Not in Love – Die trügerische Abwesenheit von Liebe - Ali Hazelwood - E-Book
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Not in Love – Die trügerische Abwesenheit von Liebe E-Book

Ali Hazelwood

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Beschreibung

In der Liebe und der Wissenschaft ist alles erlaubt. Oder etwa nicht?

Rue Siebert musste lange für das kämpfen, was ihr im Leben Halt gibt: wenige, aber gute Freunde, auf die sie zählen kann, jene finanzielle Sicherheit, nach der sie sich als Kind immer gesehnt hat, und eine Karriere als Biotech-Ingenieurin bei Kline, einem aufsteigenden Startup in der Lebensmitteltechnologie. Aber dann droht ein Investor, genauer: dessen attraktiver Vertreter Eli, alles kaputtzumachen.

Eli Killgore und seine Geschäftspartner wollen Kline – Punkt. Eli hat seine eigenen Gründe, diesen Deal zu forcieren, und er ist ein Mann, der bekommt, was er will. Mit einer einzigen, umso peinvolleren Ausnahme: Rue. Die Frau, die für ihn ein absolutes No-Go ist. Die Frau, an die er immer wieder denken muss.

Hin- und hergerissen zwischen Professionalität und Anziehungskraft, werfen Rue und Eli schon bald jegliche Vorsicht aus den Laborfenstern. Ihre Affäre bleibt geheim, unverbindlich und hat eine logische Deadline: den Tag, an dem eines ihrer Unternehmen die Oberhand gewinnen wird. Aber das Spiel mit dem Herzen ist ein riskantes - und es hat einen hohen Preis …

Spicy und verletzlich wie nie: die erste aus zwei Perspektiven erzählte Lovestory von SPIEGEL-Bestsellerautorin Ali Hazelwood.

»Hazelwood ist ein absolutes Romance-Powerhouse.« Christina Lauren.

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Seitenzahl: 517

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Über das Buch

Rue Siebert musste lange für das kämpfen, was ihr im Leben Halt gibt: wenige, aber gute Freunde, auf die sie zählen kann, jene finanzielle Sicherheit, nach der sie sich als Kind immer gesehnt hat, und eine Karriere als Biotech-Ingenieurin bei Kline, einem aufsteigenden Startup in der Lebensmitteltechnologie. Aber dann droht ein Investor, genauer: dessen attraktiver Vertreter Eli, alles kaputtzumachen.

Eli Killgore und seine Geschäftspartner wollen Kline – Punkt. Eli hat seine eigenen Gründe, diesen Deal zu forcieren, und er ist ein Mann, der bekommt, was er will. Mit einer einzigen, umso peinvolleren Ausnahme: Rue. Die Frau, die für ihn ein absolutes No-Go ist. Die Frau, an die er immer wieder denken muss.

Hin- und hergerissen zwischen Professionalität und Anziehungskraft, werfen Rue und Eli schon bald jegliche Vorsicht aus den Laborfenstern. Ihre Affäre bleibt geheim, unverbindlich und hat eine logische Deadline: den Tag, an dem eines ihrer Unternehmen die Oberhand gewinnen wird. Aber das Spiel mit dem Herzen ist ein riskantes – und es hat einen hohen Preis …

Über Ali Hazelwood

Ali Hazelwood hat unendlich viel veröffentlicht (falls man all ihre Artikel über Hirnforschung mitzählt, die allerdings niemand außer ein paar Wissenschaftlern kennt und die, leider, oft kein Happy End haben). In Italien geboren, hat Ali in Deutschland und Japan gelebt, bevor sie in die USA ging, um in Neurobiologie zu promovieren. Vor Kurzem wurde sie zur Professorin berufen, was niemanden mehr schockiert als sie selbst. Ihr erster Roman »Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe« wurde bei TikTok zum Sensationserfolg und ist ein internationaler Bestseller. Zuletzt erschienen von ihr bei Rütten & Loening »Das irrationale Vorkommnis der Liebe«, »Die Unannehmlichkeiten von Liebe«, »Love, theoretically« und »Bride«.

Mehr unter: www.AliHazelwood.com; Instagram: @AliHazelwood 

Anna Julia Strüh übersetzte ihr erstes Buch mit fünfzehn, Autorinnen wie Lily Lindon, Ali Hazelwood, Julie Soto u. a. folgten. Sie lebt in Leipzig und überträgt auch Lyrik, etwa von Rupi Kaur.

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Ali Hazelwood

Not in Love – Die trügerische Abwesenheit von Liebe

Roman

Aus dem Amerikanischen von Anna Julia Strüh

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Motto

Liebe Leserin, lieber Leser,

1: Ganz einfach

2: Liebend gern bereit, ihr zuzuhören — Gestern Abend

3: Es hätte Spaß gemacht

4: Keine Feinde

5: Ein schwerer Vorwurf

6: Ein Shortcut, den sein Gehirn nicht brauchte

7: Keine Voraussetzung für irgendwas

8: Als würdest du ein neues Buch anfangen, bevor du mit dem aus der Bibliothek fertig bist

9: Du Trottel

10: Wir klären das. Ein für alle Mal.

11: Wir lassen alles raus und denken nie wieder daran

12: Bechdel-Test: nicht bestanden

13: Deine schrecklichen Geheimnisse

14: Der derzeitige Oberbösewicht ihrer Geschichte

15: Was zur Hölle tust du?

16: Sein Kopf zwischen den Schenkeln einer anderen Frau

17: Anscheinend richtete schon ihr bloßes Dasein einiges bei ihm an

18: Unser Zahlungsmittel

19: Du weißt ja, wo die Desinfektionstücher sind, oder?

20: Keine große Sache

21: Würdest du das gern mit mir machen?

22: Gutes Mädchen

23: Eine wundervolle Liebhaberin

24: Ich mag ihn nicht nicht

25: Klingt das etwa nicht wie eine phantastische Idee?

26: Werd dir deines beschissenen einsamen Lebens bewusst

27: Glaub mir, ich hab es versucht

28: In einer anderen Timeline

29: Selbst wenn du es nicht tust

30: Das wäre dann wohl die Rache

31: Schwierige Entscheidungen

32: Lass uns versuchen, es in Ordnung zu bringen

33: Meine traurige, wunderschöne Festung

34: Unbekanntes Neuland

35: Du kannst nicht beides haben

36: Die tragischste Geschichte

37: Die Freunde, die wir auf diesem Weg gefunden haben

38: Wir haben alle unser Päckchen zu tragen

39: Füreinander bestimmt oder irgend so ein Scheiß

Epilog — Ein Jahr später

Dank

Impressum

Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...

Für Jen.

Manchmal frage ich mich, was ich ohne dich tun würde, und der Gedanke macht mir jedes Mal eine Riesenangst.

PS: Weiße Schokolade ist tatsächlich nicht schlecht.

PPS: Wenn du das liest, gib Stella einen Keks von Tante Ali.

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich möchte Euch nur wissen lassen, dass »Not in Love« in seinem Ton ein bisschen anders ist als meine vorherigen Bücher. Rue und Eli hatten – und haben noch immer – mit den Nachwirkungen von Problemen wie Trauer und Kindesvernachlässigung und Konflikten mit dem Thema Essen zu kämpfen. Sie wollen einander näherkommen, haben aber keine Ahnung, wie sie das anstellen sollen, außer durch eine körperliche Verbindung. Das Ergebnis ist, glaube ich zumindest, weniger eine RomCom geworden als vielmehr eine erotische Romance. Rues und Elis Geschichte hat – natürlich – ein Happy End! Aber es spielen darin auch einige ernste Themen eine Rolle, und ich wollte Euch vorwarnen, damit Ihr wisst, was Euch erwartet.

Love

Ali

1

Ganz einfach

RUE

Ladys, ich habe eine ernst gemeinte, nicht rhetorische Frage an euch: Wie überlebt ihr zwei in der wirklichen Welt?«

Ich erwiderte Nyotas herablassenden Blick und ließ die ganz spezielle Form der Demütigung kurz wirken, dass ausgerechnet die kleine Schwester meiner besten Freundin (der wir konsequent den Zutritt zum Baumhaus im Hinterhof verwehrt hatten, die noch zu Weihnachten 2009 in aller Öffentlichkeit einen Popel verzehrt hatte und nur wenige Monate später dabei erwischt wurde, wie sie im Wäscheschrank mit einer Clementine rummachte) meine Fähigkeit anzweifelte, ein produktives Leben zu führen.

Ganze drei Jahre älter als sie, hatten Tisha und ich damals einen eindeutig unangebrachten Überlegenheitskomplex entwickelt. Jetzt – da die kleine Nyota vierundzwanzig und eine frischgebackene Fachanwältin für Insolvenzrecht war und sich noch dazu als juristisches Ausnahmetalent erwiesen hatte, dessen Stundenlohn höher war, als meine grauenhaft teure Autoversicherung kostete – wussten wir es besser. Zu allem Überfluss folgte ich ihr auf Instagram, wo ich hatte zur Kenntnis nehmen müssen, dass sie mehr als ihr Körpergewicht stemmen konnte, absolut umwerfend in einem Monokini aussah und regelmäßig Focaccia mit Zwiebeln und Rosmarin selbst backte.

In einer beeindruckenden Machtdemonstration, deren Brillanz mich nachts wach hielt, hatte Nyota sich nie die Mühe gemacht, mir auch zu folgen.

»Du kennst uns doch«, sagte ich und entschied mich für Ehrlichkeit statt Stolz. Tisha und ich kauerten dicht zusammengedrängt in unserem winzigen Büro bei Kline und beim Face-Timen mit einer Frau, die wahrscheinlich nicht mal unsere Nummern gespeichert hatte. Unsere Würde zu bewahren, konnten wir eh vergessen. »Wir halten uns gerade so über Wasser.«

»Kannst du bitte einfach die Frage beantworten?«, brauste Tisha auf. So erniedrigend das für mich auch sein mochte, für Tisha musste es noch viel schlimmer sein. Immerhin war Nyota ihre Schwester.

»Echt jetzt? Ihr ruft mich bei der Arbeit an, um zu fragen, was eine Forderungsabtretung ist? Hättet ihr das nicht einfach googeln können?«

»Haben wir«, erklärte ich, behielt aber lieber für mich, dass wir bei der Suchanfrage für Dummies hinzugefügt hatten. Aber trotzdem … »Wir glauben, das Wichtigste haben wir verstanden.«

»Großartig, dann seid ihr ja bestens vorbereitet. Ich lege jetzt auf, wir sehen uns zu Thanksgiving …« Es war Ende Mai.

»Allerdings«, unterbrach ich sie, »lassen die Reaktionen einiger Kline-Kollegen darauf schließen, dass wir noch nicht ganz erfasst haben, was es mit dieser Forderungsabtretung auf sich hat.« Meine Toleranzgrenze für seltsames Benehmen war hoch, und ich hatte es noch als bedeutungslos abtun können, dass unser HR-Vertreter ungeniert an seinem Stehpult auf monster.com herumgesurft war, ein paar Chemiker mit mir zusammengeprallt und einfach weitergelaufen waren, ohne auch nur »Ups« zu sagen, und Matt, unser normalerweise diktatorischer Chef, reglos ins Leere gestarrt hatte, als ich ihm mitteilte, dass ich mindestens drei Stunden länger für den Bericht brauchen würde, den er dringend erwartete. Doch dann, als ich gerade meine Wasserflasche über einer Topfpflanze leerte, die schon länger in unserem Pausenraum lebte, als ich zur Arbeiterschaft gehörte, war ein Techniker in Tränen ausgebrochen und hatte mich regelrecht angefleht: Sie sollten Christofarn mit nach Hause nehmen, Dr. Siebert. Er sollte nicht sterben, bloß weil Kline keine Zukunft mehr hat.

Ich hatte absolut keinen Plan, was hier abging. Ich wusste nur, dass ich meinen Job bei Kline liebte, sich das wichtigste Projekt meines Lebens in einer entscheidenden Phase befand und ich sozial deutlich zu inkompetent war, um einfach so eine neue Stelle zu finden. Insofern verhießen die heutigen Ereignisse nichts Gutes. »In fünfzehn Minuten findet eine Versammlung statt«, erklärte ich, »und wir hätten gern eine bessere Vorstellung davon, was uns …«

»Ny, hör auf rumzuzicken, und erklär es uns, als wären wir fünf«, befahl Tisha.

»Leute, ihr seid promoviert«, merkte Nyota an – was kein Kompliment war.

»Okay, jetzt hör mir mal genau zu, Ny, denn das wird dich vom Hocker hauen und wir müssen es womöglich der UNO melden und den Fall vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bringen: Die Themen Private-Equity-Unternehmen und Forderungsabtretungen wurden in keinem einzigen Kurs unseres Studium der Chemischen Verfahrenstechnik behandelt. Ein schockierendes Versäumnis, ich weiß, und ich bin sicher, die NATO wird militärisch dagegen …«

»Halt die Klappe, Tish. Du kannst mir nicht so dreist kommen, wenn du was von mir willst. Rue, wie hast du von der Forderungsabtretung erfahren?«

»Florence hat eine Rundmail geschickt«, antwortete ich. »Heute Morgen.«

»Florence ist die Geschäftsführerin von Kline?«

»Ja.« Das fühlte sich irgendwie nach einer reduzierten Darstellung an, also fügte ich hinzu: »Und die Gründerin.« Damit wurde ich ihr immer noch nicht gerecht, aber jetzt war wohl kaum der richtige Zeitpunkt, um zu fangirlen.

»Stand dort irgendetwas darüber, welcher private Investor euer Darlehen übernommen hat?«

Ich überflog die Mail noch einmal. »Die Harkness Group.«

»Hmm. Kommt mir bekannt vor.« Nyota tippte wortlos auf ihrem Laptop, die New Yorker Skyline im Hintergrund. Ihr Büro befand sich in einem Wolkenkratzer – Tausende Meilen und ein ganzes Universum von North Austin entfernt. Wie Tisha und ich hatte sie es kaum erwarten können, aus Texas wegzukommen. Im Gegensatz zu uns war sie jedoch nie dorthin zurückgezogen. »Ach ja, diese Typen«, sagte sie schließlich und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm.

»Kennst du sie?«, fragte Tisha. »Sind sie etwa berühmt?«

»Die Harkness Group ist ein Private-Equity-Unternehmen, keine K-Pop-Band. Aber in Tech-Kreisen bestens bekannt.« Sie biss sich auf die Lippe. Plötzlich war ihr Gesichtsausdruck alles andere als beruhigend, und ich fühlte, wie Tisha sich neben mir anspannte.

»Das ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert«, sagte ich. Ich würde nicht in Panik verfallen. Ich hatte vor einem Jahr meinen Abschluss an der UT Austin gemacht, aber ich hatte schon vor meinem Ph.D. für Florence Kline gearbeitet. »Es gibt ständig irgendwelche Aufregungen im Management und Probleme mit Investoren. Das legt sich mit der Zeit wieder.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob es diesmal auch so laufen wird.« Nyota runzelte die Stirn. »Hört zu, Harkness ist ein Private-Equity-Unternehmen.«

»Ich weiß immer noch nicht, was das bedeutet«, erwiderte Tisha ungehalten.

»Wie ich euch gerade erklären wollte, sind Private-Equity-Unternehmen … Gruppen von Leuten mit sehr, sehr viel Geld und Freizeit. Und statt sich wie der alte McDuck in ihrem hart erarbeiteten Geld zu suhlen oder es wie ihr auf Sparkonten versauern zu lassen …«

»Ganz schön kühn von dir anzunehmen, ich hätte Ersparnisse …«, murmelte Tisha.

»… benutzen sie es, um andere Firmen aufzukaufen.«

»Und sie haben Kline gekauft?«, fragte ich.

»Nein. Kline ist nie an die Börse gegangen – man kann keine Aktien von Kline kaufen. Aber als die Firma gegründet wurde, brauchte sie Geld, um … Ravioli herzustellen? Das macht ihr doch, oder?«

»Nanotechnologie für Lebensmittel.«

»Dann halt das. Tun wir mal so, als würde das irgendwas bedeuten. Jedenfalls hat Florence einen großen Kredit aufgenommen, als sie Kline gegründet hat. Aber wer auch immer ihr diesen Kredit gegeben hat, hat jetzt beschlossen, ihn an Harkness weiterzuverkaufen.«

»Und das bedeutet, dass Kline das Geld jetzt Harkness schuldet?«

»Korrekt. Siehst du, Rue, ich wusste doch, dass du nicht völlig nutzlos bist. Meine Schwester hingegen …« Nyota verstummte und starrte stirnrunzelnd auf ihren Computer.

»Was?«, fragte Tisha alarmiert. Es sah Nyota nicht ähnlich, sich mitten in einer Beleidigung zu unterbrechen. »Was ist los?«

»Nichts. Ich lese nur was über die Harkness Group. Sie sind sehr renommiert. Auf mittelständische Tech-Startups spezialisiert. Ich glaube, für sie arbeiten auch ein paar Wissenschaftler. Sie kaufen vielversprechende Unternehmen, stellen ihnen Kapital zur Verfügung, damit sie expandieren können, und verkaufen sie dann mit Profit weiter. Einen Kredit zu übernehmen passt nicht zu ihrem üblichen Modus Operandi.«

Tisha umklammerte meinen Oberschenkel, und ich legte meine Hand auf ihre. Physischer Trost gehörte normalerweise nicht zu meinem Verhaltensrepertoire, aber für Tisha konnte ich eine Ausnahme machen. »Also muss Florence nur den Kredit bei Harkness bezahlen, und dann ist Harkness weg vom Fenster?«, fragte ich. Klang doch ganz einfach. Kein Anlass, sich bei monster.com anzumelden.

»Äh … in der Regenbogenwelt, in der du lebst, vielleicht. Viel Spaß beim Herumtollen mit den Einhörnern, Rue. So viel Geld hat Florence ganz bestimmt nicht.«

Tisha umfasste meinen Oberschenkel noch fester. »Ny, was heißt das konkret? Werden sie die Kontrolle über die Firma übernehmen?«

»Vielleicht. Kommt auf den Darlehensvertrag an.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das würde Florence nie zulassen.«

»Florence hat womöglich keine andere Wahl.« Plötzlich wurde Nyotas Stimme sanfter, und das ließ mehr als alles andere die nackte Angst in mir aufsteigen. »Je nach den Vertragsbedingungen könnte Harkness einen neuen CTO ernennen und maßgeblich in euer Tagesgeschäft eingreifen.«

Sie zu fragen, was ein CTO war, würde sie vermutlich auch nicht dazu verleiten, mir auf Insta zu folgen, also sagte ich nur: »Okay? Also was ist dein Fazit?«

»Die Harkness Group könnte sich als unproblematisch erweisen. Oder sie könnte dafür sorgen, dass ihr euch neue Jobs suchen müsst. Lässt sich im Moment unmöglich vorhersagen.«

»Fuck«, murmelte Tisha leise. Florence, dachte ich, und plötzlich war mein Mund staubtrocken. Wo ist Florence jetzt gerade? Wie geht es Florence jetzt gerade? »Danke, Nyota«, sagte ich. »Das war sehr hilfreich.«

»Ruft mich nach der Versammlung an – dann wissen wir mehr.« Dieses Wir war sehr nett von ihr. »Aber es kann nicht schaden, euren Lebenslauf schon mal auf Vordermann zu bringen. Nur für alle Fälle. Austin ist ein hervorragender Standort für Tech-Startups. Seht euch online um, fragt eure Nerd-Freunde, ob sie Tipps haben. Habt ihr irgendwelche Freunde außer einander?«

»Ich habe Bruce.«

»Bruce ist eine Katze, Tish.«

»Na und?«

Die beiden fingen an zu zanken, und ich blendete sie aus und versuchte die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, dass Tisha und ich eine andere Stelle in derselben Firma bekommen würden. Einen gut bezahlten Job, bei dem wir genauso viel wissenschaftliche Freiheit hätten wie jetzt. Florence hatte mir sogar erlaubt …

Ein grauenhafter Gedanke schoss mir in den Kopf. »Was ist mit unseren Projekten? Unseren Patenten?«

»Hmm?« Nyota sah mich fragend an. »Patente? Wofür?«

»In meinem Fall ein Bionanokomposit, das …«

»Verkneif dir den TED-Talk.«

»Etwas, wodurch Obst und Gemüse länger frisch bleiben.«

»Ah, verstehe.« Sie nickte, ihr Blick plötzlich mitfühlender, und ich fragte mich, was sie wusste. Tisha hätte ihr nie von meiner Vergangenheit erzählt, aber Nyota hatte eine gute Auffassungsgabe und könnte es durchaus selbst mitbekommen haben. Immerhin hatte ich jahrelang jede freie Minute bei ihnen verbracht, nur um nicht nach Hause zu müssen. »Es ist dein Projekt? Dein Patent? Und du hast eine Vereinbarung, die dir die Eigentümerschaft dieser Technologie zusichert?«

»Ja. Aber wenn Kline verkauft wird …«

»Solange du diese Vereinbarung schriftlich hast, ist alles okay.«

Ich erinnerte mich an eine Mail von Florence. Lange Wörter, kleine Schrift, elektronische Signatur. Erleichterung durchflutete mich. Danke, Florence.

»Versucht, euch keine allzu großen Sorgen zu machen, ja? Geht zu der Versammlung, für die ihr wahrscheinlich schon ein bisschen spät dran seid. Findet so viel wie möglich heraus und erstattet mir Bericht. Und aktualisiert eure verdammten Lebensläufe. Seit deinem Studium hast du andere Sachen gemacht, als in einem Tierpflegesalon zu arbeiten, Tish.«

»Halt dich von meinem LinkedIn fern«, murrte Tisha, doch der Screen, dem sie den Stinkefinger zeigte, war bereits schwarz. Also ließ sie sich auf ihrem Stuhl zurücksinken und murmelte erneut: »Fuck.«

»Keine von uns hat die nötige emotionale Konstitution für einen unsicheren Arbeitsplatz.«

»Nope.«

»Ich meine, wir werden schon klarkommen. Immerhin arbeiten wir in der Tech-Branche. Es ist nur …«

Ich nickte erneut. Wir waren glücklich bei Kline. Wir beide zusammen. Mit Florence.

Florence. »Florence hat mir gestern Abend geschrieben«, erzählte ich Tish. »Gefragt, ob ich bei ihr vorbeikommen wolle.«

Sie drehte sich zu mir um. »Hat sie gesagt, warum?«

Ich schüttelte den Kopf, teils verlegen, teils schuldbewusst. Was bist du doch für eine tolle Freundin, Rue. »Ich hab ihr gesagt, ich hätte schon was vor.«

»Was hattest du … ach ja. Dein vierteljährlicher Sex-Treff. Rue After Dark. O mein Gott, wie kann es sein, dass wir noch gar nicht über den Typen geredet haben?«

»Welchen Typen?«

»Echt jetzt? Du schickst mir ein Bild vom Führerschein eines Mannes und fragst dann: welcher Typ? Guter Versuch.«

»War ein Versuch.« Ich stand auf und versuchte, nicht an seine ausdrucksstarken blauen Augen zu denken. An sein Profil, das auch von einer griechischen Urne hätte stammen können und mir keine andere Wahl gelassen hatte, als ihn anzustarren. Die kurzen braunen Locken, genau richtig zerzaust. Er hatte starr nach vorn geblickt, als er mich nach Hause fuhr, als halte er sich davon ab, mich anzusehen.

»Hast du von ihm gehört? Vorausgesetzt, du hast das Unvorstellbare getan und« – sie schnappte nach Luft und drückte die Hand auf die Brust – »ihm deine Nummer gegeben.«

»Ich hab nicht nachgesehen.« Mein Handy lag am Grunde meines Rucksacks, tief unter einem Hoodie, meiner Wasserflasche und einem Stapel Bücher vergraben, deren Ausleihfrist in zwei Tagen ablief. Und dort würde es bleiben, zumindest bis ich aufhörte, mich alle zehn Minuten zu fragen, ob er mir geschrieben hatte.

Ich zwang mich gern, eine gewisse emotionale Distanz zu wahren, wenn es um Männer ging.

»Ich hätte bei Florence vorbeischauen sollen.« Reue gärte in meiner Magengrube.

»Ach was. Wenn ich für dich zwischen Sex oder einer Vorwarnung vor diesem Schlamassel wählen müsste, würde ich dir die Orgasmen aussuchen. Ich bin nämlich sehr großzügig.« Tisha senkte die Stimme, während wir Seite an Seite durch die meerblauen, ultramodernen Flure bei Kline schlenderten, in denen es von Mitarbeitern wimmelte, die zu dem Gemeinschaftsraum im ersten Stock strömten. Alle lächelten Tisha an – und nickten mir zu, höflich, aber deutlich grimmiger.

Kline hatte als kleines Tech-Startup angefangen, sich aber in rasantem Tempo zu einem Unternehmen mit Hunderten Mitarbeitern entwickelt, und ich hatte seit Langem den Überblick über die Scharen neuer Angestellten verloren. Zudem machte mich die einzelgängerische Natur meines Projekts zu einer Unbekannten. Die große, ernste, distanzierte Frau, die immer mit der witzigen, sympathischen anderen großen Frau abhing, die alle liebten. Wie schon in der Grundschule lagen auch bei Kline Welten zwischen Tishas und meiner Beliebtheit. Zum Glück hatte ich gelernt, mir das nicht zu Herzen zu nehmen.

»Leider«, murmelte ich, »hatte ich keinen Orgasmus.«

»Was? Er sah so gar nicht danach aus, als könne der Sex mit ihm mies sein.«

»Dazu kann ich leider nichts sagen.«

Sie runzelte die Stirn. »Hast du dich nicht deshalb mit ihm getroffen?«

»Ursprünglich, ja.«

»Und?«

»Vincent ist aufgetaucht.«

»O Mann, dieser Arsch. Wie hat er … Ich will es gar nicht wissen. Dann nächstes Mal?«

Da Wiederholungen für dich nicht drin sind, hatte er gesagt, und sein wehmütiger Ton ließ Hitze in mir aufwallen.

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß und verspürte selbst eine gewisse Wehmut, als Tisha und ich uns auf die Couch im hinteren Teil des Raums setzten. »Ich fürchte, dass …«

»Hier wird es nie öde«, erklang eine melodiöse Stimme, und das Polster zu meiner Linken sank ein. Jay war unser liebster Labortechniker. Oder genauer gesagt, war er Tishas Liebling, und sie hatte sich im Nu mit ihm angefreundet. Indem ich mich immer in ihrer Nähe herumtrieb, war ich in die Freundschaft mitaufgenommen worden – die ungekürzte Geschichte meines Soziallebens. »Ich schwöre bei Gott«, sagte er, »wenn sie uns alle feuern sollten, ich mein Visum verliere und zurück nach Portugal muss und dann Sana mit mir Schluss macht …«

»Ich liebe deinen Optimismus, Babe.« Auf meiner anderen Seite beugte Tisha sich grinsend vor. »Wir haben diesen ganzen Mist übrigens recherchiert. Wir können dir genau sagen, was eine Forderungsabtretung ist.«

Jay zog die Augenbrauen hoch, und seine Piercings funkelten im Licht. »Das wusstet ihr vorher nicht?«

Tisha ließ sich beschämt zurücksinken, um sich hinter mir zu verstecken. »Ist schon gut.« Ich tätschelte zum Trost ihr Knie. »Wenigstens haben wir nie vorgegeben, etwas anderes zu sein, als wir sind.«

»Vollidioten?«

»Offensichtlich.«

In der Menge erschien ein Wasserfall roter Locken, worauf sich der Knoten der Panik in meiner Brust sofort löste. Florence. Die brillante, einfallsreiche Florence. Sie war Kline. Sie hatte mit Zähnen und Klauen für diesen Laden gekämpft und würde nicht zulassen, dass ihn ihr irgendjemand wegnahm. Schon gar nicht irgend so ein …

»Wer sind die?«, flüsterte Tisha in der plötzlich eintretenden Stille. Ihr Blick war zu den vier Gestalten hinübergeschweift, die neben Florence standen.

»Leute von Harkness?«, vermutete Jay.

Ich hatte gegelte Haare, Anzüge und dieses einzigartig abstoßende Finanzfuzziflair erwartet. Doch die Harkness-Leute sahen aus, als könnten sie in einer anderen Timeline ebenso gut zu Kline gehören. Möglicherweise war es für sie nur eine verquere Form der Machtdemonstration, sich lässig anzuziehen, aber sie wirkten so … normal. Aufgeschlossen. Die langhaarige Frau schien sich in ihrer Jeans wohlzufühlen und offensichtlich zufrieden mit dem Lauf der Dinge zu sein, genau wie der breitschultrige Mann, der eine Spur zu nahe bei ihr stand. Der Hüne mit dem gepflegten Bart sah sich ein bisschen missmutig um, aber ausgerechnet ich konnte ihm das kaum vorwerfen. Wie oft hatte ich mir schon anhören müssen, dass ich alles andere als flauschige Herzlichkeit ausstrahlte. Und der vierte Mann, der sich ohne Eile und mit einem selbstbewussten Lächeln als Letzter dazugesellt hatte, kam mir irgendwie …

Mir gefror das Blut in den Adern.

»Ich hasse sie jetzt schon«, murmelte Jay, und Tisha lachte.

»Du hasst jeden.«

»Tue ich nicht.«

»Doch, tust du. Stimmt doch, oder, Rue?«

Ich nickte gedankenverloren. Mein Blick hing an dem vierten Mann fest wie ein Vogel in einer Öllache. Mir schwirrte der Kopf, und ich bekam keine Luft mehr, denn im Gegensatz zu den anderen war mir sein Gesicht vertraut.

Im Gegensatz zu den anderen wusste ich genau, wer er war.

2

Liebend gern bereit, ihr zuzuhören

Gestern Abend

ELI

Sie war noch schöner als auf ihrem Foto.

Und schon darauf hatte sie verdammt phantastisch ausgesehen, wie sie vor dem schmerzhaft vertrauten Schild der UT Austin stand. Kein Selfie – ein gewöhnliches Foto, zurechtgestutzt, so dass ihr Begleiter abgeschnitten war. Übrig geblieben war nur ein schlanker, dunkelhäutiger Arm, den er ihr lässig um die Schultern geschlungen hatte.

Und natürlich sie. Lächelnd, aber nur ganz leicht. Präsent, aber unerreichbar.

Wunderschön.

Nicht, dass es eine Rolle spielen würde. Eli war schon mit genügend Leuten im Bett gewesen, um zu wissen, dass die Qualität von Gelegenheitssex weniger vom Aussehen einer Person abhing als davon, was diese Person wollte. Und dennoch blieb er wie angewurzelt stehen, als er die Hotellobby betrat und sie mit geradem Rücken an der Bar sitzen sah. Er zögerte, obwohl sein Meeting mit Hark und den anderen länger gedauert hatte als geplant und er schon ein paar Minuten zu spät dran war, weil er danach noch zu Hause bei Tiny vorbeigeschaut hatte.

Sie trank Sanpellegrino – eine Erleichterung, da ihm alles andere angesichts ihrer Pläne für diesen Abend zu denken gegeben hätte. Ihre Jeans und ihr Pulli waren schlicht, ihre Haltung indes war atemberaubend. Lässig und majestätisch zugleich. Aufrecht, aber nicht angespannt. Sie wirkte nicht nervös, und ihre lockere Ausstrahlung legte nahe, dass sie so etwas oft genug machte, um genau zu wissen, was sie erwartete.

Eli erinnerte sich an ihre sachdienlichen Fragen und unumwundenen Antworten. Sie hatte ihn gestern angeschrieben, und als er gefragt hatte: Wo wollen wir uns treffen?, lautete ihre Antwort:

Nicht bei mir zu Hause.

Bei mir geht es auch nicht. Ich kann ein Hotelzimmer buchen und die Kosten übernehmen.

Können wir uns teilen.

Nicht nötig.

Okay. Nur zur Info, ich teile meinen Standort mit einer Freundin, die meine Login-Daten für die App hat.

Ja, bitte. Willst du meine Nummer haben?

Wir können uns weiter hier schreiben.

Klingt gut.

Womit auch immer sie sich am sichersten fühlte. Dating-Apps konnten gefährlich sein. Wobei die App, die sie benutzten, eigentlich keine Dating-App war, zumindest nicht im eigentlichen Sinne.

Eli sah noch einmal zu der Frau, und eine Aufregung, wie er sie schon lange nicht mehr gespürt hatte, überkam ihn. Gut, sagte er sich. Das wird gut. Er ging weiter, blieb jedoch einige Schritte von ihr entfernt stehen.

Weil ein anderer Mann auf sie zutrat.

Irgendein armes Arschloch, das sie anbaggern will, dachte Eli im ersten Moment, doch es wurde schnell klar, dass sie ihn kannte. Ihre Augen wurden groß, dann verengten sie sich. Ihr Rückgrat versteifte sich. Sie wich zurück, ging auf Distanz.

Ein Ex, dachte Eli, als der Mann eindringlich auf sie einzureden begann. Eine gedämpfte Unterhaltung begann, und auch wenn die Aufzugmusik zu laut war, als dass Eli sie hätte verstehen können, war die Anspannung in ihren Schultern kein gutes Zeichen. Sie schüttelte den Kopf und fuhr sich durch ihre dunklen, glänzenden Locken, wobei er einen Blick auf ihren Hals erhaschte: steif. Und er wurde umso steifer, je heftiger der Mann auf sie einredete. Näher kam. Wilder gestikulierte.

Dann schloss sich seine Hand um ihren Arm, und Eli ging dazwischen.

In Sekundenschnelle war er an der Bar, wo die Frau bereits versuchte, sich zu befreien. Er stellte sich hinter ihren Hocker und befahl: »Lass sie los.«

Der Mann blickte mit glasigen Augen zu ihm auf. Vielleicht war er betrunken. »Das geht dich nichts an, Alter.«

Eli machte einen Schritt auf ihn zu, wobei sein Bizeps den Rücken der Frau streifte. »Lass – sie – los.«

Jetzt sah der Mann richtig hin. Einen kurzen Moment kam er zur Vernunft, erkannte, dass er gegen Eli keine Chance hatte. Widerwillig ließ er die Frau los und hob beschwichtigend die Hände, wobei er ihr Glas umstieß. »Das ist ein Missverständnis.«

»Ach ja?« Eli sah zu der Frau, die ihr Handy vor der sich rasch ausbreitenden Wasserpfütze rettete. Ihr Schweigen war Antwort genug. »Nein, offenbar nicht. Verschwinde«, befahl er, freundlich und bedrohlich zugleich. Elis gesamte Karriere beruhte auf seiner Fähigkeit, die richtigen Argumente zu finden, um Leute zu motivieren, ihren Job zu machen, und seiner Expertenmeinung nach musste man diesem Drecksack ein bisschen Angst machen.

Es funktionierte: Der Drecksack warf ihm einen bösen Blick zu, sein Kiefer mahlte, und er sah sich um, als suche er nach Zeugen, die ihm helfen würden, diese himmelschreiende Ungerechtigkeit anzuprangern. Als niemand vortrat, stapfte er wütend davon, und Eli wandte sich der Frau zu.

Ein Stromstoß durchzuckte ihn. Ihre Augen waren groß und klar, ein dunkles Blau, das er so noch nie gesehen hatte. Eli starrte sie an und vergaß für einen Moment, was er hatte fragen wollen.

Ach ja. Es war etwas Hochkomplexes wie: »Alles okay?«

Statt zu antworten, fragte sie: »Machst du solchen heldenhaften Scheiß öfter, um zu kompensieren, was auch immer dein Problem sein mag?« Ihre Stimme war zahm, aber ihre Augen loderten. Eli fiel auf, dass ihre Oberlippe etwas voller war als die Unterlippe. Beide waren dunkelrosa. »Denn dann könntest du vielleicht einfach einen Panzer kaufen.«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Und du könntest dir bessere Männer suchen, mit denen du deine Zeit verbringst.«

»Ja, offensichtlich, da ich hier bin, um mir die Zeit mit dir zu vertreiben.«

Ah. Dann hatte sie ihn also erkannt. Und sie war kein Fan.

Eli konnte es ihr nicht verübeln, dass sie ihn für einen impulsiven, hitzköpfigen Arsch hielt, aber er wollte auf keinen Fall, dass sie sich seinetwegen unwohl fühlte. Offenbar wollte sie ihn nicht um sich haben, was ihn auf merkwürdige Weise enttäuschte. Das Gefühl des Bedauerns nahm zu, als er noch einen letzten Blick auf ihre Lippen warf, doch er schüttelte es ab.

Schade, aber er würde darüber hinwegkommen. Er nickte ihr zum Abschied zu, drehte sich um und …

Eine Hand schloss sich um sein Handgelenk.

Er sah über die Schulter zu ihr.

»Tut mir leid.« Sie kniff die Augen zu. Dann holte sie tief Luft, und auf ihrem Gesicht zeigte sich ein ganz leichtes Lächeln, was sein Interesse wieder aufflammen ließ.

Eli hatte keine Ahnung von Ästhetik. Er wusste nicht, ob diese Frau nach objektiven, wissenschaftlich belegbaren Kriterien schön war oder ob ihr Gesicht einfach nur für ihn absolut perfekt war. So oder so, das Ergebnis war dasselbe.

Es machte ihn verdammt heiß.

»Eli, richtig?«, fragte sie.

Er nickte. Wandte sich ihr zu.

»Tut mir echt leid. Ich war noch im Fight-or-flight-Modus. Normalerweise bin ich nicht so defensiv, wenn …« Sie gestikulierte vage. Ihre Fingernägel waren rot lackiert. Ihre Hände waren anmutig, aber sie zitterten leicht. »… mir jemand hilft. Danke.« Sie ließ den Arm auf ihren Schoß sinken, und er beobachtete jeden Zentimeter dieser Reise fasziniert.

»Du hast mir deinen Namen noch nicht verraten«, sagte er statt Gern geschehen. In der App hatte sie nur eine Initiale angegeben: R.

»Nein, habe ich nicht.« Sie ging nicht weiter darauf ein, und ihr kompromissloser Ton jagte ihm einen Schauer der Erregung über den Rücken.

Rachel? Rose? Ruby sah zur Tür, wo der Mann immer noch herumlungerte und ihnen giftige Blicke zuwarf. Als sie schwer schluckte, bot Eli an: »Ich könnte ihn verscheuchen.« Die Zeiten, in denen er sich regelmäßig geprügelt hatte, waren vorbei – seit der Highschool, als sein Leben in erster Linie aus Eishockeytraining, Nachsitzen und sehr viel Wut bestanden hatte. Doch er wusste nach wie vor, wie man mit Arschlöchern verfahren musste.

»Schon okay.« Sie schüttelte den Kopf.

»Oder ich könnte die Polizei rufen.«

Noch ein Kopfschütteln. Dann, nach kurzem Zögern, fügte sie hinzu: »Aber vielleicht könntest du …«

»Ich bleibe hier«, versprach er, und sie entspannte sich vor Erleichterung. So wie der Drecksack sich benahm, hatte Eli ohnehin vorgehabt, ein Auge auf sie zu haben – was wahrscheinlich auch ziemlich creepy war, aber hier war er nun und machte es sich zur Aufgabe, über diese Frau zu wachen, deren Namen er nicht einmal kannte. Er lehnte sich an die Theke und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine große Gruppe kam an die Bar und setzte sich neben sie, so dass er näher an sie heranrücken musste.

R.

Rebecca.

Rowan.

»Ich weiß, wir wollten eigentlich …« Sie gestikulierte nach oben, und bei der Bewegung ihres Zeigefingers blitzten eine Million Dinge vor seinem geistigen Auge auf.

Der pragmatische Ton ihrer ersten Nachricht an ihn: Bist du noch in Austin? Wollen wir uns treffen?

Das Nur unverbindlich – keine Beziehungen oder Wiederholungs-Dates auf ihrem Profil.

Ihre Antwort auf die Frage nach Kinks im Fragebogen.

Die Liste der Dinge, auf die sie keine Lust hatte. Auf die sie Lust hatte.

Er bezweifelte, dass heute Abend irgendetwas zwischen ihnen laufen würde, aber ihm war klar, dass ihm Letzteres noch eine Weile durch den Kopf gehen würde. Eine ganze Weile vermutlich.

»Das will ich jetzt nicht mehr«, fuhr sie mit fester Stimme fort. Es gefiel ihm, dass sie nicht kann nicht sagte, sondern will nicht. Dass sie sich nicht dafür entschuldigte. Ihr ernster, ruhiger Gesichtsausdruck.

»Du meinst, du willst nicht hochgehen und einen Mann ficken, den du überhaupt nicht kennst, nachdem dich ein Mann, den du kennst, belästigt hat?« Er machte ein gespielt überraschtes Gesicht, und sie nickte nachdenklich.

»Das ist eine gute Zusammenfassung. Ich wette, es ist zu spät, um eine Rückerstattung für das Hotelzimmer zu bekommen, also wenn du jemand anders einladen willst, nur zu.«

Er musste lächeln. »Ich werde es überleben«, sagte er trocken.

»Wie du willst«, meinte sie gleichgültig. Offensichtlich kümmerte es sie nicht im Geringsten, ob er sein Handy herausholen und sich mit unzähligen Leuten zum Sex verabreden oder ihr seine ewige Treue schwören würde, und Eli verkniff sich ein Grinsen. Sie musterte ihn neugierig. »Machst du das oft?«

»Mache ich was oft? Ficken?«

»Jungfrauen in Nöten retten.«

»Nein.«

»Weil dir nicht viele begegnen oder weil du sie in Nöten lässt?« Ihre Stimme war leise, und aus dem Mund vieler anderer hätten ihre Worte wie ein Flirtversuch geklungen. Nicht jedoch aus ihrem. »Wie auch immer, ich fühle mich geschmeichelt.«

»Das solltest du auch.« Er sah zu dem Mann, der sie immer noch böse anstarrte. »Wohnst du allein?«

Sie zog die Augenbrauen hoch, und er bemerkte, dass die rechte von einer kleinen Narbe durchzogen war. Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Theke, um sich davon abzuhalten, sie nachzuzeichnen. »Versuchst du rauszufinden, ob ich Single bin?«

»Ich versuche rauszufinden, wie wahrscheinlich es ist, dass dir der Mistkerl vor deiner Wohnung auflauert, wer dir helfen könnte, wenn er es tut, und ob dich dein Haustier beschützen könnte.«

»Ah.« Sie wirkte nicht verlegen, weil sie ihn falsch verstanden hatte. Faszinierend. »Ja, ich wohne allein. Und er sollte eigentlich nicht wissen, wo.«

»Eigentlich?«

»Ich bin mir nicht sicher, wie er mich hier gefunden hat. Ich kann es mir nur so erklären, dass er rausgekriegt hat wo ich wohne, der Portier ihn nicht reingelassen hat und er meinem Uber gefolgt ist.« Bis vor einer Minute war sie erschüttert gewesen, doch jetzt klang sie entwaffnend pragmatisch. Genau wie in ihren Textnachrichten, dachte Eli. Sie hatte ihm keine Emojis geschickt. Kein LOL oder LMAO. Korrekte Zeichensetzung und Groß- und Kleinschreibung. Er hatte angenommen, das wäre eine Handy-Marotte, aber ihr Verhalten passte genau zu ihrer Art zu schreiben.

Ernst. Undurchdringlich. Kompliziert.

Und Eli hatte es nie einfach gemocht.

»Wie kommst du nach Hause?«, fragte er.

»Mit einem Uber. Oder Lyft. Was immer schneller geht.« Sie nahm ihr Handy, doch als sie darauf tippte, leuchtete es nicht auf. Eli erinnerte sich an das verschüttete Wasser. »Tja, das ist eine unvorhergesehene Entwicklung.« Sie seufzte. »Ich rufe ein Taxi.«

Auf gar keinen Fall, sagte er fast, hielt sich jedoch gerade noch zurück. Diese Frau war nicht seine Freundin, Schwester oder Kollegin. Sie war eine Fremde, mit der er heute Nacht Sex haben und sie danach nie wiedersehen wollte. Er hatte kein Recht, ihr zu sagen, was sie tun oder lassen sollte.

Aber er könnte versuchen, sie zu überzeugen.

»Er ist immer noch da«, sagte er ruhig und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Mann, der vor der Drehtür auf und ab lief, seine Haut schweißglänzend. »Er wartet darauf, dass du die Bar verlässt.«

»Ach ja.« Sie kratzte sich am Hals. Eli starrte länger darauf, als er sollte. »Könntest du mich nach draußen begleiten?«

»Das werde ich. Aber was, wenn er weiß, wo du wohnst, und dir dort auflauert? Was, wenn er dir dorthin folgt?« Er sah zu, wie sie darüber nachgrübelte. »Hast du einen Nachbarn, dem du vertraust? Eine Freundin? Einen Bruder?«

Sie lachte auf eine schwermütige Art, die Eli nicht verstand. »Nicht wirklich.«

»Okay.« Er nickte. Die Gewissheit, was er in diesem Fall tun musste, war für ihn alles andere als ein Ärgernis. »Dann fahre ich dich nach Hause.«

Sie musterte ihn lange mit ruhigem Blick. Eli fragte sich, warum ihre großen, klaren Augen ihm geradezu einen Schlag in die Magengrube verpassten. »Du schlägst vor, dass ich ins Auto eines Mannes steige, den ich nicht kenne, um nicht von einem Mann belästigt zu werden, den ich kenne?«

Er zuckte die Achseln. »So in etwa.«

Sie biss sich auf die Lippe. Plötzlich war sich Eli eines anderen Menschen so bewusst wie schon sehr, sehr lange nicht mehr. »Danke, aber das muss ich ablehnen. Diese Situation hätte selbst für mich ein bisschen zu viel Potenzial für Ironie des Schicksals.«

»Das geht nicht als Ironie des Schicksals durch.«

»Würde es aber, wenn du dich als Serienmörder herausstellst.«

Sein Lächeln würde ihm keine Pluspunkte einbringen, doch er konnte einfach nicht anders. »Du wolltest mit mir in ein auf meinen Namen gebuchtes Hotelzimmer gehen und stundenlang mit mir allein sein.«

»Stunden?«

So heiß, wie sie ihn machte, wahrscheinlich sogar noch länger. »Stunden«, wiederholte er. Sie wandte den Blick nicht eine Sekunde von ihm ab. »Ist es nicht ein bisschen spät, dir Sorgen zu machen, dass ich dich ermorden könnte?«

»Eine Freundin wusste, wo ich sein würde und wie sie mich erreicht«, erwiderte sie. »Ein Ort, der nicht ausgemacht war, ist etwas ganz anderes.«

»Ach ja?« Er hatte kein Recht, so zufrieden mit ihrem Selbsterhaltungstrieb zu sein.

»Vincent ist ein Arsch. Aber soweit ich weiß, könntest du der Unabomber sein.«

Vincent. Sie kannte den Namen des Drecksacks – und Eli wusste ihren immer noch nicht. Verdammt ärgerlich. »Der Unabomber ist tot.«

»Genau das würde der Unabomber sagen, um mich auf eine falsche Fährte zu locken«, entgegnete sie ausdruckslos, unergründlich. Er konnte nicht erkennen, ob sie flirtete, sich über ihn lustig machte oder es todernst meinte.

Es war berauschend.

»Er hat Bomben gebaut und mathematische Theoreme hergeleitet. Er hat keine jungen Frauen entführt.«

»Für jemanden, der angeblich nicht der Unabomber ist, weißt du aber ziemlich viel über ihn.«

Eli sah zur Decke hoch, um seine Belustigung zu verbergen, und atmete langsam aus. Dann richtete er sich auf, holte seinen Geldbeutel aus seiner Hosentasche und seinen Führerschein aus seinem Geldbeutel. Ließ ihn auf den Tresen fallen, direkt neben ihre Hand.

»Was ist das?«

Er lehnte sich an die Theke, ohne zu antworten, und sie hob die Karte auf. Ihr Blick schweifte zwischen ihm und dem Bild darauf hin und her, als würde sie ein Finde-die-Unterschiede-Rätsel lösen. »Eli Killgore«, las sie vor. »Der Nachname klingt nicht gerade vertrauenerweckend, Eli.«

Ein Stirnrunzeln. »Er ist schottisch.«

»Klingt wie der Name eines Mannes, der Mädchen die Schamhaare abschneidet und sie zu Puppen näht. Du siehst jünger aus als vierunddreißig. Und bist du wirklich so groß?« Er seufzte schwer, und sie reichte ihm seinen Führerschein zurück, ohne eine Miene zu verziehen. »Wir können also festhalten, dass dein Familienname eng mit dem Begriff ›abschlachten‹ verwandt ist. Aber ich weiß immer noch nicht, ob das ein gefälschter Ausweis ist, mit dem du Frauen in deine mit Motten dekorierte Höhle lockst.«

»Ich wette, du hältst dich für urkomisch.«

»Nein, ich weiß, dass ich es nicht bin. Ich wurde ohne Sinn für Humor geboren.«

Er schnaubte. Sie erlaubte sich einen Spaß mit ihm, ganz bestimmt. Und Eli war offenbar allzu gern bereit, sie damit weitermachen zu lassen, denn er schob ihr seinen gesamten Geldbeutel hin. »Nur zu.« Gespannt sah er zu, wie sie ihn mit ihren langen Fingern öffnete, und fragte sich, warum ihre eleganten Bewegungen einen bislang unbekannten Fetisch in seinem Hirn freizuschalten schienen. Sie hielt ihn sich an die Nase, um an dem Leder zu riechen (ein merkwürdiger, unerklärlich reizvoller Schachzug), nahm eine beliebige Karte heraus und dann noch eine.

»Eli Massenmörder«, sagte sie.

»Nicht mein Name.«

»Du hast einen Bibliotheksausweis.« Sie klang verwundert, und er schnalzte mit der Zunge.

»Ich versuche, dir aus einer schwierigen Situation herauszuhelfen, und du dankst es mir mit Erstaunen darüber, dass ich lesen kann.«

Sie lächelte – eine kleine, geheimnisvolle Geste, die ihm nicht durch und durch gehen sollte. »Ich dachte, du hättest eher eine Mitgliedskarte fürs Fitnessstudio.«

»Überhaupt nicht herablassend.« Er versuchte, nicht zu grinsen, und scheiterte kläglich. Aber das war okay, denn sie durchstöberte weiter systematisch sein Leben via seinen Geldbeutel, hielt zwischendurch inne, um sich die interessanteren Dinge anzusehen, und brummte hin und wieder nachdenklich. Eli fühlte es wie etwas Körperliches, ein Trommelschlagen, das ihm durch Mark und Bein ging. Als würde sie mit ihren schlanken Fingern Schicht für Schicht seines Selbst freilegen, langsam, unaufhaltsam.

»Nun, du hast eine Krankenversicherung, die hoffentlich die Kosten für die dringend nötige Mordpräventionstherapie deckt«, sagte sie lässig, dann klappte sie sein Portemonnaie zu und reichte es ihm mit einem feierlichen Nicken zurück. Sie warf noch einen Blick zur Tür, wo Vincent nervös eine Zigarette rauchte. Noch immer auf der Lauer lag.

»Ein sehr konsistenter Geldbeutel. Trotz der Tatsache, dass dein Name buchstäblich Gemetzel lautet.«

»Nicht buchstäblich. Und auch nicht im übertragenen Sinne.«

»Wie auch immer.« Auf ihren Lippen zeigte sich der Hauch eines Lächelns. Eli spürte es tief im Innern. »Mr. Killgore, Sie dürfen mich nach Hause fahren.«

3

Es hätte Spaß gemacht

ELI

Sein Herz setzte einen Schlag aus, dann pochte es noch heftiger. Ihm war seltsamerweise, närrischerweise danach, eine Siegerrunde um die Bar zu drehen. Er widerstand dem Drang und sagte so gelassen wie möglich: »Welch eine Ehre.«

»Nichts zu danken.« Noch ein ernstes Nicken. Diese Frau hatte etwas erstaunlich Unangestrengtes an sich. Als hätte sie keinerlei Interesse, irgendetwas anderes zu sein als sie selbst.

»Dürfte ich jetzt deinen Namen erfahren?«

»Nein.«

»Hätte ich mir denken können.« Eli seufzte und reichte ihr sein entsperrtes Handy. »Mach ein Foto von meinem Führerschein, schick es einer Freundin, und dann lass uns gehen. Und teil auch meinen Standort.«

»Ist das ein Befehl?«

Ja, noch dazu ein unangebrachter, aber das schien sie nicht zu stören. Wer immer ihre Freundin war, die beiden standen sich nahe genug, dass sie ihre Nummer auswendig konnte. Sie schickte ein Bild von seinem Führerschein, tippte eine kurze Erklärung, die Eli nicht zu lesen versuchte, sosehr er es auch wollte, und gab ihm sein Handy zurück. Dann hüpfte sie anmutig von ihrem Barhocker.

Fuck, sie war groß. Selbst mit flachen Schuhen waren ihre Augen fast auf einer Höhe mit seinen, und sie waren – es noch länger zu leugnen hatte keinen Sinn – einfach nur spektakulär. Er zwang sich, den Blick abzuwenden.

»Du bist nüchtern genug, um zu fahren, oder?«, fragte sie.

»Ja. Für das, was ich vorhatte, schien es angeraten, nüchtern zu bleiben.«

»Na schön.« Ihre Worte klangen irgendwie hoheitsvoll, und sein Grinsen wurde noch breiter.

»Du weißt, dass du mir keinen Gefallen tust, oder?«, fragte er, obwohl sie das sehr wohl tat. Solange sich Vincent noch in der Nähe herumtrieb, hätte er sie nicht allein nach Hause gehen lassen können, ohne noch den Rest seines Seelenfriedens zu verlieren, von dem ohnehin nicht viel übrig war.

Sie blinzelte ihn ruhig an, und einen kurzen Moment war er sicher, dass sie seine Gedanken lesen konnte. Die unangebrachten Gedanken, die er nicht beherrschen konnte. Wie ihr süßer Duft sich in seinem Gehirn festsetzte.

Nein. Das konnte sie nicht, denn sie fühlte sich in seiner Gegenwart offensichtlich recht wohl. Vertraute ihm genug, dass er in einen leichten Machtrausch verfiel. Sie war immer noch schwer zu durchschauen, aber sein Bauchgefühl sagte ihm, dass sie genauso wenig dagegen hatte wie er, noch etwas Zeit zusammen zu verbringen. »Komm. Mein Auto steht im Parkhaus.«

Sie mieden den Hauptausgang, wo Vincent wartete, und riefen den Aufzug in angenehmer Stille. Ein Mann mittleren Alters stieg mit ihnen ein, und Eli gefiel der lange, intensive Blick gar nicht, mit dem er …

Er wusste noch immer nicht ihren Namen. Was bedeutete, dass er kein Recht hatte, irgendeinen Widerling wütend anzustarren, nur weil der ihr auf die Brüste starrte. Doch er tat es trotzdem, und der Mann spürte anscheinend die Wellen der Aggression, die von ihm ausgingen, denn er senkte beschämt den Blick. Eli fühlte sich wie ein Primat, in einem lächerlichen Kampf um Dominanz gefangen, als hätten die letzten zwanzig Minuten fünfzigtausend Jahre Evolution zunichtegemacht und …

Gott, er musste … wahrscheinlich dringend flachgelegt werden. Oder schlafen. Oder Urlaub machen. Zeit – das war es, was er brauchte. Die letzten sechs Monate hatten aus nichts als Arbeit und Erschöpfung bestanden, und er hatte keine Gelegenheit gehabt, über die schönen Dinge des Lebens nachzudenken. Dann hatte sie ihm gestern auf einer App geschrieben, die er seit fast einem Jahr nicht mehr geöffnet hatte, und es hatte sich angefühlt wie ein kosmisches Geschenk.

Eine Belohnung für das, was Hark, Minami und er erreicht hatten. Ein Auftakt zu dem, was noch kommen würde. Morgen.

Wem versuchte er was vorzumachen? Er brauchte eine verdammte Pause.

»Wo wohnst du?«, fragte er und steuerte sie mit einer lässigen Handbewegung auf sein Auto zu. Er versuchte, sie so wenig wie möglich zu berühren, aber das war schwierig, da sie ihm immer näher kam. Ihre Schulter streifte seinen Arm, und die Stelle fühlte sich an wie elektrisch aufgeladen, selbst durch seine Klamotten hindurch. Die kühle Luft in der Tiefgarage war eine willkommene Abwechslung.

»Ich kann die Adresse in dein Navi …«

»Kannst du mir bitte einen Moment zuhören?«, rief jemand, und als sie sich umdrehten, eilte Vincent über die leere Parkfläche auf sie zu. »Du kannst diese Entscheidung nicht für uns beide treffen, und alles, was ich verlange, ist …«

»Geh nach Hause, Vince«, sagte sie.

Vincent blieb stehen. Dann hielt er weiter auf sie zu, sein Gang bedrohlicher. »Nein, nicht, bis du mir zuhörst …«

»Ich hab dir zugehört. Und ich hab dich um ein paar Tage Bedenkzeit gebeten.«

»Du benimmst dich wie ein Miststück, wie üblich.«

Eli hatte genug gehört und trat vor sie. »Hey. Entschuldige dich, und dann verschwinde.«

»Oh, verfickt noch mal.« Vincent sah ihn wütend an. »Das hat nichts mit dir zu tun.«

Da war Eli sich nicht so sicher. Er entriegelte sein Auto mit der Fernbedienung und warf ihr seinen Schlüssel zu. Sie fing ihn ohne Zögern auf. »Steig ein. Ich bin gleich bei dir.«

Sie regte sich nicht, sondern starrte Eli mit einem Ausdruck im Gesicht an, den er nur als bestürzt bezeichnen konnte. Nach einem langen Moment öffnete sich ihr Mund. Tu ihm nicht weh, formte sie mit den Lippen.

Eli biss die Zähne zusammen – wie konnte dieser Loser so viel Macht über sie haben? Wie hatte er überhaupt jemanden wie sie abbekommen? Doch er nickte, sah zu, wie sie in seinem Auto verschwand, und wandte sich an Vincent.

Auch er war groß und breitschultrig, wenn auch nicht so wie Eli. Doch er musste etwas in Elis Augen gesehen haben, denn seine erste Reaktion war, einen Schritt zurückzuweichen, bis er mit dem Rücken gegen einen Pfeiler stieß.

»Du musst aufhören, Frauen zu belästigen, die dich bitten, dich zu verpissen, Vincent«, sagte Eli. Recht freundlich, fand er. Er war ein verdammter Gentleman.

»Du hast keine Ahnung, was sie …«

Er trat nahe genug an ihn heran, dass ihm Vincents Alkoholgestank entgegenschlug. »Das spielt keine Rolle«, sagte er ruhig. Tu ihm nicht weh, hatte sie ihn gebeten, aber Eli war ernsthaft versucht, es doch zu tun. »Du kannst freiwillig gehen, oder ich kann dich dazu zwingen. Deine Entscheidung.«

Vincent musste nicht lange darüber nachdenken. Leise vor sich hin fluchend eilte er davon, drehte sich alle paar Schritte nervös um und begegnete jedes Mal Elis grimmigem Blick. Als er verschwunden war, gesellte sich Eli zu der Frau, die auf dem Beifahrersitz seines Autos saß, die Hände im Schoß gefaltet.

Vielleicht Rosie. Rosamund würde auch zu ihr passen.

»Wo wohnst du noch mal?«

Sie blickte auf, antwortete aber nicht. »Ich bin überrascht.« Sie sah sich um, und er konnte sie so intensiv riechen, dass er sich zusammenreißen musste. Blumen, Weichspüler und ihr ganz eigener Duft. Das ging weit über gut hinaus, direkt in gefährliches Terrain. »Ich hätte nicht gedacht, dass du einen Hybrid fährst.«

Er schnaubte und startete den Motor. »Sag mir lieber nicht, was du erwartet hast.«

»Einen Mustang vielleicht.«

»Herrje.« Er rieb sich die Stirn.

»Oder einen Tesla.«

»Raus mit dir. Du musst wohl doch nach Hause laufen.«

Sie lachte tief in der Kehle, und von dem Geräusch wurde ihm schwindlig, aber es gab ihm auch das Gefühl, etwas Wundervolles vollbracht zu haben. Sie war in seinem Auto in Sicherheit und machte Witze. Längst nicht mehr so angespannt wie vorhin. Sie ließ zu, dass er sich um sie kümmerte.

Er musste nur aufhören, darüber nachzudenken, wie nahe sie ihm war.

»Hier.« Er reichte ihr sein Handy. »Gib deine Adresse ein.«

»Es ist gesperrt. Ich brauche dein Passwort.«

Er drehte sich zu ihr um und verlernte mit einem Schlag das Sprechen. Ihre Frisur war ausgefallener, als er zunächst gedacht hatte. Ein paar Zentimeter um ihr linkes Ohr waren ihre Haare kurz geschoren. Hübsch. Er würde Minami fragen müssen, wie sich dieser Look nannte.

»Schämst du dich, weil es nur aus 69 besteht?«

Seine Gedanken nahmen eine jähe, unangebrachte, sexuelle Wendung. Unvermeidlich. Er war schon die ganze Zeit kurz davor gewesen, und es wurde immer schwerer, sich davon abzuhalten. »Zwei sieben eins acht zwei acht.«

»Dein Passwort ist die Eulersche Zahl?«

Sie wechselten einen überraschten, weltverändernden Blick. Als wären sie sich jetzt erst begegnet.

»Bist du Wissenschaftler?«, fragte sie neugierig, und es war das erste Mal, dass er ein solches Interesse ihrerseits wahrnahm. Sie hatte seinen Körper benutzen wollen und im Gegenzug ihren angeboten, sie hatte seinen Geldbeutel mit der Effizienz eines TÜV-Prüfers durchforstet, aber jenseits des Hier und Jetzt hatte sie ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt.

Bis zu diesem Moment.

»Wenn ich Ja sage, wertest du das als Beweis, dass ich der Unabomber bin?«

Sie lächelte. Ein bisschen breiter als vorher.

»Ich bin kein Wissenschaftler«, gestand er, obwohl es ihm davor graute, sie zu enttäuschen. Doch das war leider die ehrliche Antwort. »Ich habe nur ein bisschen Wissenschaft studiert.«

»Als Nebenfach im Studium?«

»So was in der Art.« Was hätte es für einen Sinn, ihr den Rest der Geschichte zu erzählen?

»Was machst du dann?«

»Langweiligen Finanzkram.«

»Verstehe.« Sie wirkte nicht enttäuscht. Sie musterte ihn immer noch forschend. Es war berauschend, ihren Blick auf sich zu spüren. Ihre Aufmerksamkeit fühlte sich wertvoller an als Gold, Aktien und Börsencrashvorhersagen.

»Bist du Wissenschaftlerin?«

Sie nickte.

»Was für eine?«

»Ingenieurin.« Er fuhr vom Parkplatz, dann wandte er sich ihr zu, als sie ihm die Hand auf den Arm legte – ein Wärmeschock in der kühlen Luft der Klimaanlage.

Fuck. Einfach nur fuck.

»Danke«, sagte sie schlicht. Sie klang ernst, wie üblich. Aufrichtig.

»Dafür, dass ich keinen Tesla fahre?«

Sie schüttelte den Kopf. »Dafür, dass du so nett bist.«

Er war nicht nett. Niemand Nettes würde morgen aufwachen und tun, was Eli vorhatte zu tun, und es in vollen Zügen genießen. Aber es fühlte sich gut an, dass sie so über ihn dachte.

»Und dafür, dass du eingegriffen hast, schätze ich.«

Sie klang so verloren, dass Wut in ihm aufwallte. »Du solltest den Vorfall melden. Eine einstweilige Verfügung beantragen.«

Sie schloss die Augen und ließ den Kopf gegen die Lehne sinken; ein eindeutiger Vertrauensbeweis. Eli musterte ihren schlanken Hals, stellte sich vor, das Gesicht daran entlangwandern zu lassen, und musste sich in Erinnerung rufen, dass er dabei war, sich in den Verkehr einzufädeln.

Behalt die Straße im Blick.

»Es wäre zu deiner Sicherheit«, fügte er hinzu.

»Es ist kompliziert.«

»Das bezweifle ich nicht. Aber selbst wenn ihr Kinder habt oder verheiratet seid, ändert das nichts daran, dass er sehr gefährlich …«

»Er ist mein Bruder«, sagte sie.

Eli zuckte zusammen. »Scheiße.«

»Ja.« Sie wandte das Gesicht den am Fenster vorbeirauschenden Straßenlaternen zu. »Scheiße.«

Jetzt, da er wusste, wonach er Ausschau hätte halten können, sah er die Ähnlichkeit vor sich. Die Größe. Die fast schwarzen Haare. Die Farbe der Augen war anders, nicht aber ihre Form. »Scheiße«, wiederholte er.

»Er ist nicht immer so. Aber wenn er trinkt … na ja. Du hast es gesehen.«

»Habe ich.«

»Ich glaube nicht, dass er mir je wehtun würde.«

»Du glaubst es nicht? Das reicht nicht.«

»Nein, wirklich.« Sie biss sich auf die Wange. »Mein … unser Vater, zu dem wir lange keinen Kontakt mehr hatten, ist vor ein paar Monaten gestorben. Er hat uns ein kleines Haus in Indiana hinterlassen – wir wussten nicht mal, dass er dort gewohnt hat. Wir können uns nicht einigen, was wir damit machen.« Sie wandte ihm ihren Kopf zu. Sie waren ganz allein, und es war entwaffnend, wie entspannt sie in seiner Gegenwart wirkte. »Langweilst du dich schon?«

»Nein.«

Sie lächelte matt. »Es ist nicht leicht, Nein zu jemandem zu sagen, mit dem man sich fünfzig Prozent seiner Gene teilt.«

»Ich weiß.«

»Wirklich?«

Er nickte.

»Hast du auch einen Bruder?«

»Eine Schwester. Kein Belästigungsproblem, aber sie hat schon immer kreative Wege gefunden, mich in den Wahnsinn zu treiben.«

»Zum Beispiel?«

Eli dachte daran, wie Maya ihn als Teenager angeschrien hatte, dass er ihr Leben ruinierte und sie wünschte, er wäre gestorben. Wie sie sich bei ihm ausgeweint hatte, nachdem sie beim Abschlussball versetzt worden war. Wie sie seine Sachen durchstöbert hatte, weil sie nach »Batterien« gesucht hatte, und ihm dann durch die Küche nachgelaufen war, um sich wegen seiner Kondom- und Gleitgelwahl über ihn auszulassen. Wie sie ihn am Telefon runtergemacht hatte, dass er sie immer allein ließ und genauso gut hätte zulassen können, dass sie ins Heim kam – und sich dann mit Händen und Füßen wehrte, wenn er Zeit mit ihr verbringen wollte. »Geschwister können eine harte Nummer sein.«

»Ich bin sicher, da würde Vincent dir zustimmen.«

»Ich bin nicht sicher, ob Vincent das Recht hat, mir zuzustimmen.«

Sie schwieg einen langen Moment. Doch als Eli schon dachte, das Gespräch wäre beendet, begann sie in ausdruckslosem Ton zu erzählen: »Eines Tages, als wir noch klein waren, ist er von einem Freund zu spät nach Hause gekommen. Ich habe ein, zwei, drei Stunden auf ihn gewartet, krank vor Sorge. Ich hab mich gefragt, ob er vielleicht überfahren wurde oder so. Irgendwann kam er dann nach Hause, aber anstatt erleichtert zu sein, als ich ihn in der Tür stehen sah, dachte ich: ›Mein Leben wäre so viel einfacher, wenn er einfach verschwunden wäre.‹«

Er drehte sich zu ihr um und sah einen verblüfften Ausdruck in ihren Augen, als sei sie selbst überrascht, dass sie ihm etwas anvertraute, wofür sie sich offensichtlich zutiefst schämte. Und er überraschte sich ebenfalls, indem er sagte: »Als meine Schwester geboren war, sagten meine Eltern ständig, wie perfekt sie sei, und ich war so wütend, dass ich mich wochenlang geweigert habe, sie auch nur anzusehen.«

Keine Plattitüden, keine hochgezogenen Augenbrauen, kein Versuch, seine Worte abzumildern. Als hätte er ihr nicht gerade die abgefuckteste Geschichte seines Lebens erzählt, sah sie ihn einfach nur an, ohne ihn zu verurteilen, bis er den Blick abwandte. Er kannte nicht einmal ihren Namen, und dennoch hatte er ihr etwas eingestanden, das er noch nie irgendjemandem erzählt hatte, nicht einmal seinen engsten Freunden.

Wahrscheinlich genau deshalb.

»Was glaubst du, wie dein Bruder deine Adresse rausgefunden hat?«, fragte er, hauptsächlich, um zu beenden, was immer das da gerade zwischen ihnen gewesen sein mochte.

»Online?«

»Fuck.« Er fuhr nach rechts in Richtung North Austin – dieselbe Straße, die er morgen früh nehmen würde. Auf der Fahrt würde er an sie denken statt an den Tag, der ihm bevorstand, da war er sich ganz sicher. Diese Frau würde ihm eine Weile erhalten bleiben, wenn auch nur in seinem Kopf.

»Genau. Fuck.« Sie lehnte sich schon wieder mit geschlossenen Augen zurück, und diesmal nutzte er die Gelegenheit, sie eingehend zu mustern. Ihre langen Beine. Ihre vollen Brüste. Die wunderschöne, sanfte Biegung ihres Ohrs. Ihre Persönlichkeit hatte etwas Hartes, Kantiges an sich, aber ihr Körper war weich. Genau sein Typ, wenn er denn einen hatte.

Wenn ihr Bruder nicht gewesen wäre, hätte er es mit Sicherheit wissen können. Echt verdammt schade.

»Wie alt bist du?«, fragte er, um sich abzulenken.

»Sechs Jahre, zwei Monate und fünf Tage jünger als du«, antwortete sie ohne das geringste Zögern.

»Cool. Hast du auch meine Sozialversicherungsnummer auswendig gelernt?«

»Du solltest dich besser vor Identitätsdiebstahl schützen, bevor du es auf die harte Tour rausfindest.«

»Das werde ich, wenn du eine einstweilige Verfügung gegen deinen Bruder beantragst.« Schon wieder ging er eindeutig zu weit. »Wenn du glaubst, dass er dir nicht wehtun würde, um zu bekommen, was er will, bist du zu vertrauensselig.«

»Ich glaube, du bist zu vertrauensselig.«

»Ich?«

»Ja. Ist es dir überhaupt in den Sinn gekommen, dass ich eine Serienmörderin sein könnte? Und ich sitze hier, in deinem Auto.«

Eli warf ihr erneut einen Seitenblick zu. Sie lächelte kaum merklich, ihre Augen noch immer geschlossen. Er wollte ihr zu gern über die Wangen streichen. »Das Risiko gehe ich ein.«

»Für irgendeine Frau, die dich an einen unbekannten Ort lockt und dir nie auch nur ihren Namen verraten hat.«

Robin? Nein, das passte nicht zu ihr. Und Eli begann sich allmählich zu fragen, ob es vielleicht besser war, unwissend zu bleiben. Je weniger er wusste, je unklarer und diffuser sie in seiner Vorstellung blieb, desto schneller könnte er aufhören, an sie zu denken. Und dennoch: »Dann verrat ihn mir.«

»Das ist schon das dritte Mal, dass du danach fragst.«

»Es ist das dritte Mal, dass du nicht antwortest. Meinst du, es könnte ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Tatsachen bestehen?«

Sie presste die Lippen zusammen – oder hatte er sie womöglich nur heraufbeschworen? Sie schienen aus einem extrem sinnlichen Traum zu stammen, wie er sie oft hatte, als er noch sehr jung und sehr triebgesteuert war. »Ich glaube, es hätte Spaß gemacht«, sagte sie ein bisschen melancholisch.

»Was?«

»Diese Nacht. Du und ich.«

Eli rauschte das Blut in den Adern – laut, gewaltig. Als er einen Blick aufs Navi warf, war ihr Ziel nur noch drei Minuten entfernt. Er fuhr langsamer, weit unter dem Tempolimit, plötzlich ein überaus gewissenhafter Fahrer. »Ja?«

»Du wirkst, als wüsstest du, was du tust.«

Oh, du hast ja keine Ahnung. Wir haben noch Zeit. Ich kann sanft sein. Oder nicht. Ich könnte alles Mögliche sein, wenn du …

Herrje. Sie war gerade von ihrem Bruder belästigt worden. Sich jetzt an sie ranzumachen wäre widerlich. »Vielleicht überschätzt du mich.« Obwohl – nein. Er hätte dafür gesorgt, dass sie Spaß hatte. Und das hätte ihm Spaß gemacht.

»Ich glaube, ich schätze nur mich selbst richtig ein.« Ein kleines Lächeln. »Schließlich war ich es, die dich angeschrieben hat.«

Langsam wünschte er, sie hätte es nicht getan. Das alles warf ihn aus der Bahn – zu einer Zeit seines Lebens, in der er sicher auf den Beinen stehen musste. »Warum hast du das eigentlich getan?«

»Es hat mir gefallen, dass du auf deinem Profilbild nicht im Fitnessstudio bist oder das Friedenszeichen neben einem sedierten Tiger machst.«

»Die Messlatte hängt also eher tief.« Er versuchte, sich zu erinnern, was sein Profilbild war. Wahrscheinlich irgendein Foto von Minami. Sie machte ständig Schnappschüsse von ihm und Hark. Für die Website. So viel besser als dieser schmierige Anzug-und-Krawatte-Scheiß auf unseren aktuellen Bildern.

»Auf deinem Profil stand, dass du schon eine Weile nicht mehr aktiv warst. Ich dachte, du hättest entweder jemanden gefunden und dich häuslich niedergelassen oder du wärst längst überfällig. War es so?«

»War es wie?«

»Hast du jemanden gefunden?« Sie klang … nicht total neugierig, aber zumindest interessiert, und Eli musste sich ermahnen, nicht zu viel Hoffnung zu schöpfen. Hoffnung worauf eigentlich? Es war nicht so, als wäre er auf der Suche nach einer Freundin. Denn dabei hatte er kläglich versagt.

Nicht jeder ist zu einer solchen Liebe fähig, Eli.

»Nein. Was ist mit dir? Auf deinem Profil hast du ›keine Wiederholungs-Dates‹ angegeben.«

»Ja«, bestätigte sie, und er verfluchte sie innerlich für ihren Hang, nicht die geringste Erklärung anzubieten. Und dafür, dass sie nicht weiter weg wohnte. Dort war schon ihr Apartmentkomplex. Er umklammerte das Lenkrad, wobei er sich allzu bewusst war, dass er nicht noch langsamer fahren konnte, ohne von der Polizei angehalten zu werden.

»Ist das eine deiner Regeln?«

Sie nickte.

»Scheint ziemlich willkürlich«, sagte er, während er einparkte. Scheint, als würde es uns davon abhalten, eine verdammt spektakuläre Zeit miteinander zu verbringen.

»Für alle Regeln gibt es einen Grund.«

Er stellte den Motor aus und befahl sich, es dabei bewenden zu lassen. Über etwas zu reden, das nie passieren würde, tat ihnen beiden nicht gut. »Komm. Ich begleite dich noch bis zu deiner Wohnung, falls dir dein Bruder auflauert.«

Doch Vincent hatte aufgegeben, zumindest für heute Abend. Kein Auto war ihnen gefolgt.

Es war Ende Mai, und zu dieser Jahreszeit war es in Texas ständig drückend heiß, selbst nachts. Eli war froh, einen Portier im Foyer zu sehen, der nicht nur stämmig und wachsam wirkte, sondern auch sehr argwöhnisch Eli gegenüber.