Notärztin Andrea Bergen 1495 - Caroline Thanneck - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1495 E-Book

Caroline Thanneck

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Beschreibung

Feierabend! Notärztin Dr. Andrea Bergen ist mit ihrem Fahrer auf dem Weg zurück ins Elisabeth-Krankenhaus. Unterwegs tauschen sie sich über ihre Pläne für diesen Abend aus. Das herbstliche Wetter lädt dazu ein, es sich daheim gemütlich zu machen - mit Kuscheldecke, Rotwein und Kerzenschein.
Mitten in ihr entspanntes Gespräch hinein tritt der Fahrer plötzlich auf die Bremse. Vor ihnen zeichnet sich ein Verkehrsunfall ab: Ein Radfahrer liegt schwer verletzt auf der regennassen Fahrbahn. Trümmerteile verraten, dass er von einem Auto angefahren wurde, aber von dem Wagen ist keine Spur mehr zu sehen. Fahrerflucht!
Die Notärztin rettet dem Mann das Leben. Doch er hat etliche innere Verletzungen, ein Schädel-Hirn-Trauma und Quetschungen an der Wirbelsäule. Sein Leben wird nie mehr wie vorher sein ...


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Inhalt

Cover

Liebe ist die stärkste Kraft

Vorschau

Impressum

Liebe ist die stärkste Kraft

Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen? Bei Johann Winkler scheint die Grenze erreicht zu sein. Was der sympathische, junge Lehrer in den vergangenen Jahren durchmachen musste, betrübt mich sehr. Erst der Krebstod seiner Frau, dann sein eigener Unfall. Er war mit dem Rad unterwegs und wurde von einem Auto angefahren. Der Fahrer – oder die Fahrerin – hat sich nicht um ihn gekümmert, sondern ihn schwerstverletzt zurückgelassen.

Seitdem liegt er bei uns im Elisabeth-Krankenhaus und kämpft darum, wieder in sein gewohntes Leben zurückkehren zu können. Und in seinen Beruf. Doch das wird von Tag zu Tag unwahrscheinlicher.

Sein einziger Lichtblick sind die Besuche von Nelly. Mit ihrer optimistischen Art lenkt sie ihn von seinen starken Schmerzen ab und motiviert ihn, die belastenden Therapien durchzuhalten. Die beiden scheinen sich wirklich gut zu verstehen.

Doch dann gibt es plötzlich furchtbare Gerüchte um Nelly, und die hängen direkt mit Johanns Unfall und der Fahrerflucht zusammen ...

»Das wird ja immer schlimmer!« Carl umklammerte das Lenkrad des Rettungswagens fester und lehnte sich auf seinem Sitz vor, ehe er einen leisen Fluch murmelte.

Notärztin Dr. Andrea Bergen konnte es ihm nicht verdenken. Schon den ganzen Tag über war das Wetter trüb und regnerisch gewesen. Die Straßenlaternen waren selbst über Mittag nicht erloschen, weil es gar nicht richtig hell wurde.

Der Herbst hatte endgültig Einzug in ihrer Heimatstadt gehalten. Welkes Laub häufte sich an den Rändern der Straßen, und die Anzeige für die Außentemperatur blieb im unteren einstelligen Bereich. Gegen Abend war Nebel aufgekommen. Der waberte nun in dichten Schwaden zwischen den Häuserzeilen und trübte die Sicht.

Man konnte kaum weiter als bis zum Ende der Motorhaube schauen!

Carl drosselte das Tempo.

Passanten, die auf dem nahen Bürgersteig unterwegs waren, wirkten undeutlich wie Schemen. Hin und wieder schimmerten Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge durch den Nebel und verschwanden im Handumdrehen wieder. Sie fuhren an einer Ladenstraße mit hell erleuchteten Schaufenstern vorbei, doch auch die verschwammen im Nebel. Alles wirkte grau in grau.

»Sind wir überhaupt noch auf dem Weg zurück zum Elisabeth-Krankenhaus?«, fragte Andrea Bergen scherzhaft.

Der Fahrer gab ein gedämpftes Knurren von sich. »Bin mir nicht sicher. Der elende Nebel lässt alle Straßen gleich aussehen. Gut möglich, dass wir längst auf dem Weg nach Italien sind.«

»Ganz ohne Gepäck?« Sie lachte leise. »Na, hoffentlich kommen wir unterwegs an einer guten Pizzeria vorbei. Ich bin am Verhungern.«

Carl warf einen Blick auf das Navigationssystem, das am Armaturenbrett den Weg ihrer Fahrt nachverfolgte.

»Schaut ganz so aus, als wären wir doch richtig.«

»Wird also nichts mit Pizza.«

»Ich fürchte, nein.« Er schaltete die Scheibenwischer ein – und gleich wieder aus, denn sie machten die trübe Sicht nicht besser.

Im Inneren des Notarzteinsatzfahrzeugs, kurz NEF genannt, war es heimelig warm. Der Duft der Apfelküchlein, die sie sich vorhin zwischen zwei Einsätzen genehmigt hatten, hing noch in der Luft. Ein kleines plüschiges Eichhörnchen baumelte am Rückspiegel. Das war eigentlich gegen die Vorschriften, aber Carl war sicher, dass es ihnen Glück brachte, und so hatte er es irgendwie geschafft, dass es bleiben durfte.

Er war ein großer, kräftiger Mann, auf dessen Fahrkünste sich die Notärztin blind verließ. Er steuerte sie sicher durch die Straßen ihrer Heimatstadt, selbst wenn sie mit Sonderrechten und hohem Tempo unterwegs waren. Er wurde niemals leichtsinnig, und so hatte er schon mehr als zwölf unfallfreie Jahre als Fahrer eines NEFs vorzuweisen.

Sie fuhr gern mit ihm, auch wenn er manchmal so schweigsam war, als würde ihm für jedes Wort zu viel ein Euro vom Gehalt abgezogen.

Hinter ihnen lagen acht Stunden Dienst, und Andrea Bergen konnte es kaum erwarten, aus ihrer Einsatzkleidung herauszukommen und es sich daheim gemütlich zu machen.

»Haben Sie Pläne für heute Abend, Carl?«

»Absolut.« Ein Lächeln schwang in seiner Stimme mit. »Ich habe eine Verabredung mit meinem Laufband. Zehn Kilometer sind ein Muss.«

»Nicht Ihr Ernst.«

»Nach einem Tag hinter dem Steuer? Und ob.«

»Jetzt habe ich direkt ein schlechtes Gewissen. Ich will mich nur noch auf die Couch schmeißen, mir ein Buch schnappen und entspannen.«

»Bei diesem Wetter nicht der schlechteste Plan.«

»Wenigstens verhindert der Nebel, dass wir die Kürbisse im Garten ernten müssen.«

»Kürbisernte? Ich dachte, das hätten Sie gestern gemacht.«

»Und vorgestern und vorvorgestern.« Sie seufzte. »In diesem Jahr gedeihen sie wie verrückt. Wir wissen schon gar nicht mehr, wohin damit. Möchten Sie welche haben? Dann kann ich Ihnen eine Kiste voll mitbringen.«

»Bloß nicht. Ich mache mir gar nichts daraus. In meinen Augen taugen die Dinger nur, um sie als Dekoration aufzustellen, und dafür habe ich in meiner kleinen Hütte nun wirklich keinen Platz. Aber vielleicht nimmt Linda Ihnen ein paar ab.«

Linda war eine Krankenschwester, die in der Notaufnahme des Elisabeth-Krankenhauses arbeitete. Sie versorgte das Team mit selbst gebackenen Bagels und dekorierte, was das Zeug hielt. Ihr war es zu verdanken, dass der Empfang der Notaufnahme aus mehr als einem Tresen und einem Computer bestand und mit seiner hübschen herbstlichen Dekoration freundlich wirkte.

»Linda«, sagte Andrea Bergen. »Das ist eine gute Idee. Ich werde sie fragen, ob sie ein paar Kürbisse haben will.«

»Suchen Sie ihr aber keine allzu schweren heraus.«

»Warum denn das?«

»Weil sie vermutlich wieder schwanger ist. Seit gut zwei Wochen dekoriert sie die Notaufnahme ständig neu. Diese Dekorationswut hat sie schon bei ihren ersten beiden Schwangerschaften gepackt.«

Andrea lachte. »Daran erinnere ich mich. Bei ihrem ersten Kind war es kurz vor Weihnachten, und irgendwann hat der Chef eingegriffen und ihr verboten, auch nur noch einen Tannenzweig oder Räuchermann mitzubringen, weil der Tresen beinahe überquoll. Also bekommen Lars und sie wieder ein Kind?«

»Noch ist nichts offiziell, aber ... Verdammt noch mal!« Carl trat plötzlich so kräftig auf die Bremse, dass die Notärztin unsanft in ihren Gurt gepresst wurde. Was seinen Unmut verursacht hatte, war ungewiss. »Da drüben!«

Er deutete nach rechts, wo sich in den Nebelschwaden ein Parkplatz abzeichnete. Es war eine der Stellen, an denen Jogger und Ausflügler ihre Fahrzeuge abstellen konnten, wenn sie zum Rheinufer wollten. Bei diesem trüben Wetter standen nur wenige Autos hier, vermutlich Gassigänger, die nicht auf die vertraute Runde mit ihren Hunden verzichten wollten.

In einer Parkbucht zeichneten sich die Umrisse eines Menschen ab. Es dauerte nur einen Augenblick, bis die Notärztin erkannte, was ihren Fahrer alarmiert hatte.

Dort drüben lag jemand!

Ein Mann, der Statur nach. Verkrümmt und reglos. Es war nicht auszumachen, ob er überhaupt noch am Leben war. Ein Stück weiter hinten konnte sie ein umgestürztes Fahrrad erkennen.

»Verkehrsunfall«, konstatierte sie bestürzt. »Rufen Sie bitte Verstärkung.«

»Schon dabei.« Carl hatte die Hand bereits am Funkgerät.

Andrea Bergen sprang aus dem Wagen. Sogleich schlug ihr die feuchtkalte Luft entgegen wie ein nasses Handtuch. Sie nahm ihre Einsatztasche und rannte zu dem Unbekannten hinüber. Dabei geriet sie mit einem Fuß in eine Pfütze. Wasser spritzte, doch sie kümmerte sich nicht darum.

Endlich erreichte sie den Mann und kniete sich neben ihn.

»Können Sie mich hören?«, fragte sie, während sie nach seinem Puls tastete. Sein Herz schlug. Gerade noch so. Schwach und viel zu langsam konnte sie seinen Herzschlag an ihren tastenden Fingerkuppen spüren. Er schien nicht bei Bewusstsein zu sein, denn er reagierte nicht auf ihre Ansprache. Trotzdem fuhr sie damit fort, mit ihm zu sprechen, während sie ihn rasch und behutsam untersuchte.

»Mein Name ist Andrea Bergen. Ich bin Notärztin. Es sieht so aus, als hätten Sie einen Unfall gehabt. Ich werde mich um Sie kümmern.« Sorgenvoll musterte sie ihn. Sein rechtes Hosenbein war zerfetzt. Zwischen dem Stoff war der bleiche Knochen sichtbar. Eine offene Fraktur, spulte ihr Gehirn automatisch herunter. Hohes Infektionsrisiko.

Rings um ihn herum lagen Bruchstücke verstreut. Von einem Scheinwerfer, so schien es. Außerdem konnte sie einen Seitenspiegel ein paar Meter weiter erkennen. Die Trümmerteile verrieten, dass der Mann von einem Auto angefahren worden war.

Doch wo war das Unfallfahrzeug? Niemand sonst hielt sich in der Nähe auf. Vom Fahrer oder dem Unfallwagen war keine Spur zu sehen.

Fahrerflucht!, geisterte es durch ihre Gedanken. Anstatt dem Verdacht jedoch weiter nachzugehen – und damit wertvolle Zeit zu verlieren –, konzentrierte sie sich auf ihren Patienten. Sie hütete sich, ihm den Fahrradhelm abzunehmen oder ihn zu bewegen. Es war möglich, ja, wahrscheinlich, dass seine Wirbelsäule verletzt war. In diesem Fall konnte jede Bewegung die Verletzung verschlimmern und ihn womöglich lähmen.

Seine Atemwege waren frei, aber er atmete beschleunigt. Beide Lungenflügel waren belüftet. Der Thorax fühlte sich instabil an. Außerdem war er noch immer nicht bei Bewusstsein. Sie schloss ein Pulsoximeter an, das 90 Prozent Sättigung anzeigte. Zu niedrig, darum legte sie eine Sauerstoffmaske an und führte ihrem Patienten Sauerstoff zu. 15 l/min.

Carl sicherte inzwischen die Unfallstelle mit Warndreieck und Warnlampen.

Der Puls ihres Patienten war noch immer flach. Die Nagelbettprobe war mit einer kapillaren Füllungszeit von fast drei Sekunden verlängert. Beim behutsamen Abtasten fühlte sie eine deutliche Abwehrspannung in seinem Abdomen. Das wies auf eine innere Blutung hin. Dazu kamen die Probleme mit der unzureichenden Sauerstoffsättigung, die einen beginnenden Pneumothorax bedeuten konnten.

Sie zog die Stablampe hervor, hob nacheinander seine Lider an und leuchtete in seine Augen. Beide Pupillen reagierten isokor und lichtreaktiv. Sein Unterkiefer war aufgeschrammt und blutete stark. Die Notärztin deckte die Verletzung mit einem Verband ab.

Carl kam heran, trug eine Rettungsdecke, mit der sie den Verletzten zudeckten. »Der Rettungswagen sollte in sechs Minuten hier sein«, sagte er.

»Gut.« Sie brauchten ein Spineboard, um den Verletzten von hier wegbringen zu können. Er durfte keinesfalls bewegt werden, ehe sie ein genaueres Bild über den Zustand seiner Wirbelsäule hatten.

Sie legte einen großlumigen venösen Zugang an seinem Unterarm. Dann führte sie ihm eine Ringer-Laktat-Infusion zu, um seinen Kreislauf zu unterstützen.

»Was haben wir denn hier?« Carl bückte sich und hob etwas auf. »Eine Ausweismappe. Scheint ihm bei dem Unfall aus der Tasche geflogen zu sein.« Er klappte seinen Fund auf. »Johann Winkler. Wohnt ganz in der Nähe. Hier ist auch ein Parkausweis. Oh. Offenbar arbeitet er am Gymnasium.«

»Darf ich mal sehen?« Sie betrachtete das Gesicht ihres Patienten und erkannte ihn unter all dem Blut plötzlich. »Du liebe Zeit, er unterrichtet Sport und Geschichte an Franzis Gymnasium.«

»Er ist ein Lehrer Ihrer Tochter?«

Andrea Bergen nickte. Ihr Patient regte sich noch immer nicht. Sie maß seinen Blutdruck und unterdrückte ein Stöhnen. Das sah nicht gut aus. Ganz und gar nicht gut.

»Halten Sie durch, Herr Winkler«, beschwor sie ihn. »Halten Sie durch!«

***

»Mama! Du bist zu Hause!« Ein Jubelruf empfing Andrea Bergen daheim. Sie schloss die Haustür hinter sich. Dann flitzte ihr auch schon ein Wirbelwind von zwölf Jahren entgegen und fiel ihr um den Hals.

»Uff«, entfuhr es der Notärztin angesichts der stürmischen Begrüßung. Sie umarmte ihre Tochter, hob sie hoch und wirbelte sie einmal im Kreis herum.

»Mama! Was machst du denn?« Franzi warf den Kopf in den Nacken und gluckste. »Ich bin doch kein kleines Mädchen mehr!«

»Bist du nicht?« Andrea Bergen setzte sie ab und tat so, als betrachtete sie sie vom dunkelbraunen Scheitel bis zu den Füßen, die in flauschigen Hüttensocken steckten. »Meine Güte, du bist ja bald so groß wie ich. Wann ist denn das passiert?«

»Letzte Woche!« Franziska, von allen liebevoll Franzi genannt, lachte so vergnügt, dass ihre grünen Augen blitzten. Sie trug ein T-Shirt, auf das ein Pony gedruckt war. Darüber stand: Mir reicht´s. Ich geh reiten.

Andrea Bergen lief mit ihr in die Küche, wo ihr Mann gerade dabei war, Flammkuchen zu belegen. »Das sieht aber lecker aus.« Andrea beugte sich zu ihm und küsste ihn.

Werner legte einen Arm um sie, hob eine Hand und streichelte ihr mit dem Daumen über die Wange. »Oh, jetzt hab ich dich mit Mehl vollgeschmiert. Warte ...« Er strich die Krümel fort. In seinen Augen stand ein liebevolles Lächeln, als er fragte: »Magst du ein Glas Wein trinken?«

»Lieber heißen Tee. Ich bin ziemlich durchgefroren. Das Wetter ...« Sie machte eine vage Handbewegung und trat an den Wasserkocher, um ihn zu füllen. »Wollt ihr auch Tee?«

»Ich bleibe beim Wein«, verneinte ihr Mann.

Franzi jedoch nickte lebhaft. »Den mit Blaubeeren, bitte.«

Andrea Bergen füllte zwei Becher, gab Teebeutel dazu und schob einen ihrer Tochter hin. »Wie war dein Tag, Spätzchen?«

»Och, ganz okay. Wir haben eine Neue in der Klasse. Ihren Namen kann ich noch nicht aussprechen, aber sie scheint ganz nett zu sein. Und dann hat Leni ihre Pausenmilch über meine Mathehausaufgaben geschüttet. Nun muss ich sie noch mal machen. Darf ich danach noch eine Folge Wednesday gucken?«

»Kannst du denn dann noch schlafen?«

»Na klar. Ist doch total witzig.« Franzi stockte. »Bis auf die gruseligen Stellen«, räumte sie ein. »Aber die gefallen mir auch.«

»Also gut. Eine Folge ist in Ordnung, wenn du danach noch mit mir eine Runde mit Dolly drehst. Das macht den Kopf frei.« Andrea Bergen bückte sich und kraulte die Hündin, die so lebhaft wedelte, dass ihr ganzes Hinterteil in Bewegung geriet. »Aber zuerst essen wir.«

»Okay.« Franzi trat an die Anrichte und machte sich daran, Eisbergsalat klein zu schneiden. Die Schüssel war bereits halb voll. Offenbar war Franzi schon fleißig gewesen.

Andrea Bergen verließ die Küche noch einmal kurz, um ihren Mantel aufzuhängen und sich die Hände zu waschen.

Ihr Mann schob das Blech mit dem Flammkuchen in den Ofen. »Der braucht gut zehn Minuten.«

»Ich fange schon mal mit Mathe an, dann dauert es nachher nicht so lange.« Franzi stob aus der Küche – gefolgt von Dolly.

»Effizient ist sie ja«, murmelte Werner. Sein Schmunzeln verblasste, als er in ihr Gesicht sah. »Stimmt etwas nicht, Liebes?«

Sie musste nicht fragen, woher er wusste, dass sie etwas beschäftigte. Werner kannte sie besser als irgendjemand sonst. Manchmal schien er sie sogar besser zu kennen, als sie sich selbst. Er führte im Anbau der Villa eine Praxis für Kinderheilkunde und zählte zu den einfühlsamsten Menschen, die sie kannte.

»Isst Hildchen mit uns?«, wich sie einer direkten Antwort vorerst aus.

»Nein, Mutter besucht eine kranke Freundin. Vorhin ist sie beladen mit einem Korb voller Leckereien und Illustrierten losgezogen.« Werner nahm sein Glas und trank einen Schluck. Er drängte sie nicht, sich ihm anzuvertrauen, gab ihr nur das Gefühl, dass er da war, wenn sie ihn brauchte. So wie immer. Das war eines der vielen Dinge, die sie an ihm liebte.

Während sich allmählich der Duft des Flammkuchens in ihrer gemütlichen Küche ausbreitete, lehnte sich Andrea Bergen mit dem Rücken gegen das Fensterbrett und spürte, wie die Anspannung des Tages langsam von ihr abfiel. Auf dem Tisch stand ein Strauß bunter Astern, zwischen denen buntes Herbstlaub steckte, das sie selbst gesammelt hatte. Sie liebte es, ihr Haus der Jahreszeit entsprechend zu dekorieren, und so fanden sich jetzt bunte Zierkürbisse zwischen den Töpfen mit ihren Kräutern auf dem Fensterbrett.

»Einer von Franzis Lehrern ist heute verunglückt.«

»Das sind ja schöne Geschichten!« Werner sah sie betroffen an. »Wer ist es denn? Kennen wir ihn?«

»Ja, es ist Herr Winkler, der Sport- und Geschichtslehrer. Er war mit dem Fahrrad unterwegs und wurde wohl angefahren.«

»Wohl? Was meinst du damit? Steht denn nicht fest, was ihm zugestoßen ist?«

»Noch nicht. Der Fahrer hat sich aus dem Staub gemacht.«

»Nicht dein Ernst!«

»Leider doch.«

»Fahrerflucht also?« Er murmelte einen Fluch. »Und wie schlimm steht es um ihn?«

»Sehr schlimm sogar.« Andrea Bergen durfte ihrem Mann nicht mehr sagen, aber Johann Winkler hatte innere Verletzungen davongetragen. Dazu ein Schädel-Hirn-Trauma, eine offene Fraktur des Beines und Verletzungen an der Wirbelsäule. Als sie in den Feierabend gegangen war, hatten ihre Kollegen im Elisabeth-Krankenhaus ihn gerade für eine Operation vorbereitet.

»Das tut mir wirklich leid«, murmelte ihr Mann. »Franzi schwärmt von ihm. Er ist immer fair und fördert die Kinder nach besten Kräften. Ein Lehrer, wie man ihn sich wünscht.«