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In der öffentlichen Diskussion um Erziehungsfragen scheint das Thema der pädagogischen Autorität wieder rehabilitiert zu sein. Allerdings ist der Begriff, die Notwendigkeit des Konzepts und die Bedeutung der pädagogischen Praktiken, die mit "Autorität" in Verbindung gebracht werden, innerhalb der Erziehungswissenschaft umstritten. Trotzdem wissen zumindest praktisch tätige Pädagoginnen und Pädagogen, dass sie ohne Anerkennung ihrer Autorität kaum sinnvoll wirksam sein können. Das Buch will das Thema "Pädagogische Autorität" wieder sachlich in die erziehungswissenschaftliche Debatte einführen. Dafür werden soziologische, psychologische, psychoanalytische, literarische und erziehungswissenschaftliche Zugänge zum Thema gewählt, in ihren historischen Facetten rekonstruiert und ihrer Bedeutung für aktuelle Fragestellungen analysiert. Neben der Frage, wie pädagogische Autorität wahrgenommen, wie sie gerechtfertigt, aber auch kritisiert wird, beschäftigt sich das Buch eingehend mit den Quellen, Funktionen und Grenzen pädagogischer Autorität.
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Seitenzahl: 369
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In der öffentlichen Diskussion um Erziehungsfragen scheint das Thema der pädagogischen Autorität wieder rehabilitiert zu sein. Allerdings ist der Begriff, die Notwendigkeit des Konzepts und die Bedeutung der pädagogischen Praktiken, die mit 'Autorität' in Verbindung gebracht werden, innerhalb der Erziehungswissenschaft umstritten. Trotzdem wissen zumindest praktisch tätige Pädagoginnen und Pädagogen, dass sie ohne Anerkennung ihrer Autorität kaum sinnvoll wirksam sein können. Das Buch will das Thema 'Pädagogische Autorität' wieder sachlich in die erziehungswissenschaftliche Debatte einführen. Dafür werden soziologische, psychologische, psychoanalytische, literarische und erziehungswissenschaftliche Zugänge zum Thema gewählt, in ihren historischen Facetten rekonstruiert und ihrer Bedeutung für aktuelle Fragestellungen analysiert. Neben der Frage, wie pädagogische Autorität wahrgenommen, wie sie gerechtfertigt, aber auch kritisiert wird, beschäftigt sich das Buch eingehend mit den Quellen, Funktionen und Grenzen pädagogischer Autorität.
Prof. Dr. Roland Reichenbach lehrt an der Universität Zürich.
Roland Reichenbach
Pädagogische Autorität
Macht und Vertrauen in der Erziehung
Verlag W. Kohlhammer
Alle Rechte vorbehalten © 2011 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany
Print: 978-3-17-020530-7
E-Book-Formate
pdf:
epub:
978-3-17-027766-3
mobi:
978-3-17-027767-0
Vorbemerkungen
1 Zur Einleitung: „Gerne zeitlebens unmündig …?“
1.1 Faulheit und Feigheit
1.2 Autorität und Tradierung der Kultur
1.3 Autoritätsdiskussion – Autoritätsforschung
2 „Früher waren die Verhältnisse autoritär …“
2.1 Die Krise der Autorität und die Krise der Autoritätskrise
Was ist mit dem Generationenkonflikt los?
Verzeihen und Versprechen
Die Krise der Krise
2.2 Wie wir (nicht mehr) zu sein meinen – eine Spätlese zu Stanley Milgrams Experimenten zum Autoritätsgehorsam
2.3 Die Psychologie der Autoritätsablehnung und ihre pädagogische Relevanz
3 Befehlen und Gehorchen
3.1 Elias Canetti: „Der Befehl ist älter als die Sprache …“
Pfeil und Stachel
Befehl und Norm
3.2 Pathologischer und infantiler Gehorsam – eine Auseinandersetzung mit der psychoanalytischen Perspektive
3.3 Hannah Arendt: „Niemand hat das Recht zu gehorchen“
Exkurs I Autoritäre Erziehung im Spiegel der Belletristik
Padre Padrone (Gavino Ledda 1975)
Brief an den Vater (Franz Kafka 1919)
Jane Eyre (Charlotte Brontë 1847)
Unterm Rad (Hermann Hesse 1906)
Der Schüler Gerber (Friedrich Torberg 1930)
Tagebuch eines Schülers (Robert Walser 1908)
Der erste Mensch (Albert Camus 1994)
4 Die Frage der Autorität in den pädagogischen Debatten
4.1 L. N. Tolstojs Versuche einer „Pädagogik der Freiheit“
Libertäre Pädagogik
Die Bauernschule Jasnaja Poljana (1859–1862)
Tolstojs Umgang mit Disziplinproblemen
Wirkung und Kritik: Tolstoj als pädagogische Autorität
4.2 Anti-autoritäre Pädagogik und Anti-Pädagogik
Summerhill
Die anti-pädagogische Position
Versuche einer Gegenargumentation
Das Kind als künftig autonomes Subjekt
4.3 „Mut zur Erziehung“ – Drei Beispiele
Das Bonner Forum (1978)
Lob der Disziplin (2006)
Erziehung als Verhaltensmodifikation
4.4 „Echte“, „gesunde“ und „ideale“ Autorität?
Pädagogisch korrekte Sprache?
Diffamierte Wörter, Überredungsbegriffe und die Transformation der Vokabularien
5 Die empirische Erforschung der Autorität
5.1 Die Autoritarismusforschung nach 1945
5.2 Die Erziehungsstilforschung
5.3 Klassenführung, Schulerfolg und Frau Kim
5.4 Eine entwicklungspädagogische Perspektive
Exkurs II Autorität in französischen und deutschen Schulen – ein Sketch
6 Affirmierte Autorität
6.1 Merkmale von Autorität (in einem affirmativen Sinne)
Autorität in Organisationen
Autorität anerkennen, individuelle Freiheit schützen
6.2 Merkmale pädagogischer Autorität
Prototypen
Dimensionen
7 Führen und sich führen lassen
7.1 Wie „höchstpersönlich“ ist die Kunst der Führung?
Das Reden über Führung
Führung als zugeschriebene Rolle
Das Technologiedefizit der Führung
Führen als Kunst
Zur Rhetorik und Dramaturgie des Wandels
7.2 Pädagogische Führung als Austauschprozesse
Dominanzmanöver – mehr oder weniger kaschiert
Privilegiert sein: sich auf geschickte Weise führen lassen
„Schöner Schein“ 29
8 Die unpersönliche Kultur der Autorität
8.1 Die Autorität der Kultur
8.2 Unpersönliche Prägung: „Veränderte Kindheit“
8.3 Die Kulturelle Dimension von Bildung
Schlussbemerkungen
Literatur
„Zum Charakter eines Kindes, besonders eines Schülers, gehört vor allen Dingen Gehorsam. Dieser ist zweifach, erstens: ein Gehorsam gegen den absoluten, dann zweitens aber auch gegen den für vernünftig und gut erkannten Willen eines Führers. Der Gehorsam kann abgeleitet werden aus dem Zwange, und dann ist er absolut, oder aus dem Zutrauen, und dann ist er von der anderen Art. Dieser freiwillige Gehorsam ist sehr wichtig; jener aber auch äußerst notwendig, indem er das Kind zur Erfüllung solcher Gesetze vorbereitet, die es künftighin, als Bürger, erfüllen muss, wenn sie ihm auch gleich nicht gefallen.
Der Gehorsam des angehenden Jünglings ist unterschieden von dem Gehorsam des Kindes. Er besteht in der Unterwerfung unter die Regeln der Pflicht. Aus Pflicht etwas tun heißt: der Vernunft gehorchen. Kindern etwas von der Pflicht zu sagen, ist vergebliche Arbeit.“
Immanuel Kant (1803/1977, S. 741 & 743f.)
Mit dem Thema der pädagogischen Autorität begibt man sich in ein weites Feld und zweifelhaftes Gebiet, eine Art Sumpf, in welchem beißwütige Dämonen lauern, die nur eines im Sinn zu haben scheinen: den Eindringling zu verwirren und zu täuschen. Wäre mir dies vor Jahren, als ich mich für die Thematik ernsthaft zu interessieren begann, klarer gewesen, ich wäre sofort umgedreht und hätte andere Gebiete durchwandert, Gebiete mit Bodenhaftung. Denn es gibt ja im Land der Pädagogik so schöne Gegenden, in denen man immer etwas entdeckt, auch wenn man gar nicht richtig sucht. Aber es musste dieser Sumpf sein. Natürlich sucht man sich immer die Probleme, die man verdient, wie der Pädagoge weiß.
Autorität ist eines dieser Reizthemen, die einen zu veranlassen scheinen, gleich Stellung – für oder gegen sie – zu beziehen. So gibt es zwei große Gruppen im Diskurs, und ich möchte nun aber zur dritten gehören und hoffe, dass dies hier zum Ausdruck kommen wird. Die erste Gruppe findet alles, was mit Autorität zu tun hat, nicht nur problematisch, sondern gefährlich. Für sie ist Autorität ein hervorragender „Anwärter auf die Rolle des Generalbösewichts“ (eine Begrifflichkeit von Hans Blumenberg [1997, S. 144 f.]). Mit der „Herleitung der Weltübel“ aus dieser „einen Wurzel“ ergibt sich eine „Lizenz zum Ungeheuerlichen“, es drängt nach „Heilstaten“ (ebd.). Es ist nicht ganz einfach, zu versuchen, sich mit Mitgliedern dieser Gruppe über die Ambivalenz der Autorität zu unterhalten, denn sie sind meist intelligent, haben gute Gründe und verweisen zu Recht auf die Schrecken und lange Geschichte des Missbrauchs von Macht und Autorität. In der zweiten Gruppe wird die Geschichte und immer bestehende Möglichkeit des Missbrauchs von Macht und Autorität nicht etwa bestritten, aber Autorität und auch das Bedürfnis nach Autorität – selbst bei Erwachsenen – wird als fixer Bestandteil des sozialen Lebens verstanden und akzeptiert. Autorität ist unvermeidbar und daher erscheint es diesen Leuten sinnlos bzw. reichlich utopistisch, als regulatives Ideal eine Welt ohne Autoritäten vorzuschlagen.
Wie immer ist die Lage komplizierter, als ich sie hier skizziere, denn weder die „Pro-Gruppe“ noch die „Contra-Gruppe“ können als homogene Verbände begriffen werden. Auch ist es ein Irrtum zu glauben, dass die politische Orientierung der beiden Gruppen eindeutig sei. Dennoch können die beiden Gruppen – die je nach Zeit und Ort, nach Herkunft und Geschichte, nach Lebensphase und Lebensziel ganz unterschiedlich groß sein können und manchmal gegenüber der je anderen Gruppe zu dominieren bzw. unterliegen scheinen – letztlich unterschieden werden. In den beiden Gruppen gibt es zwei Extrempositionen, die mit Michael Wimmer (2010) zum einen die „allzu Autoritätsgläubigen“, zum anderen die „radikalen Kritiker“ genannt werden können. Die Argumentationen dieser Mitglieder gilt es wohl doch besonders zu betrachten: „So gilt es, gegen die allzu Autoritätsgläubigen auf (…) [der] Grundlosigkeit [der Autorität] zu bestehen, gegen ihre radikalen Kritiker dagegen auf ihre symbolische Funktion und Unvermeidbarkeit“ (S. 325).
Nun meinen manche Autoren vielleicht, sie seien Mitglied der ersten Gruppe (Contra), aber „eigentlich“ gehören sie in die zweite Gruppe (Pro), nur wollen sie das nicht hören. Mitglieder der Contra-Gruppe, etwa aus dem psychologisch-pädagogischen oder psychoanalytischen Feld – Theoretiker des anti-autoritären oder auch des anti-pädagogischen Diskurses –, mussten mitunter solche Gegenkritik schon ertragen lernen. So hatte beispielsweise Michel Foucault mit Überwachen und Strafen (1975/1994) der Psychoanalyse einen „berühmt-berüchtigten“ Schlag versetzt, „als er ihr glorreiches Projekt der Selbstbefreiung als eine Form von Disziplin und Unterwerfung unter die Macht der Institutionen ‚mit anderen Mittel‘ bloßstellte“, wie Eva Illouz (2009, S. 12) kommentiert. Freilich „entdecken“ auch Mitglieder der Contra-Gruppe immer wieder neu, wie Mitgliedern der Pro-Gruppe gar nicht bewusst ist, dass sie zur Pro-Gruppe gehören, ja, vielmehr noch, dass eine ganze Kultur mithilft, die Zugehörigkeit zur Pro-Gruppe zu verschleiern. So schreibt Arno Gruen in dem mit dem Geschwister-Scholl-Preis gekrönten Werk Der Fremde in uns (20107): „Diese Sucht nach Stärke, nach einem Erlöser, durchdringt alle Lebensbereiche. Sie ist allerdings nicht immer offensichtlich, da wir ja oft sehr geübt darin sind, uns selbst die Pose des eigenständigen, zuversichtlichen und autonomen Menschen zu geben. Ein guter Poseur weiß deshalb auch, wie er seinen wahren Charakter am besten überspielt“ (S. 135). Aber die meisten „von uns“ sind wohl nicht so gute „Poseure“: „Gehorsam verursacht den Verlust einer eigenen Identität. Dies wird verschleiert, indem Menschen sich autonom glauben, weil sie, unbeeinflusst durch Einfühlung und den Schmerz anderer, Macht und Gewalttätigkeit ausüben. Indem Macht und Gewalt durch ideologische Abstraktion einem ‚höheren‘ Ziel wie dem Volk, der Wissenschaft, dem Fortschritt oder dem Wachstum gewidmet sind, werden sie immer mehr von ihren wirklichen Absichten, nämlich Herrschaft und Kontrolle über andere auszuüben, abgetrennt“ (S. 137).
Solche „Entdeckungen“ machen es natürlich schwierig, über die pädagogische Bedeutung von Autorität nachzudenken. Denn wer sie für nötig hält, zeigt der Pro-Gruppe ja vor allem, dass er oder sie nicht ganz bei sich ist, bedauerlicherweise musste er oder sie das „Eigene“ als etwas „Fremdes“ abspalten. „Denn das Kind kann die Eltern nur unter der Voraussetzung als liebevoll erleben, dass es ihre Grausamkeit als Reaktion auf sein eigenes Wesen interpretiert – die Eltern sind grundsätzlich gut; wenn sie einmal schlecht sind, dann ist es unsere eigene Schuld“ (S. 14). Wenn solche Kinder später Eltern werden bzw. an der Erziehung von Kindern beteiligt sind – also als unaufgeklärte Autoritätsgläubige pädagogisch wirksam sind –, dann ist dies sicher nicht optimal. Und wenn Gehorsam den Verlust „einer eigenen Identität“ bewirkt, so erziehen schließlich im Grunde immer nur Menschen, die sich selber fremd sind, kleine Kinder, die wiederum nie zu sich kommen werden und später als entfremdete Selbste weiterhin Autorität – und Schlimmeres – einfordern. Denn wenn „Identität auf Identifikation mit Autorität beruht, bringt Freiheit Angst. Solche Menschen müssen dann das Opfer in sich selbst durch Gewalt gegen andere verdecken“ (S. 203). Wird ein solches Selbst bedroht, dann „kommt es erst zur Ruhe, wenn eine Autorität die soziale Ordnung wieder herzustellen scheint“ (ebd.). Autorität ist dann vor allem ein Phänomen von und für beschädigte Selbste …
Die zweite Gruppe, die Pro-Gruppe, unterscheidet sich von der ersten Gruppe immer wieder durch medienwirksame, populistische Verteidigungen von Autorität, wie wenn etwa der „Mut zur Erziehung“ (Bausch, Hahn & Lobkowicz 1978) propagiert oder das „Lob der Disziplin“ (Bueb 2006) verkündet wird. Diese meist konfusen und niederkomplexen Schriften und Diskurse durchbrechen zwar die intellektuelle Langeweile, die an manchen Orten eine lange Tradition hat, doch man fragt sich, ob sich die Auseinandersetzung lohnt mit diesen zahlreichen, teilweise dahingeschludert anmutenden Sätzen wie: „Fernsehen einfach so, gegen das erlaubte oder vereinbarte Programm, da ist kurzer Prozess angesagt, es bedarf keiner Begründung, hier muss der Vater der Regel beherzt Geltung verschaffen“ (S. 21). Oder: „Wir versündigen uns an unseren Kindern, wenn wir ihnen die Weisheit von Jahrtausenden vorenthalten“ (S. 44). Muss man sich mit solchen „Streitschriften“ wirklich auch noch wissenschaftlich auseinandersetzen (vgl. Brumlik 2007)?
Die Zugehörigkeit aber bzw. die „Wahl“ oder Entscheidung, zu einer der Gruppen zu gehören – wenn es eine solche Wahl überhaupt gibt –, scheint nicht wirklich auf rationalen, logischen bzw. argumentativen Gründen zu fußen. Wiewohl ich zur dritten Gruppe gehören möchte, die sich weder pro noch contra, aber sowohl pro als auch contra verhält, glaube ich, dass diese Gruppe noch kein einziges Mitglied wirklich dauerhaft aufgenommen hat, also im Grunde gar nicht existiert. Kurz: wer nicht zur ersten oder zweiten Gruppe gehört, kann dadurch nicht unmittelbar in der dritten Gruppe zugerechnet werden. Vielmehr haben die Zauderer und Unentschiedenen, die Skeptiker und Unentschlossenen, mit denen ich mich verbunden fühle, sich einfach – sei es nun vermeintlich oder sei es eben nicht vermeintlich – noch nicht verortet.1 Im diesen Sinne sei im Folgenden über pädagogische Autorität nachgedacht. Entsprechend sind die Blickwinkel heterogen, geben kein eindeutiges Bild und sollen auch kein solches leisten. Hervorgehoben seien vielmehr die vielfältigen Facetten dieses Phänomens, sie können weder vollständig noch auch in der je gewünschten Tiefe behandelt werden. Damit wird ein nur scheinbar bekanntes, sicher aber interessantes und bedeutsames Phänomen in der Entwicklung und Förderung von Kindern und Jugendlichen – gewissermassen – aus dem Sumpf gezogen. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Thematik des Missbrauchs von Autorität in der Erwachsenenwelt und der immer mögliche, manchmal auch wahrscheinliche Missbrauch im pädagogischen Feld sind dabei unumgänglich.
Nach einleitenden, überblicksartigen Bemerkungen im ersten Kapitel werden im zweiten zunächst die Krise der Autorität und die pädagogisch bedeutsame Krise dieser Krise erörtert sowie die Illusionen der überwunden geglaubten Autorität und das Phänomen der Ablehnungsbindung erläutert, welche pädagogisch aufschlussreich sind. Das dritte Kapitel ist der „Psychologie“ und „Ethik“ von Befehl und Gehorsam gewidmet. In einem ersten langen Exkurs folgen pädagogisch und entwicklungspsychologisch interessierende, autobiographisch geprägte Literaturbeispiele bekannter Autoren und Werke aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Der Leser bzw. die Leserin dieser Werke, die hier nur verkürzt und zugespitzt wiedergegeben werden, erfährt dabei etwas über unterschiedliche Modi der Befreiung von nicht legitim erscheinenden pädagogischen Autoritäten. Das vierte Kapitel fokussiert den Umgang mit dem Thema Autorität in ausgewählten pädagogischen Debatten, dabei wird von der libertären Pädagogik Tolstojs ausgegangen, dann der Diskurs um die anti-autoritäre Pädagogik und die Anti-Pädagogik sowie neuere populär-pädagogische Phänomene kommentiert. Im fünften Kapitel werden Kenntnisse (und Probleme) zur Autorität aus der empirischen Forschung berichtet und um eine entwicklungstheoretische Perspektive ergänzt. Im anschließenden Exkurs gibt ein Erfahrungsbericht aus einem Lehreraustausch über deutsch-französische Schul- und Unterrichtsphilosophien Auskunft, in welchem erneut deutlich gemacht werden kann, dass im Zentrum dieser Differenzen – als ein kleines und ungenügendes Beispiel eines kulturellen Vergleichs – die Frage der Autorität steht. Das sechste Kapitel erörtert nun Merkmale von Autorität und Dimensionen pädagogischer Autorität in einem affirmativen Sinne, denn in der Tat scheint es keinen Sinn zu machen, Autorität im pädagogischen Bereich nur negativ zu beurteilen. Da Autorität und Führung intrinsisch miteinander verbunden sind, widmet sich das siebte Kapitel ausführlich zunächst der Frage der Führung, dann aber der pädagogischen Führung aus austauschtheoretischer Sicht. Mit Bemerkungen zur „unpersönlichen“ Kultur der Autorität und unvermeidbaren Autorität der Kultur wird die Abhandlung im achten und letzten Kapitel beendet.
Nicolette Thomet danke ich herzlich für einen guten Rat, der dazu führte, dass ich das Manuskript endlich zu Ende bringen konnte. Mein Dank gebührt insbesondere auch Dr. Klaus-Peter Burkarth vom Kohlhammer Verlag für seine kompetente und unterstützende Haltung sowie sein Verständnis für Verzögerungen und Versäumnisse meinerseits. Stefanie Sapienza danke ich für die kritische Durchsicht des Manuskripts und die zahlreichen Korrekturen.
1 Diese ambivalente Haltung ist ein intellektueller Luxus. In den konkreten Fragen des pädagogischen oder nicht-pädagogischen Lebens ist Ambivalenz freilich keine sehr hilfreiche Entscheidungsgrundlage, aber sie hilft, Gründe, Konsequenzen und Rechtfertigungen im Entscheidungsprozess so abzuwägen, wie sie es eher verdienen.
Geprägt von einem französisch-republikanischen Verständnis von Schule und Bildung werden im Folgenden Facetten eines Phänomens und damit verbundener Diskurse vorgestellt werden, das und die im deutschsprachigen Raum seit gut drei Jahrzehnten vorwiegend, aber nicht ausschließlich jenem politischen Lager überlassen wird, in welchem, wenn Fragen der Autorität im Raum stehen, eher der Gesichtspunkt der Disziplinierung (der Kinder, der Schülerinnen und Schüler, der Bürgerinnen und Bürger) als das Moment der Bewahrung progressiver Kultur (insbesondere des Rechts und der Rechte, der Moral und der Konventionen) interessiert. Zumindest implizit wird hier die angreifbare Meinung transportiert, wonach dem Fortschritt im Politischen und Ethischen sowie der Bildung und Bildungssysteme heute ironischerweise eher durch Konservierung und Schutz der kulturellen Errungenschaften gedient zu sein scheint, die es der Einzelperson und den Kollektiven ermöglichen, am Ideal und an der Illusion der individuellen bzw. kollektiven Selbstbestimmung festzuhalten. Bei der Sicherstellung dieser Leistung kommt der (Anerkennung der) Autorität der Kultur eine Schlüsselrolle zu, wobei diese Autorität wahrscheinlich weniger als Gegensatz zur demokratischen Staats- und Lebensform denn vielmehr als in ihrem Dienste stehend verstanden werden sollte. Damit sind Fragen nach dem Stellenwert des Gehorsams (und des – hier nicht weiter fokussierten – Glaubens) impliziert, die meist nur strittige Antworten nach sich ziehen.
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