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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Fast eine halbe Stunde lang hatten die Zwillinge Alena und Kathrin auf einer Wiese am Waldrand mit ihrem Hund Alfredo gespielt. Der etwa drei Jahre alte braune kleine Mischlingshund mit dem gepflegten, aber trotzdem zotteligen Fell, lag nun im Gras und hechelte. Der rote Gummiball, dem er immer wieder nachgelaufen war, um ihn zu apportieren, lag zwischen seinen ausgestreckten Vorderbeinen. Kathrin bückte sich, griff nach dem Ball und steckte ihn in ihre Hosentasche. Dass diese Tasche nun einen deutlich ausgebeulten Eindruck machte, störte die Neunjährige nicht. »Ich glaube, du bist jetzt richtig müde«, stellte sie fest und strich dem Hund liebevoll über den Kopf. »Du kannst dich noch ein paar Minuten ausruhen. Dann gehen wir nach Hause.« »Nach Hause«, bemerkte Alena und stieß dabei einen verächtlichen Laut aus. »Das klingt so gut, aber in Wirklichkeit ist es schon lange kein richtiges Zuhause mehr. Wenn wir mit Mami allein sind, ist ja alles in bester Ordnung. Dann ist es schön für uns alle. Aber Onkel Ben macht ja ständig alles kaputt, weil er dauernd so viel Alkohol trinkt und dann nur streiten will.« »Stimmt«, bestätigte Kathrin. »Wenn er da ist, ist es bei uns gar nicht schön. Leider ist er ja fast immer zu Hause, seit er seine Arbeitsstelle verloren hat.« »Das ist seine eigene Schuld«
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Fast eine halbe Stunde lang hatten die Zwillinge Alena und Kathrin auf einer Wiese am Waldrand mit ihrem Hund Alfredo gespielt. Der etwa drei Jahre alte braune kleine Mischlingshund mit dem gepflegten, aber trotzdem zotteligen Fell, lag nun im Gras und hechelte. Der rote Gummiball, dem er immer wieder nachgelaufen war, um ihn zu apportieren, lag zwischen seinen ausgestreckten Vorderbeinen. Kathrin bückte sich, griff nach dem Ball und steckte ihn in ihre Hosentasche. Dass diese Tasche nun einen deutlich ausgebeulten Eindruck machte, störte die Neunjährige nicht.
»Ich glaube, du bist jetzt richtig müde«, stellte sie fest und strich dem Hund liebevoll über den Kopf. »Du kannst dich noch ein paar Minuten ausruhen. Dann gehen wir nach Hause.«
»Nach Hause«, bemerkte Alena und stieß dabei einen verächtlichen Laut aus. »Das klingt so gut, aber in Wirklichkeit ist es schon lange kein richtiges Zuhause mehr. Wenn wir mit Mami allein sind, ist ja alles in bester Ordnung. Dann ist es schön für uns alle. Aber Onkel Ben macht ja ständig alles kaputt, weil er dauernd so viel Alkohol trinkt und dann nur streiten will.«
»Stimmt«, bestätigte Kathrin. »Wenn er da ist, ist es bei uns gar nicht schön. Leider ist er ja fast immer zu Hause, seit er seine Arbeitsstelle verloren hat.«
»Das ist seine eigene Schuld«, stellte Alena fest. »Wer will schon einen Dachdecker für sich arbeiten lassen, der ständig betrunken ist und dann wahrscheinlich irgendwann vom Dach fällt. Ich kann Herrn Vollmer gut verstehen. Er musste Onkel Ben einfach kündigen. Anders ging es nicht. Für uns ist das natürlich schwer, weil wir ihn nun dauernd zu Hause haben und damit leben müssen, dass er schon kurz nach dem Mittagessen betrunken ist.«
»Manchmal kann ich Mami nicht verstehen«, bemerkte Kathrin nachdenklich. »Sie ist mit Onkel Ben doch schon lange nicht mehr glücklich. Als er vor drei Jahren diese große Erbschaft gemacht hat, hat er angefangen zu trinken. Seitdem hat Mami genauso unter ihm zu leiden wie wir. Warum geht sie mit uns nicht einfach weg? Wir brauchen Onkel Ben doch nicht.«
Alena wiegte nachdenklich den Kopf. »Vielleicht brauchen wir ihn doch. Mami hat neulich mit mir darüber gesprochen. Sie hat mir erzählt, dass sie Onkel Ben schon lange nicht mehr liebt. Sie kann ihn nicht mehr lieben, weil er so viel trinkt und dann streitsüchtig ist. Mami hat gesagt, dass er es nicht verkraftet hat, diese große Erbschaft gemacht zu haben. Das hat ihn völlig aus der Bahn geworfen. Ich verstehe das nicht. Es ist doch gut, wenn man plötzlich reich ist und keine Geldsorgen mehr hat. Na, egal. Mami hat mir aber gesagt, dass unsere Wohnung allein Onkel Ben gehört. Er hat sie nach der Erbschaft gekauft. Auch das Auto, das Mami fährt, gehört ihm. Eigentlich gehört ihm alles. Das Geld, das Mami durch ihre Arbeit in der Zahnarztpraxis verdient, würde nicht für uns alle reichen. Deshalb kann Mami nicht einfach mit uns weggehen. Wir hätten dann keine Wohnung mehr und auch sonst nichts. Es ist zwar blöd, aber wir müssen Onkel Ben ertragen, weil er für uns sorgt.«
»Das ist sogar noch viel mehr als blöd«, erwiderte Kathrin. »Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich es einfach nicht mehr länger bei Onkel Ben aushalte. Wenn er nüchtern ist, ist ja alles in Ordnung. Aber wenn er betrunken ist, wird er sofort böse, und er ist ja fast immer betrunken.«
Alena nickte seufzend, wollte sich aber jetzt nicht länger über dieses unerfreuliche Thema unterhalten. Sie schaute Alfredo an und schnalzte mit den Fingern. Sofort sprang der kleine Hund auf, schüttelte sich kurz und folgte den beiden Mädchen, die sich auf den Heimweg machten.
Als Alena und Kathrin zu Hause ankamen, war ihre Mutter noch nicht von der Arbeit heimgekehrt. Ben Linde saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher, hatte die Beine auf einen gepolsterten Hocker gelegt und eine Flasche Weinbrand und ein Glas neben sich auf dem kleinen Tisch stehen.
»Wo habt ihr euch denn so lange herumgetrieben?«, erkundigte er sich unfreundlich bei den Zwillingen. »Statt euch draußen zu vergnügen, hättet ihr lieber die Küche aufräumen sollen, damit eure Mutter das nicht auch noch erledigen muss, wenn sie von der Arbeit kommt.«
Alena und Kathrin warfen einen Blick in die Küche. Mittags hatten sie ihre Mahlzeiten aufgewärmt, die ihre Mutter am Vortag zubereitet hatte, anschließend das Geschirr in die Spülmaschine geräumt und die Küche sauber und ordentlich hinterlassen. Jetzt aber standen schmutzige Teller und Tassen herum, die Ben benutzt hatte. Auf dem Tischtuch waren hässliche Saucenflecken zu sehen, und verschmutzte Servietten lagen neben der Spüle.
»Ben könnte seine Sachen sehr gut selbst aufräumen«, ließ Kathrin sich mit halblauter Stimme vernehmen. »Zeit hat er jedenfalls genug. Seit er keine Arbeit mehr hat, sitzt er doch den ganzen Tag nur herum und langweilt sich.«
»Er langweilt sich nicht nur, sondern betrinkt sich auch noch dabei«, entgegnete Alena seufzend und räumte zusammen mit ihrer Schwester die Küche auf, obwohl das eigentlich Bens Aufgabe gewesen wäre.
»Könnt ihr mal diesen blöden Köter hier wegholen?«, erklang Bens Stimme aus dem Wohnzimmer. »Der steht mitten vor dem Fernseher und versperrt mir die Sicht.«
Alena eilte ins Wohnzimmer. Tatsächlich stand Alfredo genau vor dem Bildschirm und wedelte freundlich zwei Schäferhunde an, die dort zu sehen waren. Jeder hätte sich über dieses Verhalten amüsiert, nur Ben nicht. Er hatte absolut keinen Humor, wenn er betrunken war.
»Alfredo, hierher«, forderte Alena den kleinen Hund auf, der sich auch sofort von den Schäferhunden abwandte, dem Ruf folgte und mit Alena in die Küche ging.
»Es ist mit Ben wirklich nicht auszuhalten«, sagte Kathrin, während sie ein frisches Tischtuch auf den Küchentisch legte. »Wir müssen unbedingt noch einmal mit Mami reden. Es muss doch möglich sein, dass wir auch ohne Ben zurechtkommen. Manchmal habe ich richtig Angst vor ihm. Bis jetzt hat er uns ja noch nichts getan und Alfredo auch nicht. Aber das bleibt bestimmt nicht für immer so. Seine Wutanfälle sind jedenfalls schlimmer geworden. Wir müssen weggehen, bevor etwas passiert. So schlecht verdient Mami doch nicht, und wir brauchen ja auch nicht viel.«
»Das stimmt«, pflichtete Alena ihrer Schwester bei. »Uns reicht auch eine kleine Wohnung. Mir würde es nichts ausmachen, wenn wir beide zusammen nur ein Zimmer hätten. Schließlich vertragen wir uns gut. Außerdem müssen wir in den Ferien nicht unbedingt weit weg in den Urlaub fahren. Ein paar schöne Tagesausflüge sind auch schön. Ich glaube, wir können uns sehr gut einschränken. Die Hauptsache ist doch, dass wir Ruhe vor Ben haben. Du hast recht. Wir müssen mit Mami reden und ihr erklären, dass wir unglücklich sind und Angst haben. Das will Mami ganz bestimmt nicht. Sie hat uns nämlich lieb.«
»Ja, das hat sie. Und wir haben sie auch lieb. Schade, dass das mit Ben passiert ist. Früher war er eigentlich ganz in Ordnung. Aber das ist schon so lange her, dass ich mich fast gar nicht mehr daran erinnern kann.«
Die Zwillinge waren sich einig. Noch am selben Tag wollten sie mit ihrer Mutter sprechen und sie bitten, Ben zu verlassen, weil ein Zusammenleben mit ihm unmöglich geworden war. Die Tatsache, dass er es war, der alles finanzierte, durfte dabei keine Rolle spielen. Geld war schließlich nicht alles.
*
Vier Jahre lang hatte Carla Möllberg bei Dr. Gehringer gearbeitet und sich sehr wohl in dieser Zahnarztpraxis gefühlt. Daran, dass Dr. Gehringer sich schon sehr früh zur Ruhe setzen könnte, hatte Carla nie gedacht. Genau das sollte jetzt aber passieren. An diesem Tag hatte der Zahnarzt seine drei Mitarbeiterinnen um ein Gespräch gebeten und ihnen mitgeteilt, dass er den Praxisbetrieb in zwei Monaten aufgeben würde. Eigentlich war das nicht der Plan des knapp Sechzigjährigen gewesen, aber eine kürzlich aufgetretene Erkrankung der Wirbelsäule ließ ihm keine andere Wahl. Er konnte zwar ein relativ normales Leben führen, aber seinen Beruf nicht mehr länger ausüben. Leider hatte sich kein Nachfolger für die Praxis gefunden. Deshalb würden sich seine drei Mitarbeiterinnen nach einer neuen Arbeitsstelle umsehen müssen. Mit dem erschreckenden Gedanken, dass sie demnächst vielleicht arbeitslos sein würde, kehrte Carla an diesem Tag niedergeschlagen heim. Sie glaubte nicht daran, einen neuen Arbeitsplatz in der näheren Umgebung zu finden. Die dort ansässigen Zahnärzte suchten bestimmt keine neuen Mitarbeiterinnen. Weiter wegziehen konnte Carla aber auch nicht. Dann hätten die Zwillinge die Schule wechseln müssen und ihren Freundeskreis verloren. Außerdem wäre Ben mit Sicherheit nicht bereit gewesen, die Wohnung zu verkaufen und woanders eine neue zu erwerben.
Während Carla auf dem Heimweg über ihre Situation nachdachte, fühlte sie sich plötzlich von Schuldgefühlen geplagt. Ja, sie hatte Ben einmal geliebt und war von seiner höflichen Art, seinem Humor und seinen guten Umgangsformen beeindruckt gewesen. Dann hatte sich sein Charakter nach der unerwarteten Erbschaft, die er einer wohlhabenden Großtante zu verdanken hatte, grundlegend geändert. Er war herrisch und streitsüchtig geworden. Und er hatte angefangen, ständig große Mengen Alkohol zu trinken. Nachdem er von seinem Arbeitgeber mehrfach ermahnt worden war, weil er betrunken zur Arbeit erschienen war, und schließlich die Kündigung erhalten hatte, war Ben noch unleidlicher geworden und griff seitdem tagtäglich zur Flasche. Carla war bei ihm geblieben, obwohl sie ihn nicht mehr liebte. Sie fand einfach nicht die Kraft, den entscheidenden Schritt zu tun. Außerdem fürchtete sie, in Existenznot zu geraten. Die Folge von allem war, dass sie das Gefühl hatte, Ben auszunutzen und sich ein schönes Leben auf seine Kosten zu machen. Sie befand sich in einem Teufelskreis, aus dem sie nicht ausbrechen konnte. Unglücklich seufzte Carla auf, als sie zu Hause angekommen war und die Haustür aufschloss.
*
Zur Erleichterung der Zwillinge war Ben vor dem Fernseher eingeschlafen. Die Mädchen verhielten sich deshalb ruhig und sprachen leise miteinander. Sie wollten Ben nicht aufwecken. Wenn er schlief, hatten sie keinen Ärger mit ihm und waren seiner stets üblen Laune nicht ausgesetzt.
Als sie hörten, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde, eilten Alena und Kathrin ihrer Mutter sofort entgegen. Mit einer unmissverständlichen Geste legte Alena einen Zeigefinger auf ihre Lippen.
»Onkel Ben schläft«, flüsterte sie ihrer Mutter zu. »Wir müssen leise sein, damit er nicht aufwacht. Sonst bekommen wir nur wieder Ärger mit ihm. Am besten kommst du mit in die Küche. Da kannst du eine Tasse Kaffee trinken, und wir können miteinander reden. Wir haben nämlich eine ganz wichtige Sache mit dir zu besprechen.«
Carla folgte ihren Töchtern in die Küche und schloss die Tür von innen. Ihr Blick fiel auf die Kaffeemaschine und sie stellte mit einem dankbaren Lächeln fest, dass Alena und Kathrin bereits Kaffee für sie aufgebrüht hatten. Sie füllte auch gleich eine Tasse und nahm am Tisch Platz.
»Über was für eine wichtige Sache wollt ihr denn mit mir sprechen?«, fragte Carla. »Habt ihr in der Schule etwas ausgefressen und seid jetzt in eine unangenehme Situation geraten?«
»Nein, wir haben nichts ausgefressen«, antwortete Kathrin beinahe empört, und Alena schüttelte bestätigend den Kopf. »Wir müssen mit dir über Onkel Ben reden. Du weißt selbst, dass wir uns schon ziemlich oft über ihn beschwert haben, weil man mit ihm einfach nicht mehr auskommen kann. Ständig hat er etwas an uns auszusetzen und wird oft richtig wütend. Manchmal haben wir richtig Angst vor ihm. Auch über Alfredo hat Onkel Ben dauernd etwas zu meckern. Wir halten das einfach nicht länger aus, und du bist mit Onkel Ben doch auch nicht glücklich. Können wir drei und Alfredo nicht einfach weggehen und ohne Onkel Ben ganz neu anfangen? Ohne ihn geht es uns doch viel besser.«
»So einfach ist das leider nicht«, erklärte Carla niedergeschlagen. »Ihr habt recht. Ich bin mit Onkel Ben wirklich nicht mehr glücklich. Früher ist das einmal so gewesen, aber das ist längst vorbei. Ihr beide tut mir auch leid. Ich weiß genau, wie schwer ihr es mit Onkel Ben habt. Aber wir können nicht einfach weggehen. Das würde bedeuten, dass wir uns eine eigene Wohnung suchen müssten. Aber für eine Wohnung muss man Miete bezahlen. Strom, Heizung und Wasser sind auch teuer, und essen müssen wir selbstverständlich auch etwas. Ihr braucht regelmäßig neue Kleidung, weil ihr aus euren Sachen herauswachst. Ich verdiene leider nicht genug, um das alles bezahlen zu können.«
»Du hast aber doch immer gesagt, dass Dr. Gehringer dir ein gutes Gehalt zahlt«, bemerkte Kathrin. »Wenn wir alle uns ein bisschen einschränken, müsste es doch gehen. Alena und ich brauchen auch keine Weihnachtsgeschenke, und zu unserem Geburtstag musst du uns auch nichts schenken.«
»Ihr seid wirklich zwei ganz wundervolle Kinder«, stellte Carla lächelnd fest. »Es ist schön, dass ihr auf all diese Dinge verzichten wollt. Aber wir können es leider trotzdem nicht ohne Onkel Ben schaffen.«
»Warum denn nicht?«, wollte Alena wissen. »Eigentlich brauchen wir nicht einmal eine Wohnung. Kathrin und ich haben doch im letzten Jahr an einem Wochenende bei Tante Melissa übernachtet. Sie hat ein schönes großes Gästezimmer. Das reicht auch für drei Leute. Du könntest also mit uns zusammen bei Tante Melissa einziehen. Sie würde bestimmt nur eine ganz geringe Miete verlangen. Außerdem ist Tante Melissa richtig nett. Sie mag Kathrin und mich, und Alfredo mag sie auch.«
Carla musste an ihre Freundin Melissa denken. Sie hatte die Dolmetscherin vor etwa vier Jahren in einem Café kennengelernt. Die Zwillinge hatten dort einen Milchshake bekommen, und durch eine typisch kindliche Unachtsamkeit hatte Kathrin den Becher umgekippt, dessen Inhalt sich vollständig über die Kleidung des kleinen Mädchens ergoss. Melissa Grabbe, die am Nachbartisch gesessen hatte, war sofort aufgestanden, hatte ein paar Handtücher bei dem Besitzer des Cafés besorgt und Carla geholfen, das kleine Mädchen abzutrocknen und die Kleidung einigermaßen zu reinigen. Seit diesem Tag waren Melissa und Carla gute Freundinnen. Ab und zu fuhr Carla zusammen mit den Zwillingen und Alfredo zu Melissa, die knapp vierzig Kilometer entfernt wohnte. Dort hatte sich die alleinstehende, sechsunddreißig Jahre alte Dolmetscherin vor etwa zwei Jahren ein kleines Haus gekauft, das auch über ein Arbeitszimmer und ein Gästezimmer verfügte.
»Wir können doch nicht einfach bei Tante Melissa einziehen«, stellte Carla amüsiert fest. »Sie hat das Haus für sich gekauft und nicht für uns. Dass ihr bei ihr am Wochenende übernachten durftet, ist eine Ausnahme gewesen, und es waren auch nur zwei Nächte. Dauerhaft bei Tante Melissa wohnen zu wollen, ist eine ganz andere Sache. Das können wir nicht machen.«
»Warum nicht?«, wollte Alena wissen. »Natürlich können wir das nicht einfach so machen. Aber wir können Tante Melissa doch fragen, ob sie damit einverstanden ist. Wenn wir ihr erzählen, wie schlimm es hier mit Onkel Ben ist und dass wir es mit ihm einfach nicht mehr aushalten können, dann ist sie ganz bestimmt damit einverstanden, dass wir bei ihr wohnen.«
Obwohl Carla eigentlich nicht danach zumute war, musste sie über die Idee ihrer beiden Töchter jetzt doch unwillkürlich lächeln. Die Vorstellung, wie sie zu dritt für lange Zeit im Gästezimmer ihrer Freundin wohnen würden, war auf seltsame Weise amüsant.