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Ed und seine Crew brachten von ihrer letzten Mission ein Wurmloch in ein neues Universum mit. Doch die Menschen lehnen das kosmische Geschenk ab und greifen die außerirdische Intelligenz im äußeren Sonnensystem an. Während sich zwischen Menschen und Außerirdischen ein unbarmherziger Krieg entwickelt, reisen Ed und seine Freunde mit der Helios an einen fernen Ort, um das ungewöhnlichste Artefakt unseres Universums zu untersuchen. Dabei stoßen die Astronauten auf die Hinterlassenschaften einer ausgestorbenen Zivilisation, deren Macht selbst die der Erbauer der Sphären übertrifft. Und um die Menschheit zu retten, muss David das Geheimnis des Artefakts lüften und Ed muss sich seinen schlimmsten Ängsten stellen. +++ Der fulminante Abschluss der preisgekrönten Paradox-Trilogie von Phillip P. Peterson. +++
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»Erwarten Sie allen Ernstes von uns, dass wir das glauben?«, fragte Senator McLean. Er legte die Stirn in Falten und beugte sich leicht nach vorne. Seine Lippen kräuselten sich und es war ganz klar, dass er die Show genoss.
Das konnte Ed nicht gerade von sich behaupten.
Blödes Arschloch!
Der Astronaut drehte sich um und blickte auf die Menschenmenge hinter sich. Das Interesse an dem präsidialen Untersuchungsausschuss war so groß, dass man sich entschlossen hatte, die Abschlussplädoyers vom Kapitol in das Washingtoner Kongresszentrum zu verlegen. Ed sah neugierige Bürger, Reporter aus zweifellos jedem Land der Erde und oben auf der Empore eine ganze Reihe Kameras mit Teleobjektiven.
Links neben ihm saß Grace in einem grauen Kostüm. Auf den beiden Stühlen rechts von ihm hatten sich David und Wendy niedergelassen, jeweils in dunkelblauem Anzug und in einer weißen Bluse und schwarzem Rock. Ed selbst trug einen ganz sicher konservativ erscheinenden dunkelgrauen Anzug mit dünner schwarzer Krawatte. Wendys Miene war versteinert. Sie hatten sich alle den Ablauf der Untersuchung anders vorgestellt.
»Colonel Walker?«, fragte der Senator.
Ed kam sich vor wie ein Delphin, dem der Trainer einen Reifen hinhielt, durch den er gefälligst zu springen hatte.
Nun, er würde es dem Arschloch nicht so leicht machen.
»Was genau erwarten Sie denn von mir?«, stellte er die Gegenfrage.
Senator McLean drehte sich zu seinem Nachbar, General Hutton aus dem Pentagon, um und verdrehte dramatisch die Augen, während er mit dem Kopf schüttelte. Es war die Geste eines Lehrers, der es mit einem begriffsstutzigen Kind zu tun hatte.
Ed hätte brechen können.
Der Senator drehte sich wieder nach vorne und lächelte gönnerhaft. »Ich fasse Ihre Aussagen noch einmal in Kurzform zusammen.« Er räusperte sich und blickte auf die Notizen, die vor ihm auf dem Tisch lagen. »Also: Sie sagen, Sie sind am Rand des Sonnensystems auf eine Schale gestoßen, die unser gesamtes System umgibt und die im Grunde genommen einen Computer mit einer künstlichen Intelligenz darstellt. Weiterhin sagen Sie, dass jeder Stern in unserer Milchstraße und sogar weiter entfernte Galaxien von einer solchen Sphäre umgeben sind und uns Menschen der Weltraum durch eine Projektion nur vorgegaukelt wird. Ist das korrekt?«
Ed nickte. »Ja, so ist es.«
»Weiterhin sagen Sie, dass letztlich die Helios von dieser Sphäre zerstört wurde und man Sie in eine andere Galaxie teleportiert hat, damit Sie für die Fremden in einem überlichtschnellen Raumschiff zur Grenze unseres Universums fliegen. Und dass Sie dahinter ein neues Universum geschaffen haben, das nun der Menschheit allein zur Verfügung steht, Sie dann durch ein Wurmloch zurückgekommen sind, das sich mittlerweile im Erdorbit befindet und durch das die Menschheit unser Universum verlassen soll.« Er lachte gekünstelt. »Hab ich das richtig verstanden?«
Es war nun mal die Wahrheit. »Ja, Sie können selber überprüfen, dass das Wurmloch ...«
Der Senator hob die Hand und unterbrach Ed. »Und zum Schluss hat die fremde Intelligenz dann alle Atomraketen zerstört, die gerade unterwegs waren.«
»Ja«, erwiderte David. »Die Raketen wurden vernichtet. Sowohl unsere als auch die von den Chinesen. Das konnten Sie ja selbst sehen.«
»Das bringt mich zu einem anderen Punkt«, unterbrach Greg Winters, ein ranghoher Beamter aus dem US-Finanzministerium. Er war ein dünner, mit einer Glasbausteinbrille versehener, lupenreiner Bürokrat. Ed hatte nie verstanden, warum ausgerechnet dieser Mann zu dem siebenköpfigen Untersuchungsausschuss berufen worden war.
McLean erteilte ihm mit einer Handbewegung das Wort.
»Von dieser außerirdischen Intelligenz wurden insgesamt sechshundertachtundachtzig Interkontinentalraketen zerstört. Jede davon hatte einen Wert von durchschnittlich fünfundfünfzig Millionen Dollar, wenn man Abschreibungseffekte mit berücksichtigt.«
»Moment, das ist doch ...«, begann Wendy.
McLean schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. »Lassen Sie den Secretary ausreden!«
»In jeder Rakete waren acht Nuklearsprengköpfe als Nutzlast untergebracht, jede mit einem Wert von durchschnittlich fünf Komma sieben Millionen Dollar.« Es raschelte, als Winters in seinen Papieren wühlte. »Es wurde also Staatseigentum im Wert von insgesamt 48,6 Milliarden Dollar vernichtet. Das sollte man unbedingt berücksichtigen, wenn man den Schaden ermitteln will.«
»Den Schaden?« Ed konnte nicht glauben, was er da hörte. »Die Außerirdischen haben einen Atomkrieg verhindert und Milliarden Menschen gerettet, die Sie durch Ihren verrückten Angriff beinahe ausgelöscht hätten. Was glauben Sie, wie groß der Schaden gewesen wäre, wenn ...«
»Colonel Walker«, sagte General Hutton laut, aber eisig. Er war der Nachfolger von General Westing, der seinerzeit das Helios-Projekt vom Pentagon mit betreut hatte, aber in der Zwischenzeit seiner Krebserkrankung erlegen war. »Zu Ihrer Information: Der atomare Angriff war von den Chinesen provoziert und vom Präsidenten völlig legal autorisiert worden. Das ist aber auch nicht Gegenstand dieses Untersuchungsausschusses. Hier geht es darum, die Abläufe des Helios-Fluges und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, zu verstehen. Und die Zerstörung von US-Eigentum ist nun einmal eine der Folgen der Vorgänge, die immer noch nicht geklärt sind.«
Ed stand auf. Sein Zorn setzte Hitze in seinem Körper frei. »Ihr Narren solltet besser auf die Knie gehen und den Fremden danken, dass ihr noch lebt und dass wir noch einen Planeten haben, auf dem wir existieren können.«
»Colonel Walker«, sagte McLean. »Ich möchte Sie bitten, sich zu mäßigen. Ich erinnere Sie noch einmal ausdrücklich daran, dass der Untersuchungsausschuss auch darüber befinden wird, ob an diesem Schaden Mitschuld Ihrerseits besteht.«
Ed setzte sich. Das war eine unverhohlene Drohung. Sie waren als Zeugen vorgeladen worden und nicht als Angeklagte. Aber das konnte sich ganz schnell ändern, wenn man den Worten des Senators Glauben schenkte.
»Möchten Sie noch etwas dazu sagen?«, fragte McLean. »Mr. Walker?«
Ed wusste, er sollte in seinem eigenen Interesse besser schweigen, aber er konnte es nicht. »Die Außerirdischen haben uns ein Wurmloch in ein fremdes Universum geschenkt, das im Gegensatz zu unserem eigenen unendlich lang existieren kann. Vielleicht sollten Sie das bei Ihrer Bewertung mit in Betracht ziehen.«
»Mr. Winters«, sagte McLean. »Möchten Sie das kommentieren?«
Der Bürokrat hob mit einer theatralisch wirkenden Geste die Hände. »Wenn es stimmt, was die Zeugen sagen, dann wird es jedenfalls sehr schwierig, eine Bilanz zu erstellen. Wie viel kostet ein Wurmloch? Nach welchen Kriterien berechnet man den Wert eines Universums? Spielt es eine Rolle, ob es gebraucht ist oder neu? Oder handelt es sich eher um immaterielle Güter? Wir werden hier einen völlig neuen Katalog aufstellen müssen. Das wird sicher einige Monate dauern.«
McLean nickte. »Danke für Ihre Bewertung, Mr. Winters. Wir werden also im Rahmen dieses Ausschusses nur die Schäden betrachten.« Er drehte sich um. »Mrs. Penny, das sollten wir unbedingt in das Protokoll aufnehmen.«
Ed schüttelte den Kopf. Der ganze Ausschuss war eine einzige Farce. Anfangs hatte er noch die Hoffnung gehabt, dass es ihnen eine Bühne bieten würde, die Wahrheit über die Außerirdischen und das Universum unter die Menschen zu bringen, aber er hatte sich getäuscht.
Die Hälfte des Ausschusses, darunter General Hutten, Senator McLean und sogar die ehemalige NASA-Managerin Sally Bowers waren ihnen von Anfang an mit offener Feindseligkeit begegnet. Centauri-Verwalter George Lee war sichtlich überfordert und Ex-Astronaut Brown interessierte sich mehr für seine Selbstdarstellung in den Nachrichten.
Die Medien? Noch schlimmer! Während konservative Blätter sie als Kollaborateure einer außerirdischen Macht geißelten, stellten die meisten anderen Pressevertreter sie als gerissene Hochstapler dar.
Insgeheim hatte Ed gehofft, dass sie - zumindest ein wenig - als Retter gefeiert werden würden, die den Atomkrieg verhindert hatten, aber die Regierungen beider Konfliktländer hatten die Vorgänge als Abbruch eines »kleinen Schlagabtausches« dargestellt, um selbst nicht so dämlich dazustehen. Von den meisten Menschen waren die Ereignisse dann schnell wieder vergessen worden, und sie hatten sich wieder ihrem Alltag gewidmet.
Ed seufzte. Für den Großteil der Erdbevölkerung spielte ein »neues Universum« ohnehin keine Rolle. Oh, ein Wurmloch in ein anderes Universum? Wie interessant. Na ja, solange ich nicht umziehen muss ... was würde denn dann aus Tante Erica?
Ed ahnte bereits, wie es ausging: Niemand würde sich um das Wurmloch im Erdorbit kümmern. Niemand hatte etwas davon. Politikern brachte es keine neuen Wähler und den Firmen keine neuen Gewinne. Nein, es würde keinen Exodus in das andere Universum geben. Vielleicht startete das eine oder andere Land eine Expedition dorthin, bestenfalls konnten sie einige Siedler nach Eden oder Paradise bringen. Und diese Siedler und ihre Nachkommen wären dann die Urväter, die das neue Universum besiedelten. Kaum jemand auf der Erde würde sich dafür interessieren, wenn das Wurmloch in einigen hundert Jahren zusammenbrach. Die Leute würden mit den Schultern zucken, sich weiter um ihren alltäglichen Kram kümmern und sich nicht darum scheren, dass die Nachkommen ihrer Nachkommen irgendwann in ferner Zukunft zu einem unaufhaltsamen Tod durch den Vakuumzerfall verurteilt waren.
Zur Hölle, die Menschen schien es ja noch nicht einmal zu interessieren, dass sie unter einem künstlich angelegten Sternenhimmel lebten und rund um die Uhr umfassend beobachtet wurden. Ob nun NSA oder Außerirdische ... ist ja auch egal.
Ed zwang sich, sich auf die Mitglieder des Ausschusses zu konzentrieren, die sich auf ihrer Bühne in Belanglosigkeiten ergingen.
Greg Winters bat um einen Wortbeitrag, der ihm von McLean sofort gewährt wurde. »Wenn da ein Wurmloch im Orbit ist, dann könnte es eine Gefahr für die kommerziellen Satelliten in der Erdumlaufbahn werden. Das würde bedeuten, dass die Versicherungen für Satelliten und Trägerraketen teurer werden, was sich gewiss auf die Umsätze in der Medien- und Telekommunikationsbranche auswirkt. Haben die Firmen weniger Gewinn, werden auch die Steuereinnahmen darunter leiden. Es würde mich nicht wundern, wenn es Ausfälle im zweistelligen Millionenbereich gibt.«
»Vielen Dank, Mr. Winters. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Mrs. Penny, das sollten wir unbedingt ins Protokoll aufnehmen.«
Ed schüttelte erneut den Kopf. Er blickte aus der breiten Fensterfront in den nassgrauen Novembertag hinaus und schaltete ab.
»Ist was, Mom?«, fragte David. Er hatte bemerkt, dass seine Mutter ihn die ganze Zeit über anstarrte.
Aber sie schüttelte nur den Kopf und blickte aus dem Fenster.
»Jetzt trink doch mal was«, sagte Davids Vater, der neben ihm auf der Couch saß und sein eigenes Sektglas schon zur Hälfte ausgetrunken hatte.
David seufzte und trank zwei große Schlucke, bevor er das Trinkgefäß auf den Wohnzimmertisch zurückstellte. Es gab ein klirrendes Geräusch, als Glas auf Glas stieß.
»Du kannst wirklich froh sein, dass der Ausschuss vorbei ist«, sagte sein Vater. »Es wird keinen Prozess geben, in dem sie euch die Schäden vorwerfen, also warum so traurig?«
Im Grunde genommen hatte sein Vater ja recht. Wäre er angeklagt worden, säßen er und seine Astronautenkameraden wohl schon in Untersuchungshaft. Zu groß waren die »Schäden«, die der Ausschuss festgestellt hatte. Aber es wurde nun astronomischen Einflüssen zugerechnet, mit denen man sich zu einem zukünftigen Zeitpunkt irgendwann einmal beschäftigen würde.
Davids Hoffnungen auf ein Aufwachen der Menschheit waren zerplatzt wie eine Seifenblase. Er hätte heulen mögen, wenn er an die Borniertheit dachte, mit der man ihnen begegnet war. Er war gleich nach der Verkündung des Abschlussberichts zu seinen Eltern nach Atlanta geflogen. Wo hätte er sonst schon hingehen sollen? Seine Wohnung in Portland war aufgelöst worden, nachdem man ihn für tot erklärt hatte. Seine Habseligkeiten hatte man bis auf einige Andenken für seine Eltern entsorgt. Und jetzt wohnte er wieder in seinem alten Kinderzimmer, das er vor einigen Monaten in einer fernen Galaxis am Ende der Zeit noch als Hologramm besucht hatte.
»Bleibst du denn jetzt hier?«, fragte seine Mutter, die ihren Sekt in Rekordzeit ausgetrunken hatte, nur um sich noch etwas Härteres aus der in einem Schrank versteckten Wohnzimmerbar zu organisieren. Schon hatte der Gin für rötliche Wangen gesorgt.
David zuckte mit den Schultern. Was sollte er in Zukunft machen? Centauri gab es nicht mehr. Er war aus der Zukunft zurückgekehrt ohne eine Ahnung, was die Zukunft für ihn bereithielt. »Ich denke, erst mal ja«, sagte er.
Seine Mutter nickte erfreut und nippte wieder an ihrem Gin. »Schön.«
»Ich verstehe einfach nicht, warum du so unzufrieden bist«, bemerkte sein Vater.
David hob hilflos die Hände. »Ich habe etwas anderes erwartet.«
»Und was hast du denn erwartet?«
»Ich habe erwartet, dass die Menschen aufwachen. Dass sie erkennen: Es existiert mehr als nur der Alltagskram, mit dem sie sich den ganzen Tag beschäftigen. Dass uns ein ganzes Universum mit seinen Chancen und Gefahren erwartet. Dass es lohnenswertere Ziele gibt, als sich auf der Erde gegenseitig die Ressourcen wegzunehmen. Dass in diesem Universum Platz, Energie und Rohstoffe existieren für alle. Und dass wir als Menschen eine Verantwortung haben, um die wir uns bis heute immer nur gedrückt haben.«
Sein Vater starrte ihn mit versteinerter Miene an. »Ist dir eigentlich klar, wie arrogant du dich anhörst?«
David blieb die Spucke weg. »Arrogant?«, fragte er schockiert.
»Ja, ganz recht. Arrogant. Du hast gerade mein Leben als Alltagskram bezeichnet. Ich habe Studenten die Geschichte unseres Landes gelehrt. Ist das nur Alltagskram für dich?«
Was sollte David darauf antworten?
Sein Vater fuhr fort. »Deine Mutter hat dich großgezogen, unheimlich viel Arbeit in die Kirchengemeinde investiert und sich um Haus und Haushalt gekümmert. Ist das auch nur Alltagskram für dich?«
»Das wollte ich damit nicht sagen«, flüsterte David.
»Ich verstehe, was du damit meinst«, sagte sein Vater etwas ruhiger. »Aber wir sind nun mal nicht alle Astronauten, die in andere Galaxien oder durch Wurmlöcher fliegen.«
»Das ist mir schon klar. Ich ...«
»Nein, das ist es offenbar nicht. Sonst würdest du dich nicht so abfällig äußern.« Sein Vater stand auf und ging zu der noch offenen Schrankbar, um sich nun seinerseits einen ordentlichen Schuss Gin in ein leeres Glas einzugießen. Noch während er damit beschäftigt war, sprach er weiter. »Es ist gut, dass es Leute wie dich gibt, die in den Raum, durch die Zeit oder sonst wohin fliegen, um sich um die größeren Dinge des Universums zu kümmern. Aber ihr Astronauten solltet euch nicht versucht fühlen, euch über uns Normalsterbliche zu erheben und uns abzuwerten. Wir alle leisten unseren Beitrag für eine funktionierende Gesellschaft und nur, weil du die Welt aus einer Perspektive sehen konntest, die uns anderen versagt ist, heißt das nicht, dass du wie Gott bestimmen solltest, wie sich die Menschen zu verhalten haben. Das entscheidet nämlich Gott sei Dank jeder Einzelne für sich selber.«
David biss sich auf die Lippen. Nun ja, im Grunde genommen hatte sein Vater schon recht. Er wollte auch nicht arrogant erscheinen. Dennoch ... »Es ist aber so, dass sich niemand für das interessiert, was wir erlebt haben, obwohl es die Zukunft der gesamten Menschheit betrifft. Schon in wenigen tausend Jahren ...«
Sein Vater lachte laut auf. »Da! Genau das habe ich gemeint. Du redest über Zeiträume von tausend Jahren, während viele Menschen auf der Erde noch nicht einmal eine Ahnung haben, wie sie die Rechnungen am Ende des Monats bezahlen sollen.« Er lachte wieder. »Du solltest dich wirklich einmal reden hören.«
David schwieg. Zuerst waren seine Eltern so glücklich gewesen, dass er noch lebte, aber schon nach kurzer Zeit hatten die üblichen Konflikte wieder eingesetzt. Vielleicht waren die beiden aber auch einfach nicht die Richtigen, um sich über diese Themen zu unterhalten. Und er wusste auch, dass er besser nicht so lange in Athens bleiben sollte. Aber wohin sollte er dann? Mit wem konnte er sich über seine Erlebnisse und Gedanken unterhalten? Eigentlich gab es doch nur seine Kameraden von der Helios. Doch die waren nach Ende des Ausschusses alle in ihre Heimat zurückgekehrt. Irgendetwas musste er machen. Aber was? Da fiel ihm aus dem Augenwinkel heraus auf, dass seine Mutter ihn schon wieder so komisch anschaute.
»Mom! Was ist los?«, fragte er und rückte auf dem Sofa nach vorne. »Na, komm schon. Warum schaust du mich so an?«
»Lass deine Mutter in Ruhe!«, sagte sein Vater mit ungewohnter Schärfe in der Stimme.
David wandte den Kopf, aber seine Mutter hob beschwichtigend die Hände, und sein Vater verstummte.
»Du warst tot«, sagte seine Mutter. »Alle haben gesagt, du wärst tot. Und wir haben es geglaubt. Wochenlang habe ich gedacht, mein einziger Sohn wäre tot.«
David war tief betroffen, als seine Mutter leise schluchzte und zu zittern begann. Es war naheliegend, dass seine Eltern eine schwere Zeit durchgemacht haben mussten, aber offensichtlich war es schlimmer gewesen, als er gedacht hatte.
»Niemand kann ermessen, was es bedeutet, das einzige Kind zu verlieren. Niemand, der es nicht selber erlebt hat, kann diesen Schmerz nachfühlen. Ich habe ...«
»Ellie ...«, sagte Davids Vater sanft, ging um den Tisch herum und legte seine Hand zärtlich auf die Schulter seiner Frau. »Du musst nicht ...«
Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Er soll es wissen. Es ist mir nicht peinlich.«
David biss sich auf die Lippen. Was würde jetzt kommen?
Seine Mutter hob den Kopf und betrachtete ihn aus glasigen Augen. »Ich habe Tabletten genommen. Schlaftabletten meine ich. Ich habe die ganze Dose geschluckt.«
»Mom!«, sagte David schockiert. »Du wolltest doch nicht etwa ... nicht etwa ...« Ihm versagte die Stimme.
Seine Mutter nickte langsam. »Mich umbringen. Doch, das wollte ich.«
David verstand es nicht. Er hatte es nie verstanden, wie man bereit sein konnte, sich selbst zu töten, egal, wie groß der Schmerz war. »Aber warum?«, fragte er mit etwas zu schriller Stimme.
Seine Mutter wurde plötzlich ganz ruhig. »Weil mir eine Welt ohne dich nicht mehr als lebenswerter Ort erschien.«
»Und jetzt vergleiche das mal mit dem, was du eben gesagt hast«, sagte sein Vater sanft, während er die Schultern seiner Frau massierte. »Es mag sein, dass dir das Universum, Wurmlöcher und Sphären am Himmel wichtig sind. Aber das Wichtigste im Leben und das Erste, um das man sich sorgen sollte, sind die Menschen, die uns nahe sind. Alles andere kommt erst dahinter. Weit dahinter.«
David griff nach dem Sektglas und leerte es mit einem Schluck.
»Woher wusstest du es?«
Ed wandte sich zu Helen um. »Was meinst du?«
»Dass ich dich noch in den Arm nehmen würde, nachdem du so überraschend von den Toten auferstanden bist.«
Er setzte sich aufrecht auf die Bank und nahm ihre Hand. Er blickte ihr kurz in die Augen, betrachtete dann aber wieder den Sonnenuntergang über dem Golf von Mexiko. Er hatte nicht geahnt, wie sehr er diesen Anblick in den letzten Monaten vermisst hatte, während er in der Unendlichkeit unterwegs gewesen war.
»Ich wusste es nicht«, flüsterte er schließlich. »Es war nur ein Gefühl.«
»Ein Gefühl?«, fragte Helen. »Der letzte Stand vor deinem Start mit der Helios war der, dass die Scheidung durch war und ich einen anderen Geliebten hatte. Was wäre, wenn du mich noch mit Herbert zusammen angetroffen hättest?«
Ed zuckte mit den Schultern. Darüber hatte er gar nicht nachgedacht. Jetzt, im Nachhinein, konnte er nicht mehr sagen, warum er sich so sicher gewesen war, dass Helen nach seiner Rückkehr doch auf ihn warten würde. War es eine Eingebung durch die außerirdischen Intelligenzen gewesen? Wohl kaum! Eher eine durch Wunschdenken und Zufall hervorgerufene Wendung der Dinge. Na ja, was nutzte es, sich darüber jetzt noch den Kopf zu zerbrechen. Er hatte auch keine Lust mehr. Er war wieder bei Helen und nur das zählte.
»Wie war es da oben? So weit weg von zu Hause. In einem anderen Universum.«
»Du hast mich das jetzt schon so oft gefragt«, sagte er.
»Und du hast mir nie eine vernünftige Antwort darauf gegeben.«
Nach dem katastrophalen Abschluss der Untersuchung wollte er auch nicht mehr darüber nachdenken. Wenn die Menschheit sich einen Dreck um ihre Position im Universum scherte, dann bitte sehr. Sollte sie doch untergehen!
»Ed?«
Er seufzte. Er würde wohl nicht drumherum kommen. »Es war so etwas ganz anderes als nur in der Raumstation im Orbit. Als wir die Erdumlaufbahn verlassen haben und Erde und Mond hinter uns zurückfielen, war es wie ein Eintauchen in die Unendlichkeit. Wenn du aus jedem Fenster - oben, unten, links, rechts, vorne, hinten - nur die Sterne vor Augen hast, dann fühlst du dich einsam und unwichtig. Wenn du die Erde nicht mehr siehst, dann ist es fast so, als existiere sie gar nicht. Man muss sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass es irgendwo einen Planeten gibt, eine Heimat, zu der man zurückkehren kann.« Er lachte laut auf. »Und das war nur die Reise zum Rand des Sonnensystems. Als wir plötzlich in einer anderen Galaxis, in einer fernen Zukunft, wieder zu uns kamen, dachten wir, wir seien die letzten Menschen des Universums. Wenn man zu viel darüber nachdenk, wird man fast wahnsinnig. Und dann fliegt man auf einmal noch weiter weg und landet in einem fremden Universum. Wir waren felsenfest davon überzeugt, nie wieder nach Hause zurückkehren zu können.«
Er schüttelte den Kopf. »Seltsam – jetzt sitze ich wieder hier bei dir in Galveston und schaue mir den Sonnenuntergang über dem Meer an.«
»Wie wird es weitergehen?«, fragte Helen.
Er zuckte mit den Schultern. »Das weiß nur Gott allein.«
»Wenigstens ist der Ausschuss vorbei, ohne dass sie dich angeklagt haben.«
Das sah er genauso und nickte. Nun würde er endlich abschalten können. Er wollte auch nicht mehr darüber nachdenken. Nicht mehr über die Helios, das Wurmloch, das andere Universum. Die Menschheit wusste Bescheid und jetzt sollten andere Arschlöcher entscheiden, was sie damit anfangen wollten.
»Was wirst du nun tun?«
Das war die große Frage. Die NASA und Centauri gab es nicht mehr, und für das bemannte Programm der SpaceForce war er zu alt. Als Astronaut sowieso, und auch als Manager. Trotz des ausgesprochen feindseligen Aufeinandertreffens beim Untersuchungsausschuss hatte General Hutton ihm einen Beraterposten im Pentagon angeboten, aber Ed hatte abgelehnt. Er hasste Washington.
Stattdessen wurde es langsam Zeit, es ruhiger angehen zu lassen. Er war alt genug für eine vernünftige Pension, und außerdem hatte er es Helen versprochen. Natürlich wusste er auch, dass es eine harte Zeit für ihn als Workaholic werden würde, wenn er nun auf Entzug ging. Vielleicht konnten sie die eine oder andere Reise machen. Das würde Helen freuen und ihn würde es auf andere Gedanken bringen.
Er legte die Hand um Helen und küsste sie zärtlich auf die Wange, bevor er in ihr Ohr flüsterte. »Ich weiß ganz genau, was ich nun machen werde.«
Sie wandte den Kopf und blickte ihn - nicht ohne eine Spur von Misstrauen - an. »Nämlich?«
»Nichts.«
Es war schon spät, als es an der Tür klingelte. David schaute aus dem Fenster seines Kinderzimmers. Er musste die Schreibtischlampe ausschalten, um in der Dunkelheit etwas erkennen zu können. Vor der Auffahrt stand ein schwarzer SUV mit laufendem Motor. Die hintere Tür und der Kofferraum waren geöffnet. Wahrscheinlich ein Paketdienst. Seine Eltern waren beide da und konnten die Lieferung entgegennehmen.
Er setzte sich wieder hin und wühlte in den Papieren, die er eben ausgedruckt hatte. Mit einem Rotstift redigierte er einen Artikel über die Struktur des Universums, den er an eine wissenschaftliche Fachzeitschrift schicken wollte.
Dann vernahm David Stimmen aus dem Flur und kurz darauf das charakteristische Knarzen der siebten Stufe im Treppenhaus.
Es klopfte und er hörte die Stimme seiner Mutter. »David, hier sind Männer, die mit dir sprechen wollen.«
David drehte sich auf dem Bürostuhl herum, als die Tür aufgestoßen wurde. Ein stämmiger Afroamerikaner mit Schnauzbart in dunklem Anzug und schwarzem Mantel sah ihn durchdringend an. »Mr. Holmes, ich muss Sie auffordern, uns zu begleiten.«
Hinter dem Mann, direkt neben Davids Mutter, deren Augen erschrocken geweitet waren, stand noch ein weiterer Schatten.
»Wer sind Sie und wo wollen Sie mit mir hin?«, fragte David. Wenn das schon wieder CIA-Agenten waren, die ihn verhören wollten, wie vor einigen Tagen, dann konnten sie wenigstens den Anstand haben, sich vorher telefonisch anzumelden. Aber für Agents galten offenbar andere Regeln als für normale Bürger.
»Secret Service«, sagte der Mann drängend und hielt einen Ausweis mit einer goldenen Marke hoch. »Ich habe den Auftrag, Sie zum Präsidenten zu begleiten.«
Seine Mutter stieß einen unterdrückten Schrei aus.
»Zu welchem Präsidenten?«, fragte David und kam sich sogleich ziemlich dämlich vor.
»Zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika«, sagte der Mann in der Tür. »Kommen Sie bitte mit. Ich fahre Sie zu einem Flugplatz in der Nähe, wo eine Maschine darauf wartet, Sie nach Washington zu bringen. Sie haben fünf Minuten, um Ihre Habseligkeiten zusammenzusuchen.« Dann verließ der Agent das Zimmer.
David seufzte. Sich zu weigern, machte keinen Sinn, und im Grunde genommen war er schon neugierig auf den Präsidenten. Vielleicht ließen sich im direkten Gespräch doch noch einige Dinge in Gang bringen.
Er holte einen kleinen Koffer unter dem Bett hervor. Wahllos nahm er einige Sätze Klamotten aus dem Schrank und zog sich den blauen Anzug an, den seine Mutter am Tag zuvor noch aus der Reinigung mitgebracht hatte. Er schloss den Koffer und reichte ihn dem Agenten im Flur. Der gab ihn an einen Kollegen weiter, der sofort damit verschwand. David ging noch mal ins Zimmer zurück, holte einen Rucksack aus einer Ecke und schob seinen Laptop sowie einige der Papiere von seinem Schreibtisch hinein. Dann verließ er nach einer kurzen Verabschiedung von seinen entgeisterten Eltern zusammen mit dem Agent das Haus und stieg in den wartenden Cadillac.
Nach zehn Minuten Fahrt hatten sie den Ben Epps Airport am Westrand der Stadt erreicht. Eine schwarze Businessmaschine stand für ihn und den Agent bereit. Er bekam einen Platz in der sehr spartanisch ausgestatteten Maschine zugewiesen, und er hatte den Gurt noch nicht geschlossen, da rollte das Flugzeug schon zur Startbahn.
Der Flug dauerte zwei Stunden. Am Ziel angekommen, mussten sie zunächst noch einige Runden über Washington drehen, bis sie Landeerlaubnis bekamen, und David hatte von seinem Fensterplatz aus einen guten Blick auf die Lichter der Stadt. Problemlos erkannte er die Mall, das Kapitol, das Washington Monument und das Weiße Haus, bevor das Flugzeug auf dem Ronald Reagan National Airport aufsetzte.
Eine schwarze Limousine stand dort schon für sie bereit und brachte sie mit eingeschaltetem Blaulicht in zehn Minuten über den Potomac direkt zum West Wing des Weißen Hauses.
Am Eingang übergab der Agent seinem Wache stehenden Kollegen einen Ausweis. Der schob ihn durch ein Magnetlesegerät und reichte David dann einen blauen Besucherausweis, den er sich an die Brusttasche heften musste.
David war noch nie im Weißen Haus gewesen und fand es sehr aufregend. Es überraschte ihn, wie geschäftig es selbst zu dieser fortgeschrittenen Uhrzeit noch zuging. Männer in blauen Hemden und Frauen in eleganten, aber geschäftsmäßigen Kostümen eilten durch die Gänge und verschwanden in Büros oder Korridoren.
Der Agent brachte ihn zu einem schmalen Aufzug und drückte den Knopf für den ersten Stock.
»Bringen Sie mich jetzt direkt zum Präsidenten?«
Der Agent schüttelte den Kopf. »Wir sind noch etwas früh dran. Ich bringe Sie in eine Lobby. Ihre Astronautenkollegen warten dort auf Sie.«
»Woher wissen Sie, dass sie schon da sind?«
Der Agent lächelte und tippte sich gegen den Knopf im Ohr, dessen Kabel im Kragen verschwand.
Der Aufzug stoppte.
David folgte seinem Begleiter in eine kleine Lobby, deren Wände mit edlen Gemälden alter Segelschiffe in goldenen Rahmen verziert waren. Auf altertümlich, aber bequem aussehenden gepolsterten Sesseln saßen Ed, Wendy und Grace.
Der Agent verschwand nach einem kurzen Nicken und David setzte sich auf den freien Stuhl zwischen Ed und Grace.
Ed hatte schon einmal in diesem Raum gesessen und auf einen Präsidenten gewartet. Es war nach seinem ersten Flug als Pilot mit dem Shuttle gewesen. Seine fünfköpfige Crew war nach der extrem komplizierten Reparatur eines Spionagesatelliten, dessen Auflösungsvermögen das des Hubble-Weltraumteleskops bei Weitem übertraf, für ihre Arbeit ausgezeichnet worden. Die genauen Spezifikationen der Mission waren damals geheim gewesen. Ja, sie waren sogar so geheim gewesen, dass er den Orden, der ihm vom Präsidenten verliehen worden war, nicht mit nach Hause nehmen durfte. Der lag jetzt irgendwo in einer Schublade im Pentagon und wartete auf die Deklassifizierung der Mission, was frühestens in vierzig Jahren geschehen würde. Vielleicht würde das Stück Metall irgendwann an seine Enkel überreicht werden, nur um dann wieder in irgendeiner Schublade zu enden. Sollten sie es doch gleich in den Potomac werfen! Jedenfalls bezweifelte Ed, dass Präsident White sie für die Verleihung eines Ordens nach Washington zitiert hatte.
»Hat einer von euch eine Idee?«, fragte er, obwohl er die Antwort schon ahnte.
»Nein«, sagte Grace. Wendy und David blieben stumm.
»Wenigstens ist es nicht Präsident Ballentine«, sagte Wendy schließlich.
»Es hätte mich auch gewundert, wenn der wiedergewählt worden wäre«, sagte Ed. »Nachdem er die Nerven verloren und auf den roten Knopf gedrückt hat.«
»Ich wette, der sitzt schon an seinen Memoiren und versucht verzweifelt, seine Fehlentscheidung zu rechtfertigen«, vermutete Grace.
»Oder er spielt es runter«, meinte Wendy. »Nach dem Motto: Ist ja nix passiert und sie wissen jetzt immerhin, dass wir es ernst meinen.«
»Jedenfalls soll White etwas vernünftiger sein«, sagte David.
Ed war sich da nicht so sicher. Von einem alten Kameraden von der Air Force hatte er da einige Geschichten gehört. White war vor seiner Politikerkarriere Geschwaderkommodore bei der Navy gewesen und hatte wohl einige Angriffsbefehle gegeben, die nicht nur extrem unverhältnismäßig waren, sondern seine Kompetenzen bei Weitem überschritten. Bei einem dieser Luftangriffe gegen eine Studentendemo im Niger waren mehrere hundert junge Menschen ums Leben gekommen. Nach einigen dieser Fehlentscheidungen war der weitere Aufstieg von White in die höheren Befehlsränge der Streitkräfte hinfällig geworden, was den ambitionierten Mann überhaupt erst in die Politik getrieben hatte. Ed war unwohl, dass dieser Mensch jetzt Oberbefehlshaber über die Streitkräfte war.
»Was habt ihr in der Zwischenzeit gemacht?«, fragte Grace. »David?«
Der zuckte mit den Schultern. »Ich bin zu meinen Eltern gezogen und habe versucht, etwas Wissenschaft zu betreiben.«
»Noch keine Stelle an einer Uni gefunden?«, erkundigte sich Wendy.
»Habe mich noch nirgendwo beworben.«
»Was sagen deine Eltern?«, fragte Grace.
»Ist schwierig geworden. Die halten mich für abgehoben und gehen sogar ein wenig auf Distanz. Wenn ich ihnen von dem neuen Universum und der Sphäre erzähle, hören sie noch nicht mal zu. Ich glaube, sie wollen gar nichts darüber wissen.«
»Ist bei Gerry genauso«, sagte Wendy. Es gelang ihr nicht, die Traurigkeit in ihrer Stimme zu verbergen. »Zunächst sind wir uns gegenseitig um den Hals gefallen und haben jede Minute miteinander verbracht. Jetzt redet er immer häufiger von Scheidung.«
»Was?«, fragte Ed schockiert. »Du und Gerry? Scheidung?«
Sie betrachtete Ed aus ihren großen grünen Augen. »Wir haben uns wohl auseinandergelebt. Sagt er.«
Ihre Lippen zitterten, als würde sie gleich anfangen, zu weinen. Ed fragte sich, ob er seine Hand auf ihre Schulter legen sollte. Doch dann verhärteten sich ihre Züge und ihr Blick wurde kühl. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. »Aber es ist wohl kein Wunder, nach dem, was wir erlebt haben. Wir haben uns so weit von allen anderen Menschen entfernt, dass für uns wahrscheinlich kein normales Leben mehr möglich sein wird.«
Ed nickte. Bei ihm und Helen lief es auch nicht glatt. Nachdem die erste Wiedersehensfreude verflogen war, kühlte sich ihre Beziehung nun von Tag zu Tag ab. Er war nicht in der Lage, die Erlebnisse der letzten Monate loszulassen, und sie merkte das sehr wohl. Es war ihm vollkommen klar, dass eine erneute Trennung nur eine Frage der Zeit war.
Er vernahm ein Räuspern und blickte auf. Eine große blonde Frau in einem adretten Kleid stand im Durchgang und lächelte kühl. Sie mochte um die sechzig sein. »Präsident White erwartet Sie nun im Oval Office. Bitte folgen Sie mir.« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich herum und verschwand in dem Durchgang.
Ed tauschte mit David einen kurzen Blick, seufzte und stand auf. Er strich sich über das schwarze Jackett und schloss es am obersten Knopf. »Na, dann ...«, sagte er und machte sich auf den Weg. Seine Kameraden folgten ihm.
Er eilte hinter der Frau her. Sie führte die Gruppe mehrere Korridore entlang, bevor sie schließlich durch eine offene Tür trat.
Es schien ein Vorraum zu sein. So achtlos, wie die Frau eine Magnetkarte auf den Schreibtisch warf, der diagonal vor einer Ecke des Raumes stand, musste es ihr eigenes Reich sein: das Vorzimmer des Präsidenten.
Die Frau marschierte an dem Schreibtisch vorbei und trat vor eine massive, dunkle Holztür. Sie klopfte, wartete aber nicht ab, sondern öffnete sogleich.
»Sir, die Astronauten«, sagte sie laut, ging dann beiseite und ließ Ed ins Zimmer.
Ed trat in den Raum, den er aus den Nachrichten und den Bildern in der Zeitung sofort als das Oval Office erkannte. Der massive Schreibtisch vor den hohen Fenstern mit den golden glitzernden Vorhängen, die ein ehemaliger Präsident dagelassen hatte, die Sitzgruppe in der Mitte des Raumes mit den zwei Couchen und den Sesseln, die um einen kleinen Holztisch herumstanden. Rechts von ihm gab es noch zwei Türen. Die erste war geschlossen, die hintere nur angelehnt. Es wusste, dass sie über einen kleinen Korridor zu einem Studierzimmer und zum Speiseraum des Präsidenten führte. Allzu oft würde sicher auch Präsident White nicht in der Kantine für die Angestellten des Weißen Hauses speisen.
Der Präsident nickte, während er einige Papiere auf seinem Schreibtisch sortierte. Schließlich hob er den Blick und stand auf. »Danke, Lucy.«
Während die Sekretärin die Tür zum Vorraum hinter sich schloss, kam Präsident White langsam um seinen Schreibtisch herum auf sie zu. Das Staatsoberhaupt wirkte deutlich kleiner als im Fernsehen. Und sicher einen ganzen Kopf kleiner als Ed. Sein blauer Anzug war makellos sauber und schimmerte leicht in der künstlichen Neonbeleuchtung des Raumes. Die rote Krawatte war so glatt, als habe er sie heute zum ersten Mal umgebunden. Seine grauen Haare waren nach hinten gekämmt, was seine ohnehin prägnanten Geheimratsecken noch betonte. Er verzog den Mund zu einem fürchterlich künstlichen Lächeln, die Zähne so weiß, dass diese auch nur künstlich sein konnten. Noch einige Meter entfernt, streckte er schon theatralisch die Hände aus.
»Colonel Walker, es ist so schön, dass wir uns endlich einmal kennenlernen. Ich habe schon so viel über Sie gehört.«
Ich auch über dich!
Der Präsident ergriff Eds Hand und schüttelte sie überschwänglich, bevor er die Geste mit den anderen Astronauten wiederholte.
White trat zur Seite und streckte seinen Arm der Sitzgruppe entgegen. »Nehmen Sie doch bitte Platz. Möchten Sie einen Kaffee oder einen Tee?«
Niemand antwortete ihm. Ed nahm neben Grace auf der rechten Couch Platz; David und Wendy auf der linken. Präsident White selbst setzte sich auf einen Sessel am Kopfende des Tisches.
»Warum haben Sie uns so plötzlich hierherbringen lassen?«, fragte Grace wenig diplomatisch.
Der Präsident blickte sie grinsend an, als habe sie einen netten, aber alten Witz erzählt. »Ich wollte mich mit Ihnen unter vier ...« Er lachte wiehernd. »Nein, zehn Augen unterhalten. Über Ihre Erfahrungen auf Ihrer bemerkenswerten Reise. Und ich wollte auch Ihren Rat einholen.«
Ed nickte. Wenn der Präsident an ihrem Rat interessiert war, dann war vielleicht nicht alles verloren. Vielleicht konnten sie die Dinge doch noch zum Besseren wenden.
»Sir!«, begann Ed. »Ich freue mich, dass Sie uns die Gelegenheit geben, uns zu äußern. Die Beschlüsse der Untersuchungskommission waren ja immerhin sehr einseitig und in ihrer Weitsicht begrenzt.«
Der Präsident nickte. »Das sehe ich auch so. Etwas anderes war aber auch nie beabsichtigt.«
Beabsichtigt? Ed war irritiert. »Was meinen Sie damit, Sir?«
Der Präsident zuckte mit den Schultern. »Die präsidiale Untersuchungskommission war eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit. Nichts anderes. Sie sollte die Konsequenzen der Krise herunterspielen.« Er lachte wieder. »Und es hat ja auch hervorragend funktioniert, nicht wahr?
---ENDE DER LESEPROBE---