Nebenan wohnt das Glück - Patricia Vandenberg - E-Book

Nebenan wohnt das Glück E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Für Dr. Daniel Norden war es ein sehr schmerzlicher Verlust, als Herbert Volkmann seine Augen für immer schloß. Seit Jahren hatte er den alten Herrn ärztlich betreut und selten einen so geduldigen Patienten gehabt. Ein Wissenschaftler ersten Ranges war er gewesen, ein Philosoph, mit dem Daniel Norden sich lange und gern unterhalten hatte, und Fee Norden hatte es ihrem Mann nicht verübelt, wenn er manchmal sehr spät heimkam, wenn er bei Herbert Volkmann war. Wach war sein Geist bis zuletzt gewesen, und niemals würde Daniel Norden vergessen können, wie der Sterbende ihn anschaute und sagte: »Gell, lieber Norden, Sie werden dafür sorgen, daß mein Mathildchen ihr Zuhause behält.« Zweiundachtzig Jahre war Dr. Herbert Volkmann geworden, und Mathilde, seine Haushälterin, war fünfundsiebzig. Vierzig Jahre hatte sie ihrem Doktor treu gedient, seit dem Tage, als er die prachtvolle Villa am Wiesenhang bezogen hatte, mit einer schönen jungen Frau. Groß war das Glück gewesen, und wie groß erst die Trauer, als die reizende und so liebenswerte Carlotta schon bei der Geburt des ersten Kindes starb. Auch das Baby überlebte nicht, und Herbert Volkmanns Schmerz war so grenzenlos, daß er zum Einsiedler wurde. So rührend Mathilde ihn auch betreute, es erschien lange kein Lächeln auf seinem Gesicht. Zu seinem Bruder und dessen Familie riß der Kontakt zwar nicht ab, aber sie lebten in Bremen, und man sah sich nur selten. Leben kam erst wieder in das schöne Haus am Wiesenhang, als Jürgen Volkmann, Herberts Neffe, in München studierte. Jürgen hatte sich für Medizin entschieden, obgleich sein

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Dr. Norden Bestseller – 272–

Nebenan wohnt das Glück

Patricia Vandenberg

Für Dr. Daniel Norden war es ein sehr schmerzlicher Verlust, als Herbert Volkmann seine Augen für immer schloß. Seit Jahren hatte er den alten Herrn ärztlich betreut und selten einen so geduldigen Patienten gehabt. Ein Wissenschaftler ersten Ranges war er gewesen, ein Philosoph, mit dem Daniel Norden sich lange und gern unterhalten hatte, und Fee Norden hatte es ihrem Mann nicht verübelt, wenn er manchmal sehr spät heimkam, wenn er bei Herbert Volkmann war.

Wach war sein Geist bis zuletzt gewesen, und niemals würde Daniel Norden vergessen können, wie der Sterbende ihn anschaute und sagte: »Gell, lieber Norden, Sie werden dafür sorgen, daß mein Mathildchen ihr Zuhause behält.«

Zweiundachtzig Jahre war Dr. Herbert Volkmann geworden, und Mathilde, seine Haushälterin, war fünfundsiebzig. Vierzig Jahre hatte sie ihrem Doktor treu gedient, seit dem Tage, als er die prachtvolle Villa am Wiesenhang bezogen hatte, mit einer schönen jungen Frau. Groß war das Glück gewesen, und wie groß erst die Trauer, als die reizende und so liebenswerte Carlotta schon bei der Geburt des ersten Kindes starb. Auch das Baby überlebte nicht, und Herbert Volkmanns Schmerz war so grenzenlos, daß er zum Einsiedler wurde. So rührend Mathilde ihn auch betreute, es erschien lange kein Lächeln auf seinem Gesicht. Zu seinem Bruder und dessen Familie riß der Kontakt zwar nicht ab, aber sie lebten in Bremen, und man sah sich nur selten. Leben kam erst wieder in das schöne Haus am Wiesenhang, als Jürgen Volkmann, Herberts Neffe, in München studierte. Jürgen hatte sich für Medizin entschieden, obgleich sein Vater für seine Firma lieber einen Ingenieur hatte haben wollen. Jürgen wollte sich jedoch von Anfang an auf Herzchirurgie spezialisieren, und er ließ sich durch nichts und niemanden davon abbringen. Bei seinem Onkel Herbert fand er volle Unterstützung. Dadurch gab es allerdings einen Knacks in der Familie.

Jürgen bekam ein Stipendium für die Mayo-Klinik, und so schmerzlich es für Herbert Volkmann nun wieder war, den Jungen ziehen zu lassen, er hätte ihm niemals Steine in den Weg gelegt oder ihn damit zum Bleiben aufgefordert, daß er einmal sein Erbe sein würde und auch in München seinen Weg machen könnte.

Das Leid, das Herbert Volkmann so früh erfahren mußte, hatte ihn still gemacht, aber nicht verbittert. In ihm war zuviel Güte und Verständnis, als daß er dann auch skeptisch geworden wäre, als Jürgen sich schon während des Studiums in den Staaten in die hübsche Medizinalassistentin Debbie verliebte und auch sehr bald heiratete.

Ja, Herbert Volkmann flog zu dieser Hochzeit sogar nach USA, und er gab dem jungen Paar auch eine Starthilfe für ein eigenes Heim.

Daß Jürgen es weit bringen würde, hatte er gewußt, und im Innern war er froh gewesen, daß er es nicht mit Beziehungen schaffte, die er hätte haben können, denn mehrere Töchter aus reichen Familien hatten sich für den gutaussehenden jungen Arzt interessiert. Herbert war dankbar, daß Jürgen mit seiner Debbie ein so vollkommenes Glück fand. Zur Taufe des ersten Kindes, des Sohnes Peter Herbert, flog Herbert Volkmann wieder in die Staaten.

Kurz nachdem drei Jahre später Julia geboren war, kam Jürgen zur Beerdigung seines Vaters nach Deutschland.

Auch Herbert Volkmann war zur Beisetzung seines Bruders nach Bremen gefahren, aber er mußte dann von seiner Schwägerin bittere Vorwürfe einstecken, daß er Jürgen so beeinflußt hätte, daß es auch da keine enge Bindung mehr gäbe. Dabei hätte sie keinen Grund zur Klage gehabt, denn ihre Tochter Henny hatte einen tüchtigen Diplomingenieur geheiratet, der die Firma erst wieder in Schwung gebracht hatte.

Noch zweimal reiste Dr. Herbert Volkmann nach Kalifornien, und er schrieb danach auch zwei unterhaltende und zugleich geistreiche Romane über zwischenmenschliche und familiäre Beziehungen, ohne daß jemand in der Familie erfuhr, daß er der Autor war. Aber dann machte ihm sein Bandscheibenleiden immer mehr zu schaffen, und er fuhr auch nicht zur Beerdigung seiner Schwägerin, die ihren Mann nur fünf Jahre überlebt hatte.

Nun, für Herbert Volkmann stand es schon damals fest, daß Jürgen und seine Familie einmal seine Haupterben sein würden, aber sein Mathildchen wurde auch reich bedacht, und vor allem stand in seinem Testament, daß das Haus am Wiesenhang solange nicht verkauft werden dürfte, solange Mathilde lebte.

*

Mathilde stand neben Dr. Norden, als der Arzt sanft die Augen des Toten schloß. Frieden lag über dem edlen Gesicht. Ja, einen anderen Ausdruck fand Dr. Norden nicht für dieses vergeistigte, auch im Tode so friedliche Gesicht.

»Gönnen wir ihm den Frieden, Mathilde«, sagte Dr. Norden leise zu der schluchzenden alten Frau. »Er hat seine Schmerzen so tapfer ertragen.«

»Er war doch ein so guter Mensch«, flüsterte Mathilde. »Andere dürfen manchmal hundert Jahre alt werden und schikanieren ihre Mitmenschen. Und er war so klug. Bis zuletzt hat er alles so gut ausdrücken können. Was soll denn nun werden?«

»Für Sie bleibt doch alles so, wie es ist. Sie haben das Wohnrecht in diesem Haus und werden auch immer genügend Geld haben, Mathilde, daraus hat Dr. Volkmann doch kein Geheimnis gemacht.«

»Was soll ich denn so allein in dem großen Haus«, murmelte sie. »Ich weiß doch nicht, was der Professor Jürgen bestimmen wird.«

Sie sagte immer »Professor Jürgen«, nie Professor Volkmann, aber sie hätte auch nie bloß »Jürgen« gesagt.

»Er ist doch schon ein halber Amerikaner«, fügte sie etwas stockend hinzu.

»Es wird sich alles finden, Mathilde«, sagte Dr. Norden. »Ich werde jetzt telegrafieren, und ich bin überzeugt, daß Professor Jürgen kommen wird.« Er tätschelte ihr die faltige Wange. »Sie sind doch immer gut mit ihm ausgekommen.«

»Das schon, aber seine Frau und die Kinder, das sind doch richtige Amerikaner, und mit denen werde ich nicht mal reden können.«

»Sie sprechen gewiß deutsch«, sagte Dr. Norden, aber ob sie überhaupt kommen würden, konnte er auch nicht sagen.

»Und dann muß es auch Frau von Dammerow erfahren«, flüsterte Mathilde. »Es wird arg für sie sein. Es war doch ihre einzige Freude, mit dem Doktor reden zu können. Würden Sie es ihr bitte mitteilen, Herr Dr. Norden?«

Da auch Loretta von Dammerow zu Dr. Nordens Patientinnen gehörte, wollte er das übernehmen. Allerdings war sie eine sehr rüstige Siebzigerin, die nicht oft einen Arzt brauchte. Aber für sich allein lebte sie auch mit ihrer Kalinka, einer taubstummen Russin, die viel vom Schicksal der Dammerows hätte erzählen können, wenn sie eben nicht taubstumm gewesen wäre. Aber so gottergeben sie sich in ihr eigenes Schicksal fügte, so ergeben war sie ihrer Herrin.

»Wegen der Beerdigung sprechen wir noch, Mathilde«, sagte Dr. Norden zu der alten Frau, bevor er ging. »Ich muß erst Bescheid von Jürgen haben, wann er hier sein kann.«

*

Dr. Norden ging zu dem Nachbarhaus, das ebenfalls eine prächtige Villa war. Die Gärten drum herum waren so groß, daß man sie als Parks bezeichnen mußte, und nur noch bei älteren Anwesen fand man diese riesigen Ausmaße. Und ein bißchen ungerecht fand es Dr. Norden eigentlich auch, daß die ebenfalls so geräumigen Häuser von Einzelpersonen bewohnt wurden. Wenn Loretta von Dammerow nicht ebenso sympathisch gewesen wäre wie Dr. Volkmann, hätte es Dr. Norden noch als ungerechter empfunden, denn Loretta von Dammerow hatte überhaupt keine Angehörigen. Sie waren alle im Krieg oder auf der Flucht aus dem Osten umgekommen. Die riesigen Besitzungen der Dammerows in Litauen und Ostpreußen waren für alle Zeiten verloren. Mehr wußte Dr. Norden über diese vornehme, schweigsame Frau nicht, die nun den Kopf senkte, als er bei ihr eintrat und sich vor ihr verneigte.

»Mein guter Freund hat diese Welt verlassen«, sagte sie leise. »Ich habe es geahnt, gefühlt, könnte ich doch auch Adieu sagen, aber mir scheint es bestimmt zu sein, alle zu überleben, die mir lieb und teuer sind.« Ihre Stimme zitterte ein wenig, aber sonst zeigte sie, wie immer, eine beherrschte Miene. Sie war eine Frau, die Schmerz und Trauer nicht nach außen trug.

»Ich werde mich um Mathilde kümmern«, sagte sie leise. »Sie wird sehr trauern.«

Das Leid hatte ihr feines Gesicht geprägt. Sie hatte schon viel verloren, und Dr. Norden konnte sich vorstellen, wie schmerzlich es für sie war, nun auch den guten Freund nicht mehr zu haben, mit dem sie sprechen konnte, mit dem sie das verband, was Menschen am meisten zueinander führte, nämlich das Leid, das sie erlitten hatten.

»Wenn Sie etwas brauchen, gnädige Frau, rufen Sie mich bitte an. Es muß ja nicht um eine Krankheit gehen.«

»Ich weiß, daß Sie gern helfen, Dr. Norden«, sagte sie, »aber Sie haben wahrhaft genug zu tun. Herzlichen Dank, daß Sie mir die Nachricht brachten.«

Nun waren ihre Augen doch feucht geworden, und Dr. Norden wußte, daß sie allein sein wollte, um den Tränen freien Lauf zu lassen.

Er hatte tatsächlich einiges zu tun, was schnell erledigt werden mußte. Er mußte den Notar Dr. Lauter benachrichtigen, bei dem Dr. Volkmann alle Verfügungen hinterlegt hatte. Er war ein Mann, der sein Haus wohlbestellt zurückließ, und er hatte auch mehrmals zu Daniel gesagt, daß er bitte nur Dr. Lauter und seinen Neffen benachrichtigen möge.

Nun, Dr. Lauter war auch vorbereitet, da er Herbert Volkmann öfter besucht hatte, aber er war auch schon ein alter Herr, und so sagte er: »Es geht einer nach dem andern. Das tut weh!«

Ja, es tat weh, und Fee Norden wußte auch, wie nahe ihrem Mann Herbert Volkmanns Tod ging.

Sogar die Kinder waren bedrückt. »Er war so ein lieber Opa«, sagte Anneka.

»Er war kein Opa wie unserer«, sagte Danny. »Er hatte leider keine Enkelkinder. Warum haben eigentlich so nette alte Onkel manchmal keine Enkelkinder, Mami?«

Solche Fragen wurden immer an Fee gerichtet, und sie wußte ja meistens eine Antwort, aber diesmal war Anneka schneller. »Weil der Doktor doch keine Frau hatte, sondern bloß Mathilde. Und wenn man keine Frau hat, kriegt man auch keine Kinder und keine Enkelkinder.«

»Und warum hatte er keine Frau?« fragte Felix.

»Er hatte eine Frau, aber sie ist früh gestorben«, erklärte Daniel, »und weil er sie sehr liebte, wollte er nicht wieder heiraten.«

»Wo er doch so ein schönes großes Haus hat«, sagte Danny.

»Wer zieht jetzt rein?« erkundigte sich Felix.

»So was fragt man nicht gleich«, meinte Anneka. »Er ist doch noch nicht mal im Himmel!«

Über diese weite, letzte Reise machte sie sich ihre eigenen Gedanken, und sie wollte auch nicht begreifen, daß man davon sprach, daß nur die Seele im Himmel aufgenommen würde. Durch das Fernsehen bekamen die Kinder so manches mit, was sie noch nicht begreifen konnten, und wenn es bei den Nordens auch tunlichst vermieden wurde, sie entsprechende Filme sehen zu lassen, so hörten sie doch in der Schule von den anderen, was die wiederum angeschaut hatten, und was sie, da sie es nicht richtig verstanden, auch entsprechend unverständlich weitererzählten.

»Neulich haben sie nämlich im Fernsehen einen Mann gezeigt, der schon bis im Himmel war, und dann haben sie ihn als Hund wieder auf die Erde geschickt«, erzählte Anneka.

»Quatsch doch, das war ein Film«, wurde sie von Danny, dem Ältesten der Norden-Kinder, belehrt. »Den hat mir Maxi erzählt. Da haben sie eine Frau umgebracht, die der Mann gern hatte, und dann ist er verunglückt, aber eigentlich war er noch gar nicht dran, hat der liebe Gott gesagt. Und dann durfte er sich aussuchen, als was er weiterleben wollte. Da hat er sich für den Hund entschieden. Das muß ein toller Hund gewesen sein, der konnte sogar sprechen!«

»Wenn er doch in Wirklichkeit ein Mann war, kann er freilich sprechen«, warf Felix ein. »Aber so was gibt es nicht, gell, Mami?«

»Nein, das ist nur ein Film.« Fee hatte ihn auch gesehen, aber sie wollte sich darüber nicht auslassen. Es war ein unterhaltsamer Film gewesen, aber in seiner Ironie doch nur Erwachsenen verständlich.

»Ich fände es gut, wenn der Opa Volkmann wieder auf die Erde kommen würde und uns dann erzählen könnte, wie es da droben ausschaut«, meinte Felix. Er war bedächtig und wollte alles bis ins Detail ergründen, und ihm mangelte es an der Phantasie, die Anneka im Übermaß besaß. Fee fürchtete sich schon, daß Anneka wieder wild träumen würde.

Die kleinen Zwillinge schliefen schon, und so konnte Daniel in Ruhe das Telegramm an Jürgen Volkmann aufgeben, denn da durfte kein Fehler unterlaufen.

»Wird er kommen?« fragte Fee.

»Aber ganz bestimmt«, erwiderte Daniel. »Herbert Volkmann war für ihn wie ein Vater. Sie haben sich sehr gut verstanden.«

»Aber seine Familie scheint keine Beziehung zu Deutschland zu haben«, stellte Fee nachdenklich fest. »Sonst hätten sie den Onkel doch mal besucht.«

»Er war ja öfter in Kalifornien, und er hat auch Jürgens Frau und die Kinder kennengelernt, und geschrieben haben sie auch regelmäßig. Er wollte nur nicht, daß sie erfuhren, wie krank er war. Er hat sie ja auch nur solange besucht, wie es ihm soweit gutging, daß er nicht pflegebedürftig erschien. Er war ein Mensch, der niemandem zur Last fallen wollte.«

»Solche Menschen werden nicht zur Last, sie hinterlassen Lücken«, sagte Fee leise.

»Frau von Dammerow ist auch sehr traurig. Ich verstehe nur nicht, warum sie so gar keine anderen Freunde hat.

Eine geistig und auch körperlich so rege Frau, kulturell interessiert und immer allein, bis auf die Gespräche mit Volkmann, die sie nun schwer vermissen wird.«

»Ich nehme an, daß sie zu oft enttäuscht worden ist«, sagte Fee.

»Das mag schon sein, aber mit Kalinka kann sie ja nicht mal reden.«

Das stimmte wohl, aber die gute Kalinka vermittelte Loretta von Dammerow doch das Gefühl, immer anwesend zu sein. Sie war unerhört fleißig, sie konnte ihrer Herrin die Wünsche von den Lippen lesen, auch von den Augen, und obgleich sie taub war, war sie so leise in allen Bewegungen und Tätigkeiten, daß sie tatsächlich kaum zu spüren war und niemals aufdringlich. Aber nie hatte Loretta darüber gesprochen, wie sie zu Kalinka gekommen war.

Loretta hatte ihr jetzt verständlich gemacht, daß Herbert Volkmann gestorben war. Schreiben und lesen konnte Kalinka. Loretta hatte es ihr in mühevoller Arbeit beigebracht. Aber Kalinka war auch eine gelehrige Schülerin gewesen, und sie war ihrer Herrin so treu ergeben, wie man es kaum noch erleben konnte in dieser Zeit.

Kalinka fuhr sich über die Augen und faltete dann die Hände. Ihr Blick wanderte zum Himmel empor.

Loretta nickte. »Ja, er wird seinen Platz dort finden«, sagte sie, und Kalinka verstand, was sie meinte.

Dann ging Loretta zu Mathilde, die sich nun schon ausgeweint hatte. Noch war Dr. Herbert Volkmann in seinem Zimmer aufgebahrt. Auch Loretta konnte dort von ihm Abschied nehmen.

Danach legte sie einen Arm um Mathildes Schultern. »Vielleicht ist es uns bestimmt, noch so manche Jahre zu verbringen, Mathilde. Ich möchte Ihnen sagen, daß für Sie immer Platz bei mir sein wird, und daß Sie mit allen Sorgen und Fragen zu mir kommen können.«

»Wenn es mein Doktor bestimmt hat, daß ich im Haus. bleibe, dann werde ich auch bleiben«, erklärte Mathilde ruhig. »Ich danke Ihnen, gnädige Frau, daß Sie auch gut zu mir sind.«

»Ich bin dankbar, daß es Menschen wie Sie gibt, Mathilde«, sagte Loretta.

»Kalinka ist sehr gut, sehr anständig und fleißig.« Mathilde wollte nicht allein gelobt werden.

»Ich weiß es, Mathilde, und ich möchte Kalinka nicht missen, aber mit Ihnen kann ich richtig sprechen. Es ist auch gut, wenn man gleich verstanden wird.«

»Darf ich etwas fragen, gnädige Frau?«

»Aber ja, Mathilde.«

»Ist Kalinka so geboren? Ich denke nämlich, daß sie viel mehr versteht, als man meint.«

Loretta ging zum Fenster. Oft hatte sie aus diesem Fenster auf den Park hinabgeblickt, in dem die Bäume und Sträucher wuchern durften. Herbert Volkmann hatte es so gewollt. Sie selbst war in einem Schloß aufgewachsen, das umgeben war von einem wohlgepflegten Park, und das war ihr geblieben. An Geld hatte es ihr ja nie gemangelt, trotz der großen Verluste an Land und anderen Besitztümern. Und im Anfang hatte sie sich auch gewundert, daß Herbert Volkmann den Park verwildern ließ, doch es war kein Verwildern, wie er ihr erklärte. In seinen Garten kamen viel mehr Vögel und Schmetterlinge. Auch andere Insekten, die Loretta Unbehagen verursachten. Aber Herbert hatte ihr erklärt, daß die Natur ihren Freiraum brauchte, der dann wiederum den Menschen zugute kam. All dies ging ihr jetzt durch den Sinn, und Mathilde riß sie nicht aus diesen Gedankengängen.

Doch plötzlich erinnerte sich Loretta an Mathildes Frage nach Kalinka.