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Franz Alts aktuelles Buch ist durchgehend optimistisch. In der Corona-Pandemie haben wir in kurzer Zeit viel gelernt, haben alle Kräfte gebündelt, um eine lebensbedrohliche und globale Katastrophe zu bestehen. Dazu gehört es, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuerkennen, länderübergreifend zu planen und konsequent zu handeln - individuell und gesamtgesellschaftlich. Diese Erfahrungen können motivieren, auch andere Herausforderungen zu bewältigen, die unsere Erde und die Menschheit bedrohen. Franz Alt beschreibt Hoffnungszeichen für eine bessere Zukunft: Wir sind bereits dabei, die Energiewende und neue Formen der Mobilität zu schaffen, wir können die Klimaerhitzung stoppen, die Wirtschaft ökologisch umbauen, Atomwaffen abrüsten. In Deutschland und weltweit setzen sich Aktivist*innen, charismatische Politiker*innen und soziale Bewegungen für eine lebenswerte Zukunft für alle ein. Franz Alt ermutigt durch viele konkrete Beispiele: Wenn wir intellektuelle Einsichten und emotionale Kräfte vereinen, neu denken, neu fühlen und neu handeln, können wir unsere Zukunft neu gestalten.
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Seitenzahl: 307
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Franz Alt
Nach Corona – Unsere Zukunft neu gestalten
Patmos Verlag
I. Neu Denken
1. Katastrophen sind Lernhelferinnen
2. Mit der Natur können wir nicht verhandeln
3. Die Grenzen des Wachstums
4. Die Vorgängerin von Greta heißt Angela
5. Die Angst ist ein Gottesgeschenk
6. »Unser Haus brennt«
7. Nach Corona: Die großen Probleme bleiben
8. Was lernen wir aus der Corona-Krise?
9. Die Klimaerhitzung fordert schon heute mehr Tote als Corona
II. Neu Fühlen
1. Gott ist Geist – Gott ist Liebe – Gott ist Energie
2. Reifen statt wachsen
3. Der Mensch ist eine Körper-Geist-Seele-Einheit
4. Die Aufklärung der Aufklärung
5. Mehr Homeoffice – mehr Klimaschutz
6. Die Zukunft der Arbeit – Die Arbeit der Zukunft – Der Homo Digitalis
7. Hindert Homeoffice Frauen am Karrieremachen?
III. Neu Handeln
1. Sind die Meere noch zu retten?
2. Was nützen uns die Korallenriffe?
3. Alles dreht sich um die Sonne – Die Botschaft des Jahrhunderts
4. Erneuerbare Energien: Die Zeit drängt
5. Bau-Wende jetzt!
6. Wer sind die Treiber der Energiewende?
7. Die hilflose Doppelstrategie der alten Energiekonzerne
8. Rettet Wiederaufforstung das Klima?
9. Waldwende jetzt!
10. Licht ist ein Menschenrecht
11. Präsident Biden will das Klima schützen
12. Klimaziele 2020 nur dank Corona erreicht
13. Grüner Wasserstoff aus der Nordsee
IV. Neu Fühlen
1. Die nächsten zehn Jahre entscheiden
2. Hermann Scheer: abschalten und abwählen!
3. Verkehrswende jetzt! Es ist höchste Eisenbahn
4. Benziner kosten Zeit und Leben
5. Ist Autofahren heilbar?
6. Mobilität 2030
V. Neu Vertrauen
1. Agrarwende jetzt!
2. Die Würde des Schweins ist unantastbar
3. Gibt es einen Ausweg für die Bauern?
4. Die Zehn Gebote des ökologischen Landbaus
5. Fleisch- und Bodenwende jetzt!
6. Ist die Landwirtschaft am Ende?
7. Gesunde Lebensmittel für alle
VI. Neu gestalten
1. Das ökologische Wirtschaftswunder
2. Für eine Kultur des Friedens, Frau Kramp-Karrenbauer!
3. Costa Rica kann überall werden
4. Atomwaffen sind jetzt völkerrechtswidrig
5. Meine Lehrer eines gelingenden Lebens
6. Das Zauberwort der Konservativen
7. Die sanfte Weltmacht der EU
8. Die neuen Zehn Gebote der Balance
VII. Dokumente
Antonio Guterres: Der Zustand des PlanetenEin Zwischenruf
Franz Alt: Walduntergang oder Waldrettung?
Literatur
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
Was die Zukunft betrifft, so ist unsere Aufgabe nicht,
sie vorauszusehen, sondern sie zu ermöglichen.
Antoine de Saint-Exupéry
Vor einigen Jahren war ich in Taiwan auf einer Vortragsreise zur chinesischen Ausgabe meines Buches »Die Sonne schickt uns keine Rechnung«. Dabei war ich zu einer Geburtstagsfeier des großen chinesischen Philosophen Konfuzius eingeladen, und ich lernte, dass Konfuzius vor 2500 Jahren drei Wege nannte, auf denen wir Menschen klug handeln können:
Erstens: durch Nachdenken, dies sei der edelste.
Zweitens: durch Nachahmen, dies sei der leichteste, und drittens: durch Erfahrung, dies sei der bitterste.
Wir Heutigen werden wohl erst durch Katastrophen, also durch schlechte Erfahrungen, klug. Wir brauchen offensichtlich Katastrophen als Lernhelferinnen. Erst nach zwei Weltkriegen sind wir Europäer klug geworden und haben in der Europäischen Union zur Zusammenarbeit gefunden. Oder: Der deutsche Atomausstieg 2011 war erst möglich nach Fukushima, obwohl die Gefahr eines großen Unfalls schon lange zuvor bekannt war. Was heißt das für die heute wohl größten Krisen der Menschheit, für die Klimaerhitzung, das große Massensterben oder für die Gefahr eines Atomkriegs, an dem wir bisher nur durch Glück vorbeigeschrammt sind?
Es gibt auch Menschen, die sich damit trösten, dass an den Knöpfen für die Atomraketen nicht Verrückte und Ruchlose sitzen, sondern nur weise und erfahrene alte Männer, die genau wissen, dass sie ihre Waffen nur dazu verwenden dürfen, Kriege zu verhindern. Hoffentlich sind das auch immer durch und durch logisch denkende Menschen.
Ob aber allein deren Logik uns retten wird? Schon mehrmals wäre es mit dieser Logik beinahe schiefgegangen. Wie oft wollen wir nur noch Glück haben? Mehr Glück als Verstand? Ist dieses Denken und Handeln wirklich logisch?
UNO-Berechnungen sagen für den Fall, dass wir einfach so weitermachen wie heute, für das Ende des 21. Jahrhunderts folgende Szenarien voraus:
Erstens: Wir müssen mit einer globalen Erwärmung von bis zu fünf Grad rechnen – gemessen an der vorindustriellen Zeit. Die Klimaziele des Pariser Abkommens, zu dem sich alle Regierungen der Welt verpflichtet haben, werden damit grandios verfehlt.
Zweitens: Unsere Nachkommen werden einen Verlust der Tropenwälder bis zu 80 Prozent erleben.
Drittens: Die Wüstengebiete werden sich um bis zu 23 Prozent ausbreiten.
Viertens: Die Zahl der Klimaflüchtlinge wird auf circa 280 Millionen steigen.
Fünftens: Die Hitzewellen werden sich in Europa mindestens vervierfachen.
Sechstens: Die Corona-Pandemie ist nur ein weiterer Aspekt der größeren ökologischen Krise und kann weitere Pandemien zur Folge haben.
Und das alles, wenn wir nicht schon vorher in einem atomaren Inferno den Untergang unserer Zivilisation organisieren.
Es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass eine ganze Zivilisation verschwindet. Das Mauerwerk der »Verbotenen Stadt« in Peking, die himmelhohen Säulen des »Forum Romanum« in Rom, die gigantischen Steinskulpturen auf den Osterinseln oder auch die majestätischen Kuppeln des Taj Mahal in Agra stehen heute wie stumme Zeugen einst blühender Kulturen und Zivilisationen, bestaunt von Touristen.
Historisch gehören Umweltveränderungen und Erschöpfung von Ressourcen nach den Erkenntnissen der »Kollapsologen« – so nennen sich die Untergangsforscher – zu den wichtigsten Ursachen des Untergangs. Auf den Osterinseln lief der Untergang ungefähr so ab: Die Wälder wurden abgeholzt, weil Holz gebraucht wurde zum Bau von Kanus und zum Transport der vielen Steinskulpturen. Als die letzten Wälder gerodet waren, erodierten die Böden und die Moai hatten sich ihrer Lebensgrundlage beraubt. Erinnert Sie diese Entwicklung nicht an unsere heutige Situation, liebe Leserin und lieber Leser? Eine Gesellschaft geht dann unter – so die Übereinstimmung der »Kollapsologen« –, wenn sie keine Antwort auf notwendige Veränderungen findet. Was hat wohl jener Bewohner der Osterinsel gedacht, der den letzten Baum fällte? Wahrscheinlich so viel wie heute ein SUV-Fahrer – nichts.
Was wir vor allem brauchen? Lust auf Zukunft. Mit Angst und Gleichgültigkeit schaffen wir die Wende nicht. Aber vor allem benötigen wir den Dreiklang aus neuem Denken, neuem Fühlen und vor allem neuem Handeln.
Die größten Gefahren des 20. Jahrhunderts waren Männer in Kriegslaune, Faschismus und Kommunismus, dreckige Industrien und gefährliche Technologien. Und jetzt? Ist es die Fledermaus, oder sind es wir Menschen, die dem Tier keinen Raum mehr lassen?
2021 ermittelte eine Studie des Entwicklungsprogramms der UNO (UNDP), dass sich zwei Drittel der Menschheit für mehr Klimaschutz ausspricht. Mehr als 1,2 Millionen Menschen in 50 Ländern nahmen an dieser Umfrage teil.
In acht von den zehn Ländern mit den höchsten Emissionen aus dem Energiesektor trat der Großteil für mehr erneuerbare Energien ein. In vier von den fünf Ländern mit den höchsten Emissionen aus Landnutzungsänderungen gab es eine überwiegende Unterstützung für die Erhaltung von Wäldern und Land. In neun von den zehn Ländern mit der am stärksten verstädterten Bevölkerung traten die Studienteilnehmer für einen stärkeren Einsatz von Elektroautos, Bussen oder Fahrrädern ein. UNDP-Chef Achim Steiner sagt dazu: »Diese Zustimmung reicht über Nationalitäten, Alter, Geschlecht, Herkunft und Bildungsgrad hinweg. Die Umfrage zeigt auch, wie sich die Menschen von den Entscheidungsträgern eine Veränderung wünschen. Damit haben die Menschen im Umgang mit dem Klimawandel auch eine Stimme.«
Die Zeiger der symbolischen Weltuntergangsuhr, der sogenannten Doomsday-Clock, stehen laut Wissenschaftlern im Jahr 2021 auf 100 Sekunden vor zwölf. Die Gefahr, dass sich die Menschheit durch die Klimaerhitzung, das massenhafte Artensterben oder durch einen Atomkrieg selbst auslöscht, ist demnach so groß wie noch nie seit Erfindung der Uhr im Jahr 1947.
Schon 2005 hat die UNO den Report »Millennium Ecosystem Assessment« veröffentlicht. Über 1000 Wissenschaftler haben fünf Jahre lang zu allen Bereichen der Nachhaltigkeit auf dem Globus geforscht. Ergebnis: Alle wesentlichen Entwicklungen verliefen in die falsche Richtung, das weitere Wachstum der Weltbevölkerung, die steigenden Treibhausgasemissionen, der Verbrauch von Ressourcen und Energie, der Zustand der Ozeane sowie die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich. Ist diese Fahrt in den Abgrund noch zu stoppen?
»Wenn wir die Geschichte der Erde mit einem Kalenderjahr vergleichen, dann haben wir ein Drittel der natürlichen Ressourcen in den letzten 0,2 Sekunden aufgebraucht, und jetzt schlägt die Natur zurück«, sagt UNO-Generalsekretär Guterres.
Die Covid-19-Pandemie könnte uns eine Warnung sein. Sie ist die Stunde der Wahrheit, die uns auf die Folgen der Klimaerhitzung, des globalen Waldsterbens und der industrialisierten Landwirtschaft aufmerksam macht. Zugleich kann die Corona-Krise ein Anreiz für eine große, schon lange fällige Transformation sein. Restauration oder Transformation? Was wollen wir?
Eine Krise ist vor allem keine Zeit, um die Nerven zu verlieren. Und erst recht keine Zeit für Verschwörungstheorien. Das politisch scheinbar Unmögliche kann jetzt das politisch Unausweichliche werden. Die Geschichte muss sich nicht wiederholen – wir können ja auch daraus lernen. Tun wir das? Wollen wir das? Schaffen wir das? Dies sind die Fragen aller Fragen.
Im Angesicht der Corona-Pandemie hat Papst Franziskus seine dritte Enzyklika »Fratelli Tutti – Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft« veröffentlicht. Er fordert darin nichts anderes als eine neue Gesellschaftsordnung, die die Menschen und ihre unveräußerliche Würde in den Mittelpunkt allen politischen und wirtschaftlichen Handelns stellt. Wir seien »eine weltweite Gemeinschaft in einem Boot, wo das Übel eines Insassen allen zum Schaden gereicht«. Die Pandemie zwinge die Menschheit dazu, wieder an alle Menschen zu denken statt an den Nutzen einiger. Der Papst erinnert an das biblische Gleichnis vom barmherzigen Samariter und fordert, dass Nächstenliebe zum Prinzip der Politik werden müsse. Franziskus kritisiert Nationalismus, Abschottung und die »soziale Aggressivität, die im Internet Raum findet … Gottes Liebe gilt für jeden Menschen gleich, unabhängig von seiner Religion.«
Diese Enzyklika ist ein Weckruf und ein Hoffnungsruf für eine Neugestaltung der Zukunft. Der Papst verweist auch auf den »Irrglauben« des Neoliberalismus, dass es den Armen immer besser gehe, wenn die Reichen immer reicher würden. Das politische Grundgesetz für die Weltwirtschaft müsse heißen: Jede ökonomische Theorie und jedes ökonomische Handeln unterliege der »politischen Liebe«. Ist Papst Franziskus ein Fantast?
Seine ganz realistische Antwort: »Die Zerbrechlichkeit der weltweiten Systeme angesichts der Pandemie hat gezeigt, dass nicht alles durch den freien Markt gelöst werden kann und dass – über die Rehabilitierung einer gesunden Politik hinaus, die nicht dem Diktat der Finanzwelt unterworfen ist – wir die Menschenwürde wieder in den Mittelpunkt stellen müssen. Auf diesem Grundpfeiler müssen die sozialen Alternativen erbaut sein, die wir brauchen.«
Die Alternativen, welche der Papst meint: Flüchtlingsretter, die Klimaaktivist*innen um Greta Thunberg, die friedlichen Bürgerrechtler um Swetlana Tichanowskaja in Weißrussland oder um Alexej Nawalny in Russland sowie die weltweite Friedensbewegung, die für eine atomwaffenfreie Welt kämpft, und alle Streiter für Gerechtigkeit. Er nennt sie »soziale Poeten«, die kreativ eine ganzheitliche menschliche Entwicklung vorantreiben. Sie sind die Vorkämpfer für die Neugestaltung unserer Zukunft.
Und ihre Arbeit ist das neue Grundgesetz für eine bessere Welt.
Norbert Blüm sagte es so: »Solidarität ist kein Luxus, sondern Existenzbedingung menschlichen Lebens.«
Fest steht: Über das 1,5-Grad-Ziel, das in Paris beschlossen wurde, ist mit der Natur nicht zu verhandeln. Es darf also nicht mehr als 1,5 Grad wärmer werden als zu Beginn der Temperatur-Aufzeichnungen um 1880. Szenarien wie oben beschrieben sind keine exakten Vorhersagen oder Wahrsagekugeln. Aber sie erlauben, dass wir uns eine mögliche Zukunft vorstellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Menschen können dadurch auch umdenken und lernen. Die besten Seiten der Menschen sind ihre Fähigkeit, Fehler zu korrigieren und Probleme zu lösen. Die Corona-Krise hat uns alle gelehrt: Unmöglich Scheinendes ist dennoch möglich. Man kann es auch so sagen: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Oder: »Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge« (Kurt Marti).
Innerhalb weniger Tage waren im März 2020 plötzlich politische Entscheidungen möglich, die zuvor absolut ausgeschlossen waren: Flugzeuge blieben am Boden, Autos in den Garagen, das Öl wurde zur Ramschware. Die Globalisierung schien beendet und viele Betriebe mussten einfach dichtmachen, Millionen Menschen arbeiteten von zu Hause aus.
Immer mehr junge Menschen essen kein Fleisch, ihre Zahl ist durch die Corona-Krise noch gestiegen, mehr Menschen als früher teilen jetzt ihre Geräte und Autos, der Verkauf von Benzin- und Dieselautos ist innerhalb eines Jahres im Auto-Land Deutschland um 25 Prozent gesunken, Hunderttausende haben sich vorgenommen, innerhalb Deutschlands nicht mehr zu fliegen. Der Mensch ist zwar ein Gewohnheitstier, aber er ist auch zu Veränderungen fähig. Auch aus dem Hamsterrad des »Immer mehr« können wir aussteigen.
Tiere und Pflanzen sterben aus und wissen nichts davon. Wir Menschen haben als einzige Lebewesen ein Bewusstsein für Vergangenheit und Zukunft. Wir kennen im Großen und Ganzen die Katastrophen unserer Vergangenheit. Deshalb sagte die große Mehrheit der Deutschen nach 1945: »Nie wieder Krieg«.
An Weihnachten 2004 erlebte ich als Fernsehreporter die Ausmaße des Tsunami in Südindien. Über 200.000 Menschen starben an den Küsten des Indischen Ozeans, Millionen wurden obdachlos. Nur zwei Jahre später war ich für Fernsehaufnahmen wieder in Südindien. Neues Leben wuchs aus den Ruinen. Die Katastrophen der Menschheitsgeschichte waren in den letzten Jahrtausenden zum Teil furchtbar, aber meist blickten die Betroffenen nach einigen Jahren wieder nach vorn. Immer wieder wuchs Hoffnung auf Zukunft.
Zudem wurden nach 2004 rund um den Indischen Ozean wieder großflächig Mangrovenwälder gepflanzt, weil man gelernt hat, dass sie auch Menschenleben schützen.
Doch die heute absehbaren Katastrophen könnten ganz andere historische Dimensionen haben. Ein Atomkrieg könnte ebenso zum Ende unserer Zivilisation führen wie eine globale Klimakatastrophe. Es ist denkbar, dass es nach diesen Katastrophen nicht nur keine Gegenwart und keine Zukunft mehr gäbe, sondern auch keine Vergangenheit mehr, weil es niemand mehr gäbe, der noch wissen könnte, dass es jemals eine menschliche Vergangenheit gab oder eine Zukunft geben wird.
Peter Ustinov hat einmal gesagt: »Wenn sich die Welt selbst in die Luft jagen sollte, dann wird das letzte Geräusch die Stimme eines Experten sein, der ruft, dass dies eigentlich nicht hätte passieren können.«
Das Wohlbefinden ist für viele Menschen mit einem suffizienten Lebensstil verbunden. »Suffizienz« kommt vom lateinischen Verb sufficere und heißt »genügsam leben«. Ludwig Erhard sprach von »maßhalten« und wurde vor 60 Jahren dafür verlacht und verspottet. Heute fordern das Millionen und leben auch danach. Es ist wissenschaftlich längst erwiesen, dass immer mehr materieller Wohlstand nicht zu mehr Lebenszufriedenheit oder gar zu immer mehr Glück führt.
Viel Panisches wuchert, aber es wächst das Rettende auch. Es gibt immer Alternativen. Alle Probleme, die von Menschen geschaffen wurden, können auch von Menschen gelöst werden. Der menschengemachte Klimawandel kann auch von Menschen gestoppt werden. Die von Menschen erfundenen Atombomben können auch von Menschen abgeschafft werden. Die alles entscheidende Frage heißt freilich, ob wir rechtzeitig umdenken und rechtzeitig um-handeln. Sowohl bei der Klimaerhitzung, beim großen Massensterben wie auch bei einem möglichen Atomkrieg könnte das Umdenken und Umhandeln zu spät sein. Wir müssen freilich immer mit bedenken, was die Waffe der Vertreter der alten Ordnungen ist. Es ist ihre Behauptung, dass es zum real existierenden System keine Alternativen gebe. Maggie Thatcher sagte es so: »There is no alternative.«
Wir wissen schon lange, dass Abrüstung ein Impfstoff für den Frieden sein könnte und erneuerbare Energien ein Impfstoff gegen die Klimaerhitzung. Wir wissen auch schon lange, was wir tun, aber wir tun nicht, was wir wissen. Lässt sich dieses Dilemma überwinden? Und wie?
Brauchen wir erst noch größere Katastrophen um aufzuwachen, vielleicht noch mehr Pandemien, um lernfähig zu werden? Sind wir wirklich nur begrenzt lernfähig? Mit der Klimaerhitzung und dem atomaren Wettrüsten führen wir den verrücktesten Kampf der Geschichte: wir gegen uns.
Die Corona-Pandemie, die Klimaerhitzung und das Artensterben hängen eng zusammen. Das Virus hat uns gelehrt, dass wir eine biologische Art unter biologischen Arten sind und dass auch wir mit allen anderen Arten verbunden sind. Es zeugt von der Verwandtschaft alles Lebendigen, dass Corona Menschen, Nerze und Fledermäuse befällt.
Ökologisch stehen wir bereits am Abgrund: Die Erde hat Fieber. Das Eis schmilzt. Das Massensterben scheint unaufhaltsam. Die Wälder brennen. Der Meeresspiegel steigt. Die Ozeane sterben. Regenfälle werden stärker und Hitzewellen extremer. Wir rasen »mit Vollgas in die Klimakatastrophe«, schreibt der renommierte Meeresbiologe und Klimaforscher Mojib Latif. Jedes Jahr sterben über sieben Millionen Menschen an der Luftverschmutzung, darunter über eine halbe Million Babys schon im Mutterleib, berichtet der »State of Global Air 2020 Report«. Den dritten Weltkrieg führen wir gegen die Natur und damit gegen uns selbst, denn wir sind ein Teil der Natur. Sind wir überhaupt noch zu retten?
Ist die derzeitige Klimaerhitzung tatsächlich eine Situation, die wir noch nie hatten? »Klimaveränderung gab es doch schon immer«, ist das populärste Argument der Klimawandel-Skeptiker. Das ist auch grundsätzlich richtig. Während der Eiszeit stieg die Temperatur um ein Grad in 1000 Jahren – und wir haben die Eiszeit überlebt. Doch dieselbe Veränderung haben wir in den letzten 100 Jahren erlebt und in den nächsten Jahrzehnten werden noch drei bis vier Grad oder mehr dazukommen, wenn wir alles verbrennen, was heute noch an fossilen Rohstoffen im Boden ist. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu früheren Temperaturveränderungen. Noch nie in der Geschichte wurde das Klima so rasch und so gründlich verändert wie zu unserer Zeit. Deshalb scheint mir Klimaerhitzung das treffendere Wort zu sein als das harmlos klingende »Klimawandel«.
Die meist älteren Klimawandel-Skeptiker verdrängen die Zeitbombe »Klimaerhitzung« und drücken die Augen zu vor diesem Zeitzünder, der in unserer Gegenwart abbrennt. Im Lärm der Zeit überhören sie das leise Ticken der Bombe. Sie wollen die Dinge, wie sie wirklich sind, einfach nicht zur Kenntnis nehmen, auch mithilfe von Verschwörungstheorien.
Viele junge Menschen, die »Fridays for Future«-Bewegung vor allem, sehen sich wegen der Klimaerhitzung schon heute als Generation ohne Zukunft. Sie haben ja so recht, wenn sie rufen: »Wir sind hier, und wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.« Uns Älteren stellt sich diese Frage: Sind wir die Generation, welche die Erderhitzung zu verantworten hat, oder die Generation, welche die Erderhitzung noch stoppen konnte?
Wenn wir den Klimawandel nicht stoppen, dann wird die Arktis in 15 Jahren eisfrei sein. Klimaerhitzung heißt: Erst verlieren die Eisbären den Boden unter den Füßen, dann wir Menschen. Der dritte Weltkrieg, den wir heute gegen die Natur führen, ist ein Krieg der Menschen gegen alle anderen Arten – und gegen uns selbst.
Der frühere US-Vizepräsident Al Gore schrieb schon 2008 in seinem Bestseller »Eine unbequeme Wahrheit«: »Die Wissenschaft ist sich einig: Wir sind der Grund für die globale Erwärmung.« Aber 2021 sitzt im Deutschen Bundestag eine Partei, die noch immer bestreitet, dass der Klimawandel etwas mit dem menschlichen Verhalten zu tun hat. Die AfD ist wissenschaftsblind und zukunftsvergessen. Erwartet uns ein Ende mit Schrecken oder eher ein Schrecken ohne Ende? Die Antwort auf diese Fragen kann möglicherweise entscheidend sein für das Fortbestehen der Menschheit und ihrer Zivilisation. Die Frage aller Fragen heißt jetzt: Wie wird die Welt klimaneutral, und wie bleibt sie lebenswert?
1972 veröffentlichte der renommierte Wissenschaftsklub »Club of Rome« seine berühmten »Grenzen des Wachstums«. 30 Millionen Mal wurde dieses wichtige Buch gekauft. Darin heißt es: »Wenn man sich entscheidet, nichts zu tun, entscheidet man sich in Wirklichkeit, die Gefahren des Zusammenbruchs zu vergrößern.« Die Kernthese des »Club of Rome«: Auf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Sonst wachsen wir uns zu Tode. In unserer materiellen Welt wächst nur der Krebs ewig. Oder aktuell: Eine Gesellschaft, welche die Grenzen des Wachstums nicht beachtet, bekommt Corona.
Damit aber Technik und Ethik zusammenfinden, bedarf der »Club of Rome« vielleicht der Ergänzung durch einen »Club of Pope« und seine zeitkritischen Enzykliken. Der energetische Imperativ bedarf des energethischen Imperativs, um erfolgreich zu werden.
Wachstumswirtschaft ist also eine Krebswirtschaft. 45 Jahre später publiziert der damalige Präsident des »Club of Rome«, Ernst Ulrich von Weizsäcker, das Buch »Wir sind dran« und schreibt: »Heute, eigentlich erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts, leben wir in einer vollen Welt. Die Grenzen sind greifbar, fühlbar in allem, was wir tun. Und doch, … verfolgt die Welt immer noch eine Wachstumspolitik, als ob wir in der leeren Welt lebten.« 2019 erklärt die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, bekannt geworden durch ihren »Schulstreik für das Klima«, vor den verblüfften Repräsentanten beim UNO-Gipfel in New York: »Ihr habt meine Träume und meine Kindheit gestohlen mit euren leeren Worten. Und dennoch bin ich eine von denen, die Glück haben. Menschen leiden. Menschen sterben. Ganze Ökosysteme brechen zusammen. Wir sind am Anfang eines Massensterbens, und alles, worüber ihr redet, sind Geld und Märchen über ewiges Wirtschaftswachstum. Wie könnt ihr es wagen?« »How dare you?«, fragt die Klima-Aktivistin mehrfach in ihrer weltweit publizierten Rede.
Greta Thunberg redete den Mächtigen dieser Welt mit einer Radikalität ins Gewissen wie sonst noch niemand: »Wir stehen vor einer Katastrophe unaussprechlichen Leidens für eine riesige Anzahl von Menschen. Und jetzt ist nicht die Zeit, um höflich zu sprechen oder sich darauf zu fokussieren, was wir sagen oder nicht sagen können. Jetzt ist die Zeit, um Klartext zu reden. Die Klimakrise zu lösen, ist die größte und komplexeste Herausforderung, vor der homo sapiens je stand. Die wichtigste Lösung aber ist so einfach, dass selbst ein kleines Kind sie verstehen kann. Wir müssen die Treibhausgas-Emissionen stoppen. Und entweder wir machen das, oder wir machen es nicht …
Wir müssen in unseren gegenwärtigen Gesellschaften fast alles ändern. Je größer euer CO2-Fußabdruck, desto größer eure moralische Verpflichtung … Erwachsene sagen immer wieder: »Wir schulden es den jungen Menschen, ihnen Hoffnung zu geben.« Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr Panik habt. Ich will, dass ihr die gleiche Angst spürt, die ich jeden Tag spüre. Und dann will ich, dass ihr handelt. Ich will, dass ihr handelt, wie ihr es in einer Krise tun würdet. Ich will, dass ihr handelt, als stünde euer Haus in Flammen. Denn das tut es.«
Die Wut-Rede der jungen Schwedin erinnert mich an den Slogan der Umweltbewegungen in den Achtzigern, der sich angeblich auf Häuptling Seattle bezieht: »When the last tree is cut down, the last fish eaten, and the last stream poisoned, you will realize that you cannot eat money.« – »Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fisch gegessen, der letzte Fluss vergiftet ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.«
Panik ist wenig hilfreich, sie lähmt eher. Mit Panik legen wir kein einziges Kohlekraftwerk still. Aber in allem anderen, liebe Greta Thunberg, stimme ich Ihnen völlig zu, gerade deshalb, weil Sie auch emotional argumentieren.
Greta Thunberg und ihrer »Fridays for Future«-Bewegung wird oft vorgeworfen, viel zu emotional zu argumentieren. Warum eigentlich?
Als die junge Frau diese Rede hielt, wussten wir noch nichts von Corona. In der Corona-Krise mussten die Politiker auf der ganzen Welt dann tatsächlich so handeln, als stünde unser gemeinsames Haus, die Welt, in Flammen. Und sie taten es wirklich. Sofort.
Greta Thunberg hatte eine Vorgängerin. Ihr Name: Angela Merkel. Die spätere Kanzlerin hat 21 Jahre bevor Greta vor dem schwedischen Reichstag ihre Klimaproteste begann, das Buch publiziert »Der Preis des Überlebens«, in dem sie als Umweltministerin mehr Klimaschutz als Überlebensfrage der Menschheit anmahnte. Das klang damals beinahe so radikal wie Greta Thunberg heute.
Angela Merkel erklärte 1997 den Klimawandel zu einer Sache von Leben und Tod. Der jungen Schwedin wird heute ein alarmistischer Ton vorgeworfen, wenn sie dasselbe sagt. Dabei wiederholt sie nur, was die deutsche Umweltministerin lange zuvor schon geschrieben und gefordert hatte. Merkels Forderungen damals:
eine CO2-Steuer;Klimaschutz sei nicht zum Nulltarif zu haben;eine weltweite Aufforstung als Mittel, um CO2 zukompensieren;
Förderung des öffentlichen Verkehrs.Angela Merkels Gedanken und Gespräche über zukünftige Aufgaben der Umweltpolitik
Schon 1995 hatte ich Angela Merkel 750.000 Unterschriften übergeben, welche die deutschen Umweltverbände in der Aktion »Globaler ökologischer Marshallplan« gesammelt hatten. Eine unserer Forderungen hieß Flugbenzinsteuer. Angela Merkel dazu wörtlich: »Da stimme ich Ihnen voll zu.«
Angela Merkel 1995 mit dem Autor© bundesregierung.de /Guido Bergmann
Also: Schon zwei Jahrzehnte, bevor Greta Thunberg ihren berühmtesten Satz sagte: »Unser Haus brennt«, war Klimaschutz für Angela Merkel eine Frage des Überlebens. O-Ton Merkel damals: »International wird es nur möglich sein, andere Länder zum Handeln zu bewegen, wenn wir in den Industriestaaten wirklich an unserem Lebensstil etwas ändern.« Vor 23 Jahren wollte Merkel eine CO2-Steuer. Doch bis vor Kurzem stand im CDU-Klimakonzept: »Eine CO2-Steuer lehnen wir ab.«
1997 schrieb Angela Merkel: Wenn man beim Klimaschutz zu lange abwartet, »kann es eines Tages unter Umständen zu spät sein«. Schon 1997 lagen alle wichtigen Klimadaten auf dem Tisch; die Klimawissenschaft hatte gut gearbeitet. Und heute? Sicher ist, dass die Bundesregierung mit dem jetzigen Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien das Paris-Ziel grandios verfehlen wird. Wenn also heute die Bundeskanzlerin noch als »Klimakanzlerin« bezeichnet wird, dann immer mit dem Zusatz »a.D.«.
Dennoch haben sich Angela Merkel und Ursula von der Leyen mehrmals mit Greta Thunberg und ihrem deutschen Pendant Luisa Neubauer zum gemeinsamen Thema Klima getroffen. Ob Angela Merkel sich dabei an ihr damaliges Buch erinnert hat? Wächst zwischen den vier Frauen doch noch etwas zusammen?, hat »Die Zeit« gefragt. Es klang wie eine ganz vage Hoffnung. Wie zu hören war, ist der Respekt der vier Frauen voreinander gewachsen. Und es soll weitere Treffen geben. Immerhin – europäische Macht und europäisches Gewissen reden miteinander. Und die Gesetze der Politik und die der Physik streiten wohl auch miteinander. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Unser Haus brennt tatsächlich. Fritz Habekuss dazu in »Die Zeit«: »Die Menschheit steht am Anfang eines pandemischen Zeitalters, in dem Sars-CoV-2 die Warnung dafür ist, dass die Belastungsgrenzen des Planeten überschritten wurden.«
Wir Menschen können viel. Und vieles ist anzupacken. Am schwersten fällt uns aber das Nichtstun, das jetzt ansteht: Wälder einfach Wälder sein lassen, statt sie weiter abzuholzen; Meere in Ruhe lassen, statt sie zu überfischen; Moore sich regenerieren lassen, damit sie wieder CO2-Senken werden können. Für Fritz Habekuss sind die Antworten auf diese Fragen entscheidend: »Können sich Tierpopulationen erholen? Wachsen mehr Wälder? Hört das Artensterben auf? Darf Wildnis wild bleiben?« Die Pandemie hat uns vor allem eines gelehrt: Die Natur braucht uns nicht, wir aber sie.
Auch in der Klimapolitik stimmt es, dass »unser Haus brennt«. Und zwar schon heute. Doch die deutsche Politik beschließt den Kohleausstieg für 2038, bestellt also die Feuerwehr für das Jahr 2038. Welchen Sinn macht das denn? Wie intelligent soll das sein? Das ist etwa so, als hätte die deutsche Politik den Impfstoff gegen Corona für das Jahr 2038 bestellt. Das Urteil über diese Politik, liebe Leserinnen und Leser, überlasse ich Ihnen.
Was aber ist nun mit den Grenzen des Wachstums? Brauchen wir eine Wende zum Weniger? Viele afrikanische Staaten brauchen noch viel Wachstum, um der Hunger- und Armutsfalle zu entkommen. Die Industriestaaten brauchen für die solare Energiewende viel Wachstum bei erneuerbaren Energien, und die ganze Welt braucht viel geistiges Wachstum. Wenn die Schulden eines Landes viel schneller wachsen als die Wirtschaft, dann ist dies künstliches Wachstum und nicht nachhaltig. Ich plädiere also für einen differenzierten Wachstumsbegriff.
Viel wichtiger als die ewigen Diskussionen um mehr oder weniger oder gar kein Wachstum scheinen mir also die Themen: Wachstum wofür und die Gerechtigkeitsdiskussion zu sein. Es geht dabei nicht nur um einen Mindestwohlstand, sondern auch um einen Maximalbesitz an Natur oder Immobilien. Auf neue Fragen werden wir neue Antworten finden müssen. Weit wichtiger als die Frage nach den Grenzen des Wachstums scheint mir eine Antwort auf die Notwendigkeit eines anderen Wirtschaftens zu sein, die Antwort auf die Frage: Was heißt eigentlich nachhaltig wirtschaften? Dafür brauchen wir neue Perspektiven, neue Energie und neue Kreativität.
Der ökologische Untergang wird nun schon seit über 50 Jahren prognostiziert. Wir brauchen weniger Angst und mehr Vertrauen in die menschliche Wandlungsfähigkeit. Wir leben auf einem sehr reichen Planeten. Unser eigentliches Thema ist nicht Verzicht, sondern Gewinn. Gewinn an Lebensqualität und Gewinn für die Umwelt. Gewinn nicht für wenige, sondern Gewinn für alle.
Nein zu Corona kann ein Ja zur Klimapolitik beinhalten: Ja zur Artenvielfalt, Ja zu guter Luft und sauberem Wasser, Ja zu mehr Gerechtigkeit, Ja zu einer atomwaffenfreien Welt. Ja! Ja! Ja!
Die »FAZ« vermutete vor Kurzem, 79 Prozent der Beiträge zum Klimawandel in den sozialen Medien zeigten eine ängstliche Haltung. Aber Angst sei doch kein guter Ratgeber für die Zukunft. Jede und jeder habe doch die Möglichkeit, »die Raumtemperatur zu regulieren oder sein Geld nachhaltig anzulegen«.
Der Autor dieses Artikels, ein Wirtschaftsredakteur, beweist gleich zweifach, dass er die Herausforderung nicht verstanden hat. Mit harmlosen Maßnahmen allein lässt sich die Klimaerhitzung nicht aufhalten. Zudem ist er Gefangener einer Denktradition, wonach Verstand und Gefühle ein Gegensatz sind. Wir Menschen bestehen aber aus Verstand und Gefühlen. Und unter den Gefühlen ist die Angst eines der wichtigsten.
Wenn wir unseren Verstand richtig einsetzen, dann fragen wir: Wie berechtigt ist die Angst? Die realistische Antwort: Diese Angst ist nach allem, was wir heute von der Wissenschaft lernen können, sehr berechtigt. Nur unsere Gefühle helfen uns, die Angst richtig zu verstehen und sie rational durchzuarbeiten. Also: Keine Angst vor der Angst. Es ist eher irrational, die Gefühle weiter zu verdrängen. Erst über unsere Gefühle können wir lernen, mit unserer Angst rational zu arbeiten und gegen den Klimawandel effektiv vorzugehen.
Die Klimadebatte wird nicht »zu emotional« geführt oder gar »hysterisch«, wie ebenfalls oft unterstellt wird, sondern zu verstandeseinseitig. Über 30 Jahre lang wurde uns gesagt, das Klima sei vielleicht in Gefahr, aber wir hätten noch viel Zeit, uns damit zu beschäftigen. So geriet das Thema immer weit weg, geografisch, historisch und in unserem Denken. Die Klimaerhitzung wird seit 30 Jahren verdrängt, verschlafen und in die Zukunft verschoben.
Klimaangst, Wut über das Verdrängen der berechtigten Angst und Trauer darüber sind angemessene Reaktionen – im Gegensatz zur Einstellung des »FAZ«-Kollegen.
Unsere Gefühle müssen doch nicht unseren Verstand vernebeln, wenn sie berechtigt sind. Es gilt im Gegenteil die Erkenntnis der Tiefenpsychologie, wonach wir mit unserem Verstand allein nicht zur Vernunft kommen. Greta Thunberg bringt mit ihren Klartext-Reden auch deshalb viele Menschen aus der Fassung, weil sie die Politiker beim Wort nimmt und fordert: Tut doch endlich, was ihr selbst beschlossen habt. Das ist sehr rational.
Anfang 2021 wurde Greta Thunberg 18 Jahre alt. Ihr vormaliges Kindsein besetzte einen zentralen Platz in der weltweiten veröffentlichten Aufmerksamkeit. Von denen, die sie hassen, wurde sie als »verzogene Göre« beschimpft und als Marionette dubioser Kräfte angefeindet. Für ihre Fans hingegen war sie die Klimaheldin, die gerade vom Himmel herabgestiegen ist.
Die »Süddeutsche Zeitung« zu diesem Phänomen: »Als bräuchte es die Hilfe eines Gotteskindes, um die Katastrophe abzuwenden, die der Mensch dadurch lostrat, dass er selbst sich zu gottgleicher Anmaßung verleiten hatte lassen: Wir lassen die Ozeane steigen und verändern das Wetter.«
Andererseits wurde die junge Frau innerhalb weniger Tage von Donald Trump, von Wladimir Putin und von Tayyip Erdoğan verunglimpft. Welch eine Ehre. Das muss man erst mal schaffen.
In solchen Zuschreibungen äußern sich typische Abwehrstrategien, zumal gegenüber kämpferischen Frauen: Greta Thunberg wird als jungfräuliche Retterin à la Jeanne d’Arc verehrt oder als von ihrem Thema besessen abgewertet – beides Distanzierungen, die das eigene Handeln vermeiden.
Tatsächlich wirkt Greta Thunberg immer auch wie eine Nervensäge, weil sie unermüdlich mit wissenschaftlichen Fakten auf die Folgen der Klimaerhitzung und auf die Folgen unseres Tuns hinweist. Viele wollen ihr einfach nicht verzeihen, dass sie recht hat. Faktisch ist sie wie ein Stachel im Fleisch der alten, wirkmächtigen, regierenden Männer und unser aller Bequemlichkeit.
Die inzwischen Volljährige will weiter als Klimaaktivistin kämpfen: »Wir betteln nicht bei Entscheidungsträgern. Sie haben uns in der Vergangenheit ignoriert, und sie werden es weiterhin tun. Aber die Dinge werden sich ändern, ob es ihnen gefällt oder nicht.«
Hand aufs Herz, liebe Leserin und lieber Leser: Hätten Sie 2017 geglaubt, dass ein 17-jähriges Mädchen mit Zöpfen und einem selbst beschrifteten Pappschild »Skolstrejk för Klimatet« die ganze Welt beim Thema Klimaschutz aufrütteln kann?
Auch der alte Arnold Schwarzenegger erklärte Greta zu seiner »Heldin«, der Formel-1-Rennfahrer Sebastian Vettel sieht in ihr seine »Inspiration«, und der britische »Guardian« macht aus ihr einen »Rockstar«. Der Papst trifft sie, und der Dalai Lama lädt mit ihr und mit Klimaforschern zu einer Video-Konferenz. Greta selbst nennt sich »uninteressant«, und genau das macht sie für viele junge Leute interessant und glaubwürdig.
Die Angst ist jedem Menschen angeboren, für mich ist sie ein Geschenk Gottes. Sie gehört für Menschen und für Tiere zur Urausstattung. Ohne die Realität der Angst hätte ich in meinem langen Leben noch viel mehr Fehler gemacht. Ich habe erst in der Mitte meines Lebens in einer Jung’schen Traumtherapie gelernt, keine Angst mehr vor der Angst zu haben und dabei auf meine Träume zu achten. Ich lernte mich vielmehr zu fragen, wie berechtigt die Angst in bestimmten Gefahrensituationen ist. Erst dadurch konnte ich auch mehr Vertrauen ins Leben aufbauen.
»Eine gefühlsgeladene Klimadebatte«, so die Psychologin Rebecca Fleischmann und die Soziologin Judith Pape in der »TAZ« zum Artikel in der »FAZ«, »bedeutet, dass zunehmend mehr Menschen verstanden haben: Die ökologische Katastrophe ist nichts Abstraktes, sondern wird in den nächsten Jahrzehnten massive Auswirkungen auf unsere eigenen Lebenspläne haben.«
Die Angriffe, denen Greta Thunberg nach ihrer UNO-Rede ausgesetzt war, zeigen, dass immer noch viele Menschen die drohende Gefahr eher verdrängen, als sich ihrer uneingestandenen Angst davor zu stellen. Die Abwertung und Abwehr emotionaler Lernprozesse ist nicht neu, sie wurzelt in der westlichen Denktradition seit der Aufklärung – einer Denktradition, in der Gefühl und Vernunft lange als Gegensätze galten.
Sowohl in unserem Privatleben als auch in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft führt die Angst oft ein Eigenleben. Rational mit diesem Gefühl umzugehen, ist geradezu ein Schlüssel zur Zukunft. Nur so werden wir mit kluger Gelassenheit lernen, die Zukunft neu zu gestalten.
Die Angst vor der Angst ist noch immer dieselbe Denktradition, in der Frauen als »emotionale Wesen« diffamiert wurden und die zu den größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte geführt hat. Ihre wichtigsten Repräsentanten zu meiner Lebenszeit hießen und heißen: Hitler, Stalin, Mussolini, Franco – vertraute Namen für uns Vorkriegskinder – oder in neuester Zeit: Trump, Putin, Xi oder Erdoğan. Ausschließlich Männer. Zufall?
Auch nach 16 Jahren, in denen Angela Merkel Bundeskanzlerin war, sind die Machtspiele in Politik, Wirtschaft und Religion überall auf der Welt weitgehend eine Angelegenheit der Männer. Anna Mayr recherchierte für »Die Zeit« im Januar 2021: »Es gibt in Deutschland 14 Ministerpräsidenten und zwei Ministerpräsidentinnen. Der Frauenanteil in deutschen Landtagen liegt bei etwa 30 Prozent. 91 Prozent der Bürgermeister sind Männer. Und in allen deutschen Parteien sind unter den Mitgliedern mehr Männer als Frauen, bei der FDP und der Linken ist der Frauenanteil seit den Neunzigern sogar zurückgegangen. Es muss also etwas geben, das Frauen von der Politik fernhält, das aber gleichzeitig nicht öffentlich besprochen werden kann. Und wenn es doch besprochen wird, dann so, als hätte es nichts mit Politik zu tun, sondern nur mit Befindlichkeiten. Oder auch: Empfindlichkeiten.«
Zu unserem Glück stehen inzwischen auch eine Reihe von klugen Frauen an der Spitze von Staaten: Jacinda Ardern in Neuseeland, Sanna Marin in Finnland, Angela Merkel in Deutschland, Tsai Ing-wen in Taiwan, Sophie Wilmes in Belgien, Katrin Jakobsdottir in Island und Mette Frederiksen in Dänemark. Eine Studie untersuchte 2020 den Umgang verschiedener Staaten mit der Corona-Krise. Das Ergebnis: Die Staaten, in denen Frauen regierten, hatten sechsmal geringere Todeszahlen.
Im von Angela Merkel regierten Deutschland freilich waren auch beim zweiten Lockdown die Corona-Todeszahlen überdurchschnittlich hoch. Der Hauptgrund: Angela Merkel hatte sich mit ihrer konsequent harten Corona-Politik nicht immer gegen die mehrheitlich männlichen Ministerpräsidenten durchsetzen können und musste gestehen: »Das Ding ist uns entglitten.«
Eine andere Studie, für die 5000 Unternehmensvorstände aus 60 Ländern befragt wurden, zeigte auf, dass Firmen mit einem ausgewogenen Verhältnis von Männern und Frauen innovativer waren.
Die Gesellschaften entwickeln sich weiter, und die alten Denktraditionen stoßen heute immer mehr auf Kritik. Auch in der Umwelt- und Klimabewegung oder in der Demokratiebewegung in Belarus spielen Frauen eine immer wichtigere Rolle. Diese Bewegungen reagieren nicht »überemotional«, sondern so emotional wie rational, also intelligent.
Rebecca Fleischmann und Judith Pape: »Emotionales Verständnis ist keine Schwäche, sondern ein Fortschritt, den wir verteidigen sollten, wenn im öffentlichen Diskurs Klimagefühle diskreditiert und im selben Atemzug eine zerstörerische Politik als ›vernünftig‹ dargestellt wird.«
2020 stand unser Haus tatsächlich in Flammen. In Australien brannten monatelang riesige Waldflächen und zerstörten mindestens 70 einheimische Tierarten. Im selben Jahr brannte die halbe Welt. Die sibirische Stadt Werchojansk war bisher für ihren Kälte-Weltrekord von minus 76 Grad bekannt. Am 20. Juni 2020 wurde dort, nördlich des Polarkreises, eine ganz andere Rekordtemperatur gemessen: plus 38 Grad, 18 Grad über den jahreszeitlichen Mittelwerten.
Auf dem virtuellen Weltwirtschaftsforum 2021 in Davos hieß das Motto »It’s the climate«. Klimaerhitzung und Umweltschäden seien die größten Gefahren für die Wirtschaft der Zukunft. Beim Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Pandemie müsse der Klimaschutz zwingend berücksichtigt werden. Das letzte Jahrzehnt war das heißeste seit 1880. Seit 1980 werde jedes Jahrzehnt wärmer, ermittelte die Weltmeteorologiebehörde WMO. In den letzten 150 Jahren sei es global bereits um 1,2 Grad wärmer geworden. Schon in wenigen Jahren, vielleicht sogar schon 2024, könnte die globale Temperatur nahe am Paris-Ziel von 1,5 Grad angelangt sein.