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Die IMMORTALS AFTER DARK-Reihe geht endlich weiter: der langersehnte neue Band der Romantic Fantasy!
Kaum trifft Lykae Munro MacRieve endlich seine Seelenverwandte Kereny, stirbt sie in seinen Armen. Er ist bereit, alles zu tun, um mit ihr zusammen zu sein - selbst wenn das bedeutet, durch die Zeit zu reisen, um sie zu retten. Munro will Kereny zu seiner unsterblichen Gefährtin machen, aber die begnadete Monsterjägerin kann sich nichts Schlimmeres vorstellen, als sich in eines der Wesen zu verwandeln, die sie eigentlich jagen sollte. Lieber würde sie sterben. Doch gegen das starke Band zwischen ihnen ist sie schon bald machtlos ...
"Kresley Cole ist zurück und besser denn je! Mit Munro erinnert sie alle daran, dass sie zu den besten Paranormal-Romance-Autor:innen gehört." ROMANCE READER
Band 17 der IMMORTALS AFTER DARK-Reihe
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Seitenzahl: 568
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
Auszug aus dem Lebendigen Buch des Mythos …
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Epilog
Die Autorin
Die Romane von Kresley Cole bei LYX
Impressum
KRESLEY COLE
Munro
EWIGE VERSUCHUNG
Roman
Ins Deutsche übertragen von Bettina Oder
Als Munro MacRieve vom Clan der Lykae endlich seine Seelengefährtin trifft, liegt sie im Sterben. Nur sein Biss könnte Kereny Codrina retten. Doch die begnadete Monsterjägerin kann sich nichts Schlimmeres vorstellen, als sich in eine der Kreaturen zu verwandeln, die sie eigentlich jagen sollte. Lieber stirbt sie. Als dies tatsächlich geschieht, ist Munro am Boden zerstört. Er ist bereit, alles zu tun, um mit Kereny zusammen zu sein – auch wenn dies bedeutet, durch die Zeit zu reisen und sie aus der Vergangenheit in seine Gegenwart zu holen. Damit hat Munro eine Chance, Kerenys Schicksal zu ändern und sie zu seiner unsterblichen Gefährtin zu machen. Doch auch die Kereny aus der Vergangenheit will um jeden Preis eine Sterbliche bleiben. Sie versucht gegen Munro und die starke Anziehung zu ihm anzukämpfen, muss aber bald einsehen, dass das Band zwischen ihnen zu mächtig ist …
Dies ist euch allen gewidmet, mit all meiner tief empfundenen Dankbarkeit für eure Geduld.
Der Mythos
»… und jene empfindungsfähigen Geschöpfe, die nicht menschlich sind, sollen im Verborgenen neben dem Menschen bestehen.«
Die meisten sind unsterblich und können sich nach Verletzungen regenerieren. Getötet werden können sie nur durch mystisches Feuer oder Köpfen.Der Clan der Lykae
»Ein stolzer Krieger vom Volke der Keltoi wurde in der Blüte seiner Jahre von einem Wolf gerissen. Der Krieger stand von den Toten auf, nunmehr unsterblich, und der Geist der Bestie schlummerte von nun an in ihm. Er zeigte die Wesenszüge des Wolfs: das Bedürfnis nach Berührung, starke Loyalität zu seinesgleichen und ein animalisches Verlangen nach den Wonnen des Fleisches. Zuweilen erhebt sich die Bestie …«
Jeder Lykae besitzt den Instinkt, eine innere leitende Kraft.Sie bleiben ein Leben lang mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin zusammen. Vor allen Dingen suchen sie nach ihren Schicksalsgefährten und verehren die Verpaarung wie andere Spezies ihre Götter.Jene, die man am besten vergisst
»Erzürne die Vergessenen, und deine Zukunft wird Geschichte sein.«
Eine geheimnisvolle Sekte von Hexern; es wird angenommen, dass sie im Besitz eines Zeitreiseportals sind.Eine übernatürliche Sphäre beschützt ihr Heimatreich Quondam.Die Wandlung
»Nur durch den Tod kann einer ein ›anderer‹ werden.«
Verschiedene Unsterbliche können Menschen oder sogar andere Mythenweltgeschöpfe auf unterschiedliche Art und Weise zu Angehörigen ihrer eigenen Spezies machen. Der Katalysator für die Verwandlung aber ist stets der Tod, und Erfolg ist nicht gewährleistet.Die Akzession
»Und es wird eine Zeit kommen, da alle unsterblichen Kreaturen des Mythos einander bekämpfen und vernichten müssen.«
Eine Art mystisches System zur gegenseitigen Kontrolle in einer beständig wachsenden, unsterblichen Bevölkerung.Unlängst haben sich zwei bedeutende Allianzen gebildet: das Pravus-Regiment und die Vertas-Liga.Geschieht alle fünfhundert Jahre. Oder genau in diesem Augenblick …Ein Seher des Clans hat einst prophezeit, dass mir eine Xanthippe als Gefährtin vorherbestimmt ist. Ich bin nicht mal sicher, was eine Xanthippe ist – ich weiß nur, dass ich keine haben will.
Munro Theodan MacRieve,
Wächter der Lykae
Manche munkeln, dass ich meine Seele einem Dämon an einer Kreuzung verkauft hätte, im Austausch für meine Treffsicherheit. Das ist Unfug. Kein Handel mit dem Bösen könnte mich so gut machen.
Kereny »Ren« Codrina,
Spezialistin der Kunst des Aufspießens,
Anführerin des Zirkus der Jäger
Kerker der Vergessenen, Quondam
Gegenwart
Das Krachen von Munros Knochen hallte in der Zelle wider, als die Faust seines Freundes ihn ein weiteres Mal traf.
Munro unterdrückte ein Knurren, während sein Gehirn kräftig durchgeschüttelt wurde. Er hatte seit Langem schon den Versuch aufgegeben, Madadh, den legendären Mad Dog des schottischen Hochlands, zu erreichen und zur Vernunft zu bringen. Die Hexenmeister hatten den Mann mithilfe eines Gehorsamszaubers versklavt. Madadhs innere Wolfsbestie hatte sich vollständig erhoben, und seine blauen Lykae-Augen stierten ins Leere.
Ein stumpfsinniger Sklave, den die Vergessenen nach Belieben benutzen konnten.
Und dasselbe wollten sie auch Munro antun. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er den in wallende Gewänder gekleideten Erzhexenmeister an, der Madadh steuerte – Jels der Hinterhältige. Das käsige Gesicht des Mannes wirkte eingesunken. Sein kahler Schädel reflektierte das Licht der Fackeln.
Munro hätte seinen spindeldürren Körper mit Leichtigkeit zerschmettern können, doch er befand sich nicht in der Lage, anzugreifen. Er lag auf den Knien, und die gefesselten Handgelenke waren mit einer Kette verbunden, die von der Decke herabhing. Das Metall wurde durch Magie verstärkt, die es sogar für jemanden wie ihn unzerstörbar machte.
Seine Gedanken waren benebelt, doch er klammerte sich an die eine entscheidende Tatsache, die er erfahren hatte: Die Vergessenen vermochten einen Lykae nur dann zu versklaven, wenn er oder sie die innere Bestie entfesselte. Jedoch verfügten die Hexer über kein magisches Mittel, um die Kreatur hervorzurufen. »Gib auf, Jels«, brachte Munro mühsam hervor. »Keine Folter der Welt wird mich dazu bringen, meine Bestie loszulassen. Nichts kann das.«
Wenn ein Lykae mehr Schmerz verspürte, als er ertragen konnte, erhob sich die Bestie, um die Kontrolle über ihn zu übernehmen. Das galt auch für psychischen Schmerz. Doch Munro würde niemals nachgeben. Nachdem er seit Jahrhunderten mit der unbeständigen Bestie seines Zwillingsbruders zusammenlebte, hatte Munro die absolute Kontrolle über seine eigene entwickelt.
Jels lächelte nur. »Wenn du auf Rettung hoffst, vergiss es. Die Vertas-Armee hatte sich bereits außerhalb der Sphäre unseres Reichs versammelt, um dich und deine Männer zu befreien, aber unsere neue Verbündete hat einen Angriff verboten, und so hat die Allianz euch im Stich gelassen. Du bist niemandem wichtig genug, um unsere Verbündete zu verärgern. Nicht einmal deinem Bruder.«
Wer zum Teufel war diese Verbündete? »Mein Zwillingsbruder würde mich niemals im Stich lassen.« Will wartete sicher nur auf eine Gelegenheit, Munro zu befreien. »Erzähl den Scheiß jemand anderem.«
Jels bewegte die Hand.
Madadhs Schlag erwischte Munro am Unterkiefer, hätte diesen fast ausgerenkt. Sein Kopf fuhr herum, sodass Blut auf den Saum von Jels lilafarbenem Gewand sprühte. »Götterverdammt, Madadh!«
Das vernarbte Gesicht seines Freundes war völlig ausdruckslos. Aus dem verrückten Hund war ein unterwürfiger Hund geworden.
Jels neigte den Kopf in Munros Richtung. »Warum widersetzt du dich unserem Vasallenzauber? Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so lange dauern würde.«
»Ich bin seit neunhundert Jahren ein Krieger, bin schon oft gefoltert worden. Du verschwendest nur deine Zeit.«
Jels sprach weiter, als ob Munro nichts gesagt hätte. »Der Vorgang ist einfach. Sobald du deine Bestie loslässt, werde ich eine Beschwörung aussprechen, die sie auf mystische Art fesselt. Du wirst nach wie vor alles um dich herum bewusst wahrnehmen, allerdings nicht in der Lage sein, körperlich zu reagieren oder dich dem Befehl eines Hexenmeisters zu verweigern. Nach einer Weile wird dein Bewusstsein lernen, alles mit Gleichgültigkeit zu betrachten. Ab dann gibt es nur noch glückseligen Gehorsam.«
Munro spuckte noch mehr Blut aus. »Mit anderen Worten: die Hölle. Warum bringt ihr mich nicht einfach um?«
»Dich umbringen?« Jels’ wachsame Augen blinzelten. »Der Zweck dieser Falle war, uns einen Ältesten der Lykae wie dich zu verschaffen. Zu unserem Entzücken haben wir dadurch erfahren, dass du einen feindlichen Überfall bei uns geplant hattest.«
Munro hatte gehört, dass die Vergessenen neue Lykae aus Menschen erschufen und diese tollwütigen Neulinge mit Magie beherrschten. Daher hatte er sieben seiner erfahrensten Kriegsherren für diese Mission um sich versammelt, auf der sie den Erzhexenmeister entführen wollten, um durch ihn an neue Informationen zu kommen und ihn als Druckmittel einzusetzen.
Jels hätte unmöglich noch stolzer aussehen können, als er fortfuhr: »Ja, und so haben wir umgehend die Nymphe Ariza ausgesandt, um dich durch eine ›Schwachstelle‹« – seine knochigen Finger malten Anführungszeichen in die Luft – »in unserer Grenze nach Quondam zu geleiten.«
Sobald sich Munro und seine Männer durch jenen Riss gequetscht hatten, waren sie so gut wie gefangen gewesen. Madadh hatte seine Bestie freigelassen und war unter die Kontrolle der Vergessenen geraten. Dann hatten die Hexer den gewaltigen Lykae dazu benutzt, um den Rest von Munros Mannschaft anzugreifen.
Damit hatten sie die Kriegsherren kalt erwischt. Denn diese entfesselten nun ihre Bestien – und wurden einer nach dem anderen zum Vasallen gemacht. Alle außer Munro, der nach einem Ausweg gesucht hatte. Wie üblich.
Ariza kannte er seit Jahren. Warum sollte sie ihn hintergehen? Was auch immer sie zu gewinnen gehofft hatte, hatte sie in die Katastrophe geführt. Die Hexer hatten auch sie ergriffen. »Da habt ihr euch echt Mühe gegeben«, sagte er zu Jels. »Warum wollt ihr denn unbedingt einen Lykae-Ältesten haben?«
»Deine Bestie ist ein unglaublich mächtiges Alphatier. Wir hätten tausend Ebenen über Dutzende von Zeitaltern absuchen müssen, um eine Bestie zu finden, die so stark ist wie deine.«
Zeitalter. Es wurde gemunkelt, dass die Hexenmeister über ein Tor verfügten, das es ihnen ermöglichte, sich durch die Zeit zu bewegen. Munro hatte verschiedene Theorien der Zeitreise studiert, in der Hoffnung, dieses Tor dazu zu nutzen, seine vor langer Zeit gestorbenen Eltern zu retten. Er würde alles tun, um Wills Schuldgefühle wegen ihres Todes zu lindern.
Alles, um seinen lebensmüden Zwillingsbruder zu retten.
Munro hatte in Erfahrung gebracht, dass man die Geschichte nicht ändern konnte. Aber man konnte Lebewesen in eine spätere Zeit versetzen, wenn man Zugang zu einem mystischen Tor hatte …
»Dein Biss wird Legionen neuer Sklaven für uns erzeugen«, fuhr Jels fort.
Sie wollten, dass Munro Menschen wandelte? Dass er unschuldige Sterbliche zu Jahrzehnten tollwütigen Wahnsinns – oder zum Tod – verdammte? Was für eine Perversion! »Der nächste Biss meinerseits wird dir die Kehle wegreißen. Ich schwöre, dass ich, wie auch immer, die Überhand über dich gewinnen werde. Bei allen Göttern, du wirst noch bereuen, dass du jemals meinen Weg gekreuzt hast.«
»Du kannst niemals gegen mich gewinnen, weil List und Tücke rohe Gewalt stets schlagen werden.« Jels’ selbstgefällige Miene begann dahinzuschwinden. »Du hast keine Ahnung, was auf uns zukommt, oder? Die Bedrohung, die uns allen ein Ende setzen kann – die Møriør! Aber die Vergessenen werden bereit sein. Wir werden nicht eher ruhen, bis wir eine Lykae-Armee aufgestellt haben, die uns außerhalb unseres Reichs beschützt. Bis wir genug schöne Nymphen geopfert haben, um unseren dunklen Gott zufriedenzustellen.«
Munros aufgeplatzte Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Du bist völlig durchgeknallt, du kleiner Mistkerl. Aber rede dir ruhig ein, was auch immer dir am besten hilft.«
Auf ein Nicken in Madadhs Richtung hin setzte sich der Mann erneut in Bewegung. Munro wappnete sich. Das wird jetzt wehtun …
Madadhs Klauen fuhren durch Munros Gesicht und zerstörten dessen rechtes Auge.
Munro unterdrückte einen Schrei. »Du befiehlst ihm, mich zu kitzeln?«, fragte er Jels. »Da musst du schon etwas Besseres aufbieten.«
Auf ein weiteres Nicken von Jels hin bückte sich Madadh und packte Munros Schenkel, bereit, den Oberschenkelknochen zu brechen. Scheißkerl!
»Warte«, befahl Jels, als sich ein weiterer Hexer in die Zelle stahl.
»Ormlo hat sich seinen Preis geholt«, flüsterte dieser Lakai Jels zu.
»Aber gewiss, er soll sie durch ein Portal hereinholen.« Der Lakai eilte davon, während Jels sich erneut Munro zuwandte. »Etwas Besseres aufbieten? Wie es scheint, ist mir genau das in diesem Moment möglich. Wir haben etwas erbeutet, von dem ich glaube, dass es dich sehr interessieren dürfte.« Bei seinem Tonfall sträubten sich Munro die Nackenhaare.
Jels trat an die Mauer und löste die Kette vom Haken, die seinen Gefangenen festhielt. Als der Zug auf Munros Arme nachließ, strömte das Blut in seine Gliedmaßen und löste eine Explosion des Schmerzes aus, die es mit der in seinem verstümmelten Gesicht aufnehmen konnte. Er kämpfte darum, sich auf den Knien zu halten, während er Jels in seiner eingeschränkten Sichtlinie behielt.
Er durfte keinesfalls darauf hoffen, Madadh zu schlagen, ohne seine eigene Bestie zu befreien. Aber er konnte zumindest Jels den Kopf vom Hals reißen. Munro spannte den Körper an, um anzugreifen –
Es öffnete sich ein Portal, aus dem zwei Lebewesen in die Zelle traten: ein Hexer und eine Frau mit rabenschwarzem Haar. Sie erschauderte, wirkte wie betäubt. Eine Sterbliche?
»Gut gemacht, Ormlo«, lobte Jels den Hexer. »Dein Team hat sie also herausgeholt.«
Ormlo war ebenfalls glatzköpfig; sein Schädel glänzte vor Schweiß. Seine Wangen waren dreckverschmiert, und er humpelte. »Nicht ohne Verluste unsererseits, Vater. Die Menschen steckten voller Überraschungen.«
Munro bekam nur am Rande mit, dass Ormlo Jels’ Sohn war, so sehr verzauberte ihn der Anblick der liebreizenden jungen Frau. Sie war in ein förmliches weißes Gewand gekleidet, hatte olivfarbene Haut, kupferfarbene Augen, und in ihre Mähne wilder, schwarzer Locken waren Blumen geflochten.
»Darf ich dir Kereny Codrina vorstellen«, sagte Jels zu Munro. »Du würdest nicht glauben, wohin – und wann – wir gehen mussten, um sie uns zu holen.«
Sie roch nach Feuer, Gewürzen und süßer Frau. Sobald er ihren himmlischen Duft wahrnahm, erstarrte Munros Körper, und seine Wirbelsäule richtete sich auf.
Ein Schock überkam ihn, als sein Lykae-Instinkt ein einziges Wort grollte: DEIN.
Nachdem er fast ein ganzes Jahrtausend gewartet hatte. Sie ist … die Meine. Die Worte seines Vaters drangen langsam in sein Bewusstsein: »Wenn du deine Gefährtin findest, fühlt es sich an, als ob die Götter die Hände ausgestreckt hätten, um dich zu berühren, als ob deine Seele gebrandmarkt worden wäre.«
Aye.
Doch ihre großen Augen wirkten zunehmend glasig, und sie begann zu schwanken. Auch wenn Munro sah, dass ihr Gewand nicht mit Blut befleckt war, spürte er, dass sie von Magie umgeben war. »Scheiße, was habt ihr getan?«, knurrte er, ehe er mit einem Satz auf sie zusprang.
Madadh rammte ihm den ausgestreckten Arm gegen die Kehle und rang ihn zu Boden.
Während Munro sich mit aller Kraft gegen den Griff seines Freunds wehrte, erklang noch einmal die Stimme seines Instinkts: DEINE GEFÄHRTIN STIRBT.
Die Bestie in ihm trieb ihn heulend an, sie für Kereny kämpfen zu lassen, doch Munro bezwang sie. Wenn Jels Munro zum Vasallen machte, bestände nicht mehr die geringste Hoffnung darauf, mit ihr zu fliehen, geschweige denn, ihr das Leben zu retten.
Als Ormlo sich von ihr löste, sank sie auf die Knie.
»Sieh.« Jels schob ihre Ärmel hoch, entblößte schwarze Adern, die sich von ihren Handgelenken aufwärts wanden. »Ihr Lebensblut verwandelt sich in Stein, wird ihr Herz innerhalb von Minuten erreichen. Wie mir gesagt wurde, gibt es keine schlimmere Folter.«
»Du hast sie verhext?« Vor Wut zog Munro den Brustkorb zusammen, doch da seine Hände nach wie vor gefesselt waren, konnte er Madadhs Griff nicht abschütteln.
Während die Schwärze langsam ihre Arme hinaufzog, verzerrte sich ihr Gesicht, und sie schrie auf.
»Was willst du, Hexer?«, stieß Munro hervor. »Ich tu’s! Was es auch ist!«
Jels schnalzte mit der Zunge. »Wenn du nur kooperiert hättest, hätten wir sie nicht von ihrer eigenen Hochzeit entführen müssen.«
Hochzeit? Doch darüber konnte Munro sich jetzt keine Gedanken machen. »Sag mir, verdammt noch mal, was ich tun soll, um sie zu retten.«
»Dir bleibt nur wenig Zeit, Lykae. Sie schwindet dahin, so wie die Nacht den Tag auslöscht. Ich schlage vor, sie mit einem Biss zu töten. Das ist sehr viel weniger schmerzhaft als Ormlos Zauber, und womöglich steht sie ja tatsächlich als eine Lykae wieder auf.« Er wandte sich zur Tür. »Auch wenn das bei Frauen nur selten der Fall ist«, bemerkte er über die Schulter hinweg. Als Jels mit den Fingern schnippte, ließ Madadh Munro los und verließ die Zelle zusammen mit den beiden Hexern.
Noch ehe sich die Zellentür mit lautem Scheppern hinter ihnen geschlossen hatte, hatte Munro sich erneut mit einem Satz zu ihr begeben. »Kereny, mein Name ist Munro MacRieve. Ich werde dir helfen.« Er vermochte sich kaum vorzustellen, wie sein verstümmeltes Gesicht mit dem fehlenden Auge aussah. »Bleib einfach nur bei mir.« Er schlang die gefesselten Arme um ihren Körper, konnte ihr Schaudern spüren, als sie von einer weiteren Welle des Schmerzes erfasst wurde.
Seine Gedanken wanderten zu einem anderen Menschen, um den er vor langer Zeit getrauert hatte. Sterbliche gehen so leicht zugrunde. Soll ich denn noch jemanden verlieren?
Nein! »Ich werde dich nicht sterben lassen.« Doch die Schwärze verbreitete sich weiter in ihren Adern, würde seine geheimnisvolle Frau innerhalb weniger Momente verenden lassen.
Munro blieb nur eine einzige Möglichkeit, sie zu retten – indem er sie wandelte. Doch dazu würde er seine Bestie entfesseln müssen und Jels’ gehorsamer Schoßhund werden.
Bittere Galle stieg in ihm auf, doch Munro würgte sie hinunter. Er zog sie näher, um sie zu wärmen, sie – und sich selbst – vorzubereiten. Nie zuvor hatte er versucht, einen Menschen zu wandeln. Er rieb das Kinn an ihren schmalen Schultern, atmete diese Frau, seine Frau, tief ein. Ihr Duft half ihm, seine Panik in Schach zu halten.
Sein ganzes Leben lang hatte er sich vorgestellt, in den zarten Hals seiner Gefährtin zu beißen, um ihr sein wölfisches Zeichen aufzudrücken, dass sie die Seine war. Aber dieser Biss jetzt, um sie zu wandeln, würde Welten davon entfernt sein.
Von dem einen Biss hatte er geträumt, der andere war unnatürlich.
Sie redete mit gedämpfter Stimme. »Ich weiß, was du bist, Wolf. Tu mir das nicht an.«
Ihre Worte waren von einem Akzent geprägt, den er nicht einordnen konnte. Osteuropäisch?
Sie drehte ihm den Kopf zu. »Trotze den Hexern. Trotze ihrem Bösen.«
»Ich werde alles tun, um dich zu retten. Du bist meine Gefährtin.«
»Gefährtin?« Sie klang entsetzt. »Aber wie kannst du dann nur daran denken, mich derart zu quälen? Infiziere mich nicht mit diesem Ding in dir.«
»Ich werde mich um dich kümmern, dich lehren, es zu beherrschen.« Falls sie wiederauferstand, würde sie rasend von der Wildheit erwachen, die sich unkontrollierbar in Neulingen aufbäumte. Es brauchte Jahrzehnte, diese Bestie zu zügeln, und war selten erfolgreich. Dies würde für eine halbe Ewigkeit seine letzte Unterhaltung mit Kereny bleiben.
Es sei denn, sie würde nicht wiederauferstehen.
»Meine Art verehrt die Freiheit.« Ihr liefen Tränen die Wangen hinab. Sie war so süß und unschuldig. So zart. »Ormlo hat mir erzählt, welches Schicksal mich erwartet, sollte ich wiederauferstehen. Du würdest deine Gefährtin also in … die Sklavin eines Hexers verwandeln?«
»Du wirst keine Sklavin sein! Ich werde dich von diesem Ort fortbringen.« Irgendwie. Er schob ihr Haar mit seinem zerfleischten Gesicht von ihrem Hals, während er damit begann, die Kontrolle über seine Bestie aufzugeben. Rette sie, Bestie. Beiß sie mit aller Kraft.
Kereny versuchte, Widerstand zu leisten, doch sie hatte keine Kraft mehr. »Überlass mich einem ehrenvollen Tod.«
»Das kann ich nicht, Kereny. Du wirst wiederauferstehen. Verstehst du mich? Du musst zu mir zurückkehren!« Meine Bestie ist stark. Sie wird einen Feuersturm in ihr entfachen.
»Wenn du das tust, werde ich dich verachten«, schwor sie. »Dann wirst du trotz allem keine Gefährtin haben.«
Sein Instinkt kreischte: KEINE ZEIT MEHR! »Dann werde ich die Ewigkeit damit verbringen, mir deine Vergebung zu verdienen.«
»Du würdest mich in ein Tier verwandeln?«, stieß sie zwischen keuchenden Atemzügen hervor. »Mich zur Sklavin derer machen, nach deren Tod ich mich sehne? Dafür gibt es keine Vergebung.«
Munros Klauen und Fänge wurden länger, sein Körper verformte sich. »Schließe deine Augen für mich.«
Stattdessen richtete sie ihren Blick auf sein Gesicht. Hartgesottene Vampire zogen beim Anblick der Bestie eines Lykae den Kopf ein. Sie stieß ein Keuchen aus, doch wandte den Blick nicht ab. »Ich f-flehe dich an … nein.«
»Und ich flehe dich an, zu mir zurückzukehren, Kleines«, stieß Munro mit kehliger Stimme hervor.
Mit einem urtümlichen Schrei übernahm die Bestie die Kontrolle. Munro, der nur noch im Hintergrund existierte, nahm wahr, dass sein Kopf nach vorne schnellte, sich seine Fänge in die zarte Haut ihres Halses bohrten.
Ein Schluchzen entrang sich ihren Lippen, während sie sich in Todesqualen wand. Ihr Herzschlag verlangsamte sich. Da-damm … da-damm …
Die Bestie knurrte, an ihre sich abkühlende Haut gedrückt, injizierte ihre Essenz. Entzünde das Feuer in ihr, Bestie!
Während Kereny im Todeskampf erschauderte, zog sie die Bestie mit ihren Pfoten näher an sich heran, wiegte sie, ließ Blut auf ihr Hochzeitsgewand tropfen.
Die Bestie zog sich zurück, nur um ihre Fänge erneut in sie zu vergraben. Und noch einmal. Zwischen den ungestümen Bissen heulte sie laut auf.
Nur undeutlich war sich Munro Jels’ Lachen außerhalb der Zelle bewusst. Dann begann der Hexer mit seiner Beschwörung. Schmutzige Energie sammelte sich um Munro, als Jels anfing, dessen Bestie an die Leine zu legen.
Kerenys Körper sackte in sich zusammen. Damm … damm … Stille.
Als ihr Herz stillstand, löste die Bestie ihren Biss. Sie warf den Kopf zurück und brüllte, bis der Kerker erbebte, und verstummte erst, als sich Kerenys Lippen öffneten.
Kurz bevor Munro dem Vasallenzauber erlag, tat sie ihren letzten Atemzug, der ihre letzten Worte mit sich brachte: »Ich … hasse … dich …«
Fünf Tage später
Sie ist fort. Munro stand am Rand einer Säuregrube tief unter Quondam. Ormlo, sein Hexer-Gefängnismeister, hatte ihm befohlen, Kerenys Leiche in die Tiefen des Kerkers zu tragen, um sich ihrer zu entledigen.
»Es sind mehr als drei Tage vergangen«, bemerkte Ormlo hinter ihm. »In unserer gesamten Geschichte ist kein Sterblicher jemals nach drei Tagen als Lykae wiederauferstanden.«
Munro brauchte weder seinen Instinkt noch den Hexer, um ihm zu sagen, dass Kereny nicht zurückkommen würde. Er spürte es. Er wusste es. Das Lykae-Feuer hatte sich ihrer nicht bemächtigt.
Leblos lag sie in Munros Armen. Ihr Hals war von seinen Bissen übersät. Ihre Glieder waren im Tode und durch Ormlos Zauber erstarrt, ihr Körper glich einer Statue.
Meine Gefährtin ist tot. Sein Blick wanderte über sie hinweg, nahm die getrockneten Blumen wahr, die in ihre rabenschwarzen Locken geflochten waren … den Saum ihrer Wimpern, die für immer auf ihren Wangenknochen ruhen würden … ihre bleichen Lippen.
Wenn Ormlo ihm nicht gerade befohlen hatte, andere Sterbliche zu beißen, hatten die Hexer Munro mit ihr in seiner Zelle allein gelassen. Er hatte sich die Konturen ihres zarten Gesichts eingeprägt und ihr Haar gestreichelt. Er hatte ihre winzigen Hände erkundet.
Ihre Fingerkuppen waren mit dünnen Narben übersät. Während er sie gehalten hatte, hatte er diese Narben liebkost, sich gefragt, ob sie nicht vielleicht eine Schneiderin gewesen sei. Und aus welcher Ära hatten die Hexer sie wohl entführt? Fragen über Fragen waren ihm durch den Kopf geschwirrt, ohne jede Antwort und mit schwindender Hoffnung.
Mit jedem Tag, an dem seine ihm vom Schicksal beschiedene Frau nicht wiederauferstanden war, war etwas in Munro mit ihr gestorben. Sein Körper war von den schlimmsten Folgen der Folter geheilt, aber sein Geist …
»Machen wir uns nichts vor, du hast versagt«, fügte Ormlo hinzu und rieb damit Salz in eine tödliche Wunde. »Dein Biss hat sie getötet, anstatt sie zurückzubringen.«
Munro wünschte, er könnte diese letzten Momente mit ihr allein verbringen, aber aus ihm war ein versklavter Vasall geworden. Er bekam nichts von dem, was er sich wünschte. Und da wunderten sich die Mythianer, warum Lykae Magie dermaßen hassten? Werwölfe waren die stärkste empfindungsfähige Spezies im Reich der Sterblichen, und doch konnte dieses schwächliche Klappergestell von einem Mann einen Krieger wie Munro beherrschen.
»In die Säure mit ihr. Sei ein braver Hund.«
Ich kann sie doch nicht wegwerfen wie Abfall! Er widersetzte sich mit all seiner geistigen Kraft, doch seine Finger begannen bereits, den klammernden Griff um ihre Leiche zu lösen. Nein! Kämpfe dagegen an!
»Worauf wartest du noch?«, erkundigte sich Ormlo mit herrischem Ton. »Lass sie fallen.«
Kämpfe! Bei jedem von Munros keuchenden Atemzügen raschelte die Spitze an ihrem Hochzeitskleid. Schsch-schsch.
Ormlo trat näher an ihn heran. »Ich sagte, sei ein braves Hündchen und sieh zu, wie sie kocht.«
Munro zitterte immer stärker. Schsch-schsch-schsch-schsch. Dennoch spürte er, wie sich seine Arme senkten.
Er konnte nur fassungslos zusehen, wie Kereny in die Säure stürzte und mit einem grauenhaften Platschen auf die brodelnde Oberfläche traf. Neiiin! Er spannte sich an, bereit, sie zurückzuholen.
»Ah-ah, keinen Zentimeter weiter.«
Sein Körper gehorchte seinem Verstand nicht. Wie eine hilflose Marionette stand er daneben, während die Säure ihre Haut schmelzen ließ, bis er das Weiße ihrer Knochen sah. Ihre leblosen Augen öffneten sich blitzartig und starrten ins Nichts, ehe sie vollständig versank.
Die Hexer hatten eine Frau voller Leben genommen und sie vernichtet. Dieses Höllenloch würde ihre letzte Ruhestätte sein.
Verzweiflung überkam ihn, und er sah nur noch verschwommen. Lykae waren davon überzeugt, dass Gefährten zwei Hälften eines größeren Ganzen waren. Ohne sie fehlte seiner Existenz jeder götterverdammte Sinn.
Wohin auch immer deine Gefährtin geht, dorthin gehst auch du. In Munros Kopf hallten die Worte seines Vaters wider. Gesprochen, kurz bevor er sich seiner eigenen geliebten Gefährtin im Jenseits zugesellt hatte.
Jetzt stand er am Rand dieser Grube, nur einen Schritt davon entfernt, sich Kereny anzuschließen. Unfähig, ihr zu folgen, spürte er, wie sein Verstand dahinschwand. Ihn zu verlieren würde bedeuten, seinen Schmerz zu verlieren. Könnte in diesem Moment irgendetwas verführerischer wirken?
Doch noch im Schatten des drohenden Wahnsinns suchte Munros rationaler Geist nach einem Ausweg. Verfügte er nicht über eine Option, die sein Vater nicht besessen hatte? Munro wusste von seiner Erforschung der Zeitreise, dass man die Geschichte nicht ändern kann, was bedeutete, dass die ursprüngliche Kereny in ihrer Zeit immer noch existierte.
Und gegenwärtig befand Munro sich in einem Land von Zeitreisenden. Er könnte Ormlo zwingen, ihn zurückzuschicken, um sie zu holen.
In jener nebulösen Vergangenheit war sie verletzlich und bereits Hexern zum Opfer gefallen. Was, wenn sie sie noch einmal raubten? Was, wenn eine andere Katastrophe ihrem sterblichen Leben ein zu frühes Ende setzte?
Kummer verwandelte sich in das ungestüme Bedürfnis, sie zu beschützen. Zu genau diesem Zweck war Munro auf die Welt gekommen. Alles, was er tun musste, war, eine mystische Verbindung zu kappen, einen Zauber zu überwinden, den diese Hexerschweine im Laufe von Jahrtausenden perfektioniert hatten.
Der Vasall funktionierte, weil sich seine Bestie erhoben hatte. Was, wenn sie sich in unermesslichem Zorn erhob, bis sie keine Leine mehr halten konnte? Eine Flamme konnte verletzen, aber wenn sie heiß genug war, konnte sie Dinge auch vollständig zerstören. Die Bestie lebte von Emotionen. In Munro brodelte eine starke Emotion.
Wut.
Er besaß bereits genug Wut aus mehreren Lebenszeiten – von sämtlichen Erfahrungen, die ihn geformt hatten. Wut über den Mord an seiner Gefährtin. Über die Enthauptung seiner Mutter und den Selbstmord seines Vaters vor einigen Jahrhunderten. Über den Ruin seines Bruders.
Doch wenn Munro seine Bestie mit Wut fütterte, würde sie womöglich so stark werden, dass er nie wieder die Kontrolle über sie gewinnen würde.
Ein Risiko, das er würde eingehen müssen.
»Braves Hündchen«, sagte Ormlo. »Und jetzt lass uns noch ein paar Sterbliche beißen. Ich glaube, du hast dich bei deiner Gefährtin verausgabt, weil keiner von deinen Gebissenen wiederauferstanden ist. Aber wir werden damit fortfahren.«
Munros Augen wurden schmal. Du möchtest an eine mächtige Alpha-Bestie gefesselt sein? Dann stell dich mal auf einen verflucht wilden Ritt ein, Hexer.
Er rief die Kreatur an und öffnete die Schleusen, ließ zügellose Wut wie diese faulige Säure emporkochen. Erhebe dich, Bestie, wie noch nie zuvor.
Und dann würde Munro diesen Ort in Schutt und Asche legen, bis er sich mit Kereny wiedervereinigt hatte. Selbst die Zeit konnte ihn nicht davon abhalten, sie zu erreichen.
Wohin auch immer deine Gefährtin geht …
Gelände des Circul Vânătorilor (Zirkus der Jäger), Transsilvanien
Vor einem Jahrhundert
»Ich will«, sagte Jacob Howard. Seine stolzen grünen Augen leuchteten im Licht des großen Zirkuszelts, als er sein Eheversprechen gab.
Rens Verlobter war eine auffällige Erscheinung in seinem dreiteiligen Anzug und mit dem blonden, zu einem Zopf gebundenen Haar. Man konnte nicht erkennen, dass in einem Holster unter seiner Jacke ein Paar Revolver steckten.
Seine Hände fühlten sich warm an.
Alfonso, der Geistliche und Ausrufer des Zirkus, fragte sie: »Kereny Codrina, nimmst du diesen Mann …« Seine Worte drangen wie aus weiter Ferne an ihr Ohr, als sie ein Déjà-vu überkam.
Verdammt, nicht noch mal. Sie hatte sie schon den ganzen Abend über erlebt. Sie hatten so viel Arbeit in diese Hochzeit gesteckt, und sie wollte sie jetzt nicht verderben.
Kereny hatte sich besondere Mühe mit ihrem Aussehen gegeben, ihr Haar gekämmt, bis es glänzte, und dann Blumen in die langen Wellen geflochten. Ihr bodenlanges weißes Kleid war das Hochzeitskleid ihrer Mutter gewesen, im traditionellen transsilvanischen Stil gestaltet, mit weiten Ärmeln, Spitzenmanschetten und zwei förmlichen Schürzen.
Die Köche des Zirkus hatten den ganzen Tag über an dem Festmahl gekocht. Heute Abend würde der Alkohol fließen, und Musiker würden aufspielen. Ein letztes Hurra vor dem Kampf.
Die meisten Mitglieder des Circul Vânătorilor waren zum Teil Schausteller, zum Teil Jäger – unerschrockene Soldaten mit losem Mundwerk im Nachtkrieg der Menschheit gegen die Ungeheuer. Sie alle hatten sich aus der ganzen Welt hier im ausgedehnten Verfluchten Wald versammelt, angezogen von Erzählungen über menschliche Freiheitskämpfer, die tief in den Karpaten den Spieß umdrehten. In letzter Zeit waren viele gekommen, um an der Seite einer transsilvanischen jungen Frau zu kämpfen, die für Unsterbliche zur Gevatterin Tod geworden war.
Aber die morgige Schlacht würde eine der größten Herausforderungen in der vierhundertjährigen Geschichte des Zirkus werden.
Und Ren würde sie alle anführen.
Sie atmete den Duft der Sägespäne ein, die den Boden der Zirkusmanege bedeckten. Dieser Kiefernduft stärkte sie immer wieder.
»… von diesem Tage an zu deinem rechtmäßig angetrauten Ehemann nehmen, bis dass der Tod euch scheidet?«
Alle schienen sie anzustarren. Die sanfte Wanda, die sechsundneunzigjährige Wahrsagerin, räusperte sich, gerade als Jacob Rens Hand drückte.
Ah! »Ich will!«
Sorgenvolle Falten erschienen auf Jacobs Stirn, doch sie setzte ein strahlendes Lächeln auf. Sie wollte diese Heirat unbedingt.
Das erste Mal hatte er sie gefragt, ob sie ihn heiraten wolle, als er neun und sie dreizehn Jahre war, und ab dann alle paar Monate. Sie fand, er sei zu jung für sie, wie ein kleiner Bruder. Doch im Laufe der Jahre war aus dem goldigen Jungen ein attraktiver Mann geworden.
Ihre rechte Hand. Während sie den Zirkus leitete und das Training von Artisten und Jägern überwachte, war er ihr Kontakt zu den Waffenhändlern.
Vor einem Jahr hatte sie ihm endlich das Jawort gegeben, und sie hatten dieses Datum festgesetzt. Jetzt weigerten sie sich, die Zeremonie zu verschieben, nur weil ein tödliches Rudel von Lykae-Neulingen auf dem Weg hierher war.
Eine weitere Welle von Déjà-vus stieg in ihr auf. Sie wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie hätte schwören können, dass sie diesen Moment schon einmal erlebt hatte.
Als Ren wieder in der Gegenwart landete, hatte Jacob ihr einen Ring an den Finger gesteckt. Für ihren Geschmack war der Ring einen Hauch zu auffällig, aber er hatte ihrer Mutter gehört, einer Grande Dame aus Britannien, einem Ort, von dem Ren wusste, dass sie ihn niemals zu sehen bekommen würde.
Alfonso verkündete feierlich in seinem italienischen Akzent: »Kraft meines Amtes erkläre ich euch nun zu Mann und Frau. Du darfst die Braut jetzt küssen.«
Während sie sich auf die Zehenspitzen stellte, wünschte sie sich, ihre Eltern hätten hier sein können. Sie wünschte sich, dass keine Ungeheuer mit jeder Sekunde näher kämen.
Jubel brach aus, als ihre Lippen die von Jacob berührten. Sie seufzte. Seine beruhigenden Küsse waren immer ein Vergnügen. Doch Gentleman, der Jacob war, hatte er dafür gesorgt, dass die beiden nie zu weit darüber hinausgegangen waren.
Er legte den Kopf auf die Seite, wurde stürmischer. So süß und angenehm. Sie wünschte, sie könnte sich in diesem Kuss verlieren, doch ein Gefühl des Gewahrwerdens ließ sie sich anspannen. Ein paar Sekunden später schlugen die Lagerhunde Alarm. Die Löwen und Bären brüllten in ihren Käfigen.
Während der Jubel im Zelt erstarb, wich sie mit gerunzelter Stirn von Jacob zurück. Laut Vorhersage sollte das Neulingsrudel nicht vor morgen Abend eintreffen.
Die Tiere verstummten auf einmal, und die Luft stand still. Wagte es eine andere Bedrohung, sich dem Zirkus zu nähern? Während sie lauschte, blickte sie in die Gesichter der von ihr geliebten Menschen.
Wanda, eine gebürtige Transsilvanierin wie Ren, stand Arm in Arm mit Puideleu, einem älteren Löwenbändiger aus dem Kongobecken. Die beiden waren seit vielen Jahren unzertrennlich und für Ren wie Großeltern. Der schwedische Kraftmensch Björn und die russische Pudeltrainerin Olga waren die Geschwister, die sie nie gehabt hatte. Jacob war lange ihr bester Freund gewesen.
Als sie nichts Ungewöhnliches hörte, fragte Ren Puideleu: »Wie war der Status beim letzten Check-in der Kundschafter?« Ihre Außenposten waren in allen Richtungen über den Wald verteilt.
»Jede Station hat Entwarnung durchgegeben, ehe die Zeremonie begonnen hat.«
Sie entspannte sich ein klein wenig. Ihr Überwachungsnetz hätte nicht übersehen, wenn eine größere Gruppe in ihr Gebiet eingefallen wäre. »Vielleicht haben wir Kobolde, die ihre Tunnel in Richtung Oberfläche bauen. Wahrscheinlich treibt sie der Duft vom Kochzelt in den Wahnsinn.«
»Wie uns alle!« Wanda hob ihren krummen Finger und verkündete mit strahlendem Blick: »Diese kleinen Quälgeister können das Rinderhack haben, aber sie sollten lieber die Finger von unserem Pflaumen-Brandy lassen.«
Es wurde gelacht.
Puideleu tätschelte Wandas Hand und lachte mit ihr. Die Wahrsagerin grinste breit. Es sah so aus, als ob sie bereits vom Brandy gekostet hätte. Ren hatte schon darüber nachgedacht, ob sie mit ihrer geliebten Freundin über deren Trinkfreude reden sollte, aber die Frau war fast hundert und die Einzige ihrer Familie, die eine Zentauren-Stampede vor fünfzig Jahren überlebt hatte.
Prost, Wanda. »Nur um auf der sicheren Seite zu sein, lasst uns die Späher jede Viertelstunde anfunken …«
Die große Zeltklappe flog auf. Ein Riese ohne Hemd kam hereingehinkt. Seine breite Brust hob und senkte sich heftig.
Wer zur Hölle ist das? Der Fremde war sicherlich an die zwei Meter zehn groß und hatte blasse Haut, die mit etwas bedeckt war, das wie Blut aussah. Sein Haar war damit getränkt, und die getrocknete rote Flüssigkeit verbarg seine Gesichtszüge. An seiner bulligen Gestalt war nicht ein Gramm Fleisch zu viel, seine Muskeln bewegten sich deutlich sichtbar. Eine mit Rissen übersäte Lederhose hing an seinen schmalen Hüften.
Mit diesen leuchtenden, eisblauen Augen und schwarzen Klauen musste er ein Lykae sein. Was, wenn er mit der sich nähernden Bedrohung verbunden war?
Sie legte den Kopf auf die Seite. Nein, er war kein Neuling. Diese Kreaturen kehrten niemals zu ihrer eher menschenartigen Hälfte zurück, während die innere Bestie – der Geist des Wolfs, der in jedem Lykae lebte – sich nicht vollständig erhoben hatte.
Ren hatte noch nie einen Lykae gesehen, der kein Neuling war. Er wirkte beinahe menschlich. Und aus irgendeinem Grund starrte er sie an, als ob er einen Geist sähe.
Lykae waren nicht an sich böse – im Gegensatz zu Hexern und Vampiren –, aber dieser war offensichtlich aggressiv.
Jacobs Hand wanderte unauffällig zu einem seiner Revolver. Puideleu zog einen verborgenen Degen aus seinem Stock. Auch andere Jäger bereiteten sich lautlos vor.
Aber Ren besaß die einzige Waffe, die imstande war, diesen Lykae zu besiegen. »Stopp«, befahl sie flüsternd auf Rumänisch.
Die Jäger erstarrten.
Während sie den Lykae einschätzend musterte und über die beste Strategie nachdachte, blieb sein Blick unverwandt auf sie gerichtet. Sein über sie alle aufragender Körper strahlte ungeheure Macht aus. Sie kämpfte seit Jahren gegen Ungeheuer, aber noch nie war sie sich der Stärke eines von ihnen derart bewusst gewesen.
Die Luft zwischen ihnen knisterte. Auch wenn sie unter all dem Blut seine Züge nicht so recht ausmachen konnte, empfand sie seine Macht – ja, sein ganzes Wesen – als bezwingend. Als ein Schauer nach dem anderen über ihre Haut raste, fragte sie sich, ob sie dabei war, den Verstand zu verlieren.
Seine Fänge und Klauen begannen zu wachsen, und er ballte die Hände zu Fäusten – als ob er kurz davorstände, sie zu ergreifen.
»Ich kann ihn von hinten angreifen, Chefin«, sagte Björn in gebrochenem Rumänisch.
Ein Mensch sollte einen Lykae hinterrücks überwältigen? Unmöglich. Sie antwortete flüsternd in derselben Sprache: »Verpiss dich, Björn. Der gehört mir. Ein Monster wagt es, meine Hochzeit zu unterbrechen? Er wird den Biss meiner Klinge spüren.« Ihr verzaubertes Jagdmesser steckte in ihrem Oberschenkelholster.
Björn zog sich mit einem Nicken zurück. Die anderen warteten auf ihren nächsten Schritt. Normalerweise würde sie ihren Gegner auf der Stelle außer Gefecht setzen, aber sie wollte drei Dinge wissen: woher dieser Mann kam, ob er eine Verbindung mit dem Neulings-Rudel hatte und mit wie vielen der Zirkus noch rechnen musste.
Außerdem hätte sie nichts dagegen, zu erfahren, warum er sich ausschließlich auf sie konzentrierte. »Sprichst du Englisch, Fremder?«
Seine Lider wurden schwer, als ob ihre Stimme Musik für ihn wäre. »Am Leben. Du bist … am Leben?«
Sie seufzte. »Ist das denn irgendjemand von uns wahrhaftig?«
Guzmán, der brasilianische Schlangenmensch, lachte leise. Trish, die Tänzerin aus Amerika, kicherte. Wanda schien von diesem Fremden fasziniert zu sein, ihre Augen waren vor Aufregung weit aufgerissen.
Doch der Lykae schien die Reaktionen der anderen gar nicht wahrzunehmen.
Ren fragte ihn: »Woher kommst du?« Portal, Wald oder Dorf?
»Du könntest ein Traum sein.« Seine Stimme war tief und rau, sein Akzent ausgeprägt schottisch. »Ein süßer Traum.« Er sprach zu ihr, als ob sonst niemand existierte. »Noch nie habe ich etwas so Schönes gesehen.«
Seine Worte ließen sie unangebrachterweise vor freudiger Erregung zusammenzucken, aber sie wollte Antworten. »Warst du mit den Neulingen im Wald?« Dieses Rudel bahnte sich seit Wochen seinen Weg durch den Verfluchten Wald, ohne auch nur einmal von seinem Kurs in Richtung des nahe gelegenen, bewohnten Tals abzuweichen. Der Zirkus hatte seine Zelte an der Mündung des Tals aufgeschlagen, eine letzte Verteidigungslinie, um die unschuldigen Menschen zu beschützen, die keine Ahnung hatten, dass ihr Leben in Gefahr war.
»Neulinge?« Der Fremde wirkte noch verwirrter. »Nein. Ich komme von … sehr weit her, um zu dir zu gelangen. Ich habe mir meinen Weg zu dir zurück erkämpft, Kereny.« Woher wusste er ihren Namen? Mit seinem Akzent klang es wie Care-nay. »Ich habe mir eingeredet, ich würde bloß nach dir sehen. Sichergehen, dass du beschützt bist.« Sein Blick zuckte in Richtung Wald und zurück. »Das bist du verdammt noch mal nicht.«
»Was für ein Interesse hast du an einer Sterblichen wie mir?«
»Du bist mein.« Er schlug sich mit der Faust auf die Brust. »Meine Gefährtin.«
Ihr klappte der Unterkiefer herunter. »Gefährtin?« Er ist wahnsinnig!
Jacobs Anspannung verdoppelte sich, und unter den Jägern brach leises Murmeln aus.
Wie konnte es diese Bestie wagen, Ren vor allen anderen so herabzuwürdigen! Sie war noch entschlossener als zuvor, ihn zu bezwingen und ihren zahlreichen Siegen hinzuzufügen.
»Aye. Ich werde dich in mein Heim in Louisiana mitnehmen.«
Was für eine Unverfrorenheit! »Und wenn ich nicht wünsche, mitgenommen zu werden?«
»Das wäre wirklich zu schade.« Er holte tief Luft, als ob er seine Wut unterdrücken wollte. »So nahe an einem Wald wie diesem bist du nicht sicher. Ich allein kann dich beschützen.« Sein Blick wanderte zu ihrem frischgebackenen Ehemann. Er schien vor Eifersucht zu schäumen. »Sie gehört mir«, knurrte er. Er wirkte so, als ob er Jacob am liebsten in Stücke gerissen hätte.
Die Zeit für Fragen war vorüber. »Wolf! Augen auf mich. Jetzt.« Für gewöhnlich sorgte ihre autoritäre Stimme dafür, dass die Leute ihr umgehend gehorchten.
Der Lykae wandte seine Raubtieraugen nicht eine Sekunde von Jacob ab. Er wurde nur gespenstisch ruhig; jede einzelne Sehne in seinem Körper schien angespannt, bereit, loszuschlagen.
»Ich werde es dir nicht noch einmal sagen« – sie klatschte in die Hände –, »Augen auf deine Gefährtin.«
Der Wolf blinzelte, als ob er aus einer Betäubung aufgewacht wäre. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder ihr zu.
»Schon besser.« Sie täuschte ein verführerisches Lächeln vor, entschlossen, sein Interesse festzuhalten, bis sie ihr Messer erreichte. Als routinierte Zirkuskünstlerin konnte sie alles spielen, vom unschuldigen Lockvogel bis hin zur provokativen Femme fatale. Jetzt entschied sie sich für Letzteres.
»Wenn ich die dir vom Schicksal bestimmte Frau bin«, schnurrte sie, »solltest du schon mal einen Vorgeschmack darauf bekommen, wie ich bin.« Sie beugte sich vor und ergriff den Saum ihres Kleides. Langsam zog sie den Stoff nach oben, über die Schuhe, an ihren Waden vorbei, näher an ihr Holster heran.
Bei ihren Auftritten als Messerwerferin trug sie verwegene Kostüme, daher sorgte sie dafür, dass ihre Beine stets glatt waren. Der Lykae schien den Anblick sehr zu genießen. Sein Mund öffnete sich, und in seinen blauen Augen leuchtete die pure Lust.
Seine Faszination für ihren Körper rief in ihr eine berauschende Mischung aus Angst und Erregung hervor. Doch sobald ihre Fingerspitzen den Griff ihres Messers streiften, war sie ganz Konzentration. »Willst du mehr von mir?«, fragte sie mit kehliger Stimme.
Seine Brauen zogen sich zusammen, als ob sie ihm unerträgliche Lust verursacht hätte. Er schien gar nicht anders zu können, als zu nicken.
Er sah den Dolch, den sie warf, nicht, ehe der Griff aus seiner Brust ragte. Volltreffer. Direkt ins Herz.
Sie zwinkerte ihm übermütig zu. »Erwischt.«
Finster blickte er auf das Messer. Riss es heraus und warf es beiseite. »Ein Witz? Du weißt, was ich bin.« Er verzog die Stirn, als seine Beine zu versagen begannen. »Es braucht schon mehr als einen Splitter … um einen Lykae … umzuhauen.«
»Darum ist meine Klinge ja auch mit einem Zauber belegt, der dich bewusstlos macht.« Das Messer, das sie über die Linie ihrer Mutter geerbt hatte, würde einen Unsterblichen für einige Stunden handlungsunfähig machen.
»Kereny?«, stieß er mit rauer Stimme und bebendem Körper völlig verdutzt aus. Care-nay?
»Ich verpaare mich nicht mit deiner Art, ich jage sie. Das tun wir alle. Und wir sind darin ziemlich gut.« Sie wusste, dass ihre Miene erbarmungslos war. »Ein Hoch auf das Ende deines Lebens, Monster. Du wirst niemals wieder aufwachen.«
Seine Ungläubigkeit war ihm deutlich anzusehen, als er auf die Knie sackte. Als es ihm nicht gelang, sich wieder aufzurichten, warf er den Kopf in den Nacken und brüllte vor Frustration – ein herzzerreißendes, ohrenbetäubendes Brüllen.
Es schmerzte in ihren Ohren und traf ihren Bauch wie ein Schlag. Draußen stimmten die Löwen in sein Gebrüll ein, und die Bären knurrten aufgebracht. Die Pferde in ihrem Gehege wieherten vor Angst.
Endlich verstummte er. Seine Schultern gaben nach. Nach einem letzten tief verletzten Blick auf sie brach er in einer Wolke von Sägemehl nach hinten zusammen.
Bewusstlos.
Jacob und sie wechselten einen beklommenen Blick. Die Blicke der Jäger zuckten hin und her. Es waren mutige Frauen und Männer, aber dieser animalische Schrei musste den ganzen Wald geweckt haben. Würde er die Neulinge früher hierherbringen?
Ren gab sich forsch. »Das Bankett wird warten müssen«, verkündete sie. »Björn, funk die Späher an, sie müssen in Alarmbereitschaft sein, und richte eine Wache um das Zirkusgelände herum ein. Sechs Jäger in jeder Richtung.«
»Ja, Chefin.« Er eilte davon.
Ren holte sich ihr Messer und wischte die blutige Klinge an der Hose des Lykae ab. Auch wenn sie schon alle möglichen Arten von Mythianern, wie sich die Unsterblichen nannten, gejagt hatte, tötete sie nicht so oft solche, die wie Menschen aussahen. Trotzdem … »Leiht mir jemand ein Schwert?«
Der Klang eines Dutzend Waffen, die aus ihren Scheiden gezogen wurden, erfüllte das Zirkuszelt.
»Wenn wir den Lykae hier köpfen, wird das eine schmutzige Angelegenheit«, sagte Jacob.
Stimmte. Enthauptete Unsterbliche ließen das Leben oft nur langsam los, was Hinrichtungen zu einer ziemlich blutrünstigen Sache machte. Bestenfalls würde das Blut meterweit aus der Halsschlagader der Kreatur spritzen und alle Anwesenden durchtränken. Schlimmstenfalls konnte ein kopfloser Mythenweltbewohner noch einen anderen in den Tod mitnehmen.
Während sie noch darüber nachdachte, was sie tun sollte, warf Ren ihr Messer geistesabwesend mit einer Hand hoch und ließ es durch die Luft wirbeln; eine Abfolge von Bewegungen, die sie noch im Schlaf beherrschte. »Also gut. Bringt ihn zum Graben.«
»Das war die beste Hochzeit, die ich je erlebt habe!« Wandas Grinsen ließ ihre Augen leuchten. »Und was für ein aufregendes Unterhaltungsprogramm.«
Das Zelt hatte sich geleert, sodass nur noch Ren, Jacob, Wanda und Puideleu übrig blieben.
Auch wenn Rens Nerven verrücktspielten, als sich die vier nun auf den Weg zum Ausgang begaben, schenkte sie Wanda ein warmes Lächeln. »Puideleu wird dich jetzt zu deinem Wagen zurückbegleiten. Ihr beide fahrt morgen früh.« Ren hatte befohlen, das Zirkusgelände vor der Schlacht zu evakuieren.
Puideleu nickte. Die Falten in seinem Gesicht vertieften sich, als er in die stürmische Nacht hinausspähte. »In den Wäldern regt sich etwas.«
Der Wind wehte böig, sodass die großen Bäume, die das Zirkusgelände umgaben, schaukelten. Doch Puideleu bezog sich nicht auf das Wetter.
Der Verfluchte Wald war zu jeder Zeit ein Tummelplatz für übernatürliche Aktivität. Portale schlossen sich als unsichtbare Fallen für immer hinter unachtsamen Reisenden und ließen sie verschwinden. Felsen weinten Blut, und Bäume flüsterten. Ungeheuer suchten jedes Tal und jeden Höhenrücken in ihm heim.
Doch heute Abend schien der Wald vor Bewegung lebendig zu werden. Von den Karpaten tönten Schreie, Heulen und schrilles Bellen herüber. »Ich habe den Wald noch nie so voller Geschäftigkeit erlebt.« Um ihr Unbehagen zu dämpfen, ließ sie ihr Messer durch die Luft wirbeln. »Puideleu, sobald du Wanda zurückgebracht hast, meldest du dich bei Björn und lässt dir die Berichte der Späher geben.«
Er nickte. »Selbstverständlich.«
Eine Brise spielte mit dem farbenfrohen Kopftuch auf Wandas Silberlocken, als sie an Ren herantrat, um sie zu umarmen. Diese Frau war ihre Mentorin, seit Rens Eltern vor beinahe siebzehn Jahren gestorben waren.
Wanda drückte ihr einen Kuss aufs Haar. »Du wirst immer ein wenig wild sein, meine stürmische Ren. So wild wie der Wolf, den du gefangen genommen hast.«
Ehe Ren sie wegen dieses rätselhaften Kommentars befragen konnte, führte Puideleu Wanda aus dem Zelt.
Nun war nur noch Jacob bei ihr. Ren hob ihr Kleid an, um ihr Messer ins Holster zu schieben. Die Waffe lag perfekt ausbalanciert in ihrer Hand. Ihre Kanten waren so rein wie pure Hingabe. In den Knochengriff waren esoterische Schriftzeichen geschnitzt, und die Oberfläche war durch Jahrhunderte des Gebrauchs durch ihre Familie abgenutzt. Die Klinge aus Tiegelgussstahl war mit Mustern verziert, die wie die Maserung von Holz aussahen, aber sie glänzte dennoch wie ein Spiegel.
Ren überlegte kurz, ob sie das Kleid ihrer Mutter ausziehen sollte, aber sie wagte es nicht, sich so viel Zeit zu nehmen. Auch wenn die Wirkung ihrer Klinge über Stunden anhielt, war ein Lykae im Lager mit einer scharfen Granate vergleichbar.
Ren merkte, dass Jacob ihre Beine ansah, ehe er errötend wegblickte. Mit gerunzelter Stirn strich sie ihr Kleid wieder glatt. Als der Wolf ihren Körper angestarrt hatte, waren Rens Sinne aufgeflammt. Jetzt war sie einfach nur verlegen.
»Nach dir«, sagte Jacob mit belegter Stimme. Sie traten hinaus in die stürmische Nacht, wichen den Pfählen der Zelte aus, als sie über eine Abkürzung zum Graben gingen.
Obwohl der Zirkus das ganze Land von einer unsterblichen Bedrohung zur nächsten durchquerte, kehrten sie immer wieder an die Stellen zurück, an denen sie bereits gelagert hatten, und diese war ihr Lieblingsort. Das Zirkusgelände war von hoch aufragenden Steinkiefern und ineinander verflochtenen Bächen umgeben. In der Ferne war ein herzförmiger Felsbrocken zu sehen, der von zwei Eichen flankiert wurde. Dort hatte sie sich mit Jacob getroffen, um sich heimlich zu küssen. Die Eichen waren einander zugeneigt und kamen einander im Laufe der Jahre immer näher – genau wie Jacob und sie.
Ein nebelgrauer Windstoß traf sie, als sie die Rückseite des Wohnbereichs umrundeten, eine Ansammlung individueller Wagen. Auf die Seiten jedes Wagens war eine Beschreibung einer Darbietung des Circul Vânătorilor gemalt.
Auf ihrem stand: DIE GROSSE KERENY, TRANSSILVANISCHE MESSERJÄGERIN. Das war ihre Rolle als Messerwerferin, aber auch ihre Reputation unter den Unsterblichen im Wald.
Sie war stolz auf ihren Wagen, und sie war begeistert, ihn mit Jacob zu teilen, nun, da sie verheiratet waren. Darin befanden sich ihre geliebten Science-Fiction-Romane, Kostüme und ein Arsenal verschiedenster Waffen.
Es war das einzige Zuhause, das Ren je gekannt hatte. Sie und ihre Eltern hatten es sich geteilt, ehe diese ihr viel zu früh genommen worden waren.
Hinter den Wagen befanden sich eine Vielzahl von Buden, das Riesenrad, das Karussell und die Tierkäfige. Ihnen stand eine Schlacht bevor, und das Kirmesgelände war wie bei einem Kleidungswechsel ihren Verteidigungsplänen gemäß verwandelt worden. Fort waren die Jonglierbälle und die Süßigkeiten. Zum Vorschein gekommen waren Spieße und aufgebockte Maschinengewehre.
Olgas Zimmerleute hatten das Riesenrad mit einem Gerüst versehen, das dieses in einen Scharfschützenturm verwandelte. Björns Erdbauarbeiter hatten Fallgruben sowie einen Graben voller Spieße und Öl ausgehoben.
Dieser Regen war ein Problem für den Graben, aber Puideleus schlimmes Bein hatte ihm verraten, dass sich das Wetter morgen bessern würde, und seine Vorhersagegenauigkeit lag bei fast hundert Prozent.
»Du kannst es nicht mal für eine Sekunde abstellen, oder?« Jacob lenkte ihre Aufmerksamkeit mit einer Frage wieder auf sich. »Morgen wird alles gut laufen. Dank dir verfügen wir über eine ausreichende Anzahl von Kämpfern und die nötige Disziplin. Ganz abgesehen von der Strategie.«
»Und dank deiner geschickten Verhandlungen werden wir mehr als genug Munition haben.« Bei Tagesanbruch würde ein Waffenhändler eintreffen, um ihren erschöpften Vorrat an Granaten und Kugeln aufzufüllen. »Wir werden dieses Rudel ins Jenseits befördern.« Ein Blitz leuchtete auf, und der Regen verdichtete sich, wie um ihre Aussage zu bestätigen.
Ren hasste Unsterbliche. Sie jagten einem nicht nur in der Nacht Angst ein, sie waren die Nacht – eine allumfassende, beutehungrige Dunkelheit, die einmal nachlassen mochte, aber immer wiederkehrte.
Da war es nur passend, dass der Zirkus den Kampf gegen sie den Nachtkrieg nannte.
Ghule, Gestaltwandler und Dämonen hielten Ren und die Jäger auf Trab – so wie es auch diese Neulinge tun würden –, aber sie hatte nicht das Gefühl, als ob sie in diesem Krieg dabei wären, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden. Sie träumte davon, hochrangige Anführer der Mythenwelt zu erledigen, um den Unsterblichen überall Angst und Schrecken einzujagen.
Sie wollte eine Botschaft aussenden: Wir wissen, dass ihr existiert, und von jetzt an werden wir uns unter euren Betten verstecken. Dann würden sie es sich vielleicht zweimal überlegen, Jagd auf Menschen zu machen.
»Ich liebe es, wenn du blutrünstig wirst«, sagte Jacob. »Apropos, bist du fest entschlossen, diesen Wolf zu töten?«
Sie nickte. »Ich kann ihn nicht andauernd mit meinem Messer stechen. Früher oder später würde er die Oberhand gewinnen.«
»Ich meinte nicht, dass wir den Lykae nicht töten sollten«, sagte Jacob mit seinem charmanten Grinsen, »sondern, dass ich es tun kann. Vielleicht solltest du darauf verzichten, Gefährtizid zu begehen.«
Ren boxte gegen seinen Arm. »Diesen Gefährten-Quatsch werde ich mir wohl bis ans Ende meines Lebens anhören müssen.« Schausteller waren frech und laut; Schausteller-Jäger waren unmöglich. »Sollte ich als Nächstes mit einem Kobold als Verehrer rechnen? Vielleicht mit einem Eiterdämon auf Knien?«
»Das ist echt zu komisch. Die Monsterjägerin die Gefährtin eines Monsters?« Er lachte.
Sie liebte Jacobs Lachen. Es klang kultiviert, so gentlemanlike wie alles andere an ihm.
Er entstammte einer Familie reicher Barone. Unglücklicherweise waren sein Vater und sein Onkel – jüngere Söhne ohne jede Chance auf ein Erbe – mitsamt ihren Familien nach Prosperity gezogen, einer Siedlung in der Wildnis Kanadas.
Einer Wildnis, in der es vor Wendigos nur so wimmelte. Diese Ungeheuer hatten Jacobs Familie auf grauenhafte Art und Weise abgeschlachtet und ihn und seinen überlebenden Onkel in den Nachtkrieg getrieben.
Nicht lange, nachdem sich die beiden dem Zirkus angeschlossen hatten, hatte Jacob sich einmal zu weit vom Zirkusgelände entfernt. Zum Glück hatte sie selbst sich damals im Wald aufgehalten. Und so konnte sie Jacob mit ihrer Klinge das Leben retten, als ihn ein Viperngestaltwandler aufs Korn nahm. Seitdem waren sie unzertrennlich.
»Na, was sagst du?«, fragte er mit seinem üblichen, gepflegt britischen Tonfall. »Soll ich das übernehmen?«
Sie lächelte zu ihm empor. »Danke für das Angebot, aber mir ist es wohl vorherbestimmt, Gefährtizid zu begehen. Den Lykae umzubringen ist meine Aufgabe.«
Jacob runzelte die Stirn. »Warum musst du eigentlich immer alles übernehmen, was beschwerlich und hart ist?«
In ihrem Kopf hörte sie die Stimmen ihrer Eltern: Wir bekämpfen bösartige Unsterbliche, wo immer und wie immer wir können. Das ist unsere edle Pflicht. Ren zuckte mit den Schultern. »Weil das mein Schicksal ist.« Sie hatte es akzeptiert.
»Hmm.« So schnell sich seine Stirn gerunzelt hatte, so schnell glättete sie sich auch wieder. »Jedenfalls weißt du, dass du auf mich zählen kannst.«
»Das weiß ich, Jake.« Er war ein unglaublich liebenswerter Mann, der noch nie ein unfreundliches Wort über irgendjemanden gesagt hatte und Puideleu und Wanda als seine eigenen Großeltern betrachtete.
Nachdem sie Jacob jetzt geheiratet hatte, erwartete sie, dass ihre Liebe zu ihm wachsen und sich verändern würde. Sie waren zwei Eichen, denen nun freistand, sich ineinander zu verschlingen. Daran dachte sie, als sie sich auf die Zehen stellte, um ihm einen hastigen Kuss zu geben. So angenehm. »Dann wollen wir das mal hinter uns bringen und zu unserer Hochzeitsnacht zurückkehren.«
Wieder errötete er. »Ja, lass uns das tun.« Er nickte ihr ermutigend zu. »Ich bin an deiner Seite, Ren. Immer.«
Die Fackeln tragenden Jäger, die sich für die Exekution versammelt hatten, wichen auseinander, um Jacob und sie durchzulassen.
Der lange Körper des Wolfs lag ausgestreckt neben dem Graben. Sobald Ren ihm den Kopf abgeschlagen hätte, würden die anderen seinen kopflosen Körper mit gezielten Tritten hinab zwischen die Spieße befördern.
Sie trat näher heran. Der Regen hatte einen Großteil des Blutes auf dem Gesicht des Lykae abgewaschen. Im Schein der Fackeln schienen seine Gesichtszüge wie gemeißelt. Stolze, gerade Nase. Breite Kieferpartie und ein kräftiges, gespaltenes Kinn.
Und dieser Körper. Abgesehen von der Wunde in der Brust war er makellos. Während die Regentropfen über seine harten Muskeln tanzten, pulsierte eine gewisse Euphorie durch sie. Was geschieht mit mir?
Björn reichte Ren ein Schwert. Sie nahm ihre Position ein. Doch als sie die Waffe erhob, zuckte die rechte Hand des Lykae. Vielleicht träumte er von seinem Zuhause in Louisiana.
In ihr wallte das Gefühl auf, diesen verblendeten Mann beschützen zu müssen. Wer war er, und woher kannte er ihren Namen? Verdammt, warum glaubte er, dass sie einander vom Schicksal bestimmt waren? Wenn sie seinem Leben erst einmal ein Ende gesetzt hatte, würde sie niemals eine Antwort auf ihre Fragen bekommen.
»Was für eine Verschwendung«, murmelte Trish. Andere nickten zustimmend.
»Worauf wartest du, Chefin?«, fragte Björn.
Alles in Ren sträubte sich gegen die Vorstellung, dieses Geschöpf kaltblütig abzuschlachten.
»Töte ihn, Chefin«, sagte Olga mit ihrem starken russischen Akzent. »Bevor er aufwacht.«
»Die Wirkung der Klinge hält mehrere Stunden an«, erwiderte Jacob.
»Dann töte ihn, damit wir endlich zum Bankett können. Manche von uns würden gerne essen.«
»Ren?«, fragte Jacob leise.
Der Zirkus tat keinem Unsterblichen etwas an, der die Menschen in Ruhe ließ. Aber der Wolf hatte Jagd auf Ren gemacht, geplant, sie zu zwingen, seine Frau zu werden. Und Jacob würde in Gefahr sein, solange dieses Monster lebte. Wie ihre Mutter sie gelehrt hatte: Stell dich niemals zwischen einen Lykae und seine Gefährtin.
Gefährtin. Sicherlich war eine schicksalhafte Verbindung zwischen einem Unsterblichen und einem Menschen nicht möglich. Hatte er vorgehabt, sie zu einer Unsterblichen zu machen? Sie erschauerte. Das war ihre größte Angst.
Ihre Eltern hatten diese Angst geteilt. In ihr blitzte eine Erinnerung daran auf, wie sie deren Leichen im Wald gefunden hatte, auf allen Seiten umgeben von den Leichen von Ungeheuern …
Sie biss sich auf die Innenseite ihrer Wange, zwang sich, aus dieser Erinnerung in die Gegenwart zurückzukehren. Wenn dieser Lykae entschlossen war, ihrer Freiheit ein Ende zu setzen, blieb ihr keine andere Wahl, als seinem Leben ein Ende zu setzen.
Jedes Mal, wenn sie eine Klinge fliegen ließ, verfiel sie in Trance. Die Geräusche um sie herum ebbten ab. Das periphere Sehen wurde schwächer, bis sie sich in einer Art Tunnelblick einzig auf ihr Ziel konzentrierte. Im Laufe der Jahre hatte sie begonnen, all ihre Ziele mit dieser ungeteilten Konzentration zu betrachten.
In diesem Moment war ihr Ziel, ihre Freiheit sicherzustellen. Sie passte ihren Griff um das Schwert an. Zeit, einen Wolf zu töten.
Sein Bewusstsein kehrte in Sekundenschnelle zurück und stürzte auf ihn ein.
Als sich Munros Augen öffneten, sah er seine Gefährtin über sich stehen. Lebendig. So lebendig. Einen Moment lang fürchtete er, dass dies eine Halluzination sei und er bei seinem Erwachen feststellen würde, dass sie dabei war, sich in Säure aufzulösen.
Dann merkte er, dass er auf der Erde neben einer Grube lag. Seine Frau hielt ein Schwert in die Höhe – und sie sah verdammt entschlossen aus.
Seine Augen wurden schmal, die ihren groß. Sie stieß einen Schrei aus und ließ das Schwert hinabsausen. Er wälzte sich auf sie zu und wich auf diese Weise der Klinge aus. Diese versank im Schlamm und blieb dort stecken, als Kereny mit wehendem Kleid über ihn hinwegstürzte. Er fing sie nur wenige Zentimeter über einem Spieß in der Grube auf.
Sie fest in den Armen haltend, kämpfte er sich in eine hockende Position hoch. »Grimmige kleine Hexe! Du hast auf mich gezielt?« Er war gerade noch rechtzeitig zu sich gekommen. Er zog sie noch enger an sich und fletschte seine Fänge, als die Gruppe bewaffneter Schausteller näher rückte. Hatte sie nicht gesagt, das wären alles Jäger?
Als er die Sterblichen anknurrte, erklärte sie in aller Ruhe: »Meine Freiheit gegen deine Eier.« Sie presste dieses verhexte Messer an seine Weichteile!
Was war nur aus seiner süßen, verletzlichen Schneiderin geworden? »Wer bist du?«, fragte er mit rauer Stimme.
Furchtlos blickte sie zu ihm auf, so ruhig wie eine götterverdammte Assassine. »Lass mich los, oder ich schneide dir die Eier ab und geb sie dem Jongleur.«
Langsam kam er wieder zur Besinnung. »Zu hoch, Mädchen.« Damit schnappte er sich das Messer und verstaute die Waffe in seinem Gürtel. »Du unterschätzt die Größe meiner Eier. Außerdem würde ich mir auf jeden Fall ein Paar neue für dich wachsen lassen.«
»Lass sie los, Köter!« Der Bräutigam zielte mit einem Revolver auf ihn.
Munro verzehrte sich danach, dem Mann den Kopf abzureißen, aber mit einer solchen Tat würde er sich Kerenys niemals endenden Hass zuziehen. All diese Jäger waren unberührbar, und sie sahen aus, als ob sie für die Frau sterben würden.
Nachdem er den Vasallenzauber überwunden und durch die Zeit zurückgereist war, würde Munro sie sich ganz sicher jetzt nicht nehmen lassen. »Sie ist die Einzige, die du mit deinem Spielzeug verletzen kannst, Sterblicher.« Er erhob sich, ohne seinen Griff um sie zu lockern. »Also senke deine verdammte Waffe.«
Der Mann sah zu Kereny, die sagte: »Erschieß ihn, Jake.«
Verfickte Scheiße. Munro beschirmte sie mit seinem Körper, als er herumwirbelte und auf den Wald zuzurennen begann. Schüsse erklangen. Kurz bevor er die Baumgrenze erreicht hatte, trafen ihn drei Kugeln in den Rücken. »Verdammt!«
Sie strampelte wild in seinen Armen. »Lass mich los, oder ich zieh dir bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren.«
Obwohl sie ein Mensch war, nahm er ihre Drohung ernst. Während er darauf achtete, sie beim Rennen nicht zu fest zu drücken, stellte er sicher, dass sie dieses Messer nicht erreichen konnte.
Sie schrie den Jägern, die sie nun verfolgten, etwas auf Rumänisch zu. Munro hingegen fauchte sie an: »Du unsterblicher Unhold, wohin bringst du mich?«
In die Zukunft. »An einen sicheren Ort.« Er machte seine vorherige Route ausfindig und würde seinen Weg durch den Wald zurückverfolgen.
Als er vorhin durch das gruselige Zeitreise-Portal der Hexer gestürmt war, hatte er sich eingeredet, er würde bloß nach Kereny sehen, um festzustellen, ob sie glücklich und in Sicherheit war. Dann hatte er feststellen müssen, dass sie gleich neben einem Wald voller Mythenweltbewohner lebte. Darüber hinaus hatte sie sich die tödlichste Karriere ausgesucht, die ein Sterblicher nur finden konnte.
Auf keinen Fall konnte er sie dort lassen.
»Einen sicheren Ort? Was soll das heißen?«
»Es heißt, dass ich nicht zulassen werde, dass dir irgendjemand oder irgendetwas wehtut.«
»Und was ist mit meinen Leuten? Sie werden uns folgen und ihr Leben für mich aufs Spiel setzen. Ihr Blut wird an deinen Händen kleben.«
Nicht wahr. Nichts von alldem war je passiert. Wenn sie auf der Jagd nach Munro starben, würde das keinen Bestand haben. Man konnte die Geschichte nicht ändern, und daher würde diese Zeitachse, sobald er durch das Portal in seine Zeit zurückgereist war, wie ein Bumerang zu dem zurückkehren, was auch immer gewesen war, bevor er eingegriffen hatte.