Our Hearts at Dawn (Seoul Dreams 2) - Janine Ukena - E-Book

Our Hearts at Dawn (Seoul Dreams 2) E-Book

Janine Ukena

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Beschreibung

**Unsere Liebe beleuchtet von Rampenlicht** Seit der Bekanntgabe ihrer Beziehung zu dem weltberühmten K-Pop-Star Min-ho steht Arias Welt völlig auf dem Kopf. Unter dem Druck der Öffentlichkeit und den kritischen Augen der Fans müssen die beiden lernen, zu sich selbst zu stehen, ohne sich dabei zu verlieren. Während Min-ho gezwungen ist, eine Entscheidung zu treffen, die seine Karriere für immer beeinflussen wird, bewahrheitet sich Arias größter Albtraum, als sie plötzlich ihrem Exfreund gegenübersteht … Tiefgehende, knisternd-romantische New Adult Romance für alle K-Pop-Fans und die, die es noch werden wollen! Leser*innenstimmen: »Ein herrlich berührendes Debüt, das im Kopf hängen bleibt und den Leser gespannt zurücklässt.« »Wundervoller Auftakt mit vielen Gefühlen. Ich habe mich hoffnungslos in Min-ho verknallt.« »Ich muss sagen, dass ich einfach hin und weg bin.« //Dies ist der zweite Band der romantischen New-Adult-Buchserie »Seoul Dreams«. Alle Bände der Liebesgeschichte bei Impress: -- Band 1: Our Souls at Midnight -- Band 2: Our Hearts at Dawn// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

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Janine Ukena

Our Hearts at Dawn (Seoul Dreams 2)

**Unsere Liebe beleuchtet von Rampenlicht **Seit der Bekanntgabe ihrer Beziehung zu dem weltberühmten K-Pop-Star Min-ho steht Arias Welt völlig auf dem Kopf. Unter dem Druck der Öffentlichkeit und den kritischen Augen der Fans müssen die beiden lernen, zu sich selbst zu stehen, ohne sich dabei zu verlieren. Während Min-ho gezwungen ist, eine Entscheidung zu treffen, die seine Karriere für immer beeinflussen wird, bewahrheitet sich Arias größter Albtraum, als sie plötzlich ihrem Exfreund gegenübersteht …

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Vita

Playlist

Danksagung

© privat

Janine Ukena wurde 1995 geboren und studiert derzeit Germanistik an der Universität Oldenburg, wo sie mit vielen Büchern in einer WG lebt. Wenn sie nicht gerade am Lesen oder Schreiben ist, verbringt sie gern ihre Zeit damit, neue Sprachen zu lernen und auf Instagram (janine.uk) über das Schreiben, Bücher und Serien zu bloggen. Zudem trinkt sie mehr Koffein, als ihr guttut und hat eine große Leidenschaft für Südkorea, die sie nicht nur zu ihrer Masterarbeit, sondern auch zu ihrem Debütroman inspiriert hat.

Für Vanessa, Julia und Katja.Weil ich es ohne euch nicht geschafft hätte.

Playlist

New Empire – A Little Braver

Anson Seabra – Trying My Best

SHY Martin – Slow

Sarbina Carpenter – Shadows

Henry – JUST BE ME

KIMMUSEUM – We’re Already

Stray Kids – Scars

Clinton Kane – I GUESS I’M IN LOVE

Emmit Fenn – Yellow

Mokita – colorblind

BTS – First Love

Jenna Raine – See you later (ten years)

BLACKPINK – Stay

Monsta X – The Dreaming

BTS – Interlude: Shadow

Queen – Love Of My Life

J_ust – Want to go to sleep

ATEEZ – Be With You

Shawn Mendes – It’ll Be Okay

Ollie, Aleesia – Better With You

HONNE – free love (dream edit)

Justin Bieber – Ghost

BAEKHYUN – Bambi

Harry Styles – Falling

V – Christmas Tree

suggi – astroboy

LANY – dna

BTS – Euphoria

Ellie Goulding – Still Falling For You

고생 끝에 낙이 온다

At the end of hardship comes happiness

Prolog

Ich hatte mich nicht plötzlich verliebt. Es geschah langsam, schleichend, und es war unvermeidbar. Ich war lange der Auffassung gewesen, dass man selbst dafür verantwortlich war, was für ein Leben man führte. Aber gegen einen kleinen Funken des Universums hatte ich nichts einzuwenden. Dieser kleine Funken hatte sich zu einem Feuerwerk entwickelt, der alles hell erleuchtete. Der Weg ist das Ziel. Die Bedeutung dieses Satzes hatte ich erst viel zu spät verstanden. Auf dem Weg zu mir selbst hatte ich mehr gefunden, als ich mir jemals erträumt hatte. Hoffnung, Liebe, Mut. Eine Zukunft, in der ich glücklich war. Doch so schnell, wie ich es gefunden hatte, so schnell war es auch wieder weg.

Dafür brauchte es nur einen Tag.

Diese Zeit reichte aus, um unser Glück in eine Tragödie zu verwandeln. Mit den Köpfen in der Vergangenheit konnten wir keine Zukunft haben. Ich fragte mich, ob wir beide stark genug waren, um uns da rauszukämpfen.

Wenn alles zusammenbricht und du das Vertrauen in die Welt verlierst, was tust du?

Genau …

Davor wegrennen.

Und genau das taten wir.

1

Aria

Eine Woche nach dem Unfall

Zeit war etwas Komisches. In meinem Leben gab es viele Momente, die sich endlos angefühlt hatten. Momente, die ich immer und immer wieder abspielte, wenn das Leben dunkler und schwerer wurde. Tage, die sich wie Sekunden anfühlten. Als wären sie mit einem Blinzeln vorbei, weil man so damit beschäftigt war, jeden Moment zu genießen, anstatt über alles hundertfach nachzudenken.

Doch da gab es auch die Tage, die sich wie Jahre anfühlten. An denen der Kopf nur mit Nachdenken beschäftigt war. An denen es sogar zu viel für mich war, aus dem Bett aufzustehen. Und wenn ich es doch tat, fühlte es sich an, als würde ich durch dicken Schlamm laufen. Die letzte Zeit fiel leider in diese Kategorie. Es war, wie in einer endlosen Zeitschleife gefangen zu sein. Wir steckten darin fest, mussten uns jeden Tag aufs Neue damit auseinandersetzen, was passiert war, und uns an den kleinen Funken Hoffnung klammern, ohne ihn dabei zu erdrücken.

Gebrochene Rippen heilten innerhalb von vier bis sechs Wochen.

Eine Platzwunde im Gesicht konnte genäht werden.

Ein leichtes Schädelhirntrauma fesselte einen ans Bett, aber nach etwas Ruhe ging auch das vorbei.

Was nicht vorbei ging, was nicht geheilt oder genäht werden konnte: die Albträume. Die Kämpfe, die in unseren Köpfen stattfanden und dadurch nicht sichtbar waren. Der tiefe Graben, der durch diesen Unfall zwischen Min-ho und mir entstanden war. Es waren die wiedergekehrten Gefühle unserer Vergangenheit, die jetzt ihren Platz in der Gegenwart einforderten.

In einem Krankenhaus verging die Zeit anders. Der Tag wurde von Untersuchungen, dem Abwarten auf Ergebnisse und den Besuchszeiten bestimmt.

Ich las Min-ho aus Demian vor, spielte Frank Sinatra und hielt seine Hand, die plötzlich nicht mehr stark und groß wirkte, sondern klein und zerbrechlich. So lange, bis ich gebeten wurde, den Raum zu verlassen. Die Vorstellung, dass Min-ho alleine mit seinen Gedanken und Albträumen war, ließ mich ebenfalls nicht schlafen. In den letzten Tagen hatte ich mich mit diesen Veränderungen nicht auseinandersetzen können. Alle um uns herum schienen sich in Lichtgeschwindigkeit an die neue Situation angepasst zu haben, während Min-ho und ich uns in Slow Motion bewegten.

Mehrere Tage vergingen, in denen er im Bett lag und nur wie ein Schatten seiner selbst aussah. Kaum redete, kaum etwas anderes zu sich nahm als grünen Wackelpudding und es nicht schaffte, mir in die Augen zu sehen. Meinen Blicken regelrecht auswich. Es waren nicht die körperlichen Verletzungen, die ihm zu schaffen machten. Das wussten wir beide.

Während ich noch am selben Tag entlassen wurde, musste Min-ho eine ganze Woche bleiben.

Eine Woche, in der ich an seinem Bett saß, obwohl wir meist nichts anderes taten, als zu schweigen.

Eine Woche voller Ärzte, Anwälte und Menschen, die dafür sorgten, dass wir das Chaos seit dem Unfall bloß nicht vergaßen.

»Ich will zurück«, flüsterte Min-ho.

»Ich auch«, sagte ich leise und fragte nicht, wohin zurück er genau meinte. Wie jeden Abend lag ich an seiner Seite im viel zu kleinen Krankenbett.

Wir wussten nicht, was uns nach allem hier erwarten würde. Wir wussten nur, dass im Hintergrund Pläne geschmiedet wurden. Pläne, die eine Zukunft betrafen, während die Gegenwart so gebrochen und düster geworden war.

Die Welt stand in Flammen. So fühlte es sich jedenfalls an. Selbst hier im Krankenhauszimmer konnte man die Rufe der Fans hören. Versammelt vor dem Krankenhaus sangen sie Songs von KT6. Nachdem der Unfall bekannt geworden war, brach eine Nachrichtenwelle über uns herein. Die Fans waren auf die Straße gegangen, hatten demonstriert und geweint. Vor dem Tor in Hannam-dong, das zu Min-hos Apartment führte, vor dem Gebäude von SYE Entertainment, bei dem Min-ho und die anderen Mitglieder von KT6 unter Vertrag standen, und auch hier vor den Türen des Krankenhauses, das seit Min-hos Einlieferung zusätzliches Sicherheitspersonal benötigte.

Tag für Tag hatten die Fans sich versammelt, weil sie Gewissheit wollten. Gewissheit darüber, wie es Min-ho ging, ob die Tour abgesagt wurde und was es überhaupt mit unserer Beziehung auf sich hatte.

Die Gerüchteküche hatte schnell zu brodeln begonnen und so kam heraus, dass ich mich ebenfalls im Auto befunden hatte. Instagram war voll mit dem Hashtag #minria, eine Kombination aus Min-hos und meinem Namen. Der anfängliche Hass auf mich und unsere Beziehung war von der Angst abgelöst worden, dass es das Ende der Band sein könnte. Plötzlich gönnten sie Min-ho diese Freiheiten. Waren glücklich für ihn. Für uns. Solange es mit der Band weiterging. Es war verrückt, diesen Wandel mitzuerleben. Ich glaube, keiner von uns hatte damit gerechnet. Und als Min-ho ein Foto postete, auf dem wir beide das berühmte Fingerherz machten, dauerte es keine zehn Sekunden, bis es Tausende von Likes hatte. #couplegoals zierte jeden dritten Kommentar.

Aber alles hatte seine Schattenseiten. Die Fans teilten sich in zwei Gruppen. Es gab diejenigen, die hinter uns standen. Die Tweets, Stories auf Instagram, Clips auf TikTok, YouTube-Videos, jeden Artikel und jedes Pressefoto analysierten, und diejenigen, die immer noch gegen uns oder vielmehr gegen mich waren.

Als dieses Auto in uns hineingerast war, teilte sich unsere Zeit ebenfalls in zwei Teile.

Plötzlich gab es ein Vorher und ein Nachher.

Und das konnten wir nicht mehr rückgängig machen.

Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass gleich die Krankenschwester hereinkommen und mich daran erinnern würde, dass die Besuchszeit um war. »Keine Sonderrechte für K-Pop-Idols«, sagte sie am ersten Tag in strengem Tonfall zu mir, als ich sie gebeten hatte, ein Auge zuzudrücken.

»Bitte geh nicht«, bat Min-ho mich jetzt, als ich aufstand, und seine Stimme zitterte, als würden ihn diese drei Worte unheimlich viel Kraft kosten. Wie jeden Abend musste ich mich überwinden, trotz seiner Bitte zu gehen.

»Morgen begleitest du mich. Morgen kommst du hier raus«, sagte ich leise. Die Tränen in meinen Augen blinzelte ich schnell weg, damit er sie nicht sah.

Es waren nur ein paar Tage gewesen und doch fühlte es sich wie eine Ewigkeit an.

Eine Ewigkeit, die so dunkel erschien, dass wir gar keine andere Wahl hatten, als heller zu leuchten.

Oder es jedenfalls zu versuchen.

2

Min-ho

Für einen kurzen Moment hatte mir das Leben alles vorgeführt, was ich jemals gewollt hatte. Die Rückkehr in die Öffentlichkeit. Das Comeback mit der Band zu unseren Bedingungen. Den Song zu performen, der sich endlich wieder nach mir anfühlte. Und das alles mit der Person an meiner Seite, die mich vervollständigte. Ich hatte diesen zukünftigen Schmerz mit offenen Armen empfangen, ihn in Kauf genommen für ein paar Momente, in denen ich glücklich sein wollte.

Es war ein schlechter Scherz des Universums, dass sich meine Vergangenheit jetzt wiederholte. Ein Unfall, der nur meinetwegen passierte. Diesmal war ich nicht allein zurückgeblieben und trotzdem fühlte ich mich wie damals, als ich im Krankenhaus ankam und hörte, dass es für meine Eltern zu spät gewesen war.

Ich fühlte mich wieder wie ein verängstigtes kleines Kind, für das die Welt zu groß war. Als ich im Krankenhaus aufwachte, in Arias Augen blickte und nichts darin sah als Tausende Möglichkeiten, die mit diesem Unfall zu Ende hätten sein können. Weil ich dachte, ich könnte sie in mein Leben lassen, obwohl es nicht mal wirklich mir gehörte. Weil ich dachte, dass ich mich über die oberste Regel im K-Pop-Business stellen könnte: Lebe nur für deine Arbeit und die Fans. Nicht für die Liebe, nicht für dich selbst.

Doch jetzt hatte das Leben für uns auf Pause gedrückt. Ich bekam vorläufiges Verbot für die Bühne, die Tour wurde verschoben und das Entertainment besprach sich trotz allem mit einem Ärzteteam, wie man mich schnellstmöglich wieder fit für die Bühne bekam. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte mich, als ich die Antwort hörte.

Pause. Auszeit. Langsames Wiedereinsteigen.

Fürs Erste wurde beschlossen, Aria und mir die nötige Ruhe zu verschaffen, die wir in Seoul nicht bekommen würden. #minria war überall. Die Fans waren neugierig, ängstlich und besorgt. Eine zusätzliche Last, die mich erdrückte. Zu ihrer Beruhigung durfte ich ein kurzes Lebenszeichen von mir geben, das zudem deutlich machte, dass Aria noch an meiner Seite war. Das Entertainment hielt es für eine gute Idee, die Sache nicht zu verleugnen und es stattdessen mit Ehrlichkeit zu versuchen. Nicht zuletzt deswegen, weil die Fans plötzlich anfingen, sich hinter Aria und mich zu stellen und sie darin eine große Chance sahen. Es bedeutete vor allem eines für mich: Ich konnte aufhören, mich zu verstellen. Denn damit hatte ich kurz nach dem Debüt angefangen und spielte die Rolle, die für mich vorgesehen war. Für die ich geliebt wurde. Ich hatte aufgehört, ich selbst zu sein, weil ich dachte, dass es das war, was sie wollten. Damit war jetzt endgültig Schluss.

Nach allem, was passiert war, wäre ich dazu sowieso nicht mehr in der Lage gewesen. Den Min-ho, den die Fans kannten und liebten, gab es nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Es wurde Zeit, als derjenige hinauszutreten, der ich wirklich sein wollte. Und das wollte ich mit ihr an meiner Seite tun.

***

Der Tag meiner Entlassung begann mit einer zweistündigen Autofahrt und einem Versprechen. Ich hatte mir fest vorgenommen, an mir zu arbeiten und mich mit den verdrängten Erinnerungen auseinanderzusetzen. Für sie. Für ein mögliches Wir, das ich mir so sehr wünschte. Und auch für mich. Der Tiefpunkt ließ mich das Positive in den kleinsten Dingen sehen. Arias Lächeln schien jetzt umso kostbarer. Schließlich musste ich schmerzhaft lernen, dass es nicht selbstverständlich war.

Nachdem wir in meinem Apartment in Hannam-dong alles Nötige zusammengepackt hatten, machten Do-yoon, Aria und ich uns auf den Weg in unser neues vorübergehendes Zuhause in Gangwon-do, Chuncheon. Das Haus gehörte einem Freund von Jong-ssi, der dort einen Aufenthalt von mehreren Wochen für uns geplant hatte. Als CEO eines K-Pop-Entertainments hatte man so seine Kontakte. Das Haus lag direkt am Bukhangang. Ein Fluss, der Nord- und Südkorea vereinte und in dem ich mich seltsamerweise wiedererkannte, weil auch ich zwischen zwei Seiten stand. Sobald wir die lauten Straßen und die Hochhäuser hinter uns ließen, beruhigte sich mein Puls etwas. Der Trubel vor dem Krankenhaus und auch vor meinem Apartment war kaum auszuhalten gewesen. Ein Wunder, dass wir den Weg unversehrt durch das Blitzlichtgewitter und das laute Geschrei überstanden hatten.

Aria lag während der Fahrt in meinen Armen. Wir wurden von vier weiteren Wagen begleitet, die für die Sicherheit auf dem Grundstück sorgen sollten. Do-yoon schien nervös, so was merkte ich immer sofort, weil es kaum vorkam. Seine Augen huschten zu jedem Auto, zu jedem Passanten auf dem Gehweg und bei jeder Ampel fuhr er mit quietschenden Reifen los. Die Tatsache, dass er in dieser Nacht am Steuer gesessen hatte und im passenden Moment ausgestiegen war, machte ihn fertig.

Sofort kam mir unsere Unterhaltung im Krankenhaus wieder in den Sinn. Schon beim Betreten des Krankenzimmers war ihm anzusehen, dass ihn etwas beschäftigte. Den Gesichtsausdruck sah ich auch jetzt noch mehr als deutlich vor mir. Den Schmerz, den er hinter einem schmalen Lächeln verbarg.

Mit der Zeit war er so viel mehr als nur mein Begleitschutz geworden, er wurde zu einem Teil meiner Familie. Er war die Person, die ich seit dem Tod meiner Eltern mit Abstand am häufigsten sah, die all meine Breakdowns miterlebt hatte und für mich da war. Und ich war unendlich froh, dass wenigstens ihm nichts passiert war.

»Ich werde mir niemals vergeben, dass ich dich nicht beschützen konnte«, wisperte er. Stumm und ohne Regung liefen ihm die Tränen übers Gesicht. Seit wir uns kannten, hatte ich ihn erst zwei Mal weinen sehen. Als meine Eltern gestorben waren und am besagten Tag, als er völlig auflöst an meinem Bett zusammengebrochen war. Manchmal musste man alles rauslassen, das wusste ich zu gut. Deswegen legte ich meine Hand auf seine bebenden Schultern und wartete einige Sekunden mit meiner Antwort.

»Do-yoon, ich bin einfach froh, dass dir nichts passiert ist«, sagte ich sanft, setzte mich auf und zuckte augenblicklich zusammen, als mir der Schmerz der gebrochenen Rippen die Luft nahm. »Du hast an all dem überhaupt keine Schuld. Das hätte keiner verhindern können.«

Außer ich vielleicht, indem ich es gar nicht so weit hätte kommen lassen. Mich von ihr ferngehalten oder einfach besser aufgepasst hätte.

»Es tut mir leid«, brachte er flehend hervor. »Dass ich meinen Job nicht gemacht habe. Und dieser Überfall jetzt. Das war unprofessionell, entschuldige.« Mit dem Handrücken wischte er sich die Tränen weg und straffte die Schultern. Und zack, hatte er das distanzierte Pokerface wieder aufgesetzt. »Es war mir nur ein Anliegen, dir mitzuteilen, dass es mir leidtut. Ich habe meinen Job nicht richtig ausgeführt, ich war unachtsam. Wir hätten viel früher stehen bleiben und die Polizei informieren müssen, das weiß ich«, sagte er jetzt in einem kalten Tonfall. Mit einer Hand im Nacken entfernte er sich zwei Schritte von meinem Bett und sah mich an.

Ich hasste es, dass er diese Mauer zwischen uns aufrechterhielt, doch mir blieb nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren. »Alles klar«, erwiderte ich, weil ich wusste, er würde eh nichts anderes mehr hören wollen. »Aber nur fürs Protokoll: Ich gebe dir keine Schuld. Aria tut das auch nicht. Ich brauche dich an meiner Seite und ich bin froh, dass dir nichts passiert ist.«

Eine Millisekunde lang zuckten seine Mundwinkel verdächtig. Seine Wangen hatten sich eine Nuance dunkler gefärbt, doch er nickte nur.

»Ich bin froh, dass es nicht schlimmer gekommen ist«, sagte er leise. »Wir sehen uns morgen.« Bei seinen Worten hob er eine Hand zum Abschied und schon war er zur Tür hinausgegangen. Seitdem hatten wir kaum ein Wort gesprochen, auch wenn er jeden Tag wiederkam. Und auch jetzt hatte er dieses Pokerface aufgesetzt, als er mich im Rückspiegel keine Sekunde aus den Augen ließ.

***

Dieser Ort war anders, das spürte ich sofort, als wir aus dem Wagen ausstiegen. Unser eigenes kleines Haus am See.

Keine Menschen. Keine Handykameras. Kein Blitzlicht.

Nichts außer ohrenbetäubender Stille. Wir hatten Straßenlärm und blinkende Lichter gegen Vogelzwitschern und in den Wolken verschwindende Berge eingetauscht.

»Wow«, sagte Aria neben mir. Die Augen hatte sie ebenso aufgerissen wie ich.

»Unser Zuhause für die nächsten paar Wochen.« Mein Hals kratzte etwas, weil es meine ersten Worte seit der Ankunft waren. Vielleicht war dieser Ort weit genug von Seoul entfernt, um mir die Ruhe zu schenken, die ich bitter nötig hatte.

»Ich liebe es jetzt schon«, erwiderte Aria aufgeregt und lächelte mich an. Instinktiv zog ich sie in meine Arme. Meine Rippen taten immer noch weh, doch mittlerweile hatte ich mich an den Schmerz bei jedem Atemzug gewöhnt und der Arzt hatte mir Schmerzmittel mitgegeben, als er mich mit einem festen Händedruck entlassen hatte.

»Es fühlt sich endlich so an, als könnte ich vernünftig Luft holen«, murmelte Aria und entfernte sich ein paar Zentimeter von mir. »Jetzt, wo wir hier sind.«

»Bei den Feinstaubwerten mitten in Seoul bestimmt kein Wunder«, scherzte ich und brachte sie damit zum Lachen.

Verdammt, wie sehr hatte ich dieses Lachen vermisst.

Wir waren keine halbe Stunde angekommen, da verfiel Aria bereits in ihren To-do-Listen-Modus.

»Hast du mit Wook Jong über die Zeit hier gesprochen?«

»Lass uns die Kisten mit Lebensmitteln auspacken.«

»Wir sollten duschen und etwas essen.«

»Hast du deine Mails gecheckt?«

»Wir sollten gleich morgen früh mit Do-yoon sprechen.«

Während ich meine Augen langsam durch dieses Haus wandern ließ, lief sie herum, als wäre sie schon immer hier gewesen. Ich hingegen blieb abrupt stehen und stützte mich an der Wand ab. Die ganzen Eindrücke in Kombination mit der plötzlichen Erleichterung, endlich hier zu sein, waren vielleicht etwas zu viel. Wie in Zeitlupe verarbeitete mein Gehirn die vielen kleinen Details, die das Gesamtbild ausmachten.

Die beigen blickdichten Vorhänge.

Das klare Hellblau des Himmels.

Marmor, dunkles Holz und weiße Fliesen.

Das satte Grün des Sees.

Es roch nach frischer Farbe und gemähtem Gras.

Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich hinaus in den Garten und entdeckte das rustikale Bootshaus am Seeufer. Langsam drehte ich mich um, sah die vollen Bücherregale und den Kamin. Den schwarzen Flügel am Fenster, dessen Lack so poliert war, dass die Wolken sich darin spiegelten.

Mir wurde schwindelig und meine Fingerspitzen begannen zu kribbeln. Automatisch kniff ich die Augen zusammen.

»Min-ho?«, hörte ich Aria rufen. Ich holte einmal tief Luft und folgte ihrer Stimme. »Es ist viel zu groß. Was sollen wir mit so viel Platz?«, fragte sie, als ich in die Küche trat.

»Do-yoon schläft drüben im Bootshaus«, sagte ich und massierte mit Zeigefinger und Daumen meinen Nasenansatz.

»Was? Warum? Wir haben drei Schlafzimmer.« Ihr Blick war sofort besorgt, während sie mich musterte.

»Er will nicht den Eindruck erwecken, dass er bevorzugt wird. Deswegen will er lieber gemeinsam mit den anderen Sicherheitsleuten im Bootshaus schlafen.«

»Okay? Vielleicht ändert er seine Meinung ja noch.«

Do-yoon und Aria hatten sich im Krankenhaus irgendwie angefreundet, was komisch war, denn Do-yoon führte keine Freundschaften. Er hatte seinen Job. Es hatte Jahre gedauert, bis ich ihn dazu brachte, informell mit mir zu sprechen. Aber wenn es eine Person schaffte, diese Fassade einzureißen, dann war es Aria.

»Vielleicht.« Doch ich wusste, dass Do-yoon nie seine Meinung änderte, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.

»Peperoni?«, fragte Aria und hielt einen Pizzakarton hoch. Langsam nickte ich. »Für den ersten Abend hier nur das Beste.«

»Alles in Ordnung?« Langsam kam sie zwei Schritte auf mich zu. Erneut nickte ich.

»Jetzt schon«, sagte ich und zwang mich zu lächeln.

Egal, wie zerrissen ich war, für sie konnte ich so tun, als wäre alles in Ordnung. Für sie würde ich immer lächeln.

3

Aria

»Eomma! Appa!«

Min-hos Schreie rissen mich aus meinem ohnehin schon unruhigen Schlaf. Wie jede Nacht. Mittlerweile verstand ich die Worte, die Min-ho auf Koreanisch schrie, ohne Probleme. Er rief nach seiner Mutter, dann nach seinem Vater. Entweder das oder es war mein Name. Die Uhr zeigte mir an, dass die Träume diese Nacht später gekommen waren. Es war fünf Uhr morgens. Die Sonne ging gerade auf und schaute hinter den Bergen hervor.

Sieben Tage. Seit unserer Ankunft waren sieben Tage vergangen, in denen Min-ho jede Nacht von Albträumen verfolgt wurde.

Eine ganze Woche, in der er meinen Gesprächen auswich. Wir tanzten umeinander herum, bewegten uns dabei auf Eierschalen, die mit jedem Tag, der verstrich, kaum hörbar zerbrachen.

»Ich bin hier«, flüsterte ich und legte ihm eine Hand auf die Brust. Ruckartig setzte er sich auf. Seine weit aufgerissenen Augen huschten verloren im Raum hin und her. Der Ausdruck in ihnen schrie laut: Panik. Sie war ihm in seinem ganzen Auftreten sofort anzuerkennen. Die Tränen liefen ihm über die Wangen, als er sich zu mir umdrehte. »Ich bin hier«, wiederholte ich und strich ihm sanft die schwarz gelockten Haarsträhnen aus der Stirn. Er war vollkommen verschwitzt, sah mich verängstigt an und unter meiner Hand konnte ich spüren, wie sein Herz raste, als wäre er einen Marathon gelaufen. Es kam dem Weglaufen vor der Angst gleich, das wusste ich nur zu gut. Der Anblick schmerzte jedes Mal aufs Neue, doch ich wiederholte die Worte immer und immer wieder, bis sie endlich zu ihm durchdrangen. Min-ho zitterte am ganzen Körper, doch einige Atemzüge später nickte er und ich wusste, dass er den Nebel der Albträume hinter sich gelassen hatte. Dann nahm er mein Gesicht in beide Hände, ganz vorsichtig und sanft. Sein Daumen strich über meine Wange und ich wagte es nicht, mich zu bewegen. Es war beinahe so, als müsse er sich vergewissern, dass ich wirklich da war. Dass er wirklich da war. Und nicht dort, wo ihn seine Träume hinschickten.

»Aria?« Seine Stimme klang so schwach, dass es wehtat.

»Ich bin hier. Alles wird wieder gut.« Ein Satz, der mir so mühelos über die Lippen kam, dass ich ihn fast selbst glaubte. Und auch wenn er vielleicht gelogen war, erfüllte er jedes Mal seinen Zweck.

Seine braunen Augen sahen durch mich hindurch, als wäre ich aus Glas, doch er wiederholte meine Worte, bis sein Atem sich beruhigte.

»Alles ist gut.« Erschöpft ließ er sich zurück ins Kissen fallen, ich sank an seine Brust. Die Arme schlang er fest um mich und ich lauschte seinem Herzschlag, bis er wieder einen normalen Rhythmus hatte.

***

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Min-ho schon weg. Wahrscheinlich, um eine Runde um den See zu laufen. Bei ihm stand leichtes Training auf dem Plan, das er jedoch leider etwas zu ernst nahm. Der Geruch von Kaffee stieg mir in die Nase, als ich die Küche betrat. Wie jeden Morgen stand dort meine Tasse bereit, an die Min-ho einen pinken Post-it-Zettel mit einer Nachricht geklebt hatte:

내가 웃는 이유는 너야/ You are the reason I’m smiling

Bei unserer Ankunft hatte er damit angefangen, diese Klebezettel im Haus zu verteilen, und sie verfehlten nie ihre Wirkung. Lächelnd betrachtete ich die koreanische Schrift und die Übersetzung darunter, ehe ich den Zettel an den großen Spiegel im Flur klebte. Zu den restlichen Nachrichten, die er mir jeden Tag hinterließ. Worte, an die er mich erinnern wollte, sobald ich in den Spiegel schaute.

Und Sätze, die so viel Bedeutung in sich trugen, weil ich genau wusste, wie er sie meinte. Meine Augen blieben einen Augenblick an dem blauen Post-it in der Mitte hängen.

해가 뜨기 전 새벽이 가장 어두우니까 / The darkest hour is just before dawn. Ein Satz, der nach Min-hos Albträumen jede Nacht eine ganz neue Bedeutung bekommen hatte. Mit einer dampfenden Tasse Kaffee ging ich hinaus auf die Terrasse und sog gierig die frische Sommerluft ein, die im Verlauf des Tages verschwinden würde. In den letzten Tagen war die Temperatur rasant angestiegen und die Luftfeuchtigkeit machte es nicht gerade besser. Mit einer Hand nahm ich die Kapuze des lila Hoodies vom Kopf, dessen Stoff meine blonden Haare elektrisch auflud. Ich musste mich immer noch daran gewöhnen, dass sie jetzt so viel kürzer waren, wenn ich mit den Fingern hindurchfuhr. Mochi, die kleine weiße Katze, die seit unserer Ankunft jeden Morgen auf unserer Terrasse vorbeschaute, kam auf mich zugelaufen und fing an, um meine Beine zu tapsen. Zusammen liefen wir hinüber zum Bootshaus, wo ich ihr einen Napf aufgestellt hatte. Ich griff in die Vordertasche des Hoodies, holte eine kleine Futtertüte heraus und wie auf Kommando miaute Mochi laut. Für einige Augenblicke setzte ich mich neben sie, genoss die morgendliche Ruhe und lauschte den Vögeln und dem Wind, der um das Bootshaus wehte.

»Hast du wieder die Katze gefüttert?«, rief Min-ho, der plötzlich über den Rasen in meine Richtung lief.

Schnell ließ ich die Tüte mit dem Futter in der Hoodie-Tasche verschwinden und setzte ein unschuldiges Lächeln auf, während ich ihm entgegenkam, damit er den Napf nicht sah.

»Ich wünsche dir auch einen guten Morgen«, sagte ich und bemühte mich um einen extrasüßen Ton in der Stimme.

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und legte meine Arme um seinen Nacken. Hinter Min-ho konnte ich jetzt erkennen, dass Do-yoon ebenfalls in unsere Richtung lief und augenblicklich auf dem Rasen stehen blieb, als er mich sah.

»Sie kommt doch immer wieder, wenn du sie fütterst«, beschwerte Min-ho sich und schüttelte den Kopf.

»Aber sie hatte Hunger.« Möglich, dass ich etwas schmollte. Min-ho kniff kurz die Augen zusammen, ließ seinen Blick zu meinen Lippen wandern und seufzte.

»Woher hast du überhaupt das Futter? Wir haben doch die Einkäufe zusammen eingeräumt.«

Automatisch schaute ich zu Do-yoon, der gerade an uns vorbei ins Haus laufen wollte. Doch Min-ho nahm nicht eine Sekunde den Blick von mir, was mich immer noch ganz nervös machte. Manchmal glaubte ich, dass seine Augen insgeheim Lügendetektoren besaßen. Vielleicht hatte er auch einfach eine gute Menschenkenntnis. Die Tatsache, dass meine Ohren bei jeder Lüge wie Feuer glühten und ich mich immer verhaspelte, wenn er mich so ansah, half auch nicht besonders.

»Also … Ich …« Hilfe suchend blickte ich zu Do-yoon, der nun verschwiegen auf den Boden schaute. Na vielen Dank auch.

Jetzt folgte Min-ho meinem Blick.

»Ihr beide habt euch gegen mich verschworen, kann das sein?«

»Nein!«, brachte ich hervor.

Aber Do-yoons Stimme war lauter, als er sagte: »Sie hat mich gezwungen.«

»Feigling.« Der Versuch, ihn böse anzufunkeln, prallte an ihm ab und er verschwand im Haus, ohne noch mehr zu sagen.

»Erst die Ingwer Shots und jetzt das hier«, beschwerte Min-ho sich, doch das Zucken seiner Mundwinkel verriet ihn.

»Die sind gesund! Und viel schneller zu trinken als deine grünen Smoothies!«

Mit schnellen Schritten lief ich ebenfalls ins Haus, direkt in die Küche und schenkte mir ein Glas Wasser ein.

»Das ist noch nicht vorbei.« Min-ho kam drei Schritte näher und blieb dicht vor mir stehen. Seine Arme links und rechts an der Küchenzeile, sodass ich eingekesselt war. In seinen Augen erkannte ich, dass er nur so tat, als würde ihn das stören. Insgeheim wusste ich, dass er sich darüber freute, wie gut Do-yoon und ich miteinander klarkamen. Und ich wusste auch, dass er die Katze insgeheim genauso liebgewonnen hatte.

»Wir haben sie Mochi getauft. Weil sie weiß und flauschig ist. Und weil sie die Augen zusammenkneift, wenn man sie hinter den Ohren krault, und dann aussieht wie ein Mochi«, sagte ich leise, weil er mir viel zu nah war. Oder nicht nah genug.

Ein Grinsen huschte über Min-hos Gesicht, weil er genau wusste, was seine Nähe mit mir machte.

»Do-yoon, wie warm ist noch mal das Wasser im See?«, fragte er, ohne mich aus den Augen zu lassen.

»Er ist nicht …«

»Nicht warm genug. Also perfekt«, rief Do-yoon zurück.

»Wieso taucht der immer aus dem Nichts auf?«

Min-ho presste die Lippen aufeinander, als müsste er sich das Lachen verkneifen.

»Er hat doch auch mitgeholfen. Er holt die Katze jeden Abend zu sich!«, plapperte ich jetzt weiter. In der Hoffnung, dass er mich verschonte, aber Min-ho ließ seine Lippen einmal sanft über meine streichen und hob mich exakt in dem Moment hoch, als ich mich in seinen Berührungen verlor.

Mir entfuhr ein überraschtes Quieken, als er mich über die Schulter warf, als wäre ich ein Sack Mehl, und bereits in Richtung Terrasse lief.

»Du bist …«, fing ich an, doch verstummte, als seine Hände an meinen nackten Oberschenkeln entlangfuhren.

»Ja?«, fragte Min-ho nur amüsiert.

»Du bist so ein Idiot«, brachte ich hervor.

»Aber wenigstens dein Idiot, oder?«

Er lief mit mir an Do-yoon vorbei, der sein Pokerface für eine Sekunde vergaß und mich angrinste.

»Verräter«, rief ich ihm zu, was ihn zum Lachen brachte. Ich strampelte mit den Beinen, doch Min-hos Arme waren einfach zu stark. Wehren war zwecklos.

»Wieso schmeißt du nicht ihn in den See?«

»Ich kann ihn schlecht hochheben«, erwiderte Min-ho trocken und öffnete mit einer Hand die Tür.

Schon waren wir draußen im Garten. Drei Männer brachten gerade mehrere Kisten mit Lebensmitteln zur Vordertür und blieben abrupt stehen, als sie uns hörten. So war das immer. Man sah sie nie länger als ein paar Sekunden, als hätte man sie sich eingebildet.

»Natürlich könntest du das.« Mit diesen Oberarmen könnte er alles und jeden hochheben. Als Antwort lachte er nur.

»Du solltest deine Rippen schonen«, versuchte ich es.

»Das würde aber nur halb so viel Spaß machen«, erwiderte er und gab mir einen Klaps auf den Po. Sofort wurde ich knallrot.

»Min-ho, hier sind überall Leute.«

»Ach ja? Wo denn?« Er drehte sich einmal um seine eigene Achse, dann verstärkte er den Druck an meiner Taille und ließ mich langsam an seinem Körper hinuntergleiten. Viel zu langsam. Er wusste genau, was er da tat.

»Vielleicht lasse ich dich heute davonkommen«, sagte er mit dieser etwas tieferen Stimme. »Ich hatte sowieso andere Pläne mit dir.« Ein dunkler, beinahe gieriger Blick trat in seine Augen, als er das sagte. O Gott.

»Ach ja?«, wisperte ich. Wieso war meine Stimme plötzlich heiser? Wieso wurde mir so warm?

Min-ho nickte. »Ja.«

Einatmen, Ausatmen.

»Ich wollte eigentlich mit dir über etwas reden.«

Ein Satz. Es war ein Satz, der unsere kleine Bubble zerbrach. Innerlich wehrte ich mich schon gegen das Gespräch, das ich geplant hatte. Meine Entschlossenheit bröckelte, wenn er solche Dinge sagte. Mich so berührte und mich so anlächelte. Und ich sah in seinen Augen, dass er genau wusste, was ich versuchte, anzusprechen.

Er seufzte einmal, fuhr sich mit der Hand in den Nacken und nickte schließlich. »Heute Abend?«

»Klingt gut. Ich muss jetzt sowieso unter die Dusche. Miss Kang wartet bereits.«

»Unter die Dusche müsste ich auch …«

Sanft schlug ich ihm auf den Oberarm. »Jetzt hör auf damit.«

Aber ein Lachen konnte ich mir nicht verkneifen.

»Wenn du nicht willst …«, sagte er mit gespielter Enttäuschung.

Bevor ich etwas erwidern konnte, beugte er sich vor und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Seine Lippen schwebten drei, vier Sekunden über meiner Haut.

»Aber heute Abend entkommst du mir nicht so leicht«, flüsterte er und ehe ich etwas erwidern konnte, lief er mit schnellen Schritten zum Haus. Das will ich auch gar nicht, hätte ich beinahe laut ausgesprochen. Wie angewurzelt blieb ich stehen und versuchte meinem rasenden Puls etwas Pause zu gönnen. Auch nach all den gemeinsamen Nächten hatte ich mich noch immer nicht an seine Anziehungskraft und diesen Ausdruck in seinen Augen gewöhnt.

»Kommst du? Miss Kang wartet sicherlich schon«, rief er mir nach. Das zufriedene Grinsen auf seinem Gesicht war nicht zu übersehen und ich war froh, dass er das nicht auch noch verloren hatte.

4

Aria

»Und was empfinden Sie dabei?«, fragte Miss Kang und sah mich eindringlich an. Seit Min-hos Entlassung standen wir mit dieser Frau in Kontakt. Sie sei keine Therapeutin im herkömmlichen Sinne, wurde uns gesagt. Wir sollten sie eher als einen Coach sehen. Einen Coach, der hilft, möglichst schnell alles zu überwinden, was Min-hos Rückkehr auf die Bühne betraf. Doch tatsächlich hatten wir viel mehr über mich geredet, als mir lieb war. Über mich, meine Vergangenheit, was das alles mit mir machte. Auch wenn ich es selbst noch nicht ganz verstand.

Langsam hob ich den Kopf und blickte zu ihr herüber. Ich presste die Lippen aufeinander. In meinem Kopf stritten sich bereits sämtliche Gedanken darum, zuerst ausgesprochen zu werden.

Einatmen, ausatmen.

So eine dämliche Frage.

»Was ich dabei empfinde? Es ist jetzt eine Woche vergangen, seit wir hierhergekommen sind. Zwei Wochen, seit ich Min-hos Hand gehalten habe und dachte, er würde sterben. Seitdem hat sich alles verändert.«

»Und was meinen Sie genau, wenn Sie alles sagen?«

Lautlos lachte ich auf. Die ausdruckslose Miene und ihre stechenden Augen machten es nicht gerade leicht, zu erkennen, ob sie diese Frage ernst meinte. Schließlich hatte sich alles verändert. Das wusste sie, das wusste ich und obendrein wusste es auch ganz Korea. Immerhin war es wochenlang in den Nachrichten gewesen.

Hwang Min-ho (27), Mitglied der berühmten K-Pop-Band KT6, hat einen heftigen Autounfall mit nur leichten Verletzungen überlebt.Nach Angaben der Polizei prallte ein Auto frontal in den stehenden Wagen des Idols, der zu diesem Zeitpunkt auf dem Seitenstreifen parkte. Der Unfall ereignete sich direkt nach dem Konzert der Band KT6, welches nach Ende des Auftritts aufgrund einer bestehenden Morddrohung von der Polizei geräumt wurde. Die Polizei untersucht einen möglichen Zusammenhang. Bisher gab es kein öffentliches Statement des Idols oder seines Entertainments.

Sofort schossen mir die Bilder in den Kopf, die ich seitdem zu verdrängen versuchte. Na super. Danke dafür, Miss Kang.

»Min-ho … Ich … Wir …« Ich brach ab und schloss die Augen.

»Können Sie das genauer erklären? Dieses alles?«, hakte sie noch mal nach. Keine Gnade.

Nein, dachte ich, doch sprach es nicht aus. Die Erinnerungen waren beängstigend, wenn ich sie einmal zuließ.

Weil ich dann die Scheinwerfer sah, die auf uns zurasten.

Weil ich dann Min-ho bewusstlos auf dieser Trage sah.

Weil ich dann nur noch daran denken konnte, dass ich mich nur ein paar Sekunden früher hätte umdrehen müssen. Vielleicht hätten wir es dann aus dem Auto geschafft, bevor …

»Miss Harper?«

Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch, schüttelte die Erinnerungen ab und zwang mich zu lächeln.

»Entschuldigung«, sagte ich leise und blickte wieder nach draußen. Statt auf Hochhäuser, die in den Wolken verschwanden, blickte ich hier auf endlose Berge, und das war wenigstens eine Sache, die mich in diesen Gesprächen beruhigen konnte.

Das Entertainment hatte es zwar nicht so gesagt, aber der Ortswechsel und die Ruhe sollten uns dabei helfen, die Vorkommnisse zu verarbeiten, und uns aus der Hauptstadt rausholen, bis sich die Dinge wieder beruhigt hatten.

Mir kam jedoch viel zu oft der Gedanke, dass man Min-ho und mich in diesem Zustand vielleicht genauso sehr schützen wie auch verstecken wollte.

»Die Zeit ist gleich um«, erinnerte sie mich. Diese Gespräche mit ihr waren aufwühlend, heilend, und doch brachten sie mich zur Verzweiflung. Weil sie nachfragte, wenn ich zumachte. Weil sie zuhörte, selbst wenn ich schwieg.

Und ganz ehrlich? Ich hatte viel zu viele Baustellen, um diese Gespräche nicht wahrzunehmen. Min-ho und ich wollten an uns arbeiten, und genauso fühlten sich diese Gespräche an: nach Arbeit. Ich wusste, dass sie in erster Linie sicherstellen wollte, dass es uns besser ging. Und doch drehten sich unsere Gespräche zum Schluss immer darum, dass wir uns hier in diesem Haus allem stellen sollten, um schnellstmöglich zurückzukommen. Zurück nach Seoul, zurück in die Öffentlichkeit und Min-ho zurück auf die Bühne.

»Es fühlt sich an, als würde uns die Vergangenheit einholen und die Zukunft erdrücken. Für die Gegenwart bleibt kaum Platz.«

Meine Stimme zitterte leicht, als ich das sagte. Als wäre es ein Eingeständnis, das nun, wo ich es ausgesprochen hatte, nicht mehr zurückzuholen war. Schnell ballte ich meine Hände zu Fäusten, um meine zitternden Finger zu verbergen. »Wir wollen das so sehr zusammen hinkriegen. Wir versuchen es wirklich. Es ist beinahe lächerlich, wie sehr ich mir ein Happy End für uns wünsche.«

Der Kugelschreiber kratzte über das Papier, als Miss Kang etwas aufschrieb, und ich versuchte unauffällig auf ihren Block zu schauen, doch es war sowieso auf Koreanisch.

»Daran ist nichts lächerlich, wenn es Sie beschäftigt«, versicherte sie mir ernst. »Sprechen Sie beide denn über die Zukunft? Wie es weitergehen soll?« Ihre Augen verengten sich etwas bei ihrer Frage.

»Nicht im Detail. Irgendwie vermeiden wir es. Vielleicht, weil wir beide wissen, wie unrealistisch das ist.« Wow, die Verbitterung in meiner Stimme erschrak selbst mich, als ich es laut aussprach.

»Vielleicht sollten Sie das«, sagte Miss Kang nur

und lehnte sich etwas im schwarzen Ledersessel zurück.

Der Ausdruck auf ihrem Gesicht verriet mir, dass das nicht die Antwort war, die sie hören wollte. Konnte man bei Therapiestunden eine falsche Antwort geben? Denn ich fühlte mich so, als wäre ich durchgefallen. Sie wollte sicherlich wissen, wie schnell alles wieder zum Normalzustand zurückkehrte, damit die Welttour wie geplant stattfinden konnte. Aber diese Entscheidung konnte nur Min-ho für sich treffen.

»Wir reden nicht viel über die Zukunft, weil wir beide mit unserem Kopf noch in der Vergangenheit stecken. Oder vielmehr zurückgeworfen wurden«, versuchte ich es erneut.

»Sie sprechen über Chris.«

Ding! Ding! Ding! Volltreffer.

Bei der Erwähnung seines Namens presste ich die Lippen aufeinander. An ihn zu denken, tat immer weh. Immer. Und doch konnte ich es einfach nicht lassen. Was sagte das über mich aus? Warum konnte ich das alles nicht einfach vergessen?

»Sie verdrängen Ihre Vergangenheit, deswegen kommen Sie nicht voran. Es würde sicherlich helfen, wenn Sie …«

»Morgen beginnen die Onlinekurse, für die ich mich eingeschrieben habe«, unterbrach ich sie. Ihr schmales Lächeln sagte mir wieder deutlich: Durchgefallen, Aria.

»Etwas mehr Struktur wird Ihnen guttun.« Nachdem Sie Ihnen so entrissen wurde, sagte ihr mitfühlender Blick.

Ein Weg, um irgendwie mit allem klarzukommen, war es, mich für Onlinekurse einzutragen. Koreanisch und Fotografie an der Universität in Seoul. Alles online, alles auf Anfang. Ein kleiner Versuch, mein Leben wieder in die richtige Bahn zu lenken. So wie Min-ho, wenn er im Studio stundenlang an Songs arbeitete und die Zeit vergaß.

»Das ist doch zukunftsorientiert, oder?« Mein lockerer Tonfall war absolut unangebracht, doch ich konnte nicht anders.

»Unterstützt Mister Hwang Sie in ihrem Vorhaben?«

»Natürlich«, sagte ich sofort. »Er ist nicht wie … Es war seine Idee. Das mit dem Fotografieren, meine ich. Weil er weiß, wie viel es mir einmal bedeutet hat, bevor … Bevor Chris es mir verboten hat. Gestern hat er mir sogar eine neue Kamera geschenkt. Es fällt mir noch schwer, über die Details zu sprechen, aber er weiß … genug.«

Und dank Chris’ Drohung wusste jetzt auch das Entertainment mehr als genug. Schließlich hatten sie herausgefunden, dass seine Drohungen nichts als leere Versprechungen waren.

»Das freut mich für Sie«, sagte Miss Kang und es klang absolut unaufrichtig. »Unsere Zeit ist jetzt um.« Ihre Worte unterstrich sie wie immer damit, dass sie ihren Block zuklappte. »Haben Sie die Papiere unterschrieben?«

Ihr eindringlicher Blick nahm mir kurz die Luft.

Die Papiere. Die Verschwiegenheitserklärung, die mich Wook Jong unterschreiben ließ, war ein weiterer Punkt, über den Min-ho und ich lange gesprochen hatten. Egal, was für Argumente er dagegen anführte, egal, wie wütend er deswegen war, es führte kein Weg daran vorbei. Wenn es half, die Situation etwas zu beruhigen und Min-ho noch etwas länger eine Pause zu verschaffen, dann war ich mehr als bereit dazu.

Damit war alles, was den Unfall betraf, unter Verschluss. Sämtliche Angelegenheiten, die das Entertainment und die Band betrafen, fielen ebenfalls unter die Schweigepflicht.

Ich konnte es irgendwie verstehen. Min-ho dafür umso weniger.

Mit langsamen Schritten lief ich hinüber zum großen Schreibtisch, der vor dem Panoramafenster stand. Die Erleichterung, die über ihr Gesicht huschte, war deutlich.

»Ich habe Sie beide als starke Persönlichkeiten wahrgenommen. Natürlich haben Sie viel durchgemacht. Aber Sie müssen einen Weg finden, miteinander zu kommunizieren. Denken Sie bitte daran, dass jede Auszeit mal ein Ende hat. Ein Problem kann nicht gelöst werden, wenn es ignoriert wird. Denn irgendwann wird es so groß, dass es nicht mehr zu übersehen ist. Die Zukunft lässt sich nicht aufschieben. Es wäre schön, wenn man vorbereitet hineingehen könnte.«

Ob sie damit jetzt Min-ho und mich meinte oder das Entertainment, wusste ich nicht, aber es war mir sowieso egal.

Ich seufzte einmal. »Wie aufmunternd.«

»Das ist nur die Wahrheit, die muss nicht aufmunternd sein.«

Ihre Worte blieben bei mir, selbst als sie den Raum verließ.

5

Min-ho

Es war ein merkwürdiges Gefühl, mich ungestört auf dem Grundstück zu bewegen. Barfuß lief ich über die breite Wiese vor dem Haus hinunter zum See und spürte das taufrische Gras an meinen Füßen. Die Luft war angenehm warm, der Sommer war langsam gekommen und im Gegensatz zu Seoul fühlte es sich hier nicht so an, als würde ich eine Schicht Feinstaub mit einatmen. Es war ungewohnt … Doch ich liebte es. Die Freiheit, einfach herumzulaufen und selbst zu entscheiden, was ich machen wollte. Ich liebte es, dass Aria jeden Tag an meiner Seite war, ohne dass ich Angst haben musste, uns würde jemand sehen.

Einen ruhigen Morgen nach dem anderen, an dem sie das Erste war, das ich sah.

Nächte, die sie in meinen Armen lag und mir versprach, dass alles gut werden würde. Eng umschlungen, Herzschlag an Herzschlag, kein Zentimeter zwischen uns.

Natürlich war mir bewusst, dass wir uns hier in einer Seifenblase befanden. Aber momentan war es genau, was ich brauchte. Freiheit und Luft zum Atmen.

Mir Zeit für mich zu nehmen, ohne hundert Termine abzusagen. Tatsächlich war mir hier bewusst geworden, dass ich nicht gut darin war, mich einfach auszuruhen. Wirklich nichts zu machen. Und weil mein Terminkalender komplett leer war, füllte ich ihn mit eigenen Dingen auf, um mich weniger verrückt zu machen. Freizeit war etwas, das mir viel zu lange fremd gewesen war. Eigentlich hatte ich mich davon verabschiedet, als ich als Trainee bei SYE angefangen hatte. Lange Nächte des Zockens wurden von Proben bis zum Morgengrauen abgelöst. Jetzt, wo ich genügend Abstand hatte, fiel mir auf, wie lange andere über mein Leben bestimmt hatten. Ein Leben, das eigentlich gar nicht wirklich mir gehört hatte. Es fiel mir schwer, es loszulassen. Manchmal wachte ich morgens auf und war schockiert, dass ich mehr als vier Stunden geschlafen hatte. Wenn ich mein Frühstück aß, dachte ich an die kleine Cafeteria des Entertainments. An eine Banane zum Frühstück, eine Süßkartoffel mit Ei zum Mittag und einen Proteinshake am Abend. An strenge Diätpläne, festgelegte Schlafenszeiten und Vorschriften, die von meiner Frisur bis zu meinem Outfit reichten. Unser Leben wurde von Menschen kontrolliert, für die wir nicht mehr waren als ein Name auf dem Papier und eine ganze Menge Geld. Kreativität und Leidenschaft rutschten immer weiter in den Hintergrund, bis es nur noch auf die Leistung ankam. Wie schnell man die Tanzschritte beherrschte, wie gut man im Sprachunterricht abschnitt, wie hoch dein Fett- und Muskelanteil war und wie viele Töne man bei den Gesangsstunden traf. Du musst funktionieren war lange ein Mantra, das ich mir jeden Morgen sagen musste.

Du musst funktionieren. Für dich, für deinen Traum.