen oder sogar darauf eingehen! Diesem Kriminellen muss das Handwerk gelegt werden!«, regt sich der Alte auf.

»Aber wie?«, kann der andere keinen klaren Gedanken fassen.

Sein Großvater kramt einen weiteren, kleineren Zettel aus seinem Jackett und hält ihn seinem Enkel hin.

Der frisch gebackene Spion liest leise, was darauf steht: »Alfred Steininger, Elisabeth Steininger, Vinzent Spangler, Magdalena Hartl, Josef Novotny.«

»Mach diese Personen ausfindig und berichte mir, ob sie noch leben und was sie so treiben. Dann sehen wir weiter!«

»Aber wie? Und was ist mit Mama und Papa?«

»Vorerst einmal brauchen sie nix davon erfahren. Außerdem sind sie eh grad in Dubai«, beschwichtigt sein Opa eifrig und schwenkt dann auf ein anderes Thema um. »Ich find, du hast dir auch eine Auszeit verdient von deinem Studium: Du kletterst doch so gern. In Essing gibts dazu genügend Gelegenheit. Ich quartier dich in einem Hotel dort ein. Du wirst sehen, es wird dir gefallen!«

»Aber …«

»Nix aber!«, unterbricht ihn sein Auftraggeber, der schon den Telefonhörer in der Hand hat, um alles in die Wege zu leiten.

 

Kapitel 1 – Eine Woche zuvor

 

An meinem freien Tag bin ich unterwegs bei meiner üblichen Nordic-Walking-Runde, die mich auf dem Jurawanderweg am nördlichen Waldrand in Richtung Kelheim bis zum Aufgang zur Tropfsteinhöhle Schulerloch entlangführt. Dort überquere ich die Staatsstraße 2230, die Verkehrsachse des unteren Altmühltals, und stöckle zurück auf dem Radweg am neuen Rhein-Main-Donaukanal, der das Tal nun schon seit den Achtzigern prägt. Dabei passiere ich schnaufend die alte Schleuse samt dem kleinen Schleusenwärterhaus des alten Ludwig-Donaukanals. Beide sind beim Bau des neuen Kanals erhalten geblieben. Vor mir liegt also die schnurgerade Allee, deren uralte Kastanien- und noch junge, nachgepflanzte Ahornbäume den etwa 20 Meter breiten Kanal zu beiden Seiten säumen. Dieser Teilabschnitt der einst von König Ludwig I. in Auftrag gegebenen Wasserverbindungsstraße zwischen Main und Donau ist etwa einen halben Kilometer lang und das Postkarten- bzw. Kalendermotiv schlechthin. Jetzt im Frühling sprießt überall frisches Grün und die Knospen der Laubbäume lassen den Wald, der sich an den Talhängen links und rechts von mir erhebt, rötlich schimmern. Ein paar Stockentenmännchen auf dem Wasser balzen um die Gunst der Weibchen und um mich herum zwitschern und pfeifen die Vögel wie verrückt. Ein wunderbares Idyll!

Was allerdings dieses Idyll seit letztem Jahr durchbricht, ist das Neubaugebiet auf der anderen Seite des Kanals, das früher einmal ein Feld zwischen dem Schleusenwärterhaus und den letzten Häusern meines Heimatdorfes Altessing gewesen war. Frisch erschlossenen mit 16 Bauplätzen schießen hier die Häuser wie Schwammerl aus dem Boden. Alle paar Wochen mache ich einen Umweg, verlasse meine übliche Strecke zwischen neuem und altem Kanal, überquere die kleine Brücke über dem engen Schleusenkanal und spaziere die frischgeteerte Straße durch die Baustellen entlang, um mir den Fortgang der Bauarbeiten und die entstehenden Häuser anzusehen. So auch heute. Ich stutze neugierig, als ich um einen Rohbau herumkomme und mir allzu bekannte Fahrzeuge ins Auge stechen. Sie parken neben einer noch fast unberührten Parzelle, auf dem aber schon ein Bagger steht.

Die Polizeiautos gehören meinen Kollegen von der Inspektion in Kelheim und der weiße Kleinbus mit dem Regensburger Kennzeichen zu Dr. Leo Zucker, unserem zuständigen Rechtsmediziner. Hier ist also eindeutig eine Leiche gefunden worden, schwant mir nix Gutes.

Ohne mich groß von dem rotweißen Trassenband, das meine Mitarbeiter hier weiträumig um den Bagger samt dazugehörigen Loch gezogen haben, aufhalten zu lassen, marschiere ich direkt zum Zentrum des Interesses: die Schaufel des gelben Baufahrzeuges.

Die umringen der Koller, der Schubert, der Bär und Jo in gebührendem Abstand. Meine Kollegen aus der Dienstgruppe, die ich als Kommissarin in der Polizeiinspektion Kelheim leite, tragen jetzt schon seit mehr als einem Jahr die neue dunkelblaue Uniform, aber immer noch fremdle ich mit ihr. Sie kommen mir darin vor wie Bahnschaffner oder Zugführer und einfach nicht mehr so autoritär wie in der alten, grünen Amtstracht. Ich habe auch so eine Neue daheim, aber habe sie noch nie getragen, außer damals zur Anprobe für die Bestellung. Da bin ich doch lieber die Kommissarin in Zivil, heute allerdings in Sportklamotten, bestehend aus einer grauen Softshelljacke, schwarzer Trainingshose und Turnschuhen.

Der Baggerfahrer in seinem Blaumann lugt seitlich aus seinem Führerhaus und schaut wie gebannt in die von ihm gegrabene Baugrube, die noch gar nicht so tief ist. Beim Näherkommen sehe ich unseren Leichendoc, wie wir den Pathologen, der für unsere wenigen unnatürlichen Todesfälle zuständig ist, intern betiteln, vor eben jener Baggerschaufel im Dreck knien. Inzwischen weiß ich wie Leo Zucker ausschaut, um ihn auch in seiner Tatort-Arbeitskleidung zu erkennen. Offenbar hat er sich für diesen Außeneinsatz Verstärkung mitgebracht, denn ihm gegenüber hockt noch ein Exemplar seiner Gattung in weißem Overall mit Schutzbrille und OP-Maske im aufgewühlten Erdreich. Wenn die ihre Leichen auseinandernehmen, hantieren sie wie die Metzger in ihrer Rechtsmedizin, drum nennen wir ihren makabren Arbeitsplatz in Regensburg nur abfällig Schlachthaus.

Eine Gänsehaut läuft mir über den Rücken, so wie immer, wenn ich einen Tatort betrete. Dann bemerkt mich der Bär und steigt ein paar Schritte auf mich zu. Das fällt ihm gar nicht so leicht, weil an seinen Schuhsohlen bereits eine dicke Schicht Lehm von der Baugrube klebt und der Untergrund ziemlich uneben ist. Baustelle halt! Oder liegt es vielleicht daran, dass er eher unsportlich ist, sein Körperumfang vergangenen Winter weiter zugenommen hat und er einem Bären noch ähnlicher geworden ist? Nur sein blonder, spärlicher Pelz auf dem runden Kopf mit den Pausbäckchen und dem Doppelkinn reduziert sich weiter, aber das sieht man ja unter seiner adretten Dienstmütze nicht so. Seine Füße dürften inzwischen nicht mehr nass werden, wenn es regnet, jedenfalls nicht von oben! Er ist mein Partner in der PI Kelheim: Hauptwachtmeister Markus Bärnreuther. Wir kommen gut miteinander aus und treffen uns auch ab und zu privat, weil er halt auch ein Essinger ist, genau wie ich. Allerdings ein Neuessinger!

»Ah Mary! Ich hab schon ein paar Mal versucht, dich zu erreichen. Wo treibst du dich denn schon wieder rum?«

Ich hebe wie zum Beweis meine Nordic-Walking-Stöcke hoch. »Servus erst einmal! Ich hab heut frei! Schon vergessen?«

Die Kollegen grüßen zurück, nur der Bär nicht, der ironisch meint: »Als einzige Kommissarin unserer PI hast du immer Bereitschaft!«

Ich ziehe eine missbilligende Lätschn und gehe noch ein paar Schritte näher, wobei es sich nicht vermeiden lässt, dass ich mit meinen neuen Laufschuhen mitten in den lehmigen Baaz der flachen Baugrube hineinsteigen muss. Endlich kann ich das Corpus Delicti sehen: einen skelettierten Schädel, eindeutig menschlich, der bleich aus dem dunkelbraunen Erdreich heraussticht.

»Der Baggerfahrer sagt, er hat an dieser Stelle angefangen, den Humus weg zu kratzen und dann auf einmal den Schädel drin gehabt«, erklärt mir der Bär bereitwillig.

»Ich hab sofort aufgehört und euch angerufen!«, schreit der Fahrzeuglenker beipflichtend von seinem Bagger herunter.

Jo, einer meiner jüngsten und auch attraktivsten Kollegen Anfang dreißig und seit gut einem Jahr mit meiner Schwester Ulli liiert, fährt fort: »Ich bin mit dem Bär als erstes hier gewesen und hab gleich den Leichendoc informiert.«

Leo Zucker schaut auf und winkt uns zu sich.

Während der Bär und ich seiner gestenreichen Aufforderung, näher zu kommen, folgen, will mein Partner meine Stöcke begutachtend wissen: »Bringt das was mit denen?«

»Mir tuts gut!«, bestätige ich und mustere ihn in seiner Uniform, dessen dunkelblaue Dienstjacke der Größe XXXL über seiner Wampe spannt. »Würd dir auch nicht schaden!«

Er grunzt abfällig.

An dieser Stelle muss ich wohl erklären, dass mir mein Physiotherapeut nach meiner Schussverletzung an der Schulter vor einem Jahr vorgeschlagen hat, regelmäßig Nordic Walking zu betreiben. Diese belächelte Sportart, seinen Körper ohne große Überanstrengung ein bisserl zu betätigen, ist wirklich ideal für mich und meine bemessene Ausdauer. Inzwischen walke ich mindestens zweimal die Woche. Es steigert meine Kondition nicht nur fürs Wandern, was ich mit meinem Mann Toni während unserer Urlaube in den Alpen praktiziere, sondern ist für mich auch eine erfolgreiche Methode, um meine Gedanken zu sortieren und runterzukommen, denn beschäftigen tut mich, schon von Berufswegen, immer irgendetwas.

»Was gibts?«, frage ich den Leichendoc, als wir bei ihm angekommen sind. Er hat den Schädel in der Baggerschaufel mittlerweile fast vollständig freigelegt und die mit Erde gefüllten Augenhöhlen starren uns unheimlich an.

»Menschlicher Schädel, wahrscheinlich weiblich, circa 17 bis 21 Jahre alt.«

Das alles kann er von so einem Knochen ablesen?

Er bemerkt wohl mein Staunen und weist seinen Mitarbeiter neben ihm gelangweilt an: »Erklär es ihr, Alf! Aber für sie verständlich!«

Wie auf Kommando legt der große, ziemlich dünn in seinem weißen Ganzkörperanzug aussehende Kollege von Leo voller Eifer los: »Der weibliche Schädel ist kleiner als der männliche, hat eine schmalere Nase, stärkere Ausbildungen der Stirn- und Scheitelhöcker, weniger ausgeprägte Augenbrauenbögen, eher runde Augenhöhlen und einen stumpferen Kieferwinkel.« Während er mir das erklärt, deutet er mit dem behandschuhten Zeigefinger der rechten Hand auf die beschriebenen Stellen des Schädels. »Die Suturen, also die Nähte zwischen den einzelnen Schädelknochen, sind noch nicht ganz verknöchert, was bei den meisten Menschen erst nach Abschluss der Pubertät stattgefunden hat. Und dann hätten wir da noch die Zähne: Geringe Abnutzung und normalerweise brechen die Weisheitszähne zwischen dem 17. und 25. Lebensjahr durch, was bei diesem Schädel noch nicht passiert ist.« Sein Finger zeigt auf den Kiefer, der uns grimmig seine Zähne entgegenfletscht. »Ergo: weiblicher Schädel, zum Todeszeitpunkt 17 bis 21 Jahre alt.«

Das war mal eine ausführliche Analyse! Doch ich werde einen Teufel tun und mich dafür bedanken oder gar das Wissen der beiden Leichendocs loben. Schließlich haben die das gelernt!

»Habt ihr noch mehr gefunden?«, frage ich sie darum gänzlich unbeeindruckt.

Aber nur der Bär fühlt sich angesprochen. »Der Leo und der Alf haben grad erst angefangen …«

»Wo ein Schädel ist, muss auch der Rest irgendwo sein, oder nicht?«, werfe ich in die Runde.

Schulterzucken, Nicken, Seufzen und fragende Gesichter um mich herum.

»Dann suchen wir mal!«, befehle ich und schaue den Baggerfahrer auffordernd an, der sich sogleich in seinen Sitz fallen lässt und den Motor anwirft, dass es nur so aus dem Auspuff raucht und in unseren Ohren dröhnt.

»Moment!«, schreit Leo aufgebracht. »Ich muss den Schädel erst sicherstellen!«

Eilig kratzen er und sein Kollege die restliche Erde um den Schädel weg und nehmen ihn vorsichtig aus der Schaufel. Dann entfernen sie sich schnell, denn der Arm des Baugeräts schwenkt schon zur Seite. Mit gekonnten Handgriffen an den Bedienungshebeln kippt der Fahrzeugführer die grobkörnige, dunkle Erde aus und tatsächlich kommen weitere bleiche Knochen zum Vorschein.

Leo und Alf winken aufgeregt, sodass er seinen Bagger sofort wieder ausstellt.

Der Bär neben mir stöhnt. »Wie es ausschaut hast du Recht gehabt! – Schon wieder eine Leich!«

»Vielleicht ist es nur ein Neandertaler«, tut der Koller, der Dienstälteste auf unserem Revier, ab. »Dann sind wir gar nicht zuständig.«

Tatsächlich haben hier im unteren Altmühltal vor tausenden von Jahren in der Würm-Eiszeit, Bronze- und Jungsteinzeit unsere Vorfahren in den unzähligen Felshöhlen, die es heute noch hier zu entdecken gibt, gelebt. Das weiß eigentlich jeder Essinger, der sich ein bisserl für Geschichte interessiert, so wie ich. Bei Ausgrabungen in der Sesselfelsgrotte, direkt unter dem Felsmassiv in Neuessing, wurden sogar einige Knochenbruchstücke eines Fötus’ aus dem Mittelpaläolithikum entdeckt. Genauso wie die von Höhlenbären, Wildpferden, Wollhaarnashörnern und Mammuts.

Und in der Klausenhöhle haben die Archäologen Anfang des 19. Jahrhunderts das vor ungefähr 18.000 Jahren bestattete, männliche Skelett eines Cro-Magnon-Menschen ausgegraben. Dieser Fund gilt als die früheste Bestattung Deutschlands, außerdem ist er das älteste gefundene Fossil des modernen Menschen in Bayern. Der erste Bayer war also ein Essinger!

Aber es existieren auch Siedlungsnachweise aus der Kelten- und Römerzeit. Teilweise zu bestaunen im Archäologischen Museum in Kelheim und anderen Museen Deutschlands. Die Menschen haben eben damals schon bemerkt, wie schön es hier ist und sich niedergelassen!

Darum gibt es hier, bevor ein Bauvorhaben in die Tat umgesetzt wird, archäologische Probegrabungen, um auszuschließen, dass noch wichtige Beweise aus früheren Jahrhunderten unserer Geschichte im Erdreich schlummern und bei Baumaßnahmen verloren gehen könnten.

Des Weiteren ist es aber auch eine leidliche Tatsache, dass wir in den letzten Jahren schon drei Morde in unserem beschaulichen, idyllischen Luftkurort, wo im Sommer die Radl-Touristen in Scharen das untere Altmühltal erobern, gehabt haben. Nächste Woche ist Ostern und die ersten von der Sorte werden hier als Vorhut eintrudeln, was mich unweigerlich auf den Bürgermeister Weinzierl bringt. Der scheint mir für die Kapitalverbrechen in seinem geliebten Essing irgendwie eine Mitschuld zu geben und befürchtet jedes Mal, dass sie die Touristen abschrecken, was aber noch nie vorgekommen ist. Schließlich habe ich eine Aufklärungsrate von hundert Prozent!

Ich werde von zwei verdreckten Kleinbussen, die mit quietschenden Bremsen auf der Straße angehalten haben, aus meinen Gedanken gerissen. Die Türen der Fahrzeuge fliegen auf und ein ganzes Geschwader an jungen Leuten stürmt auf uns zu, ohne die Absperrung zu beachten.

Eine kesse Brünette mit Pferdeschwanz und in einem hautengen Tarnanzug tut sich hervor und beschimpft Leo und Alf scharf: »Lasst sofort diese Überreste in Ruhe! Ihr zerstört wichtige Artefakte …«

Die beiden Pathologen sehen staunend auf und halten in ihrer Arbeit, die neuen Knochenfunde zu inspizieren, inne.

Der Bär geht unbeholfen dazwischen, denn der Baaz an seinen Schuhen hindert ihn an einem würdevoll taktischen Eingriff. »He, he! Was soll denn das! Das ist ein Tatort und Sie haben hier keinen Zutritt!«

Die aufgebrachte Brünette stemmt die Arme in die Hüften. »Das sagt wer?«

Der Bär wirft mir einen hilfesuchenden Blick zu.

Ich springe ein und baue mich vor der mir durch ihr wichtigtuerisches Verhalten völlig unsympathischen Tussi auf. »Kriminalpolizei Kelheim, Kommissarin Maria Weidinger.«

Sie mustert mich abwertend in meinem Walkingoutfit. »Ausweis?«, fordert sie schnippisch.

»Ich hab heut eigentlich frei …«, bedauere ich und fühle mich irgendwie ertappt.

»Sie gehört schon zu uns!«, hilft mir der Koller aus dem Hintergrund und Jo pflichtet ihm bei: »Sie ist unsere Chefin!«

»Na gut!«, gibt sie sich zufrieden und streckt mir die rechte Hand hin. »Ich bin Melanie Hasenedl, Archäologisches Institut München. Wir sind hier im Altmühltal mit den archäologischen Ausgrabungen betraut.«

Ich schüttle ihre unerwartet raue und kräftige Rechte.

»Ihr seid aber schnell zur Stelle!«, kommentiert Leo verdattert, der einen Knochen in der Hand hält. Schaut aus wie ein Schlüsselbein oder so was.

Melanie Hasenedl grinst selbstgefällig. »Wir graben grad in Dietfurt, wo ein neuer Supermarkt entstehen soll.«

»War ja klar!«, kommentiert der Bär genervt. »Überall wo gebaut wird, taucht ihr auf!«

Ich verstehe seinen Unmut. Natürlich bin ich dafür, dass unsere Geschichte ergründet und dokumentiert werden soll, aber den meisten Bauherrn sind diese Forscher ein Dorn im Auge, denn wenn sie auftauchen, heißt das erstmal Baustopp. Und in Anbetracht der zähen Geschwindigkeit, bzw. der exakten Genauigkeit, die diese Boandlgraber an den Tag legen, kann das dauern! Und bekanntlich ist Zeit ja Geld! Geld, das ein Bauherr meist nicht in seinem knapp kalkulierten Budget übrig hat!

»Wer hat euch denn Bescheid gegeben?«, fragt Leo irritiert, nachdem er sie von oben bis unten eingehend gemustert hat.

Offenbar findet er Gefallen an der schlanken, energischen Frau Mitte dreißig mit den dunklen langen Haaren und den rehbraunen Augen, die lange dichte Wimpern zieren. Sie erinnert mich irgendwie an Lara Croft aus Tomb Raider, nur ihre Oberweite ist nicht ganz so beachtlich.

Für sie lupft Leo jetzt sogar seinen Mundschutz, den er sich eilig unters Kinn zieht und ihr dann seine behandschuhte Hand hinhält. »Leo Zucker, Rechtsmedizinisches Institut Regensburg. Ich bin der zuständige Pathologe für den Landkreis Kelheim. Meine Freunde nennen mich Leo …«

Verlegen weicht er ihrem kühlen, abweisenden Blick aus, der wohl so viel sagen soll, dass sie seine behandschuhte Hand niemals schütteln wird. Stattdessen lässt sie ihn einfach stehen und geht zu Alf am Erdhaufen hinüber.

»Servus, Alf!«, begrüßt sie den anderen Leichendoc und widmet sich auch schon dem Schädel in seinen Händen. »Gut, dass du mich angerufen hast! Aber ich hatte doch gesagt, ihr sollt alles so lassen, bis wir kommen!«

»Du hast sie angerufen, Alf?«, stellt Leo verdattert fest.

Sein junger Kollege nimmt ebenfalls den Mundschutz ab und nickt verlegen. »Ich fand es eine gute Idee, denn dann können wir vielleicht vor Ort gleich aufklären, wer nun zuständig ist und das Alter der Knochen mit ihrer Hilfe datieren.«

Leo ist sichtlich grantig über die Eigeninitiative seines Kollegen. »Wer von uns beiden ist hier der Boss?«

»Du!«, bestätigt Alf kleinlaut.

»Und du informierst sie einfach, ohne mit mir vorher darüber zu reden?«

»Meli ist eine alte Studienkollegin von mir … Sie hat wirklich was drauf!«, beteuert Alf eifrig.

Die Hasenedl dirigiert inzwischen ihre Leute, die eilig Koffer und Planen aus ihren Bussen bringen. So schnell können wir alle gar nicht schauen, spannen sie auch schon ein kleines Zelt über dem Erdhaufen mit den Knochen auf, bauen Tische auf und kramen ihre Werkzeuge aus Koffern und Taschen. Sie nimmt dem verdatterten Alf den Schädel ab und platziert ihn auf einem der Tische, um ihn eingehend zu begutachten.

»He!«, regt sich der überrumpelte Leo auf. »Das ist mein Schädel!«

»Wer sagt das?«, faucht ihn die Archäologin an. »Diese Knochen sind alt! Das kann ich allein schon an ihrer Beschaffenheit feststellen!«

»Kann sein! Aber sie liegen auf keinen Fall länger als hundert Jahre hier«, gibt auch Leo von seinem Wissen preis. »Das fällt also eindeutig in mein und nicht in Ihr Ressort! Sie sind umsonst hierhergekommen!«

Die Hasenedl lacht sarkastisch. »Sie haben ja keine Ahnung!«

»Oh doch, und wie ich die habe!«, schreit Leo aufgebracht und schaut sich in der flachen Baugrube um. »Wie Sie sehen, lagen die Knochen in der obersten Humusschicht, also viel zu weit an der Oberfläche, um als Grabstätte aus vergangenen Zeiten durchzugehen. Außerdem haben wir bisher weder irgendwelche Grabbeigaben oder sonst welche verrosteten Metall- oder Keramikbruchstücke gefunden …«

Ist er so sauer, weil sie sein Können missachtet, oder weil sie ihn grad eben links liegen hat lassen?

So habe ich ihn jedenfalls noch nie erlebt und staune. Die wenigen Male, die ich bisher mit ihm zu tun hatte, war er immer die Ruhe und Gelassenheit selbst. Aber sie hat wohl seinen männlichen Stolz gekränkt, auf welche Weise auch immer.

Und die attraktive Archäologin provoziert ihn weiter: »Bitte, Herr …«

»Zucker!«, springt Alf ein.

»Herr Zucker, gehen Sie zurück in ihr Rechtsmedizinisches Institut, kümmern Sie sich um Ihre fleischigen Leichen und überlassen Sie die Knochen jemandem, der sich wirklich auskennt!«

»Also, so kommen wir nicht weiter!«, unterbreche ich die beiden, weils mir jetzt langt von der Auseinandersetzung.

Und Leo springt auf meine Intervention gleich an: »Mary, du bist die leitende Kommissarin! Entscheid du!«

Auch die Hasenedl wendet sich eindringlich an mich: »Lassen Sie mich die Knochen ausgraben und nach München in unser Labor schaffen, Frau Kommissarin! Wir werden eine Radiokarbondatierung machen und so genau feststellen können, wie alt sie sind.« Sie verschränkt entschieden die Arme vor ihrer Brust und schaut zwischen mir und Leo hin und her. »Und sollten sie nicht älter als hundert Jahre sein, dann bringe ich sie eigenhändig in die Rechtsmedizin nach Regensburg.«

Neben mir höre ich Jo seinem Kollegen Koller zuraunen: »Ich wette, sie gewinnt!«

Mit ihrem Vorschlag bin ich einverstanden, denn ich will schließlich nicht schuld daran sein, wenn sich herausstellen sollte, dass es sich bei den Knochen um irgendeine Keltenprinzessin handelt oder meinetwegen auch um die erste Essingerin, die hier in einer Strohhütte gecampt hat. Insgeheim hoffe ich aber auch, dass es so sein könnte, denn dann habe ich meine Ruhe und nicht noch einen weiteren ungeklärten Todesfall in unserem idyllischen Markt.

Ohne meine Antwort abzuwarten, wendet sich die Archäologin wieder dem Schädel vor sich zu und grinst triumphierend.

»Tut mir leid, Leo!«, bedauere ich und ahne, dass ich jetzt bei ihm verspielt habe.

Er gibt ein abfälliges Grunzen von sich, während er mich mit zusammengekniffenen, bösen Augen anschaut, seinen Koffer packt und dann aus der Baugrube stampft.

Alf greift sich ein Herz und geht zu seiner Studienkollegin. »Das war nicht fair, Meli!«

»Pf!«, tut sie ab, ohne von ihrer Untersuchung abzulassen.

Dann folgt er wie ein reuiger Köter seinem Chef zu ihrem Fahrzeug und steigt ein. Leo wuchtet seinen Edelstahlkoffer geräuschvoll in seinen Bus und haut die Schiebetür zu. »Ich freue mich schon auf Ihren Besuch mit den Knochen bei mir in der Rechtsmedizin!«, ruft er der Archäologin noch siegessicher zu, bevor auch er einsteigt und mit quietschenden Reifen davonfährt.

»Schöner kann kein Krimi im Fernsehen sein!«, frohlockt der Schubert hinter mir.

»Allerdings!«, stimmt ihm Jo freudig zu. »Und ich dachte immer Boandlgaber sind ungepflegte, dreckverschmierte und unzivilisierte Menschen, aber die Hasenedl ist ja direkt ein schnuckeliges Häschen …«

Die Kollegen lachen ziemlich süffisant über seine Bemerkung und ich drehe mich zu ihnen um.

»Ihr seid im Dienst, meine werten Kollegen!«, mahne ich sie und wende mich dann direkt an meinen Schwippschwager: »Und du bist mit meiner Schwester beinand! Vergiss das nicht!«

Der Angesprochene verdreht die Augen.

Die Archäologin ist mittlerweile so vertieft in ihre Arbeit, dass sie glücklicherweise nichts mitgekriegt hat. Die Furie ist im Stande und hängt meine Kollegen hin wegen ihres machomäßigen Verhaltens. Eifrig weist sie ihre Helfer an und kratzt, wedelt und pinselt an dem Erdhaufen herum, dass es mir nur ein verwundertes Kopfschütteln entlockt.

»Wenn die so weiter macht, dann liegen die Knochen in hundert Jahren noch da. Dann kriegt sie der Leo niemals!«, meint der Bär und grinst.

»Aber sie hat alles unter Kontrolle«, bemerkt Jo unverhohlen bewundernd, während er sie fasziniert beobachtet.

»Na, na, Kollege!«, rempelt ihn der Koller an. »Du wirst doch deiner Ulli nicht untreu werden wollen?«

Jo grinst in seinen akkurat gestutzten, braunen Vollbart. »Appetit werd ich mir ja holen dürfen …«

»Was ist jetzt mit der Baugrube?«, schreit der Baggerfahrer von seinem Bagger zu uns herunter. »Ich muss das Loch bis heut Abend für den Bauherrn fertig haben!«

Ich zucke entschuldigend mit den Schultern. Ab jetzt geht mich dieser Tatort, wenn man ihn denn so bezeichnen mag, nix mehr an. »So, wie es ausschaut, kannst du Feierabend machen!«

Kopfschüttelnd klettert der Fahrzeugführer von seinem Baugerät und wir verlassen das Dreckloch.

Auf der Straße haben sich inzwischen einige neugierige Schaulustige eingefunden, um zu sehen, was hier los ist. Unter anderem entdecke ich auch den Opa unter ihnen. Ist ja logisch!

»Protokoll kannst du ohne mich schreiben, dann geh ich jetzt heim«, verabschiede ich mich vom Bär. »Wir sehen uns dann morgen!«

Der brummt noch was, während er und unsere Kollegen sich den pappenden Lehm am Randstein des Gehwegs von den Schuhen abstreifen.

Dann gehe ich zum Opa und den Schaulustigen.

An dieser Stelle sollte ich wohl erklären, dass der Opa einer der neugierigsten Menschen auf diesem Planeten ist. Zusammen mit der Katzmeier Rita und der Achhammer Kathi sind sie die Ober-Ratschkathln unseres idyllischen Marktes und immer auf dem neuesten Stand der Gerüchteküche. Darum ist es auch selbstverständlich, dass er hier ist.

»Ich glaub, du hast dich verlaufen, Opa! Die Rita und die Kathi wohnen im Dorf und nicht hier in der Neubausiedlung, falls du zu ihnen wolltest.«

»Du immer mit deinen ironischen Bemerkungen!«, motzt der Opa mich an. »Ich wollt doch nur nachschauen, was hier los ist …«

Die, die mich und meine Lebensumstände inzwischen kennen, wissen, dass der Opa eigentlich nicht mein Großvater ist, sondern mein Schwiegervater. Genau genommen mein ehemaliger Schwiegervater, weil er der Vater meines ersten, vor fast acht Jahren tödlich verunglückten Ehemannes Martin ist. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht. Er wohnt mit mir und meinem zweiten Mann Toni in meinem Haus mitten im Ortsteil Altessing und frisst mir die Haare vom Kopf mit seinem gesunden Appetit. Vinzent Spangler ist weithin nur als derOpa bekannt wie ein bunter Hund. Mit seiner Neu- und Geldgier, und seiner Eigeninitiative und Tratscherei hat er mich schon oft in Teufels Küche gebracht, denn er mischt sich andauernd in meine Ermittlungen ein. Trotzdem liebe ich ihn und könnte mir ein Leben ohne ihn gar nicht vorstellen. Und schließlich hat er meiner Familie und mir bei einer Geiselnahme schon einmal das Leben gerettet. Ja, man mag es kaum glauben, der dreiundachtzigjährige, gebrechlich daherkommende Alte mit den vielen Falten im Gesicht und der Halbglatze hat schon zwei Herzinfarkte überlebt, Fernsehinterviews gegeben, eine Demonstration organisiert, eine Bürgerwehr in Essing gegründet und einen bewaffneten Kidnapper in arge Bedrängnis gebracht. Aber das sind andere G’schichten …

Er zupft an meiner Softshelljacke. »Was habt ihr denn Interessantes in dem Loch gefunden?«

Ich schaue hinüber zur archäologischen Ausgrabung. Meine Kollegen fahren eben mit ihren beiden Dienstfahrzeugen davon.

»Ein Skelett«, sage ich, denn morgen wird er es eh aus der Zeitung erfahren.

Ein Journalist der Lokalzeitung, den ich durch meine Arbeit kenne, ist inzwischen eingetrudelt und unterhält sich mit einem Fotoapparat bewaffnet angeregt mit Melanie Hasenedl vor dem Erdhaufen mit den Knochen.

»Aha.« Aber lange gibt sich der Opa mit dieser dürftigen Information nicht zufrieden und hakt nach: »Historisch, was? Weil die Boandlgraber auch schon da sind!«

Ich zucke mit den Schultern. »Das wird sich rausstellen.«

Der Opa schmunzelt. »Da wird sich der Steininger-Junior aber ärgern.«

»Wer?«

»Na der Steininger-Sohn wollt hier sein Haus hin bauen. Der Bauplatz gehört doch ihm.«

»Dem Steininger Michael gehört dieser Platz?«

Offenbar ist es mir entgangen, dass nicht nur meine Söhne schon so erwachsen geworden sind, um das elterliche Heim zu verlassen und sich ein eigenes zu schaffen, sondern auch die Kinder anderer Dorfbewohner.

Der Opa nickt eifrig und deutet in Richtung Dorf, wo ganz am Rand, direkt im Anschluss an das neue Baugebiet der Steininger-Hof liegt. »Ja! Das ganze Feld hat seinem Vater gehört, bevor die Gemeinde ein Baugebiet draus gemacht hat. Da hat sich der Steininger eine goldene Nase verdient, der oide Geldsack. Als hätt der nicht schon genug!«

Die anderen Gaffer, ausschließlich Einheimische aus dem Dorf, die unser Gespräch mit spitzen Ohren belauschen, nicken und raunen zustimmend.

Mich interessieren solche Vorgänge und wechselnde Besitzverhältnisse im Dorf nicht besonders. Allerdings hält mich der Opa damit immer auf dem Laufenden, ob ich will oder nicht, oder ich lese darüber, wie schon erwähnt, im Gemeindeblatt oder der Zeitung. Und daher weiß ich auch, dass die Bauplätze der älteren, nördlich vom Ortskern gelegenen Kreuzsiedlung IV weggingen wie warme Semmeln. Das ungebrochene Interesse der Bauwilligen zeugt also von der guten Lebensqualität hier und dem anhaltenden Bauboom. So musste die Gemeinde ein weiteres Baugebiet ausweisen. Darum hat sie diesen Acker am östlichsten Ende von Essing dem Steininger abgekauft und in ein solches verwandelt: Ludwigallee I. Nicht, dass es hier am alten Ludwig-Kanal mit seiner malerischen Baumallee nicht schön wäre, aber die Staatsstraße 2230, die Altessing außerhalb passiert und auf der jeden Tag tausende von Autos und Lastwagen vorbeifahren, ist halt auch nicht weit weg.

Als hätte der Opa ihn mit seinem Gerede heraufbeschworen, rauscht auf einmal ein sportlicher, schwarzer 3er BMW heran, hält mit quietschenden Reifen und ein junger Bursch Mitte zwanzig steigt aus. Aufgeregt hüpft er über das Absperrband und stürmt auf die Archäologen in der Grube zu.

Von unserem etwa fünfzig Meter entfernten Standort, können wir nicht alles verstehen, was der ihnen grantig und aufgebracht alles an den Kopf schmeißt. Aber ganz offensichtlich ist er absolut nicht einverstanden mit dem, was auf seiner Baustelle geschieht. Schließlich tut sich ein Helfer von der Hasenedl hervor und versucht, den Steininger-Junior zu beruhigen. Das gelingt ihm auch, denn sie diskutieren noch eine Zeitlang hin und her und dann verschwindet der Bauherr wieder, wie er gekommen ist.

»Das wird ein Nachspiel haben! Das sag ich dir!«, meint der Opa vorausahnend.

»Nachspiel?«

»Ja! – Die Steiningers regeln doch alle Streitigkeiten vor Gericht!«

»Was du so alles weißt!«, wundere ich mich.

»Ich interessier mich halt für das, was in unserem Dorf so vorgeht!«

Wenn ich das genauso handhaben würde wie der Opa, dann käme ich sonst zu nix anderem. Aber eine richtige, bayerische Dorfratschn wie er, ist halt täglich im Dorf unterwegs, um alle Neuigkeiten und Gerüchte aufzunehmen und weiterzugeben, und zwar so, dass man hier und da noch einiges ausschmückt oder hinzufügt, um alles noch ein bisserl sensationeller zu gestalten. Er und seine beiden Ratschkathl-Freundinnen sind allesamt verwitwet und leben allein. Sie haben also viel Zeit, um sich täglich zu treffen und ihrer Sensationslust nachzugehen.

Der Name Steininger ist mir aber natürlich auch ein Begriff. Ihr stattliches Anwesen liegt wie gesagt am östlichen Ende von Altessing ein wenig außerhalb. Soweit mir bekannt, ist der Steininger der Einzige weit und breit, der allein von der Landwirtschaft lebt. Und wer ein bisserl Ahnung hat, der weiß auch, dass sich das nur rentiert, wenn man modernisiert und sich stetig vergrößert. Beides trifft bei den Steiningers zu. Die letzten Jahre wurde eifrig gebaut und renoviert. Die meisten Felder um Essing und darüber hinaus gehören zum Hof, außerdem zwei nagelneue, riesige, moderne Traktoren eines bekannten deutschen Landmaschinenherstellers der Farbe Grün. Wenn dir so ein Gefährt entgegenkommt, musst du auf unseren kleinen Straßen auf Gehwege und über Randsteine hinaus ausweichen und fühlst dich sogar im Auto wie ein Zwerg.

Ich kenne Werner nur noch aus meiner Kindheit und vom Sehen her auf dem Bulldog. Er und sein Bruder, ich glaube, er hat Peter geheißen, müssen ein paar Jahre älter sein als ich, weil sie nicht mit mir in eine Schulklasse gegangen sind. Schon damals waren die zwei Außenseiter und haben sich in der Dorfgemeinschaft nicht oft blicken lassen. Soweit ich mitgekriegt habe, hat der Ältere von den beiden, also Werner, den Hof von seinem Vater übernommen und ebenfalls einen Sohn, Michael, den jungen, aufgebrachten Bauplatzbesitzer, den ich gerade eben beobachtet habe.

Eigentlich könnte mir das alles wurscht sein, wenn nicht die kommenden Ereignisse mein Interesse wieder auf diese Familie lenken würden. Und der Opa ist daran wieder einmal nicht ganz unbeteiligt, wie sich zeigen wird.

 

Noch vor dem Abendessen, ich decke grad mit Toni den Tisch, ertönt die Bayernhymne. Sie ist schon seit ich ein Handy habe mein Klingelton, weil ich Patriotin bin!

Der Weinzierl! Das zeigt mir jedenfalls das Display meines Wischerhandys an. Ich mache mich gefasst, auf das was mich unweigerlich erwarten wird, denn ich kann mir schon denken, was unser Dorfhäuptling von mir will.

»Guten Abend, Herr Weinzierl!«, grüße ich unseren Bürgermeister übertrieben gut gelaunt.

»Wie ich höre, haben wir einen archäologischen Fund in Essing und Sie halten es wieder einmal nicht für nötig, mich zu informieren!«, schimpft er sofort auf mich ein.

»Es steht noch nicht fest, ob es ein solcher ist …«

»Ja, was soll denn das sonst für ein Skelett mitten im Baugebiet sein? Der Friedhof ist ja meilenweit weg davon!«, unterbricht er mich geschäftig. »Und die Archäologen sind auch schon vor Ort, wie ich höre. Die kommen doch nicht einfach so!«

Ich mache einen weiteren Versuch, ihn zu beruhigen. »Die zuständige Archäologin will die Knochen in ihrem Institut erst genau datieren …«

»Papperlapapp!«, fährt er mir wieder dazwischen. »Vielleicht handelt es sich um ein ganz besonderes Skelett, wie damals in der Klausenhöhle der erste Bayer. Das wäre eine Sensation! So wie der Ötzi in Italien!«

Unser Bürgermeister spinnt sich da eindeutig was zusammen. Sogar ich habe erkennen können, dass es sich am Fundort um keine besonders bestattete Leiche gehandelt hat. Es gab weder Grabbeigaben, irgendwelche Waffen noch Schmuck an den Gebeinen.

»Es ist eher ein weibliches Skelett, Herr Weinzierl …«, will ich ihm erklären, doch er lässt mich nicht weiterreden.

»Noch besser! Dann ist es halt die erste Essingerin!«, ist er immer begeisterter. »Nennen wir sie doch … Essi! Essi! Das klingt doch gut!«

Ich schnaufe tief durch. Wenn ich seine Sensationslust richtig deute, dann will er den Knochenfund für seine Zwecke ausschlachten, um sein Essing in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.

»Also ich würd die Ergebnisse von der Radiokarbon-Dingsbums abwarten, bevor Sie …«

Doch er überhört voller Entzücken über seine Idee meinen Einwand. »Die Presse hat schon eine Anfrage für ein Interview bei mir gestellt, nur wusste ich da dank Ihnen noch nix von dem sensationellen Fund. Ich werde gleich morgen Kontakt mit denen aufnehmen. Das wird Schlagzeilen machen! – Essi …«

Zack und schon hat er aufgelegt.

»Meinetwegen!«, sage ich noch und lege auf. »Aber lassen S‹ mir bittschön meine Ruh mit dem Schmarrn!«

»Wer soll dich in Ruhe lassen?«, fragt Toni neugierig, der das Gespräch mitverfolgt hat und in der Küche die Brotzeit aus dem Kühlschrank auf ein Tablett stellt.

»Der Bürgermeister! Er glaubt, dass wir einen Essinger Ötzi ausgegraben haben«, spotte ich und schüttle verwundert den Kopf.

»Aber du hast mir doch erzählt, dass es sich nur um blanke Knochen gehandelt hat, die der Leo nicht älter als hundert Jahre geschätzt hat.«

Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. »Der Weinzierl hat mich ja nicht zu Wort kommen lassen. – Jedenfalls will er morgen der Presse über den sensationellen Fund berichten.«

Toni haut die Kühlschranktür zu. »Da wird er sich aber sauber blamieren!«

Ich hole das aufgeschnittene Bauernbrot und ein paar Tomaten aus der Speis und grinse. »Soll er doch!«

»Außerdem hast du mir doch gesagt, dass es eine Frau gewesen sein soll …«

Natürlich habe ich Toni, als er von der Arbeit heimgekommen ist, sofort von dem Knochenfund in der Neubausiedlung erzählt, so wie ich mich immer mit ihm bespreche.

»Er hat sie Essi getauft«, mache ich mich lustig über die seltsame Namensgebung vom Weinzierl.

Toni grinst über sein ganzes, kantiges Gesicht. »Mary gefällt mir da schon viel besser.« An seinem schelmischen Ausdruck sehe ich, dass er mich ärgern will, und in seinen dunkelbraunen Augen sprühen Funken. »Aber Gott sei Dank bist du noch keine hundert Jahre alt …«

Mit übertriebener Empörung spiele ich mit und haue ihm auf seinen muskulösen Oberarm. »He! Du bist grad auch nicht mehr der Jüngste!«

Er zieht mich an sich, und obwohl ich mich dagegen wehre, zwar nur halbherzig, gelingt es ihm ohne große Mühe. Ich spüre seine Kraft und Energie, als er mich umarmt. Sein sportliches Programm, um als Hauptkommissar fit zu bleiben, ist also nicht umsonst, obwohl er im Polizeipräsidium in Regensburg fast nur am Schreibtisch arbeitet. Wieder einmal bewundere ich insgeheim seinen Ehrgeiz und seinen tollen Körperbau und bin glücklich, dass er zu mir gehört.

»Das sind wir doch beide nicht mehr!«, frohlockt er, küsst mich und schaut mir tief in die Augen. »Aber das ist uns doch wurscht!«

Ein verächtlich grunzender Ton von der Tür her unterbricht uns.

»Bäh, was macht ihr denn schon wieder da? Könnt ihr das nicht ins Schlafzimmer verlegen!«, motzt der Opa und verzieht sein faltiges Gesicht. »Ich dacht, es gibt endlich was zu essen!«

Toni seufzt, verdreht die Augen und denkt gar nicht daran, mich loszulassen, obwohl wir wissen, dass dem Opa solche öffentlichen Liebesbezeugungen zuwider sind. Überhaupt mag er keine Gefühlsduseleien oder Zärtlichkeiten, denn er ist ein verklemmter, konservativer und verschämter Eisblock, was Liebesdinge betrifft. So ist er aufgewachsen und so steckt es halt drin in ihm.

»Wir busseln doch nur!«, verteidige ich mich amüsiert.

Und demonstrativ küssen Toni und ich uns noch mal, was dem Opa einen erneut missbilligenden Grunzer entlockt.

»Dann geh ich halt wieder! Bin ja nur am Verhungern und wollt nur wissen, ob es von dem Skelett was Neues gibt …«

Kopfschüttelnd und schwerfällig schlurft er zur Tür hinaus.

»Dann setz dich halt an den Tisch! Brotzeit ist ja schon unterwegs!«, rufe ich ihm hinterher.

Schon dreht er um. Seine Schritte durch die Küche hinaus ins Esszimmer sind jetzt bedeutend schneller.

 

Kapitel 2

 

Der Obeth kommt zwei Tage später ins Büro, als ich den Bericht zum Überfall auf Alis Laden, einem türkischen Gemüsehändler in Affecking, bearbeite. Der Bär ist grad aufs Klo.

»Mary, könntest du dich mal beim Leichendoc nach dem Skelett erkundigen! Immer wieder rufen Leute von der Presse hier deswegen an und ich muss sie abwimmeln. Ich muss endlich mal für die was zusammenschreiben und brauch Infos dazu. Und deinen Bürgermeister hab ich auch schon mehrmals dran gehabt deswegen.«

In der Tat habe ich seine Anrufe auf meinem Handy ignoriert und in der Zeitung war nur ein sachlicher, kleiner Artikel über den Leichenfund zu lesen. Doch von einer Sensation über eine Essi war nicht die Rede. Wahrscheinlich war der Weinzierl doch so gescheit und hat sich zurückgehalten, bevor er sich in der Presse blamiert. Oder weiß er schon mehr als ich?

Natürlich geht mir das Skelett auch nicht aus dem Kopf, aber ich habe es bisher nicht gewagt, mich bei Leo zu erkundigen, weil er ja sauer auf mich ist. Und die Hasenedl ist mir von Haus aus unsympathisch. Außerdem ist die Baustelle wieder »grabungsfrei«, folglich also keine archäologische Ausgrabungsstätte mehr und die Baugrube fertig ausgehoben. Das hat mir zumindest der Opa erzählt. Und auch er bedrängt mich immer wieder wegen der Knochen mit neugierigen Fragen. Also werde ich den ganzen Neugierigen und auch mir mal einen Dienst erweisen.

»Okay, ich erledige das schon!«, verspreche ich dem Obeth, der in unserer PI für die Pressearbeit zuständig ist.

Zufrieden nickt er. »Soll ich dann die Journalisten auf dich verweisen?«

»Kommt gar nicht in Frage!«, wehre ich mich. »Du bist unser Mann für die Öffentlichkeitsarbeit und dabei bleibt es auch! Ich geb dir dann schon deine Infos.«

Der Kollege Mitte vierzig mit dem drahtigen, blonden Lockenkopf seufzt, nickt zerknirscht und geht. Eigentlich ist der privat verschlossene und zurückhaltende Obeth ungeeignet für den Job als Pressesprecher unserer PI, aber er hat halt ein paar Semester Journalismus studiert, bevor er sich für den Polizeidienst entschieden hat, und somit ist er logischerweise prädestiniert für diesen unbeliebten Aufgabenbereich.

Ich wähle also die Nummer des Schlachthauses und rüste mich gedanklich für den beleidigten Leo. Doch er ist anscheinend nicht nachtragend.

»Servus, Mary!«, begrüßt er mich mit einer Spur Ironie in der Stimme. »Hab schon mit deinem Anruf gerechnet. Nur ein bisserl eher!«

»Und?«, ignoriere ich seine Bemerkung.

Er tut ahnungslos. »Was und?«

»Na, hat dir die Hasenedl die Knochen schon gebracht?«

»Ich dachte, du bist davon überzeugt, dass sie mich nix angehen …«

»Es war doch erst mal wichtig, herauszufinden, wie alt die Knochen sind und die Hasenedl hat als Archäologin eindeutig die besseren Methoden, oder nicht?«, unterbreche ich ihn.

»Das mag sein, aber ich kenn mich in forensischer Anthropologie auch aus. Und ich hätte gegebenenfalls meine Spezialisten hinzuziehen können.«

Ich weiß, dass Leo gut vernetzt ist unter seinesgleichen. Er war sogar schon ein paar Mal in Amerika auf einer sogenannten Body Farm, wo Leichen beim Verwesen beobachtet und untersucht werden. Noch dazu ist er ein wirklich eingefleischter Vertreter seines grausigen Fachs. Mich erschreckt immer wieder, wenn wir gezwungenermaßen mit ihm zu tun haben, welch großes Wissen er hat und das uns auch gern kundtut.

»Anthropologie, Archäologie! – Wo ist da bitte der Unterschied?«, blicke ich nicht mehr durch.

»Das habe ich auch schon versucht, eurem Bürgermeister klarzumachen.« Leos Stimme wirkt gelangweilt. »Und den Presseleuten, die ständig hier anrufen!«

»Ach, dich belästigen sie also auch?«, stelle ich fest.

»Das nervt, sag ich dir!«, regt er sich auf.

---ENDE DER LESEPROBE---