Murias Vermächtnis - Rebekka Jost - E-Book

Murias Vermächtnis E-Book

Rebekka Jöst

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Beschreibung

549: Für den jungen Prinz Kuno von Harubia, dem letzten noch nicht von den Franken unterworfenen Kleinkönigreich am Rhein gibt es nur einen Weg. Er will ein ehrenhafter Krieger werden und kein König. Doch dem intriganten Ratgeber seines Vaters, El Consejero, genügt dies nicht. Er ahnt, dass Kuno sein erbittertster Gegner im Spiel um die Macht am Hofe werden wird. So kommt es ihm sehr gelegen, als Kuno sich dem Verdacht des Verrats aussetzt. Kuno wird verstoßen und muss nun allein seinen Weg finden. In Zeralon, einem Königreich weiter südlich, hadert König Ragin mit seinem Schicksal, keinen Thronfolger zu haben. Er sucht den Seher auf dem Thing auf, um sich weissagen zu lassen, wie er sein Reich vor dem feindlichen Zugriff der Prinzen von Dejana schützen kann. Doch für einen Regenten wie Ragin, dem der frühe Tod Königin Murias das Herz gebrochen hat, ist es keine leichte Aufgabe, ein Orakel richtig zu deuten und so kommt er zu einem Trugschluss, der nicht nur Zeralon, sondern auch seine Tochter Amudis in große Gefahr bringt. Auch sie muss ihr Zuhause verlassen und sich allein auf den Weg machen. Doch manchmal ist der Weg, auf den man unfreiwillig gestoßen wird, eben jener, den man sonst vielleicht nicht gefunden hätte ...

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Das Buch: 549: Für den jungen Prinz Kuno von Harubia, dem letzten noch nicht von den Franken unterworfenen Kleinkönigreich am Rhein gibt es nur einen Weg. Er will ein ehrenhafter Krieger werden und kein König.

Doch dem intriganten Ratgeber seines Vaters, El Consejero, genügt dies nicht. Er ahnt, dass Kuno sein erbittertster Gegner im Spiel um die Macht am Hofe werden wird. So kommt es ihm sehr gelegen, als Kuno sich dem Verdacht des Verrats aussetzt. Kuno wird verstoßen und muss nun allein seinen Weg finden.

In Zeralon, einem Königreich weiter südlich, hadert König Ragin mit seinem Schicksal, keinen Thronfolger zu haben. Er sucht den Seher auf dem Thing auf, um sich weissagen zu lassen, wie er sein Reich vor dem feindlichen Zugriff der Prinzen von Dejana schützen kann. Doch für einen Regenten wie Ragin, dem der frühe Tod Königin Murias das Herz gebrochen hat, ist es keine leichte Aufgabe, ein Orakel richtig zu deuten und so kommt er zu einem Trugschluss, der nicht nur Zeralon, sondern auch seine Tochter Amudis in große Gefahr bringt. Auch sie muss ihr Zuhause verlassen und sich allein auf den Weg machen.

Doch manchmal ist der Weg, auf den man unfreiwillig gestoßen wird, eben jener, den man sonst vielleicht nicht gefunden hätte ...

Murias Vermächtnis habe ich gemeinsam mit meinem siebenjährigen Sohn Luke-Benoit entwickelt und ausgearbeitet. Es ist angesiedelt zwischen historischem Roman und Märchen. Es ist als Kinderbuch (ca.6-13 Jahre) und als Erwachsenenroman (ca. ab 14 Jahre) erschienen. So kann die ganze Familie dieselbe Geschichte lesen und darüber sprechen. Das Kinderbuch ist als Leselernbuch gestaltet.

Die Autoren: Rebekka Jost, geboren 1983 in Hamburg ist Juristin und lebt seit einigen Jahren mit ihrer Familie auf dem mecklenburgischen Land.

Luke-Benoit Ulmer ist der Sohn der Autorin und hat sich gemeinsam mit ihr im Sommer 2022 diese Geschichte überlegt.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

PROLOG

Kapitel 1

Königreich Harubia, nahe Burg Sonnenfels 549 n. Chr

Kapitel 2

Kapitel 3

Königreich Zeralon

Königreich Zeralon, Burg van Hulma van Mihstaz

Königreich Harubia, Burg Sonnenfels

Kapitel 4

Königreich Zeralon, Burg van Hulma van Mihstaz

Königreich Harubia, südöstliche Gebiete

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Königreich Zeralon

Kapitel 8

Königreich Zeralon

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

EPILOG

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

Zu einer Zeit, als ich kaum Motivation zum Schreiben fand, hat mich mein Siebenjähriger mit seinem Ritter-Welt-Fieber angesteckt und mich aus meiner Schreiblustlosigkeit in die spannende Welt der ausgehenden Antike und des beginnenden Mittelalters und in die faszinierende Welt der germanischen Mythologie gestoßen und erreicht, dass ich wieder mit Freude schreibe! Vielen Dank Luke!

Dieser Roman ist fiktiv, doch er ist eng eingebunden in den historischen Kontext.

Ein Personenverzeichnis der fiktiven Figuren finden Sie am Ende des Romans auf Seite 218, damit Sie sie besser einordnen können. Eine Landkarte finden Sie dem Roman vorangestellt auf der nächsten Seite.

Harubia, Zeralon und Dejana sind die fiktiven Königreiche in dieser Geschichte. Alle anderen Vorgänge um diese drei Reiche herum sind entweder historisch belegt oder der Sagen- und Mythenwelt entnommen.

Zu einzelnen historischen Personen und Ereignissen finden Sie erklärende Endnoten. Wenn es uns gelungen sein sollte, Ihr Interesse an der Zeit dieser Geschichte oder an der germanischen Mythologie zu wecken, was uns sehr freuen würde, dann finden Sie sehr viele unheimlich spannende Informationen im Internet und in zahllosen Büchern.

Bezüglich der germanischen Sagen- und Mythenwelt ist wichtig zu erwähnen, dass es zahlreiche Varianten und Abwandlungen gab und heute jedenfalls nur wenige Aufzeichnungen oder Überlieferungen gibt. Wir haben uns dafür entschieden, dass in den beiden fiktiven Reichen Harubia und Zeralon die Sagen und Mythen so erzählt wurden, wie sie in dem Buch „Sagen und Mythen der nordischen Götter“ von Roger Lancelyn Green, Arena Verlag, Würzburg 2017, übersetzt von Friedrich Stefan (Green) dargestellt werden.

Dies ist die Fassung für die größeren Leser ab 14 und Erwachsene, es gibt eine Fassung derselben Geschichte für Kinder von 6-13. In dieser Fassung hier setzen wir ein wenig Geschichts- und Mythologiekenntnis voraus.

Wer noch nichts über die germanische Mythologie weiß, der findet z.B. im Internet und auch in vielen Büchern Informationen dazu. Es ist hilfreich für die Lektüre des Romans, wenigstens, die Namen der Hauptgötter/Hauptfiguren einordnen zu können.

Wir hoffen, auch Sie in diesen faszinierenden Teil der Menschheitsgeschichte mitnehmen zu können und wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen,

Luke-Benoit und Rebekka

PROLOG

Vor langer Zeit lebten dort, wo noch heute in steter Beharrlichkeit die unendlichen Wassermassen des Rheins fließen, die Harubier.1 Sie hatten an diesem Ort noch nicht lange gelebt, denn die Zeit, von der wir sprechen, war gezeichnet von ständigen Wechseln, von Umstürzen und Umbrüchen. Wo gestern noch die Römer herrschten, ihre Aquädukte und Tempel, ihre Wirtschaftsbauten und Regierungsgebäude errichteten, da tobten schon am darauffolgenden Tag schreckliche Kriege. Manchmal waren es Familien auf der Suche nach neuem Lebensraum, manchmal wilde Verbände von germanischen Wanderern, die an einem Tag Landstriche eroberten, um sie am nächsten Tag wieder an andere Verbände zu verlieren. Was heute aufgebaut wurde, wurde am folgenden Tag unterworfen. Königreiche entstanden und zerfielen und in all dieser Unruhe, diesen Urgewalten menschlicher Hoffnungen und Verfehlungen, großer Taten und grausamster Untaten, zwischen Menschlichkeit und Wahnsinn, zwischen Strategie und Raserei hatte König Halvor, ein junger Krieger von großem Ehrgeiz ein kleines Königreich in unmittelbarer Nähe zum einstmaligen Legionenlager Bonna errichtet. Klein im Verhältnis zu Ostrom, das zu dieser Zeit von dem jungen Kaiser Justinian I. beherrscht wurde. Klein gewiss auch im Vergleich zu den Gebieten, die die Ostgoten sich angeeignet hatten, und klein im Vergleich mit Theudis´ Westgotenreich, welches sich in ständiger Reibung mit den Merowingern gefangen sah, gar nicht zu sprechen vom Reich Chosraus I. im fernen Orient, gegen den sich Justinian behaupten musste, aber gewiss nicht klein, betrachtete man daneben jene Gebiete, die weit im Süden der berühmtberüchtigte Otacher2 kontrolliert hatte und sogar als groß zu bezeichnen neben Zeralon, dem Königreich, das nur unweit von Harubia, aber südlicher zur gleichen Zeit entstanden war. Und auch groß im Vergleich zu Dejana, einem Königreich, das sich seit einigen Jahren inmitten der Gotenkriege an der Adria zu behaupten verstand, jenem Landstrich, der in späterer Zeit Kroatien genannt werden sollte. Harubia befand sich mitten in jenem Gebiet, das seit einiger Zeit der fränkische Merowinger König Chlodwig beherrschte. Und das er später als Königreich von Metz an seinen Sohn Theuderich vererben sollte, auch als Austrien bezeichnet.

Wir schreiben das Jahr 536 nach christlicher Zeitrechnung. Einer Zeitrechnung, die Chlodwig verstand, die jedoch für König Halvor keinerlei Bedeutung hatte.

König Halvor war es nur wenige Jahre zuvor gelungen, vom Befehlshaber eines Söldnerheeres, das er aus Abtrünnigen und solchen, die es werden wollten, um sich versammelt hatte, zum Sieger über jene zu werden, die damals diese Gebiete am östlichen Ufer des Rheins beherrscht hatten. Und er hatte es verstanden, im rechten Augenblick Königin Merwe zu heiraten, die von diesen rauen Männern als wahre Königin akzeptiert worden war. Und so hatte er aus dem Verband von um sich gescharrten Glück- und Ruhmsuchern ein Königreich gebildet. Königin Merwe hatte diese Abenteurer unter ihrer Krone geeint und im Jahre 536, als König Halvor und Königin Merwe damit beschäftigt gewesen waren, ihre zwei Söhne zu fähigen und würdigen Thronfolgern aufzuziehen, waren aus ihren Untertanen rechtschaffene, ehrbare Bauern und Bürger geworden. Das Reich lebte im Wohlstand, besonders wegen der günstigen Verbindung zu dem benachbarten Reich König Ragins, Zeralon, das seinen Wohlstand aus dem Abbau wertvoller Metalle und Erze bezog.

Es waren binnen kürzester Zeit Dörfer und Städte entstanden. Der Handel blühte.

Doch dieses Jahr, das von den Christen als das Jahr 536 bezeichnet wurde, war das Jahr, in welchem dunkle Schatten aufzogen, die niemand sich erklären konnte und die nahezu jeden, von der Nordsee bis hoch in den Süden der Nachfolger Otachers, in tiefe Verunsicherung stürzten. Es war das Jahr, als sich – nach einem strengen Winter - Düsternis vor die Sonne schob und es keinen Sommer gab.

Lange verdrängten die Menschen, was vor sich ging, verschlossen die Augen, wovor sie sich nicht verschließen konnten und suchten bald Erklärungen, flehten schließlich die Götter an, doch der Sommer kam nicht, es wurde das ganze Jahr über nicht hell und die Ernten fanden auf den Feldern ihre Vernichtung. Dafür traten immer wieder grausige Staubschleier auf, die über lange Zeiträume anhielten und trockene Nebel, die niemals jemand zuvor gekannt hatte und die niemand erklären konnte. Im Winter herrschte allerorten Hunger und Verzweiflung. Für unzählige Menschen kam jede Hilfe zu spät. Krankheiten brachen aus, Unruhen überzogen ganze Landstriche. Mancherorts wurde mit Waffengewalt unterdrückt, was eine unerbittliche Natur, oder gar die Götter selbst, heraufbeschworen hatten.

Auch König Halvor und Königin Merwe konnten sich keinen Reim auf die unheimlichen Vorgänge machen. Sie befragten das Orakel und baten die Heiler und die Weisen um Erklärungen, derer viele kamen, jedoch konnten auch König Halvor und Königin Merwe schließlich nichts tun, sondern nur zusehen, wie ihr Volk litt und verzweifelt zu den Göttern flehen, es möge die Sonne zurück an den Himmel kehren ... Doch als im darauffolgenden Fimbulwinter3 die Menschen hungers starben, da waren viele sicher, dass es der Fenriswolf4 gewesen war, der die Sonne verschlungen hatte, und dass die Ragnarök begonnen hatte.

Damals ahnten viele bereits, was sich bestätigen sollte: Auf diese Missetat des Fenriswolfs folgten viele kalte und dunkle Jahre ...

Und als diese dunklen Jahre verstrichen waren und die Menschen Hoffnung schöpften, nun möge die Sonne zurückkehren, dass die Asen in Asgard über die Riesen gesiegt haben könnten, da brach eine neuerliche Heimsuchung über die Menschen herein.

Es war im Jahre 541, zu der Zeit, als sich aus dem fernen Orient ein hochgebildeter, aber von Ehrgeiz besessener Mann auf den Weg gen Oxident gemacht hatte, dessen wahren Namen nur er selber kannte. Er besaß das Zeug, sich an Höfen einzuschmeicheln und das Vertrauen gebrochener Menschen an sich zu reißen. Zu dieser Zeit hatte auch Justinian im fortwährenden Krieg mit Chosrau Zeit im Orient verbracht und mit ihm gelangte eine furchtbare Plage in die nördlich gelegenen Landstriche des Kontinents. Zumindest wurde dies zu späterer Zeit als Erklärung erwogen ...

Sie traf auf Menschen, die geschwächt waren von den Jahren der Finsternis und sie befiel diese in atemberaubender Zeit, ergriff von ihnen Besitz und streckte sie nieder, noch ehe überhaupt jemand sie auch nur zu benennen vermochte5.

König Halvor und Königin Merwe beschlossen schweren Herzens, ihren jüngeren Sohn der Obhut eines Verwandten Königin Merwes zu überantworten, um ihn an einen Ort zu bringen, wo die schreckliche Krankheit vielleicht nicht hingelangen würde. Doch ihren älteren Sohn behielt König Halvor bei sich.

Nicht lange ertrug es die Königin, tatenlos zuzusehen, wie ihr Volk niedergestreckt wurde. So verließ sie die schützenden Mauern der Burg und begab sich unter ihr Volk, um zu helfen. Nur wenige Wochen darauf fand man auch sie von den Qualen der unheimlichen Krankheit ergriffen.

Der König entschied, den jüngeren Sohn Kuno nicht mehr an den Hof zurückkehren zu lassen, bis dass die Seuche überstanden wäre und so waren es nur er und der ältere Sohn Raimon, die schließlich an Königin Merwes Sterbebett standen und wenig später die Königin zu Grabe trugen.6

Kapitel 1

„In den glücklichen Tagen, als die Riesen keinen offenen Krieg gegen die Asen führten und die Männer in Midgard meist tapfere und edle Krieger waren, war Asgard ein Ort der Freude und Freundlichkeit. Und von allen Palästen in diesem gesegneten Land leuchtete keiner strahlender, tönte keiner von froherem Lachen und lieblicheren Liedern als Breidablik auf dem schönen Idafeld, wo Baldr der Herrliche lebte. Er war der feinste und im Umgang angenehmste aller Asen, der Lieblingssohn Odins und Friggs.“1

1 Aus Baldrs Tod in „Sagen und Mythen der nordischen Götter“ von Roger Lancelyn Green, Arena Verlag, Würzburg 2017, übersetzt von Friedrich Stefan. (im Folgenden: Green).

Königreich Harubia, nahe Burg Sonnenfels 549 n. Chr.

Der junge Reiter mit dem gelb-blauen Umhang, welcher das Wappen des Königs trug, Kuno von Sonnenfels, horchte schlagartig auf. Angespannt lauschte er, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches mehr hören. Sollte er sein Pferd antreiben, schneller zu reiten oder sollte er absteigen und dem seltsamen Knacken im Geäst nachgehen? War es nur das Rascheln eines nach Futter suchenden Vögelchens gewesen oder wurde ihm doch aufgelauert?

Ohne Ronjas Schritt zu verlangsamen, horchte er weiter aufmerksam in den Wald hinein, den er soeben durchritt. Der Wind fuhr lau durch die Blätterkronen über ihm und ließ das frische Maigrün, aus dem an nicht wenigen Stellen die verwitterten Überreste römischer Bauwerke vergangener Jahrhunderte hindurchschimmerten, sanft rauschen. Entfernt rief ein Kuckuck und der Boden gab nur die Spuren von Nagern und Wild preis.

Er musste sich verhört, oder das Rascheln und Knacken missdeutet haben, denn nun war alles still und friedlich, abgesehen von den ihm wohlbekannten Waldgeräuschen.

Tief atmete Kuno die herrliche Waldluft ein und freute sich an dem angenehmen milden Windhauch in seinem Gesicht. Endlich war der Winter vorüber und der Frühling hielt Einzug. Nun würde es stetig wärmer werden und hinter den Mauern der Burg würde es für viele Monate nicht mehr so klamm und eisig sein wie in der vergangenen Jahreshälfte.

Er blickte sich ein letztes Mal um, ohne etwas Ungewöhnliches zu bemerken und gab Ronja sodann leicht Druck, damit diese ihren Gang beschleunigte, als plötzlich eine dunkle Gestalt von einem der Äste über ihm herabsprang und genau auf seinem Rücken landete. Kuno konnte sich gerade noch halten und seinen Schreck herunterschlucken, bevor er das Gleichgewicht verlor. Wenn dies ein fränkischer Krieger König Chlodwigs war, der das weitreichende Gebiet um Harubia beherrschte, dann galt es, diesen eiligst zur Strecke zu bringen.

Die Gestalt des Angreifers war kräftig. Er ließ sich nicht abschütteln.

Kuno wollte nach seinem Schwert greifen, doch der Unbekannte war schneller, zog seinerseits mit einem behänden Griff Kunos Schwert aus der Scheide und schleuderte es weit von sich. Und von dort, wo es landete, sprangen zwei weitere dunkle Gestalten aus dem Gebüsch.

Hatte Kuno sich also doch nicht verhört. Er straffte sich, um sich zu sammeln. Schnell griff er nach dem Messer, das er stets bei sich trug und es gelang ihm, den Angreifer abzuschütteln, doch die anderen zwei hatten sich schon vor Ronja geworfen und sie am Zügel gepackt. Mit einem flinken Schnitt durchtrennte einer von ihnen den Gurt am Bauch des armen Tieres und Kuno rutschte zu Boden. Unsanft landete er auf der Seite, sprang jedoch flink auf und konnte sich seinen Angreifern entgegenstellen. Er versuchte zu erfassen, welcher ihn als nächstes angreifen würde und zugleich zu erkennen, welchen anzugreifen seinerseits am vielversprechendsten war.

Sie waren alle drei groß und kräftig, hatten die Gestalt hart arbeitender Bauern. Hier im Wald traf man gelegentlich auf Räuber und herumstreunende Gauner, ein allein reitender Edelmann war für solche Gestalten ein gelegen kommendes Opfer, denn allein dessen Kleidung und Ausstattung brachte diesen Gaunern ein Vermögen, und die Waffen, wie das Schwert oder ein womöglich mit Edelsteinen verziertes Messer konnten sie gut gebrauchen.

Kuno hatte sich gerade eben etwas gesammelt, als zwei der drei ihn zu bedrängen versuchten. Einer hielt Kunos Schwert, der andere eine Axt. Kuno hatte nur sein Messer. Er ließ die zwei nahe kommen und sah auch schon, wie der eine die Axt hochschwang. Er ließ ihn noch dichter kommen und sprang im letzten Moment so geschickt zur Seite, dass er den anderen Kämpfer mit umriss. Er warf ihn zu Boden und entwand ihm das Schwert.

Als der Axtkämpfer über ihm war, riss er den am Boden liegenden über sich. Der Axtkämpfer konnte gerade noch den Schwung der Axt von seinem Kumpanen fort lenken, verlor jedoch dabei das Gleichgewicht und fiel ungeschickt über eine Baumwurzel. Er traf mit dem Ellenbogen auf einem Stein auf und ließ, - vor Schmerz aufstöhnend -, die Axt fallen. Blitzschnell griff Kuno danach, doch der dritte Angreifer war schneller und riss sie an sich, bevor Kuno sie ergreifen konnte.

Kuno schnappte nach dem Bein des Dritten und warf ihn schwungvoll auf den zweiten, der soeben aufstehen wollte, um seinen Angriff fortzusetzen. Kuno sprang auf und richtete sein Schwert auf die beiden am Boden liegenden Angreifer. „Lass die Axt fallen!“, fuhr er den dritten triumphierend aus funkelnden Augen an.

Der senkte die Axt langsam - sein Blick wirkte entmutigt - und trat vorsichtig auf Kuno zu, machte Anstalten, ihm die Axt auszuhändigen.

„Her damit!“, fauchte Kuno zwischen den Zähnen hindurch. Als Kuno schon nach der hingehaltenen Axt greifen wollte, machte der Angreifer jedoch plötzlich einen überraschenden Ausfallschritt und versuchte, Kuno die Axt über den Kopf zu ziehen. Kuno konnte gerade noch ausweichen. Er schlug geschickt mit dem Schwert nach der Axt und der Angreifer heulte auf, als seine blutende Hand den Knauf der Axt loslassen musste.

Kuno stellte ihm, der erschrocken zurücktaumelte ein Bein und ließ ihn auf seine Kumpane fallen. Sie lagen nun alle drei wie Mehlsäcke übereinander und stöhnten vor Erschöpfung.

Kuno richtete sein Schwert auf die drei und lachte höhnisch. „Na, soll ich euch nun aufspießen, oder doch lieber die Hände abhacken, weil ihr euch gegen den Sohn des Königs erhoben habt? Oder möchtet ihr lieber im Verlies verrotten? Nur zu, teilt mir eure Vorlieben gerne mit!“

„Also meinethalben will ich Euch gerne einladen, mit uns eine Suppe zu teilen, vielleicht besänftigt Euch das?“ Der Dritte, der obenauf lag, lachte und zwinkerte Kuno schelmisch zu.

Kuno lachte ebenfalls und trat zurück, dann half er den dreien auf die Beine. „Wie könnte ich da ablehnen? Schmeckt doch das Essen am Hof des Königs grässlich!“

Kuno und der Axtkämpfer umarmten sich freundschaftlich.

„Ich schätze deine herzlichen Begrüßungen, lieber Gerwin! Wer sind deine Freunde?“ Kuno sah die anderen zwei neugierig an. Anders als Gerwin, mit dem er seid Kindertagen befreundet war, kannte er sie nicht.

„Darf ich vorstellen, lieber Kuno, das hier ist Nivard und das ist Rabod. Es sind Gesellen auf Wanderschaft, die aus dem fernen Zeralon zu uns gekommen sind. Sie wollen hier in der Stadt das Handwerk des Schmieds erlernen. Die Mutter hat sie aufgenommen, damit sie sich von den Strapazen der Reise erholen können und etwas zu Kräften kommen können, bevor sie in der Stadt nach geeigneten Stellen suchen.“

„Herzlich willkommen in unserem Reich. Es ist mir eine Freude, mit so weit gereisten jungen Leute Bekanntschaft zu machen!“ Kuno reichte den beiden die Hand und klopfte ihnen auf die Schultern. „Ich hoffe, du nimmst mir die blutige Hand nicht übel!“

„Kein Problem, es ist nur ein Kratzer!“, gab Kunos Gegenüber tapfer zur Antwort, während er sich die Hand hielt. Es war wahrlich nicht nur ein Kratzer, aber er würde es überleben, wie Kuno fachmännisch feststellte.

„Aber ich will Euch nicht verheimlichen“, sprach Kuno weiter, „dass ihr zu ungünstiger Stunde eingetroffen seid. Der Rat des Königs macht seit einiger Zeit üble Stimmung gegen Zeralon und viele im Land lassen sich beeinflussen und glauben der Hetze. Es wird nicht leicht, eine Stelle zu finden.“

„Das haben wir bereits bemerkt. Wir kamen durch manche Stadt und manchen Ort in Eurem Land und wurden davongejagt. Man lachte uns aus und verweigerte uns gar die Einkehr in den Gasthäusern und Schenken. Kinder bewarfen uns mit rohen Eiern und alte Frauen beschimpften uns. Sogar Aborteimer wollte man von den Fenstern aus auf uns herabschütten!“ Rabod seufzte. „Es hat mich erschüttert. Wir kennen nicht den Grund für diese Feindseligkeiten. Wir sind gekommen, um die Kunst Eurer Schmiede zu erlernen und sie in unser Land zu bringen.“

„Wir kamen ganz ausgehungert und entkräftet in dieser Gegend an und es war den guten Leuten am Hof von Gerwin zu verdanken, dass wir nicht noch vor Erreichen der Hauptstadt verhungert und verdurstet sind.“

„Keine Ursache, Freunde. Wir lassen keinen so schnell verhungern. Baldr2 hätte kein Wesen ausgesetzt verenden lassen. Er war barmherzig und gut.“

„Sch ... Gerwin, die alten Geschichten sind verboten!“ Kuno sah seinen Freund erschrocken an. Wusste er doch, was mit jenen geschah, die dabei erwischt wurden, dem Rat zuwider, die alten Geschichten zu erzählen. Er wollte Gerwin nicht im Kerker sehen.

„Wovon sprecht Ihr?“ Nivard blickte Kuno verständnislos an. Auch Rabod runzelte verwundert die Stirn. „Es sind die alten Geschichten. Wie können sie verboten sein? Wer hat sie verboten?“

„Der König, mein Vater, und sein Rat haben verkünden lassen, dass diese Geschichten nicht mehr erzählt werden dürfen. Es gibt Schreiber am Hof, die die alten Geschichten aufgeschrieben haben in der einzig erlaubten Fassung und nur ausgewählte, vom Rat bestimmte Gelehrte dürfen sie unter die Leute tragen. Jeder, der es wagt, die alten Geschichten zu erzählen, ohne vom Rat dazu bestimmt worden zu sein, der wird unter Strafandrohung verfolgt.“

„Niemals werden wir uns dem beugen. Diese Geschichten lehren unsere Kinder die Welt und die Menschen. Es sind die Alten und die Weisen, die sie an dunklen Winterabenden in die beheizten Stuben tragen und dort lebendig werden lassen.“ Gerwin nickte bekräftigend mit dem Kopf.

„Wie kann der König in die Stuben sehen, um den Menschen das Sprechen zu verbieten?“ Rabod schüttelte ungläubig den Kopf.

„Der Rat des Königs hat seine Spitzel überall und es sind zahlreiche Bürger und sogar Leute unter der Landbevölkerung, die dem König und seinem Rat eilfertig zutragen, was ihre Nachbarn tun oder nicht tun. Viele sind bereits verhaftet und öffentlich gedemütigt worden, um dem Volk beizubringen, was es zu tun und zu lassen hat.“ Kuno seufzte.

„Wann ist all das geschehen? Vater schwärmte von Sonnenfels und seinen großartigen Menschen und Handwerkern und von der wunderschönen Königin Merwe! Er selbst war einst hier und sprach immer so gut über Harubia, dass für mich immer fest stand, dass ich hierherkommen würde, sobald ich der Kinderstube entwachsen wäre.“ Nivard konnte offensichtlich kaum glauben, was er hörte.

„Es ist viel geschehen, seit die Königin, meine Mutter, starb.“

„Die Königin ist tot?“ Rabod wirkte betroffen.

„Sie fiel vor fünf Jahren der schrecklichen Seuche zum Opfer, wie so viele.“ Kuno sah sogleich die schrecklichen Bilder der dunklen Jahre vor seinem inneren Auge.

Gerwin blickte traurig zu Boden, konnte Kuno nicht ansehen.

„Wie auch unsere Königin.“ Auch Nivard blickte zu Boden.

„Nun sollten wir schnell zur Mutter. Nivard benötigt eine Binde für seine Hand und du, Kuno, eine kräftige Suppe. Dürr bist du geworden, seit wir uns zuletzt sahen“, unterbrach Gerwin die bedrückte Stille. Er verstand es stets, die Menschen um ihn mit seiner unbefangenen und bodenständigen Art aus jeder Trübsinnigkeit zu befreien.

Kurz darauf saßen sie um den groben Holztisch in dem kleinen Bauernhaus von Gerwins Eltern und die alte Bäuerin beobachtete, wie die vier ausgehungerten Leute gierig den kräftigen Eintopf mit Graupen in sich hineinschaufelten.

„Lange haben wir uns nicht gesehen, Kuno. Es ist viel geschehen ...“, setzte Gerwin an und Kuno konnte deutlich hören, dass Gerwin ihm etwas zu sagen hatte. Etwas Ernstes und Wichtiges.

Kuno sah seinen langjährigen Freund nachdenklich an. Er fühlte sich bedeutend besser, nach dem köstlichen Mahl. Aber der Blick von Gerwin verriet nichts Gutes.

Trübsinnig wie dereinst Freyr, der Gott der Fruchtbarkeit und der Jagd, als er sich in die Riesin Gerd verliebt hatte, die Tochter des Riesen Gymir, die schönste aller Reifriesen, schaute auch Gerwin in diesem Augenblick. Doch es war Freyr Freund Skirnir gewesen, sein treuer Gefährte, der es schließlich gewagt hatte, Freyr zu befragen und dem sich Freyr schließlich anvertraut hatte.3

„Was ist geschehen, Gerwin? Sprich. Oder hast du vergessen, wie eng unsere Bande waren, als wir Kinder waren und gemeinsam aufwuchsen? Vertraust du mir nicht mehr?“, fragte Kuno voller Ungeduld.

„Es wird für uns, die Bauern, immer schwerer, Euch, denen von Sonnenfels, zu vertrauen, aber das soll unsere Freundschaft niemals trüben. Man hat den Sohn des Erlenhof-Bauern verhaftet und in den Kerker gesperrt. Dort sitzt er nun seit zwei Wochen fest und ein Prozess scheint nicht beabsichtigt zu sein. Sie lassen ihn dort einfach verfaulen.“

„Den Sohn vom Erlenhof-Bauern? Aber er ist doch erst fünfzehn Jahre alt!“ Die alte Bäuerin schlug entsetzt die Hände zusammen, „und der einzige Sohn seiner von der Seuche gezeichneten Eltern. Wer versorgt nun die Tiere? Die beiden kleinen Mädchen vielleicht?“

„Mutter, reg dich nicht auf!“, versuchte der alte Bauer sie zu beruhigen.

„Mich nicht aufregen? Wo soll das alles noch hinführen?“

„Aber was wirft man ihm denn vor?“ Kuno brauchte genauere Kenntnisse, um die Lage zu erfassen.

„Er hat auf dem Markt den Mund aufgetan und Reden geschwungen, und das ist nun sein Erfolg dabei!“ der alte Bauer schnaubte zornig.

„Wie kannst du so sprechen, Vater? Es ist ein junger Bursche. Junge Leute machen immer den Mund weit auf. Er hat auch nichts Falsches gesagt.“ Die Bäuerin sah ihren Mann funkelnd an.

„Mutter, wir wollen keine Probleme bekommen. Wenn es doch verboten ist ...“ Der Alte wirkte nicht gerade mutig, wie Kuno fand. Eigentlich hatte er Gerwins Vater immer als geradeheraus erlebt.

„Er hat gesagt, was wir alle denken. Man kann nicht unsere Lebensweise verbieten, die wir schon von unseren Eltern und Großeltern gelernt haben. Wir haben unsere Götter und wir haben unsere Weisen, die die richtigen Heilmittel und Ratschläge für uns kennen, wenn wir Leiden haben und wir haben das Thing7! Dass sie nun auch das Thing verboten haben, das geht zu weit ...“

„Mutter, dennoch, wir werden es dulden müssen, es ist der König, der das bestimmt.“

„Ein König hat die Macht hier auf der Erde, aber er kann nicht die Götter verleugnen und unsere Verbindungen zu ihnen zerschlagen. Diese Macht hat er nicht. Er soll mit seinem einen Gott, den wir nicht kennen, und der genauso wenig Macht hat, unsere Götter zu zerschlagen, in seinem seltsamen Turm, den der Baumeister in die Stadt gesetzt hat, bleiben, wo er will. Mich wird er auf meine alten Tage nicht mehr davon abbringen können mich an das zu halten, woran ich mich immer gehalten habe ...“

Kuno kannte das neue Haus, das Theophanus, eines der Ratsmitglieder, in Auftrag gegeben hatte und das nun mitten in der Hauptstadt prunkte. In weiteren Städten hatte Theophanus ebenfalls solche Bauten in Auftrag gegeben. Sie hatten Türme mit Kreuzen darauf und sie waren reich verziert in ihrem Innern. Dorthin mussten sich nun alle Bürger und Bauern an jedem Sonntag begeben, um den Glauben des Rates des Königs zu lernen.

Der alte Bauer seufzte, sagte jedoch nichts mehr dazu.

Die entstandene Pause nutzte Gerwin, um Kunos Frage zu beantworten. „Er wurde von Leuten auf dem Markt angesprochen, warum er denn am Sonntag nicht in diese Kirche gegangen ist. Und da hat er lauthals geschimpft, dass er nicht in dieses Haus gehen kann, wenn doch gerade eine Kuh kalbt. Ja, so begann es. Die Leute haben den Kopf geschüttelt und gesagt, dass die Bauern offenbar zu dumm seien, zu begreifen, was der König verlange, und dass sie es seien, die die Schuld trügen, dass überall die Spitzel des Königs herumschnüffelten und dass es soviel Unmut und Zwist in der Bevölkerung gebe. Das hat ihn zornig gemacht und er hat gesagt, sie sollten eben woanders ihre Hühner und ihre Eier kaufen, wenn sie der Meinung seien, Bauern seien dumm. Und dann haben sie ihn zwar in Ruhe gelassen, aber kurz darauf kamen Wachleute und haben ihn abgeholt und die Leute haben erklärt, nun hätte es endlich mal den richtigen erwischt und endlich würde das dumme Bauernpack gezüchtigt.“

„Was sind die Beweggründe Eures Vaters, einfache Bauernleute einzusperren, wenn sie den Mund zu weit auftun? Was geht am Königshof in Harubia vor sich?“ Rabod sah Kuno mit einem Blick an, der sein Befremden bezeugte.

Kuno wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Es war ihm selber ein Rätsel, warum sein Vater manche Entscheidungen traf. Kuno wusste, dass Königin Merwe diese Entscheidungen nicht gutgeheißen hätte. „Mein Vater nahm vor drei Jahren einen Berater am Hof auf. Alanus El Consejero ...“

„Welch ungewöhnlicher Name!“, bemerkte Rabod stirnrunzelnd.

„El Consejero kam von weit her. Zunächst war auch ich ihm gegenüber aufgeschlossen. Er erzählte von seinen ausgedehnten Reisen durch die Welt, von Persien und dem Orient. Er hatte bei einem Volk gelebt, das Sassaniden heißt. Dort hatte er sich ein unvorstellbares Wissen angeeignet über Dinge, von denen am Hof von Sonnenfels noch niemals jemand gehört hatte.“

„Welcherlei Dinge?“ Auch Nivard lauschte gespannt Kunos Ausführungen.

„Um nur eins zu nennen, er erlernte das Spiel auf einem Musikinstrument, das Oud heißt und er lehrte es mich. Das war zu der Zeit, als ich noch nicht erkannt hatte, was er im Schilde führt.“

„Was führt er im Schilde?“, fiel Rabod Kuno aufgeregt ins Wort.

„... , dass er die Macht am Hof an sich zu reißen plante.“ Kuno seufzte. „Aber auch ganz anderes Wissen brachte er nach Harubia und das ist der Grund, warum Vater ihm so sehr vertraut und auch alles mitträgt, was er selbst niemals ausgeheckt hätte oder auch nicht einmal begreift. El Consejero brachte das Wissen eines Medicus nach Harubia, eines Heilers mit Heilkräften und Wissen, von dem wir nie zuvor gehört hatten. Er lehrte in kürzester Zeit die Heiler der Hauptstadt, wie sie der großen Seuche begegnen konnten. Damals war es entsetzlich. Die Menschen wurden krank, siechten dahin, fieberten und bekamen grauenhafte Beulen und dann starben sie und manche fielen einfach tot um, ohne dass sie irgendwelche Krankheitszeichen hatten. Unsere Heiler und Weisen versuchten alles in ihrer Macht Stehende. Sie riefen die Götter an, sie brachten Opfer und wendeten jedes bekannte oder auch unbekannte Heilmittel an, aber sie konnten das Sterben nicht aufhalten. Egal ob jung oder alt, arm oder reich, die Menschen starben und starben. Mich schickte Vater in die Ferne, an den Hof eines Stammesführers des Reiches. Mein Vater verbot mir die Heimkehr aus Sorge, ich könnte auch von dieser Plage befallen werden. Dort, wo ich lebte, gelangte die Krankheit nicht hin. Und meine Mutter, Königin Merwe, sie wurde beinahe wahnsinnig, als sie ihr Volk sterben sah. Sie hat so gelitten und dann verließ sie die Burg und half die Kranken in der Stadt zu versorgen, sammelte die armen Kinder auf, die keine Eltern mehr hatten und brachte sie in anderen Familien unter, damit sie nicht verhungern mussten oder auf der Straße leben und betteln. Und dann geschah es. Auch sie wurde krank. Vater versuchte alles, um sie zu heilen, ließ aus dem ganzen Reich die Heiler an den Hof kommen, aber es half nichts und schließlich starb sie unter schlimmen Qualen. Ich sah sie nie wieder. Und dann kam El Consejero an den Hof. Ein Weitgereister, der behauptete, er könne etwas gegen das Sterben ausrichten.

Vater vergrub sich in seiner Trauer. Er konnte sich selbst zu dieser Zeit nicht mehr um sein Volk und sein Reich kümmern. So ließ er El Consejero schalten und walten wie dieser wollte und El Consejero hatte Methoden, die wir niemals zuvor gesehen hatten. Er duldete keinen Widerspruch. Er ließ Wachen die ganze Stadt nach Kranken absuchen und jeder, der Krankheitsanzeichen zeigte, musste sich aus der Stadt begeben. Es wurde ein großes Krankenlager errichtet. Die Leute lagen auf Strohsäcken unter dem freien Himmel. Wenn sie starben, wurden sie im Moor versenkt. Nur Erkrankte, durften sich um Erkrankte sorgen. Kein Erkrankter durfte jemandem begegnen, der keine Krankheitsanzeichen trug. Zunächst wurden sehr viele Menschen aus der Stadt geholt, aber es wurden immer weniger. Die Häuser der Abgesonderten wurden gekennzeichnet, niemand durfte sie betreten und die Familienangehörigen, die keine Anzeichen hatten, durften die Häuser lange Zeit nicht verlassen. El Consejero ließ die Wachen und Krieger des Königs mit aller Härte diese Bestimmungen durchsetzen. Die Strafen für Verstöße waren grausam. Mancher verendete auch im Verlies an der Krankheit, wenn er sich den Anordnungen widersetzt hatte.

Der Erfolg zeigte sich jedoch bald. El Consejero ordnete diese Maßnahmen für alle Städte des Reiches an und auch für die weniger dicht besiedelten Gegenden und die Landbevölkerung, aber dort trat die Krankheit ohnehin nicht so stark in Erscheinung. Von den Abgesonderten kehrte niemand zurück, aber die Krankheit verschwand nach einiger Zeit.

El Consejero hingegen blieb. Und er schaltete und waltete weiter, wie es ihm beliebte. Vater ließ ihm freie Hand. Wie einst Odin und die anderen Asen Loki ihr Vertrauen schenkten, als er den Riesen Skrymsli tötete, was sie nicht vermocht hatten, so war auch mein Vater seither gewillt, jeden Ratschlag El Consejeros zu befolgen. So holte El Consejero einen ganzen Stab von Beratern und mit ihnen Theophanus an den Hof. Mit Theophanus begann er, den Hof und dann das Volk zu der neuen Religion, die sie das Christentum nennen, zu bekehren. Theophanus ließ erste Häuser seines Glaubens, Kirchen, bauen und ordnete an, dass alle Menschen dazu beitragen müssten, die Krankheit zu besiegen, indem sie sich der neuen Religion zuwendeten. Viele waren und sind davon überzeugt, dass vor allem diese Weisung dazu geführt hat, dass die Krankheit besiegt werden konnte. El Consejero holte sodann Schreiber an den Hof, die jene Dichtungen zusammenfassen sollten, die nur noch erlaubt sein sollten, damit die Menschen nicht mehr fehlgeleitet würden, wie Theophanus sagt. Daran arbeiten sie noch immer und nur ausgewählte Gelehrte dürfen nun noch die Geschichten unter das Volk tragen. Vater vertraut El Consejero und tut alles, was er empfiehlt. Und mein Bruder, der auf meinen Vater folgende König, tut es ihm gleich.“

„Ihr jedoch vertraut El Consejero nicht?“ Rabod sah Kuno fragend an.

„Nein, ich sehe zwar, dass er viel Wissen von seinen Reisen mitgebracht hat. Gutes Wissen. Aber er benutzt es zu seinen Zwecken. Auch Lokis Gerissenheit wurde den Asen immer wieder zum Verhängnis.“

„Was sind seine Zwecke?“ Nivard runzelte nachdenklich die Stirn.

„Er will herrschen. Er hat erkannt, dass er sich das Vertrauen des Königs mit seinem Wissen verschafft. Er will die Stammesführer des Reiches entmachten und allein bestimmen. Dafür hat er das Thing verboten und er will, dass jeder tut, was er sagt, und dafür benutzt er den neuen Glauben.“ Kurz stockte Kuno, ehe er weitersprach. Das, was er sagen wollte, war so unglaublich, dass er es kaum aussprechen konnte vor den Gesellen aus Zeralon. Aber dann sprach er es doch aus: „Und er will nicht nur über Harubia bestimmen. Er flüstert dem König und meinem Bruder ein, sie seien auserwählt, wenn sie an die neue Religion glaubten. Auserwählt, auch über andere zu herrschen, die nicht an die neue Religion glauben. So stiften sie Unfrieden und Hass gegen jene umliegenden Reiche, die nicht willens sind, die alten Götter ins Reich des Vergessens zu schicken ...“ Kuno wusste, dass sich die Zeraloner denken konnten, welche ungeheuerliche Aussage er damit traf.

Kuno war auf seinem Ritt zurück zur Burg seines Vaters sehr nachdenklich und dabei unendlich unruhig und innerlich aufgebracht. Er hätte all das über den Erlenhofbauern am liebsten nicht gehört. Er wusste, dass er etwas tun musste, nur was? Wie sollte es nur weitergehen? Wie lange würde er es noch ertragen, diesem ganzen Treiben tatenlos zuzusehen? Und dabei würde er niemals ein ehrenhafter Krieger werden, obgleich dies sein größter, sein einziger Wunsch war. Doch um ein solcher zu werden, brauchte er von seinem Vater, den Auftrag, der ihm jenen jedoch gerade verweigerte und der in Untätigkeit verharrte, während El Consejero seine Fäden und Stricke ungehindert knüpfen konnte. Und schließlich brauchte Kuno Aufgaben, durch die er sich als ehrenhafter Krieger Harubias beweisen konnte. Doch im Reich seines Vaters - oder sollte er lieber gleich vom Reich El Consejeros sprechen - brauchte es solche ehrenhaften Krieger nicht. Es brauchte Büttel und Wachen und ein Heer von Kriegern, die blind auf Weisungen gehorchten, aber es brauchte keine Krieger mit hehren Absichten.

Er ritt diesmal eine andere Strecke als auf dem Hinweg und durchquerte die Ebenen, in denen die zahlreichen Gehöfte lagen, um von dort zur Hauptstadt zu gelangen und diese bis zur Burg zu durchqueren. Mancher Hof war in alter Bauweise aus Lehm und Holz errichtet. Mit einem Dach aus Stroh. Diese Häuser waren nicht selten fast 30 Meter lang und 7 Meter breit. Andere Höfe waren auf den Überresten Römischer Höfe erbaut, die hier entstanden waren, als das Weströmische Reich diese Region noch beherrschte. In solchen Höfen waren auch die Wohn- und Wirtschaftsräume voneinander getrennt, während die Bauern, die nach der alten Bauweise lebten, mit ihren Tieren die Behausungen teilten. Kuno wusste, dass es nicht zuletzt die Übernahme Römischen Handwerks und Römischer Wirtschaftsformen waren, die Harubia so reich gemacht hatten. In zahlreichen Gehöften befanden sich Ölpressen, Mühlen, Webstühle, Back- und Räucheröfen, Schmieden, Töpferöfen und Glashütten.

Kuno liebte das Reich seines Vaters. Seine Heimat. Die Burg thronte weithin sichtbar auf einer Anhöhe vor den nebligblau in den Horizont ragenden Bergen. Sie thronte auf einem Fels, unweit des einstigen Legionenlagers Bonnum. Sie war auf den Trümmern einer römischen Anlage errichtet und erst vor wenigen Jahren fertiggestellt worden. Noch immer umhüllte sie der Glanz des Neuen. Zwischen den Bergen und der Burg lagen an einer Seite Felder und Wiesen, die durch eine Burgmauer gesichert waren. Auch sie ruhten auf den Fundamenten römischer Mauern. Sie schützten die Felder und Wiesen, die der Versorgung der Burg während einer Belagerung zu dienen gedacht waren. Auf einer anderen Seite lagen Wälder und Moore, auf noch einer anderen ging es an den Bergen und am Rhein entlang ins Land hinein. Die Burg selber thronte über der Hauptstadt, die ebenfalls auf einer römischen Siedlung errichtet worden war, und seitlich der Hauptstadt, vom Rhein aus betrachtet links der Burg, lagen die Ländereien, durch die Kuno nun ritt. Rechterhand von der Stadt aus gesehen, dort wo es in die Wälder und ins Moor hineinging, stand die Burg direkt am Felsrand, sodass dort unter der Burg viele Meter tiefer Felsen klaffte. Dort konnte man von unten die Fensterschlitze der Verliese im Felsstein ausmachen, die unter der Burg in den Felsen gehauen worden waren.

Das Reich war wohlhabend, weil es sich seit König Halvors Regentschaft seit vielen Jahren im Frieden befand, weil die Gesetzgebung milde und gerecht war und weil es seit dem Ende des schrecklichen Fimbulwinters und der darauffolgenden dunklen Jahre fast nur reiche Ernten gegeben hatte. In Harubia wurden an Getreidesorten vorwiegend Dinkel, Gerste und Emmer, aber auch Einkorn, Hafer und Roggen angebaut. An Gemüsesorten und Kräutern gediehen vor allem Bohnen, Erbsen, Linsen und Wicke, Gartenmelde, Amaranth, Rettich und Rüben, Petersilie, Koriander, Fenchel und Sellerie. Zudem wurde Flachs, zur Gewinnung von Spinnstoff und Öl angebaut. Es gab Pferde-, Rinder-, Esel-, Ziegen-, Schaf-, Geflügel und Schweinezucht und es gab Bienenhaltung. Der Obstanbau lieferte Äpfel, Pflaumen, Süßkirschen, Pfirsiche und Walnüsse4. So konnte Sonnenfels all seine Landsleute versorgen und noch Nahrung in andere Reiche verkaufen. Selbst in dürren Jahren, die sich gelegentlich einstellte, hatte noch kaum einer gehungert. Es gab große Vorräte und die Burg selber behielt sich stets wenigstens einen Jahresvorrat vor. Die Bauern bezahlten mit einem geringen Teil ihrer Ernte, die Handwerker und Kaufleute mit einem geringen Teil ihres Erlöses Steuern an den König und dessen Gefolgsleute und hatten doch immer genug. Erst vor drei Jahren hatte der Rat die Steuerlast deutlich angehoben, um damit Ausgaben zu bestreiten, die durch die neue Politik entstanden waren. Etwa der Bau von Kirchen und die Entsendung von Wachen in viele Teile des Landes, um überall für Ruhe und Ordnung sorgen zu können, und um die Stammesführer unter Kontrolle zu bringen, aber auch die Entsendung von Spähern in andere Reiche, hatten die Ausgaben des Königs stark in die Höhe getrieben. Und doch hatten die Landsleute noch genug Auskommen für sich selbst.

Es war ein gutes Leben, das die Menschen von Sonnenfels lebten. Es gab viel Arbeit, aber auch genug zu essen. Die einzigen Schatten wurden durch die neuerlichen Veränderungen geworfen, die nach und nach eingeführt worden waren. Besonders das Verbot des jährlichen Thing, wo Jahr für Jahr der König mit den Stammesführern und Stammesfürsten und den übrigen Freien des ganzen Reiches zusammengekommen war. Dort hatte man gefeiert und gerichtet, verhandelt und gehandelt, gestritten und Pakte geschworen. Dort waren Fehden beendet und Ehen beschlossen worden, dort waren Schicksale vorausgesehen und Schicksale besiegelt worden und dort hatte mancher in wenigen Tagen nahezu sein ganzes Jahreseinkommen bestritten. Und nun gab es all das nicht mehr. Es war das erste Jahr, in dem niemand zusammenkam, das erste Jahr, in dem alle Entscheidungen nur noch vom Rat des Königs ausgingen, in dem die Stimmen der Fürsten und Anführer nicht mehr gehört würden und in denen das Recht nicht mehr durchgesetzt werden sollte, wie es von je her durchgesetzt worden war. Stattdessen hatte El Consejero in den Städten Richter eingesetzt, die die Strafen verhängen sollten, so wie Enno Carus, das für Recht und Gesetz zuständige Ratsmitglied, sie bestimmte.

In diesem Augenblick erreichte Kuno die Stadtmauern. Golden leuchtete der massive Stein im Licht der sich senkenden Abendsonne. Leicht mischten sich Rottöne in diesen Goldschimmer der Steinmauer.

Er nickte dem Wachmann höflich zu und passierte im Schritttempo das südliche Stadttor. Hinter der Mauer war gleich das städtische Leben zu spüren. Die Gassen waren hier eng. Viele hatten versucht, ihre Häuser irgendwie hinter der Stadtmauer unterzubringen. Nur wenige Häuser waren alt, hölzern und windschief, die anderen waren neu und aus blitzendem weißen Stein8. Manche zeugten von großem Reichtum, andere von bescheidenem Wohlstand. Nur wenige gab es, die eine gewisse Not erkennen ließen. Kuno hörte Kinderlärmen und das markdurchdringende Schreien der Wäscherinnen. Er musste Viehwagen und Pferdefuhren ausweichen und manchem aus dem Fenster gegossenen Unrat entgehen. In der Schmiedegasse konnte er gerade noch einem über ihn entleerten Eimer entkommen. Ronja brachte auch das nicht aus der Ruhe.

Wer ihn als Burgbewohner erkannte, zog ehrfurchtsvoll den Hut oder deutete eine Verbeugung an. Einige Mädchen kicherten, als er an ihnen vorbeiritt. Er konnte nicht umhin festzustellen, dass sie sehr hübsch waren. Er schenkte ihnen ein Lächeln, das sie mit noch mehr Gekicher quittierten. Dann tauchte die neuerbaute Kirche vor ihm auf. Man hatte kurzerhand einige Wohnhäuser abgerissen, um Platz für das neue Bauwerk zu schaffen. Das hatte zwar zu etwas Unmut geführt, aber der war recht schnell vergessen worden.

Kurz darauf überquerte er den Marktplatz. Hier also war der Bauernsohn verhaftet worden. Im selben Augenblick wurde er auf eine Stadtpatrouille aufmerksam, die ihre übliche Runde machte, um sicherzustellen, dass es ruhig blieb in der Stadt. Er wollte soeben in die Stellmachergasse einbiegen, als er hörte und sah, wie eine aufgebrachte Frau auf die Stadtwache zulief. „Wache, Wache, soeben wurde ich Zeugin, wie ein Betrunkener in der Schulzenschenke den Rat des Königs beschimpfte. Geht und sorgt für Ordnung. Es ist nicht mehr zu ertragen, wie dreist diese Leute den König beleidigen!“

Kuno schloss kurz die Augen und seufzte, dann ritt er weiter zur Burg hinauf. Der Weg wurde hier etwas steiler und führte über manche Steintreppe. Die Burg lag deutlich erhöht zwischen den Häusern der Hauptstadt. Kuno wusste, dass er mit seinem Vater sprechen musste, um den Bauernsohn freizubekommen. Die Wachen würden tun, was der König sagte. Auf Kuno gaben sie nichts. Er musste seinen Vater erwischen, wenn dieser nicht umgeben war von den Ratgebern.

Doch Kuno erfuhr im Burghof, dass sich sein Vater in einer wichtigen Beratung befand. Kuno begab sich ebenfalls in den Ratssaal im Burgfried, dem wichtigsten Teil der Burg. Der Saal war der größte Saal der Burg. Die Steinsäulen waren mit Römischen Mosaiken verziert. Die Decke wölbte sich viele Meter über den Köpfen der Männer, die hier um einen monumentalen Steintisch auf reich verzierten Holzstühlen saßen. Der Tisch trug ein Relief, das das Reich abbildete. Man konnte darauf die wenigen Berge in der Mitte des Reiches erkennen, die von großen Ebenen umgeben waren. Die Hauptstadt lag zentral vor dem Bergmassiv. Drumherum lagen tiefe Wälder, die immer wieder Durchbrechungen aufwiesen, wo sich Ortschaften mit Dörfern, umgeben von Siedlungen mit Gehöften, Feldern und Wiesen oder ganze Städte gebildet hatten. Im Süden vor der Burg und der Hauptstadt floss der Rhein. Auf dem Strom an der Hauptstadt wurde reger Handel getrieben. Er und auch andere, kleinere Flüsse waren die Adern des Landes.

Um den Tisch saßen bereits sein Vater, König Halvor, sein Bruder, Prinz Raimon und alle zwölf Ratsmitglieder.

„Wir müssen für den Handel mit Zeralon eine Münzwährung einführen.“ Der Erste des Rates, Alanus El Consejero blickte mit ernster Miene in die Runde. Er war ein Mann mittleren Alters, hochgewachsen und stattlich. Er wirkte kräftig und ehrgeizig. Kuno verachtete ihn und er wusste, El Consejero verachtete ihn nicht weniger.

„Aber warum? Wir haben stets direkt unsere Waren ausgetauscht. Wir unsere Erzeugnisse an Zeralon und die Zeraloner ihre Metalle an uns.“ König Halvor schien nicht zu begreifen.

„Zeralon denkt wahrlich, es sei uns ebenbürtig. Doch in Wahrheit ist es uns weit unterlegen. Die Metalle aus Zeralon mögen von einigermaßen brauchbarer Güte und Qualität sein, doch habt ihr mal versucht eure Landsleute mit Metall zu füttern?“ El Consejero schaute sich siegessicher unter den Ratsmitgliedern um. Mancher lachte amüsiert auf. Theophanus knetete mit gesenkten Lidern seine Hände.

„Entschuldigt bitte vielmals meine ungebührlichen Reden“, fuhr El Consejero fort. „Aber was ich sagen will ist, die Rohstoffe sind das eine, aber die rückständige Lebensweise der Zeraloner ist die weit größte Schwäche dieses Reiches. Dort herrscht nach wie vor der Vielgötterglaube. Die einzig wahre Religion ist dort noch nicht eingeführt worden und wird es auch gewiss nicht. Der König von Zeralon ist nicht bereit, sein Land Reformen zu unterziehen, um den Schritt in die neue Zeit einzuleiten. Man hat aus den schrecklichen Jahren der Seuche keine Lehren gezogen, hat die Botschaft der Seuche nicht begriffen. Noch immer vertraut man dort ausschließlich auf die abergläubischen, heidnischen Alten und in den Köpfen leben die alten Sagen. Der König lässt sich noch immer von den Stammesfürsten und übrigen Freien, die er regieren soll, beim Thing in die Politik hineinreden ...“

„Wir haben bis vor kurzem genauso gelebt!“, warf Kuno mutig ein. Er konnte die Reden von El Consejero nicht leiden. „Vater, wir haben immer auch so gelebt!“

Alle Blicke richteten sich auf Kuno. Es waren vernichtende Blicke. Kuno fühlte sich plötzlich klein und geschlagen. Er verabscheute dieses Gefühl, das El Consejero so vortrefflich auszulösen vermochte. Kuno sah die abschätzigen Blicke, die auf ihn gerichtet wurden und konnte den Umsitzenden ansehen, dass sie meinten, er habe hier am Tisch nichts zu suchen. Kuno versuchte mit aller Macht, das Gefühl, fremd zu sein, hier keinen Platz zu haben, abzuschütteln. Doch, er hatte hier einen Platz. Es war sein Vater und es war sein Bruder, die hier saßen. Kuno wünschte sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als dass sein Vater und sein Bruder ihm zustimmen würden. Aber sie schwiegen. Wie sie es stets taten.

Stattdessen ergriff El Consejero das Wort. „Nun ja, gewiss. Wie an der Äußerung dieses jugendlichen Menschen zu erkennen ist, fällt es gewiss nicht jedem leicht, die Notwendigkeiten der neuen Zeit, einer besseren Welt, das Gute und Wahre an unseren Reformen zu erkennen. Es ist nicht jedem gegeben, zu sehen, dass wir für eine bessere Welt, für mehr Frieden und Schutz streiten. Und es ist nicht von heute auf morgen getan und erfordert langwierige Überzeugungsarbeit, um auch die weniger klugen, die weniger mit Weisheit gesegneten, die einfachen und die tumben Menschen im Land - ohne selbstverständlich sagen zu wollen, dass Euer Sohn zu ihnen zählt, großer König - diese Segnungen erkennen und annehmen zu lassen. Aber Ihr habt es doch schließlich längst erkannt, König Halvor, dass unsere Reformen eine bessere Zukunft bedeuten. Wir werden von schrecklichen Heimsuchungen viel weniger bedroht sein, denn wir haben dem Vielgötterglauben abgeschworen und folgen nun dem einen wahren Gott. Wir werden schrecklichen Ereignissen viel besser begegnen können, denn wir folgen den Erkenntnissen der Wissenschaft und der Gelehrten und nicht dem Aberglauben der Unwissenden und Ungelehrten. Wir handeln nach Prinzipien, die die Welt zu einem besseren Ort machen. Alle können diese Segnungen erfahren, sie müssen uns nur fraglos vertrauen und unbedingt folgen.“ El Consejero atmete tief durch, ließ seine Worte auf die Zuhörerschaft wirken, wartete mit selbstsicherer Miene.

Kuno atmete ebenfalls tief durch. Er wusste, dass er nichts mehr zu sagen brauchte. Er würde kein Gehör finden, sondern nur weiter den Beleidigungen dieses Emporkömmlings ausgesetzt sein.

„Kommen wir zu einem anderen Punkt“ brach Konrad das allgemeine Schweigen.

„Nur kurz noch, ich lasse dann also die Gelehrten in der Schreibstube eine Münzwährung ausarbeiten?!“ El Consejero blickte König Halvor mit einem Blick an, der verriet, dass seine Frage rhetorischer Art gewesen war.

König Halvor nickte zögerlich.

„Es wird ein Leichtes, das Volk davon zu überzeugen, dass es viel gerechter und für beide Seiten viel gewinnbringender sein wird, gegen Münzgeld zu tauschen, als weiter gegen Naturalien. Zudem wird es um ein Vielfaches leichter, die Steuerschulden zu berechnen.“ El Consejeros Ton war beiläufiger Natur. „Nun denn!“ El Consejero machte eine Markierung auf dem Pergament, das vor ihm lag, dann blickte er Konrad aufmunternd an.

„Die Verkündung, das Thing werde dieses Jahr nicht stattfinden, hat zu unvorhergesehenen Unruhen unter den Stammesführern und Freien in mehreren Teilen des Landes geführt.“

„Ja, und?“ El Consejero hatte die Arme aufgestützt und sein Kinn auf seine Hände gelegt. Es ragte keck hervor. Sein Blick verriet Überlegenheit.

„Vielleicht muten wir den Leuten zu viele Veränderungen auf einmal zu. Die Medizin schluckt sich besser in kleinen Happen!“ Theophanus lachte amüsiert auf.

„Das mag sein, dass sie sich in kleinen Happen besser schlucken lässt, aber die Happen sind klein genug. Sollen sie ruhig murren. So erkennen wir wenigstens die Feinde unter ihnen und können sie absondern. Solange kein Flächenbrand entsteht, sind die Happen klein genug und der ist nicht absehbar. Zurzeit. Mir erscheint vielmehr, dass immer mehr Menschen im Land begriffen haben, dass es besser ist, unseren Reformen Folge zu leisten. Artig statten sie uns Bericht ab, wenn ihre Nachbarn gegen ein Verbot verstoßen und fühlen sich dabei als im Recht stehend. Ich denke also, wir können so weiter fort-fahren. Und das müssen wir schließlich auch. Die Macht fußt von jetzt an auf drei Säulen. Euch, König Halvor und euch Prinz Raimon. Das ist die erste Säule. Dem Glauben, den der hochwürdige Theophanus ins Land trägt, - er ist es auch, der mit seinen gut ausgebildeten Schreibern und Untergebenen das Machtgefüge verstärkt - und die Eure Herrschaft betonende Einbindung der Stammesfürsten. Der Thing hat stets zu inneren Instabilitäten beigetragen, denn allzu viele Stammesfürsten haben sich dadurch ermutigt gefühlt, Euch Euren Herrschaftsanspruch streitig zu machen. Der Thing findet nicht statt. Stattdessen sorgen die von uns entsandten Wachen allerorts für Ordnung und Ruhe und erstatten uns Bericht über gefahrvolle Umtriebe. Wir haben besonders in die Gegenden, wo die streitsüchtigsten Stammesführer leben, Kundschafter entsandt. Sie werden uns alle wichtigen Nachrichten über Umtriebe und Umsturzversuche zutragen. Und es wird zudem in diesem Sommer wieder möglich sein, die Städte des Reiches zu bereisen und so dem Volk zu zeigen, wer ihr König ist. Nachdem die Lokibande gefasst werden konnte und nun unter uns im Kerker sitzt, anstatt die Wälder um die Hauptstadt herum unsicher zu machen, ist es wieder sicher für Euch, über Land zu ziehen. Das wollen wir auch sogleich besprechen. Prinz Raimon kann Euch in diesem Jahr begleiten, um sich seinem Volk als Nachfolger auf dem Thron zu präsentieren. Wir werden das Volk mit rauschenden Festen und mit phantastischen Feierlichkeiten auf Euch einstimmen. Sie werden Euch zu Füßen liegen und blind überallhin folgen. Vertraut mir nur. Ich habe mir unlängst viele Gedanken dazu gemacht, derer ich Euch sogleich teilhaftig werden lasse.“

Kuno mochte sich die Reden El Consejeros nicht länger anhören. Es machte ihn traurig, dass sein Vater und sein Bruder nichts, aber auch gar nichts zu den Besprechungen beitrugen, sondern alles geschehen ließen. Er erhob sich und nickte seinem Vater eilig zu, dann zog er sich aus der Beratung zurück.

Kuno fühlte sich traurig, müde und kraftlos, als er durch die Burg zu seinen Gemächern ging. Er durchschritt lange steinerne Gänge, vorbei an schmalen Fenstern, durch die die milde Frühsommersonne blitzte. Aber das nahm er kaum wahr. Stattdessen dachte er schwermütig über seinen Vater und seinen Bruder nach. Der alte König Halvor hatte Kuno nie nahegestanden. Halvor liebte besonders seinen großen Sohn Raimon, Kunos älteren Bruder. Ihn hatte er stets an seiner Seite gehabt, während Kuno, der viel jünger war als sein Bruder, sich immer am liebsten in der Nähe seiner Mutter aufgehalten hatte. Von den Dingen, über die sein Vater und sein Bruder sprachen, hatte er nie etwas verstanden. Er war zu jung gewesen. Aber auch später, als er nicht mehr zu jung gewesen war, hatten ihn die Gespräche nicht so sehr interessiert. Kuno wusste, dass auch er einmal König werden sollte, denn auch der Merowinger Chlodwig hatte sein Reich unter seinen Söhnen aufgeteilt. Danach war es auch an Kuno, König zu werden, und zwar über die Hälfte König Halvors Reiches. Aber Kuno hatte das nie gewollt. Wie oft hatte er sich darüber verwundert, mit welchem Ehrgeiz manch anderer Herrscherssohn sich seiner Brüder zu entledigen versuchte, um allein zu herrschen und sogar die Söhne Chlodwigs ließen keine Gelegenheit aus, gegen die eigenen Brüder zu intrigieren. So weit er zurückdenken konnte, hatte er immer nur eines gewollt, nämlich als ehrenhafter Krieger Harubia zum Schutz zu dienen. Er erinnerte sich gut an die Geschichten, die seine Mutter, Königin Merwe ihm als Kind erzählt hatte, von den Merowingern, die Harubia von allen Seiten umklammerten und von seinem Vater, der so lange schon diesem Druck standgehalten hatte. Während die Franken unter Chlodwig sich von den Göttern abgewendet hatten und längst glauben wollten, was die Christen ihnen erzählten, von ihrem einen Gott, der neben sich keine anderen duldete. Königin Merwe hatte ihm einst die Geschichte von Thor und Tyr erzählt, die zu dem Riesen Hymir gereist waren, um Ägirs Braukessel für die Asen zu holen. Und Hymir und Thor waren in Wettstreit geraten. Hymir hatte Thor seinen Becher gegeben und ihn aufgefordert, diesen zu zerbrechen, wenn es ihm gelänge. Thor hatte alles versucht. Den Becher gegen Säulen geschleudert, woraufhin der Becher die Säulen durchschlagen, jedoch unversehrt geblieben war. Da hatte Tyrs Mutter, die Tochter Hymirs, Thor zugeflüstert, er solle den Becher Hymir an den Kopf schleudern, denn der allein sei hart genug, den Becher zu zerbrechen und Thor war dem Rat gefolgt. Tatsächlich verschellte der Becher in Scherben, Hymirs Stirn jedoch hatte keine Schramme gezeigt.5 So hart wie Hymirs Schädel waren auch die Schädel der Merowinger. Auch an ihnen würde Hymirs Becher zerschellen, sie aber nicht einmal eine geringe Verletzung davontragen, da war sich Kuno sicher. Und während Chlodwig alle um sich herum bezwang und unter seine Knute brachte, wurde in Harubia weiter nach der alten Lebensweise gelebt. Hier hatte der verleugnerische Gott der Christen keinen Einzug halten und seine absonderliche und abenteuerliche Alleinmachtstellung einnehmen können und hier hatten stets die Großen des Reiches mit dem König zusammen die wichtigen Entscheidungen auf dem Thing abgestimmt. Für dieses Reich hatte er kämpfen wollen. Er hatte dies seinem Vater und Raimon schließlich erklärt und Vater hatte sich schnell mit dem Gedanken angefreundet, dass das Reich erhalten bliebe und sein großer Sohn Raimon Herrscher werden würde. Er hatte keine Vorbehalte gegen Kunos Wunsch gezeigt, jedoch gleich unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er Kuno gewiss nicht die Kriegerwürde erteilen würde. Kuno hatte die widersprüchliche Haltung seines Vaters nie verstanden, aber auch nicht weiter versucht, herauszufinden, weshalb dieser sich so verhielt. Er wusste nicht, wie er mit seinem Vater sprechen sollte, wie er ihn verstehen sollte. Er hatte das Gefühl, König Halvor und Raimon waren vollkommen andere Menschen als er. Sie dachten anders, sprachen anders und handelten anders als er. Manchmal drängte sich Kuno ein Bild in den Kopf, dass er jedoch sogleich wieder verbannte. Er sah dann Odins Söhne Baldr und Hödur, wie sie über das Idafeld streiften. Zwillinge, die sich so liebten und dabei so verschieden waren. Der eine, hell, freundlich, frohgemut, der andere still, finster, und von Geburt an blind. Kuno liebte Raimon. Er hatte ihn, den so viel älteren, immer geliebt und auch zu ihm aufgesehen. Lange war sich Kuno wie Hödur vorgekommen, doch seit El Consejero die Gunst seines Vaters und seines Bruders errungen hatte, kam es ihm manchmal eher so vor, als gleiche Raimon Hödur. Doch das war ein schrecklicher Gedanke. Ein Gedanke, den sich Kuno verbot. Hödur und Baldr hatten sich geliebt, und doch war Hödur Baldrs Verhängnis geworden. Angestiftet durch Loki, den Zweigesichtigen, hatte er den tödlichen Mistelzweig auf seinen Bruder geschossen, in dem von Loki vorgegaukelten Irrtum, der Pfeil könne Baldr nichts anhaben … Nein, diese Gedanken waren so finster und so gewaltig, dass Kuno sie nicht zulassen konnte.