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Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Pünktchen und Nick trieben ihre Pferde an, die Kopf an Kopf über den Bach sprangen. »Gewonnen!«, rief Pünktchen und zügelte ihre zierliche Fuchsstute. Dabei leuchteten ihre blauen Augen freudig auf. »Ja, ich habe gewonnen. Dein Ajax hat den Boden einige Sekunden nach Goldi berührt.« Nick lachte. »Natürlich hast du gewonnen«, erwiderte er fröhlich und klopfte seinem Schimmelhengst den Hals. Er hatte seine kleine Freundin absichtlich gewinnen lassen. So etwas tat er aber nur bei Pünktchen. Das Mädchen mit den Sommersprossen nahm eine besondere Stellung bei ihm ein. Seit dem Tag, als er Pünktchen halb verhungert von der Straße aufgelesen und nach Sophienlust gebracht hatte, fühlte er sich in jeder Weise für sie verantwortlich. Er hatte auch vor, sie später, wenn sie beide erwachsen sein würden, zu heiraten. Aber er sprach mit niemandem über seine Absicht, nicht einmal mit seiner Mutter, die er im Allgemeinen stets ins Vertrauen zog, wenn er irgendwelche Probleme hatte. »Sieh mich nicht so an.« Mit einem übermütigen Lachen blickte Pünktchen den hochgeschossenen hübschen Jungen mit den schwarzen Haaren und den dunklen Augen an. »Sag nur nicht, dass du mich absichtlich hast gewinnen lassen. Ich kenne dich doch.« »I wo!«, rief er heiter. »So etwas würde ich niemals tun.« »Wirklich nicht?« So ganz traute sie ihm doch nicht. »Aber sei es, wie es sei«, erklärte sie dann. »Nicht wahr, wir sitzen ab und lassen Goldi und Ajax grasen? Wir können uns doch ein Weilchen ans Ufer setzen und die Forellen beobachten. Einverstanden?« Nick blickte auf seine Armbanduhr. »Einverstanden«, erklärte er dann. »Wir haben
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Pünktchen und Nick trieben ihre Pferde an, die Kopf an Kopf über den Bach sprangen.
»Gewonnen!«, rief Pünktchen und zügelte ihre zierliche Fuchsstute. Dabei leuchteten ihre blauen Augen freudig auf. »Ja, ich habe gewonnen. Dein Ajax hat den Boden einige Sekunden nach Goldi berührt.«
Nick lachte. »Natürlich hast du gewonnen«, erwiderte er fröhlich und klopfte seinem Schimmelhengst den Hals. Er hatte seine kleine Freundin absichtlich gewinnen lassen. So etwas tat er aber nur bei Pünktchen. Das Mädchen mit den Sommersprossen nahm eine besondere Stellung bei ihm ein. Seit dem Tag, als er Pünktchen halb verhungert von der Straße aufgelesen und nach Sophienlust gebracht hatte, fühlte er sich in jeder Weise für sie verantwortlich. Er hatte auch vor, sie später, wenn sie beide erwachsen sein würden, zu heiraten. Aber er sprach mit niemandem über seine Absicht, nicht einmal mit seiner Mutter, die er im Allgemeinen stets ins Vertrauen zog, wenn er irgendwelche Probleme hatte.
»Sieh mich nicht so an.« Mit einem übermütigen Lachen blickte Pünktchen den hochgeschossenen hübschen Jungen mit den schwarzen Haaren und den dunklen Augen an. »Sag nur nicht, dass du mich absichtlich hast gewinnen lassen. Ich kenne dich doch.«
»I wo!«, rief er heiter. »So etwas würde ich niemals tun.«
»Wirklich nicht?« So ganz traute sie ihm doch nicht. »Aber sei es, wie es sei«, erklärte sie dann. »Nicht wahr, wir sitzen ab und lassen Goldi und Ajax grasen? Wir können uns doch ein Weilchen ans Ufer setzen und die Forellen beobachten. Einverstanden?«
Nick blickte auf seine Armbanduhr. »Einverstanden«, erklärte er dann. »Wir haben viel Zeit. Es ist noch nicht einmal sieben.«
Pünktchen glitt aus dem Sattel und sprang in das weiche hohe Gras. »Was für ein herrlicher Morgen«, stellte sie nach einem tiefen Atemzug beglückt fest. »Sieh doch die Nebelschwaden. Wie Schleier hängen sie zwischen den Bäumen. Und an den Grashalmen glitzert der Tau wie unzählige Brillanten.«
Nick schwang sich ebenfalls aus dem Sattel. »Es ist wirklich ein einmalig schöner Sommermorgen«, stimmte er Pünktchen bei. »Lauf, Ajax!«, rief er dem Hengst zu und gab ihm einen Klaps auf sein rundes Hinterteil.
Pünktchen schickte ihre Stute hinter dem Hengst her. Nach einigen Metern blieben die Pferde stehen und grasten.
»Prima, dass in der nächsten Woche die großen Ferien anfangen. Dann können wir jeden Morgen zusammen ausreiten. Nicht wahr, das willst du doch auch?« Pünktchen ging zum Ufer des Baches und setzte sich dort auf einen großen Stein.
Nick folgte ihr und stellte wieder einmal fest, dass Pünktchen mit ihren schulterlangen, leicht gewellten goldblonden Haaren und der geraden kleinen Nase mit den vielen Sommersprossen süß aussah. Die knapp sitzenden Jeans und der alte mausgraue Pulli verliehen ihr einen besonderen Charme. »Hoffentlich bleibst du auch so hübsch«, meinte er mit einem spitzbübischen Lächeln. »Mädchen, die als Kinder hübsch sind, werden später oft hässlich«, fügte er neckend hinzu. Er wusste, wie eitel sie war.
Erschrocken sah Pünktchen ihn an. »Glaubst du denn, dass ich später hässlich werde? Das wäre ja entsetzlich.«
»Hoffentlich nicht.« Nick schmunzelte. »Aber du würdest mir auch gefallen, wenn du nicht mehr ganz so hübsch wärst, du eitler Fratz. Soll ich eine Forelle fangen?«, fragte er.
»Bitte nicht«, bat sie. »Die Forellen leben doch ebenso gern wie du und ich.«
»Ich würde sie auch nicht töten. Ich würde sie gleich wieder ins Wasser werfen. Aber wenn du es nicht willst, unterlasse ich es«, gab er friedfertig nach. Als kleiner Junge hatte er mit Begeisterung Forellen mit der Hand gefangen, aber sie jedes Mal wieder schwimmen lassen.
»Sieh doch, dort stehen gleich fünf Forellen. Und was für große!«, rief Pünktchen. Doch dann fiel ein Schatten über ihr Gesicht, als sie sagte: »Schade, dass Claudia schon heute Mittag von ihrem Vati abgeholt wird. Ich habe sie sehr gern.«
»Ja, sie ist niedlich. Aber sie ist froh, wieder heimfahren zu können.«
»Ich weiß.« Pünktchen unterdrückte einen Seufzer und hob einen Zweig auf, mit dem sie durch die Luft hieb. »Ihre Mutti wurde gestern aus dem Krankenhaus entlassen. Claudia hatte gehofft, dass sie auch mitkommen würde, aber ihr Vati hat am Telefon gesagt, dass sie noch zu schwach sei für die weite Fahrt.«
»Verständlich nach der schweren Operation.«
»Sie hatte eine Gallenoperation.«
»Ich weiß.« Nick beobachtete noch immer die Forellen, die plötzlich davonschossen.
»Ist Garmisch-Partenkirchen sehr schön?«, fragte Pünktchen, weil Claudia aus Garmisch-Partenkirchen stammte. Ihre Eltern besaßen dort ein Hotel. »Du warst doch schon mit Tante Isi dort.« Tante Isi war Nicks Mutter. Alle Kinder von Sophienlust nannten sie so.
»Ich war leider nur im Sommer dort. Im Winter soll es aber dort noch viel schöner sein.«
»Ich weiß. Das sagt Claudia auch, weil dann sehr viel los ist in Garmisch-Partenkirchen. Ich möchte gern einmal in einem Hotel leben. Ich meine, in einem Hotel, in dem so viele Skifahrer wohnen. Vielleicht erlaubt Tante Isi, dass wir beide zusammen nach Garmisch-Partenkirchen fahren. Ich meine, in den Weihnachtsferien.«
»Warum sollte Mutti es nicht erlauben?«
»Aber du wirst letzten Endes nicht wollen«, meinte Pünktchen leise und hieb wieder mit dem Zweig durch die Luft. »Du würdest im letzten Augenblick einen Rückzieher machen und erklären, du könntest jetzt unmöglich wegfahren.«
Nick schwieg dazu, weil er wusste, dass Pünktchen recht hatte. Am liebsten war er in Sophienlust und in Schoeneich. Er würde oft in den großen Ferien verreisen können, aber er glaubte immer, dass er in Sophienlust sein müsse, wenn das Kinderheim voll belegt war. Und in der Weihnachtszeit, so fand er, war es am allerschönsten daheim.
Nick blickte auf seine Armbanduhr. »Aber jetzt müssen wir losreiten. Immerhin brauchen wir gute zwanzig Minuten bis Sophienlust. Wir wollen doch pünktlich zum Frühstück zurück sein.« Er rief die Pferde, die sogleich angetrabt kamen.
Die beiden schwangen sich in den Sattel und ritten los. Als sie auf den Gutshof von Sophienlust ritten, hörten sie den Gong im Haus, der die Kinder zum Frühstück rief. »Höchste Zeit«, sagte Nick und stieg ab.
Ein Stallbursche übernahm die Pferde. Die Kinder liefen die Freitreppe hinauf und betraten die Halle. Außer Atem erreichten sie den Speisesaal.
Alle Kinder waren schon da. Pünktchen nahm ihren Platz zwischen Claudia und Nick ein. Selbst Henrik war von Schoeneich herübergeradelt, um an Claudias letztem Tag beim Frühstück anwesend zu sein.
Alle hatten die fünfjährige Claudia ins Herz geschlossen. Mit ihren großen blauen Augen und den langen goldbraunen Haaren war sie ein besonders hübsches Kind. Obwohl es ihr anfangs schwergefallen war, sich in dem Kinderheim einzugewöhnen, hatte es ihr zum Schluss sehr gut gefallen.
»Was hat dir denn bei uns am besten gefallen?«, fragte Henrik.
»Alles ist wunderschön«, Claudia sah Nicks kleinen Halbbruder tiefsinnig an. Der Junge hatte einen braunen, etwas wilden Haarschopf und graue Augen, die mit einem schelmischen Ausdruck auf sie gerichtet waren. »Ich mag dich und Nick«, erklärte sie dann. »Und Pünktchen. Ja, Pünktchen habe ich sehr lieb«, fügte sie hinzu. »Ich werde Vati heute fragen, ob sie mich in Garmisch-Partenkirchen einmal besuchen darf.«
»Ich komme gern.« Pünktchen schluckte ihre Tränen hinunter. Sie wusste, dass es dumm war, sich jedes Mal das Herz schwerzumachen, wenn ein Kind Sophienlust wieder verließ. Das Abschiednehmen gehörte nun einmal hierher. Aber sie war trotzdem traurig.
»Und was hat dir noch gefallen?«, fragte Vicky, ein hübsches Mädchen mit braunen Haaren und blauen Augen.
»Bestimmt das Tierheim Waldi & Co.«, meinte Angelika, ihre um zwei Jahre ältere Schwester.
»O ja, das Tierheim!«, rief Claudia begeistert. »Die Affen und die Bärenkinder. Natürlich auch die Bärenmutter. Nur ist sie so groß.« Um nichts in der Welt hätte Claudia eingestanden, dass sie sich ein wenig vor der Braunbärin Isabell fürchtete. »Und das Liliputpferdchen Billy. Und die vier Dackel. Besonders Waldi, weil er doch der Chef des Tierheims ist. Und auch die Esel Benjamin und Fridolin. Und alle anderen Tiere. Und Tante Andreas Sohn Peterle. Und auch die große Dogge Severin.«
»Anglos ist sein Sohn. Ich meine, Severins Sohn«, sagte Fabian Schöller, der ebenso wie Pünktchen, Angelika, Vicky, Heidi und Irmela zu den Dauerkindern von Sophienlust gehörte.
»Ich weiß.« Claudia schielte zu Fabian. Hoffentlich erinnerte er sich nicht mehr, dass sie anfangs schreckliche Angst vor dem riesigen schwarzen Hund gehabt hatte. Vor Barri, dem Bernhardiner, hatte sie sich dagegen nie gefürchtet, weil er so lieb war. »Ja, und ich mag auch die Huber-Mutter, weil sie so wunderschöne Geschichten erzählen kann. Und ich habe auch deine Mutti sehr lieb«, wandte sie sich an Nick. »Ich habe alle lieb. Aber ich freue mich auch auf meine liebe Mutti.« Hell strahlte es in ihren Augen auf. »Vati kommt ja bald. Und dann fahren wir die Autobahn entlang. Ganz schnell. In München kaufen wir dann noch etwas ein. Und am Abend sind wir dann daheim.«
Frau Rennert, die Heimleiterin, und Schwester Regine, die die Kinder beim Frühstück betreuten, sahen sich an. Ihnen war der sehnsüchtige Klang in Claudias Stimme nicht entgangen. Wie allen Erwachsenen in Sophienlust war ihnen bekannt, dass Frau Islau sehr schwer krank gewesen war und einige Zeit in Lebensgefahr geschwebt hatte. Natürlich wusste Claudia davon nichts. Sie sollte es auch niemals erfahren.
Nach dem Frühstück liefen die Kinder in den Park. Claudia war jedoch nicht recht bei der Sache. Sie konnte es kaum erwarten, dass ihr Vati endlich eintraf.
Gegen Mittag erschien Denise von Schoenecker, die Mutter von Nick und Henrik. Claudia lief sogleich zu ihr und fragte aufgeregt: »Nicht wahr, Vati kommt doch bald?«
»Bestimmt kommt er bald«, beruhigte Denise das kleine Mädchen.
Pünktchen schnüffelte ein wenig. Ein bisschen kränkte sie es doch, dass Claudia nicht schnell genug fortkommen konnte. Aber dann sagte sie sich, dass ihre Reaktion dumm sei. Würde sie selbst noch Eltern haben, würde sie es bestimmt auch nicht erwarten können, endlich heimzufahren.
*
Richard Islau fuhr etwas langsamer. Soweit er sich erinnern konnte, musste die Ausfahrt nach Sophienlust bald kommen.
In seine dunkelbraunen Augen trat ein weicher Ausdruck. Er liebte seine kleine Tochter innig. Die wochenlange Trennung war ihm schwergefallen, aber er hatte es für richtiger gehalten, sie in dem Kinderheim unterzubringen, das ihm Freunde empfohlen hatten. In seinem Garmischer Hotel hätte Claudia gewiss erfahren, dass ihre Mutti schwer krank war.
Richard Islau atmete tief auf. Auch er hatte eine Zeit lang geglaubt, dass seine Frau es nicht schaffen würde. Sie war ein zarter Typ und hatte nichts zum Zusetzen gehabt. Die letzten Wochen waren für ihn die schlimmsten seines bisherigen Lebens gewesen. Aber nun war Gertrud wieder daheim. Zwar musste sie sich noch sehr schonen, doch das störte ihn nicht. Er hatte tüchtige Angestellte. Außerdem gab es um diese Zeit nicht allzu viel in seinem Hotel zu tun. Alles lief wie am Schnürchen. Richard wusste, seine Frau wartete ungeduldig auf Claudias Heimkehr. Sie hatte ihn am Morgen gebeten, sehr schnell zurückzukommen. Am liebsten wäre sie mitgefahren, aber das hatte er ihr nicht erlauben können. Er wollte kein Risiko eingehen.
Jetzt erblickte der Hotelier Gut Sophienlust. Es war von der Autobahn aus zu sehen und lag in einem romantischen Tal. Als er Claudia vor Wochen hierhergebracht hatte, hatte er verständlicherweise wenig Sinn für die Schönheit dieser Landschaft gehabt. Doch jetzt bewunderte er das Landschaftsbild mit den vielen Hügeln und Tälern, mit den dichten Wäldern und den lieblichen Seen.
Das Dorf, zu dem Sophienlust gehörte, hieß Wildmoos. Langsam bog Richard Islau in die Abzweigung ein und fuhr nun die Landstraße entlang. Diesmal entdeckte er auch die drei holzgeschnitzten Wegweiser mit der Aufschrift Kinderheim Sophienlust. Wie reizend die kleinen geschnitzten Figuren waren.
Und dann fuhr er durch das hohe Parktor, dessen Flügel weit offen standen, und hielt kurz darauf vor der Freitreppe des weißen Herrenhauses mit den großen Fenstern und den grünen Fensterläden.
Ein Bernhardiner und eine schwarze Dogge kamen die Stufen heruntergesprungen. Ihnen folgten einige Kinder, darunter auch seine kleine Claudia, die jubelnd rief: »Vati! Endlich bist du da!« Dann hielt er sein Töchterchen in den Armen.
Lange blieb Richard Islau nicht in Sophienlust. Er unterhielt sich ein Weilchen mit Denise von Schoenecker und beglich die Rechnungen. Dann verabschiedete er sich von allen. Jedes Kind streckte ihm die Hand entgegen. Doch die vielen Namen konnte er sich nicht merken.
»Vati, nicht wahr, ich darf Pünktchen einladen?«, bat Claudia, die sich bereits von den anderen Kindern verabschiedet hatte.
»Pünktchen?« Richard blickte das reizende Mädchen mit den lustigen Sommersprossen an. »Natürlich darfst du uns besuchen, Pünktchen. Nicht wahr, du hast alle Briefe für Claudia an mich und meine Frau geschrieben?«
»Ja, Herr Islau.« Pünktchen errötete leicht.
»Du musst uns ganz bestimmt besuchen.«
»Ich komme gern.« Pünktchen strahlte. »Vielleicht in den großen Ferien.«
»Abgemacht.« Richard Islau drückte Pünktchens Hand und stieg dann in seinen Wagen ein, in dem Claudia bereits saß.
Pünktchen stand zwischen Nick und Denise, als das Auto losfuhr.
»Jetzt heule ich doch noch«, sagte sie leise.
»Das kenne ich schon«, erwiderte Nick lächelnd.
»Lass sie nur weinen. Pünktchen hat nun einmal ein besonders weiches Herz.« Denise von Schoenecker strich dem Mädchen übers Haar.
Nick wechselte das Thema. »Wirklich ein Jammer, dass ich Vati nicht begleiten durfte, aber die blöde Schule …«
»Bitte Nick«, ermahnte Denise ihren Sohn.
»Also die dumme Schule. Ich hätte ruhig die letzten Tage vor den Ferien schwänzen können. So ein Treffen der Pferdezüchter ist entschieden interessanter als die Schule.«
»Vati wollte es aber nicht.« Denise kam sich ohne ihren Mann Alexander sehr verlassen und sogar ein wenig hilflos vor. Er hatte ihr zwar vorgeschlagen, ihn nach Wasserburg zu begleiten, aber sie hatte abgelehnt mit der Begründung, dass sie im Augenblick nicht fortkönne. Sie und Nick waren einander darin sehr ähnlich. Beide waren sie der Meinung, dass es ohne sie in Sophienlust und auch in Schoeneich nicht gehe. Doch nun tat es Denise leid, dass sie ihren Mann nicht begleitet hatte. Dieses Wasserburg sollte ein sehr romantisches Städtchen sein.
»An deiner Stelle wäre ich auf alle Fälle mitgefahren, Mutti«, bemerkte Nick.
»Übermorgen erwarten wir in Sophienlust viele Kinder, Nick«, erinnerte sie ihn.
»Das weiß ich doch. Aber schließlich ist Frau Rennert auch noch da.«
»Trotzdem begrüße ich die Kinder und ihre Eltern gern selbst. Darum bin ich hiergeblieben. Pünktchen, wie wäre es, wenn du Nick, Henrik und mich nach Schoeneich begleiten würdest?«
»Ich komme gern mit, Tante Isi.« Pünktchen lachte schon wieder übers ganze Gesicht.
In Schoeneich angekommen, stiegen die Kinder hinauf zu dem runden Turmzimmer, das Pünktchens Lieblingsraum im Schoeneicher Herrenhaus war. Von dort konnte man weit ins Land hineinblicken und auch Sophienlust liegen sehen. »Hier oben komme ich mir immer vor wie eine verwunschene Prinzessin«, erklärte Pünktchen begeistert.
»Vielleicht bist du eine verwunschene Prinzessin.« Henrik blitzte das Mädchen aus seinen grauen Augen übermütig an. »Wenn du groß bist, werde ich dich vielleicht heiraten«, fügte er großmütig hinzu. »Weil ich ein verwunschener Prinz bin.«
Pünktchen lachte hell auf. »Ich bin doch viel zu alt für dich. Siehst du das ein?«
»Das sagst du doch nur, weil du Nick heiraten möchtest. Deshalb habe ich bei dir keine Chancen.« Henrik blinzelte Pünktchen verschmitzt an, deren Wangen sich bei diesen Worten mit sanfter Röte überzogen.
*
Ein wenig müde, aber doch sehr zufrieden mit diesem Tag, den er in der Gesellschaft von Pferdezüchtern verbracht hatte, betrat Alexander von Schoenecker sein Zimmer im Hotel Seeblick in Wasserburg. Vom Fenster aus konnte er den Bodensee überblicken. Die Berge am gegenüberliegenden Ufer waren in blauen Dunst gehüllt. Ein Dampfer zeichnete sich als dunkle Silhouette gegen den Horizont ab.
Langsam senkte sich die Dämmerung über das Land. Die Konturen der Berge verschmolzen mit dem Horizont. Immer mehr Lichter wurden sichtbar.
Auch Alexander knipste das Licht an und zog die dunkelblauen Vorhänge zu. Ihm gefiel der schlichte, geschmackvolle Stil des Hotels sehr. Am Morgen hatte er einige Worte mit der Besitzerin des Hotels, Renate Kreuzer, gewechselt. Sie war eine attraktive Frau Mitte dreißig mit honigblonden Haaren und schönen blauen Augen, die ein wenig traurig in die Welt blickten. Alexander wusste, dass sie geschieden war und eine zwölfjährige Tochter hatte. Diese hatte er jedoch nicht kennengelernt.
Alexander entkleidete sich und duschte sich. Danach zog er frische Wäsche an und rasierte sich. Sein Magen hatte schon einige Male geknurrt. Aber vor dem Abendessen wollte er noch Denise anrufen. Er bedauerte sehr, dass sie nicht mitgekommen war. Wieder einmal hatte sie erklärt, nicht fortzukönnen.
Alexander von Schoenecker verstand das Verantwortungsgefühl seiner Frau für Sophienlust und alles, was damit zusammenhing. Aber er fand, sie hätte ihn trotzdem begleiten können. Henrik hätte man während ihrer Abwesenheit – wie schon so oft – in Sophienlust unterbringen können.
Alexander seufzte leise auf. Wenn es nach ihm ginge, müsste Denise ihn auf allen seinen Reisen begleiten. Vielleicht würde es später, wenn Nick erwachsen sein und die Verantwortung für Sophienlust übernommen haben würde, so sein. Denn seine Urgroßmutter hatte ihm den Besitz vererbt. Denise verwaltete ihn nur bis zu seiner Großjährigkeit.
Allzu lange würde es bis dahin ja nicht mehr dauern, sagte sich Alexander und schlüpfte in seine flaschengrüne Tweedjacke. Bevor er das Zimmer verließ, blickte er noch einmal in den Spiegel. Seine Schläfenhaare waren inzwischen weiß geworden. Dabei kam es ihm wie gestern vor, dass er Denise und Nick kennengelernt hatte. Und doch waren seitdem schon zehn Jahre vergangen. Sie waren viel zu schnell verflogen.
Alexander lachte leise. Ob jeder alternde Mensch so sentimentale Anwandlungen bekam?, überlegte er, als er das Zimmer verließ.
Auf dem Korridor kam ihm ein etwas mageres, jungenhaft aussehendes Mädchen mit kurz geschnittenen hellblonden Haaren und großen blauen Augen entgegen. Es trug Jeans und einen dunkelblauen Pulli. Es grüßte und blieb stehen. »Ich bin Hanni Kreuzer«, stellte es sich vor. »Nicht wahr, Sie sind Herr von Schoenecker?« Neugierig musterte es ihn.
»Der bin ich, Hanni.« Alexander gefiel das Mädchen. »Ich habe von deiner Mutter gehört, dass du im Hotel fleißig zupackst.«
»Ich tue es gern. Mutti braucht Hilfe. Aber Herr Hacker mag es nicht, wenn ich helfe. Herr Hacker ist der Hoteldirektor. Als ob wir ohne ihn nicht auskommen könnten«, fügte sie aufsässig hinzu. »Aber Mutti ist unbelehrbar. Wenn Sie einen Augenblick warten, können wir zusammen mit dem Lift nach unten fahren. Ich muss nur schnell etwas aus meinem Zimmer holen.«
»Ich warte gern.« Alexander blickte dem Mädchen nach, das nun den Korridor entlanglief. Es hatte kaum Ähnlichkeit mit seiner attraktiven Mutter, aber es war auf eigene Weise anziehend. In einigen Jahren würde Hanni Kreuzer vielleicht sogar schöner sein als ihre Mutter, nahm Alexander an.