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Mutabor Science Fiction Roman von W.K. GIESA Der Umfang dieses Buchs entspricht 230 Taschenbuchseiten. Ein selbst leuchtendes Objekt nähert sich der Erde. Die Astronauten des Space Shuttle glauben ihren Augen nicht zu trauen, doch in den offiziellen Verlautbarungen heißt es, es handelt sich um einen Meteoriten. Was aber hat Monty Laird damit zu tun, der von diesem Gestein magisch angezogen wird? Die Antwort findet sich vielleicht in den alten Traumzeitlegenden der Aborigines, die mit ihren Überlieferungen direkt in das Leben der modernen Menschen eingreifen. Wie gefährlich ist der Meteorit wirklich?
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Seitenzahl: 269
Mutabor
W. K. Giesa
Published by Casssiopeia-XXX-press, 2017.
Title Page
Mutabor | Science Fiction Roman von W.K. GIESA
Copyright
1. Als die Sterne sangen
2. Zeit der Träume, Zeit der Wünsche
3. Jagdzeit
4. Mordzeit
5. Rauhnächte
6. Traumzeit
7. Endzeit
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Also By W. K. Giesa
About the Publisher
Der Umfang dieses Buchs entspricht 230 Taschenbuchseiten.
Ein selbst leuchtendes Objekt nähert sich der Erde. Die Astronauten des Space Shuttle glauben ihren Augen nicht zu trauen, doch in den offiziellen Verlautbarungen heißt es, es handelt sich um einen Meteoriten. Was aber hat Monty Laird damit zu tun, der von diesem Gestein magisch angezogen wird? Die Antwort findet sich vielleicht in den alten Traumzeitlegenden der Aborigines, die mit ihren Überlieferungen direkt in das Leben der modernen Menschen eingreifen. Wie gefährlich ist der Meteorit wirklich?
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© Lebenswerk Werner Kurt Giesa durch Jörg Munsonius und Alfred Bekker
© Cover: Nach Motiven von Pixabay mit Steve Mayer, 2017
© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Montag, 13. Dezember 1999: Natürlich war es ein Hobby-Astronom, der das Objekt zuerst sichtete. Die meisten Novitäten am Sternenhimmel werden von Hobby-Astronomen entdeckt. Nur sie haben Zeit und Muße, auf der Suche nach dem Unbekannten den gesamten Raum abzusuchen. Die Profis, die beruflichen Sternbeobachter, haben dazu nicht die Zeit und auch selten die Gelegenheit. Die großen Observatorien sind auf Jahre hinaus mit Beobachtungsaufträgen eingedeckt. Für die Zeit, in der Wissenschaftler diverser Forschungsinstitute und Universitäten die Observatorien nutzen können, muss eine Menge Geld bezahlt werden, und so sind die Astronomen und Astrophysiker praktisch gezwungen, die jeweilige ihnen zugeteilte Zeitspanne so optimal wie möglich für ihre Forschungsaufträge zu nutzen. Einfach mal so ins All hinauszuschauen, dafür ist die bezahlte Zeit zu kostbar in jeder Hinsicht. So kommen Berufsastronomen weniger oft zu Entdeckerruhm als die Amateure.
Anders wird es nur, wenn die Entdeckung eines Hobby-Astronomen genügend Aufsehen erregt, und man von Profi-Seite alles daran setzt, das jeweilige Phänomen genauestens zu erforschen.
Das Objekt, das Rico diLorenzo entdeckte, war ein selbstleuchtender Körper von zunächst unbestimmbarer Ausdehnung und Masse. Er bewegte sich mit relativ hoher Geschwindigkeit im Winkel von etwa 70° zur Ekliptik des Sonnensystems auf die Erde zu.
Zunächst maß niemand seiner Beobachtung Bedeutung bei, da sie von anderen Astronomen nicht
bestätigt werden konnte. Aber zwei Tage später entdeckte diLorenzo das Objekt erneut und konnte jetzt Richtung und Geschwindigkeit sehr genau bestimmen.
Das Objekt würde die Erde um mindestens 200000 Kilometer verfehlen, durch ihre Schwerkraft in eine enge Kurve gezwungen werden und das Sonnensystem alsbald wieder verlassen, ohne mit einem der vielen anderen Himmelskörper auch nur in Berührung zu kommen.
Es würde sehr schnell gehen.
Rico diLorenzo bedauerte dies. Er hätte gern mehr Zeit gehabt, das Objekt eingehend zu studieren.
*
FREITAG, 17. DEZEMBER 1999, 14:45 Uhr zentralamerikanischer Zeit
In seinen Gedanken sah Jefremow die Raumstation Mir als Lichtpunkt in der Ferne verschwinden. Immer kleiner, immer weiter entfernt, und mit einem Mal konnte er sich kaum noch vorstellen, dass er über ein Dreivierteljahr in der russischen Station zugebracht hatte, gemeinsam mit drei weiteren Kosmonauten und Wissenschaftlern, die noch eine Weile im Weltraum bleiben würden.
In Wirklichkeit konnte er Mir nicht sehen; schon längst nicht mehr. Das Abkopplungsmanöver lag bereits über 30 Stunden zurück, und ganz abgesehen davon zeigte das Fenster des Space Shuttle in Flugrichtung. Dabei hätte Jefremow gern noch einmal einen Blick auf das künstliche Gebilde aus Metall und Kunststoff geworfen, allein um sich zu vergewissern, dass er die fast 10 Monate nicht nur geträumt hatte.
Ein wenig fürchtete er sich vor der Rückkehr zur Erde. Sein Körper hatte sich an die Schwerelosigkeit gewöhnt. Obgleich er täglich intensiv trainiert hatte, war der Abbau von Muskeln und Knochensubstanz unvermeidlich geblieben. Das war der Preis, den Menschen für den Daueraufenthalt im Weltraum zu zahlen hatten. Natürlich würde er auf der Erde bald wieder zu Kräften kommen, aber die ersten Wochen waren hart.
Andererseits: endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben, sich endlich wieder nach »unten« und »oben« orientieren können ... den blauen Himmel über sich zu sehen und unter diesem freien Himmel frische Luft zu atmen, anstelle der wiederaufbereiteten in einem abgeschlossenen Gebilde, das kaum genug Platz bot, um eigene Bedürfnisse entfalten zu können.
Er war nicht der Mann, der sich über solche Kleinigkeiten beklagte. Er hatte vorher gewusst, was auf ihn zukam. Mit Anpassungsproblemen wäre er niemals Kosmonaut geworden. Doch er wusste auch, dass Menschen nicht für den Weltraum geschaffen waren.
Er wandte sich wieder den Funkarmaturen zu. Natürlich war er auch in der Columbia nicht nur Gast, sondern Mitglied der Crew. Hier war alles irgendwie heller als in der Mir, allerdings teilweise auch komplizierter. Russische Technik war primitiver, aber nicht weniger effizient, und nicht ganz so störungsanfällig. Die der Amerikaner war fraglos besser, moderner, aufwendiger. Doch je mehr Technik existiert, desto mehr kann auch ausfallen.
Das zumindest war Jefremows Befürchtung angesichts des instrumentenübersäten Cockpits.
Wenigstens hatte er mit der Steuerung des Space Shuttles nichts zu tun. Da ließen die Amerikaner keinen anderen ‘ran. Also brauchte Jefremow auch nicht umzudenken, konnte erst recht nichts falsch machen.
Es war so etwas wie ein geplanter Zufall, dass er in der Columbia mitflog. Als seine Ablösung fällig war, war in Baikonur einmal mehr keine Rakete startbereit gewesen. Daran hatte man sich fast schon gewöhnt; wer zur Station hinaufflog, rechnete insgeheim längst mit einem bis drei Monaten Aufenthalt über die geplante Zeit hinaus. Finanzprobleme überall; es fehlte an Geld für das Nötigste. Gerade mal unbemannte Versorgungsraketen konnten noch zur Mir gesteuert werden. In all den Jahren nach dem Ende der Sowjetunion war es nie mehr besser geworden. Dass der Betrieb des Weltraumbahnhofs überhaupt aufrecht erhalten werden konnte, glich schon einem kleinen Wunder; das »Sternenstädtchen« lebte nur noch vom Glanz vergangener Zeiten und vom Sponsoring amerikanischer Tabakkonzerne, die bisweilen Abenteuer-Aktionen nach Kasachstan verlagerten und den Teilnehmern einen Hauch von Zukunft vorgaukelten. Das Abenteuer erschöpfte sich im Antesten von Zentrifugen, Simulatoren und Dia-Shows, und manchmal sogar der Besichtigung der russischen Raumfähre Buran, die nach ihrem Jungfernflug den Weltraum nicht mehr gesehen hatte und nun lautlos vor sich hin rostete, obgleich sie größer und besser war als die Shuttles der NASA. Aber für Baikonur und das »Sternenstädtchen« kam dabei trotzdem nicht viel heraus; wenig Geld, dafür viel Ruhm, für den sich keiner der dort unterbezahlt, manchmal gar unbezahlt beschäftigten Menschen etwas kaufen konnte. Statt dessen störten die Westentaschen-Abenteurer den kargen noch laufenden Betrieb. Und man musste sich anstrengen, ihnen etwas zu bieten; Glanz und Glorie waren angesagt, Armut durften sie nicht mal aus den Augenwinkeln am Rande des Geschehens wahrnehmen.
Dies fraß das wenige hereinkommende Geld weitgehend wieder auf. Für Wissenschaftler, Techniker und Kosmonauten blieb nicht viel. Möglicherweise war nicht einmal mehr Jefremows vollständiges Gehalt auf seinem Konto angelangt.
Da Baikonur keine Rakete schicken konnte, sprang die NASA ein. Der Flug der Columbia war ohnehin vorgesehen; sie brachte Material zum Bau der internationalen Raumstation Freedom ins All. Es bedeutete nur wenig Aufwand, eher eine Menge Rechenarbeit, kurz an der Mir anzudocken, Kapitän Jefremow aufzunehmen, seine Ablösung in der Station zurückzulassen und nebenbei Versorgungsgüter anzuliefern.
Jefremow lächelte verloren. Er versuchte sich auszumalen, wann und unter welchen Umständen die anderen zurückgeholt werden würden. Und wie lange noch Geld da sein würde, Mir überhaupt weiter unterhalten zu können.
Wie würde es mit Freedom künftig sein? Finanziert nicht von einem Staat allein, sondern gleich von mehreren. Aber auch die knauserten immer mehr mit den Finanzmitteln für die bemannte Raumfahrt.
Vielleicht gehören wir Raumfahrer einer aussterbenden Art an, dachte er. Wir sind die modernen Dinosaurier. Dabei hätte uns die Zukunft gehören sollen.
Er sah von den Instrumenten wieder auf und aus dem Fenster. War da nicht ein Lichtpunkt, der heller war, als er eigentlich hätte sein dürfen?
So nahe waren die Sterne doch nicht!
Jefremow stieß den Commander an und deutete auf das Fenster. »Schau dir das an«, murmelte er fast andächtig. »Sag mir, was ist das, mein Freund?«
»Was sagt das Radar?«, fragte Ulysses L. Sherydan zurück. »Und was sagt Houston?«
Houston sagte nichts; niemand hatte das Objekt auf den Schirmen.
»Dabei müsste es zu erfassen sein«, murmelte der 45jährige Commander. »Schließlich leuchtet es doch.«
»Weltraumschrott?«, überlegte Stone. »Vielleicht ein brennender Satellit?«
»Satelliten brennen nicht«, erwiderte Jefremow. »Sie verglühen höchstens, wenn sie in die Erdatmosphäre eintreten. Aber das Objekt da draußen ist von der Atmosphäre noch sehr, sehr weit entfernt.«
»Aber nicht von uns, Pawel Sergejewitsch«, sagte Sherydan. »Wir sind ziemlich nahe dran. Frag doch noch mal nach. Irgendeine Kontrollstelle muss es doch erfassen, oder ein Astronom mit seinem Teleskop. Die sollen unten mal ein bisschen Dampf machen. Theoretisch dürfte da draußen gar nichts sein.«
Jefremow funkte wieder. Nach nur wenigen Minuten kam die schon etwas ärgerlichere Antwort aus Houston, dass im genannten Bereich außer dem Shuttle kein anderer Flugkörper existiere.
»Das ist doch verrückt«, sagte Jefremow. »Ich sehe es, du siehst es, Ulysses, auch Stone sieht es – warum sieht es Houston nicht? Warum bekommt es von der Erde aus keiner auf die Schirme?«
»Wenn es existiert, müssen sie es feststellen können«, behauptete Stone.
»Können wir es denn feststellen?«, fragte Sherydan. »Ich kann mich vage entsinnen, vor geraumer Zeit nach dem Radarbild gefragt zu haben, Mick.«
»Kein Radarbild, Commander«, brummte Stone. »Ich werd’ verrückt ...«
»Keine leeren Versprechungen«, warnte Sherydan sarkastisch.
Jefremow warf ihm einen misstrauischen Blick zu. »Dieser Kalauer ist doch uralt und außerdem eine russische Erfindung«, behauptete er, während er sich halb aus seinem Sitz erhob und sich, sorgfältig balancierend, halb zu Stone hinüber beugte, um einen Blick auf den Radarschirm zu werfen. In der Tat – dort, wo durch das Fenster das leuchtende Objekt zu sehen war, wurde nichts angezeigt. Es war, als existiere das Objekt überhaupt nicht.
Sherydan grinste nur.
Plötzlich rief Houston durch.
»Geben Sie noch einmal die genauen Daten des unbekannten Flugobjekts.«
»Unbekanntes Flugobjekt?«, echote Stone. »Glauben die jetzt, da kämen die grünen Männchen vom Mars? Außerdem, wie soll ich die Daten durchgeben, wenn das Radar nichts erfasst?«
»Schon mal was davon gehört, dass man so was Pi mal Daumen schätzen kann?«, schlug Jefremow vor.
»Das Schätzen ist auch eine russische Erfindung«, spöttelte der Commander.
»Mehr als das Schätzen – das Brandschatzen«, sagte Stone und grinste sich eins.
Jefremow drohte ihnen mit der Geste des Halsabschneidens. »Nun mach schon, Mick«, verlangte er.
Stone ächzte. »Lasst mich mal schauen und nachdenken. Unser Kurs ist ...« Seine Stimme sank zu unverständlichem Gemurmel. Als er wieder laut sprach, gab er eine Flut von Zahlen und Buchstaben von sich. Jefremow wiederholte sie für den Funk.
»Bitte warten, Columbia«, kam es aus Houston. Dann, Minuten später – der leuchtende Punkt war inzwischen größer geworden; Shuttle und Leuchtobjekt hatten sich einander also weiter angenähert –, meldete sich das Kontrollzentrum der NASA wieder.
»Es könnte sich um ein Objekt handeln, das der italienische Amateurastronom diLorenzo beobachtet haben will. Die Information wurde via Internet verbreitet. Ihre Angaben und die von diLorenzo errechnete Bahn des Objekts stimmen teilweise überein.«
»Teilweise definieren«, verlangte Jefremow prompt.
»Es gibt leichte Abweichungen der Flugbahn«, kam es aus Houston zurück. »Aber die Lokalisation müsste stimmen.«
»Frag ihn, warum man uns das nicht vorher gesagt hat, Pawel Sergejewitsch«, verlangte der Commander. »Wenn das Objekt schon dermaßen nahe ist, muss es doch schon seit geraumer Zeit unter Beobachtung stehen.«
Die Antwort von der Erde war nicht sonderlich zufriedenstellend. Man habe diLorenzos Beobachtungen aus Expertensicht angezweifelt, da es selbstleuchtende Körper dieser Art nicht geben könne.
»Was heißt hier dieser Art?«, knurrte Stone. »Was wissen die, was sie uns nicht erzählen wollen? Wenn sie was von dieser Art erzählen, haben sie doch schon nähere Daten! Die nehmen uns auf den Arm, Commander!«
»Selbstleuchtend?«, fragte Jefremow unterdessen erstaunt zurück.
»Nicht reflektierend«, hieß es aus Houston. »DiLorenzo behauptet, das Objekt leuchte aus sich heraus, reflektiere nicht wie andere stellare Körper das Licht unserer Sonne.«
»Mir egal, ob es reflektiert oder selbst leuchtet«, sagte Stone. »Es ist auf Kollisionskurs. Wenn wir nicht etwas tun, wird es uns treffen. Es ist ein Meteorit, nicht wahr? Groß genug, das Shuttle in eine Million winziger Teilchen zu zertrümmern.« Er räusperte sich und deutete mit Daumen und Zeigefinger einen Minimalabstand an. »Vor ein paar Jahren«, fuhr er fort, »hatte die Atlantis geradezu unwahrscheinliches Glück, als ein Partikel eine der Kanzelscheiben traf. Sie wurde zwar nicht beschädigt, nur angekratzt, aber immerhin stark genug, dass hinterher die komplette Scheibe ausgetauscht werden musste. Und das war eben nur so ein winziges Teilchen!«
Sherydan wartete nicht ab, bis jemand in Houston reagierte und ihm neue Kursangaben zufunkte. Er griff in die Steuerung ein und handelte nach eigenem Daumenpeilverfahren. Die Schubdüsen flammten einmal kurz auf. Das Shuttle beschleunigte etwas, brach damit aus dem bisherigen Kurs aus und ging in eine geringfügig höhere Flugbahn. Der Bordrechnerverbund nahm die Korrekturdaten auf. Hoffentlich, dachte Sherydan, fällt er nicht wieder aus wie beim letzten Flug, dass wir von Hand in die alte Landespirale zurücklenken müssen – oder uns Houston anvertrauen ...
Jefremow warf ihm einen nachdenklichen Seitenblick zu, und der Commander zuckte kaum merklich zusammen. Sekundenlang hatte er das unangenehme Gefühl, der Russe könne seine Gedanken lesen.
»Neue Kursdaten an Bodenkontrolle senden«, sagte Sherydan etwas schroffer als gewollt. »Lauten wie folgt ...«
Jefremow wiederholte und sendete.
»Verstanden, Columbia«, kam es von Houston zurück. »Errechnen neue Flugparameter. Können aber immer noch nichts auf eurer alten Flugbahn anmessen. Könnt ihr uns den Gefallen tun und diesen diLorenzo-Kometen, oder was auch immer es ist, fotografieren?«
»Können wir, Houston«, versprach Jefremow schnell und unaufgefordert. Sherydan runzelte die Stirn. »Aber ihr könnt auch etwas tun«, fuhr der Russe fort. »Sie sagten vorhin etwas von einem Körper dieser Art, Bodenkontrolle. Was ist damit gemeint? Welche Definition liegt Ihnen für diese Art vor?«
Fast eine Minute lang kam nur statisches Rauschen. Stone sah neugierig zu den Funkarmaturen, als könne er die Antwort aus Houston damit schneller herbeizaubern. Er trommelte nervös mit den Fingern auf seiner Konsole herum.
»Oh, hat das jemand so gesagt?«, kam es dann aus dem Lautsprecher.
»Ja, das hat jemand so gesagt«, knurrte Stone im Hintergrund, als Jefremow auf die Sendetaste drückte.
»Es hat keine Bedeutung«, funkte Houston diesmal wesentlich schneller. »Falsche Formulierung. Ihr wisst mehr über das Objekt als wir. Ihr könnt es wenigstens sehen. Außer diesem diLorenzo hat es bisher niemand sichten können; ihr seid die ersten, die seine Beobachtung bestätigen könnten, falls es tatsächlich diLorenzos Himmelskörper ist.«
»Wie schön«, brummte Sherydan. »Dann muss er Ruhm und Ehre und Medienrechte ja mit uns teilen? Oh, wir werden alle stinkreich, wenn Hollywood die Story verfilmt ... Ich sehe uns schon in den Dollarmillionen schwimmen.«
»DiLorenzo ist Italiener. Die werden in Lire bezahlt«, konterte Stone. »Eine Million Lire sind mit etwas Glück knappe sechshundert Dollar, wenn du den Geldwechsler kräftig betrügst. Dafür kriegst du nicht mal ‘nen schrottreifen Gebrauchtwagen.«
»Ich sollte mich da lieber ‘raushalten«, bemerkte Jefremow. »Wenn die Millionen in Rubelchen ausgezahlt würden, würden wir alle nur noch weinen ...«
»Das sind aber höchst destruktive Diskussionsbeiträge zu meinen Wunschträumen«, rügte der Commander.
Jefremow sah wieder durch das Fenster. Das Leuchtende war jetzt noch näher gekommen. »Beim Barte Rasputins – hat das Ding seine Richtung geändert? Es kommt ja schon wieder auf uns zu.«
Sherydan stutzte, nickte und griff erneut manuell in die Steuerung ein. »Verdammt, langsam verliere ich die Übersicht«, brummte er. »Wenn wir noch ein paarmal so blind ausweichen, brauchen sie unten drei Tage, uns einen neuen Kurs zu berechnen, von den Treibstoffvorräten ganz zu schweigen.«
»Das Ding jagt uns«, murmelte Stone.
Jefremow tippte sich an die Stirn. »Das würde ja bedeuten, dass einer drin sitzt und es lenkt! Völlig unmöglich! Es ist kein anderes bemanntes Objekt hier draußen.«
»Wer sagt, dass es bemannt ist?«, widersprach Stone. »Es reicht doch, dass es lenkbar ist. Vielleicht wird es ferngesteuert. Oder es spricht auf unsere Wärmeentwicklung an.«
»Aber wer sollte es uns auf den Hals gehetzt haben? Ausgerechnet uns?«
»Fest steht eindeutig«, warf Sherydan ein, »dass es seine Flugrichtung geändert hat und sich uns nach dem ersten Manöver wieder näherte. Hoffentlich macht es das nicht noch einmal.«
»Kein natürlicher Himmelskörper kann so willkürlich seine Flugrichtung ändern. Wenn das Ding in ein Schwerefeld geraten wäre, würden wir die Abweichung nicht einmal merken. Wir könnten sie vielleicht messen, wenn wir das Ding überhaupt auf den Schirm bekämen«, brummte Stone. »Aber die Kursänderung war so radikal, dass Pawel sie sofort gesehen hat. Es muss ein künstliches Objekt sein, notfalls ferngesteuert.«
»Aber wer ... oder was ...?« Fragend sah Jefremow die anderen an. Die übten sich in Schweigen. Das Kürzel »UFO« – Unbekanntes Flug-Objekt – sprach niemand aus. Nach all den Sensationsmeldungen, die in den letzten Jahren durch die Medien gegeistert waren, um sich stets als Fehldeutungen zu entpuppen, wagte niemand mehr, sich lächerlich zu machen. Ganz abgesehen davon, dass keiner der Raumfahrer an Bord der Columbia wirklich bereit war, jene Sensationsphänomene als das zu akzeptieren, was sie den Medien zufolge sein sollten.
Und doch ... war das hier nicht wirklich ein unbekanntes Flugobjekt?
»Houston ruft Columbia. Warum haben Sie erneut den Kurs geändert?«
»Sag nicht, dass das Objekt ebenfalls die Richtung wechselte, Pawel Sergejewitsch!«, fauchte der Commander schnell. »Das glauben die uns nie.«
»Ich würde es auch nicht glauben«, gestand Jefremow. »Houston, der Pilot hat gehustet, und der Luftdruck hat einen Schalter bewegt. Wir kehren so bald wie möglich auf den alten Kurs zurück.«
»Lassen Sie das bleiben, Columbia. Keine weiteren Änderungen mehr! Wir errechnen neue Flugbahn aufgrund der aktuellen Daten. Warten Sie auf die Überspielung. Ihre Treibstoffvorräte reichen nur noch für wenige Korrekturmanöver.«
»Als wenn wir das nicht selbst schon gemerkt hätten«, murmelte Sherydan.
Es wurde immer heller. Der leuchtende Fremdkörper war jetzt sehr nah und überstrahlte längst jedes andere sichtbare Objekt. Aber Stone bekam ihn immer noch nicht auf den Radar-Monitor.
»Hat der schon wieder ...?«
... den Kurs geändert? Sherydan sprach es nicht mehr aus. Auch den anderen kam es so vor, als nähere sich ihnen das Objekt wieder direkt. Aber es konnte auch eine Täuschung sein, weil der Leuchtkörper ihnen schon sehr nahe war.
Und dann glitt er bedrohlich dicht am Shuttle vorbei; etwas Gelb glühendes, ein scheinbar fester Kern, von einer feurigen Aura umhüllt. Längst hatte Jefremow die Bordkameras einschaltet, und Stone zoomte mit einer Handkamera durch das leicht spiegelnde Fenster hinter dem Objekt her.
»Heizt ganz schön«, murmelte Stone.
Das Objekt verschwand allmählich aus dem Sichtbereich.
Die Kameras schwenkten hinterher, fingen jede Menge Bilder des seltsamen Objektes ein. Die Übertragung nach Houston lief an.
*
DIE ZWÖLFTE NACHT VOR dem Neunstern-Corroborree; ein verborgener Ort fern der Zivilisation: Showollanguonu, den die Weißburschen respektlos »Wolly« nannten, weil sie mit seinem langen Yolngu Namen nicht zurechtkamen, sah zum Himmel hinauf. Er spürte das Fremde, das kam, aber es störte nicht die Traumzeit. Es war ganz so, als müsse es so sein, und als sei es niemals anders gewesen. Nicht jetzt und nicht zu Beginn der Welt, als die Traumzeitwesen tanzten und mit ihren Träumen und Gesängen all das erschufen, was heute noch Bestand hatte; nach viel mehr als 40000 Jahren.
Doch es gab etwas, woran die Traumzeitwesen damals sicher nicht gedacht hatten: die Weißburschen. Jene Menschen, die mit großen Schiffen von jenseits des Wassers kamen, deren Gesichter und Haare so glatt waren, deren Haut so hell, dass man annehmen konnte, sie seien von ganz anderen Göttern in einer ganz anderen Welt geschaffen worden. Nein, die Traumzeitwesen konnten nicht an sie gedacht haben, denn wie hätten sie sonst zulassen können, dass innerhalb von nicht einmal drei Menschenaltern diese Fremden die Welt überfluteten, ihre eigenen Gesetze und Götter und den Alkohol mitbrachten und die Traumzeitplätze entweihten?
Heute entweihten sie sie nicht mehr; ihre Götter schienen ihnen immerhin soviel Verstand gegeben zu haben, dass sie ihre Gesetze entsprechend änderten. Immerhin versuchten sie, die Gebräuche und Anschauungen derer zu achten, die schon immer hier gelebt hatten. Es gelang ihnen jedoch nicht immer so, wie es wirklich wünschenswert gewesen wäre; es war eher ein Kompromiss, den die Weißburschen eingingen, um die Clans nicht zu sehr zu beleidigen und wenigstens mit ihnen sprechen zu können. Vor allem das Alkoholproblem gab es heute noch, und vielleicht war es stärker denn je.
Für Showollanguonu spielte es keine Rolle.
Zu einem anderen Zeitpunkt vielleicht, in einem anderen Denken.
Aber nicht jetzt, nicht hier, an seinem eigenen Traumzeitplatz.
Er tanzte sein Lied und seinen Namen, und er griff mit dem Traum nach dem, das von den Sternen kam.
Und wie wunderbar hell sie funkelten, die Sterne in all ihrer Pracht am Nachthimmel! Der Yolngu sah in ihren Konstellationen Bilder, die Geschichten erzählen konnten, in immer wieder neuen Variationen. Je nachdem, wie man zu ihnen hinauf sah, aus welcher Perspektive, in welche Richtung. Wenn er tanzte, änderte er ständig seine Perspektive, und jeder Blick zeigte ihm ein neues Kapitel der alten Geschichten.
Showollanguonu sang. Der Gesang gehörte zu ihm und allen anderen seines Volkes wie die Luft und das Wasser und die Tiere zum Leben. Er sang seinen Weg, seine Ziele, sein Leben, und er lauschte den Gesängen, die die Sterne ihm schenkten.
Sterne, von denen Monty ihm erzählt hatte. Monty war ein Weißbursche, aber er war auch ein Freund. Viele konnten sich nicht vorstellen, dass dies möglich war. Aber Monty war ein verrückter Kerl, wie seine eigenen Leute ihn nannten. Er hatte keine Familie mehr, keinen Clan. Er war einsam. Natürlich konnte er niemals wirklichen Anschluss finden bei den Yolngu oder einem der anderen Clans. Aber man konnte ihn akzeptieren, und man konnte sein Freund sein und ihn zum Clansbruder machen.
Denn Monty zerstörte nicht, er half. Er hatte den Tod kennengelernt und die Liebe. Er versuchte, zu verstehen, auch wenn es ihm schwer fiel, weil ihm die Voraussetzungen dafür fehlten, weil er einer anderen Kultur entstammte, in der Träume ihr Gewicht längst verloren hatten.
Oder es nie besessen hatten ...
Aber Monty erzählte Showollanguonu von den Sternen. Von den unendlichen Weiten zwischen ihnen, von ihrem hellen Licht. Und Monty träumte selbst.
Showollanguonu nahm diese Träume in seinen eigenen Gesang auf. Er sang Monty mit in die Traumzeit hinein, wenn ihm danach war, auch wenn sein bleichhäutiger Freund weit, weit fort war. Und Showollanguonu lauschte den Gesängen der Sterne.
Vielleicht waren es keine wirklichen Gesänge. Vielleicht blieb alles still, und er glaubte nur, die neuen alten Lieder in seinem Kopf zu hören, obgleich es nirgendwo laut wurde. Was war denn schon wirklich? Genau betrachtet, nur die Traumzeit und die eigenen Gedanken.
Alles andere konnte man deuten. Einer sah dieses, der andere jenes darin. Und doch fanden sie alle immer wieder einen gemeinsamen Weg, wenn sie wieder zusammenkamen, auch wenn sie gemeinsam das Corroborree feierten.
Doch in dieser Nacht wollte Showollanguonu allein tanzen. An seinem ganz eigenen Traumzeitplatz, der nur ihm allein gehörte. Nein, so konnte man es nicht sagen. Denn jeder Ur-Australier wusste, dass keiner von ihnen je ein Stück des Landes ganz für sich allein beanspruchen konnte. Die Welt, die einst geschaffen worden war, jedes noch so winzige Stück davon, mit jedem Sandkorn und jedem Käfer, gehörte allen zugleich und doch niemandem. Die Weißburschen sahen das anders; sie waren allerdings auch von völlig anderem Denken und Besitzstreben geprägt. Das lag wohl daran, dass sie zu herrschsüchtig waren. So waren sie von ihren Göttern geschaffen und gelenkt worden.
Für Showollanguonu war es eher so, dass er diesem Ort gehörte. Dem Platz, mit dem seine Seele verbunden war.
Er träumte von dem, was aus Sternenräumen kam. Es war fremd, und es blieb fremd, obgleich der Aborigine versuchte, es in ein Lied zu formen und von ihm zu singen. Er fand die Worte nicht, mit denen er den Zustand des Fremden beschreiben konnte. Vielleicht gab es dafür keine Worte. Nicht in seiner Sprache, nicht in anderen Sprachen, und auch nicht in seinen Gedanken. Es war noch fremder als die Weißburschen, und doch ganz anders. Er verstand es nicht, und doch konnte er es akzeptieren.
Das, was kam, entzog sich ihm. Es glitt vorüber und verschwand, aber es hatte die Welt mit seinem Verschwinden nicht wieder verlassen.
Showollanguonu war nicht enttäuscht.
Beim nächsten Mal, vielleicht. In wenigen Tagen, oder in zehntausend Jahren. Showollanguonu kannte keine Ungeduld.
Vielleicht gab es ihn beim nächsten Mal nicht mehr, vielleicht gab es ihn wieder. Ganz, wie die Traumzeit es für ihn vorsah. Zeit war etwas Fremdes, sie berührte ihn nicht. Wenn er sich in der Traumzeit bewegte, war er in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zugleich. Er war ein Teil von ihr.
Und er konnte warten.
*
FREITAG, 17. DEZEMBER 1999, 17:59 Uhr zentralamerikanischer Zeit
Das Space Shuttle hatte den errechneten günstigsten Zeitpunkt, um in die Erdatmosphäre einzutauchen, fast erreicht. Die Bodenkontrolle meldete sich wieder.
»Wir haben eure Bilder jetzt ausgewertet«, sagte Houston. »Ihr werdet nicht glauben, was euch da begegnet ist.«
»Nun redet schon«, verlangte Jefremow.
»Wisst ihr jetzt endlich, warum es nicht auf den Radarschirmen zeichnet?«, wollte Sherydan wissen.
Houston ging auf die Frage des Commanders nicht direkt ein. »Wir haben’s mit allen möglichen Mitteln analysiert. Das Material, aus dem es besteht, haben wir nicht erkennen können; es ist mit nichts zu vergleichen, was es auf der Erde gibt. Aber die Form – sie gleicht entfernt einem Menschen!«
»Ihr seid ja verrückt, Houston«, behauptete Sherydan.
»Ich sagte doch, dass ihr es nicht glauben würdet. Es ist ein länglicher Körper mit einer annähernd kugelförmigen Verdickung am vorderen Ende, zwei unmittelbar dahinter entstehenden Armen, oder wie auch immer man es bezeichnen soll, und zwei ... äh ... Beinen.«
»Habt ihr wenigstens die Schuhgröße dieses kosmischen Knaben herausfinden können?«, spottete Sherydan.
»Dafür reicht unser Messspektrum nicht mehr aus«, kam es eben so spöttisch zurück.
Die Männer im Shuttle sahen sich an. »Das ist eine unglaubliche Beobachtung«, flüsterte Jefremow. »Die Umrisse eines Menschen? Wir haben nur Licht gesehen! Was mag die Kamera da wirklich aufgezeichnet haben?«
»Wenn wir gelandet sind, will ich die Auswertungen sehen«, sagte Sherydan. »Vielleicht erfahren wir dadurch mehr. Die paar Stunden bis zur Landung werden wir’s ja wohl noch aushalten. Und ich denke, über das seltsame Kursverhalten sollten wir erst reden, wenn man uns erklärt hat, wie man diese angeblich menschlichen Umrisse herausgearbeitet hat. Verdammt, welchem Phänomen sind wir da bloß begegnet?«
»Und wohin wird es verschwinden?«, träumte Jefremow. »Wieder in Weltraumtiefen, aus denen es vielleicht gekommen ist, oder wird es auf die Erde stürzen und in der Atmosphäre verglühen?«
»Nach allen Gesetzen der Physik muss es über der Erde verglühen«, sagte Stone.
»Wenn es im Kosmos verschwände, wäre es wesentlich romantischer«, sagte Jefremow leise.
Aber der Weltraum hatte noch nie Platz für Romantik gehabt. Den gab’s nur auf der Erde, wo die Träumer auf festem Boden lebten und nur ihre Gedanken in die Unendlichkeit reisen ließen.
»Lassen wir uns überraschen«, entschied der Commander.
*
ZUR GLEICHEN ZEIT IM australischen Outback
Showollanguonu war ein alter Mann. Wie lange sein Leben nun schon währte, konnte er nicht sagen. Er wollte es auch gar nicht wissen. Andere Yolngu sagten von ihm einfach, er sei alt, und die Weißen schätzten ihn auf siebzig oder achtzig Jahre.
Er konnte es sich gar nicht vorstellen. Er hatte die Jahreszeiten nie gezählt. Er wusste nur, dass er vor langer Zeit zu leben begonnen hatte, und dass er noch ein wenig leben würde. Wie lange, würde sich zeigen. Wenn es soweit war, dass seine Seele in die Traumzeit zurückkehrte, würde er es rechtzeitig wissen, um sich darauf vorbereiten zu können.
Es war hell geworden. Die Sterne verblassten, und über den roten Sand glitt der erste Schimmer des beginnenden Tages. Showollanguonu setzte sich in den Sand und rieb sich mit den Körnern die Farben von der ledertrockenen Haut. Sein Tanz war vorbei, er benötigte die Farben nicht mehr. Bis zum nächsten Mal.
Immer noch summte er leise vor sich hin, wenngleich er auch nicht mehr sang. Er dachte daran, seine Eindrücke in ein Bild zu fassen. Aber er wusste, dass es ihm nicht gelingen würde. Bei jedem Tier, das er zeichnete, kannte er dessen Inneres und konnte es darstellen; bei dem, was er in dieser Nacht wahrgenommen hatte, konnte er es nicht. Beinahe wollte er glauben, dass das Ganze das Innere war. Aber das konnte nicht sein. Es gab kein Inneres ohne das Äußere, kein Sein ohne Schein.
Der alte Aborigine versuchte es immerhin; er zog mit den Fingern Linien in den Sand und deutete Punkte an. Doch sein Bemühen war vergeblich. Er fand kein Muster, das er zeichnen konnte. Da war er froh, weder Farben gemischt noch Knochen oder Holz vergeudet zu haben, um die Farben aufzutragen. Er hätte es nie wieder verwenden können.
Höchstens, um irgend etwas darauf zu malen und es an die Touristen zu verkaufen. »Kunst der australischen Ureinwohner« nannten sie es, bezahlten ein paar Dollar dafür und schleppten es fort. Irgendwohin in ihre Behausungen. An Orte, wo es keine Traumzeitplätze gab, wo niemand etwas von der Traumzeit wusste. Es wusste ja nicht einmal jemand, was die Bilder bedeuteten. Wie sollten sie es auch verstehen? Das konnte nur jemand, der mit den Ureinwohnern aufwuchs und lebte, der ihre Gebräuche kannte und ihr Denken. Für die Touristen war es einfach nur schön oder originell oder allenfalls fremd. Oder ein Stück Erinnerung an einen Ausflug; diese Sicht zumindest war schon ein winziger Schritt zur Erkenntnisfindung.
Showollanguonu verkaufte nicht viele Artefakte an die Weißburschen. Vielleicht hätte er das Geld gebrauchen können. Vielleicht hätte sein ganzer Clan es gebrauchen können. Aber der Alte empfand es als nicht gut, Dinge, die etwas bedeuteten, an Menschen zu verkaufen, denen ihre Bedeutung fremd blieb. Manchmal verschenkte er etwas, das er dann speziell für einen Menschen gefertigt hatte.
Er konnte auch ohne das Geld leben. Er kaufte kein Bier und keinen Schnaps. Er brauchte keine Drogen, um zu vergessen, oder um mundtot gemacht zu werden. Er und sein Clan wanderten noch, wie es Tradition seit Tausenden von Menschenaltern war.
Als Nomaden zogen sie durch das staubige Land, das die Weißburschen furchtsam »Outback« nannten. Sie hielten es für lebensfeindlich, dabei wussten sie nur nicht damit umzugehen. Sie verirrten sich und verdursteten, wenn niemand sie fand und ihnen half.
Ein Yolngu verirrte sich niemals. Er sang seinen Weg und erreichte sein Ziel. Und lebensfeindlich? Das »Outback« war reich an Leben. Man musste es nur finden. Aber die Weißen sahen es nicht, sie hatten keinen Blick dafür. Sie verdursteten lieber, als nach einem Käfer Ausschau zu halten, der feuchte Orte kannte, und dort mit den Händen zu graben, bis sie irgendwann auf Wasser stießen. Gab man ihnen dieses Wasser zu trinken, hielten sie es für schmutzig, nur weil sie nicht hindurchsehen konnten. Und vor einer Schlange oder einer kleinen Echse ängstigten und ekelten sie sich, statt sie zu essen.
Ihre Vorfahren hatten Showollanguonus Vorfahren wie Tiere gehetzt und abgeschossen. Heute schossen sie nur noch auf die Springbeutler und die Dingos. Der Alte lachte leise. »Känguruhs« nannten sie die Springbeutler. Dabei bedeutete dieses Wort nicht viel anderes als »Fremder« oder »fremdes Wesen«. Es hieß, »Känguruh« sei das erste Wort gewesen, das die Weißburschen sich gemerkt hatten, nachdem sie mit dem riesigen Holzschiff über das Meer nach Australien gekommen waren.
Nein, heute schossen sie, die eigentlichen Känguruhs, nicht mehr auf die Aborigines. Sie teilten das Land, das niemandem gehörte, auch nicht mehr in Parzellen, die sie zu ihrem Eigentum erklärten; sie durchschnitten nicht mehr die Wanderwege der Clans und zerstörten nicht mehr die Traumzeitplätze. Aber sie verstanden immer noch nichts.
Sie gewährten den Aborigines abgeschirmte Lebensräume und hielten sich selbst deshalb für großzügig. Sie verpflichteten sich, diese Refugien nicht ohne gute Gründe und nur nach Genehmigung durch die Aborigines zu betreten. Aber was wussten sie denn schon? Es war immer noch das alte Besitzdenken ihrer Rasse. Sie konnten nicht verstehen, dass die Aborigines dieses Besitzdenken nicht kannten. Dass nicht das Land zu ihnen gehörte, sondern sie zum Land.