Our Souls at Midnight (Seoul Dreams 1) - Janine Ukena - E-Book
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Our Souls at Midnight (Seoul Dreams 1) E-Book

Janine Ukena

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Beschreibung

**Unsere Herzen schlagen im gleichen Beat**  Als die 23-jährige Aria die Möglichkeit bekommt, in Seoul Englisch zu unterrichten, fackelt die sonst so unsichere Studentin nicht lange. Zwischen England und Südkorea liegen genug Meilen, um endlich ihrem toxischen Exfreund zu entkommen. Bereit den Umzug als Neustart zu sehen, kommt sie voller Hoffnung an und erlebt gleich den ersten Schock: Der Flughafen ist mit Fans überflutet, die alle auf die Stars einer gerade gelandeten K-Pop-Band warten. Als Aria in der Aufregung ihre Tasche mit allen wichtigen Dokumenten gestohlen wird, packt sie die pure Verzweiflung. Bis ihr ein gut aussehender Koreaner seine Hilfe anbietet. Wenn sie ihn im Gegenzug unbemerkt aus dem Flughafen schleust – vorbei an all den Fans …   Tiefgehende, knisternd-romantische New Adult Romance für alle K-Pop-Fans und die, die es noch werden wollen!  //Dies ist der erste Band der romantischen New-Adult-Buchserie »Seoul Dreams«. Alle Bände der Liebesgeschichte bei Impress:  -- Band 1: Our Souls at Midnight -- Band 2: Our Hearts at Dawn// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

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Janine Ukena

Our Souls at Midnight (Seoul Dreams 1)

**Unsere Herzen schlagen im gleichen Beat**Als die 23-jährige Aria die Möglichkeit bekommt, in Seoul Englisch zu unterrichten, fackelt die sonst so unsichere Studentin nicht lange. Zwischen England und Südkorea liegen genug Meilen, um endlich ihrem toxischen Exfreund zu entkommen. Bereit den Umzug als Neustart zu sehen, kommt sie voller Hoffnung an und erlebt gleich den ersten Schock: Der Flughafen ist mit Fans überflutet, die alle auf die Stars einer gerade gelandeten K-Pop-Band warten. Als Aria in der Aufregung ihre Tasche mit allen wichtigen Dokumenten gestohlen wird, packt sie die pure Verzweiflung. Bis ihr ein gut aussehender Koreaner seine Hilfe anbietet. Wenn sie ihn im Gegenzug unbemerkt aus dem Flughafen schleust – vorbei an all den Fans …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Playlist

Danksagung

© privat

Janine Ukena wurde 1995 geboren und studiert derzeit Germanistik an der Universität Oldenburg, wo sie mit vielen Büchern in einer WG lebt. Wenn sie nicht gerade am Lesen oder Schreiben ist, verbringt sie gern ihre Zeit damit, neue Sprachen zu lernen und auf Instagram (janine.uk) über das Schreiben, Bücher und Serien zu bloggen. Zudem trinkt sie mehr Koffein, als ihr guttut und hat eine große Leidenschaft für Südkorea, die sie nicht nur zu ihrer Masterarbeit, sondern auch zu ihrem Debütroman inspiriert hat.

Für alle, die einen Zufluchtsort vor der Realität brauchen. Diese Geschichte war es für mich.

Vorbemerkung für die Leser*innen

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Janine Ukena und das Impress-Team

Playlist

Tate McRae – you broke me first

Gracie Abrams – Stay

BTS – Your eyes tell

SHY Martin – Break With Me

Ben Kessler & Lizzy McAlpine – False Art

Selena Gomez – Lose You To Love Me

Shawn Mendes – A Little Too Much

benny blanco – Unlearn (with Gracie Abrams)

WONHO – Losing You

Kina – Get You The Moon (ft. Snow)

Sarah Barrios – Have We Met Before (with Eric Nam)

LANY – Malibu Nights

Anson Seabra – Welcome to Wonderland

The 1975 – Be My Mistake

BTS – Magic Shop

Seafret – Give Me Something

D.O. – That’s okay

ATEEZ – Turbulence

The Fray – You Found Me

Stray Kids – Gone Away (HAN, Seungmin, I.N)

TAEYEON – Fine

Frank Sinatra – Fly Me To The Moon

The Rose – She’s In The Rain

dodie – Sick of Losing Soulmates

Ellie Goulding – Love Me Like You Do

Ha Hyunsang – 3108

MIIA – Dynasty

BTS – Mikrokosmos

 

이젠 내 자신을 살려줄거야

I will save myself this time

Prolog

In dem einen Moment bist du noch in deiner Wohnung, neben der Person, die du vermeintlich liebst, umgeben von Erinnerungsstücken, die dir immer so viel Halt gegeben haben. Im nächsten Moment stehst du mit einem vollgepackten Koffer am Flughafen und fliehst auf einen anderen Kontinent.

Willst alles hinter dir lassen, so viel Abstand wie möglich zwischen dich und die Person bringen, die dir das Leben zur Hölle gemacht hat, aber es Liebe nannte. Es braucht nur wenige Momente, kurze Augenblicke, nur eine Entscheidung, die dein ganzes Leben auf den Kopf stellen.

Manchmal fühlen sich Warnsignale wie Schmetterlinge im Bauch an und du merkst erst zu spät, dass du dich geirrt hast und es kein Zurück mehr gibt.

1

Mit einem vollen Koffer stand ich am Flughafen und wollte nur noch weg. Das Handy klingelte seit einer Stunde ununterbrochen und ich wusste, wenn ich jetzt nicht in den Flieger stieg, würde er mich finden. Eine andere Wahl hatte ich nicht mehr.

Wenn du jetzt nicht gehst, wirst du es niemals schaffen. Dann wirst du niemals in Sicherheit sein, ermahnte mich die Stimme in meinem Kopf. Es war ein Gefühl, als würde ich in Zeitlupe leben, während alles um mich herum in Supergeschwindigkeit an mir vorbeizog. Ich starrte auf die Tafel mit den Flugnummern, die Hand fest um den Griff meines Koffers geschlossen, und versuchte ruhig zu atmen.

Alle wussten genau, wohin sie wollten, nur ich stand still. Die Flugnummern änderten sich im Sekundentakt, Menschen drängten sich an mir vorbei.

Ich konnte nicht zum Check-in gehen. Meine Füße wollten nicht. Also blieb ich mitten in der Menschenmenge stehen und starrte auf die große Tafel vor mir, bis alles verschwamm. In mir stiegen die Gefühle hoch wie ein Feuerwerk. Aufregung, Freude, Freiheit und Unabhängigkeit. Aber da waren auch die Angst, die Unsicherheit und die Ungewissheit, die mich erwarten würden. Ich wollte einfach nur an den Punkt zurück, an dem alles noch normal gewesen war, doch leider war das schon viel zu lange her.

Ein Neustart war genau das, was ich nun brauchte. Wenn ich den Mut besaß, in diesen Flieger zu steigen und ihn zu verlassen. Doch ich wusste, dass mir nichts anderes übrig blieb. Als ich begann, meine Zukunft ohne ihn zu planen, waren die zwei Wochen, in denen ich alles sorgfältig organisierte, von der ständigen Angst geprägt, dass alles auffliegen könnte. Oder dass ich mich doch nicht mehr trauen würde. Aber ich war es mir selbst schuldig, nach vorne zu blicken. Ohne ihn. Die nötigen Papiere, der Kontakt mit der Schule, die Buchungsbestätigung für den Flug. Jedes Mal dachte ich, dass er es bemerken würde. Aber das tat er nicht. Als sollte es so sein.

***

Am Tag meiner Abreise standen Chris und ich wie gewöhnlich zusammen auf. Ein Morgen wie jeder andere: Kaffee in unseren Lieblingstassen, die Nachrichten im Fernsehen, Bagels mit Frischkäse und meine müden Augen, weil ich seit Wochen nicht mehr neben ihm schlafen konnte. Wir saßen stillschweigend auf dem Sofa, lauschten dem Nachrichtensprecher und ich hoffte, dass Chris meine Anspannung nicht bemerkte.

Ein Morgen wie jeder andere, nur dass dieser alles verändern würde. Ich sah ihm zu, wie er ein letztes Mal in seinen viel zu großen grünen Parka schlüpfte und versuchte, die Fassung zu bewahren. Während ich ihm viel Glück bei seinem Meeting wünschte, fügte ich ein stilles Lebewohl hinzu. Er drückte mir vorsichtig einen Kuss auf die Wange, die noch immer von seiner Ohrfeige leicht geschwollen war, und ich versuchte, nicht zusammenzuzucken. Dann drehte er mir den Rücken zu und ging. Ich blieb in der Tür stehen, um ihm ein letztes Mal zuzuwinken, bevor er die Auffahrt verließ, und hoffte, dass er meine Tränen nicht sah.

Ob es nun Tränen der Traurigkeit oder Tränen der Erleichterung waren, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sagen. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem.

Ein paar Stunden später war ich am Flughafen. Die Durchsage dröhnte durch die Halle und holte mich in die Realität zurück. »Flug Nummer KA Null-Acht-Zwei-Zwei nach Seoul, Südkorea ist jetzt zum Boarding bereit. Bitte begeben Sie sich zu Gate sieben. Letzter Aufruf. Flug Nummer KA Null-Acht-Zwei-Zwei nach Seoul, Südkorea ist jetzt zum Boarding bereit. Bitte begeben Sie sich zu Gate sieben.«

Ich unterdrückte meine Anspannung, die mich sonst zu ersticken drohte.

Nicht heulen, Aria. Nicht heulen. Du bist stärker als das.

Die Stimme in meinem Kopf konnte mich jedoch nicht ganz überzeugen, dafür klang sie selbst zu unsicher. So als würde hinter jeder Aussage ein kleines Fragezeichen stehen. Mein Herz pochte furchtbar laut, krampfte zusammen und überschlug sich in der nächsten Sekunde mehrmals.

Es war das erste Mal seit Ewigkeiten, dass ich es überhaupt wahrnahm. Adrenalin strömte durch meine Adern. Ich rückte meine Mütze zurecht und folgte den Schildern zu Gate sieben.

Also gut, dann wollen wir mal nach Südkorea fliegen. Das wird schon alles irgendwie funktionieren, versuchte ich mir einzureden. Von hier aus kann es ja nur besser werden.

Südkorea. Seoul. Als ich das Plakat in der Uni für den Job gesehen hatte, war es so, als würde mir das Universum einen Fluchtplan in die Hand drücken. Es war wie ein Schicksalsruf und das Angebot, Englisch in Südkorea zu unterrichten und damit einen ganzen Ozean zwischen Chris und mich zu bringen, war ein aufschimmernder Lichtblick in der Dunkelheit.

Das Land, dessen Sprache ich nicht konnte, versprach einen kompletten Tapetenwechsel und damit genau das, was ich wollte.

Eine Möglichkeit, über mich hinauszuwachsen. Auf eigenen Beinen zu stehen. Und vor allem: endlich aus Hampshire rauszukommen. Der Vorort an der Südküste Englands war ein beliebtes Ziel für Urlauber. Aber mir hatte diese Stadt spätestens nach dem Beginn des Studiums keine Erholung mehr geboten.

Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Der Gedanke an ein völlig neues Land und eine andere Kultur inklusive fremder Sprache machte mich zwar nervös, aber gleichzeitig freute ich mich auf einen Neuanfang.

Mit meinen dreiundzwanzig Jahren war ich noch nie geflogen, und da ich die Reise so kurzfristig gebucht hatte, konnte ich keinen Einfluss auf meinen Sitzplatz nehmen.

Für einen Flug, der über vierundzwanzig Stunden dauern würde, war das nicht besonders ideal. Von England nach Südkorea betrug der Durchschnittsflug um die vierzehn Stunden. Doch ich musste auf einen Billigflug zurückgreifen, um mein Erspartes nicht schon vor meiner Ankunft komplett auszugeben, und flog deswegen wesentlich länger.

So saß ich jetzt zwischen einer alten Frau, die roch, als hätte sie eine ganze Flasche Parfüm über sich geschüttet, und einer anderen Frau mit permanent schreiendem Baby auf dem Arm.

Aber selbst als sich alle Menschen im Flugzeug immer wieder mit einem genervten Blick zu ihr umdrehten, musste ich lächeln. Nichts konnte mir die Freude daran nehmen, dass ich diesen Schritt endlich gegangen war. Nicht einmal das braune Wasser, das die Stewardess mir als Kaffee verkaufen wollte, oder dass mein vegetarisches Essen Fisch enthielt und ich deswegen nur den Salat essen konnte.

Selbst dann nicht, als ein Mann in der Reihe vor mir einschlief und so laut schnarchte, dass ich glaubte, das Flugzeug würde aufgrund dieses Geräusches wackeln.

Keiner konnte mir das vermiesen. Ich war endlich frei.

Um meine Aufregung in den Griff zu bekommen, begann ich eine Liste mit allen Sachen in mein Notizheft niederzuschreiben, die mir im Kopf herumschwirrten und die erledigt werden mussten, sobald ich landen würde – vielleicht würde ich ja dann ein Auge zu bekommen. Eine Liste würde mir Struktur geben, meine Gedanken beruhigen und mir Sicherheit verleihen.

Bei der Schule melden

T-Money-Karte für U-Bahn + Bus kaufen 

SIM-Karte organisieren

Geld wechseln

Im Convenience Store einkaufen gehen

Atmen. Atmen. Atmen.

Die Liste hörte nicht auf. Mit der Zeit wurde ich müde, immerhin hatte ich letzte Nacht keine Sekunde schlafen können. Mein Kaffeekonsum konnte diesen Schlafmangel niemals ausgleichen und ich spürte, wie meine Augenlider immer schwerer wurden. Vielleicht konnte ich nur ein paar Sekunden die Augen schließen. Nur für ein paar Sekunden …

Ich erwachte erst, als der Pilot eine Durchsage machte, dass wir den Flughafen Incheon in wenigen Minuten erreichen würden. Kurz blinzelte ich und schaute mich verwirrt um. Ein Blick zur alten Frau neben mir verriet mir, dass ich während meines Nickerchens wohl geschnarcht oder mit dem Kopf auf ihre Schulter gerutscht sein musste.

»Sorry …«, murmelte ich und rümpfte die Nase.

Ihr Geruch würde sich bestimmt ewig in meinen Klamotten halten.

Die Frau wandte sich ohne ein Wort ab und schaute aus dem Fenster. Mein Blick folgte ihrem und da sah ich es das erste Mal: das Land, das nun meine Heimat werden sollte. Es war überwältigend.

Ich fühlte, wie sich ein Kribbeln in meinem Bauch breitmachte, so als würde ich gerade Achterbahn fahren und kurz vor einem Fall stehen. Vielleicht lag das daran, dass der Pilot zur Landung ansetzte.

Doch möglicherweise kam es auch daher, dass ich etwas verspürte, das ich längst vergessen und für mich ausgeschlossen hatte. Hoffnung. Es würde mir wieder gut gehen.

Vielleicht nicht sofort und vielleicht nicht morgen.

Aber ich spürte ganz deutlich, dass es ein großer Schritt in die richtige Richtung war. Ein Schritt zu mir selbst.

2

Ein Flughafen ist eine ganz eigene Welt für sich.

Die Maschine landete gegen späten Nachmittag, überall rannten Menschen mit Koffern in verschiedene Richtungen, während andere wiederum geduldig auf ihre Liebsten warteten. Menschen mit Namensschildern, Blumen oder Luftballons in der Hand schauten sich neugierig um und dieser Anblick stimmte mich etwas traurig.

Die Schule erwartete von mir, dass ich selbstständig ins Wohnheim fuhr. Doch das war okay, denn auch wenn die vielen Eindrücke etwas überwältigend waren, wusste ich, dass alles gut werden würde. Die Tatsache, dass ich diesen Schritt gegangen war, ließ mich unheimlich stolz auf mich selbst sein und ich wusste nicht, wann ich das zuletzt gewesen war.

Inmitten der Menschenmenge boxte ich mich endlich zum Gepäckband durch, schnappte meinen viel zu vollen Koffer und verließ diesen Teil des Flughafens, doch die Flughalle war ebenso voll. Instinktiv hielt ich nach einem Café Ausschau, dabei folgte ich aufmerksam den Schildern und war dankbar, dass diese sowohl auf Koreanisch als auch auf anderen Sprachen verfasst waren. Das Wort »Kaffee« hätte ich aber auch ohne Übersetzung ausfindig machen können. 커피 war eins der ersten Worte gewesen, die ich gelernt hatte.

Überlebenswichtig.

Die Gefühle durchströmten mich, ohne dass ich sie genau identifizieren konnte. Ich hätte vor Freude tanzen können und war doch den Tränen nahe. Ein chaotisches, rücksichtsloses und längst überfälliges Gefühlschaos, das einige Augenblicke anhielt.

Meine Konzentration ließ nach und ich versuchte mich etwas zu sammeln. Kaffee. Ich brauchte Kaffee. Das würde helfen.

Da war es auch egal, dass es bereits fast abends war.

»Es ist nie zu spät für Kaffee« zitierte ich gedanklich Lorelai Gilmore, eine meiner liebsten Serienfiguren, und ich konnte ihr nur zustimmen.

Mein Blick huschte über die Menschenmenge, als ich realisierte, dass ein Großteil der Leute Kameras und Mikrofone dabeihatte. Reflexartig schaute ich mich um. Vielleicht war hier irgendwo eine Berühmtheit gelandet, doch dann fiel mir ein, dass ich die meisten Berühmtheiten hier wahrscheinlich eh nicht kannte.

Ich sah Jugendliche mit ihren Smartphones, die wie wild den Fotografen und Paparazzi folgten – und allein diese Szene versetzte mich unnötig in Stress. Endlich erspähte ich einen Schalter, an dem ich Geld wechseln konnte. Direkt daneben konnte ich mir eine T-Money-Karte kaufen und gedanklich hakte ich diese Dinge bereits von meiner Liste ab.

Die T-Money-Karte nutzte man in Korea für die öffentlichen Verkehrsmittel und man konnte sie ganz einfach mit Geld aufladen und überall einsetzen. In Bus, Bahn, U-Bahn und sogar im Taxi. Sofort dachte ich an komplizierte Ticketautomaten und verwirrende Zonen, wie ich es aus Hampshire kannte.

Meine Karte besaß ein süßes Kakao-Friends-Motiv, das ein riesiges Franchise in Südkorea war. Tatsächlich kannte ich das bereits von diversen Schreibwaren, die ich mir für die Uni gekauft hatte. Die verschiedenen Figuren waren einfach extrem süß und überall zu finden. Auf Notizheften, Stiften, Getränkebechern, Plakaten, sogar auf Uhren oder riesigen Figuren, wie ich jetzt am Flughafen sah.

Voller Euphorie verstaute ich meine Karte und war begeistert, dass wirklich alles klappte. Wenn auch mühsam durch die vorhandene Sprachbarriere.

Ich lud die Karte gleich mit fünfzigtausend südkoreanischen Won auf, was umgerechnet etwa dreißig Pfund waren. Das sollte erst einmal reichen, denn die Verkäuferin erklärte mir, dass eine Fahrt umgerechnet ungefähr zwei Pfund kosten würde. Je nach Ziel natürlich.

Die vielen Nullen, die man beim Pfund für die Umrechnung in Won hinzufügte, waren zwar verwirrend, aber ich würde mich schon daran gewöhnen. Zu meinem Glück konnte ich mir ohne Probleme einen Kaffee und einen Bagel bestellen, denn im Gegensatz zum Rest des Flughafens war im Café nichts los. Als ich bezahlte, drückte die Bedienung mir kommentarlos einen Pager in die Hand, der mir signalisieren sollte, wann meine Bestellung fertig war, und dann schien ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihrem Handy zu liegen, also setzte ich mich zum Warten auf eine Bank vor dem Café.

Da ich von ein paar Minuten Wartezeit ausging, stellte ich meinen Koffer mit meiner Tasche neben mich und holte das Notizheft hervor, um einmal die Liste durchgehen zu können. Ich setzte einen Haken hinter die T-Money-Karte und den Punkt Geld wechseln und fühlte mich unheimlich produktiv. Meine Augen wanderten durch die Flughalle, die sich minütlich mit mehr Menschen füllte, als es Platz gab. Die Atmosphäre schien hektisch, angespannt und stressig und sie gab mir ein ungutes Gefühl. Menschenmengen waren einfach nicht meins, ich wollte so schnell es ging nur noch weg von hier.

Der Pager vibrierte, ließ mich voller Vorfreude auf Koffein aufspringen und keine Sekunde später sprintete ich zum Tresen. Als ich nuschelnd ein gamsahamnida, das koreanische Wort für »Danke«, herausbrachte, lächelte die Bedienung mir aufmunternd zu.

»Lass mich raten. KT6-Fan?«, fragte sie interessiert.

»KT … Was?«

Mein verwirrter Blick reichte aus und sie war so freundlich, mich aufzuklären. Ihr Englisch war gut, aber ich musste mich erst an ihren Akzent gewöhnen.

»Die Band KT6?« Die Fragezeichen in meinem Blick ließen sie lächeln. »Eine Band, die hier ziemlich beliebt ist.«

Bevor sie weiterredete, lehnte sie sich mit ihren Ellenbogen auf den Tresen, wodurch ich ihr Namensschild lesen konnte.

Sie hieß Yi Seo und ihre Haare sahen wie ein Pastell-Regenbogen aus. Ich versuchte die vielen Farben zu zählen, während ich mir vornahm, meine Haare genauso zu färben.

Chris hätte mir das nie erlaubt, dafür liebte er meine blonde Lockenmähne viel zu sehr. Und ich hatte mich nie getraut, ihn darauf anzusprechen, weil ich wusste, wie er zu gefärbten Haaren – vor allem in mehreren Farben – stand. Es hätte einen unnötigen Streit heraufbeschworen.

Mir wurde oft gesagt, ich würde wie eine blonde Version von Merida aussehen. Leider war ich überhaupt nicht wie sie, ganz im Gegenteil. Durch meine zu blasse Haut sah ich eher krank aus und meine blonden langen Haare machten die meiste Zeit, was sie wollten. Doch in Kombination mit meinen blauen Augen verlieh mir mein Aussehen einen unschuldigen Look, wie Chris es immer genannt hatte. Ein Grund mehr, sie jetzt zu färben.

»Der Leadsänger sieht extrem gut aus. Fast etwas zu gut«, schwärmte Yi Seo, ohne meine kurze gedankliche Abschweifung zu bemerken. »Es geht das Gerücht rum, dass er wegen mehrerer Skandale im Ausland ist. Im Exil sozusagen. Aber ich habe eine Schwäche für Bad Boys. Verrats keinem.« Diesen Satz flüsterte sie kaum hörbar, als wäre es Blasphemie, so über diesen Mann zu reden, doch trotzdem war ihr Grinsen so ehrlich, dass es mich ansteckte.

»Vielleicht holt er sich ja einen Kaffee bei mir ab, wenn sie hier vom Flughafen zum nächsten Konzert fliegen«, plapperte sie weiter und unterstrich ihre Worte mit einem Schulterzucken.

»Ein Mädchen darf träumen«, erwiderte ich lachend, als ich meinen Kaffee und den Bagel vom Tresen nahm.

In diesem Moment räusperte sich der Mann hinter mir, der sich, ohne dass ich es bemerkt hatte, hinter mich gestellt haben musste.

Yi Seo schaute ihn genervt an und rollte dann demonstrativ mit den Augen. Erneut bedankte ich mich und machte mich auf dem Weg zurück zur Bank. Während ich einen Schluck meines Kaffees nahm, griff ich instinktiv in meine Tasche, um mein Handy herauszuholen und diese Band zu googeln. Doch mein Griff ging ins Leere. Sofort machte sich eine innere Panik breit, als mir bewusst wurde, dass ich die Tasche auf den Koffer gelegt hatte, um das Notizheft herauszuholen. Da ich gedanklich so auf meinen Kaffee fixiert gewesen war, als der Pager vibrierte, hatte ich sie einfach dort liegen lassen.

Meine Panik verdoppelte sich, als mein Blick zur Bank wanderte und die Tasche nirgendwo zu sehen war.

Sie war weg! Ich bekam eine Gänsehaut, während mein Kopf noch davon überzeugt war, sie wäre einfach runtergefallen und würde dort auf dem Boden liegen. Aber das tat sie nicht.

Wie lange war ich weg gewesen? Weniger als fünf Minuten. Die Bank befand sich direkt vor dem Café. Wer wäre denn so dreist, einfach eine Tasche mitzunehmen? Und wer würde dann den Koffer stehen lassen? Das ergab doch keinen Sinn.

Zusammen mit meinem Koffer lief ich zurück ins Café. Als Yi Seo mich sah, musste sie anhand meines Gesichtsausdrucks schon erahnt haben, dass etwas nicht in Ordnung war.

»Stimmt was mit dem Kaffee nicht?«, fragte sie und zog dabei eine Augenbraue hoch.

Ich schilderte ihr kurz die Situation, doch leider hatte sie nichts mitbekommen. Mitleidig verzog sie das Gesicht und notierte sich meine Mailadresse, falls die Tasche doch abgegeben werden sollte. Anrufen konnte sie mich ja schließlich nicht.

Wenigstens hast du dir noch keine neue SIM-Karte gekauft.

Ein nervöses Kichern kam aus meinem Mund, obwohl mir nach Weinen zumute war. Mit langsamen Schritten verließ ich das Café und konnte nicht anders, als zu lachen. Panik überkam mich und ich fühlte mich plötzlich wie gelähmt.

Wo sollte ich jetzt hin? Mein Geld war weg, und mein Handy und mein Notizheft, mit allen wichtigen Informationen einschließlich der Adresse der Schule, waren ebenfalls verschwunden. Fieberhaft kramte ich einige Sekunden in den Tiefen meines Gedächtnisses, aber mir fiel die Adresse nicht ein.

Die ganze Infrastruktur mit den vielen Nummern war einfach zu verwirrend, als dass ich mir das hätte merken können. Wie lächerlich aufgeschmissen man ohne sein Handy und ohne Geld doch war. Was sollte ich jetzt tun? Ein Gefühl der Machtlosigkeit machte sich in mir breit. Die Panik überkam mich wie eine Welle, die von Sekunde zu Sekunde größer wurde.

Ich musste hier ganz schnell weg. Hektisch drängte ich mich in die entgegengesetzte Richtung der Menschen. Wie von selbst lief ich von einem Ende des Flughafens zum anderen, fuhr mit einer Rolltreppe runter und kam nach gefühlt einer Stunde an dem Teil vom Flughafen an, an dem sich kaum noch jemand befand.

Fieberhaft huschten meine Augen zwischen den Läden und Gängen hin und her, in der Hoffnung, eine ruhige Ecke zu finden. Mein erster Impuls war es, mich in einer Toilettenkabine einzusperren, doch da würden definitiv zu viele Menschen reinkommen und ich wollte vermeiden, dass mich jemand so sah. Die ersten Tränen liefen über meine Wange. Mir fehlte die Kraft, sie zurückzuhalten. Gerade als ich einfach auf den Boden sinken und mich meiner Panik hingeben wollte, sah ich im Augenwinkel, wie ein Mann aus einer Tür kam. Durch den Türspalt sah ich eine große Couch und zu meiner Erleichterung auch, dass der Raum komplett leer war. Selbst von Weitem konnte ich hören, wie der Mann wütend in sein Funkgerät schrie und frustriert den Kopf schüttelte. Plötzlich rannte er los, als wäre ein Notruf eingegangen und er dürfe nicht eine Sekunde verlieren. In meinem Kopf drehte sich alles und wie betäubt lief ich mit schweren Schritten auf die Tür zu, die der Mann einfach offen gelassen hatte. Zögerlich drückte ich sie einen Spalt auf, blickte einmal hastig über meine Schulter und verschwand dann im Raum.

Endlich war ich allein.

Sobald die Tür hinter mir ins Schloss fiel, lief ich wie in Trance zur Couch hinüber und ließ mich in die weichen Polster sinken. Was das wohl für ein Raum war? Neben der Couch befand sich ein riesiger Getränkeautomat, außerdem ein großer Tisch mit vielen Stühlen. Vielleicht ein Raum für Meetings. Nachdem mein Körper realisiert hatte, dass ich hier erst mal ungestört war, verließ mich meine Kraft. Vor lauter Panik und Wut bekam ich keine Luft mehr. Es war ein Gefühl, als würde jemand auf meiner Brust sitzen und so die Sauerstoffaufnahme verhindern. Mein Puls fing so heftig an zu rasen, dass ich das Pochen in meinen Handflächen spüren konnte, und meine Gedanken wirbelten so schnell in meinem Kopf herum, dass ich mich immer weiter hineinsteigerte. Verzweifelt zog ich die Knie an die Brust, wiegte mich wie ein Kind hin und her und schloss die Augen in der Hoffnung, dass ich damit alles ausblenden könnte. Doch es gelang mir nicht. Die Tränen waren nicht mehr aufzuhalten.

3

Ich wusste nicht, wie lange ich in diesem Raum saß.

Mein Zeitgefühl wurde mit meinen Tränen zusammen weggespült, bis ich nichts mehr in mir hatte, außer einem verzweifelten Lachen über die ganze Situation. Als würde mein Körper versuchen, mit diesem Lachen eine Welt zurückzubringen, in der noch alles gut war. Oder als würde mein Lachen meinen Gedankenwirbelsturm wenigstens für eine Sekunde anhalten. Ich erinnerte mich daran, wie ich mich gefühlt hatte, als ich ins Flugzeug stieg.

Mutig, aufgeregt und frei.

Nun fühlte ich das komplette Gegenteil.

»Es tut mir so leid«, murmelte ich der früheren Version meiner selbst zu, die so große Hoffnungen in diesen Plan gesetzt hatte.

Das Geräusch der Tür ließ mich aufhorchen und zerbrach meine kleine traurige Welt. Mit jemandem zu sprechen war das Letzte, was ich wollte, und gleichzeitig hatte ich Angst, dass der Mann im Anzug zurückgekehrt war und ich jetzt rausgeschmissen wurde. Schniefend versuchte ich mich etwas zu beruhigen.

Doch als ich aufsah, war es nicht der Mann im Anzug, sondern jemand anderes. Ein etwas größerer Mann mit wesentlich dichterem Haar. Er schien mich nicht zu bemerken, da er mit dem Rücken zu mir mitten in der Tür stand und sich unterhielt. Sein Blick war auf den Mann gerichtet, der ihm gegenüberstand und ihn nun einige Zentimeter weiter in den Raum schubste. Leider versperrte mir sein breiter Rücken die Sicht, doch vielleicht war das auch besser, denn so konnte mich sein Gegenüber wenigstens ebenfalls nicht sehen. Ich drückte mich noch weiter in die Kissen, in der Hoffnung, sie würden die Tür einfach wieder schließen und mich allein lassen.

Es klang nach einem Streit, auch wenn ich sie nicht verstand, weil sie sich auf Koreanisch unterhielten. Auf jeden Fall schienen beide wegen irgendwas aufgebracht zu sein. Keine Sekunde später machte Mister-breiter-Rücken einen Schritt zurück und schon fiel die Tür ins Schloss. Fieberhaft überlegte ich, was ich tun sollte. Ohne sich mir zuzuwenden lief er zum Spiegel links neben der Tür und fuhr sich durch sein rabenschwarzes, etwas chaotisches Haar. An seinen Fingern konnte ich viele funkelnde Ringe ausmachen. Ein genervtes Seufzen verließ seine Lippen, als er sich über die Augen rieb und leise vor sich hinmurmelte. Der tiefe Ton seiner Stimme bereitete mir eine Gänsehaut. Als er die Augen wieder öffnete, löste er den Blick von seinem Spiegelbild, drehte sich in meine Richtung und erstarrte wie ein Reh im Autoscheinwerferlicht. Dabei riss er seine Augen so weit auf, dass ich selbst aus der Entfernung sah, wie tiefbraun sie waren.

Kurz blickten wir uns an und keiner sagte ein Wort. Da ich seinem erstarrten, durchbohrenden Blick nicht standhielt, wanderten meine Augen an ihm vorbei zu meinem Spiegelbild direkt hinter ihm und erst jetzt wurde mir bewusst, wie verheult ich aussah. Meine Augen waren so rot, als hätte ich Jahre nicht geschlafen.

Meine Wimperntusche war völlig zerlaufen und die Tränen hatten eine leichte Spur von schwarzer Farbe auf meinen Wangen hinterlassen. Kein Wunder, dass er so erschrocken wirkte.

Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, ein verweintes Mädchen vorfinden, das eigentlich gar nicht hätte da sein sollen. Unsicher wanderte mein Blick zurück zu ihm. Im Kontrast zu mir sah er wie ein Supermodel aus. Schwarze gelockte Haare, die wuschelig und gleichzeitig perfekt gestylt aussahen, und mandelförmige braune Augen, die mich eindringlich anblickten und selbst im erschrockenen Zustand Wärme ausstrahlten. Lange, dichte Wimpern. Ein weißes Hemd, das beinahe zu leuchten schien, und eine schwarze Hose, die genau richtig saß – während ich Leggings, einen zu großen Kapuzenpulli und eine Cap trug, die schon total von der Sonne ausgeblichen war. Meine blonden Haare waren zerzaust, weil ich die Cap so oft ab- und wieder aufgesetzt hatte. Innerhalb von Sekunden registrierte ich, dass dieser Mann einfach wunderschön aussah.

Gerade als ich mich für meine Anwesenheit entschuldigen wollte, kam er zwei Schritte auf mich zu und begann lautstark auf mich einzureden. Nur, dass ich nicht verstand, was er sagte. Schließlich konnte ich kein Koreanisch. Dabei gestikulierte er wild mit den Händen herum, zeigte mit dem Finger auf sich und schlug dann beide Hände über dem Kopf zusammen. Seine Worte wurden immer schneller, als würde er sich mit jeder Sekunde mehr in Rage reden. Wie konnte jemand so schnell sprechen? Holte er überhaupt Luft?

Etwas überfordert huschten meine Augen von seinen breiten Händen zu seinem Gesicht, das einen wütenden Ausdruck angenommen hatte. Eine Ader an seinem Hals trat hervor, als er schließlich vorwurfsvoll auf mich zeigte.

»Stopp! Ich versteh kein Wort. Hör auf, mich anzuschreien!«, schrie ich zurück.

Nicht förderlich für die Gesamtsituation, aber egal. Perplex hielt er inne und musterte mich mit großen Augen. Meine Stimme klang vom Weinen und Schluchzen etwas heiser, was die Worte aggressiver klingen ließ. Bei meinem Versuch, ihn böse anzuschauen, hob er nur entschuldigend die Hände und entfernte sich wieder einen Schritt von mir. Dabei fiel mein Blick auf seine Uhr, die schon von Weitem teuer aussah und nun an seinem Handgelenk herunterrutschte.

»Was machst du hier?«, fragte er im perfekten Englisch mit eindringlichem Blick. Gerade als ich antworten wollte, klingelte sein Handy und rettete mich vor einer Entschuldigung. Drei Sekunden vergingen, in denen er mich musterte, bevor er es aus der Hosentasche holte und ranging.

Plötzlich war seine Stimme viel freundlicher als zuvor, doch sein Gesicht zeigte, dass er die Freundlichkeit nur vortäuschte. Genervt kniff er die Augen zusammen und seine Worte klangen so melodisch, dass ich einmal schwer schluckte. Dabei ließ er mich nicht eine Sekunde aus den Augen, als hätte er Angst, ich würde ihn überfallen, sobald er mir den Rücken zuwandte.

Dieses Starren bezweckte allerdings, dass ich verlegen auf meine Füße schaute. Wie kam ich aus dieser Situation raus?

In dem Augenblick, in dem ich aufstand und langsam Richtung Tür lief, hob er einen Finger und beendete den Anruf. Sein Kopf neigte sich etwas zur Seite, während er mich erwartungsvoll anschaute. Sofort wurde ich knallrot.

»Entschuldige, ich … ähm …«, begann ich, als mein Verstand wieder einsetzte. Aber mir fiel keine passende Ausrede ein, weswegen ich hier war. »Ein Mann im Anzug hat mich reingelassen.« Gedanklich schlug ich mir bereits mit der Hand auf die Stirn. Möglicherweise hatte das viele Weinen mir ein paar Gehirnzellen genommen und ich kam mir unheimlich blöd vor. Sein tiefes, raues Lachen bestätigte meine Annahme.

»Ach, ist das so?« Fragend schüttelte er den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust, als wüsste er genau, dass ich log. Links und rechts neben seinen Mundwinkeln zeichneten sich tiefe Grübchen ab, als er zu lächeln begann. Seine genervte Miene war wie weggewischt, stattdessen schien ihn die Situation jetzt zu amüsieren.

»Ja«, gab ich knapp zurück und versuchte, möglichst überzeugend zu klingen.

»Was machst du hier?«, wiederholte er seine Frage und kam zwei Schritte auf mich zu. Sein ganzes Auftreten schüchterte mich ein, und zwar nicht nur, weil er zwei Köpfe größer war. Es war seine Ausstrahlung. Die Muskeln, die sich unter seinem Hemd abzeichneten. Die Art, wie er mich ansah. Als würde er jede Lüge erkennen und mich mit diesem Blick durchbohren wollen. In Kombination mit dem verhaltenen Lächeln und den Grübchen strahlte er die perfekte Mischung aus Freundlichkeit und Selbstbewusstsein aus.

»Was machst du denn hier?«, erwiderte ich und hob eine Augenbraue, als er nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt war.

»Oh, tut mir leid. Ich wusste nicht, dass ich eine Einladung brauche.«

Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. Verlegen rührte ich mich nicht von der Stelle und suchte nach Worten.

»Okay, pass auf. Ich müsste noch kurz warten, bis … Ich müsste einfach noch ein wenig hierbleiben. Natürlich nur, falls es dir nichts ausmacht …«, fügte er mit einem leichten Lächeln hinzu, das absolut falsch und gespielt aussah. Dann ließ er sich auf die Couch fallen und tippte erneut wahnsinnig schnell auf seinem Handy herum. Dabei huschte sein Blick immer wieder zu mir herüber.

»Eigentlich war ich zuerst hier«, murmelte ich und verschränkte die Arme. Erneut lachte er laut auf und nahm meinen Worten damit jede Ernsthaftigkeit. Ich sah zu ihm herüber und bildete mir ein, ein amüsiertes Funkeln in seinem Blick zu erkennen. Seine Augenfarbe ließ sich schwer definieren. Braun. Aber ein warmes Braun. Mit goldenen Tupfern. Direkt neben seinem linken Auge erkannte ich ein winziges Muttermal.

»Stimmt. Aber ich habe kein Problem damit, diesen Raum mit dir zu teilen«, erwiderte er jetzt und seine Lippen verzogen sich in Sekundenschnelle zu einem Grinsen, als wüsste er, dass ich nicht gehen würde.

Während er sich zurücklehnte, spannte das Hemd über seiner Brust. Schnell wendete ich den Blick ab. Okay, ich würde es schon mit ihm aushalten. Wenigstens noch eine Weile. Es gab Schlimmeres, als mit einem gut aussehenden Typen zusammen auf dem Sofa zu sitzen. Eine willkommene Ablenkung. Wahrscheinlich war es besser, sich auf ihn zu fokussieren, als erneut in Panik zu verfallen.

Ein Signalton kündigte eine eingehende Nachricht auf seinem Handy an, die ihm zu missfallen schien. Jedenfalls verspannte er sich etwas und sein amüsiertes Grinsen wich einem ernsten Ausdruck.

»Vielleicht muss ich doch etwas länger bleiben als geplant«, sagte er mit einem Seufzen, als er das Handy wieder in die Hosentasche steckte und die Lippen zu einer schmalen Linie verzog.

»Wieso?«

»Sie riegeln den Flughafen ab.«

»Was?«

»Na ja, wegen …«, er brach ab. Ruckartig hob er den Kopf und sah mich fragend an, doch ich blieb stumm. Die Verwirrung war deutlich in seinem Gesicht zu sehen.

»Ich müsste mich also hier verstecken«, sagte er nach einer kurzen Pause, ohne weiter darauf einzugehen.

»Wovor versteckst du dich denn?« Nicht, dass es mich etwas anging. Aber ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte.

Statt sofort zu antworten, räusperte er sich kurz. Sein Blick wurde etwas weicher, doch seine braunen Augen blickten beinahe durch mich hindurch, als suchte er in meinem Gesicht nach Antworten. Irritiert kniff er die Augen zusammen.

»Vor der Welt.«

Er verschränkte die Arme und es sah so aus, als hätte er nicht die Absicht, diese Antwort genauer zu erläutern. Einige etwas zu schnelle Herzschläge lang schwieg er. »Und du?«

»Vor der Welt«, wiederholte ich seine Worte.

Nickend sah er zu Boden. Keine Ahnung, ob er das Zittern in meiner Stimme bemerkte.

Vor der Welt, vor meinem Exfreund, vor meinen Gedanken. Sofort bildeten sich Tränen in meinen Augen und ich drehte mich weg, als würde das verhindern, dass er es bemerkte.

»Alles okay bei dir?« Seine Worte hallten in meinem Kopf nach.

Auf meinem Gesicht bildete sich das bereits vertraute und falsche Lächeln, wie eine automatische Reaktion auf diese Frage, und ich drehte mich wieder in seine Richtung.

»Mir geht’s gut.« Die Worte kamen mir zwar schwer über die Lippen, aber es gelang mir dennoch.

Jahrelanges Üben. Einatmen, ausatmen. Tausend verzweifelte Möglichkeiten rasten durch meinen Kopf, wie es nun weitergehen könnte.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte er mit besorgter Stimme.

»Wolltest du mich nicht gerade noch rausschmeißen?« Meine Unterlippe begann zu zittern, als ich die Frage aussprach.

»Ich war wohl etwas schroff.« Er stützte die Arme auf seinen Knien ab und beugte sich leicht in meine Richtung. »Es tut mir leid. Das ganze Drama da draußen, die vielen Menschen … Ich wollte einfach kurz meine Ruhe.«

Wenn ich etwas verstand, dann das. Schließlich ging es mir genauso. Kurz musterte er mich, dann stand er auf, lief zum Regal an der Wand und hielt mir eine Packung Taschentücher hin. Ohne ein Wort nahm ich sie entgegen und er sank auf die Couch zurück. »Kann ich dir irgendwie helfen?«, wiederholte er seine Frage.

»Sehe ich etwa so aus, als würde ich Hilfe brauchen?«

»Ganz ehrlich?«

»Nur zu«, erwiderte ich.

»Vielleicht siehst du ein wenig so aus, als wäre nicht alles in Ordnung. Nur ein ganz kleines bisschen.«

Er hob Daumen und Zeigefinger und zeigte eine Lücke, die so klein war, dass sie beinahe nicht zu sehen war. Ich starrte eine kleine Ewigkeit auf seine Finger. Pianisten-Hände war das erste Wort, das mir dabei in den Sinn kam.

»Du wirkst traurig. Und das sag ich nicht nur, weil du verheult aussiehst.«

»Wie charmant.«

»Bin ich immer.« Das Grinsen erreichte seine Augen nicht, die voller Ernsthaftigkeit an mir zu kleben schienen.

Ich blinzelte. Einmal, zweimal, dreimal. Meine Fingerspitzen begannen zu kribbeln. Ein Zeichen, dass ich gleich erneut Panik bekommen würde.

»Vielleicht bleib ich noch eine Weile hier«, krächzte ich.

Immerhin konnte ich so meine Gedanken auf ihn projizieren, bis ich mich etwas beruhigt hatte. Vielleicht hielt mich meine Selbstachtung davon ab, vor Fremden zusammenzubrechen. Langsam wischte ich die Tränen aus meinem Gesicht und putzte mir die Nase. Wahrscheinlich sah es nicht unbedingt ästhetisch aus, aber das spielte in diesem Moment keine Rolle.

»Verrätst du mir auch deinen Namen, wenn du schon so gütig bist, dein Versteck mit mir zu teilen?«

Automatisch huschten meine Augen zu ihm, musterten ihn eine Sekunde zu lang. Das schwarze Haar, das sich in alle Richtungen lockte, etwas zu lang schien und ihm leicht im Gesicht hing. Seine Haut war blass, aber makellos. Seine Züge wurden weicher, als er mich ansah, und dabei fielen mir seine kantigen Wangenknochen auf. Die Linien waren so scharf und klar, wie ich es noch nie bei jemandem gesehen hatte. Sein Mund zuckte leicht, bevor er mich anlächelte und mein Herz damit zum Stolpern brachte.

»Aria. Ich heiße Aria. Und du?« Einen Moment war es still.

Irritiert von meinen Worten blickte er mich an, während er das Gesicht verzog. Vielleicht hatte ich undeutlich gesprochen.

»Wie heißt du?«, wiederholte ich meine Frage mit etwas Nachdruck, als er mir nicht antwortete.

Dieses Schweigen verunsicherte mich.

»Ich heiße Min-ho«, gab er zurück und in seinen Augen sah ich lauter Fragezeichen, als wäre er sich nicht ganz sicher.

»Min-ho, Min-ho, Min-ho«, flüsterte ich daraufhin leise.

Seine Miene hellte sich ein wenig auf.

Konnte ich mich bitte einfach in Luft auflösen? Wer dort oben hatte es auf mich abgesehen, dass mein erster Tag hier so ablief? Warum verhielt ich mich so?

»Okay, ich sollte einfach aufhören zu reden«, sagte ich leicht zittrig und blickte nervös auf meine Hände.

»Es fing doch gerade an, interessant zu werden.«

In seinem Gesicht zeichnete sich ein süffisantes Lächeln ab.

»Sorry, ich … also ich muss das immer so machen, sonst habe ich deinen Namen sofort wieder vergessen, sobald du ihn ausgesprochen hast«, versuchte ich mich vergeblich aus dieser Situation zu retten.

»Und das wäre natürlich eine Schande.«

Daraufhin wiederholte er meinen Namen dreimal, so wie ich es getan hatte. Ein Lächeln ließ sich dabei nicht verhindern, als ich gebannt auf seine vollen Lippen sah.

Aria, Aria, Aria.

Noch nie hatte mein Name so schön geklungen.

Mein Herz machte einen kleinen Satz. Sich ablenken konnte mein Kopf wohl ganz gut. Auf einmal kam ich mir überhitzt vor. Als wäre die Kälte der Panik verschwunden und hätte nichts als brennende Haut hinterlassen.

Reiß dich zusammen, Aria.

In meinem Kopf suchte ich bereits nach den passenden Worten, aber ich hatte keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte. Glücklicherweise war Min-ho besser im Smalltalk als ich.

»Kommst du an oder bist du auf dem Weg?«, wollte er wissen.

»Wie bitte?«

»Bist du grad auf dem Weg, aus dem Land zu flüchten? Oder kommst du gerade hier an?«

Ich atmete einmal tief ein und dann wieder aus, bevor ich antwortete und ihm die Kurzfassung meiner Ankunft berichtete. Dabei ließ ich meine Beweggründe, nach Korea zu gehen, aus und vermied den Blickkontakt, um das Mitleid nicht sehen zu müssen.

»Jenjang«, brachte er nach einer Weile hervor. Es klang wie ein Fluchen, so wie er die Worte hervorpresste.

»Das ist wohl Karma oder so«, erwiderte ich mit einem leichten Schulterzucken. »Und du? Kommst du oder gehst du?«

»Oh, ich wünschte, ich könnte gehen. Aber ich werde wohl leider erst einmal hierbleiben müssen. Nichts ist so schön wie die Heimat«, antwortete er in einem so sarkastischen Ton, dass ich mich sofort fragte, was die Hintergründe dafür waren.

»Du kommst also von hier?« Wow. Captain Obvious war am Start.

»In Korea geboren und aufgewachsen. Woher kommst du?«

»England. Hampshire, um genau zu sein.«

Die Gedanken an meine Heimatstadt ließen mich leicht zusammenzucken.

Min-ho schien über etwas nachzudenken und setzte mehrmals zu einer Antwort an, zögerte jedoch.

»Hey, ich hätte da einen Vorschlag«, begann er dann schließlich und seine Stimme drang nur langsam zu mir durch.

»Hm?«, irritiert hob ich den Kopf und blickte ihn an.

»Ich fahre dich zur Polizei und dann kannst du von dort das mit der gestohlenen Tasche regeln.«

»Echt? Du kennst mich doch gar nicht.« Meine Worte klangen etwas zickiger, als ich sie meinte, doch sein Angebot irritierte mich. Gab es keine Polizei hier am Flughafen? Es ließ sich sicherlich jemand auftreiben, der mir weiterhelfen würde. Vielleicht sollte ich mich zunächst danach umsehen. Jedoch war es schon recht spät. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich stundenlang nach ihnen umsehen müsste und sie mich am Ende doch ans Hauptrevier verweisen würden? Das Gedankenchaos in meinem Kopf versuchte schnellstmöglich eine Pro- und Contraliste zu erstellen.

Ich kam nicht drum herum, an Min-hos Absichten zu zweifeln. Regel Nummer eins jeder True-Crime-Doku: Gehe nie mit einem Fremden mit, egal wie gut er aussieht und auch wenn er dir Hilfe anbietet.

»Möglicherweise könntest du mir auch helfen, Aria.«

Da hatten wir es. Min-ho richtete den Blick wieder auf die Wand gegenüber, als könnte er mich dabei plötzlich nicht mehr anschauen, was seine nächsten Worte noch verdächtiger klingen ließ. »Ich fahre dich zur Polizei, aber ich muss unbemerkt aus diesem Flughafen raus.« Der lockere Ton in seiner Stimme ließ seine Worte fast wie eine normale Bitte klingen. Bevor ich fragen konnte, was er genau damit bezweckte, streckte er mir seine Hand entgegen. »Deal?«

In meinem Kopf hörte ich bereits die Polizeisirene. Sah die Polizisten, die kamen, um ihn zu suchen, oder die Männer, denen er Geld schuldete. Was auch immer es war, irgendetwas hatte dieser Mann zu verbergen. Seine lockere Art zu sprechen und seine plötzliche Angespanntheit passten nicht zusammen. Als würde er insgeheim etwas anderes sagen wollen. Oder als würde ihn etwas anderes beschäftigen.

Ein Blick in seine Augen verriet mir, dass er es ernst meinte und die Hand hing für einige Sekunden in der Luft, bis ich seinen Blick skeptisch erwiderte.

»Vorher hätte ich noch ein paar Fragen«, unterbrach ich mit zweifelnder Stimme.

»Dann schieß mal los.« Theatralisch seufzte er einmal und ließ sich nur wenige Zentimeter von mir entfernt auf die Couch sinken. Viel näher als zuvor. Sofort nahm ich seinen Geruch wahr. Herb, maskulin und mit einer holzigen Note. Mit einem kurzen Räuspern drehte ich mich zu ihm, wo sein Blick schon auf mich wartete.

»Mache ich mich damit strafbar? Also … wenn ich dir zur Flucht verhelfe, meine ich?« Ich bemühte mich um einen witzigen Unterton in der Stimme, obwohl es mir todernst war.

»Nein. Und ich werde nicht von der Polizei gesucht, falls du das denkst«, antwortete er mit einer viel ernsteren Miene, als ich erwartet hätte. Dann kreuzte er den Mittel- und Zeigefinger und hielt sie sich vor die rechte Brust.

»Ehrenwort.«

»Okay. Kommt dann jetzt gleich die Frage, ob ich was in meinem Koffer rausschmuggeln kann?«

»Keine Sorge. Ich will nur unbemerkt hier raus und habe keine Lust mehr zu warten.«

Die Art, wie er mir nicht lange in die Augen schauen konnte, obwohl er mich gerade praktisch noch niedergestarrt hatte, verunsicherte mich.

»Auf wen wartest du denn?«

»Es sollte mich jemand abholen. Aber ehrlich gesagt will ich einfach nur in mein Auto steigen und hier weg.«

Plötzlich wirkte er nervös. Was meine Zweifel nur noch bestärkte. Innerhalb weniger Sekunden fuhr er sich mit der Hand immer wieder durch die Haare, nur damit sie am Ende noch perfekter aussahen als vorher. Sobald ich nervös wurde, spielte ich auch mit meinen Haaren oder zappelte herum. Was verheimlichte er?

»Und dein Auto steht hier am Flughafen?«

»Du bist eine Skeptikerin, oder?«

»Nein. Ich bin nur vorsichtig. Wieso willst du nicht warten?«

Sein Blick traf mich unvermittelt. »Ich möchte gerne in mein Apartment. Wenn ich warte, bis … Wie hast du ihn genannt? Der Mann im Anzug?« Ich nickte. »Wenn ich warte, bis er zurück ist, dann werde ich nicht so schnell nach Hause können.«

»Wanderst du dann ins Gefängnis?« Kurz lachte ich auf, weil es so absurd klang, doch er blieb ernst und mein Lachen verstummte.

»Nicht im wörtlichen Sinne, nein. Aber es wirkt für mich wie eins.« Drei lange Herzschläge sagte keiner von uns etwas.

»Also, Aria. Haben wir einen Deal?«

Auf keinen Fall, dachte ich.

Aber was ich stattdessen sagte, war: »Deal.«

Offenbar hatte der Teil meines Gehirns, der ihm zu vertrauen schien, die Kontrolle übernommen, bevor meine Zweifel es zuließen. Vielleicht floh er nur vor seinen Eltern? Oder einem nervigen Onkel? Es war sicherlich nicht so schlimm, wie meine Gedanken mich glauben lassen wollten. Erneut hielt er mir seine Hand hin.

Die vielen Ringe an seinen Fingern waren unterschiedlich groß. Einige mit Steinen versehen, einige ganz schlicht. Sieben Ringe zählte ich. Sieben war meine Lieblingszahl. Eine magische Glückszahl.

Ich seufzte einmal laut. Eine andere Wahl hatte ich sowieso nicht. Schlimmer konnte es ja eigentlich eh nicht werden. Nervös wischte ich meine verschwitzten Handflächen an den Leggings ab.

»Okay«, erwiderte ich knapp, während ich seine Hand nahm.

Als er mich hochzog, fiel ich beinahe gegen ihn und konnte mich gerade noch rechtzeitig wieder fangen. Statt meine Hand loszulassen, drückte er sie kurz. Auf meinen fragenden Blick räusperte er sich nur und straffte die Schultern.

»So. Nun hören wir mit dem Selbstmitleid auf. Gib mir mal deine Mütze.«

Bevor ich mich versah, nahm er mir die Cap ab und setzte sie auf. Sein Kopf war viel zu groß, oder die Mütze einfach viel zu klein. Auf jeden Fall sah es lächerlich aus.

Falls er meinen verwirrten Blick sah, reagierte er nicht darauf. Stattdessen drehte er sich einmal um und nickte seinem Spiegelbild zufrieden zu, während er eine Sonnenbrille aus der Jackentasche holte und sie aufsetzte. Überhaupt nicht verdächtig. Nein, alles ganz normal.

»Also, noch mal zum Verständnis. Wie …«, fing ich an.

»Uns darf keiner sehen. Wir müssen unauffällig sein, okay?«, unterbrach er mich sofort und seine Stimmte klang auf einmal ein bisschen zu aufgeregt für meinen Geschmack.

»Schau mal draußen nach, ob alles ruhig ist«, sagte er.

In der nächsten Sekunde tippte er auch schon auf seinem Handy herum, und als er meinen fragenden Blick bemerkte, nickte er in Richtung Tür.

Na gut, alles ist besser, als hierzubleiben.

Min-ho erschien mir wie eine schnelle Lösung für meine Probleme. Aus irgendeinem Grund, der keiner Logik folgte, vertraute ich ihm. Also würde ich mitspielen, auch wenn es vielleicht übertrieben war. Wenigstens würde ich so zur Polizei kommen und vielleicht konnten mir die Beamten ja weiterhelfen. Den Gedanken, wie ich in einem Kofferraum in Korea verschleppt wurde, verdrängte ich.

Langsam öffnete ich die Tür einen Spaltbreit und schaute nach draußen. Erstaunt stellte ich fest, dass kaum jemand dort war. Da fiel mir wieder ein, dass Min-ho meinte, sie würden den Flughafen absperren.

»Alles ruhig. Keiner hier«, rief ich Min-ho zu, der plötzlich viel zu dicht hinter mir stand. Sein Kopf war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, während er ebenfalls durch den Türspalt schaute. Falls er sich hinter mir verstecken wollte, funktionierte sein Plan aber außerordentlich schlecht. Schließlich war er nicht nur wesentlich größer, sondern auch doppelt so breit …

»Dann lass uns mal los. Mein Wagen steht bei Eingang D.«

Eine Gänsehaut bildete sich an meinem Körper, als er eine Hand an meine Taille legte und mich sanft zur Seite schob. Nur um sich dann doch viel zu nah an mir vorbeizuquetschen. So nah, dass seine Brust meinen Rücken streifte.

In einer fließenden Bewegung zog er mich mit sich und zusammen verließen wir unseren Rückzugsort. Mit schnellen Schritten gelangten wir zur Eingangstür und standen plötzlich in einer Menschenmenge, die sich statt im Inneren des Flughafens jetzt direkt davor befand.

Neben mir hörte ich Min-ho leise fluchen, während er mich näher an sich zog. Von seiner plötzlichen Berührung war ich so verwirrt, dass ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Und wie immer, wenn es mir so ging, machte ich einfach gar nichts und war überfordert.

Mit einer Hand griff Min-ho die Mütze, zog sie nach unten und behielt seine Hand dort, wodurch sein Gesicht quasi nicht mehr zu sehen war. Mein Blick wanderte von ihm zu der Menschenmenge, die mich sofort nervöser machte. Ich hielt Ausschau nach einem Auto und sah rechts vom Gate-Eingang die Parkplätze.