Nur Tote bleiben liegen - Anja Förster - E-Book + Hörbuch

Nur Tote bleiben liegen E-Book und Hörbuch

Anja Förster

4,8

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Beschreibung

Die Bestsellerautoren Anja Förster und Peter Kreuz zeigen in ihrem neuen bahnbrechenden Buch, wie durch radikal anderes Denken und Handeln eine fundamental andere Art des Managements gelingen kann. Heute müssen Unternehmen mit rasanten Veränderungen Schritt halten, um zu überleben. Aber zu selten vollzieht sich Wandel in Unternehmen chancengetrieben. Zu oft ist er punktuell und krisengetrieben und löst daher kein Problem dauerhaft. Unternehmen, die ihr lebendiges Potenzial entfesseln wollen, müssen maximale Innovationsfähigkeit auf allen Ebenen ermöglichen und Freiraum schaffen für die Initiative, Kreativität und Leidenschaft ihrer Mitarbeiter. Nur diese Unternehmen werden am Ende zu den Gewinnern zählen!

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Seitenzahl: 316

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Anja Förster; Peter Kreuz

Nur Tote bleiben liegen

Entfesseln Sie das lebendige Potenzial in Ihrem Unternehmen

www.campus.de

Information zum Buch

Die Bestsellerautoren Anja Förster und Peter Kreuz zeigen in ihrem neuen bahnbrechenden Buch, wie durch radikal anderes Denken und Handeln eine fundamental andere Art des Managements gelingen kann. Heute müssen Unternehmen mit rasanten Veränderungen Schritt halten, um zu überleben. Aber zu selten vollzieht sich Wandel in Unternehmen chancengetrieben. Zu oft ist er punktuell und krisengetrieben und löst daher kein Problem dauerhaft. Unternehmen, die ihr lebendiges Potenzial entfesseln wollen, müssen maximale Innovationsfähigkeit auf allen Ebenen ermöglichen und Freiraum schaffen für die Initiative, Kreativität und Leidenschaft ihrer Mitarbeiter. Nur diese Unternehmen werden am Ende zu den Gewinnern zählen!

Informationen zu den Autoren

Anja Förster und Dr. Peter Kreuz gehören zu einer neuen Generation von Vordenkern für Wirtschaft und Management. Zu ihren Kunden zählen die Führungsetagen von BMW, IBM, Deutsche Bank und weiteren namhaften Unternehmen. Die beiden Managementberater sind gefragte Referenten und haben bereits sechs Bücher geschrieben. 2007 veröffentlichten sie »Alles, außer gewöhnlich«, das als »Wirtschaftsbuch des Jahres 2007« ausgezeichnet wurde. Zuletzt erschien »Spuren statt Staub«.

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2010 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

ISBN der Printausgabe: 978-3-593-39220-2

E-Book ISBN: 978-3-593-40911-5

www.campus.de

|5|Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde. 

Jean Paul

|9|WIE ALLES BEGANN

Felsen. Geröll, Kakteen. Und die Sonne, die erbarmungslos vom Himmel brennt.

Das Erste, was man hier lernt: Niemals ohne Trinkwasser unterwegs sein. Eine Autopanne könnte ansonsten fatale Folgen haben.

Phoenix liegt im Südwesten der USA, im Valley of the Sun, dem Tal der Sonne mitten in der Sonora-Wüste. Und es ist heiß dort, sehr heiß. Von Mai bis September liegen die Temperaturen bei weit über 30 °C. An den heißesten Tagen des Jahres kann das Thermometer sogar bis auf 50 °C ansteigen.

14 Jahre ist es her, seit wir in Phoenix, am Rand der Sonora-Wüste, lebten. Kürzlich, beim Durchstöbern einer alten Fotokiste, fielen uns die Fotos in die Hand. Eines der Fotos schlägt uns noch heute in seinen Bann, wenn wir es betrachten und uns erinnern …

Jedes Jahr im Frühjahr passiert dort nämlich etwas ganz Außergewöhnliches: Es regnet. Nicht lange, meist nur für ein oder zwei Tage. Und kurz darauf verwandelt sich die Wüste in ein buntes, absolut überwältigendes Blumenmeer. Gelb, lila, weiß und orange leuchten die Blüten. Die Menschen kommen von überall her, um dieses atemberaubende Naturereignis zu sehen. Auch wir konnten uns der fast schon surrealen Magie dieses Kurzzeit-Paradieses nicht entziehen – und so entstand das Foto, das wir nun, nach all den Jahren, wieder in den Händen hielten.

Die Wüste lebt. Direkt unter der Oberfläche liegt die Saat der Möglichkeiten und wartet auf die passenden Voraussetzungen. Und wenn die richtigen Voraussetzungen da sind, ist Wachstum unvermeidbar. Dann explodiert das Leben. Die Saat der Möglichkeiten ist immer da und wartet nur darauf, wieder wachsen zu können. Wachstum lässt sich nie aufhalten, wenn die Voraussetzungen stimmen.

So bunt, so lebendig, so einfallsreich, so fruchtbar, so begeisternd wie das Blütenmeer im Valley of the Sun kann auch Wirtschaft sein. Wenn auch so manche Branche und so manches Unternehmen eher einer Wüste gleicht, wo Vorschriften, Bürokratie und Machtpyramiden die Trostlosigkeit des alltäglichen Einerlei zementieren, so schlummert doch das Leben allerorten im Verborgenen.

|10|Manchmal ist es ein kleiner Angestellter, der kündigt, sich selbstständig macht und mit seinem eigenen Unternehmen die Branche aufmischt. Manchmal ist es ein Chef, der plötzlich aufhört das zu tun, was er schon immer getan hat. Manchmal ist es ein Unternehmer, der die Spielregeln in seiner Organisation ändert und plötzlich extrem erfolgreich ist. Manchmal ist es ein Mitarbeiter, der plötzlich eine grandiose Idee hat, manchmal einer, der plötzlich seine Kunden versteht, manchmal einer, der plötzlich das Produkt mit anderen Augen sieht. Und in all diesen Fällen explodiert plötzlich das Leben, wo vorher nur Wüste war.

Wir sind fest davon überzeugt: Genau das gleiche wie für die Sonora-Wüste gilt auch für unsere Unternehmen. Für unsere Schulen. Für unsere Familien. Überall dort, wo Menschen zusammenkommen: Wenn die Voraussetzungen stimmen, lässt sich Wachstum nicht aufhalten.

Vielleicht sind SIE das Saatkorn in Ihrem Unternehmen?

Vielleicht tragen Sie die Antriebskraft, das Talent, die Ideen in sich, die sich entfalten müssen, um Ihr Umfeld zum Erblühen zu bringen? Genau dazu möchten wir Sie ermutigen: Nutzen Sie all das, was Ihnen mitgegeben wurde!

Ihr Beitrag ist wertvoll. Wir hoffen, dass Sie aufstehen und sich entscheiden, die Saat aufgehen zu lassen und dort draußen einen Unterschied zu machen. Wir hoffen, Sie davon überzeugen zu können, dass es eine riesige Chance für Sie gibt. Eine Chance, Ihr berufliches und privates Leben in eine Richtung zu entwickeln, die Sie erfüllt. Nicht, indem Sie etwas tun, das sehr leicht für Sie ist. Oder etwas, das man Ihnen im letzten Führungstraining beigebracht hat. Nein. Die Veränderung zum Besseren beginnt damit, dass Sie verstehen, wie sich die Spielregeln unserer Wirtschaft grundsätzlich ändern. Und dann diese Veränderung für sich nutzen. Indem Sie Ihr volles Potenzial entfalten. Tag für Tag.

Alles beginnt damit, dass Sie sich entscheiden.

Und was für jeden einzelnen gilt, gilt genauso für Unternehmen und für unsere Gesellschaft als Ganzes. Wir alle müssen uns entscheiden. Statik oder Dynamik? Auf welcher Seite wollen wir stehen? Um uns |11|herum verändert sich alles so schnell wie noch nie. Selbst führende Wirtschaftsmächte und marktführende Unternehmen müssen sich immer wieder neu erfinden, um ihre Position zu sichern. Sie werden sonst entweder von neuen Entwicklungen hinweggefegt oder von aufstrebenden Konkurrenten kopiert – und schließlich überrannt.

Wir alle haben die Wahl. Entweder machen wir so weiter wie bisher, dann werden viele von uns ins Abseits gedrängt. Ein ehemals hoch geschätzter Spezialist – morgen im Unternehmen herumgeschubst. Die ehemals wichtigste Abteilung – morgen ausgelagert. Ein ehemals marktführendes Unternehmen – morgen in der Bedeutungslosigkeit versunken. Eine ehemals dominierende Branche – morgen vergessen. Ein Land, das mal Exportweltmeister war – morgen abgehängt, erstarrt, überschuldet, überaltert, grau und abgehalftert.

Oder wir nehmen die Herausforderung an, dann wetteifern wir mit unseren Wettbewerbern weltweit um Imagination, Inspiration, Einfallsreichtum und Initiative – und übertreffen sie.

Das geht nur, wenn wir bei uns selbst beginnen. Und unsere Eigeninitiative, unsere Kreativität und unser Engagement einbringen. Jeden Tag aufs Neue. Diese Eigenschaften mögen in der Vergangenheit optional gewesen sein. Heute sind sie so ziemlich alles, worum es geht.

Um dieses Potenzial zu entfesseln, reicht es nicht, traditionelle Managementpraktiken zu verbessern oder einfach nur besser umzusetzen. Es geht um etwas anderes: Um eine fundamental andere Art des Managements. Um ein anderes Denken und Handeln. Anders? Wie genau? Das wollten wir wissen. Darum haben wir dieses Buch geschrieben.

Die amerikanische Schriftstellerin Erma Bombeck schreibt: „Wenn ich am Ende meines Lebens vor Gott stehe, hoffe ich, dass nicht das kleinste bisschen Potenzial übrig geblieben ist und ich sagen kann: Ich habe alles genutzt, was mir mitgegeben wurde.“

Also? Worauf warten Sie noch?

Nur Tote bleiben liegen.

|12|

Stellt euch eine heiße Asphaltstraße vor, auf die es gerade geregnet hat und auf der ein Glas Blaubeermarmelade zu Bruch gegangen ist ... so riecht dieser Wein!“ – Gary Vaynerchuk hat das gesagt. Er spricht so, weil er die Barrieren, Stereotype und Missverständnisse beseitigen will, die die breite Masse der Menschen daran hindern, Wein wirklich zu ge nießen. Wie? Er spricht und schreibt über Wein. Im Internet. Sein täglicher Videoblog „Wine Library TV“ ist Kult, er wird jeden Tag von über 80.000 Nutzern gesehen. Jeder neue Videocast erhält innerhalbkürzester Zeit hunderte Kommentare. Also ist Vaynerchuk ein herausragender Experte? Ja! Und nein. Nein, er ist kein Experte im klassischen Sinn, keiner der mit Diplomen und Zertifikaten zu beeindrucken wüsste. Ja, natürlich hat er eine Menge Ahnung von Wein. Aber das haben andere auch. Was also macht ihn so einzigartig?

|13|Es gibt einen Grund, warum Gary Vaynerchuk als der „Social Media Sommelier“ so bekannt und einflussreich wurde. Warum er so erfolgreich ist. Der Grund liegt in seiner Virtuosität, mit der er die Klaviatur des Web 2.0 spielt, in seiner Authentizität, in seiner Leidenschaft, in seinem unkonventionellen Auftreten. Kurz: In seiner Persönlichkeit. Dieser Typ isst Gras, leckt an Steinen, schmiert sich unterschiedlichen Dreck auf die Zunge und kaut Holz – um seine Geschmacksknospen zu trainieren! Als Kind und Teenager hielt er sich täglich im Weingeschäft seiner Eltern auf, er dachte, sprach, roch Wein jeden Tag in seinem Leben. Wenn man Wein leben kann, dann tut er es! Dieser „leading grape guru of the Internet“ hat eine glasklare Mission: „Die Weinwelt verändern!“ Und – er ist so frei, das einfach zu tun.

Vaynerchuck kommt in seinem Videoblog als ziemlich aufgedrehter Freak rüber, dessen Sprache und Auftreten so gar nicht zum üblichen Bild eines Weinconnaisseurs passen. Sein unkonventionelles Gebaren ist gepaart mit einem ausgeprägten Sinn fürs Geschäft – den Umsatz des Familiengeschäfts steigerte er innerhalb weniger Jahre von 4 auf 60 Millionen Dollar. Sein Erfolg macht Mut. Er zeigt uns den Weg, der zu einer neuen Wirtschaft führt. Einer Wirtschaft, die bunt ist. Aufregend. Ansteckend. Energiegeladen. Die Basis dieser Wirtschaft sind Talent, Inspiration, Ideen. Ihr Motor sind Leidenschaft, Begeisterung, Spaß. Ihr Lohn sind Erfüllung, Freude, Sinn.

Aber ohne Einsatz ist das nicht zu haben. Wer in dieser Wirtschaft dabei sein will, muss Verantwortung übernehmen. Er muss den Antrieb haben, außergewöhnliche Dinge anzupacken, und die Ausdauer, sie umzusetzen. Und das wiederum erfordert die Bereitschaft zu permanentem Wandel und zu neuem Denken. Die Fähigkeit zu maximaler Innovation. Den unbedingten Willen, etwas Besonderes zu schaffen.

Solche Organisationen gibt es. Sie funktionieren anders als gewohnt. Solche Menschen gibt es. Sie denken anders als die übrigen. Es gibt auch die Praktiken und die Werkzeuge, die es diesen Menschen ermöglichen, so zu handeln. Sie sind von anderer Art. Wir sehen all das schon heute. Im Internet. Sehen Sie es auch?

|14|DAS WAR DER DEAL

Bad Homburger Kreuz, die Skyline von Frankfurt taucht auf. Wir sitzen im Auto und fahren heim. Nachdenklich. Könnten wir im Kloster leben? Abwegiger Gedanke! Aber Peters ehemaliger Mitschüler Wolfgang macht genau das. Wir haben ihn gerade dort besucht. Gleich nach dem Abitur ist Wolfgang einem katholischen Orden beigetreten. Und jetzt lebt er hinter hohen Mauern aus klobigen Sandsteinen mit winzigen Bogenfenstern, die auch an sonnigen Tagen kaum Licht hereinlassen. Überall dieser Geruch nach Kerzen und altem Holz. Sein Tagesablauf ist genau festgelegt. Vor den kleinen Fenstern ist es mal Sommer, mal Winter, mal irgendwas dazwischen. Sonst ändert sich nicht viel. Innerhalb der Mauern gibt es sehr klare Regeln, die das Zusammenleben und die interne Organisation der geistlichen Gemeinschaft bestimmen. Der Abt sorgt dafür, dass jeder sie befolgt.

Eine mittelalterliche Insel mitten im Gewimmel unserer Zeit. Total exotisch, sich heute für solch einen Weg zu entscheiden. Klöster sind heute schließlich nicht mehr die geistigen Zentren unserer Welt, was vor Jahrhunderten noch ein gutes Argument war, ins Kloster zu gehen. Aber heute? Andererseits: Es ist ja auch so eine Art Deal. Du gibst deine Freiheit ab, ordnest dich in die Gemeinschaft ein, triffst keine Entscheidung mehr alleine. Dafür verspricht die Ordensgemeinschaft dir Sicherheit. Es ist immer für alles gesorgt, es gibt keine Überraschungen, keine tiefgreifenden Veränderungen, sondern Gemeinschaft, Beständigkeit und Ordnung. Tauschhandel: Unfreiheit gegen Sicherheit.

Wir fahren über die Mainbrücke, links hinter uns die Bürohochhäuser, Fassaden aus Glas und Stahl. Wie weit sind die Leute in diesen glitzernden Türmen doch vom Leben im Kloster entfernt! – Sind sie? Sind sie wirklich? Wir sehen uns an und wissen, dass wir in diesem Augenblick |15|dasselbe denken. Sie sind es nicht! Auch in den Büros heute gilt der Handel: Einordnung in die Gemeinschaft und deren Regeln im Ausgleich gegen Arbeitsplatz und festes Gehalt. Das Prinzip, dass Menschen ihre Individualität dem kollektiven Willen und der Autorität einer Organisation unterordnen, gilt ebenso für Klöster wie auch für Betriebe. Der einzige Unterschied: In den Betrieben wacht über diese Regeln kein Abt, sondern ein Chef.

Und genau wie im Kloster wird Opferbereitschaft verlangt: Im Namen der Karriere werden Autonomie, Selbstbestimmung und Freiheit aufgegeben – Erlösung versprechen der Feierabend, das nächste Wochenende oder der langersehnte Urlaub.

Auch das ist ein Deal. Auch hier heißt die versprochene Gegenleistung zunächst: Sicherheit. Sie heißt dann auch: Einordnung in das Kollektiv und dessen festes Regelwerk, im Ausgleich werden Stabilität, Ordnung, monatliches Gehalt sowie weitere Annehmlichkeiten in Aussicht gestellt. Aber wie lange funktioniert dieser Handel noch? Reformation und Aufklärung haben die Klöster an den Rand gedrängt. Es gibt sie noch, aber sie sind bedeutungslos. Was, wenn es heute Veränderungen auf der Welt gäbe, die für die Wirtschaft ähnlich gravierend sind wie Reformation und Aufklärung damals? Was würde es für das soziale Modell in den Betonklöstern des 21. Jahrhunderts bedeuten, wenn gerade eine neue Welt entstünde?

Als wir Frankfurt hinter uns lassen, taucht die untergehende Sonne die Fassaden der Hochhäuser in tiefes Rot.

HEUTE IST SCHON MORGEN

Die neue Welt ist hier und jetzt. Gestern ist vorgestern, heute ist schon morgen. Sicherheit? Vergessen Sie’s! Beständigkeit? Das war einmal! Die Karten werden neu gemischt, die alten Deals werfen keinen Gewinn mehr ab. Arbeitsplatzsicherheit als Ausgleich für Abhängigkeit wird inzwischen zum Tageskurs gehandelt.

|16|Alles verändert sich rasend schnell. Mit der Gemütlichkeit ist es vorbei. Es geht ums Überleben. Sonst sind ruckzuck die Kunden weg. Und dann die Gewinne. Und dann die Arbeitsplätze. Und was geschieht? Change Management? Lächerlich! Das ist wie der Versuch, in den Schlössern die Monarchie zu reformieren, während draußen die Revolutionäre schon schießen.

Das Problem liegt darin, dass sich gesteuerter Wandel in Unternehmen viel zu selten dauerhaft und chancengetrieben vollzieht. Zu oft ist er punktuell und krisengetrieben.

Es wird mit der sprichwörtlichen Axt gekürzt: Das bestehende Führungsteam wird zur Hölle geschickt, Kündigungswellen entsorgen selbst die tadellosesten Mitarbeiter und endlose Restrukturierungsorgien machen aus einer ehemals lebendigen Organisation eine Ansammlung von Untoten. Das alles löst die zugrunde liegenden Probleme nicht! Aktionismus als Antwort auf die tiefgreifenden Veränderungen im Umfeld ist sinnlos. Bevor sie hektisch drauflosballern, sollten die Führungsriegen erstmal die Lage begriffen haben. Die Veränderungen im Außen stellen den Unternehmen die richtigen und wichtigen Fragen.

Was wir brauchen, sind Antworten. Antworten, wie Organisationen veränderungsfähig werden können. Antworten darauf, wie Menschen in Zukunft zusammenarbeiten. Antworten, wie sie Erfolg definieren. Antworten, Antworten, Antworten. Zu den Gewinnern werden diejenigen Unternehmen zählen, die Antworten finden. Und zwar schnell.

Wenn das Marktumfeld bunt, schnell, lebendig ist, sich laufend verändert und erneuert, dann haben Unternehmen nur eine einzige Chance: Sie müssen ihr lebendiges Potenzial entfesseln! Sie müssen selbst bunt und lebendig werden, sie müssen selbst in der Lage sein, sich ständig auf sinnvolle Weise zu verändern und zu erneuern. Wer das nicht schafft – oder nicht will –, bleibt liegen.

|17|Das bedeutet erstens: Unternehmen müssen so veränderungsfähig sein wie die Veränderung selbst. Das bedeutet zweitens: Unternehmen müssen maximale Innovationsfähigkeit auf allen Ebenen ermöglichen. Das bedeutet drittens: Unternehmen müssen Freiraum für die Initiative, Kreativität und Leidenschaft ihrer Mitarbeiter schaffen.

Um das zu erreichen, muss sich bei uns allen zuerst eine Stellschraube im Kopf lösen: Es genügt nicht mehr, das Gleiche wie bisher zu machen, nur vielleicht ein wenig besser. Im Klartext: Traditionelle Managementpraktiken zu verbessern oder einfach nur besser umzusetzen reicht nicht mehr aus! Wenn die Flut kommt und Ihnen das Wasser bis zum Hals steht, genügt es nicht, schneller zu laufen. Das ist das falsche Konzept. Sie müssen schwimmen!

Uns geht es um nicht weniger als um eine fundamental andere Art, Unternehmen zu führen. Um neues Denken. Das gelingt nur denjenigen Unternehmen, die aus der Fülle des verfügbaren menschlichen Wissens schöpfen, Freiraum gewähren und die Initiative und Kreativität jedes einzelnen Mitarbeiters fördern. Firmen, die so handeln, haben verstanden, wie technologischer Wandel und sozialer Wandel heute ineinandergreifen und sich gegenseitig verstärken.

Fest steht: Das geschlossene, hierarchisch organisierte Unternehmen mit seinen starren Arbeitsverhältnissen hat in einem solchen Umfeld keine Chance mehr!

WO FINDEN SICH DIE ANTWORTEN?

Wenn Unternehmen wissen wollen, was auf sie zukommt, brauchen sie keine Glaskugel, sondern einen Internetanschluss. Im Internet offenbart sich eine Welt, in der die Spielregeln von morgen schon heute gelten. Das Web ist der Reality-Check für jedes Zukunftsszenario. Die Strukturen im Internet sind die Blaupause für zukünftige Entwicklungen.

|18|Warum ist das so? Unweigerlich? Unausweichlich? Weil bereits die meisten derjenigen Mitarbeiter, die das Rückgrat jedes Unternehmens bilden, heute schon mit dem Web vertraut sind. Der Widerspruch zwischen der Realität im Internet und der Realität in ihren Unternehmen fällt ihnen auf wie eine E-Gitarre im Streichquartett.

Ein Beispiel: In ihrer Freizeit bewegen sich die Mitarbeiter in einer Online-Kultur, in der alle Ideen gleichberechtigt sind. Jeder kann zum Web-Lexikon Wikipedia beitragen, egal ob Professor oder Azubi. Was zählt, ist die Qualität der Aussage. Was taugt, bleibt stehen. Unausgegorenes dagegen wird von den anderen Nutzern gnadenlos gelöscht, auch wenn dessen Autor den Nobelpreis gewonnen hat. Im Internet kann niemand eine unbequeme Meinung unterdrücken oder eine ärgerliche Debatte abwürgen.

Im Unternehmen erleben Mitarbeiter dann oftmals etwas komplett anderes. Nicht die Idee zählt, sondern wer sie hatte. Zwar gilt prinzipiell die Gleichheit der Ideen – allerdings mit einem klitzekleinen Zusatz: Einige Ideen sind gleicher. Und das sind diejenigen, die die Unterstützung der mächtigen Alphatiere haben. Ideen, die nicht in dieses Machtgefüge passen, werden schnell unter den Teppich gekehrt und Abweichler mundtot gemacht.

Das Problem dieser real existierenden Parallelwelten: Mitarbeiter sind nicht blöd. Mitarbeiter merken das. In Zukunft werden Mitarbeiter darum immer weniger bereit sein, die Existenz dieser Parallelwelten zu akzeptieren. Was im Web möglich ist, muss dann auch im Unternehmen möglich sein. Oder das Unternehmen macht sich unmöglich.

Hinzu kommt, dass jetzt eine neue Generation ins Arbeitsleben eintritt. Die jungen und ambitionierten Mitarbeiter der „Net Generation“ bewegen sich im Internet wie Fische im Wasser. Für sie sind die Gepflogenheiten im Internet eine Art Geburtsrecht, das sie selbstverständlich auf ihre Arbeitsplätze übertragen.

|19|Peer Production und Kooperation finden dann nicht nur in Online-Communitys statt. Sondern auch in der Firma. Mitarbeiter wollen nicht nur in ihrer Freizeit bloggen, an Chatbörsen partizipieren, Wikis vervollständigen und per Mausklick über jede vorhandene Information verfügen können. Sondern auch in der Firma.

Uneingeschränkte Transparenz, gleichberechtigte Zusammenarbeit aller, das Teilen von Informationen und Ressourcen sowie die globale Perspektive bei jeder wichtigen Entscheidung sind die Kennzeichen dieser neuen Arbeitskultur. Wer als Arbeitgeber bei den jungen Top-Talenten aus der Net Generation überhaupt noch den Hauch einer Chance haben will, muss sich auf diese Realitäten einstellen.

Und zwar schnell. Diese Menschen sind keine Geiseln mehr einer Bruderschaft alter Männer in weißen Hemden. Management mittels Kommando-und-Kontrolle vertreibt diese Generation schneller, als der Chef „Aufstiegschancen“ sagen kann. Wer nicht selbstbestimmt arbeiten darf, wird sich einen anderen Ort suchen, an dem er es darf. Geografisch oder virtuell. Denn für wen es dank Internet, W-LAN und Flatrate egal ist, ob er seine Arbeit in Berlin, Barcelona oder Bridgetown macht, der braucht schon gute Argumente, wenn es Bietigheim-Bissingen sein soll.

Sich vorschreiben zu lassen, was wann wie zu tun ist, das akzeptieren talentierte, kreative und intelligente Menschen nicht mehr. Auch die Form der Zusammenarbeit verändert sich massiv, getrieben durch neue Technologien wie Social Networking und Web 2.0. Wenn ein Unternehmen heute einen 25-jährigen Universitätsabsolventen einstellt, sind für ihn Plattformen wie Facebook oder selbst organisierte Communitys ein ganz normaler Teil seiner |20|sozialen Umgebung. E-Mails und Telefonkonferenzen, die heute noch einen Großteil des traditionellen Arbeitsalltags bestimmen, sind für ihn dagegen hoffnungslos altmodisch. Die Folge ist, dass die Community-Kultur zwangsläufig in immer mehr Unternehmen Fuß fassen wird. Muss!

Und das passiert ja auch, jeder kann es sehen. In vielen Unternehmen arbeiten bereits heute globale Teams ganz selbstverständlich mit Wikis und anderen Kooperations-Tools an Forschungsvorhaben und Entwicklungsprojekten. Und das nicht nur in ausgesuchten Pilotprojekten. Sondern auf breiter Basis. Globale Integration und Web 2.0 werden in den nächsten Jahren die gesamte Organisation prägen. Das ist absehbar. Was noch?

WER HAT WAS ZU SAGEN?

Das Web ist flach, offen und demokratisch. Das bedeutet nicht, dass es im Web keine Hierarchien gibt. Ganz im Gegenteil. Es gibt tausende von Hierarchien im sozialen Gefüge des Internets. Es sind bloß keine formalen, sondern natürliche Hierarchien. Sie ergeben sich aus dem, wie Menschen tatsächlich kommunizieren und wie andere darauf reagieren. Wer beispielsweise die Blogosphäre durchsucht, merkt schnell, dass zwar rein äußerlich alle Blogger gleichberechtigt sind, es aber sehr wohl eine Einflusshierarchie gibt. Einige Blogger genießen hohe Aufmerksamkeit, andere werden maximal von ihren Freunden beachtet. Einige Blogger sind Meinungsführer, andere schreiben in erster Linie für sich selbst.

Seth Godin behauptet von sich, den meistgelesenen Marketingblog der Welt zu schreiben. Vermutlich hat er recht. Godin ist überaus präsent im Web und vertritt klare Standpunkte jenseits des Mainstreams. Über die Anhänger von Persönlichkeiten im Internet hat er sogar ein Buch geschrieben. Es nennt diese Gruppen von Anhängern „Tribes“, weil sie wie archaische Stämme einem charismatischen Anführer folgen. Eine wichtige Botschaft des Buches von Seth Godin lautet: Jeder und jede kann diese Führungsrolle erlangen. Entscheidend ist allein, was du sagst, was du tust und wer dir folgt.

|21|Niemand, der im Web einen herausgehobenen Status besitzt, hat diesen von einer höheren Autorität verliehen bekommen. Immer ist es die breite Basis der Nutzer, die Einfluss verleiht.

Das Internet kennt keinen Chef. Entscheidend ist, ob jemand etwas zu sagen hat, einen Wertbeitrag liefert und damit genügend andere Menschen überzeugt.

Und wer einmal einen bestimmten Status hat, kann ihn ganz schnell wieder verlieren. Hierarchien verändern sich ständig. Vererbbare Privilegien oder auch nur für längere Zeit erworbene Machtansprüche gibt es nicht mehr. Allein der Nutzen für alle im Hier und Jetzt zählt.

Im Web gilt: Natürliche Hierarchie schlägt formale Hierarchie.

Wann gilt das in Unternehmen? 

Wenn auch in Unternehmen die Chefs nicht mehr von einer nächsthöheren Instanz ernannt und auf unbestimmte Zeit in einer Machthierarchie installiert werden. Zunehmend sind Führungsrollen auch in Unternehmen das Produkt einer natürlichen Hierarchie. Diese kann sich von Projekt zu Projekt wieder ändern. Und dann gilt: Die Führungsrolle und die damit verbundene Anerkennung seitens der Mitarbeiter muss sich eine Führungskraft Tag für Tag neu erarbeiten. Wer sich nur auf seinen vergangenen Lorbeeren ausruht, dem folgt keiner mehr.

Bei dem Technologie-Unternehmen W.L. Gore & Associates hat man das schon begriffen. Hier gibt es bis auf wenige Ausnahmen weder Hierarchien noch Jobtitel, weder Chefs noch Abteilungsleiter oder Manager. Trotzdem gibt es Führungskräfte. Wie die zu ihrer Rolle kommen? Die Mitarbeiter stimmen mit den Füßen ab. Jeder darf zum Beispiel ein Meeting einberufen.

|22|Aber nur derjenige, zu dessen Besprechungen auch Leute erscheinen, hat tatsächlich eine Führungsrolle. Aber auch die ist nicht dauerhaft, sondern temporär und an den geleisteten Wertbeitrag geknüpft. Aber der CEO von Gore kam doch sicher wie üblich auf seinen Sessel? Nein. Wie kann das denn an der Spitze funktionieren? Ganz einfach: Eine repräsentative Gruppe von Mitarbeitern wurde gefragt, wem sie am meisten zu folgen bereit wäre. Heraus kam der Name des neuen Firmenchefs.

FÜHRENDE DIENER

Im Web hat niemand die Macht, irgendetwas einfach zu befehlen oder zu sanktionieren. Während die Leittiere im Unternehmen sich auf das klassische Belohnungs-Bestrafungs-Repertoire verlassen können, steht dieses Instrumentarium im Web nicht zur Verfügung. Wer andere Menschen für eine Sache einspannen will, der braucht überzeugende Argumente, ausgewiesene Expertise und muss sich uneigennützig verhalten. Wenn diese Prinzipien außer Acht gelassen werden, ist man im Web ganz schnell einsam.

Will beispielsweise jemand Moderator einer Gruppe beim Businessnetzwerk Xing werden, sollte er sich mit dem Thema auskennen, am besten sogar einigen in der Gruppe ein Begriff sein. Das ist aber noch lange nicht alles. Der Moderator muss jede Diskussion genau verfolgen. Läuft da irgendetwas aus dem Ruder, ist Fingerspitzengefühl gefragt. Drohungen wie: „Wer hier nicht in meinem Sinne mitzieht, fliegt raus! Bums, aus, Nikolaus!“, funktionieren nicht. Kluges Vermitteln ist angesagt. Und wer meint, immer ein bisschen schleimige Werbung für sein eigenes Business in seine Moderatorenbeiträge einflechten zu können, ist bald auch weg vom Fenster. Führen heißt hier: überzeugen.

Im Web gilt: Anführer präsidieren nicht, sondern dienen der Gemeinschaft. 

Wann gilt das in Unternehmen? 

|23|Wenn der Chef nicht mehr Chef ist, weil er Statusrechte reklamieren, Anordnungen erteilen oder Sanktionen verhängen kann, sondern weil er die überzeugendsten Argumente hat. Die Chefs der Zukunft stellen sich in den Dienst der Gemeinschaft. Sie haben eine Vision, von der sie zutiefst überzeugt sind und mit der sie andere begeistern und mitreißen. Wie Alberto Alessi zum Beispiel, der Inhaber der bekannten italienischen Designschmiede. Seinen rund 300 Designern gibt er keine Anweisungen, sondern er macht ihnen Vorschläge. Wenn ein Designer Interesse hat, ein vom Chef vorgeschlagenes Projekt zu verfolgen, fängt er einfach an. „Künstler sind wie Federn in der Luft“, hat Alberto Alessi einmal gesagt, „Man muss sie schweben lassen. Sobald man Wirbel verursacht, ist alles vorbei.“ Das ist die Überzeugung von Alessi. Und diese Überzeugung lebt er auch. “

Alessi definiert seine Rolle als die eines Koordinators. Er vergleicht sich dabei gern mit einem Museumsdirektor oder einem Filmproduzenten, dessen Aufgabe es ist, Talente so zusammenzufügen, dass ein einzigartiges Gesamtresultat entsteht. Im Fall des Produktdesigns muss ein Gegenstand dabei herauskommen, der Menschen begeistert. Der Koordinator muss selbst begeisterungsfähig sein, um diese Begeisterung zu erzeugen. Oder kann sich jemand einen Museumsdirektor vorstellen, dessen ganze Leidenschaft nicht der Kunst gilt? Einen Filmproduzenten, der bei der Oscarverleihung nicht mit schweißverklebten Händen mitfiebern würde? Wohl kaum.

Chefs, die sich als Koordinatoren von Talenten verstehen, sind auch nicht jene Testosteronvulkane, bei denen nur eine Meinung zählt – nämlich ihre eigene. Bei den Anführern neuen Typs mischt sich Leidenschaft für die Sache mit bewusst kooperativem Verhalten. Statt auf aggressives Nichtzuhören setzen sie auf intensive Kommunikation. Kommando und Kontrolle haben sie gar nicht nötig. Sie verstehen |24|sich als „soziale Architekten“, denn sie sind Integratoren, konzeptionelle Denker, kreative Problemlöser und bringen unterschiedliche Meinungen zusammen. Der Einfluss, den sie dazu brauchen, basiert weniger auf ihrer Rolle als auf ihrer Persönlichkeit.

WOLLEN ODER SOLLEN?

Im Internet entscheiden die User, ob sie sich an der Lösung einer Aufgabe beteiligen wollen, oder aber nicht. Ob sie bloggen, an einer Open-Source-Software mitprogrammieren oder interessante Informationen anbieten – wie und wo sie sich online einbringen, ist ihre Sache. Jeder ist frei, Arbeitskraft anzubieten, nachzufragen oder sich selbst mit seinen Interessen zu verwirklichen. Projekte, die auf freiwilliger Mitarbeit beruhen, sind ein lebendiger Beweis für diesen Trend: Wikipedia ist längst nicht nur das umfassendste, sondern auch das erwiesenermaßen aktuellste und beste Lexikon der Welt. Hatte Open-Source-Software vor zehn, fünfzehn Jahren noch das Image eines Randgewächses, so ist der Browser Firefox zum Beispiel heute in den meisten Ländern Marktführer. Und seit Apple seine iPhone-Software für die Programmierer von Applikationen – kurz: Apps – geöffnet hat, gibt es mehr solcher Miniprogramme als ein Mensch überhaupt auf sein Smartphone laden könnte.

Im Web gilt: Aufgaben werden gewählt, nicht verteilt.

Wann gilt das in Unternehmen? 

Wenn mündige und selbstständige Mitarbeiter immer öfter selbst entscheiden, an welchen Projekten sie sich beteiligen möchten. Wenn Mitarbeiter initiativ und kreativ an neuen, wertschaffenden Lösungen arbeiten und dabei selbst ganz genau wissen, was das Besondere an der Idee ist, die sie gerade verfolgen. Dabei handelt es sich zunehmend um Projekte, die aus der Sicht eines einzelnen Mitarbeiters sinnvoll und erfüllend sind.

Das sind die Aufgaben, für die sich diese Mitarbeiter mit all ihrer Leidenschaft engagieren werden. Der Rest interessiert sie nicht wirklich. |25|Sie wissen aber auch, dass sie sich diese Mitspracherechte verdienen müssen. Wer nur einen Job abarbeiten will, wird auch weiterhin das tun müssen, was der Chef ihm aufträgt. Und wird austauschbar. Die anderen werden ihre Wahlfreiheit begreifen und nutzen. So wie die Mitarbeiter von Ideo. Bei dem legendären Beratungsunternehmen für Produktdesign aus dem kalifornischen Palo Alto haben sich die Vorstellungen der jungen Mitarbeiter in den letzten Jahren stark verändert. „Die große Mehrheit der jungen Bewerber hat kein besonderes Interesse mehr daran, den Innovationsstau bei den großen Konzernen auflösen zu helfen“, verrät CEO Tim Brown. „Was sie wirklich interessiert, ist der Innovationsstau der Landwirtschaft in Afrika, sind sauberes Wasser und bezahlbare Gesundheit für alle Menschen in Indien oder die Probleme des Bildungssystems hier in Nordamerika.“

Unternehmen wird es nicht gelingen, diese Top-Talente allein mit hohen Gehältern und der Aussicht auf Projekte für schillernde Größen aus Dow Jones oder DAX zu locken. Bei Ideo hat man verstanden: Nicht die junge Generation muss sich den Gepflogenheiten des Unternehmens anpassen – sondern das Unternehmen muss sein Geschäftsmodell den Erwartungen der jungen Generation anpassen! „Wir müssen uns so verändern, dass wir die Dinge tun können, denen die Leidenschaft unserer Leute gilt“, sagt Tim Brown. Auf diese Herausforderung werden immer mehr Unternehmen überzeugende Antworten finden müssen.

FRAGEN, WEN ES BETRIFFT

Im Web sehen sich immer mehr Kunden auf Augenhöhe mit den Anbietern. Sie wollen nicht bloß irgendetwas konsumieren, sondern nehmen sich das Recht, Angebote aktiv mitzugestalten und weiterzuentwickeln. Sie geben Feedback, regen neue Produkte an und vernetzen sich mit anderen Kunden. Facebook beispielsweise hat diese Entwicklung bereits produktiv genutzt. Als eine spanische und eine |26|deutsche Version erstellt werden sollte, sorgte man nicht selbst für die Übersetzungen, sondern schuf eine Plattform und übertrug die Aufgabe den Nutzern, die sie erledigten. Der Konsument wird zum Prosument.

Facebook profitierte gleich mehrfach davon, denn man konnte sich noch weiter ausbreiten und gab damit den Usern noch mehr Anlass, Zeit mit dem sozialen Netzwerk zu verbringen und es weiterzuempfehlen. Allerdings hat ein solches Vorgehen auch einen Preis: Facebook musste im Gegenzug seine Infrastruktur öffnen und einige bis dahin wohl gehütete Interna preisgeben, denn nur so konnten Außenstehende auf der Plattform ihre Programmierungen auf Spanisch beziehungsweise Deutsch vornehmen. Facebook ging sogar noch einen Schritt weiter und nahm ein paar Anwendungen wieder heraus, die von eigenen Programmierern bereits entwickelt worden waren. Man war der Meinung, die Community könne das besser.

Im Web gilt: Kunden sind Partner auf Augenhöhe. 

Wann gilt das in Unternehmen? 

Wenn Unternehmen verstanden haben, dass Kunden nicht mehr bloße Konsumenten sind und ihnen auf allen Ebenen Möglichkeiten geben, mitzumachen und mitzugestalten. Wenn Veränderungen von Produkten nicht mehr von Rechtsabteilungen als Urheberrechtsverletzungen verfolgt, sondern von Managern als erster Prototyp einer möglichen Produktinnovation verstanden werden.

Kunden entlarven deshalb heute schon jedes leere Markenversprechen und akzeptieren nicht länger den Allgemeingültigkeitsanspruch der strategischen Markenführung. Ein Unternehmen, das sein Markenversprechen nicht hält, wird im Internet gnadenlos an den Pranger gestellt. Der wichtigste Grundsatz in der Kundenbeziehung lautet heute: Die Marke gehört den Kunden! Unternehmen, die das begreifen, haben die Chance, eine sehr loyale Community aufzubauen. Der amerikanische Outdoor-Ausrüster Backcountry zum Beispiel verzichtet auf eigene Produktbeschreibungen und lässt diese von seinen Kunden verfassen. Damit gibt das Unternehmen einen |27|Teil der Verantwortung für die Marke an die Kunden ab. Dieses Vertrauen und diese Offenheit honorieren Kunden mit sehr hoher Loyalität.

DER VORTEIL DER VIELEN

Im Internet entstehen die besten Ergebnisse, wenn eine möglichst große Zahl von Menschen sich mit möglichst vielen Ideen beschäftigt und diese gemeinsam weiterentwickelt. Das Web hat eines unserer hartnäckigsten kulturellen Vorurteile längst widerlegt, nämlich dass es die „gottbegnadeten Genies“ sind, die mit ihren genialen Eingebungen den Fortschritt der Menschheit vorantreiben. Das Internet ermöglicht es erstmals Menschen, die an ähnlichen Ideen arbeiten, sich in großem Stil weltweit zu vernetzen, sich auszutauschen und Ideen kooperativ weiterzuentwickeln. Und das Web eröffnet die Möglichkeit, diese Menschen mit klugen Köpfen aus komplett anderen Bereichen zusammenzubringen, die aus ihrer Randperspektive oft den entscheidenden Zündfunken beitragen.

Im Web gilt: Ideen kursieren frei und die Masse ist intelligent.

Wann gilt das in Unternehmen? 

Wenn die Herrschaft der Experten beendet wird und alle verstanden haben, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Menschen zu Innovationen beitragen kann. IBM hat das bereits verstanden. Im Jahr 2006 veranstaltete das vor seiner Transformation als bürokratischer „Big Blue“ verschriene Unternehmen den „IBM Innovation Jam“. Dabei galt es, die „Intelligenz der Vielen“ systematisch zu nutzen. Mehr als 140.000 Menschen aus 104 Ländern tauschten online ihre Ideen aus. Das waren Mitarbeiter und deren Angehörige, aber auch Kunden oder Wissenschaftler. Aus alledem entstanden schließlich konkrete Innovationsprojekte. Natürlich gab es bei diesem „Jam“ auch jede Menge kontroverse Diskussionen und unbequeme Meinungen. Das alles wurde aber nicht als unerwünscht unterdrückt, sondern als produktive Grundlage für eine kluge Strategie betrachtet.

|28|Wer die Intelligenz der Vielen nutzen will, muss die Klostermauern um sein Unternehmen einreißen. In dem Maße, in dem durch das Internet jedermann Werkzeuge zugänglich sind, um Informationen, Ideen und Meinungen weltweit zu verbreiten, verschiebt sich die Macht von Organisationen hin zu Individuen. Ein einzelner unzufriedener Kunde oder frustrierter Mitarbeiter kann heute ein mittleres PR-Erdbeben lostreten. Die klassische Unternehmenskommunikation ist dagegen chancenlos. Hier gibt es nur eins: Unternehmen müssen nicht nur transparent kommunizieren, sondern auch transparent sein.

VERSUCH ES EINFACH!

Bei Photoshop kann jeder seine Fotos online bearbeiten und über Flickr kann er sie der ganzen Welt zeigen. Mit vielen Handys lassen sich heute Videos aufzeichnen und auf Videnio dann schneiden, um sie schließlich auf YouTube zu posten. Mit Snappages kann jeder online eine eigene Website erstellen. Bei Pandora Radio können Laien ihr eigenes Radioprogramm machen. Software ermöglicht allen Menschen heute, Dinge zu tun, die noch vor einem Jahrzehnt Profis vorbehalten und nur mit entsprechend kostspieligem Equipment zu verwirklichen waren. Wir sind die erste Generation in der Geschichte, die von sich sagen kann, dass ihre Grenzen die Grenzen ihrer Vorstellungskraft sind.

Die Qualität der Inhalte, die Millionen jeden Tag ins Netz stellen, erstreckt sich über die volle Bandbreite von qualitativ hochwertigen Inhalten und fruchtbaren Diskussionen bis hin zu echtem Schrott. Nichtigkeiten und anrührend intime Neuigkeiten, die wir eigentlich gar nicht wissen wollen. Gerade in der Blogosphere ist das Mitteilungsbedürfnis schier grenzenlos, der Nutzwert der Informationsflut allerdings eher grenzwertig. Banalitäten vom Typus „Bin Krank. Heute dritter Tag – liege im Bett und fühl mich schlapp. Wieder Durchfall. Nachbarn erschrecken, wenn sie mich im Schlafanzug zum Müll schlurfen sehen“ setzen schon ein echtes Interesse am Absonderer dieser Informationen voraus – oder ein Zuviel an Tagesfreizeit.

|29|Uns geht es hier um etwas anderes: Entscheidend ist, dass jeder Mensch die Chance hat, sich kreativ zu betätigen. Er kann Autor sein. Fotograf. Filmer. Designer. Musiker. Grafiker. Die Hilfsmittel sind vorhanden. Die globale Plattform zur Verbreitung der Ergebnisse der kreativen Arbeit ist vorhanden. Wichtig ist, dass dabei jede Stunde, ja jede Minute Millionen von kreativen Experimenten stattfinden. Und neu ist, dass dafür allen die geeigneten Werkzeuge zur Verfügung stehen.

Im Web gilt: Jeder Mensch ist kreativ und experimentiert permanent.

Wann gilt das in Unternehmen? 

Wenn Unternehmen aufhören, Kreativität nur den „Kreativen“ zuzutrauen und Innovation als Domäne der Abteilung Forschung und Entwicklung zu betrachten. Aufgrund dieser Denkblockaden nutzen Unternehmen heute nur einen Bruchteil des Erfindungsreichtums ihrer Mitarbeiter und sind deshalb weit davon entfernt, ihr lebendiges Potenzial zu entfalten. Diese Ressourcenverschwendung wird sich in Zukunft kein Unternehmen mehr leisten können. Es genügt aber nicht, wenn Unternehmen Mitarbeiter einfach auffordern, doch mal kreativ zu sein und ein bisschen zu experimentieren. Mitarbeiter brauchen professionelles Training sowie die erforderlichen Werkzeuge. Außerdem brauchen sie Freiräume für „ernsthaftes Spiel“. Und das funktioniert nur auf der Basis von Vertrauen, Offenheit und Experimentierfreude.

Niemand kann heute mit absoluter Gewissheit sagen, wie die richtigen Antworten einzelner Unternehmen auf die bevorstehenden Umwälzungen aussehen werden. Fest steht nur, dass Unternehmen bereits jetzt tiefgreifende Veränderungen umsetzen müssen, um zu überleben. Die Zeit drängt. Diese Situation ist Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil wir zwangsläufig Rückschläge erleiden werden. Segen, weil wir die Freiheit haben, unseren eigenen Weg auszuloten. Experimentieren heißt Risikostreuung |29|durch Variation, heißt sämtliche Möglichkeiten nach geeigneten Entwürfen zu durchsuchen und nur das weiterzuverfolgen, was tauglich ist. So hat übrigens schon Microsoft sein Betriebssystem Windows entwickelt. Windows war nicht das Ergebnis eines genialen Masterplans des Software-Superhirns Bill Gates. Sondern Windows war das Resultat von sechs ergebnisoffenen strategischen Experimenten, die das Unternehmen in den 1980er-Jahren parallel verfolgt hat.

|30|SCHLACHTET DIE HEILIGEN KÜHE!

Na ja, ist ja alles schön und gut. Web-2.0-Gedöhns und so. Kann ja alles sein. ABER IN UNSEREM UNTERNEHMEN FUNKTIONIERT DAS NICHT! Nie und nimmer! Natürliche Hierarchien, Führungskräfte, die sich in den Dienst der Gemeinschaft stellen, Mitarbeiter, die selbst entscheiden, welchen Projekten sie sich anschließen wollen – das ist doch, als ob die Tiere im Zoo den Zoodirektor ablösen wollten. Das ist völliger Irrsinn. Wie soll das denn gehen?

Ja, ja. Die Stimme im Kopf Ihres Chefs, die Stimme im Kopf Ihres Kollegen ... oder die Stimme in Ihrem Kopf? Alle Killerphrasen, Ausreden, Bedenken, Widerstände, Einwände und Abwehrreaktionen helfen nicht. Tut uns leid. Es ist kein unumstößliches Naturgesetz, dass Mitarbeiter wie unmündige Kinder behandelt werden müssen, dass Informationen abgeschottet werden müssen, dass immer Recht hat, wer auf dem Affenberg weiter oben sitzt oder dass Kunden minderschlau sind. Das alles sind doch nur alte Dogmen, eine humpelnde Herde altersschwacher heiliger Kühe, unumstößlich erscheinende Glaubensgrundsätze, an denen wir unreflektiert festhalten.

Diese Veränderungen, dieses Amalgam aus technologischem und sozialem Wandel findet nicht in einem Paralleluniversum statt, sondern |31|entfaltet sich gerade mit voller Kraft – mitten unter uns. Sie können das momentan vielleicht noch als Phänomene des Internets betrachten. Wenn Sie möchten. Aber nur noch wenige Jahre, dann haben auch die trägsten der trägen Organisationen die Prinzipien der neuen Wirtschaftswelt, die im Internet quasi als Trailer laufen, verinnerlicht – oder existieren nicht mehr.

Ungläubige Skeptiker, die Revolutionen selbst dann noch leugnen, wenn sie fast schon vor dem eigenen Fenster angekommen sind, hat es zu allen Zeiten gegeben. In dem Buch „The Future of Work“ von Thomas Malone gibt es dazu eine schöne Geschichte. Leicht abgewandelt geht sie so:

Sie sind ein Schneider im Preußen des Jahres 1795. Ihr König heißt Friedrich Wilhelm II. und genießt das Leben in den Gärten von Potsdam. Anders als die alten Ägypter und die alten Römer glauben Sie zwar nicht mehr, dass Ihr König ein Gott ist, der auf Erden lebt. Aber Sie glauben sehr wohl, dass er das göttliche Recht hat, Sie zu regieren. Es sprengt Ihre Vorstellungskraft, dass es irgendwo ein Land geben könnte, das auch ohne einen König, der die Leute beschützt und über sie wacht, gut regiert werden könnte.