3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €
Mit pinker Sprühschrift in Form eines vernichtenden Vorwurfs wird das Auto des Lehrers Matthias Adam an der Realschule in Kelheim verunstaltet. Dorfkommissarin Mary und ihr Kollege ermitteln. Endgültig vorbei mit der Ruhe und Idylle in ihrem Heimatort Essing im Altmühltal ist es, als die Dorfdisco, der Treff der heimischen Jugend, niedergebrannt wird. In den Überresten findet die Feuerwehr eine verkohlte Leiche. Schnell wird das Opfer als die sechzehnjährige Sophie Betz identifiziert. Es stellt sich bald heraus, dass sie nicht das brave Schneewittchen war, für das sie alle gehalten haben. Insgeheim war längst bekannt, dass sie und ihr Mathelehrer, eben jener Matthias Adam, eine heimliche Liebelei hatten. Dadurch geraten ihr Ex-Freund und ein bereits verurteilter Vergewaltiger in Verdacht.
Doch dann wird ein Attentat auf den Lehrer verübt. Damit wird er zum Schutzbefohlenen und Mary muss ihn auf staatsanwaltliche Anweisung bei sich Unterschlupf gewähren. Der neue, intelligente und attraktive Mitbewohner bringt den häuslichen Frieden gehörig durcheinander. Marys Schwiegervater, der Opa, belagert ihn mit Rätseln und ihre Schwester Ulli, die wieder mal Asyl bei Mary gefunden hat, umschwärmt ihn. Schließlich tauchen perverse Briefe auf, die Sophie von einem Stalker bekommen hat, und auch der Graffitisprüher ist weiter aktiv. Die Kommissarin ist nahe dran, die Schneewittchenaffäre aufzudecken, bis …
Der dritte Teil der Dorfkommissarin-Mary-Reihe ist ein in sich geschlossener Fall. Der Krimi ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel Dorfdisco.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Marion Stadler
Über die Autorin:
© Mirjam Landfried, Kameraflimmern
Marion Stadler hält dem Altmühltal schon seit ihrer Kindheit die Treue. Sie lebt und schreibt dort, wo andere Urlaub machen, und ihre Krimis spielen: in Essing bei Kelheim in Niederbayern.
Als Agatha-Christie-Fan lässt sie sich von der großen Krimiautorin inspirieren. Durch ihre Arbeit zuerst in der Gastronomie und dann im Verkauf begegnet ihr außerdem immer wieder allzu Menschliches, was in ihre Krimis miteinfließt, wobei es in ihrer Heimat eher idyllisch und friedlich zugeht. Diese Idylle und die Sehenswürdigkeiten baut sie als Schauplätze in ihre Krimis mit ein. Inzwischen sind sechs Essingkrimis entstanden. Ihre Kommissarin Mary Weidinger und deren eigensinniger Schwiegervater erfreuen sich bei ihrer Leserschaft großer Beliebtheit.
Sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Kunsthandwerkerin und leidenschaftliche Hobbygärtnerin.
Buchbeschreibung:
Mit pinker Sprühschrift in Form eines vernichtenden Vorwurfs wird das Auto des Lehrers Matthias Adam an der Realschule in Kelheim verunstaltet. Dorfkommissarin Mary und ihr Kollege ermitteln. Endgültig vorbei mit der Ruhe und Idylle in ihrem Heimatort Essing im Altmühltal ist es, als die Dorfdisco, der Treff der heimischen Jugend, niedergebrannt wird. In den Überresten findet die Feuerwehr eine verkohlte Leiche. Schnell wird das Opfer als die sechzehnjährige Sophie Betz identifiziert. Es stellt sich bald heraus, dass sie nicht das brave Schneewittchen war, für das sie alle gehalten haben. Insgeheim war längst bekannt, dass sie und ihr Mathelehrer, eben jener Matthias Adam, eine heimliche Liebelei hatten. Dadurch geraten ihr Ex-Freund und ein bereits verurteilter Vergewaltiger in Verdacht.
Doch dann wird ein Attentat auf den Lehrer verübt. Damit wird er zum Schutzbefohlenen und Mary muss ihn auf staatsanwaltliche Anweisung bei sich Unterschlupf gewähren. Der neue, intelligente und attraktive Mitbewohner bringt den häuslichen Frieden gehörig durcheinander. Marys Schwiegervater, der Opa, belagert ihn mit Rätseln und ihre Schwester Ulli, die wieder mal Asyl bei Mary gefunden hat, umschwärmt ihn.
Schließlich tauchen perverse Briefe auf, die Sophie von einem Stalker bekommen hat, und auch der Graffitisprüher ist weiter aktiv. Die Kommissarin ist nahe dran, die Schneewittchenaffäre aufzudecken, doch dann …
Marion Stadler
Dorfkommissarin Mary ermittelt 3
Kriminalroman
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Juli 2023 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Carina Weigert
Korrektorat: Julia Kuhlmann – https://www.juliesbookhismus.de/Korrektorat/
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Illustrationen: Adobe Stock ID 606992432, Adobe Stock ID 540129260, Adobe Stock ID 35028663, Adobe Stock ID 107804231 und freepik.com.
Kapitel 1
Der Obeth, mein Kollege, der heute Telefondienst in der Dienststelle der Polizeiinspektion hat, kriegt einen Anruf von einem aufgebrachten Lehrer rein, dass sein Auto vor seiner Schule mit einem Graffiti beschädigt worden sei. Natürlich fahren der Bär und ich da hin. Das ist auch mal was ganz anderes als unser tagtägliches Geschäft mit Nachbarschaftsstreitereien, kleineren Diebstählen, Führerschein zwicken, Verkehrs- oder geringen Drogendelikten und Einbrüchen hier in dem ländlichen, niederbayerischen Landkreis Kelheim am äußersten Zipfel Niederbayerns. Als Kommissarin bin ich dabei eigentlich überqualifiziert, aber das macht mir gar nix aus. Ich brauche keinen Raub oder Betrug, kein Drogenmilieu und schon gar keine Kapitalverbrechen hier in der Provinz, um mich beruflich zu verwirklichen, wie es heutzutage so schön heißt.
Und mein Partner tut das noch weniger, denn der Bär, eigentlich Markus Bärnreuther, seines Zeichens beleibter, bequemer und behäbiger Polizeihauptwachtmeister in den Mittvierzigern, kann kein Blut und schon gar keine Leichen sehen, und verabscheut Gewalt. Äußerlich ist er ein Bär von einem Mann, wie sein Spitzname schon einwandfrei beschreibt, aber in ihm drin steckt halt ein weicher Kern. Außerdem hat er null Taktgefühl, hält mit seiner Meinung selten hinterm Berg und ist schnell mal beleidigt, wenn er sich missachtet fühlt. Alles in allem ist es mir ein Rätsel, wie er mit diesen Eigenschaften überhaupt Polizist werden hat können, aber trotzdem arbeite ich gern mit ihm zusammen. Der Bär und ich sind schon seit meiner Versetzung aus der Großstadt vor über sechs Jahren ein Team. – Und wir haben trotz der Idylle und Beschaulichkeit hier schon zwei Mordfälle gelöst!
Na gut, mein Mann Toni, der Kriminalhauptkommissar bei der Regensburger Kripo ist, hat uns dabei unterstützt, das gebe ich gern zu. Es waren grauenhafte Morde. Man mag es kaum glauben, hier in dieser idyllischen Gegend, wo jeder noch jeden kennt und sich Fuchs und Has’ gute Nacht sagen. Aber bedauerlicherweise macht das Böse auch vor dem schönen Altmühltal nicht halt! Diese beiden Fälle haben mich wirklich gefordert, oder besser gesagt überfordert. Da ist mir doch der ganz normale Polizeialltag tausend Mal lieber, denn dann habe ich auch meine Ruhe vor unserem pedantischen Staatsanwalt mit dem treffenden Namen Dr. Herbert Übelacker. Aber das ist eine andere G’schicht …
Also, auf gehts zur Realschule Kelheim, die Schmiererei aufnehmen! Als wir dort ankommen, hat sich schon ein Pulk von Schülern um das Auto, ein sportliches, schwarzes 3er BMW Cabrio, auf dem Parkplatz vor dem Gebäude angesammelt. Wir bahnen uns unseren Weg in die Mitte und stellen uns mit unseren Dienstausweisen vor. Der Bär in seiner schönen neuen, dunkelblauen Uniform und ich in Zivil in meiner geliebten alten Jeansjacke, Shirt, Jeanshose, Sneakers und einem Pferdeschwanz.
Die zwei aufgeregten Männer dort geben sich als Rektor der Schule Hermann Siegel und als Mathelehrer und Besitzer des Fahrzeugs Matthias Adam aus. Ein dritter Mann, rein eindrucksmäßig der Hausmeister in Arbeitshose und -jacke, versucht die gaffenden und kichernden Schüler zu vertreiben, was ihm nur mäßig gelingt. Nach Schulschluss um viertel zwei sind das hier wohl die letzten, die noch auf ihren Bus warten.
Der Geschädigte, Matthias Adam, macht seinem Nachnamen alle Ehre, wenn man freilich annimmt, dass sein Namensvetter aus dem Paradies eine vollkommene, männliche Schöpfung Gottes und dieser Gott eine Frau ist. Der Mathelehrer ist also, mit dem kantigen Gesicht, hellblauen Augen, markanten Wangenknochen und den blonden Locken, einer von der Sorte Lehrer, die sicherlich von allen ihren Schülerinnen angehimmelt werden. Sein durchtrainierter Körper steckt modisch schick gekleidet in einem hellblauen, taillierten Hemd, einer offenen, dunkelblauen Softshelljacke eines namhaften Bekleidungsherstellers und einer edlen Markenjeans. Noch dazu ist er recht jung. Ich schätze ihn nicht älter als 30. Von dem hätte ich mich auch gern unterrichten lassen, Kruzinesn! Irgendwie erinnert er mich an den Schauspieler aus Hangover. Spielte der nicht auch einen Lehrer? Wie hieß der schon gleich wieder? Na egal!
»Schauen Sie sich das an!«, fordert er uns, oder eher speziell mich auf, weil ich wohl durch seine Erscheinung ziemlich beeindruckt bin.
Ich folge seinem ausgestreckten Zeigefinger zur Front seines Flitzers. Es springt uns gleich ins Auge: KINDERFICKER steht da quer auf Kühlerhaube und Windschutzscheibe in großen Buchstaben! Und zwar in neonpinker Sprühschrift, wie sie hier bei uns die Waldarbeiter zum Markieren von Bäumen benutzen.
»Was sagen Sie dazu?«, empört sich der Rektor in Anzug und Krawatte. »Und so was vor unserer Schule!«
»Triffts denn wenigstens zu?«, fragt der Bär den Mathelehrer grad heraus.
Ich mahne ihn mit einem strengen Blick. Der wieder!
Der Lehrer läuft so rot an wie ein Puter und verteidigt sich aufgebracht: »Also bitte! Was denken Sie von mir?«
»Bis jetzt noch gar nix. Aber der Sprüher wird sich dabei ja was gedacht haben«, kommentiert der Bär ziemlich salopp und zückt seinen zerfledderten Notizblock, den er immer in der Brusttasche seines Polizeihemdes für alle Fälle dabei hat.
»Ja, wollen Sie nun den Übeltäter dafür ausfindig machen, oder sind Sie nur gekommen, um meinen Lehrer zu denunzieren!«, beschwert sich der Rektor eindringlich.
Er kommt mit seinem lässigen Kurzhaarschnitt mit grauen Strähnen und dem jungenhaften, fast faltenlosen Gesicht, dem sportlichen grauen Jackett und der ausgewaschenen Jeans ziemlich jugendlich rüber, trotz seiner sicherlich fast sechzig Lenze. Noch dazu wirkt er aufgeschlossen, selbstsicher und hat so etwas Kumpelhaftes an sich. Ganz anders als die Rektoren zu meiner Schulzeit. Die waren alt, griesgrämig, streng und gefürchtet und wurden von uns respektiert und hofiert wie Könige.
Der Bär hat inzwischen auch seinen Kugelschreiber in irgendeiner der Taschen seiner Uniform gefunden und wartet darauf, dass er notieren kann. So läuft das meistens bei uns: Ich stelle die Fragen und er schreibt auf. Obwohl schreiben kann man seine Hieroglyphen nun wirklich nicht nennen.
»Also, dann bitte alles ganz von vorn!«, fordere ich. »Wann haben Sie Ihr Auto hier abgestellt, Herr Adam?«
»Heut vor Schulbeginn, so um halb acht.«
Der Bär kritzelt los.
»Haben Sie einen Schüler oder eine Schülerin, mit dem oder der Sie Schwierigkeiten haben?«
Adam zögert kurz. »Als Lehrer kommt man bei manchen eben gut oder nicht so gut an. Das ist ja unser großes Dilemma.«
»Kinderficker …«, sage ich nachdenklich so vor mich hin und beobachte Adam aus den Augenwinkeln. Er zuckt bei dem Wort merklich zusammen und ist irgendwie beschämt. Das animiert mich weiterzubohren: »Wie könnte also der Täter darauf gekommen sein?«
Der Mathelehrer regt sich schon wieder auf. »Ja, was weiß denn ich!«
Wieder springt Siegel für seinen Lehrer in die Bresche: »Sie haben doch sicherlich festgestellt, dass der Herr Adam ein recht attraktiver, junger Lehrer ist. Und Sie können sich doch vorstellen, wie die jungen Schüler und Schülerinnen heut so sind. Da wird viel hineininterpretiert.«
»Was zum Beispiel?«
Der Rektor sucht sich schnell ein paar solcher Interpretationen zusammen: »Vielleicht ist ein schlechter Schüler neidisch auf eine besonders gute Schülerin, die der Herr Adam unterrichtet. Oder eine Schülerin himmelt ihn zu auffällig an. – Herrgott, es ist doch allgemein bekannt, wie die Jugendlichen in der Pubertät so ticken.«
Die Pubertät meiner beiden Söhne liegt schon eine Zeit lang zurück, aber natürlich kenne ich mich damit aus. Wobei meine Jungs niemals eine Lehrerin angehimmelt haben, soweit ich das mitgekriegt hätte. Ganz im Gegenteil konnten sie eigentlich fast alle ihre Lehrer nicht leiden. Aber das ist eine andere G’schicht …
Bei der vorliegenden Angelegenheit habe ich eindeutig das Gefühl, dass noch mehr im Busch ist, als die zwei Männer preisgeben wollen. Aber eigentlich geht mich das ja nix an. Ich bin ja nicht vom Sittendezernat. Und solange sich niemand beschwert oder Anzeige erstattet …
Ich wechsle bedeutungsvolle Blicke mit dem Bär und wir verstehen uns ohne Worte. Bringen wir die Sache möglichst schnell hinter uns!
»Fällt Ihnen dazu jemand ein, Herr Adam?«, frage ich eher gelangweilt, weil ich wieder eine ausweichende Antwort erwarte.
»Wie meinen Sie das?«, stellt er sich dumm.
»Na, eine Schülerin, die Sie anhimmelt, Herrschaftszeiten!«, verdeutlicht der Bär genervt. »Oder die Sie irgendwie bevorzugt behandeln.«
Adam zuckt gleichgültig mit den Schultern, aber ich kann ihm anmerken, dass ihm das wieder peinlich ist. »Ich unterrichte mindestens acht unterschiedliche Klassen in Mathe, Sport und Geschichte. Hier an der Schule gibts fast neunhundert Schüler und Schülerinnen. Wie könnt ich von jedem wissen, was er von mir denkt?«
Ich schnaufe tief durch. So kommen wir nicht weiter. Und ich habe so das Gefühl, der Lehrer will gar nicht dazuhelfen, dass wir den Schmierer ausfindig machen.
»Möchten Sie also eine Anzeige gegen Unbekannt erstatten?«, will ich trotzdem wissen, weil es meine Pflicht ist.
Der Geschädigte schaut den Rektor unschlüssig an. Der schüttelt fast unmerklich den Kopf. Das war ja klar: Nur kein Aufsehen veranstalten, damit der Ruf seiner Schule nicht beschädigt wird.
Ein Bus fährt vor und die letzten Schüler steigen ein, sodass wir mit den beiden Männern allein auf dem Parkplatz sind. Der Hausmeister klaubt in der Nähe den liegengelassenen Müll auf und schimpft dabei vor sich her.
»Nein, aber für die Versicherung brauch ich unbedingt etwas auf der Hand«, stellt der Lehrer eifrig fest. »Ich will schließlich nicht auf dem Schaden sitzen bleiben.«
Und nur aus dem Grund scheint er uns überhaupt erst herbestellt zu haben, muss ich feststellen.
Der Bär gibt natürlich auch hier seinen Senf dazu: »Also ich würds dran lassen. Die Farbe passt gut zu Ihrem Auto!«
Dafür erntet er einen missbilligenden Blick vom Lehrer und Siegel regt sich auf: »Solche unqualifizierten, überflüssigen Kommentare kenn ich sonst nur von meinen Schülern, Herr Bärnreuther!«
Ich kann mir ein Schmunzeln nur schwerlich verdrücken, aber ich lenke ein und wir erledigen die Formalitäten.
»Also irgendwas ist da oberfaul!«, stellt der Bär fest, als wir auf dem Weg zurück in die PI sind.
»Allerdings!«
»Es wär auch nicht das erste Mal, dass ein Lehrer was mit einer Schülerin und ein Dritter das Nachsehen hat.«
»Tja, das soll der Rektor schön selbst mit seinem Lehrer ausmachen«, meine ich gleichgültig.
»Die Welt ist ein Irrenhaus!«, seufzt der Bär.
»Wer, wenn nicht wir, wüsste das am besten!«
Eine Stunde später sind wir in die PI in der Bahnhofsstraße nach Kelheim zurückgekehrt und haben brav unseren Bericht in unserem Büro geschrieben, das der Bär und ich uns teilen. Mein Handy klingelt.
Wobei klingeln falsch beschrieben wär, muss ich an dieser Stelle dazu erklären, weil mein Klingelton von meinem neuen Wischer-Handy die Bayernhymne ist, gespielt von einem Blasorchester natürlich. Wenn schon patriotisch, dann richtig! Meine Familie und auch die Kollegen nervt das zwar mittlerweile ziemlich, aber ich bin halt heimatverbunden! Außerdem ist diese Melodie das Erkennungszeichen für einen Anruf auf meinem Mobiltelefon, die mir inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Auf jede andere Melodie würde ich wahrscheinlich nicht reagieren. Darum weigere ich mich eisern, einen anderen Klingelton zu installieren, auch wenn es sich inzwischen um ein Smartphone handelt, das mir meine Jungs zu Weihnachten geschenkt haben. Es hat mich schon genug Anstrengung und Zeit gekostet, mich mit dem Ding anzufreunden, denn davor hatte ich ja ein klobiges, steinaltes Tastenhandy.
Der Übelacker steht auf dem Display! Was will denn der schon wieder?
Jetzt sollte ich vielleicht, wie eingangs schon kurz erwähnt, dazu erklären, dass unser zuständiger Staatsanwalt, ein oberpfälzischer, kleinlicher und überaus pingeliger Prinzipienreiter in den Mittfünfzigern ist. Noch dazu glaubt er, ernster genommen zu werden, wenn er hochdeutsch redet, weil sein Oberpfälzer Dialekt eher minderwertig für sein hohes Amt klingt. Wenn er sich aber aufregt, und das tut er ziemlich oft während unserer eher sporadischen Zusammenarbeit, weil ich den Gschaftlhuber nicht leiden kann, dann verfällt er gern in seinen Heimatdialekt, und das finden der Bär und ich immer recht amüsant. Was mich aber an dem Staatsanwalt am meisten ärgert, ist, dass er kein Vertrauen in meine Fähigkeiten hat und mich für eine hinterwäldlerische, dumme Dorfpolizistin hält. Aber das ist auch eine andere G’schicht …
»Frau Spangler …«, will er gleich losreden, aber ich unterbreche ihn. »Weidinger, Herr Dr. Übelacker! Seit inzwischen einem halben Jahr heiße ich Weidinger!«
Er grummelt eine gleichgültige Entschuldigung in seinen nicht vorhandenen Bart und ist sofort wieder bei der Sache: »Sie waren heute an der Realschule in Kelheim bei einem Einsatz.«
»Ja …« Ich bin gespannt, worauf er hinauswill.
»Sie werden der Sache nicht weiter nachgehen.«
Was interessiert denn den Staatsanwalt so ein nichtiger Fall?
»Warum?«, forsche ich nach und kann ihn direkt vor mir sehen, wie sich seine hohe Stirn kraust und seine kleinen, listigen, grauen Augen hinter der eckigen Brille nervös hin und her schauen, so wie es immer passiert, wenn wir eine Diskussion führen.
Er räuspert sich verlegen, antwortet aber dann streng: »Der Geschädigte, Herr Adam, ist der Sohn von Freunden. Er hat mich inständig darum gebeten, die ganze Sache nicht an die große Glocke zu hängen. Es gibt ja auch gar keinen Grund dazu, soviel ich weiß. Nicht wahr? Die Sache ist schon peinlich genug für den jungen Herrn.«
Daher weht also der Wind! Gefälligkeiten unter den Großkopferten sind ja in Bayern nicht nur so ein Gerücht, sondern bittere Realität. Leider! Und der Staatsanwalt gehört nun mal zur Prominenz hier im Landkreis, genau wie unser Bürgermeister Weinzierl und offensichtlich auch die Eltern vom Adam. Mir sind sie allerdings nicht geläufig.
»Na ja, Herr Adam hat keine Anzeige erstattet, also wird das Ganze sowieso ad acta gelegt. Wobei mich diese Schmiererei schon neugierig gemacht hat: Kinderficker …«, reize ich ihn absichtlich.
Ich höre den Staatsanwalt scharf durchatmen. Spätestens jetzt läuft sein runder Kopf rot an, sodass der graue Haarkranz um seine Glatze direkt wie ein Heiligenschein ausschaut.
»Ja, ja, kein sehr schönes Wort auf der Kühlerhaube eines Lehrers!«, gesteht er aber doch ziemlich ruhig und übertrieben gleichgültig. »Was sich die Teenager heute alles zusammenreimen, ist schon befremdlich, nicht wahr?«
Was denkt sich der Übelacker dabei? Seine Intervention macht mich doch noch neugieriger, als ich es eh schon war.
»Und wenn es eben kein Zusammenreimen ist?«
»Hören Sie auf mit Ihren Mutmaßungen, Frau Spa… Weidinger!«, regt sich der Pedant aber jetzt auf. »Oder muss ich Sie an Ihren eigenmächtigen, unqualifizierten Einsatz auf Mallorca erinnern!«
Jetzt hat er mich!
An dieser Stelle muss ich wohl dazu erklären, dass mir der Mörder bei meinem Fall im letzten Oktober leider nach Mallorca entwischt ist. Natürlich haben Toni und ich die Verfolgung aufgenommen und waren auch erfolgreich, aber der Auslandseinsatz war dann doch nicht so ganz nach Dienstvorschrift und teuer. Seitdem ist der Status Quo auf Seiten des Übelackers und ich muss kuschen.
»Ich hab schon verstanden!«, gebe ich mich geschlagen. »Der Herr Adam ist ein anständiger Lehrer …«
»Sparen Sie sich Ihre Ironie, Frau Weidinger!«, mahnt er mich noch und legt einfach auf.
»Sie mich auch!«, sage ich noch und werfe mein Handy verächtlich auf den Schreibtisch.
Der Bär seufzt. »Beschissen, wenn man so unterwürfig tun muss, gell?«
Ich nicke. »Das muss wieder anders werden.«
Kapitel 2
Ein paar Tage später, ich bin grad im Bett beim Einschlafen, ertönt die Feuerwehrsirene. Jetzt muss ich dazu sagen, dass wir eine ganz wunderbare, sehr engagierte freiwillige Feuerwehr hier bei uns in Essing haben. Nein, wirklich! Größtenteils sind ihre Einsätze aber auf Straße absperren, Ölspuren beseitigen oder Unfallstelle ausleuchten und absichern beschränkt, weil sie, als kleine Feuerwehr einer Tausendseelen-Gemeinde, eben nicht die Ausrüstung hat wie die aus der sechs Kilometer entfernten Kleinstadt Kelheim, die natürlich am Einsatzort das Sagen hat.
Wenn also die Sirene geht, bin ich schon in Alarmbereitschaft, weil wir von der Polizei dann meist auch ausrücken müssen, aber mein Handy auf dem Nachtkastl macht keinen Mux. Dann kann es wohl kein so großer Einsatz sein und meine diensthabenden Kollegen werden der Sache schon Herr werden, denke ich mir noch und schlafe ein.
Zweieinhalb Stunden später vernehme ich dann doch die Bayernhymne. Ich linse auf den Wecker, der 01:35 Uhr anzeigt, taste nach dem Handy und hebe ab.
»Servus, Mary! Ich bins, der Doblinger Fritz!«, meldet sich der erste Feuerwehrkommandant. Wir sind während unserer Jugend in einer Clique gewesen und ich glaube, er wollte auch mal was von mir.
»Servus!«, murmle ich verschlafen. »Was gibts?«
»Die Dorfdisco ist grad abgebrannt.«
»Die Dorfdisco?«, wundere ich mich. »Haben sie sie also endlich abgefackelt?«
An dieser Stelle muss ich dazu erklären, was es mit der Dorfdisco auf sich hat. Sie ist nämlich schon seit Generationen der Treffpunkt und das Partyhäusl der Jugendlichen unseres Ortes und hat diesen Spitznamen spätestens seit irgendjemand dort am höchsten Balken in der Mitte, quasi über der Tanzfläche, eine Discokugel aufgehängt hat. Bei uns auf dem Land, genauer gesagt im unteren Altmühltal, ist wie anfangs schon erklärt, nicht viel geboten, schon gar nicht für die Jugend. Discos gibt es nur mehr in den Großstädten wie Ingolstadt und Regensburg, die jeweils vierzig Kilometer entfernt sind, und unter achtzehn ist die Mobilität eben eingeschränkt. Also hat sich die Landjugend schon in den Siebzigern dieses Holzhäusl am Waldrand auf der Nordseite des Tals hingebaut, wo man bequem mit dem Radl oder dem Mofa über einen Feldweg hinkommt. Und natürlich gab es zu meiner Zeit, und gibt es bestimmt heute auch noch, eine ziemlich moderne Stereoanlage, an der sich immer die coolsten Typen gestritten haben, wer Musik auflegen darf. Allerdings ist die urige und rustikale Holzhütte, wie man sie aus dem Alpenraum kennt, mit Holzfenstern und Fensterläden mit Herzausschnitten, einer Grundfläche von ungefähr 25 Quadratmetern und einem Satteldach aus Biberschwanzziegeln, inzwischen ziemlich altmodisch geworden. Doch soviel ich weiß, kümmern sich nach wie vor die einheimischen, jungen Leute selbst um die Instandhaltung. Die Halbe Bier ist billig und der Eintritt ist frei.
Ich habe dort in meiner Jugend mit meinen Freunden meine ersten Räusche erlebt und mich in meinen ersten Mann Martin verliebt. Auch meine beiden Söhne waren als Teenager dort Stammgäste. So geht das schon seit fast drei Generationen.
Drinnen gibt es für die kalte Jahreszeit einen alten Holzofen und im Sommer draußen einen Lagerfeuerplatz und ein paar alte Sessel und Sofas drum herum. Hier wird also Tradition und Gemeinschaft gepflegt, wenn man es so ausdrücken will, genauso wie Freund- oder Feindschaften, Paare werden verkuppelt oder es wird auch mal über die Stränge geschlagen. Drum würde es mich nicht wundern, wenn die jungen Leute leichtsinnig mit dem Feuer umgegangen wären.
»Brandstiftung wars auf alle Fälle!«, erklärt mir der Feuerwehrkommandant und macht es spannend. »Aber wir haben da noch ein anderes Problem!«
»Das da wäre?«
»Am besten, du schwingst deinen Arsch aus dem Bett und schaust es dir selbst an!«, ist Fritz genervt. »Da liegt eine Leich in der Asche!«
Ich bin sofort hellwach. »Ich komm sofort!«
Toni neben mir grummelt. »Was isn los?«
»Die Dorfdisco ist abgebrannt und der Fritz hat eine Leich drin gefunden.«
Er reißt neugierig die Augen auf. »Soll ich mitkommen?«
»Das hier ist mein Zuständigkeitsbereich, mein lieber Herr Hauptkommissar! Kümmer du dich bitte um deine verirrten Schäfchen in Regensburg!«
Toni, mein zweiter Gatte seit inzwischen einem halben Jahr, kommt eigentlich aus Landshut und war dort Kriminalhauptkommissar. Seit der Sache mit dem toten Baby im Kanal vor eineinhalb Jahren, in der der Übelacker ihn mir als Unterstützung vorgesetzt hat, sind wir ein Paar. Als er zu mir nach Essing gezogen ist, hat er sich aber dann nach Regensburg versetzen lassen, weil der Arbeitsweg halt nicht gar so weit ist.
»Wenn du mich brauchst, ich helfe gern …«, murmelt Toni noch, bevor er sich in sein Kopfkissen schmiegt und wieder einschläft.
Ich drücke ihm ein Bussi auf die Stirn und eile ins Bad. Während ich mich anziehe, wäge ich ab, ob ich den Bär benachrichtigen soll, aber ich entscheide dann, dass ich den Tatort ohne ihn inspizieren werde. Er kann eh keine Leichen sehen. Und schlechte Laune wird er sowieso haben, egal, ob ich ihn wecke oder er beleidigt ist, weil ich ihn habe schlafen lassen und somit übergangen habe.
Fünf Minuten später sitze ich also in meinem schwarzen Beetle und fahre auf die KEH 5, eine Gemeindeverbindungsstraße. Sie durchquert das Altmühltal von einem Talkamm zum anderen und überwindet dabei im Talgrund als Brücke auf ihren runden Stelzen den Rhein-Main-Donau-Kanal und auch die Staatsstraße 2230. Volksmundartig wird sie einfach Panzerstraß genannt, denn hier wäre in Zeiten des Kalten Krieges eine militärisch wichtige Strecke für schwere Fahrzeuge gewesen. Dann zweige ich auf einen Feldweg am Waldrand entlang ab bis zur Dorfdisco, oder dem, was davon noch übrig ist. Schon von weitem sehe ich die Beleuchtung und die blinkenden Signallichter des Feuerwehrfahrzeuges. Ich parke direkt dahinter.
Die Feuerwehr hat die eingestürzten und noch qualmenden Holzbalken und Aschebrocken wunderbar mit ihren Strahlern ausgeleuchtet, einige Feuerwehrleute in voller Montur wuseln noch geschäftig herum und Fritz kommt gleich zu mir her, wie er mich sieht. Hier hat eindeutig die Essinger Feuerwehr die Oberhand.
»Ich hab einen Anruf von der Achhammerin gekriegt, dass die Dorfdisco brennt. Sie hats durch ihr Klofenster am Waldrand lodern sehen. Ich bin zuerst mit dem Auto hergefahren, um mich selbst davon zu überzeugen, wegen Falschalarm und so. Aber sie hat gebrannt, und zwar lichterloh! Und keine Menschenseele weit und breit. Dann hab ich sofort Alarm ausgelöst und wir sind so schnell wie möglich ausgerückt. Leider gabs nicht mehr viel zu retten. Nachdem wir gelöscht hatten, haben wir uns routinemäßig die Überreste angeschaut …«
Während er mir überaus sachlich und geschäftig berichtet, gehen wir nebeneinander auf den Tatort zu. Seine Feuerwehrkameraden haben die heiße Asche und verkohlten Holzbalken für einen Zugang zu der verkohlten Leiche weggeräumt, sodass wir über das rußige Betonfundament hingehen können. Aus den rauchenden Überresten blitzen die verrußten Spiegelmosaike der Discokugel im Scheinwerferlicht heraus. Die Trümmer strahlen noch eine ziemliche Hitze aus, was direkt angenehm ist in dieser kalten Märznacht.
Er deutet auf eine einem menschlichen Körper ähnliche Masse, die ziemlich mittig zwischen den Trümmern liegt. Sollte das mal ein Mensch gewesen sein, ist davon nicht mehr viel übrig. Teilweise bis auf die Knochen verbrannt, Hände und Füße eigentlich nicht mehr vorhanden, genau wie das Gesicht oder die Haare, liegen die Überreste zusammengekrümmt da. Es riecht nach verbranntem Fleisch und mir wird schlecht. Eigentlich will ich mir das gar nicht genauer anschauen, aber ich hocke mich trotzdem daneben und tue mit angehaltenem Atem so, als inspiziere ich die Leiche. Noch nie habe ich eine Brandleiche gesehen und es ist wirklich grausam und eklig. Angestrengt versuche ich diesen Anblick so professionell wie möglich zu ertragen. Vor dem Feuerwehrkommandant möchte ich mir dann doch keine Blöße geben. Ich schlucke mehrmals die aufsteigende Übelkeit hinunter und frage Fritz, der in seiner vollen Feuerwehrmontur neben mir steht: »War sie schon tot oder ist sie hier drin verbrannt?«
Er zuckt mit den Schultern. »Als wir hier angekommen sind, gab es keine Anzeichen dafür, dass da noch jemand drin ist. – Außerdem bist du von der Polizei! Du hast doch da bestimmt Fachleute, die das herausfinden können, oder?«
Ich nicke. Die werde ich dann wohl rufen müssen. Bevor ich mich dazu erheben will, fällt mein Blick auf etwas Helles, Silbernes, das das grelle Licht der Strahler reflektiert. Ich beuge mich näher zum Kopf der Leiche, unter dem das Ding blinkt. Es ist ein silberner Kreuzanhänger, wie auch ich ihn immer um den Hals an einer feinen Kette trage.
Auf einmal spüre ich, wie es ziemlich heiß unter meinem Hintern wird und Fritz schreit: »Dein Arsch brennt!«
Ich rumple in die Höhe und klopfe mir auf mein Gesäß, wo meine Jeans offenbar an einem hinter mir liegenden, noch glühenden Holzbalken zu qualmen angefangen hat. Fritz ist mir behilflich und klopft mit seinen behandschuhten Händen ebenfalls auf meinem Allerwertesten herum, während ich aufgebracht stöhne. Seine Kameraden werden auch aufmerksam auf diese peinliche Situation. Einer von ihnen, genannt Schore, den ich auch schon von Kindheit an kenne, reagiert blitzschnell und spritzt mit einem Feuerwehrschlauch in unsere Richtung. Damit bin ich außer Brandgefahr und ohne Montur bis auf die Haut patschnass. Resigniert schaue ich an mir herunter. »Kruzinesn!«
»Da hast Glück gehabt!«, meint Schore voller Ironie mit dem Schlauch in der Hand. »Das war nur mehr der Rest Wasser, der noch drin war.«
Die anderen glotzen uns an und lachen schadenfroh. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen! Wie wahr!
»Wie gehts deinem Hintern?«, will Fritz wissen und schaut danach.
Ich weiß nicht, ob es mich frieren oder mir heiß sein soll, weil beide Elemente, Feuer und Wasser, gleichzeitig auf mich eingewirkt haben, also horche ich erst in mich, bevor ich ihm antworte: »Passt schon.«
Wer in Bayern daheim ist, der weiß, dass dieses Passt schon im selbigen Sprachgebrauch eine Allround-Antwort ist, denn es blockt weitere Nachfragen dezent ab und erspart detailgenauere Erläuterungen, die der Frager eigentlich gar nicht wissen will. Und damit gibt sich auch Fritz zufrieden.
Dann fange ich an zu zittern. Das Wasser war logischerweise eisig und die kalten Temperaturen tun ihr Übriges dazu.
Der Feuerwehrkommandant begleitet mich aus den Trümmern und gibt mir eine Decke, die er aus dem Feuerwehrauto holt. Ich hülle mich darin ein und zücke mein Handy, das, welch Wunder, keinen Wasserschaden in meiner Jeansjacke genommen hat.
Nachdem ich den Kollegen in der PI Bescheid gesagt habe, fahre ich heim und ziehe mich um, bis die Tatortermittler da sind. Im Spiegelschrank im Zimmer meines bereits ausgezogenen Sohnes Quirin betrachte ich mein nacktes Hinterteil, das zwar ganz rot ist, aber anscheinend keinen Schaden genommen hat, ganz anders als meine Jeans, deren Gesäß ziemlich schwarz und verkohlt ist. Da habe ich wirklich Glück gehabt, wenn man die Peinlichkeit mal übersieht. Das wird sicherlich Gesprächsstoff in Essing geben und ich sehe die Ratschkathln unseres Marktes schon vor mir, wie sie sich ihre Mäuler zerreißen und sich über mich totlachen. Kruzinesn!
Ich schlottere immer noch, als ich eine halbe Stunde später um halb drei Uhr früh trocken und umgezogen wieder am Tatort bin. Die Feuerwehrler haben inzwischen ihre Schläuche und anderen Gerätschaften wieder in ihrem Fahrzeug verstaut und sind abmarschbereit. Klaus und Ludwig, unsere beiden zuständigen Techniker von der Spurensicherung, sind bereits vor Ort und arbeiten, vermummt in ihre weißen Ganzkörperanzüge, genau wie Zucker Leo, unser Rechtsmediziner.
Auch zwei meiner Kollegen der Nachtschicht, der Strobl und der Obeth, sind gekommen. Ich grüße sie kurz und sie grinsen saublöd zurück. Sie wissen also schon von meiner Panne.
»Wenn ihr uns dann nicht mehr braucht, hauen wir ab«, kommt der Feuerwehrkommandant auf mich zu und wartet auf mein Okay.
Ich nicke. »Danke fürs Löschen, Jungs!«, rufe ich seiner Mannschaft kameradschaftlich zu, die ins Fahrzeug steigt. Sie grinsen frech zurück und winken. Prima! Dieses Malheur wird mir lange nachhängen, befürchte ich erneut.
Dann konzentriere ich mich wieder auf meine Arbeit und gehe zu Leo. Die glimmenden und rauchenden Überreste um uns geben immer noch Hitze ab und das wärmt mich ein wenig.
»Und, wie schauts aus?«, frage ich ihn vorsichtig lässig, nachdem ich ihn gegrüßt habe.
Er ist wirklich ein Vorzeige-Leichenschänder der Rechtsmedizin in Regensburg. Ohne seine Tatort-Arbeitskleidung, die aus einem weißen Ganzkörperanzug, Schutzbrille und Mundschutz besteht, sieht er aus wie Harry Potter in Erwachsen. Mit seinem jungenhaften, runden Gesicht, den ebensolchen Brillengläsern, den Sommersprossen auf der Nase und der braven Kurzhaarfrisur traut man ihm seine Professionalität und sein Können als Pathologe gar nicht zu. Ich hatte erst einmal das Vergnügen einer Zusammenarbeit mit ihm, zumal er auch noch nicht so lange in der Rechtsmedizin in Regensburg arbeitet, der Leichendoc. So nennen wir ihn in der PI aber nur intern, weil wir ihn noch nicht gut genug kennen und nicht einschätzen können, ob er unsere Ironie verträgt. Spaß versteht er jedenfalls keinen, was sich nach meiner lapidaren Frage zeigt.
Er schaut mich über der Leiche kniend vorwurfsvoll durch die gelbgetönten Schutzbrillengläser an.
»Ziemlich verbrannt, wie du siehst!« Dann wendet er sich wieder seiner Leiche zu und berichtet brav: »Weibliche, nicht identifizierte Leiche, weiß, vermutlich zwischen 12 und 18 Jahren alt.«
Mir ist es ein Rätsel, wie er das an dem verkohlten, menschlichen Klumpen noch feststellen hat können.
»Also eine Teenagerin?«
Leo nickt und zeigt mir eine Wunde am verbrannten Schädel, der die Zähne fletscht, weil die Lippen verbrannt sind, genauso wie die Wangen und die Augenlider, unter deren Augenhöhlen sich nur mehr eine geleeartige Masse statt der Augäpfel befindet. Mich graust es wieder und ein Schauer jagt mir über den Rücken, aber ich reiße mich zusammen, weil ich mehr wissen will.
»Ich hab hier auf dem Vorderkopf eine tiefe Kopfwunde gefunden.«
»Von einem herunterstürzenden Balken?«
Er schüttelt den Kopf. »Die Verletzung ist zu tief und hat zu genaue Umrisse für einen Holzbalken.«
Ludwig, einer der beiden Spurensicherer, hat unser Gespräch fotografierenderweise mitverfolgt. »Wir haben einen Schürhaken in den Überresten gefunden, der dazu passen würd.« Er hebt einen in eine durchsichtige Folie eingetüteten, rußigen Schürhaken, wie es ihn zu Tausenden gibt, hoch und zeigt ihn mir. »Aber vermutlich werden wir darauf keine Spuren mehr feststellen können wegen dem Feuer.«
»… wegen des Feuers«, korrigiert Leo ihn.
Noch so ein Tüpferlscheißer!
Ludwig brummt genervt.
»Der Schlag damit ist also die Todesursache?«, bohre ich nach und bin irgendwie erleichtert. »Das heißt, sie war bereits tot, als sie verbrannt ist.«
»Schaut so aus. Aber mehr kann ich dir erst nach der Obduktion sagen«, informiert mich der Leichendoc und erhebt sich eifrig, weil er offensichtlich schon darauf brennt. Wie passend!
Er packt seinen Edelstahlkoffer zusammen.
»Sonst noch was?«, frage ich sicherheitshalber.
»Ach, das hätt ich jetzt fast vergessen!«, fällt ihm ein und hält mir dann eine kleine Asservatentüte unter die Nase. »Das hat sie um den Hals gehabt.«
Ich nehme sie ihm ab und schaue mir den Inhalt genau an. »Ein Ketterl mit einem Kreuzanhänger. Die hatte ich vorhin schon entdeckt.«
»Das hilft vielleicht für die Identifizierung«, bemerkt Leo.
»… zur Identifizierung«, korrigiert ihn nun seinerseits Ludwig, während er ungerührt weiter fotografiert.
»Habt ihr eine vermisste junge Frau gemeldet?«, überhört der Verbesserte es geflissentlich.
Ich zucke mit den Schultern. »Meines Wissens nicht. Aber für Vermisstenfälle bin ich auch nicht zuständig«, erörtere ich, während ich versuche die eingravierte Inschrift auf der Rückseite des Kruzifixes im Scheinwerferlicht zu entziffern. »Gott schütze dich«.
»Da hat er aber eindeutig versagt!«, meint Leo sarkastisch.
Klaus, der andere Spusi, kommt zu uns her, einen roten 20-Liter-Benzinkanister in den behandschuhten Händen. »Den hab ich da hinten im Gebüsch gefunden. Ein paar Tropfen Benzin sind noch drin.«
Ich nicke anerkennend und deute zur Lagerfeuerstelle hinüber, die mit Feldsteinen eingekreist ist, und gestehe verlegen: »Damit haben wir damals auch immer das Feuer angeschürt. Offensichtlich machen die jungen Leut das heut immer noch so.«
»So ein Leichtsinn!«, schimpft der kleinliche Leichendoc verächtlich, während er sich samt Koffer vom Acker macht. »Ich ruf dich an, wenn ich fertig bin! Gute Nacht noch!«
Niemand grüßt zurück, weil wir alle viel zu tief nachdenken. Ich schiebe das Tütchen mit dem Kettchen in meine Hosentasche.
»Leichtsinn war das hier allerdings nicht«, erklärt mir Klaus. »Das war höchstwahrscheinlich Brandstiftung.«
»Das deckt sich mit der Aussage vom Feuerwehrkommandanten«, bestätige ich.
»Der Kanister gehört also zum Inventar und der Täter hat ihn nicht mitgebracht«, konstruiert Ludwig weiter. »Folglich Mord im Affekt.«
»Vielleicht hat sich das Mädel hier heimlich mit ihrem Freund getroffen. Es kommt zum Streit und der Freund schlägt mit dem Schürhaken, der neben dem Holzofen lehnt, zu. Und um seine Tat zu vertuschen, nimmt er den Kanister, der auch grad dasteht, und fackelt alles nieder!«, vervollständigt Klaus die Vermutung seines Kollegen.
»Klingt denkbar«, stimme ich grübelnd zu.
»Dann werden wir bestimmt Fingerabdrücke auf dem Kanister finden, denn Handschuhe hat der Täter sicher nicht dabeigehabt, ungeplanter Weise«, macht mir Klaus, meine Bemerkung überhörend, Hoffnung und verspricht: »Sobald wir was haben, melden wir uns natürlich sofort. – Mit anderen Spuren wirds eh schwierig, weil die Feuerwehrler hier überall herumgetrampelt sind und das Feuer das Übrige getan hat.«
So verbleiben wir und ich fahre heim, um wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf zu kriegen.
Aber daran ist nicht zu denken. Schon als ich in mein Auto steige, spüre ich, wie mir der Arsch brennt, auf gut bayerisch ausgedrückt. Offenbar lässt das Adrenalin nach und der Schmerz kommt mit solch brachialer Gewalt, dass ich heulen könnte. Daheim wieder vor dem Spiegel, stelle ich fest, dass sich nun doch Brandblasen gebildet haben und mein Hinterteil noch praller aussieht als sonst. Kruzinesn! In unserem Medizinschränkchen im Bad finde ich aber nur eine Brandsalbe, deren Verfallsdatum schon drei Jahre zurückliegt, aber das ist mir grad wurscht. Sie kühlt noch wunderbar. Dann werfe ich sicherheitshalber noch eine Schmerztablette ein, lege mich ins ehemalige Bett von Quirin, weil ich Toni in unserem Schlafzimmer nicht wecken will, und bedecke mein demoliertes Hinterteil umständlich auf dem Bauch liegend mit einem nassen, kühlen Handtuch. So sind die Schmerzen wenigstens einigermaßen erträglich.
Doch jedes Mal, wenn ich grad am Einschlafen bin, sehe ich die verkohlte, zusammengekrümmte Leiche zwischen den verbrannten Balken vor mir, wie sie ihre Zähne fletscht und aus ihren verklebten Augenhöhlen eine honigartige, zähe Masse quillt.
Ich frage mich, wer die junge Frau wohl sein könnte, und durchforste mein Gehirn nach meinen Essinger Schäflein, die zu der Analyse von Leo Zucker passen könnten. Aber leider kann ich natürlich nicht alle plus/minus tausend Einwohner, die in unserem schönen, idyllischen Markt leben, und alle Teenagerinnen unter ihnen kennen, obwohl ich schon seit meiner Geburt hier daheim bin. Dazu muss ich wohl erklären, dass ich so was wie der Dorf-Gendarm bin, welches Amt ich mir nun seit meiner Heirat mit Toni teile. Für alle Sorgen und Nöte der Essinger Bürger sind wir beide Anlaufstelle und das ist manchmal ganz schön nervig, weil es sich meist um Lappalien handelt.
Wenn also eine junge Essingerin vermisst werden würde, wüsste ich das auf alle Fälle, auch, weil meine Kollegen mir die Vermisstenanzeige sicherlich nicht vorenthalten hätten. Also hoffe ich darauf, dass es keins von meinen Schäfchen ist und die Kette mit dem Kreuzanhänger zur Identifizierung der Leiche hilft.
»Gott schütze dich …«, murmle ich vor mich hin und bin direkt zornig auf unseren Gott, weil er hier, wie der Leichendoc schon richtig gespottet hat, offenbar kläglich versagt hat.
Kapitel 3
Um halb sechs bin ich schon wieder wach und stehe vorsichtig auf. Nach einem Kontrollblick in den Spiegel auf mein Hinterteil stellt sich jedenfalls keine Erleichterung ein. Die Blasen auf beiden Arschbacken sind noch größer geworden und ich habe keine Ahnung, wie ich darauf sitzen soll. Mich graust es vor dem kommenden Tag nicht nur in dieser Hinsicht, sondern auch in Anbetracht des neuen Todesfalles.
Grad, als ich so vor dem Spiegel stehe und mir noch mal die Brandsalbe auftrage, steckt Toni seinen Kopf mit den jetzt vom Schlafen wirren, graumelierten Haaren und verschlafenen braunen Augen zur Zimmertür herein. Immer, wenn einer von uns beiden nachts von einem Einsatz kommt, schläft er hier im ehemaligen Zimmer meines Ältesten, um den anderen nicht zu wecken.
Natürlich ist Toni amüsiert und verwundert zugleich, wie er mich so sieht, und kommt herein.
»Hier bist du! – Was ist denn mit dir passiert?«
»Grins nicht so!«, schimpfe ich ihn voller Scham.
Nicht, dass mir meine Nacktheit peinlich wäre, nein, eher mein Missgeschick. Darum berichte ich ihm ausführlich. Aber sein Grinsen wird nicht kleiner dabei. Ganz im Gegenteil.
»Typisch!«
»Was heißt hier typisch!