Oleivo der Maler - Paul Gisi - E-Book

Oleivo der Maler E-Book

Paul Gisi

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Beschreibung

Ich, Oleivo der Maler, finde mich, verliere mich, schwerelos geworden, schwebend, lustverzückt in den Farben.

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Ich male mich in den Farben

der Welten des Tags, der Nacht.

Oleivo

Nahe bei Ombos, der längst versunkenen altägyptischen Stadt mit der schwarzen Pyramide, muss, so ist in Archiven nachzulesen, die Stadt Oleivo gelegen haben, der renommierte Ägyptologe Dr. Abn el-Shar glaubt, dafür Spuren gefunden zu haben, was nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Mythologie gewaltig aufpolieren würde, was ein Glücksfall zu nennen wäre, doch ich muss vehement mitteilen, dass ich, Oleivo, nichts von dieser versunkenen altägyptischen Stadt Oleivo, nichts von dieser Mythologie kenne, dass ich, ein Kunstmaler, so heisse, alsofürsorglich stelle ich mich vor: ich heisse Oleivo und lebe leidenschaftlich in dieser unserer Gegenwart und möchte, schön gegen alle Regeln der Schreibkunst, sofern es das überhaupt gäbe, Teile von meinem Leben berichten, von meinen Reisen, von meinen Misserfolgen, von meinen Farbenberauschtheiten, meinen Delirien, meinen Beziehungen, meinen Beziehungslosigkeiten, diese Blätter sind kein Grundriss, keine Übersicht über mein Leben, ihnen liegen keine Konzeption, keine Pläne, keine Projektierungsabsichten zu Grunde, sie sammeln bloss kaleidoskopartig Fragmente, Ansichten, Teilsichten, Passagen von dem, was ich erlebte, was mir geschah, Begegnungen, auf die Chronologie wird nicht geachtet, was vor langer Zeit durch mein Leben stürmte, was vor langer Zeit mich aufwühlte, hat sich vielleicht beruhigt oder ist ganz vergessen gegangen, und das, was ich nicht oder wenig beachtete, schäumt mich heute auf, manchmal war das Eine das Viele und das Viele das Unverständliche; wenn ich mich an einen Leitfaden hielte (doch das ist bereits zuviel gesagt), könnte ich sagen, es ist die Leidenschaft, die in meinem ganzen Leben vorherrschte, teils als sehendes Auge im Sturm, in sich ruhend und unberührbar, teils als der Sturm selbst, der mich mit sich fortriss, ich trete für keine Hypothese irgendeiner Denkrichtung ein, ich färbe meine FREIHEIT ein, einmal pastos, einmal aquarellhaft, dann wieder tachistisch oder impressionistisch, gerade so, wie es mir gefällt, und meine Erinnerungen, Vorstellungen, Einbildungen, Erlebnisse, Hoffnungen, Depressionen, bei denen es immer wieder gilt umzuschichten, neu zu formulieren, Abstriche zu machen, Ergänzungen vorzunehmen, anders zu fokussieren, frische Perspektivenstandpunkte zu finden, sind mit all meinen andern Lebensfarbkombinationen konvergent oder divergent, alles kann in Harmonie oder Disharmonie in Beziehung gesetzt werden, ich jongliere unbekümmert Gegenwarts- und Vergangenheitsformen, obwohl es im Grunde nur Leidenschaftsformen gibt, ich möchte meine Gedanken im Höhenflug der Begeisterung oder im Tiefflug verdämmernder Stunden notieren, ich nehme mir dieses Recht, von den Verzweiflungen und dem Himmelhochgejauchze in meinem Atelier zu reden, in einem Atelier, in dem die Kälte unbarmherzig vorherrscht, wo man sich die Gicht, dieses unartige Zipperlein, die Arthritis, das abendländische Rheuma, die Geschnäuzsucht, den orthodoxen Husten, das dogmengefangene Kältezittern holt, Rettung gibt es keine, ausser der Cognac wärmt zuweilen die Ganglien in den Katakomben in den Labyrinthen der Nacht, liebe Leserin, liebe Leser meiner Holterdiepolteraufzeichnungen, sei milde, sanft mit mir, wenn ich dir zuweilen zumute, dass ich die Welt, als ob ich wüsste, was die Welt sei, etwas auf den Kopf stelle, ich rabaukle, rabuzinzzle manchmal drauflos, manchmal wieder säusle ich wie die Seraphim, doch am liebsten mische ich meine Farben, sofern ich welche habe, denn ich muss gestehen, die Armut ist bei mir derart fortgeschritten, dass ich es mir oft nicht leisten kann, Farbtuben zu kaufen, stellen Sie sich also entsetzt vor, was ein Maler ohne Farben ist, das ist schlimmer, als ob ein Politiker keine Waffen behufs Veredelung des Patriotismus hätte, nein, das ist nun wirklich die desolateste Unmöglichkeit aller denkbaren oder undenkbaren Perspektiven, ich will nun nicht über die Welt als solche räsonieren, das ist meine Sache nicht, ich muss leider rappeltrocken wiederholen, ich weiss nicht so genau, was die Welt ist, doch ich möchte nun endlich mit meinen Aufzeichnungen beginnen, die zwar auch von Welten reden, wenn auch von sehr individuellen, künstlerischen, saftigen und kargen, mitnichten von Hirngespinsten, Allotriagebäuden, assoziativen Alfanzereien, Liebeslusträuschen, ich weiss noch nicht, was ich schreiben werde, ich denke mir, dass das Denken eine Fata Morgana ist, nicht der Rede wert, das Denken ist immer der Balken im eigenen Auge, hohoo, wo habe ich das mit dem Balken schon mal irgendwo gelesen, ich weiss nicht mehr wo, das spielt auch keine Rolle, ich will auch nicht denken, da ich kein Denker bin, sondern Oleivo der Maler, ich zeichne auf, was ich male, als ob das möglich wäre, ich möchte, liebe Leserin, lieber Leser, pointillistisch von meinem Leben reden, von meinen Krümmungen und Zielgeraden, von meinen Aufschwüngen, meinen Abstürzen, meinen extremen Leidenschaften, und, ich kann das leider nicht ausschliessen, ich muss zuweilen von meinem feuerspeienden Überdruck schwärmen, ich, Oleivo, bin ein brodelndes Fass voller Leben, ich platze oft vor Wildheit, vor brutzelnder Überschäumungslust, ferner und nicht zuletzt (wenn auch nicht anfänglich) möchte ich ungeniert von meinen seelischen Wasser-und-Dampf-Fontänen berichten, so als ob sie ein Weltereignis besonderer Güte, von exklusiver Wichtigkeit wären, o ich Narr, und immer und immer wieder schreibe ich von mir bekannten Menschen oder lasse sie selbst zu Wort kommen, die Amöbe kann die Sonne verdunkeln, der Strudelwurm das Klima verändern, es ist alles eine Frage der Zuordnungen, der Gewichtungen, der harmonischen oder disharmonischen Einfärbungen, ich denke mir, obwohl ich nicht viel aufs Denken halte, da steht uns noch vieles bevor, von dem wir in dieser Stunde keine Ahnung haben, ich wundere mich, bin entsetzt, wenn ich geld- und reputiergrandezzliche Zeitgenossen höre, die wie eine verbeulte Trompete Schmetterweisheiten von sich zu geben überzeugt sind von den Plattitüden der Stammtische, ich habe dafür nicht mal ein minimalstes Zucken des Mitleids übrig für diese Schmierfinken, auch wenn die Mummenschanzhonoratioren der Oberflächlichkeit und der aufgeblähten Lügen gravitätisch mit hohlem Rücken umherstolzieren, doch ich will zuunterst wie zuoberst wie inmitten eigentlich nicht von der Welt an-sich, für-sich, anders-mit-sich und quer-gegen-sich reden, denn davon verstehe ich zu wenig, ich kraxle meine Aufzeichnungen in meinem Atelier hin, mit klammen Fingern, es ist fast fibrös kalt, ich habe wiederum einmal kein Geld für Farben, was mich in Verzweiflung stürzt, doch ich möchte um Himmels willen nicht untergehen, sapristi!, deshalb nehme ich Zuflucht, türme ins Schlupfloch des Schreibens, denn die Weltliberey zu vermehren ist ja auch nicht das Schlechteste, wenn auch nicht sattelfest sinnvoll, verdammtnochmals, allseitig denke ich mir (wiederum dieses verfluchte Denken), dass es besser ist zu malen als zu denken, als zu schreiben, doch wenn keine Farben da sind, muss ich dennoch etwas tun, also schreibe ich, dieses diabolische, basiliskenaugenglühende Dilemma hockt tief in mir, zerrt in mir, lässt mich vor Wut aufheulen, aufschäumen, aufbäumen, peitscht mich auf, grimassiert mich höhnisch an, ich meine nicht, dass die Welt ein Secret, ein Abort eines genusssüchtigen Gottes ist, doch ich bin, mit oder ohne Farben, entgegen der landläufigen Schrebergärtchenhorizonte desillusioniert geworden, habe so meine Vorbehalte gegenüber einer Schöpfung, die den Menschen als Krone anzusehen sich einbildet, derweilen das verartete Menschleyn kaum was anderes als morden und brandschatzen kann, herrgottschtärnechaibnochmals, ich habe nichts zu verbothschaften, ich kenne allerley Ängste, Zukunftshoffnungen, Gegenwartsschauder, ich kenne die ersäuften Vergangenheitszierlinge der Lüge, mir, Oleivo, macht man nichts vor, denn manchmal denke ich (das Denken macht mich noch rasend), es geht schlicht ums Abküssen, ums Abküssen eines Körpers, ich liebe die Gelust, die heutige schwindsüchtige Sprache sagt dünnluftig Lust, doch Gelust ist näher beim Wort Gemächt, was schlicht ein Penis, ein Hodensack, ein Zeugungsglied, ein Lustpropfen, einmalig in seiner vielseitigen Einsatzbereitschaft, ist, doch mir fehlen jetzt die Worte, um meine Aufzeichnungen weiter aufschichten zu können, mir fehlt es an allem, an farbigen Worten, an konkreten Farben, da frage ich mich bang, was ein Künstler in der heutigen Zeit sei, ein bleiernes Schweigen lähmt mich, und da ich mehr dümmlich als gescheit weiss, dass ich nichts weiss, lache ich, schenke mir Châteauneuf-du-Pape ein, rauche meine Bruyère-Pfeife, höre die Belcantooper „Anna Bolena“ von Donizetti,

oft sitze ich, Oleivo, mit meinem Freund Tim nachts, in der Stunde des Wolfs (und weit darüber hinaus) zuvorderst auf der Mole des kleinen Bodenseehafens von Staad, und was wir, Tim, der Musiker, und ich, der Maler, erleben, egal ob das Wetter hudelt oder samten uns umschleicht, darf gewiss, parbleu, als fantastisch bezeichnet werden, die Wasserwellen rutschen, flutschen und glucksen über die Steine, die der Mole vorgelagert sind, heute Nacht spricht Tim von der gefrässigen Sinfonie des Sees, was uns hemmungslos lachen macht, wir umarmen uns romantisch, und dann sehe ich mich als Maler auch genötigt, exquisit etwas zu sagen, doch mir will partout nichts einfallen, da sage ich schlicht, als ob ich ein Dichter wäre, sintemahl diese Nacht am See viele Gefühle aufschäumt, mich deucht diese Nacht aristoteleswelsmarmorgetüpfelt, da höre ich Tims aus der Nacht auftauchendes orgelhaftes Lachen,

ich sehe seine Augen aufleuchten und wir beide lachen und lachen gemeinsam ohnmächtig toll, wie ein von Wolken zerrissenes Sternbild, wir prusten drauflos wie unzählige Karsthöhlenquellen, und als wir uns vor Heiterkeitslust ausgezappelt haben, senkt sich ein wie von einer Schotterterrasse herabpurzelndes Schweigen in uns, wir werden beide plötzlich, ohne zu wissen warum, farblos, klaglos, bildlos, lachlos stumm, und diese Stummheit, das spüren wir beide, ist beredter als alle Töne, Wörter, Farben, und Tim und ich sind uns näher denn je, ich, Oleivo, verkaufte mein Fahrrad, damit ich Farbtuben kaufen konnte, ich wollte wie ein Geysir ein neues Bild malen, ich hatte zwar noch kein Thema, keine Vorstellung, was ich malen wollte, was mich aber nicht im Geringsten störte, beunruhigte, denn mit Themen und Vorstellungen kommt man beim Malen nicht weit, das wusste ich längst, also machte ich mich daran, filigran ein verwelkendes Amarantdunkelrot auf die Leinwand zu zaubern, was mir genüsslich gefiel, was mir Mut machte, schwungvoll ein heliotropes Blütengelb anzufügen, ich betrachtete andachtsvoll diese zwei dialogischen Farben, instrumentierte diese zwei Urfarben mit spatelförmigen, rosettigen, silberweissen Fäden, langsam kam ich in Fahrt, ha, dachte ich, keck drauflos gemalt, ich habe noch viele volle Farbtuben, ich will sie wie ein Hexenmeister mischen, ich hellte das Nesselquallenviolett mit Langustenzangenrot auf, hoho, ich kam vorwärts, als Oberstimme komponierte ich das immergrüne Blätterdach der Urwälder mit ihren ungezählten Vögeln hinzu, die Töne, die Schattierungen, die Grelligkeiten fanden sich, stiessen sich ab, Harmonien versanken in Disharmonien, Abstraktes durfte abstrakt bleiben, es wurde wie aus längst vergangenen, vergessenen Zeiten und Kulturen nicht entzifferbar, ich bepurpurte akzentuierend ein paar Aufschwünge, und, um nicht selig gesprochen zu werden, gab ich noch etwas Schwarzbartflugdrachentöne bei, und, da mir alles doch etwas zu sehr ins Amorphe zu stürzen drohte, entschloss ich mich, etwas zögerlich, Strukturen eines Faltengebirges in die Niederschlagsfronten meiner Farben, ein Halbmondgelb in alle Windrichtungen zu streuen, und siehe da, das Bild, allerseitig betrachtet, wurde langsam zum wirklichen Bild, doch dann bemerkte ich, intuitiv selbstheitverliebt, dass dem Ganzen, um eben ein Ganzes zu werden, das Tiefblau der Kopfigen Teufelskralle fehlte, was ich sofort behob, indem ich mich nicht scheute, dies dominant einzufügen, ich lehnte mich zurück, und sah, dass das Bild gut war, ich gab ihm den Titel „Anfang vor dem Weltuntergang“, zündete meine molchfarbene Pfeife an, schenkte mir Châteauneuf-du-Pape ein und ging auf meine geliebte Hafenmole,