Nun wird alles anders - Patricia Vandenberg - E-Book

Nun wird alles anders E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Dann ist ja alles wieder in bester Ordnung«, sagte Dr. Norden zu dem hübschen jungen Mädchen. »Und nun wird das Susannchen hübsch aufpassen beim Skifahren, damit sich die Mutti nicht zu sorgen braucht.« »Wir sind ja zu viert«, sagte Susanne Nestler. »Und wir bleiben auch immer hübsch beisammen.« »Aber nicht gleich überanstrengen«, sagte Dr. Norden mahnend. »Sie sind noch Rekonvaleszentin.« »Ich fühle mich aber wirklich wieder pudelwohl, dank Ihrer großartigen Hilfe«, sagte Susanne. »Aber wenn Mami sich ihre Spritze abholt, untersuchen Sie sie doch bitte einmal gründlich. Sie wird jetzt immer so schnell müde. Liebend gern wäre ich mal mit ihr verreist, aber sie gönnt sich ja keine Ferien. Immer hat sie irgendeine andere Ausrede.« Dr. Norden wußte, warum Verena Nestler immer eine andere Ausrede hatte. Sie fürchtete, ihre Stellung als Buchhalterin zu verlieren.

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Dr. Norden Aktuell – 33 –

Nun wird alles anders

Patricia Vandenberg

»Dann ist ja alles wieder in bester Ordnung«, sagte Dr. Norden zu dem hübschen jungen Mädchen. »Und nun wird das Susannchen hübsch aufpassen beim Skifahren, damit sich die Mutti nicht zu sorgen braucht.«

»Wir sind ja zu viert«, sagte Susanne Nestler. »Und wir bleiben auch immer hübsch beisammen.«

»Aber nicht gleich überanstrengen«, sagte Dr. Norden mahnend. »Sie sind noch Rekonvaleszentin.«

»Ich fühle mich aber wirklich wieder pudelwohl, dank Ihrer großartigen Hilfe«, sagte Susanne. »Aber wenn Mami sich ihre Spritze abholt, untersuchen Sie sie doch bitte einmal gründlich. Sie wird jetzt immer so schnell müde. Liebend gern wäre ich mal mit ihr verreist, aber sie gönnt sich ja keine Ferien. Immer hat sie irgendeine andere Ausrede.«

Dr. Norden wußte, warum Verena Nestler immer eine andere Ausrede hatte. Sie fürchtete, ihre Stellung als Buchhalterin zu verlieren. Immerhin war sie fünfundvierzig, seit achtzehn Jahren geschieden und ganz auf sich angewiesen. Sie hatte ihre Tochter allein aufziehen müssen und keinen Pfennig Unterhalt bekommen. Das hatte sie auch gar nicht gewollt von einem Mann, der sie belogen und betrogen hatte.

Sie liebte ihr Kind. Sie wollte, daß die ebenso kluge, wie hübsche Susanne studierte. Von Kindheit an hatte Susanne nur den einen Wunsch gehabt, Ärztin werden zu dürfen, und Dr. Daniel Norden war ihr Vorbild. Er war überzeugt, daß sie mit ihrer Einstellung eine gute Ärztin werden würde.

»Verbandskasten nicht vergessen, Susanne«, sagte er, als er sich mit einem festen Händedruck von ihr verabschiedete.

»Ist schon eingepackt. Ich bin ja die einzige Medizinerin in der Gruppe.« Susanne lachte. Zwei tiefe Grübchen erschienen in ihren Wangen. Ihre schönen blaugrauen Augen strahlten. Dann zog sie die Kapuze des Lodenmantels über ihr rotbraunes Haar.

»Ich passe schon auf, daß ich mich nicht wieder erkälte«, sagte sie. »Aber vielleicht sollte ich mir doch mal die Mandeln herausnehmen lassen.«

»Nur, wenn es unbedingt nötig ist«, erwiderte Dr. Norden.

Susanne ging, der nächste Patient kam. Er klagte auch über Halsschmerzen, und auch bei ihm waren die Mandeln entzündet. Viele solche Fälle mußte Dr. Norden in den letzten Wochen behandeln, und manche verliefen mit großen Komplikationen, bekamen als Folge Nierenbeckenentzündungen oder gar Herzbeschwerden.

Susanne Nestler war jung, sportlich und widerstandsfähig. Sie hatte die Krankheit schnell überwunden, aber vielleicht hatte da auch die Vorfreude auf den Skiurlaub mitgespielt, auf den sie nicht verzichten wollte.

Sie hatte dafür gearbeitet, Nachhilfestunden in Latein gegeben und Babysitting gemacht. Ihrer Mutter wollte sie mit solchen Wünschen nicht kommen, denn Verena Nestler mußte sich schon sehr anstrengen, um für den Lebensunterhalt aufzukommen.

Mutter und Tochter waren ein Herz und eine Seele, und Verena gönnte ihrem Sannchen von Herzen diese zwei Wochen, denn während der drei Jahre, die Susanne nun schon studierte, obgleich sie erst das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hatte, konnte sie aus finanziellen Gründen nicht mal in den Semesterferien verreisen.

Susanne war eine blendende Schülerin gewesen, sie hatte auch sofort einen Studienplatz bekommen und sogar ein Stipendium. Aber Verena hatte die billige Wohnung aufgeben müssen, weil das Haus zum Abbruch verkauft worden war. Um auch für Susanne ein wertbeständiges Erbe zu schaffen, hatte sie dann eine Eigentumswohnung gekauft, die ihr günstig erschienen war. Der Bauherr war ihr Chef, Bernhard Rauch. Er hatte seinen Angestellten so günstige Bedingungen offeriert, daß diese gar nicht merkten, wie sie übers Ohr gehauen wurden.

Verena hatte seine Kalkulationen nach der ersten Euphorie, eine Eigentumswohnung zu besitzen, durchschaut, aber sie hätte nicht gewagt, etwas verlauten zu lassen, da sie ständig um ihre Stellung fürchtete.

Sie hatte ihre Sorgen, aber von diesen sollte Susanne nicht zuviel spüren. Skifahren war das einzige Hobby, das sich Susanne leistete. Obgleich sie nur am Wochenende, mit den preiswerten Kursen, in die Berge gefahren war, hatte sich ihr Talent bald gezeigt. Sie beherrschte die Bretter großartig. Aber auch davon machte Susanne kein Aufheben.

So bescheiden wie sie selbst war, so bescheiden war auch ihr Gepäck.

»Wer fährt denn nun eigentlich mit?« fragte Verena.

»Eva und Dieter, und für Volker, der eine Aushilfestellung bekommen hat, die er sich nicht entgehen lassen kann, kommt Lutz Rauch mit.«

Verenas Gesicht überschattete sich. »Das ist mir nicht sehr angenehm, Sannchen«, sagte sie gepreßt. »Schließlich ist er der Sohn von meinem Chef.«

»Und der Freund von Dieter. Ich habe doch nichts mit ihm, Mutti. Ich denke auch gar nicht daran, einen Flirt heraufzubeschwören. Er muß sehr nett sein. Ev hat es auch gesagt. Ich kenne ihn doch bisher nur flüchtig.«

»Was studiert er eigentlich?« fragte Verena.

»Betriebswirtschaft. Braucht er ja mal, wenn er ins Unternehmen einsteigen will. Mach’ dir keine Gedanken, Mutsch. Ich will eine tüchtige Ärztin werden und lege keinen Wert auf einen bestimmten Mann. Aber es ist nett, wenn man akzeptiert wird.«

Verena machte sich diesbezüglich auch keine Sorgen um ihre Tochter. Sie wußte, daß Susanne stur ihren Weg ging, und Eva Witt, Susannes Freundin, war auch ein sehr nettes, natürliches Mädchen, wenngleich ihre Eltern finanziell bedeutend besser dastanden, als es bei ihnen der Fall war.

»Erhol dich gut, und viel Spaß«, sagte Verena ihrer Tochter zum Abschied.

Unten, vor der Haustür, stand ein ganz neuer Mercedes. Verena hätte ihre Tochter auf die Straße begleitet, hätte sie nicht genau gewußt, daß sie von Lutz Rauch abgeholt wurde.

Als Susanne zu ihr emporwinkte, hatte sie ein beklemmendes Gefühl. Aber dann gab sie sich einen Ruck.

»Ich bin ein schrecklicher Pessimist«, sagte sie laut. »Weil meine Ehe schiefgelaufen ist, braucht Susanne doch nicht auch Pech zu haben. Sie ist viel hübscher und viel klüger als ich.«

*

»Eva lasse ich mir ja gefallen«, sagte zur gleichen Zeit Christine Rauch zu ihrem Mann, »aber daß die Tochter unserer Buchhalterin mit von der Partie ist, gefällt mir nicht, Bernhard.«

»Mir auch nicht, und wenn ich es nicht erst heute morgen erfahren hätte, hätte ich es verhindert. Lutz soll die kleine Keller heiraten. Sie bringt was mit. Wir sitzen derzeit ziemlich in der Klemme.«

»Sehr ansehnlich ist die Marga Keller aber nicht«, bemerkte seine Frau.

»Darauf kommt es doch nicht an. Ihr Vater läßt etwas springen, wenn sie unter die Haube gebracht wird, und wir brauchen Geld. Ja, ich muß es dir sagen, daß es bei uns übel aussieht.«

»Aber wieso denn?« fragte Christine Rauch.

»Ich bin nicht Alleingesellschafter, meine Liebe. Aber ich hafte mit für die andern, und deine lieben Brüder leben munter drauflos. Mich möchten sie abschieben.«

»Das denkst du bloß, Bernhard, aber schließlich hattest du nichts, als du mich geheiratet hast, das darfst du auch nicht vergessen. Und ich will nicht, daß unser Lutz eine Frau heiratet, die nach nichts aussieht.«

Du warst auch nicht die Schönste, dachte Bernhard Rauch, und er hatte Christine Moeller schließlich auch nur geheiratet, weil eine ansehnliche Mitgift heraussprang, er Direktor wurde und Vater Moeller darauf erpicht war, seine Tochter unter die Haube zu bringen.

Er hatte alles gelassen ertragen, weil er erreicht hatte, was er wollte. Die beiden Brüder Moeller hatten zwar auch gute Partien gemacht, aber sie hatten keine Kinder. Bernhard Rauchs Trumpf war Lutz, sein Sohn.

»Die Nestler ist doch aber sehr tüchtig«, sagte Christine Rauch. »Wir könnten sie mit Fred verkuppeln, wenn Lutz etwas für Susanne übrig hat. Dann bleibt alles in der Familie, und wir würden sogar ihr Gehalt sparen.«

»Du hast Nerven«, stöhnte Bernhard Rauch. »Sie ist so tüchtig, daß wir bald nichts mehr zu melden hätten.«

»Aber wenn Lutz das Mädchen doch liebt«, sagte Christine.

»Liebt«, sagte Bernhard Rauch höhnisch. »Er will sich amüsieren, aber mir paßt es nicht, daß er sich ausgerechnet Susanne Nestler dazu ausgesucht hat.«

*

Die vier jungen Leute in dem neuen Mercedes hatten derzeit keinerlei Probleme. Sie redeten, sangen, scherzten, machten Witze und freuten sich auf den Schnee in Südtirol, der im Autoradio gepriesen wurde.

Dieter Gösser und Eva Witt waren schon länger mit Lutz Rauch befreundet. Eva und Susanne wiederum kannten sich vom Gymnasium her, doch sie hatten verschiedene Studienwege eingeschlagen.

Eva studierte auch Betriebswirtschaft, Dieter Physik. Susanne hatte Lutz Rauch durch die beiden während einer Theatervorstellung kennengelernt. Da sich alle mit dem Vornamen ansprachen, hatte sie nicht sofort gewußt, daß Lutz der Sohn von Bernhard Rauch war. Er hatte sie ein paarmal eingeladen, zum Eis, auf ein Glas Wein oder eine Tasse Kaffee. Geld hatte er immer genug, und er war auch spendabel, was Susanne aber für sich nur ausnahmsweise akzeptierte, als sie dann wußte, daß er Lutz Rauch war und sein Vater der Chef ihrer Mutter. Sie hatte ihm gesagt, daß es besser wäre, wenn sie sich nicht so oft treffen würden und ihm auch den Grund genannt.

Darauf hatte Lutz nur gelacht. Solche Vorurteile hegte er wirklich nicht, und Susanne mochte ihn gern. Gar so flüchtig war ihre Bekanntschaft auch nicht mehr, wie Susanne ihrer Mutter hatte weismachen wollen, aber warum sollte sich die gute Mutsch denn Gedanken machen. Sie waren gute Kameraden, sonst nichts, und Susanne dachte wirklich nicht daran, mehr zu erhoffem Sie war jung und unbeschwert und fand es, genau wie Eva, angenehmer mit dem Mercedes zu fahren als mit Dieters altem Kleinwagen.

Die Pension, vor der sie dann Halt machten, gefiel ihr auch sehr gut. Susanne hatte es als selbstverständlich vorausgesetzt, daß Eva und sie in einem, Dieter und Lutz in dem andern Doppelzimmer schlafen würden, die nebeneinander lagen und durch einen Balkon verbunden waren.

Umso betroffener war sie, als Lutz sein Gepäck in ein Einzelzimmer brachte.

»Alte Gewohnheit«, sagte er leichthin. »Ich kann mit niemanden zusammen schlafen.«

Sein Zimmer war allerdings auch das weitaus komfortabelste, hatte ein richtiges Bad, nicht nur eine Dusche, einen Kühlschrank und einen Fernsehapparat.

Er grinste Susanne an. »Ist doch sehr praktisch«, sagte er. »Die Wanne steht allen zur Verfügung, der Inhalt des Kühlschranks auch, und wenn Dieter und Eva der Sinn danach steht, eine Nacht gemeinsam zu verbringen, verursacht es auch kein Aufsehen.«

Bestürzt blickte Susanne ihn an. Glühende Röte schoß in ihre Wangen.

»Sie sind doch schon so gut wie verlobt«, sagte Lutz. »Hast du eigentlich noch nie mit einem Mann geschlafen?«

»Nein«, erwiderte Susanne aggressiv. Ihre Augen funkelten. »Und dazu bin ich auch nicht in Urlaub gefahren.«

»Du brauchst doch nicht gleich wütend zu werden«, sagte Lutz. »Du siehst doch, daß ich ein Einzelzimmer habe, und wenn du willst, trete ich es dir ab. Vielleicht ist auch noch ein anderes frei, dann kommen wir Eva und Dieter nicht in die Quere.«

»Man hätte mir das vorher sagen sollen«, murmelte Susanne.

»Das wäre Ev nun auch wieder nicht recht gewesen. Reden wir nicht mehr davon, Susanne. Es ergibt sich doch alles von selbst.«

Etwas in seinem Ton ließ sie aufhorchen, und sie wappnete sich mit Abwehr. Sie ging in das Zimmer zurück. Eva war nicht da, aber aus dem Nebenzimmer klangen Stimmen, streitende Stimmen.

Dieter sagte: »Lutz fängt es eben raffinierter an als ich, aber wir kennen uns doch wahrhaftig schon lange genug, Ev. So prüde wird Susanne nicht sein.«

»Du hast kein Wort gesagt, wie du dir das vorstellst«, erwiderte Eva. »Sonst wäre ich nämlich nicht mitgekommen. Ich hätte auch mit Susanne allein irgendwohin fahren können.«

Das fängt ja gut an, dachte Susanne, die ganze Vorfreude ist im Eimer. Aber nach einer Weile kam Eva mit lächelnder Miene, ganz unbefangen tuend.

»Packend wir also aus«, sagte sie, »dann futtern wir, und dann geht es auf die Piste.«

Susanne nahm sich zusammen. Sie ließ sich nicht anmerken, daß sie einiges von dem Disput gehört hatte, nur so rechten Appetit zeigte sie nicht.

»Du brauchst doch am wenigsten um deine Figur besorgt zu sein«, sagte Lutz, »aber wenn wir erst ein paar Stunden draußen waren, wirst du schon Hunger bekommen.«

Beim Skifahren konnte keiner Susanne so schnell etwas vormachen. Schlank, fast knabenhaft in ihrem enganliegenden Anzug, glitt sie in eleganten Schwüngen den Hang hinunter. Lutz blickte ihr nach, während sich Dieter und Eva vergeblich bemühten, Susanne auf den Fersen zu bleiben.

Lutz gefiel Susanne über alle Maßen. Ihre Zurückhaltung reizte ihn doppelt. Daß ein Mädchen so hübsch und gleichzeitig so klug sein konnte, wollte ihm zwar noch immer nicht in den Sinn, aber ihm war noch nie ein Mädchen begegnet, das ihm so gut gefiel. Schließlich war er auch nicht irgendwer, und so versprach er sich doch noch allerhand vom Verlauf dieses Urlaubs. Man mußte nur wissen, wie man es anfangen sollte, und das glaubte er zu wissen.

Susannes Kopf war freier, als sie im Tal anlangte. So schnell war ihre Fahrt geworden, daß sie nur mit einem kräftigen Schwung stoppen konnte. Und fast wäre sie in den Armen eines Mannes gelandet, der gerade seine Ski angeschnallt hatte.

»Hallo, so stürmisch«, sagte er mit einem breiten Lächeln. »Das kann leicht schiefgehen.«

Susanne blickte ihn fasziniert an. Sein Kopf müßte einen Maler oder einen Bildhauer inspirieren, dachte sie.

Es war ein schmales, tiefgebräuntes wettergegerbtes Gesicht. Große dunkle Augen, tiefschwarzes Haar, das sich leicht kräuselte, eine leicht gebogene Nase, ein schmaler, aber sehr ausdrucksvoller Mund.

Er sprach Südtiroler Dialekt, aber gut verständliches Deutsch. Nun hatte er sich voll aufgerichtet. Er war beinahe einen Kopf größer als Susanne.

Der Schrecken saß ihr noch in den Gliedern, und er mochte es an ihrem Gesichtsausdruck bemerken.

»Ist ja noch mal gutgegangen«, sagte er.

»Danke für Ihre Nachsicht«, erwiderte Susanne.

In seinen Augen blitzte es auf. »Sie sind Deutsche, hab’ ich es mir doch gedacht«, sagte er. »Passen Sie gut auf während der nächsten Tage, wenn das Wetter wechseln sollte. Es kann schon verdammte Schneewehen geben.«

Nun sprach er sogar ein perfektes Deutsch, aber dann kamen Eva und Dieter, und bald darauf Lutz.

»Guten Urlaub«, sagte der Fremde, und dann glitt er auf seinen Brettern zum Lift.

»Kaum hier, machst du schon Männerbekanntschaften«, sagte Lutz anzüglich.

»Ich hätte ihn fast über den Haufen gerannt«, erwiderte Susanne. »Aber er war nett. Bestimmt ein Einheimischer.«

»Dafür sieht er aber sehr intelligent aus«, warf Eva ein. »Ein toller Mann.«

»Lauf ihm doch nach«, knurrte Dieter.

»Streitet nicht«, sagte Susanne. »Fahren wir noch mal hinauf?«

»Für den ersten Tag langt es«, sagte Lutz überstürzt. »So in Form wie Susanne bin ich noch nicht.«

Dieter schnaufte schwer. »Wie machst du das eigentlich, Sanne?« fragte er. »Woher nimmst du die Kondition?«

»Ich rauche nicht, ich trinke nicht und gehe immer früh zu Bett«, erwiderte sie lächelnd.

Und auch an diesem Abend war sie die erste, die im Bett lag. Die andern drei waren noch an der Bar gelandet. Susanne hatte einen kurzen Brief an ihre Mutsch geschrieben. Danach war sie sofort eingeschlafen. Als Eva kam, es war sehr spät, hörte sie nichts mehr.

Dafür war sie am Morgen aber als erste auf den Beinen und schon am Hang, während die anderen erst frühstückten.

»Susanne scheint doch eine richtige Einzelgängerin zu sein«, stellte Lutz mürrisch fest. »Ein bißchen anpassen könnte sie sich ja auch.«

»Jeder zahlt für sich allein, kann also auch tun, wonach ihm der Sinn steht«, sagte Eva anzüglich.

»Unsere emanzipierten Damen«, spottete Dieter. »Aber vielleicht hat sich Susanne mit dem Einheimischen verabredet.«

»Das traue ich ihr nicht zu«, sagte Lutz rasch.

»Du wärest schön sauer, wenn sie dir durch die Lappen gehen würde«, sagte Dieter spöttisch.

»Soll das ein Witz sein?« fragte Lutz zornig. »Ihre Mutter ist schließlich Buchhalterin bei uns, und sie wird es nicht wagen, da einen Wurm reinzubringen.«

Eva schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, was Susannes Mutter mit unserm Ausflug zu tun hat. Du kannst Sanne doch nicht damit erpressen, daß ihre Mutter eine Angestellte von euch ist. Sie ist ein feiner Kerl, und ich möchte nicht, daß es ihr unter die Nase gerieben wird, daß sich ihre Mutter den Lebensunterhalt allein verdienen muß.Was bildet ihr Mannsbilder euch eigentlich ein?«

Eva sprang auf und lief hinaus. Dieter starrte ihr verblüfft nach. »Da kriegst die Motten«, sagte er, »diese Weibsbilder!« Dann aber dachte er nach und runzelte die Stirn. »Na ja, genau genommen hättest du das auch nicht sagen brauchen, Lutz. Hoffentlich sagt es Ev nicht weiter, sonst ist die Stimmung restlos beim Teufel.«

Er stand auf und lief schnell hinter Eva her. Lutz saß mit langem Gesicht da, aber schon wenig später erschien Susanne, sehr hübsch anzusehen mit ihrem frischen Gesicht.

»Na, ihr Langschläfer«, sagte sie, als nun auch wieder Dieter und Eva nahten, »die schönste Zeit des Tages versäumt ihr. Vielleicht hält das Wetter nicht an. Man muß es ausnützen.«

Lutz benahm sich wie ein Kavalier. Er schenkte ihr Kaffee ein und sagte der Bedienung, daß sie noch frischen bringen soll. Eva und Dieter hatten sich wieder zu ihnen gesetzt und staunten, welchen Appetit Susanne entwickelte.

»Hast du deinen Verehrer getroffen?« fragte Dieter neckend.

»Welchen Verehrer denn?« fragte Susanne verblüfft zurück.

»Den von gestern«, meinte er.

Susanne schüttelte den Kopf. »Was ihr immer gleich denkt«, sagte sie und griff noch zu einem weiteren Hörnchen.

»Liebe Güte«, staunte Eva, »so viel Kalorien.«

»Na und«, lachte Susanne. »Ich bleibe über Mittag droben. Es ist herrliche Sonne. Ihr solltet euch das auch überlegen.«

Sie hatte sich vorgenommen, sich den Aufenthalt nicht vermiesen zu lassen und sich auch nicht nach den anderen zu richten. Wenn sie nachts lieber in der Bar hockten, sollten sie es tun. Sie hatte dafür nichts übrig.

Aber die andern ließen sich von ihrer guten Laune anstecken. Sie verbrachten einen herrlichen Tag und genossen den strahlenden Sonnenschein. Es kam keine Mißstimmung mehr auf. Am Abend hatten sie alle vier einen Riesenhunger, und dann gingen sie auch früh zu Bett.

Eva sagte nichts von der Bemerkung, die Lutz gemacht hatte, aber sie fragte: »Sag mal, Sanne, magst du Lutz eigentlich sehr?«

»Er ist ganz nett, manchmal launisch, aber das schert mich wenig. Ich will ihn ja nicht heiraten.«

»Und sonst?« fragte Eva.

»Was und sonst?« fragte Susanne schon ganz schläfrig.

»Ich meine nur so«, murmelte Eva, aber da war Susanne schon eingeschlafen.

*

Verena war es daheim einsam. Sie vermißte Susanne, und deshalb blieb sie am Abend länger im Büro. Sie hatte festgestellt, daß sich die Bilanz äußerst ungünstig entwickelt hatte, und so wollte sie noch einmal alles durchrechnen, ob ihr nicht doch irgendein Fehler unterlaufen wäre.

Aber sie konnte keinen feststellen. Die Tatsache, daß es nicht gut um die Finanzlage der Firma stand, war deprimierend. Die Aufträge gingen in letzter Zeit auch nur schleppend ein, aber das war wohl nicht nur bei ihnen so. Viele waren in den vergangenen Monaten schon arbeitslos geworden, und Verena hatte vor nichts soviel Angst, als daß es auch sie erwischen könnte.