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Der erfolglose Schriftsteller Easton Williams lebt zurückgezogen mit seiner Tochter in einem abgelegenen Herrenhaus in Worthing in Südengland, welches er vor Jahren von seinem Großonkel geerbt hat. Als eines Tages die neue Bedienstete Stephanie ihren Dienst antritt und mit ihrer erwachsenen Tochter Jana ins Domizil einzieht, scheint Eastons schriftstellerische Blockade ein Ende zu finden. Jana inspiriert ihn, und er freundet sich immer mehr mit ihr an. Easton und Jana beginnen eine heimliche Beziehung gegen jede Regeln. Aber als schließlich die Beziehung der Beiden auffliegt, geschehen plötzlich eigenartige Dinge im Ort und Easton kann bald nicht mehr zwischen der Wirklichkeit und den Geschichten, die er schreibt, unterscheiden... Eine dramatische Familien-Saga über einen Autor, der mit seinen Geschichten ein ganzes Dorf aufwühlt. Authentisch, spannend, liebevoll.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Inhaltsverzeichnis
Widmung
Kapitel 1 - Der Schreiber
Kapitel 2 - Familie Willow
Kapitel 3 - Faith und Gil
Kapitel 4 - Der Einzug
Kapitel 5 - Kitty und Jojo
Kapitel 6 - Die erste Begegnung
Kapitel 7 - Das Gartenhaus
Kapitel 8 - Widerstand der Jugend
Kapitel 9 - Ich komm' zu Hause an
Kapitel 10 - Sednas Hilfeschrei
Kapitel 11 - Die Rivalen
Kapitel 12 - Wenn Geheimnisse ans Tageslicht kommen
Kapitel 13 - Im Untergrund
Kapitel 14 - Neues Leben in Sekundenschnelle
Kapitel 15 - Willkommen in der Welt, Leonie
Kapitel 16 - Bei den Douchantes
Kapitel 17 - Böse Hexe oder gute Hexe
Kapitel 18 - Hochzeit im Hause Riley
Kapitel 19 - Hexaby
Kapitel 20 - Sehnsucht
Kapitel 21 - Synthori
Kapitel 22 - Verlassen
Kapitel 23 - Düstere Zeiten
Kapitel 24 - Der große Fall
Kapitel 25 - Die Hochzeit von Easton und Jana
Über den Autor Elias J. Connor
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Impressum
Für Jana.
Meine Freundin und Weggefährtin.
Danke, dass es dich gibt.
Danke, dass du das Licht in mein Leben bringst.
Die Morgenstunden ziehen sich träge durch die hohe Decke meines Arbeitszimmers, ein Raum voller Schatten, die sich an den Wänden sammeln, als hätten sie es sich hier bequem gemacht. Ich sitze am alten Schreibtisch meines Großonkels, der mir das Haus hinterlassen hat, als wäre er mit mir in einem stillen Wettstreit, dem Versuch, mich zu ermutigen, zu erschaffen, was ich nicht erschaffen kann. Der Schreibtisch selbst ist ein massiver Block aus dunklem Eichenholz, gezeichnet von der Zeit und von vielen unerledigten Geschichten. Die Holzoberfläche ist so glatt, dass sie fast unheimlich wirkt, und ich kenne jeden Knick und jede Kerbe in diesem alten Möbelstück, als wäre es ein vertrauter Freund.
Vor mir liegt ein leeres Notizbuch, dessen Seiten mich herausfordern und verunsichern zugleich. Der Kugelschreiber in meiner Hand fühlt sich schwer an, als wäre er von einer unsichtbaren Last beschwert, die meine eigenen Gedanken widerspiegelt. Die Worte, die ich schreiben möchte, sind wie Geister, die mir entglitten sind, und ich vermag sie nicht zu fassen, egal wie sehr ich es versuche. Das blasse Licht, das durch die hohen Fenster strömt, taucht den Raum in ein sanftes, melancholisches Licht, das sich wie eine erdrückende Decke über meine Gedanken legt.
Draußen spielen die Vögel eine unsichtbare Melodie, die sich in den Ästen der alten Eichen und Kastanien verfangen hat, die das Grundstück umgeben. Die Bäume scheinen Geschichten zu flüstern, die ich nicht hören kann. Vielleicht ist es der Klang vergangener Zeiten, der in diesem Haus verankert ist, oder einfach die Erinnerung an meine Frau, die jeden Winkel dieses alten Gemäuers durchdringt. Wenn ich durch das Fenster sehe, fühle ich mich an sie erinnert – an ihre sanften Augen und ihr Lächeln, das selbst in den dunkelsten Momenten Licht brachte. Es ist, als ob sie noch hier wäre, in den Schatten, die sich über das Land legen, und in der Stille, die manchmal so laut ist, dass sie mich beinahe verrückt macht.
Ich drehe den Kugelschreiber in meiner Hand und versuche, mich zu konzentrieren, doch meine Gedanken schweifen immer wieder zu ihr. Ihre Stimme, ihre Art, wie sie lachte und mir Geschichten erzählte – alles scheint so weit entfernt, wie ein Traum, den ich nicht festhalten kann. Sie ist nicht mehr da, und ich bin zurückgeblieben, allein mit der Last ihrer Abwesenheit und dem Erbe, das mir wie eine schwere Kette an den Beinen hängt.
Die ständigen Erinnerungen an sie haben mich nicht nur daran gehindert, meinen Roman zu schreiben, sondern auch daran, in irgendeiner Weise einen Sinn in diesem neuen Leben zu finden, das ich seit ihrem Tod führe. Die Villa, die ich geerbt habe, sollte mein Rückzugsort und meine Quelle der Inspiration sein. Stattdessen fühlt es sich oft an, als würde sie mich erdrücken, als wäre sie nur ein weiteres Symbol meines Versagens, mich von meiner Vergangenheit zu lösen.
Ich stehe auf und gehe zum Fenster, um einen besseren Blick auf den Garten zu werfen. Der große Garten ist ein Zeugnis vergangener Jahre, mit seinen verwilderten Beeten und den überhängenden Ästen, die sich wie alte Freunde um das Grundstück legen. In der Ferne sehe ich den alten Pavillon, der in den letzten Jahren kaum genutzt wurde. Es war ein Ort, den meine Frau und ich oft besucht haben, wenn wir Zeit für uns selbst haben wollten. Heute wirkt er wie eine Ruine, die die Zeit überdauert hat, ein stiller Wächter der Vergangenheit, der nichts anderes als Erinnerungen bewahrt. Für einen Moment fühlt es sich wieder so an wie damals. Damals, als sie noch da war.
„Easton?“
Die Stimme meiner Tochter Sedna hallt durch den Flur und lässt mich zusammenzucken. Sie ist noch nicht zurück von der Schule, aber manchmal scheint es, als wäre sie hier, als würde sie meinen Namen in den Wänden des Hauses hören. Ich gehe zur Tür und öffne sie, aber der Flur ist leer.
Ich gehe zurück zum Schreibtisch und versuche, mich wieder auf das leere Blatt Papier vor mir zu konzentrieren. Doch der Raum fühlt sich plötzlich erdrückend an, und ich beginne zu zweifeln. Was, wenn ich nie wieder in der Lage bin, einen weiteren Roman zu schreiben? Was, wenn dieser Ort, der einst wie eine Quelle der Inspiration wirkte, sich jetzt nur noch wie ein Käfig anfühlt?
Die Stille wird nur durch das gelegentliche Rascheln der Blätter im Wind unterbrochen. In meinem Kopf sind Gedanken wie stürmische Wellen, die an den Klippen zerschellen. Ich erinnere mich an die Worte meiner Frau, als sie mir riet, immer weiter zu machen, egal wie schwierig es auch werden mag. Sie hat gesagt, dass der wahre Kampf nicht darin besteht, die Worte zu finden, sondern darin, an sie zu glauben.
Ich schließe meine Augen und versuche, ihre Stimme in meinem Kopf nachzuvollziehen. „Glaub an dich selbst“, hatte sie gesagt. „Die Worte werden kommen, wenn du es am wenigsten erwartest.“ Doch wie lange soll ich noch warten? Wie viele leere Seiten muss ich durchblättern, bevor ich endlich den Fluss der Inspiration finde, der mich wieder zu einem echten Schriftsteller macht?
Plötzlich höre ich das Geräusch von Schritten auf der Treppe, und ich weiß, dass Sedna bald da sein wird. Ihre Rückkehr bringt eine gewisse Unruhe in meine Gedanken, aber auch ein Gefühl der Erleichterung. Vielleicht wird ihre Anwesenheit mir helfen, aus diesem emotionalen Sumpf herauszukommen, in dem ich mich so oft befinde.
„Papa?“
Sedna steht im Türrahmen, die Schuluniform noch ordentlich, ihre dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre Augen sind immer noch von der Unschuld und dem Entdeckungsdrang einer Teenagerin erfüllt, auch wenn sie manchmal eine Besorgnis zeigt, die ich nur schwer begreifen kann.
„Hallo, Sedna“, sage ich und versuche, ein Lächeln aufzusetzen, das nicht ganz authentisch wirkt. „Wie war die Schule?“
„Ganz okay“, antwortet sie und tritt ein. „Hast du schon etwas geschrieben?“
Ich schüttle den Kopf und weiche ihrem Blick aus.
„Nicht wirklich. Es ist ein harter Kampf. Aber es wird schon wieder.“
Sedna nickt, als ob sie versteht, aber ich kann in ihren Augen die Frage sehen, die sie nicht auszusprechen wagt. Sie fragt sich wahrscheinlich, warum ich nicht einfach aufhöre und etwas anderes tue, warum ich mich so sehr quäle, wenn ich doch schon so lange nichts erreicht habe. Vielleicht fragt sie sich auch, ob es jemals wieder besser wird oder ob wir uns immer in diesem Labyrinth der Erinnerung und des Zweifels verlieren werden.
„Ich habe dir eine Kleinigkeit mitgebracht“, sagt sie schließlich und hält mir ein kleines Päckchen entgegen. „Es ist etwas, das ich in der Schule gemacht habe.“
Ich nehme das Päckchen und öffne es vorsichtig. Darin befindet sich ein handgemachtes Lesezeichen, das sie im Kunstunterricht gemacht hat. Es ist liebevoll verziert mit bunten Farben und kleinen Zeichnungen. In der Mitte steht in unregelmäßiger Schrift: „Für Papa – damit du nie den Mut verlierst.“
Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, und für einen Moment fühle ich mich wie der Vater, der ich sein möchte – stark, unterstützend, und voller Hoffnung. Vielleicht ist es die Erinnerung an meine Frau, die mich immer wieder zurückhält, oder die Zweifel, die mich plagen, aber in diesem Augenblick fühle ich mich einfach nur von der Liebe meiner Tochter berührt.
„Danke, Sedna“, sage ich und umarme sie fest. „Das ist wirklich schön.“
„Ich dachte, es könnte dir helfen“, sagt sie und lächelt verlegen. „Vielleicht bringt es ein bisschen Farbe in die leeren Seiten.“
„Das tut es auf jeden Fall“, erwidere ich. „Vielleicht ist es genau das, was ich gebraucht habe.“
Wir verbringen den Nachmittag zusammen, und ich merke, wie die Wärme ihrer Anwesenheit langsam die Kälte des Raumes vertreibt. Wir reden über ihre Schultage, ihre Freunde und die kleinen Abenteuer, die sie erlebt hat. Ihre Begeisterung und Ungezwungenheit wirken ansteckend, und ich finde mich dabei wieder, die Sorgen für einen Moment zu vergessen.
Als sie schließlich in ihrem Zimmer verschwunden ist, gehe ich zurück an den Schreibtisch. Das Lesezeichen liegt vor mir und erinnert mich an die einfache Wahrheit: Manchmal ist es der Glaube anderer, der uns hilft, unseren eigenen Glauben nicht zu verlieren. Ich nehme den Kugelschreiber in die Hand und beginne zu schreiben, die Worte kommen langsam, aber sie kommen. Schritt für Schritt, Seite für Seite. Und wenn ich genug geschrieben habe, werde ich es in den PC übertragen können, um den Roman richtig zu beginnen.
Vielleicht wird die Schreibblockade nicht sofort verschwinden, aber ich weiß jetzt, dass ich nicht allein bin. Die Erinnerung an meine Frau, die Liebe meiner Tochter und die stille Stärke dieses alten Hauses sind alle Teile eines Puzzles, das darauf wartet, zusammengesetzt zu werden. Und vielleicht ist das der erste Schritt auf dem Weg, wieder ein echter Schriftsteller zu werden.
Es ist schon spät, und die Dunkelheit hat sich wie ein dichter, schwarzer Vorhang über das große Haus in Worthing gelegt. Ich sitze an meinem Schreibtisch, umgeben von einem Chaos aus Notizbüchern, zerknüllten Papieren, dem PC und leeren Tassen. Der einzige Lichtschein stammt von der Schreibtischlampe, die einen gelben Fleck auf die Tischplatte wirft. Die Kälte des raumhohen Fensters, das ich geöffnet lasse, um frische Luft zu bekommen, mischt sich mit der Wärme der unzähligen Gedanken, die mir durch den Kopf schießen.
Seit Stunden kritzle ich in mein Notizbuch, versuche, meine Gedanken zu ordnen und die Fragmente meiner neuen Geschichte zu einem kohärenten Ganzen zu fügen. Jeder Satz, den ich aufschreibe, scheint mich mehr zu entmutigen als zu inspirieren. Ich verliere mich in den Details, die mich nicht weiterbringen. Die Charaktere scheinen starr und leblos, die Dialoge hinken hinterher, als ob sie durch einen Schleier aus Trägheit sprechen würden. Die erste Euphorie ist längst verflogen, und die Realität hat mich mit ihren unbarmherzigen Fesseln eingeholt.
Es ist mittlerweile weit nach Mitternacht, und mein Computerbildschirm strahlt mir in einem trüben Weiß entgegen. Der Cursor blinkt ungeduldig, als ob er meine Unentschlossenheit verspottet. Ich starre auf die leeren Zeilen, versuche verzweifelt, meine Gedanken zu bündeln, doch die Worte kommen nicht. Die leeren Zeilen bleiben leer, und der Gedanke, dass ich nicht in der Lage bin, etwas Wertvolles zu schaffen, frisst mich auf.
„Es wird nie etwas daraus“, murmle ich, meine Stimme ist rau und dünn, ein Echo in der Stille des Hauses. Ich schließe den PC resigniert und lasse mich zurück auf den Stuhl sinken, der mittlerweile seine Form an meine Körperkonturen angepasst hat. Ein kurzer Blick auf das Notizbuch zeigt mir die skizzenhaften Notizen, die mich nicht weiterbringen. Vielleicht hätte ich schon längst aufgeben sollen. Vielleicht wäre es besser, wenn ich einfach einen Schlussstrich ziehen würde und die Geschichte auf Eis lege.
Ein weiteres Mal kehren meine Gedanken zu Sedna zurück. Ich erinnere mich an ihre Worte vor ein paar Wochen, als sie in ihrem üblichen unverblümten Tonfall sagte: „Das Haus ist viel zu groß und viel zu leer, nur mit uns beiden.“ Sie hatte sogar vorgeschlagen, ein oder zwei Zimmer unterzuvermieten, aber ich habe die Idee vehement abgelehnt. Der Gedanke, Fremde in unser Heim zu lassen, fühlt sich an, als würde ich einen Teil von mir selbst aufgeben. Wir sind schon so lange alleine hier, seit dem Tod von Emily – seit wir uns in diese große, leere Hülle zurückgezogen haben, als ob wir sie als Schutz vor der Welt benötigten.
Im Geiste gehe ich durch die Räume des Hauses. Das Wohnzimmer ist weit und karg, die Möbel sind alt und abgewetzt, und der große Kamin in der Ecke wirkt wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Das Esszimmer ist nur wenig besser – ein großer Tisch, an dem wir uns nur selten aufhalten. Die Küche, die ich oft vernachlässige, ist ein Raum, der nur dann lebt, wenn Sedna darin kocht. Die meisten Tage verbringe ich mit Fertiggerichten oder schnellen Sandwiches, die ich mir am Abend mache.
Ich stehe auf und lasse meine Schritte über den Flur hallen, gehe zur Treppe und steige die Stufen hinauf. Oben befinden sich die Schlafzimmer und einige unbenutzte Räume, die wir in den letzten Jahren nie betreten haben. Der Gedanke an diese leeren Räume schmerzt irgendwie – es ist, als ob sie uns immer wieder an die Abwesenheit von Leben und Lachen erinnern. Meine Hand streicht über die Tür eines der Gästezimmer, in dem sich nur ein Bett und ein paar Kisten mit alten Erinnerungen befinden. Es ist dunkel dort, und das ist schon länger so.
Ich schlüpfe durch die Tür meines Arbeitszimmers, das wie ein persönlicher Zufluchtsort wirkt. Hier befinden sich meine Bücherregale, vollgestopft mit Geschichten und Erinnerungen. Der große Schreibtisch steht vor dem Fenster, das einen weiten Blick auf den Garten und die dunkle Straße draußen bietet. Die Landschaft ist nur schwach erleuchtet von den fahlen Straßenlaternen, die den Rand des Dorfes erhellen.
Durch das Fenster blicke ich hinaus auf Worthing, das kleine Dorf in Südengland. Die Landschaft ist um diese Stunde ruhig und fast gespenstisch. Die Häuser sind oft klein und bescheiden, mit blühenden Gärten, die jetzt in der Dunkelheit verborgen sind. Die Straßen sind leer, und nur das gelegentliche Knarren eines alten Holzzauns durchbricht die Stille. Die Menschen hier sind freundlich, doch ihre Leben wirken in dieser späten Stunde ebenso still wie das Dorf selbst.
Die Häuser in der Nähe des Marktplatzes sind hübsch und traditionell, mit ihren Schieferdächern und den charmanten Fachwerkfassaden. Es gibt ein paar alte Pubs und Cafés, die am Tage vor Leben pulsieren, doch jetzt sind sie leer und verlassen. Die weichen Lichter der Laternen werfen lange Schatten auf die Pflastersteine, und ich stelle mir vor, wie der Wind durch die leeren Straßen weht, als ob er auf der Suche nach etwas wäre, das er nicht finden kann.
Mit einem Seufzer lasse ich mich in den Sessel sinken und blicke auf die Stille der Nacht, die mich zu erdrücken scheint. Die Gedanken an Sedna und die unbenutzten Zimmer kommen mir wieder in den Sinn. Ihre Worte hallen in meinem Kopf wider, und ich frage mich, ob sie vielleicht Recht hatte. Ein paar Zimmer zu vermieten, könnte nicht nur das Haus wiederbeleben, sondern vielleicht auch mir neue Inspiration bringen.
Der Gedanke ist verlockend, aber auch beängstigend. Was, wenn die neuen Bewohner nicht ins Bild passen? Was, wenn sie den Raum nicht nur füllen, sondern auch die Ruhe, die ich schätze, stören? Vielleicht ist es nur eine Flucht vor der Verantwortung, vor der Unzufriedenheit, die ich in meiner Arbeit verspüre.
Mit einem letzten Blick auf das Dorf draußen und die Dunkelheit, die es umhüllt, stehe ich auf und beschließe, ins Bett zu gehen. Die Gedanken wirbeln noch in meinem Kopf herum, aber ich bin zu müde, um sie weiter zu verfolgen. Der frühe Morgen wird bald anbrechen, und ich werde sehen, wie ich mit neuen Ideen und vielleicht ein wenig mehr Mut in den Tag starte.
Der Schlaf ist mir allerdings nicht sofort vergönnt. Während ich in der Dunkelheit liege, versuche ich, meine Gedanken zu ordnen, doch die Stille und die Leere des Hauses um mich herum sind fast erdrückend. Vielleicht ist es an der Zeit, etwas zu verändern, vielleicht ist es an der Zeit, mich meinen Ängsten zu stellen und neue Wege zu beschreiten.
Die Müdigkeit überwältigt mich schließlich, und ich schließe die Augen, in der Hoffnung, dass die kommenden Tage mir die Klarheit bringen werden, die ich so dringend benötige.
Stephanie Willow sitzt am Schreibtisch, ihre Hände zittern leicht, während sie auf die Tür ihres Chefs starrt. Die Uhr an der Wand tickt unerbittlich. Jede Sekunde fühlt sich an wie eine Ewigkeit, in der sie auf das Unvermeidliche wartet. Sie weiß, dass das Gespräch, das gleich stattfinden wird, nicht gut ausgehen kann. Seit Wochen schiebt sie es vor sich her, die ständigen Auseinandersetzungen mit ihrem Chef, Mr. Bergmann, der zunehmend ungeduldiger wird. Doch heute gibt es kein Entkommen mehr.
Die Tür öffnet sich mit einem leisen Knarren, und Mr. Bergmann tritt ein. Er ist ein großer Mann, sein Gesicht ist hart, und seine Augen funkeln kalt hinter den schmalen Brillengläsern. Stephanie zieht unwillkürlich den Kopf ein, als er sich ihr gegenüber an den Schreibtisch setzt.
„Mrs. Willow“, beginnt er mit einer Stimme, die keine Emotionen verrät. „Ich denke, Sie wissen, warum wir hier sind.“
Stephanie nickt stumm. Sie hat den Kloß in ihrem Hals, den sie nicht heruntergeschluckt bekommt. Alles in ihr sträubt sich gegen dieses Gespräch, aber sie muss es führen, muss sich dieser Situation stellen.
„Sie haben in den letzten Wochen zu oft gefehlt“, fährt Mr. Bergmann fort. „Das mag aus Ihrer Sicht verständlich sein, aber aus unternehmerischer Sicht ist das nicht tragbar. Ihre Arbeit bleibt liegen, Deadlines werden nicht eingehalten. Es gibt Kollegen, die sich über die Mehrarbeit beklagen.“
„Es tut mir leid“, beginnt Stephanie, ihre Stimme bebt leicht. „Meine Tochter... sie hat Schwierigkeiten, einen passenden Studienplatz zu finden. Sie braucht meine Unterstützung, Mr. Bergmann. Jana ist Autistin, und das macht es besonders schwer für sie. Ich wollte Sie nicht in eine schwierige Lage bringen, aber ich musste ihr helfen.“
Mr. Bergmann verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich zurück.
„Ich verstehe, dass Ihre Tochter für Sie Priorität hat, Mrs. Willow. Aber Sie müssen auch verstehen, dass das Unternehmen funktionieren muss. Wir können nicht auf Dauer die Last Ihrer Abwesenheit tragen.“
Stephanie spürt, wie die Tränen in ihr hochsteigen, doch sie kämpft dagegen an. Sie darf jetzt nicht zusammenbrechen. Sie muss stark bleiben, muss eine Lösung finden.
„Bitte, Mr. Bergmann“, sagt sie mit einem flehenden Unterton. „Geben Sie mir noch eine Chance. Ich werde versuchen, meine Abwesenheiten zu minimieren, vielleicht kann ich einige Aufgaben von zu Hause aus erledigen. Ich brauche diesen Job.“
Mr. Bergmann schüttelt den Kopf.
„Es tut mir leid, Mrs. Willow, aber das geht nicht mehr so weiter. Wir haben bereits eine Vertretung für Ihre Position gefunden. Sie müssen Ihre Sachen packen und das Büro bis Ende des Tages verlassen.“
Stephanie spürt, wie die Welt um sie herum zusammenbricht. Die Worte ihres Chefs hallen in ihrem Kopf wider, als würde ihr jemand einen schweren Schlag in die Magengrube verpassen. Sie wurde gefeuert. Ihr Job ist weg. Wie soll sie das Jana erklären? Jana, die so sehr auf ihre Unterstützung angewiesen ist, die sich in dieser Welt, die für sie oft so unverständlich und überwältigend ist, nur auf ihre Mutter verlassen kann?
„Ich verstehe“, flüstert Stephanie, unfähig, ihn anzusehen. Ihre Hände zittern, als sie beginnt, ihre wenigen persönlichen Gegenstände in eine kleine Schachtel zu packen. Es fühlt sich an wie ein Albtraum, aus dem sie nicht erwachen kann.
Wie soll sie jetzt die Rechnungen bezahlen? Die Miete? Janas Studium?
Mr. Bergmann steht auf, seine Haltung unverändert steif und unnachgiebig.
„Es tut mir leid, dass es so enden musste, Mrs. Willow. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Tochter alles Gute.“
Stephanie nickt stumm, während der Chef den Raum verlässt. Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss, und sie ist allein. Allein mit ihren Gedanken, ihren Ängsten, ihren Zweifeln. Sie bleibt noch einen Moment regungslos sitzen, versucht, die Tränen zurückzuhalten, die jetzt unaufhaltsam in ihre Augen steigen. Doch es gelingt ihr nicht.
Wie in Trance verlässt sie das Büro, jede Bewegung fühlt sich mechanisch an, als ob ihr Körper nicht wirklich zu ihr gehört. Ihre Kollegen werfen ihr mitleidige Blicke zu, doch keiner sagt ein Wort. Niemand weiß, was sie durchmacht, niemand versteht die Last, die auf ihren Schultern liegt.
Als sie endlich draußen steht, an der frischen Luft, scheint die Welt für einen Moment stillzustehen. Die Geräusche der Stadt, die Menschen, die an ihr vorbeieilen, all das verblasst in einem Wirbel aus Angst und Verzweiflung. Wie soll sie Jana jemals die Wahrheit sagen?
Stephanie geht langsam nach Hause, jeder Schritt schwerer als der letzte. Ihr Herz schlägt wild in ihrer Brust, während sie darüber nachdenkt, wie sie ihrer Tochter gegenübertreten soll. Jana wartet sicherlich schon auf sie, vielleicht sitzt sie wieder an ihrem Laptop und recherchiert über Universitäten, die für sie in Frage kommen könnten.
Zuhause angekommen, öffnet Stephanie leise die Tür, versucht, ihre Fassung zu bewahren. Jana sitzt, wie sie vermutet hat, am Küchentisch, umgeben von Büchern und Prospekten verschiedener Universitäten.
Ihr Gesicht ist konzentriert, die Stirn leicht gerunzelt, während sie in die Tiefen des Internets eintaucht.
„Hallo Mama“, sagt Jana, ohne von ihrem Bildschirm aufzublicken. Ihre Stimme klingt ruhig, fast monoton, wie immer, wenn sie in ihre Recherche vertieft ist.
Stephanie zwingt ein Lächeln auf ihr Gesicht.
„Hallo, mein Schatz“, antwortet sie, bemüht, die Sorge in ihrer Stimme zu verbergen. „Wie läuft es?“
„Es ist schwierig“, erwidert Jana sachlich. „Die meisten Studiengänge, die mich interessieren, erfordern Präsenzveranstaltungen, die für mich eine große Herausforderung sind. Aber ich habe ein paar Alternativen gefunden, die wir uns anschauen könnten.“
Stephanie setzt sich zu ihrer Tochter und betrachtet die Notizen, die Jana gemacht hat. In jeder Zeile spiegelt sich die Anstrengung wider, die Jana unternommen hat, um einen Platz zu finden, der ihren Bedürfnissen entspricht. Stephanie fühlt, wie ihr Herz schwer wird. Wie soll sie ihrer Tochter erklären, dass sie ihr nicht mehr helfen kann? Dass sie keine Arbeit mehr hat und nicht weiß, wie sie die Kosten für ein Studium finanzieren sollen?
„Das klingt gut“, sagt sie schließlich, bemüht, optimistisch zu klingen. „Wir werden sicherlich eine Lösung finden.“
Jana nickt, zufrieden mit der Antwort, und wendet sich wieder ihrem Laptop zu. Für sie ist die Welt in Ordnung, solange ihre Mutter an ihrer Seite ist. Stephanie weiß, dass sie stark bleiben muss, um Jana nicht zu enttäuschen, aber die Angst, die sich in ihr ausbreitet, lässt sich nicht einfach ignorieren.
Die nächsten Tage vergehen in einer Art Nebel. Stephanie sucht verzweifelt nach einem neuen Job, aber es gibt keine schnellen Lösungen. Die Rechnungen stapeln sich, und das Bankkonto schrumpft alarmierend schnell. Sie fühlt sich wie in einem Strudel, der sie immer tiefer hinabzieht. Jede Nacht liegt sie wach und grübelt, wie sie aus dieser Situation herauskommen soll, aber die Antworten bleiben aus.
Jana bemerkt die Veränderungen an ihrer Mutter, doch sie kann sie nicht wirklich deuten. Für sie sind die Dinge, die für andere Menschen selbstverständlich sind, oft ein Rätsel. Sie spürt die Anspannung in der Luft, doch sie weiß nicht, wie sie damit umgehen soll.
„Mama, geht es dir gut?“, fragt sie eines Abends, als sie ihre Mutter in der Küche beim Abwasch beobachtet. Stephanie hält kurz inne, bevor sie antwortet.
„Ja, alles in Ordnung, Liebling“, sagt sie, ohne Jana anzusehen. Die Lüge brennt in ihrem Mund, aber sie kann die Wahrheit nicht aussprechen. Nicht jetzt, nicht so.
„Du siehst müde aus“, bemerkt Jana, ihre Stimme neutral, doch ihr Blick ist durchdringend. „Hast du Probleme auf der Arbeit?“
Stephanie fühlt, wie ihre Kehle sich zuschnürt. Sie weiß, dass sie die Wahrheit nicht länger verbergen kann, doch die Worte kommen nicht über ihre Lippen. Sie will ihre Tochter beschützen, ihr die Last nicht aufbürden, die sie selbst trägt.
„Es ist nur ein bisschen stressig zurzeit“, antwortet sie schließlich ausweichend. „Aber mach dir keine Sorgen, ich kriege das hin.“
Jana schaut sie lange an, bevor sie nickt.
„Wenn du Hilfe brauchst, Mama, dann sag es mir.“
Stephanie zwingt sich zu einem Lächeln.
„Das werde ich, Liebling. Aber jetzt solltest du dich auf dein Studium konzentrieren. Das ist das Wichtigste.“
Jana nickt erneut und kehrt in ihr Zimmer zurück, doch Stephanie bleibt in der Küche stehen, starrt ins Leere, während die Tränen unaufhaltsam ihre Wangen hinunterlaufen. Sie weiß, dass sie die Wahrheit nicht länger verschweigen kann, doch die Angst, Jana zu enttäuschen, lähmt sie. Sie fühlt sich gefangen in einem Netz aus Lügen und Versäumnissen, aus dem sie keinen Ausweg findet.
Die Tage vergehen, und Stephanie gelingt es immer weniger, ihre Verzweiflung zu verbergen. Die Fassade, die sie mühsam aufrechtzuerhalten versucht, beginnt zu bröckeln. Jana bemerkt die Veränderungen immer deutlicher, doch sie sagt nichts, in der Hoffnung, dass sich die Dinge von selbst klären werden.
Eines Abends jedoch, als sie gemeinsam am Küchentisch sitzen und schweigend das Abendessen einnehmen, kann Stephanie es nicht mehr aushalten. Sie legt das Besteck beiseite und schaut Jana an, ihre Augen voll von unausgesprochenem Schmerz.
„Jana, ich muss dir etwas sagen“, beginnt sie leise, ihre Stimme bricht fast unter der Last der Worte, die sie gleich aussprechen wird. „Ich... ich habe meinen Job verloren.“
Jana schaut sie an, ihre Mimik bleibt unverändert, doch Stephanie weiß, dass ihre Tochter gerade versucht, die Bedeutung dessen, was sie gehört hat, zu verarbeiten.
„Seit wann?“, fragt Jana nach einer kurzen Pause.
„Seit zwei Wochen“, gesteht Stephanie und fühlt sich mit jedem Wort schuldig. „Ich wollte es dir nicht sagen, weil ich dachte, ich könnte schnell etwas Neues finden. Aber es ist schwieriger, als ich dachte.“
Jana nickt langsam, doch ihre Augen spiegeln die Verwirrung und Unsicherheit wider.
„Wie sollen wir dann die Rechnungen bezahlen? Und mein Studium?“
Janas Blick geht ins Leere. In ihren Augen sieht man ihr die Enttäuschung an, obwohl sie es nicht zeigen möchte.
Stephanie kämpft gegen die Tränen an.
„Ich weiß es nicht“, flüstert sie. „Aber ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, um eine Lösung zu finden.“
Für einen Moment bleibt es still zwischen ihnen, dann steht Jana plötzlich auf und geht ohne ein weiteres Wort in ihr Zimmer. Stephanie bleibt allein zurück, ihre Hände zittern, während sie das unberührte Essen anstarrt. Sie hat versagt, in jeder Hinsicht. Ihre Tochter ist auf sie angewiesen, und sie hat sie im Stich gelassen.
Doch am nächsten Morgen findet Stephanie einen Zettel auf dem Küchentisch. Janas Schrift ist sauber und ordentlich, wie immer, doch der Inhalt trifft sie tief ins Herz.
„Mama, wir schaffen das zusammen. Du hast mir immer geholfen, jetzt helfe ich dir.“
Stephanie spürt, wie die Tränen erneut kommen, doch diesmal sind es keine Tränen der Verzweiflung. Inmitten all ihrer Sorgen und Ängste erkennt sie, dass sie nicht allein ist. Jana, ihre geliebte Tochter, hat ihr in diesem einen Satz mehr Mut gemacht, als sie es sich je hätte vorstellen können.
Vielleicht haben sie keinen einfachen Weg vor sich, vielleicht wird es noch schwieriger werden, aber sie sind zusammen. Und das gibt Stephanie die Kraft, weiterzukämpfen, für sich und für Jana. Denn egal wie dunkel die Nacht auch ist, der Morgen wird immer kommen. Und mit ihm die Hoffnung, dass es einen Ausweg gibt, einen neuen Anfang, den sie gemeinsam schaffen werden.
Jana sitzt am Schreibtisch in ihrem kleinen, spartanisch eingerichteten Zimmer. Der Laptop vor ihr leuchtet schwach in der beginnenden Abenddämmerung, das weiße Licht des Bildschirms taucht ihr Gesicht in einen unnatürlichen Glanz. Ihr Finger scrollt unermüdlich durch die Liste der Stellenanzeigen, die endlos und eintönig erscheinen. Die meisten Angebote sind lächerlich schlecht bezahlt, andere wiederum verlangen Qualifikationen, die ihre Mutter Stephanie nicht besitzt. Jana seufzt, ihre Schultern sinken ein wenig.
Ihre Mutter ist schon seit Wochen ohne Job. Seitdem ist es immer schwieriger geworden. Stephanie ist 45 Jahre alt, nicht mehr die Jüngste, und in einer Stadt wie dieser, in der die Konkurrenz um Arbeitsplätze erbarmungslos ist, scheint es fast unmöglich, etwas Passendes zu finden. Doch Jana gibt nicht auf. Sie weiß, dass sie eine Lösung finden muss. Nicht für sich, sondern für ihre Mutter, die in den letzten Monaten immer stiller und in sich gekehrter geworden ist.
„Es muss doch etwas geben“, murmelt Jana und reibt sich die Augen, die von der Anstrengung des langen Suchens brennen. Sie klickt mechanisch auf die nächste Seite der Jobbörse, die endlose Liste flimmert vor ihren Augen. Die ersten Einträge auf der Seite sind dieselben wie zuvor: Büroarbeiten, Verkaufshilfen, Putzstellen – nichts, was sie nicht schon gesehen hätte. Sie ist kurz davor, aufzugeben, als ein kleines, unscheinbares Inserat am unteren Rand der Seite ihre Aufmerksamkeit erregt.
„Haushälterin, gerne mit Anhang, für eine große Villa gesucht. Überdurchschnittlicher Lohn, Kost und Logis inbegriffen. Bitte bei Easton Williams unter der unten angegebenen Adresse melden.“
Janas Herz setzt einen Moment aus, dann beschleunigt es, als sie die Zeilen erneut liest. Haushälterin. Ihre Mutter hat immer gesagt, dass sie nichts dagegen hätte, in einem Haushalt zu arbeiten, solange die Bedingungen stimmen. Und das hier scheint mehr als nur in Ordnung zu sein. „Überdurchschnittlicher Lohn, Kost und Logis inbegriffen“ – das klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Sie zögert kurz, überlegt, ob sie es ihrer Mutter überhaupt zeigen soll, aber was hat sie zu verlieren?
Die Adresse steht ebenfalls dabei, in einem Stadtteil, den Jana nur vom Hörensagen kennt. Ein wohlhabendes Viertel, dort, wo die Straßen breit und die Häuser von hohen Zäunen umgeben sind.
Langsam lehnt sie sich zurück, lässt die Hände in den Schoß sinken und starrt auf den Bildschirm. Eine Villa, denkt sie. Was, wenn es wirklich ein gutes Angebot ist? Andererseits, was, wenn es eine Falle ist? In Zeiten wie diesen weiß man nie, was sich hinter so einer Anzeige verbirgt. Aber die Vorstellung, dass ihre Mutter einen Job findet, der vielleicht sogar mehr bietet, als sie je hatte, lässt Jana nicht los.
Am Abend, als sie das Abendessen vorbereitet, brütet Jana noch immer über dem Inserat. Ihre Mutter sitzt am Küchentisch, blättert durch die Post, die wie üblich nichts als Rechnungen und Werbesendungen enthält. Ihr Gesicht ist schmaler geworden in den letzten Monaten, die Wangen leicht eingefallen, und die Augenringe verraten ihre schlaflosen Nächte.
Jana räuspert sich, als sie das dampfende Gericht auf den Tisch stellt.
„Mama, ich habe da heute etwas gesehen. Eine Stellenanzeige.“
Stephanie sieht auf, ihre Augen wirken müde, aber aufmerksam.
„Ach ja? Was für eine Stelle?“
Jana setzt sich zu ihr, ihre Hände fangen an, nervös den Rand der Serviette zu zupfen.
„Eine Haushälterin wird gesucht. Es klingt ziemlich gut, eigentlich. Überdurchschnittlicher Lohn, Kost und Logis inbegriffen.“
Stephanie legt die Post zur Seite und faltet ihre Hände vor sich auf dem Tisch.
„Wo denn?“
„In einer Villa, im Westen der Stadt“, erklärt Jana vorsichtig. Sie möchte ihre Mutter nicht erschrecken, aber sie weiß, dass es wichtig ist, ehrlich zu sein. „Es steht da, dass man sich bei einem gewissen Easton Williams melden soll.“
Stephanie runzelt die Stirn, lehnt sich leicht zurück und überlegt einen Moment.
„Das klingt ungewöhnlich. Aber auch interessant. Glaubst du wirklich, dass das etwas für mich sein könnte?“
Jana nickt, vielleicht ein wenig zu eifrig.
„Warum nicht? Du bist organisiert, du hast Erfahrung im Umgang mit Menschen, und ich weiß, dass du das schaffen könntest. Und wenn es wirklich so gut bezahlt ist, wie sie sagen, dann könnte es uns aus der Misere helfen.“
Stephanie schüttelt leicht den Kopf, ein müdes Lächeln spielt um ihre Lippen.
„Ach, Jana. Es ist nicht so einfach. Die Arbeit als Haushälterin ist anspruchsvoll, und ich bin mir nicht sicher, ob ich dafür gemacht bin. Aber es ist nett von dir, dass du daran glaubst.“
„Ich glaube nicht nur daran, Mama. Ich weiß es“, erwidert Jana entschlossen. „Du hast all die Jahre hart gearbeitet und dich immer um mich gekümmert. Jetzt ist es an der Zeit, dass du etwas bekommst, das dir auch etwas zurückgibt. Wir könnten uns zumindest mal erkundigen, was meinst du?“
Stephanie sieht ihre Tochter lange an, ihre Gedanken schwirren. Sie kann die Sorge in Janas Augen erkennen, aber auch die Hoffnung, die hinter diesen Worten steckt. Sie weiß, dass Jana Recht hat. Sie haben nicht viele Optionen. Und auch wenn die Idee, in einem fremden Haushalt zu arbeiten, sie zögern lässt, so hat sie doch nichts zu verlieren.
„Vielleicht hast du Recht“, sagt Stephanie schließlich und seufzt leise. „Ich werde darüber nachdenken. Vielleicht sollten wir uns wirklich erkundigen. Aber versprich mir, dass wir vorsichtig sind, ja? Ich möchte nicht, dass wir am Ende enttäuscht werden.“
Jana lächelt erleichtert und greift nach der Hand ihrer Mutter.
„Natürlich. Wir werden das gemeinsam angehen, okay?“
Stephanie drückt die Hand ihrer Tochter und nickt.
„Okay. Morgen werde ich dort anrufen. Mal sehen, was uns erwartet.“
Am nächsten Morgen ist die Luft frisch und klar, als Jana zur Hochschule geht. Ihre Gedanken kreisen ständig um das Gespräch vom Vorabend, und sie kann es kaum erwarten, nach Hause zu kommen, um zu erfahren, was ihre Mutter über das Telefonat zu berichten hat. Die Stunden schleichen sich dahin, und Jana muss sich zwingen, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Aber die Gedanken an das mysteriöse Jobangebot lassen sie nicht los.
Als sie endlich die Haustür aufschließt, hört sie ihre Mutter im Wohnzimmer telefonieren. Janas Herzschlag beschleunigt sich, sie kann kaum die Neugierde unterdrücken. Sie legt ihre Tasche ab und schleicht sich leise in Richtung Wohnzimmer, um das Gespräch zu belauschen.
„Ja, ich verstehe... Ja, das klingt wirklich interessant... Natürlich, ich würde gerne vorbeikommen und mir das anschauen... Nein, das wäre kein Problem. Vielen Dank für die Information, Mr. Williams. Ich freue mich darauf, Sie zu treffen. Auf Wiederhören.“
Stephanie legt den Hörer auf und sieht einen Moment lang Gedanken verloren vor sich hin, bevor sie bemerkt, dass Jana im Türrahmen steht.
„Na? Wie ist es gelaufen?“, fragt Jana sofort, ohne ihre Neugierde zu verbergen.
Stephanie lächelt leicht.
„Es scheint, als ob es tatsächlich ernst gemeint ist“, sagt sie.
„Wirklich?“, freut sich Jana.
„Mr. Williams hat mich eingeladen, morgen Nachmittag vorbeizukommen, um die Villa zu besichtigen und über die Details zu sprechen. Er klang sehr nett am Telefon.“
„Das ist großartig!“ Jana tritt näher, ihre Augen leuchten vor Aufregung. „Das könnte wirklich der Anfang von etwas Gutem sein, Mama. Ich habe ein gutes Gefühl bei der Sache.“
„Ja, vielleicht hast du Recht“, antwortet Stephanie nachdenklich. „Aber ich werde erst einmal abwarten, was ich morgen erfahre. Es ist alles noch sehr ungewiss, und ich möchte keine voreiligen Schlüsse ziehen.“
Am nächsten Tag steht Stephanie früh auf. Sie zieht ihren besten Hosenanzug an, kämmt sorgfältig ihre Haare und schminkt sich dezent. Jana beobachtet sie mit stolzem Lächeln, bevor sie selbst zur Schule aufbricht.
„Viel Glück, Mama. Ich drücke dir die Daumen“, ruft sie ihrer Mutter zu, bevor sie die Tür hinter sich schließt.
Stephanie atmet tief durch, bevor sie das Haus verlässt. Die Adresse, die ihr Mr. Williams gegeben hat, führt sie in ein Viertel, das sie nur flüchtig aus alten Zeiten kennt. Die Straßen werden breiter, die Häuser größer, je näher sie der Zieladresse kommt. Schließlich bleibt sie vor einem schmiedeeisernen Tor stehen, das zu einer beeindruckenden Villa führt. Das Gebäude ist ein Bild von Eleganz und Wohlstand, umgeben von gepflegten Gärten, die sich weit erstrecken.
„Das ist also das Haus“, murmelt Stephanie und tritt ein wenig zögerlich näher. Sie drückt auf die Klingel und wartet, bis das Tor sich lautlos öffnet. Ein wenig unsicher geht sie den langen Weg zur Haustür hinauf und bleibt schließlich vor der massiven, dunkel lackierten Tür stehen. Ihre Hand, bereit zu klopfen, zittert leicht.
Kaum hat sie geklopft, öffne ich die Türe. Ich, ein Mann mittleren Alters, sehe diese fast verzweifelte Frau vor mir, die mir schon in der ersten Sekunde irgendwie leid tut – ohne, dass ich weiß, warum.
„Mrs. Willow? Ich bin Easton Williams. Schön, dass Sie gekommen sind“, begrüße ich die fremde Dame.
Stephanie lächelt und reicht mir die Hand.
„Mr. Williams, es freut mich, Sie kennenzulernen.“
„Bitte, kommen Sie herein,“ sage ich und trete zur Seite, um sie einzulassen. Stephanie tritt ein und sieht sich um. Das Innere des Hauses ist wohl für sie genauso beeindruckend wie das Äußere. Hohe Decken, kunstvolle Verzierungen und eine stilvolle Einrichtung lassen keinen Zweifel daran, dass dies ein Haus von Bedeutung ist.
Ich führe sie in ein geräumiges Wohnzimmer, das von großen Fenstern erhellt wird. Ich biete ihr einen Platz auf einem der bequemen Ledersofas an und setze mich ihr gegenüber.
„Ich nehme an, Sie haben Fragen zu der Stelle,“ beginne ich.
„Ja, das habe ich“, antwortet Stephanie und versucht, ihre Nervosität zu verbergen. „Die Anzeige war recht vage, und ich würde gerne mehr über die Aufgaben und Bedingungen erfahren.“
„Natürlich“, nicke ich und lehne mich leicht zurück. „Zunächst einmal handelt es sich um eine Vollzeitstelle. Die Aufgaben umfassen die übliche Haushaltsführung: Reinigung, Wäsche, Einkäufe und gelegentliches Kochen. Wir legen großen Wert auf Diskretion und Zuverlässigkeit, da das Haus auch oft von Gästen besucht wird.“
„Das klingt alles sehr machbar“, bemerkt Stephanie und fühlt sich ein wenig entspannter. „Und was meinen Sie mit ‚gerne mit Anhang‘?“
Ich lächele.
„Das bedeutet, dass wir nichts dagegen haben, wenn Sie mit einer weiteren Person hier leben möchten. Wir haben genug Platz, und ich denke, es könnte eine gute Möglichkeit sein, Familie und Arbeit zu verbinden. Ich möchte, dass Sie sich hier wohlfühlen.“
Stephanie ist überrascht. Diese Großzügigkeit hatte sie nicht erwartet.
„Das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen. Meine Tochter Jana ist 19 und wir leben derzeit zusammen. Ich würde gerne wissen, ob sie auch willkommen wäre.“
„Natürlich“, antworte ich. „Ihre Tochter ist herzlich willkommen. Ich denke, es könnte für Sie beide eine gute Gelegenheit sein, sich eine neue Basis aufzubauen.“
Stephanie spürt, wie die Spannung in ihr nachlässt. Die Bedingungen sind mehr als gut, und ich scheine wirklich ernsthaft daran interessiert zu sein, ihr und Jana eine Chance zu geben.
„Ich bin beeindruckt, Mr. Williams. Es klingt alles sehr vielversprechend.“
„Das freut mich zu hören“, sage ich und stehe auf. „Wollen Sie sich den Rest des Hauses ansehen? Ich bin sicher, dass es Ihnen gefallen wird.“
Stephanie nickt und folgt mir. Während wir die Räume durchstreifen, fühlt sie sich zunehmend sicherer, dass dies eine Gelegenheit ist, die sie nicht verpassen sollte. Die Villa ist beeindruckend, ja, aber was sie wirklich überzeugt, ist die Art, wie ich mit ihr spreche – respektvoll und mit einer Aufrichtigkeit, die sie wahrscheinlich seit langem nicht mehr erlebt hat.
Als wir schließlich wieder vor der Haustür stehen, strecke ich ihr die Hand entgegen.
„Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, Mrs. Willow. Überlegen Sie es sich, und wenn Sie sich entscheiden, die Stelle anzunehmen, stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung.“
Stephanie schüttelt mir die Hand und lächelt. „Ich werde es auf jeden Fall in Erwägung ziehen. Vielen Dank für die Gelegenheit.“
Auf dem Heimweg spürt Stephanie ein Gefühl der Erleichterung und des Aufbruchs. Vielleicht ist dies der Wendepunkt, den sie so dringend brauchen. Jana wird sich freuen, denkt sie, während sie durch die vertrauten Straßen ihrer Nachbarschaft geht. Und für einen Moment scheint die Zukunft nicht mehr ganz so düster zu sein.
Jana wartet bereits ungeduldig, als ihre Mutter nach Hause kommt. Sie sieht ihr Gesicht an und erkennt sofort, dass etwas Gutes passiert ist.
„Mama, wie war es?“
Stephanie lächelt und setzt sich zu ihr auf die Couch.
„Es war beeindruckend. Das Haus, die Bedingungen, alles. Ich glaube, das könnte eine echte Chance für uns sein, Jana.“
„Das klingt toll!“ Jana ist aufgeregt und kann ihre Freude kaum verbergen. „Was machen wir jetzt?“
„Ich denke, ich werde die Stelle annehmen“, sagt Stephanie ruhig. „Wir könnten zusammen dort leben und neu anfangen. Es wird sicher nicht leicht, aber es könnte genau das sein, was wir brauchen.“
Jana strahlt vor Erleichterung und Erregung.
„Ich wusste, dass das eine gute Idee war! Wir schaffen das, Mama. Wir schaffen das gemeinsam.“
Stephanie zieht ihre Tochter in eine Umarmung. „Ja, das tun wir, Jana. Das tun wir.“
Und in diesem Moment, in der Wärme dieser Umarmung, beginnt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft wieder aufzublühen, und das Haus, das sie bald ihr Zuhause nennen könnten, scheint nicht mehr nur ein Traum zu sein, sondern eine greifbare Möglichkeit, ein neuer Anfang, den sie beide so sehr brauchen.
Die Luft in Worthing trägt jetzt die Kühle des herannahenden Abends mit sich, und Faiths Atem malt zarte Wölkchen in die sinkende Dämmerung. Ihre Hände liegen ruhig in ihrem Schoß, die Finger ineinander verschränkt, während ihre dunklen Augen auf einen Punkt in der Ferne gerichtet sind. Von der Straße dringen gedämpfte Stimmen herüber, Bruchstücke von Gesprächen, die sie weder kennt noch wirklich verstehen will. Faiths Haare, tiefbraun wie ein Wald im Schatten, bewegen sich leicht im Abendwind, der über die Veranda streicht.
Das Haus hinter ihr ist still. Es ist immer still, aber in der Art von Stille, die nicht beruhigend wirkt, sondern wie ein zu langer Atemzug, der sich irgendwann in Unruhe verwandelt. Faith hat es vor ein paar Jahren gekauft, dieses kleine einstöckige Gebäude mit seinen drei Räumen und dem Hauch von Minimalismus, der sich nicht ganz absichtlich anfühlt. Die Möbel, modern und doch mit einer rohen, beinahe archaischen Ästhetik, sind Zeugnis davon, dass sie sich Mühe gegeben hat, diesem Ort Charakter zu verleihen. Dennoch bleibt es ein Haus und kein Zuhause.
Die Bäume, die ihren Garten säumen, stehen wie schweigende Wächter um sie herum. Ihre schweren Äste biegen sich unter dem Gewicht der Dämmerung, und das letzte Licht des Tages spielt zwischen den Blättern, malt flimmernde Schatten auf den Boden. Faith beobachtet, wie ein Paar vorübergeht – sie sind Hand in Hand, jung, vielleicht nur ein paar Jahre jünger als sie. Ihre Gesichter sind freundlich, aber sie blickt schnell weg, bevor ihre Augen sich begegnen können. Sie will nicht, dass sie grüßen, will nicht in den Sog einer kurzen Unterhaltung gezogen werden.
Das war schon immer so. Faith hat nie die Neigung verspürt, sich den Nachbarn vorzustellen oder in deren Alltag einzutauchen. Es ist nicht Feindseligkeit, die sie fernhält, sondern etwas Tieferes, etwas, das sie selbst kaum benennen könnte. Die wenigen Male, die sie in ein Gespräch verwickelt wurde – ein freundlicher Kommentar beim Briefkasten, eine beiläufige Bemerkung über das Wetter – hat sie höflich gelächelt, kaum mehr. Danach hatte sie sich immer wie erschöpft gefühlt, als hätte sie ein Stück von sich selbst preisgegeben, das sie eigentlich verbergen wollte.
Jetzt, als die Kälte durch den dünnen Stoff ihrer Strickjacke kriecht, hebt Faith ihre Arme an und reibt die Hände an ihren Oberarmen. Es hilft kaum. Die Zeit scheint wie Wasser durch ihre Finger zu rinnen, und als die Schatten der Bäume länger werden, weiß sie, dass sie den Abend nicht mehr länger draußen aushalten kann.
Mit einem Seufzen – so leise, dass sie selbst ihn kaum wahrnimmt – erhebt sie sich von dem Holzstuhl, der leise unter ihrem Gewicht knarrt. Sie schiebt die Glastür auf und tritt in ihr Wohnzimmer. Es ist genauso still wie draußen, aber hier hat die Stille etwas Dichtes, beinahe Erdrückendes. Die Couch, auf die sie sich sinken lässt, ist groß genug, um bequem zu sein, aber sie fühlt sich einsam darauf an, wie eine Insel inmitten eines leeren Raums.
Faith stützt ihre Ellenbogen auf die Knie, vergräbt das Gesicht in den Händen. Die Luft im Raum ist kühl, und obwohl das Fenster geschlossen ist, scheint der Abend durch die Wände zu kriechen, wie eine unsichtbare Erinnerung an die Dunkelheit draußen.
Sie hebt den Kopf, schaut auf den schmalen Couchtisch vor sich. Darauf liegt ein Buch – eines, das sie angefangen und dann zur Seite gelegt hat.