Paradox - Phillip P. Peterson - E-Book

Paradox E-Book

Phillip P. Peterson

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Beschreibung

EINE REISE ZU DEN STERNEN - ERFÜLLUNG EINES MENSCHHEITSTRAUMS ODER ALBTRAUM DER MENSCHHEIT? - Ed Walkers letzte Mission endete beinahe in einer Katastrophe. Zwar konnten er und seine Crew sich retten, doch nun fürchtet er, als der Astronaut in die Geschichte einzugehen, unter dessen Kommando die Internationale Raumstation ISS zerstört wurde. Daher kann er sein Glück kaum fassen, als er die erste bemannte Weltraummission an den Rand des Sonnensystems anführen soll. Mit an Bord ist auch der junge Wissenschaftler David Holmes, der das mysteriöse Verschwinden dreier Raumsonden untersucht. Doch als das Raumschiff den interstellaren Raum erreicht, lautet die wichtigste Frage der Menschheit nicht mehr: Sind wir allein im Universum? Sondern: Sind wir bereit für die Wahrheit?

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69 Epilog

1

 

»Ich darf Sie nicht auf das Gelände lassen, Mr. Holmes!«

Der Wachmann hieß Jeff, wie eine aufgenähte Plakette an der Brust seiner Uniform aufklärte. Er hielt Davids Berechtigungskarte in der einen, den Strichcodescanner in der anderen Hand und starrte durch das Fenster ins Innere des Wagens.

David schüttelte ungläubig den Kopf.

»Das kann nicht sein. Das ist sicher ein Fehler. Gestern haben Sie mich doch auch reingelassen. Probieren Sie es noch einmal«, bat er.

»Zeitverschwendung«, brummte Jeff. »Nach meinem Monitor wurde Ihre Zutrittsberechtigung zurückgezogen. Sie sollen sich bei Mr. Vasquez von der Sicherheit melden.«

David blickte auf seine Uhr.

Noch eine Stunde! Verdammt!

»Hören Sie, ich muss dringend rein. Ich habe ein Tracking, das ich nicht verpassen darf.«

»Wo wollen Sie überhaupt hin?«, fragte Jeff.

»Gebäude 230«, antwortete David.

Der Wachmann lachte.

»In das SFOF kommen Sie ohne gültige Zugangsberechtigung nicht rein. Reden Sie bitte mit Mister Vasquez!«

»Ich habe dafür aber keine Zeit!«

»Mister Holmes.« Jeffs Stimme wurde lauter. »Ich lasse Sie nicht auf das Gelände. Wenden Sie bitte und parken Sie am Besucherparkplatz. Dann gehen Sie zum Sicherheitsbüro.«

»Aber …«

»Ich werde mich auf keine Diskussion einlassen. Und jetzt machen Sie schon. Sie blockieren den ganzen Verkehr!«

David blickte in den Rückspiegel seines alten Kleinwagens. Die Schlange hinter ihm reichte bereits bis um die letzte Kurve. Es hatte keinen Sinn.

Er wendete vor der Schranke und fuhr am Kreisverkehr zu den Besucherparkplätzen. Dort stieg er aus und hastete zum Eingang des Sicherheitsgebäudes, das man an der Zufahrt des Geländes platziert hatte. Ein fürchterliches Gedränge herrschte vor der Pforte. Für einen Tagesausweis erduldeten viele Lieferanten und Besucher die bürokratischen Hürden.

David arbeitete gerne im JPL. Er mochte die intellektuelle Atmosphäre auf dem Campus, der entgegen der landläufigen Meinung nicht der NASA, sondern dem Caltech gehörte. Seit gut einem Jahr forschte er hier für seine Doktorarbeit über das interstellare Medium, also den Raum zwischen den Sternen. Aber das Drama, das mittlerweile um die Zugangsberechtigungen gemacht wurde, zusammen mit den überzogenen Sicherheitsbestimmungen auf dem Gelände, kotzte ihn an. Er ahnte bereits, warum man seine Zutrittsgenehmigung zurückgenommen hatte. Es musste mit diesem verfluchten Formular zu tun haben.

Ausgerechnet heute!

David ging zur Tür, die in den hinteren Bereich des Gebäudes mit den Büros führte, aber sie war verschlossen.

»Wo wollen Sie hin?«

Er drehte sich zum Schalter herum. Der uniformierte, kahlköpfige Sicherheitsbeamte starrte ihn grimmig an. Vor dem Schalter stand ein Mann in einer Monteurskluft, der seinen Tagesausweis bereits in der Hand hielt und David ebenfalls mit offenem Mund ansah.

»Ich soll zu Mr. Vasquez«, sagte David.

»Kommen Sie mal her!«

David ging zu dem Schalter hinüber und reichte dem Mann seine Zugangskarte. »Nick«, wie das Namensschild auf dem Anzug verriet, führte sie in ein Lesegerät und griff nach dem Telefon.

»Mr. Vasquez? Ja, Pforte hier. Mr. David Holmes für Sie.« Der Wachmann wartete die Antwort ab, legte den Hörer auf und nickte. »Sie können rein. Gehen Sie den Flur runter bis zur letzten Tür auf der linken Seite. Dort nehmen Sie auf einem der Stühle Platz, bis man Sie ruft. Mr. Vasquez ist in einer Besprechung. Ich öffne die Tür für Sie.«

David nickte ebenfalls und ging zur Glastür hinüber. Ein metallisches Summen ertönte, als sich der Schließmechanismus öffnete. Er riss die Tür auf und schritt den dunklen Korridor hinunter. Durch die Bürotür von Mr. Vasquez vernahm er Stimmen. Er wollte klopfen, zögerte aber. Schließlich setzte er sich auf einen der unbequem aussehenden Stühle an der Wand des Korridors.

Der kühle Flur bildete einen deutlichen Kontrast zu den anderen Gebäuden auf dem Gelände. In den übrigen Bereichen des JPL herrschte eine lockere Atmosphäre. Die meisten Kollegen ließen ihre Bürotüren offen, was die Flure wie Seitenstrahler erhellte, und Poster von alten Raumsonden und entdeckten Monden weit draußen im Sonnensystem machten die Wände der Korridore zu unterhaltsamen Flächen. Wissenschaftler und Ingenieure standen mit Kaffeetassen in der Hand herum. Sie diskutierten, schwatzten und lachten. Aber nicht hier. Nicht hier, wo David jetzt saß. In diesem Gang mit seinen geschlossenen Türen war es düster. Die Wände waren kahl, die Atmosphäre beklemmend.

Die Sicherheitsabteilung war alles andere als beliebt und die Kollegen hassten es, jährlich zur Erneuerung der Zutrittsberechtigung hierherzukommen. Wie David gehört hatte, war die Stimmung früher lockerer gewesen. Aber was nach den Anschlägen vom 11. September 2001 seinen Anfang genommen hatte, wurde nach den Terrorattacken vom 19. Januar 2019 kaum besser. Es war nicht nur am JPL so. Überall im Land herrschte eine Atmosphäre der Furcht – vor neuen Terrorangriffen und davor, zu Unrecht antiamerikanischer Aktivitäten verdächtigt zu werden. Stand man erst mal auf der sogenannten Goldstone-Liste, war es vorbei. Kein Flugzeug, Zug oder Bus nahm einen mehr mit. Kein Arbeitgeber beschäftigte einen Gebrandmarkten und man war vom gesellschaftlichen Leben so ausgeschlossen, dass man sich wie in einer urbanen Sahara fühlte. Keiner konnte sagen, wie viele Tausend Amerikaner zu Hause hockten und sich fragten, was zum Teufel schiefgelaufen war.

David sah auf die Armbanduhr. Noch eine Dreiviertelstunde.

Verdammt! Ausgerechnet heute.

Sadistisch lange Minuten vergingen, bis die Tür aufgestoßen wurde. Eine hochgewachsene Frau blickte David mürrisch an und ging mit einem Stapel Akten unter dem Arm eilig den Korridor herunter. Kurz darauf vernahm David aus dem Raum eine formelle Stimme. Sie strotzte vor geschäftsmäßiger Herablassung.

»Mr. Holmes. Kommen Sie rein. Schließen Sie bitte die Tür hinter sich.«

David stand auf und trat in das große Büro. Es war sehr spartanisch eingerichtet. Persönliche Gegenstände gab es nirgends. Keine Blumen, keine Fotos und keine von Kindern gekritzelten Bilder, die einen Arbeitsplatz wohnlich machten. Immerhin war der Raum hell. Eine Fensterfront gewährte Ausblick auf die weiße Hinterseite des großen Windkanals. Vor dem Fenster saß Mr. Vasquez hinter einem wuchtigen Schreibtisch aus grauem Kunststoff.

Jose Vasquez, wie das Namenschild auf dem Tisch informierte. Der Mann war bullig und hatte kurz geschorene Haare. Weder sein blau schimmerndes Seidenhemd noch die randlose Brille passten zu seiner Figur. David vermutete, dass der Mann nur noch ein paar Jährchen bis zur Rente hatte.

»Setzen Sie sich.«

David tat es.

Noch während er auf dem knarzenden Leder eine reputable Position suchte, tippte Vasquez umständlich mit beiden Zeigefingern etwas in die Tastatur seines Computers. Mit gerunzelter Stirn studierte er den Bildschirm. Dabei griff er immer wieder in eine Schüssel mit pillenähnlichen Süßigkeiten und stopfte sie sich in den Mund, wo er das schwarze Zeug lautstark zerkaute.

»Sie arbeiten jetzt seit zwölf Monaten auf dem Campus des JPL und haben das Formular zur Zustimmung der FIP-Standards noch nicht unterschrieben. Und das, obwohl Sie mehrfach dazu aufgefordert wurden. Ihre vorübergehende Zugangsberechtigung ist somit abgelaufen.«

Verdammt!

Er hatte es geahnt. Bei seiner Aufnahme hatte David das Formular absichtlich nicht unterschrieben, denn damit gab er freiwillig seine Privatsphäre auf. Er hatte gehofft, es einfach aussitzen zu können, doch offenbar ließ man hier kein Korn unzermahlen durch die Mühlräder.

»Eigentlich hatte ich nicht vor, meine Zustimmung zu geben«, sagte er zögernd.

Jetzt musterte Vasquez ihn aus zusammengekniffenen Augen. Sein Grinsen verhieß nichts Gutes und hatte etwas von einem Haifisch.

»Darf ich Sie fragen, welches Problem Sie mit dem FIPS 201 haben?«

»Sir, wenn ich das Formular unterzeichne, lege ich Ihnen mein komplettes Privatleben offen. Sie dürfen meine privaten E-Mails abfragen, meinen Internetverkehr kontrollieren, meine Post und meine Telefonanrufe. Üblicherweise quetschen Ihre Ermittler sogar die Nachbarn auf der Suche nach Informationen aus.«

»Wo liegt Ihr Problem? Sind Sie etwa einer dieser Datenschützer, die was dagegen haben, unser Land sicherer zu machen? Oder haben Sie etwas zu verbergen?«

»Ich tue nichts Kriminelles! Es geht aber niemanden etwas an, was ich meinen Eltern und Freunden in meinen E-Mails schreibe!«

»Sie wissen schon, dass wir jegliche Kommunikation vertraulich behandeln?«, forschte Vasquez nach.

»Darum geht es nicht. Sie haben einfach nicht das Recht, in meinem Privatleben herumzuschnüffeln.«

Vasquez lachte laut auf. »Oh, doch. Das Recht habe ich. Die Homeland Security Presidential Directive verleiht mir sogar weit mehr Rechte. Allerdings würde ich es nicht herumschnüffeln nennen.«

»Nicht alles, was recht ist, ist auch richtig«, beharrte David.

»Das haben Sie nicht zu beurteilen. Wenn Sie im JPL arbeiten wollen, dann haben Sie den Regelungen zuzustimmen.«

Vasquez nahm ein Blatt Papier aus einer Schublade und legte es vor David auf den Schreibtisch. »Unterschreiben Sie!«

»Und wenn ich mich weigere?«

»Das Recht steht Ihnen selbstverständlich zu«, meinte Vasquez seelenruhig und lehnte sich quietschend in dem schwarzen Ledersessel zurück. »Allerdings werde ich die Zugangsberechtigung dann hier und jetzt entziehen. Ohne Karte werden Sie behandelt, als hätten Sie freiwillig gekündigt. Weiterhin bin ich verpflichtet, den Kollegen von der Homeland Security Ihre Weigerung mitzuteilen. Damit gelten Sie als verdächtig und Ihr Privatleben wird gemäß anderer Direktiven noch gründlicher untersucht.«

Na toll. Dann lande ich auf der Goldstone-Liste und kann mich von meiner Wissenschaftlerkarriere endgültig verabschieden.

David schaute erneut auf die Uhr. Nur noch eine halbe Stunde.

Verdammt. Mir bleibt keine Zeit mehr.

Abwechselnd blickte er zu Mr. Vasquez und auf das Formular, das wie ein Restaurantteller mit vergiftetem Essen vor ihm auf dem Tisch lag.

»Hier. Sie können gerne meinen Kugelschreiber benutzen«, sagte Vasquez, wobei er sich nicht ernsthaft bemühte, sein süffisantes Grinsen zu verbergen.

Trotzig griff David in seine Jackentasche und fischte einen billigen Plastikstift heraus. Seine Hand hielt kurz über dem Blatt inne, dann unterschrieb er mit krakeliger Schrift. Selbst der beste Scanner würde seine Hieroglyphen nicht entschlüsseln. Außerdem setzte er seinen Namen ein gutes Stück über der Linie.

»Es freut mich, dass Sie doch noch vernünftig geworden sind. Betrachten Sie dies als verantwortungsvollen Schritt, denn wir alle müssen unseren Beitrag zu einem sicheren Leben in unserem Land leisten. Ich weiß, dass viele ihre E-Mails hüten möchten wie die Schriften im Vatikan, aber es ist zum Wohl unseres Landes«, sagte Vasquez und sein Blick verklärte sich in einem pathetischen Lächeln.

»Was ist mit den Hunderten Amerikanern, die unschuldig im Gefängnis sitzen?«

»Das ist bedauerlich, aber notwendig. Wenn dadurch ein weiterer Anschlag wie in Atlanta verhindert wird, ist es das wert. Meinen Sie etwa nicht, Mr. Holmes?«

David zuckte mit den Schultern und stand auf.

»Bin ich hier fertig?«, fragte er.

»Ja. Sie haben wieder Zugang zum Gelände. Ich wünsche Ihnen einen produktiven Tag.«

David erwiderte nichts. Er drehte sich herum und verließ das Büro. Er kochte vor Wut.

 

2

 

David überlegte kurz, in sein Büro zu fahren, um Unterlagen zu holen. Aber nach einem Blick auf die Uhr verwarf er diesen Gedanken und fuhr ohne Umwege zum Gebäude 230, besser bekannt als Space Flight Operations Facility. Vom SFOF wurden alle interplanetaren Sonden der NASA kontrolliert und von hier aus würde er gleich Kontakt zu seiner Sonde herstellen. Die Voyager 2 gehörte zwar nicht wirklich ihm, doch er bezeichnete den Flugkörper gerne so. 15 Minuten noch. Heute würde sich zeigen, ob er mit seinem Verdacht richtiglag.

Er stellte sein Fahrzeug in einer Parkbucht ab, ohne auf die weißen Markierungen zu achten. Ebenso verzichtete David darauf, das Auto abzuschließen, und eilte mit weiten Schritten dem Haupteingang entgegen. Er riss die Tür auf, die er einer jungen Angestellten fast in das Gesicht geschlagen hätte. In Gedanken bereits viele Schritte weiter, ignorierte er die fluchende Frau und stürmte die Treppe in den ersten Stock hinauf. Vor einer verschlossenen Glastür blieb er stehen. Ein Schild deutete auf den Sicherheitsbereich hin. Er fischte in der Jackentasche nach seiner Zugangskarte und schob sie hastig durch das Lesegerät. Der Automat piepte lautstark und ein rotes Licht leuchtete auf.

Verdammt. Dieser Vasquez hat die Berechtigung noch nicht freigeschaltet!

Davids Hand zitterte.

Nur die Ruhe! Noch mal!

Er schob die Karte erneut durch das Lesegerät.

Diesmal leuchtete es grün und er hörte das Summen des Türöffners. Er atmete tief durch und öffnete die Tür, wobei er sich bemühte, ruhiger und gelassener zu wirken.

Nur Amateure verbreiten Hektik.

Betont langsam ging er den leicht gewundenen Gang hinunter. Die Deckenbeleuchtung strahlte ein freundliches Licht aus, das mit dem blauen Teppichboden, Milchglastüren und den Postern von historischen Raumfahrtmissionen eine professionelle, angenehme Atmosphäre schuf.

Er schritt an mehreren Glastüren vorbei und blickte in das Innere missionsspezifischer Kontrollräume. In einem davon herrschte besonders geschäftiges Treiben. Aus dem Augenwinkel erkannte er auf der Projektionsfläche an der Frontwand die schematische Darstellung eines Rovers neben einer Karte des Mars.

»Ach, David! Hallo!«

Ein junger Ingenieur in braunem Karohemd und Jeans lief ihm aus dem Kontrollraum hinterher.

»Hallo Jack, alles klar?« David verkniff die Lippen. Das passte ihm gar nicht. Er wollte so schnell wie möglich zu seinem Kontrollraum.

Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. In einer Hand hielt er einen Stapel Computerausdrucke. »Wir haben Ärger mit der Energieversorgung des Rovers. Wahrscheinlich hat ein Heizelement im Inneren der Batterie den Geist aufgegeben, so dass sie sich entlädt. Das Back-up funktioniert auch nicht. Jetzt versuchen wir verzweifelt, einen der Zulieferer zu erreichen.«

David blickte demonstrativ auf seine Uhr, aber Jack schien es nicht zu bemerken.

»Schlimmstenfalls entlädt sich die Batterie komplett und wir verlieren den Kontakt zu dem Roboter, bis es auf dem Mars wieder Tag wird und die Solarzellen wieder Energie liefern. Auf jeden Fall müssen wir unser wissenschaftliches Programm einstellen, bis wir das Problem gelöst haben. Die SAG wird begeistert sein.«

»Die was?«

»Die Scientific Advisory Group – das Wissenschaftlerteam. Habt ihr so was nicht?«

»Funktioniert bei uns etwas anders. Wir stellen einfach alle Daten online, die wir kriegen. Dann kann jeder sich bedienen.«

»Ja, das ist das Schöne daran, wenn das offizielle Wissenschaftsprogramm einer Mission seit Urzeiten abgeschlossen ist. Keiner geht einem mehr auf den Sack. Ein Wunder, dass euer Altertümchen überhaupt noch funktioniert. Wie läuft es bei euch?«

»Gut. Habe gleich eine mehrstündige Kommunikationsphase.«

»Mehrstündig? Bei eurem alten Kasten?«

»Ist ein Experiment. Ich muss jetzt wirklich los. Erzähl dir später davon.«

»Alles klar. Bin heute Abend im Barney’s! Susan und Carl kommen auch.«

David verzog unwillkürlich das Gesicht. Susan, die plapperte wie ein Wasserfall und pausenlos von ihren faszinierenden Mikroben redete.

»Ich weiß noch nicht. Ich schick dir ne Mail.«

»Nicht nötig, komm einfach vorbei!«

»Alles klar«, entgegnete David und eilte weiter den Gang hinunter. Er ärgerte sich über die vertane Zeit.

Vor dem Schild »Interstellar Heritage Mission OPS« blieb er stehen, nahm einen tiefen Atemzug und öffnete die Tür. Verglichen mit den anderen Kontrollräumen des SFOF war dieser Ort eher klein. Vier Konsolen standen gleichmäßig im Raum verteilt, wovon aber nur eine besetzt war. Auf einem kleinen Schild vor dem Pult standen drei Buchstaben: »ACE«.

David wusste, dass es sich dabei nicht um eine Abkürzung handelte. Der Name hatte sich eingebürgert, weil hier erfahrene Flugcontroller saßen, die schon mehrere Projekte geleitet hatten. In diesem Kontrollraum überwachte der ACE sogar zwei Missionen gleichzeitig: die interplanetaren Raumsonden Voyager 2 und New Horizons, die nach Abschluss ihrer Erkundung der äußeren Planeten nun das Sonnensystem verließen und in den interstellaren Raum vordrangen. Neben den inzwischen abgeschalteten Pioneersonden und der verlorenen Voyager 1 konnten nur diese beiden Flugkörper aufgrund ihrer Geschwindigkeit das Schwerefeld der Sonne überwinden. David musste immer wieder daran denken, dass diese fünf Sonden die einzigen Zeugnisse der Menschheit waren, wenn irgendeine kosmische Katastrophe das Sonnensystem vernichtete. Im kosmischen Schneckentempo würden sie noch in Millionen von Jahren durch die Galaxis kriechen, ehe eine ferne Sonne sie vielleicht wieder einfing. Möglicherweise würde eine außerirdische Zivilisation sie entdecken, wenn die Menschheit längst von der Bühne abgetreten war.

Er marschierte zum ACE hinüber, der zwar von ihm Notiz nahm, sich aber wieder in die Computerausdrucke vor ihm auf dem Tisch vertiefte.

David setzte sich auf einen Bürostuhl neben dem Mann. Sein Blick fiel auf einen Bildschirm mit Zeiten und Ereignissen, die den bevorstehenden Kontakt definierten. Noch zehn Minuten bis zum erwarteten Signal.

»Ist das DSN schon ausgerichtet?«, fragte David.

Das Deep Space Network, das man in den sechziger Jahren eingerichtet hatte, um jederzeit Kontakt zu interplanetaren Sonden zu ermöglichen, bestand aus drei Antennen, die um den Globus verteilt waren. So konnten die Wissenschaftler unabhängig von der Uhrzeit jeden Winkel des Himmels ständig beobachten.

»Noch nicht«, antwortete Lee Crawford neben ihm. Der vorzeitig ergraute, hagere Mann in weißem Hemd und schwarzer Stoffhose war noch einer von der alten Garde, die immer mit Krawatte zur Schicht auftauchten. Crawford hatte mit der Überwachung einiger spektakulärer Marsmissionen Aufsehen erregt. Nach einem privaten Schicksalsschlag – seine Frau hatte sich vor zwei Jahren das Leben genommen – war er auf diese Position versetzt worden, wo er die letzten Jahre bis zur Rente auf einem »ruhigen Posten« verbringen konnte.

Ruhig war es in der Tat. Meistens begrenzte man die Kontaktaufnahme mit den alten Sonden, deren Plutoniumbatterien ebenso wie die Instrumente allmählich versagten, auf einige Minuten am Tag. Das reichte für die wenigen Daten, die die altersschwachen Sonden lieferten, völlig aus. Das Spannendste an Crawfords Arbeit war noch das gelegentliche Update für die antiquierten Bordcomputer.

»Wäre es nicht an der Zeit, das DSN auszurichten?«, drängelte David.

Crawford schaute von seinen Papieren auf und starrte David missbilligend an. »Immer mit der Ruhe, junger Mann. Wir sind hier alle Profis. In den vierzig Jahren, die ich hier arbeite, habe ich noch keinen Kontakt verpasst. Der DSN-Controller weiß schon, was er tut.«

David schluckte. Ihm wurde mal wieder bewusst, dass er hier ein blutiger Anfänger war.

»Warum haben Sie eigentlich darauf bestanden, heute hier zu sein? Ihr kriegt die Daten doch alle zeitgleich auf eure Server rüber«, wollte der ACE wissen.

David hielt Crawfords durchdringendem Blick nicht lange stand und schaute zu Boden. Der Controller hatte recht. Normalerweise saß David drüben in der Flugbahnanalyse und arbeitete von seinem Büro aus, das er sich mit sechs weiteren Jungwissenschaftlern teilte.

»Ist heute sehr wichtig für mich«, erwiderte David.

»Warum? Hat es mit Ihrer Doktorarbeit zu tun? Worum geht es dabei?«

»Ich untersuche die Pioneer-Anomalie mit einem neuartigen analytischen Verfahren.

»Die Pioneer-Anomalie? Ich dachte, das sei längst erledigt. Das lag an der ungleichmäßigen Wärmestrahlung der Satelliten, oder etwa nicht?«

David nickte.

In den neunziger Jahren erreichten die Pioneer-Sonden 10 und 11 allmählich den Rand des Sonnensystems, wobei man sich nie einig wurde, wo genau man die Grenze ziehen sollte. Langjährige Beobachtungen ergaben eine unerwartete Beschleunigung der dahintreibenden Flugkörper, die nicht mit den bekannten physikalischen Gesetzen zu erklären war. Der Geschwindigkeitszuwachs war zwar relativ klein, gerade mal ein Milliardstel der Erdbeschleunigung, aber er wurde bei beiden Sonden nachgewiesen. Man vermutete, dass die unsymmetrische Bauweise der Satelliten eine ungleichmäßige Wärmeabstrahlung zur Konsequenz hatte, was eine Erklärung gewesen sein könnte.

David war von der geisterhaften Beschleunigung so fasziniert, dass er sie gegen den Widerstand seines Doktorvaters zum Thema seiner Forschungen gemacht hatte. Vielleicht steckte doch mehr dahinter als die Wärmestrahlung des Satelliten. Vielleicht gab es dort draußen in der unendlichen Leere des interstellaren Raumes noch weitere Geheimnisse, welche die Flugbahn eines Raumschiffes verändern konnten. Die Existenz Plutos hatte man damals schließlich auch aus Bahnstörungen der anderen Planeten abgeleitet.

Mit statistischen Verfahren war es ihm gelungen, den Pioneer-Effekt aus den Voyager-Daten zu isolieren. Irritiert hatte er festgestellt, dass die Beschleunigung sogar noch zunahm, bevor der Kontakt zur ersten Voyager in einer Entfernung von 134 Astronomischen Einheiten abbrach. Das entsprach etwa 20 Milliarden Kilometern. Und die Schwestersonde erreichte heute genau diese Entfernung.

David wollte glauben, dass die stärkere Beschleunigung ein Messfehler war, der nur zufällig mit dem Ende der Voyager 1 zusammentraf, aber ein ungutes Gefühl hatte ihn in den letzten Wochen immer nervöser gemacht. Er hatte einen mehrstündigen Kontakt zur Raumsonde beantragt, denn anhand der Dopplerverschiebung des Signals konnte er aus jeder einzelnen Minute auf die genaue Geschwindigkeit schließen. Da er seinen Computerprogrammen noch nicht so recht traute, hatte er sich einen Vorwand einfallen lassen, um die erweiterte Beobachtungszeit zu rechtfertigen.

»Ich glaube, dass mit dem Speicher der Sonde etwas nicht in Ordnung ist«, sagte David zu Crawford. »Darum habe ich einen kompletten Memory-Dump beantragt. Ich weiß, dafür müsste ich nicht hier sein, aber ich mag die Atmosphäre im SFOF. Außerdem dachte ich, Sie hätten gerne etwas Gesellschaft.«

Crawfords Gesichtszüge entspannten sich. »Ja, da haben Sie recht. Meistens sitze ich alleine hier.« Er deutete zu den verwaisten anderen Konsolen. »Für unsere alten Schätzchen interessiert sich kaum noch jemand. Nur wenn es Probleme gibt, füllen sie sich.«

»Und selbst dann nicht immer«, murmelte David.

Der hagere Mann zuckte mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, wundere ich mich, dass die Sonden nicht längst abgeschaltet sind. Kein einziges Instrument funktioniert mehr. Selbst das Plasmaspektrometer hat vor fünf Jahren seinen Geist aufgegeben. Einzig die technischen Telemetriedaten treffen noch bei uns ein. Bringt euch das überhaupt etwas?«

»Ja.« David nickte überzeugt. »Spannend ist die Art und Weise wie die Signale ankommen. Aus den Frequenzen und vor allem aus der Blauverschiebung können wir unheimlich viel herauslesen.«

»Wenn Sie das sagen …« Crawfords Mund dehnte sich zu einem zweifelhaften Lächeln. »Also schön, dann wollen wir mal. Begin of Tracking ist in fünf Minuten. Von meiner Seite aus ist alles klar. Auch der CC müsste sich längst gemeldet haben.«

»CC?«

»Connection Controller. Drüben im DSN-Kontrollraum.« Crawford griff nach einem roten Telefonhörer und drückte eine Taste auf dem Ziffernblatt. »Hallo Jack. Wie sieht es aus?«

Crawford legte einen Schalter um, wodurch er das Telefon mit dem Lautsprecher verband. Währenddessen lehnte David sich zurück und hörte das Gespräch gespannt mit an.

»Hallo Lee«, drang es aus der Box. »Wollte mich gerade melden. DSN ist aktiv und wird gleich ausgerichtet. Kontakt läuft heute über Canberra.«

»Prima, Jack. Wir machen heute nicht nur den üblichen Abruf der technischen Daten, sondern auch einen Memory-Dump. Die Zeiten habe ich dir rübergeschickt, das Ganze dürfte etwa fünf Stunden dauern.«

»Und welcher Freak hat das angeordnet?«, knisterte es aus dem Lautsprecher.

»David Holmes vom Wissenschaftsteam. Wir halten gerade ein Schwätzchen über unsere blechernen Sorgenkinder. Der Junge hat offenbar Langeweile.«

Aus dem Lautsprecher drang ein wieherndes Lachen, das David zusammenzucken ließ.

»Langeweile? Und dann kommt er zu uns, um einen Memory-Dump auszusitzen? Den Kerl musst du mir mal erklären.«

Crawford lachte nun seinerseits leise und zwinkerte David zu. »Du weißt doch, Jack. Lernen durch Schmerzen ist meine Devise.«

David verzog das Gesicht. Die Flugcontroller und Netzwerküberwacher bildeten ihre eigene Bruderschaft. In deren Welt würde niemand eindringen, der nicht Mitglied der Hierarchie war.

»Jack, hast du die Frequenzen und Zeiten bekommen? Mir liegt keine Bestätigung vor.«

»Jaja, habe ich im System. Die Direktiven wurden umgesetzt. Ich schwenke jetzt die Antenne in Position.«

Crawford wandte sich zu David um. »Das dauert etwa eine Minute. Der CC checkt jetzt über Kameras, ob sich jemand im Gefahrenbereich der großen Parabolantenne aufhält. Wenn die Luft rein ist, bringt er das Ding in die gewünschte Position. Die Verbindungen zu euren Servern habe ich bereits hergestellt. Wird alles auf eure Platten übertragen.«

David nickte und gemeinsam warteten sie.

»BOT!«, quäkte es aus dem Lautsprecher.

»Begin of Tracking!«, ergänzte Crawford. »Canberra ist nun empfangsbereit.«

Ein grünes Licht leuchtete auf der Konsole auf. Der Bildschirm füllte sich mit Zahlen.

»AOS! Akquisition of Signal! Wir empfangen Telemetriedaten. Genau zum errechneten Zeitpunkt und bei den errechneten Koordinaten hat sich die Sonde gemeldet. Frequenzverschiebung ist nicht notwendig. Telemetriedaten vollständig eingegangen. Sehr schön.«

Crawford zeigte auf einzelne Zahlen des Bildschirms.

»Wir empfangen die Telemetriedaten mit 40 Bit pro Sekunde. Die RTG liefern konstant 190 Watt. Temperaturen im grünen Bereich. Entfernung zur Sonne ist jetzt 134,3 AU. Geschwindigkeit etwa 15 Kilometer pro Sekunde. Hat schon einen schönen Weg hinter sich gebracht, was?«

David nickte.

»Sonde bestätigt den Empfang der gestrigen Kommandos. Memory-Dump wird eingeleitet und beginnt.«

Zahlenkolonnen flackerten quälend langsam über den Bildschirm.

»Das wird jetzt dauern«, erklärte Crawford und schwang zu David herum. »Haben Sie Lust, uns einen Kaffee zu holen? Ich kann hier während meiner Schicht nicht weg.«

David nickte erneut und stand auf. Er ging hinaus und steuerte die nahe gelegene Teeküche an. Aus dem Schrank holte er zwei saubere Tassen, schaltete den Boiler an und schüttete Instantpulver in die Porzellanschalen. An die Tür des Schranks hatte jemand einen Comic gepinnt, dessen Witz nur ein Nerd verstehen konnte. Dabei ging es um die amüsanten Konsequenzen von Bit-Flips in Computerspeichern.

David entspannte sich allmählich. Er war froh, dass sich Voyager 2 gemeldet hatte. Vielleicht sah er wirklich nur Gespenster. Die Sonde funktionierte hervorragend und würde es noch einige Jahre tun, bis der schwindende Energievorrat auch die Kommunikationssysteme lahmlegte.

Er ließ heißes Wasser in die Tassen laufen, rührte sorgfältig um und trug die Becher vorsichtig zum Kontrollraum. Als er eintrat, merkte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Crawford brabbelte erregt in den Telefonhörer und blätterte in Ordnern mit Prozeduren.

David stellte die Tassen auf der nächsten Konsole ab und setzte sich neben den Controller, der lautstark diskutierte.

»Habt ihr einen anderen Transponder probiert? Hat sich vielleicht die Position der Antenne verschoben?«

»Nein«, dröhnte es aus den Lautsprechern. »Die Antenne und die Empfangssysteme sind in Ordnung. Es liegt an eurer Sonde.«

»Verdammt!« Crawford drehte sich zu David um. »Der Kontakt ist abgebrochen. Plötzlich, mitten in der Übertragung der Speicherparameter.«

David wurde blass. Er hatte es zwar befürchtet, aber nicht wirklich damit gerechnet. Wie durch eine Glaswand hörte er Crawfords Stimme. Da draußen war etwas. Irgendetwas an der Grenze zum interstellaren Raum hatte seine Sonde verstummen lassen. Wie den anderen Satelliten auch. Irgendwas. Oder irgendwer?

Nach minutenlanger, geistiger Abwesenheit kam er wieder zu sich – allerdings erst, als Crawford ihn an der Schulter packte und ihn wie einen Bewusstlosen wachrüttelte.

»Es tut mir leid, David. Der Kontakt ist weg. Ich fürchte, das war das Ende der Voyager 2.«

David erwiderte nichts.

»Ich weiß, was Ihnen die Daten der Sonde bedeutet haben«, redete Crawford auf ihn ein. »Aber Sie sind nicht der erste Wissenschaftler, der sich neu orientieren muss. Ich hoffe, Sie können Ihre Doktorarbeit trotzdem beenden.«

David sah ihn mit offenem Mund an.

Zum Teufel mit meiner Doktorarbeit. Die ist das geringste Problem!

Crawford drückte einige Schalter auf seiner Konsole, um Einstellungen abzuspeichern. Mit einem zögerlichen Kichern drehte er sich zu David um.

»Einen amüsanten Aspekt hat das Ganze«, versuchte sich Crawford an einem Witz. »Ich hatte damals auch die Voyager 1 kontrolliert. Die Raumsonde hat sich 2016 etwa in derselben Entfernung zur Sonne verabschiedet. Ein merkwürdiger Zufall, was?«

David nickte verhalten und wandte seinen Kopf zur großen Projektionswand. Dort wurde ein Schema des Sonnensystems dargestellt. Kreise für die Umlaufbahnen der einzelnen Planeten. In blauer Farbe verlief darüber die Flugbahn der Voyager 2. Das Piktogramm mit dem stilisierten Satelliten befand sich schon weit jenseits des äußersten Kreises. Was mochte dort draußen an der äußersten Grenze des Sonnensystems geschehen sein?

David drehte sich wieder zu Crawford um, der mit einem schwarzen Filzschreiber Eintragungen in ein Logbuch vornahm. Das ist kein Zufall, dachte David. Das kann kein Zufall sein.

 

 

3

 

Ed versuchte, die kryptischen Buchstabenkürzel im Prozedurhandbuch zu entschlüsseln. »23 SWH PWR B1 ON«, stand da. Übersetzt sollte das wohl heißen: Schritt 23: Schalte Power-Bus Nr. 1 ein.

Ed betätigte den Schalter. Am Schaltbrett des Induktionsofens leuchteten mehrere LEDs auf. Digitalanzeigen verkündeten die Temperaturen im Inneren des Gerätes.

»24 INS SPM CNT.«

Ed runzelte die Stirn und kratzte sich am Kopf.

Verdammt noch mal!

Er spürte Wut in sich aufsteigen und drückte den Schalter der internen Sprechanlage.

»Wendy, kannst du mal bitte rüber ins COL kommen? Ich komm mit der Scheiße hier nicht klar.«

Einige Sekunden vergingen, ehe Wendy in das Columbus-Modul der Internationalen Raumstation schwebte. In den drei Wochen hatte sie sich hervorragend an die Schwerelosigkeit gewöhnt und bog mit dem Kopf voran elegant um die Ecke. Durch einen Handgriff bremste sie sich ab, bevor sie neben Ed zum Stillstand kam. Wendy lächelte. Wie immer.

»Was ist los, Ed?«

»Ich komme mit den Abkürzungen nicht klar. Kannst du mir sagen, was das heißt?« Er wies auf die Stelle im Handbuch.

»Oh, du sollst die Probe in den Probenbehälter einführen.«

Ed stöhnte. »Ich habe kein Training an diesem Ofen. Wie soll ich mit dem Mist hier arbeiten? Das gibt nichts. Aber wenn die Eierköpfe ihre Ergebnisse nicht bekommen, bin ich wieder schuld.«

Wendy tätschelte ihm aufmunternd die Schulter. »Ja, ist nicht glücklich gelaufen, aber die am Boden wissen das. Ich glaube nicht, dass sie dich zum Buhmann küren. Die sehen nur ihre Felle wegschwimmen und versuchen das Beste daraus zu machen.«

Ed vermochte sich nicht abzuregen.

»Es ist trotzdem nicht richtig«, klagte er. »Früher wurden wir wenigstens vernünftig vorbereitet. So ein Chaos wie heute habe ich noch nie erlebt. Wenn die Arschlöcher ihre Experimente unbedingt haben wollen, sollen sie hier hochkommen und gefälligst selber …!«

Wendy ergriff ihn am Arm. »Ed, komm wieder runter. Es bringt niemandem was, wenn du dich aufregst. Am wenigsten dir selber.«

Ed zwang sich zur Ruhe. Wendy hatte recht. Er schaute in ihre Augen, die ihm aufmunternd zulächelten.

»Ich schlag dir was vor«, begann sie und tippte auf das Schaltbrett. »Ich bin meinem Zeitplan voraus. Ich helfe dir hier mit dem Ofen.«

Ed nickte dankbar. Während der ganzen Scheißmission war Wendy die einzige Diplomatin in ihrer dreiköpfigen Besatzung.

Eigentlich sollten in einem Monat noch Jack, Amy und Anatoli zu ihnen stoßen, aber ihre Mission wurde gestrichen. Nicht mal ein beschissener Sponsor schleuderte noch Cents zu diesem Schrotthaufen im Weltall hinaus. Man investierte hier nur noch das Nötigste.

Nun waren sie die letzte Besatzung der altersschwachen ISS und Ed war der letzte Kommandant der Station. Letzter Kommandant – wie das klang! Manche mochten es für den Titel eines Helden halten. Ed jedoch kam sich vor, als hätte Gott persönlich ihn mit dieser Aufgabe bestraft.

Um möglichst viele Experimente in den Labormodulen zu beenden, hatte man ihn gebeten, neben seiner eigenen Arbeit noch mehrere Experimente im europäischen Columbus-Modul durchzuführen. Das hatte Ed gar nicht geschmeckt. Zwar hatte er wie alle anderen Astronauten eine dreiwöchige Dienstreise zum ESA-Astronautenzentrum in Köln gemacht, wo er für die wichtigsten Geräte ausgebildet worden war, aber er hatte nie ein missionsspezifisches Training an den Einrichtungen des Labors erhalten. Als Kommandant war das auch gar nicht seine Aufgabe …

Wendy hatte es da leichter. Als Wissenschaftsastronautin war sie an den laufenden Experimenten im amerikanischen Destiny-Modul, im japanischen JEM-Modul und im Columbus beteiligt. Sie kannte alle Geräte bis ins letzte Detail, allerdings konnte sie auch nicht alles alleine machen.

Arkady war auch keine große Hilfe. Der schweigsame Russe war als Bord-Ingenieur pausenlos mit Reparaturen beschäftigt. Wenn man etwas von ihm hörte, dann Werkzeugklappern. Ansonsten hatte er sich immer zurückgehalten, wenn wieder ein Experiment, ein Modul oder die Energieversorgung ausfiel. Wie eine Maschine stürzte er sich in die Arbeit, ohne zu jammern.

Nachdem die ISS fast zwanzig Jahre lang ohne größere Probleme funktioniert hatte, nahm die Zahl der ausfallenden Systeme in jüngerer Zeit drastisch zu. Ohne die Hilfe des ausgemusterten Space-Shuttles hatten sie kaum eine Chance, größere Systeme auszutauschen. Der Platz in den Progress-, Antares- und Dragonkapseln war einfach zu klein. Und zahlen wollte dafür niemand mehr. Im Umkehrschluss wurden defekte Systeme gerne der jeweiligen Besatzung angelastet, deren Improvisationstalent für eine Reparatur offenbar nicht ausgereicht hatte. Arkady zuckte dazu nur mit den Schultern. Das sei in Russland schon immer so gewesen.

Ed wandte sich Wendy zu, die gerade eine murmelgroße Metallprobe aus einem Behälter nahm. Mit geübter Hand schob sie diese in ein Ofenfach.

»Das grüne Licht hier zeigt, dass die Probe korrekt positioniert wurde«, erklärte Wendy. »Sie darf zu keiner Zeit mit der Induktionsspule in Kontakt treten.«

Ed blies die Luft aus. Die Europäer waren auf diesen Ofen besonders stolz. Jahrzehntelange Arbeit steckte in dem schrankgroßen Ding, dass die Ingenieure auf der Erde mit der Bezeichnung „LEV V16-2 NG“ beschriftet hatten. Ed nannte es lapidar „Backofen“. Die Metallproben schwebten zwischen den Drähten einer Spule und wurden mittels induktiver Erwärmung geschmolzen. Dann senkte man die Temperatur langsam ab, bis die Werkstoffe allmählich erstarrten. So konnte man Materialien erschaffen, die aus einem homogenen Metallgitter bestanden. Einkristalle sagten die Eierköpfe zu den entstandenen Proben. Die Dinger hatten besondere Eigenschaften und man hoffte, einmal Fabriken im Weltall zu errichten, die damit superfeste Turbinenschaufeln und anderes großkotziges Zeug wirtschaftlich produzierten. Bisher alles Träume!

»… dann liest du die benötigten Parameter der Gradientenkurve vom Probenbehälter ab und stellst sie hier oben ein.« Wendy drehte an einigen Reglern, bis die Digitalfelder die gewünschten Zahlen anzeigten. »Und dann drückst du einfach auf Start.«

»Das mach ich!«, drängelte Ed, der sich wie ein Idiot vorkam. Im Versuch, seinen Ruf als Kommandant zu retten, drückte er auf den Knopf.

Ein lautes, elektrisches Knistern erklang, bevor die Lichter des Ofens erloschen. Rauch quoll aus den Lüftungsschlitzen des Geräts und Ed vernahm den Geruch von Ozon.

Stirnrunzelnd starrte er Wendy an. »Ist das normal?«

Seine Helferin schaute ratlos auf den Ofen und wedelte die Rauchfäden weg. »Da ist irgendwas kaputt gegangen.«

Ed machte ein klagendes Geräusch und stöhnte. »Kann in diesem verdammten Scheißladen nicht mal ein Knopf vernünftig funktionieren? So eine Schrotthalde!«

Grummelnd schwebte er zur Kommunikationskonsole hinüber und drückte einen Schalter herunter.

»Col-CC? Können Sie mich hören? Walker hier.«

»Hallo Ed. Jochen Schumann hier«, kam die Antwort aus dem Lautsprecher.

Jochen! Ed hatte ihn bei einem Besuch im Columbus-Kontrollzentrum kennengelernt. Das war in Oberpfaffenhofen gewesen, einem Örtchen im idyllischen Bayern. Sie hatten sich gut verstanden. Ed, der den lockeren Umgang zum Thema Alkohol in Deutschland dazu nutzte, zum Mittagessen stets ein dunkles Bier zu trinken, und Schuhmann, der ihm mit einem Hefeweizen Gesellschaft leistete.

Ed musste schmunzeln. In Amerika wäre das undenkbar gewesen. Aber der Besuch beim Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum hatte ihm Spaß gemacht. Fast so viel wie der geliehene Porsche, mit dem er nachts bei Tempo 300 über die deutsche Autobahn gekachelt war. Nur Jochens Namen richtig auszusprechen bereitete ihm noch Probleme.

»Hallo Jokken, wir haben Probleme mit eurem Levitator. Er knistert und stinkt nur noch!«

»Das werden die Leute beim MUSC in Köln aber nicht hören wollen. Irgendeine Idee, was der Grund sein könnte?«

»Ich tippe auf Kurzschluss. Was soll es sonst sein?«

»Warte ein paar Minuten. Ich versuche Kontakt mit einem der Verantwortlichen in Köln aufzunehmen.«

»Gut! Danke!«

Ed drehte sich zu Wendy um. Er machte einen gequälten Gesichtsausdruck. »Ich glaube, du kannst wieder zu deiner Arbeit zurückkehren. Das Ding ist im Eimer!«

Wendy konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.

»Sieh es von der positiven Seite«, meinte sie. »Wenn der Levitator kaputt ist, musst du dich nicht mehr damit rumärgern. Die Schuld für einen Kurzschluss können sie dir kaum anhängen.«

Ed sah, dass sie permanent mit irgendetwas in ihrer Tasche herumhantierte.

»Was hast du da eigentlich?«

Wendy holte zwei zylindrische Metallstücke aus ihrer Bordkombi und hielt sie ihm unter die Nase.

»Was ist das?«, fragte er skeptisch.

»Magnete. Die habe ich aus einem der stillgelegten Experimente ausgebaut. Die nehme ich als Souvenir mit nach Hause«

»Und was ist so besonders an den Dingern?«

Als Antwort hielt sie eines der Metallstücke an den Reißverschluss seiner Jacke und zog damit Ed zu sich heran.

»Hey! Ganz schön stark die Dinger.«

»Stark genug, um dich damit durch die ISS zu ziehen«, lachte sie.

»Ed? Bist du da?«, quäkte es aus dem Lautsprecher.

Wendy verstaute die Magnete wieder in ihrer Tasche und schlug Ed auf die Schultern. Dann umfasste sie einen Griff, um in der Schwerelosigkeit Schwung aufzunehmen, und verschwand durch die Luke. Ed winkte ihr hinterher.

»Ja, Jochen. Eine Idee?«

»Vielleicht hat sich in der Elektroniksteuerung des Ofens ein Kabel gelöst und zu einem Kurzschluss geführt. Wenn dabei nichts kaputt gegangen ist, reicht es, das Kabel wieder zu befestigen und die Sicherung auszutauschen.«

»Wie finden wir das heraus?«, fragte Ed.

»Du schraubst die Frontblende von Panel 2 ab, dann kannst du das Elektronikmodul herausziehen.«

Daraufhin öffnete Ed eine Schublade von einem der Logistikschränke des Moduls und fischte einen Werkzeugsatz heraus, mit dem er die vordere Klappe des Geräts löste. Die Schrauben verstaute er in einem Fach des Werkzeugkoffers, damit sie nicht davonflogen. Nur die Blende ließ er einfach neben sich schweben. Anschließend zog er die komplexe Elektronik aus dem Ofen, die auf mehrere Platinen verteilt war.

»Bisher kann ich nichts erkennen«, murmelte er in den Lautsprecher. »Die Kabel sind alle fest an ihren … oh!«

Aus einer Ecke des Elektronikfaches schwebte ihm eine einzelne Schraubenmutter entgegen.

»Ed?«

»Ich glaube, ich hab’s gefunden. Irgendwo hat sich eine Mutter gelöst. Bestimmt ist das Ding auf die Platine gestoßen und hat den Kurzschluss verursacht.«

Er untersuchte die Platine genauer. Eine kleine Fläche rund um einen Kondensator war schwarz.

»Ja, definitiv. Auf Platine A12 hat es einen Kondensator erwischt. Und zwei Widerstände direkt daneben sehen auch nicht gut aus. Das kriegen wir mit Bordmitteln nicht hin. Tut mir leid, Jochen.«

»Ist nicht zu ändern. Ich werde mich in Köln erkundigen, ob es noch Ersatzteile gibt.«

»Viel Zeit habt ihr nicht. Die nächste Progresskapsel startet in zwei Tagen.«

Mit Freude dachte Ed an die russische Raumkapsel, die übermorgen abfliegen und bald hier eintreffen sollte. Solche Kapseln waren wie die Säcke von Weihnachtsmännern und brachten alles mit, was das Astronautenherz entbehrte. Er sehnte sich nach frischem Obst und einem neuen Rasierer. Und natürlich nach Post von seiner Familie. Dies war die letzte Versorgungsmission für die ISS. In zwei Monaten würde man die Station aufgeben und über dem Pazifik zum Absturz bringen.

»Ich bezweifle, dass meine Chefs einen Sinn darin sehen, eine Ersatzplatine zu liefern«, unterbrach Jochen seine Gedanken. »Die Experimentalreihen waren fast abgeschlossen und eine Zukunft für unseren Ofen gibt es ja eh nicht.«

Obwohl Ed die Missionen auf der ISS nie mochte, versetzte ihm der Gedanke an das baldige Ende einen Stich. Die Station hatte ihn seine gesamte Astronautenkarriere über begleitet.

»Was machst du, wenn es euer Columbus nicht mehr gibt? Schon eine neue Aufgabe in Aussicht?«, fragte er Jochen.

»Ich habe ein Sabbatical beantragt. Laura und ich werden uns ein Segelboot kaufen, über den Atlantik fahren und dann ein paar Monate in der Karibik und im Golf von Mexiko herumschippern.«

Ed musste grinsen. Vor seinem geistigen Auge sah er bereits die Kisten mit Jochens Weizenbier, die wie braune Regimenter in der Kajüte des Schiffs standen.

»Wenn ihr nach Houston kommt, müsst ihr uns mal besuchen.«

»Ja, machen wir«, sagte Jochen. »Wie sehen deine Pläne nach der Rückkehr zur Erde aus?«

Ed verzog das Gesicht. Was er gerne machen würde, wusste er nur zu gut. Der Mond! Wie ein weltvergessener Romantiker blickte er aus dem kleinen Fenster und sah den Erdtrabanten hinter dem Horizont untergehen. Aber das konnte er sich in die Haare schmieren.

»Da denke ich drüber nach, wenn ich wieder festen Boden unter den Füßen habe«, log er.

»Halt mich auf dem Laufenden. Kannst du uns noch einen Gefallen tun, Ed?«

»Klar doch. Rück raus.«

»Wir würden gerne den Ofen sichern, damit nicht noch irgendwas Unvorhergesehenes passiert. Bitte entferne die letzte Probe aus dem Behälter und trenne das Gerät an der Hauptsteuerungskonsole des Labors vom Strom.«

»Mach ich doch gerne. Aber die Rechnung schickt die NASA euch dann rüber nach München.«

Ed sagte immer München. Die meisten amerikanischen Astronauten taten das. Oberpfaffenhofen konnte niemand aussprechen. Er sah den Deutschen im Geiste schmunzeln. Wahrscheinlich hatten sie diesen verdammten Ort nur ausgewählt, um etwas zum Lachen zu haben.

Jochen lachte.

»Kein Problem«, sagte er. »Wir senden die Rechnung dann weiter nach Paris zur ESA.«

Auch Ed musste nun schmunzeln. Die kleinen Neckereien gehörten seit Beginn der Raumfahrt zum »guten Ton« mit dem Boden. Früher war das alles kein Problem gewesen. Im Zeitalter der internationalen Raumfahrt musste man jedoch aufpassen, dass man in kein Fettnäpfchen trat. Zum Glück waren die Europäer recht locker. Dagegen hatte ein jovialer Spruch an das japanische Kontrollzentrum während seiner letzten Mission für diplomatische Verwicklungen gesorgt. Wegen ihm hatte die japanische Regierung sogar den amerikanischen Botschafter einbestellt, wie er nach seiner Landung erfahren hatte. Daraufhin hatte ihn sein Chef zu einem zweiwöchigen Kurs für internationale Rhetorik in Boston verdonnert.

Ed nahm die letzte Probe aus dem Behälter des Ofens und verstaute sie in einem Schrank. Dann räumte er das Werkzeug weg und entkoppelte den Ofen von der Stromversorgung.

Sein nächster Blick ging zu einem Fenster. An der Außenseite des Moduls warteten noch weitere Experimente mit Materialien. Allerdings waren sie den Bedingungen des Weltalls ausgesetzt und wurden vom Boden per Funk kontrolliert. Damit hatte er nichts zu schaffen – ein Glück!

Zuletzt löschte er das Licht im Modul und zog die Luke von außen zu. Für heute war Feierabend und er freute sich, dass er mit dem Abschalten des Experiments ein Problem weniger auf seiner Liste hatte. Allerdings hatte er das dumpfe Gefühl, dass das Ding nicht das letzte war, das hier oben für Scherereien sorgte. Vor allem gab es noch weitaus kritischere Systeme auf der Raumstation als ein blöder Ofen.

 

4

 

Was sagt man dazu?

Amüsiert angelte Ed einen gebrauchten Tampon aus dem Gehäuse eines Filters.

Er verbrachte die Schicht damit, die Luftfilter in den amerikanischen Modulen der Station zu säubern. Es war eine der täglichen Arbeiten, die zur Wartung der ISS gehörte. Aufgrund der Schwerelosigkeit gab es keine natürliche Luftzirkulation, weshalb eine Vielzahl von Lüftern für die Umwälzung der Atemluft sorgte.

Ed konnte nicht sagen, dass ihm die tägliche Routine Spaß machte, doch es war interessant, was sich in den Filtern alles ansammelte. Dazu gehörten oft davongeschwebte Dinge, die man zuvor tagelang gesucht hatte.

Er überlegte noch, wie er Wendy mit dem Tampon am genüsslichsten aufziehen konnte – bis er ihre Stimme über den Interkom vernahm.

»Ed, hörst du? Kommst du bitte rüber zum Swesda?«

Er drückte einen Schalter am Headset.

»Bin schon unterwegs.«

Er klappte den Deckel des Filters zu und ließ den Tampon in einem Plastikbeutel verschwinden, den er fürs Erste mit Klettband an der Wand befestigte. Dann stieß er sich mit den Füßen an der Luke ab und schwebte zügig aus dem Destiny-Labormodul. Sein Ziel war das russische Swesda-Modul, das über eine Küche verfügte und wo sie das Abendessen einnahmen. Doch zunächst führte ihn sein Weg in das Unity-Kopplungsmodul, von dem aus die Astronauten wahlweise in die Luftschleuse, das Lagermodul oder in das Knotenmodul 3 gelangen konnten. Aus Letzterem fiel helles Licht herein.

»Nicht schon wieder«, murmelte Ed.

An einem Handgriff änderte er elegant seine Bewegungsrichtung und tauchte in das Knotenmodul ein. Hier war die Aussichtskuppel der Station angedockt, die aus sieben großen Fenstern einen fantastischen Blick auf die Erde und das Äußere der Station bot. Einst hatten hier viele Astronauten ihre Freizeit verbracht, Musik gehört und auf die 400 Kilometer entfernte Oberfläche des Heimatplaneten hinabgeschaut. Ed erkannte Australien, das majestätisch weit unter der Kuppel vorbeizog. Und genau das ärgerte ihn.

Verdammt noch mal! Wie oft soll ich denn noch sagen, dass die Blenden vor die Fenster gehören, wenn keiner hier ist!

Er zog einen Hebel herunter und die dicken Aluminiumblenden schoben sich vor die Öffnungen. Fenster waren die kritischsten Stellen der Station. Im Gegensatz zu den metallenen Außenwänden der tonnenartigen Module verfügten sie über keine Mikrometeoritenschilde. Schon ein abgeplatzter Farbsplitter von einem alten Satelliten konnte eine Katastrophe anrichten, wenn er mit orbitaler Geschwindigkeit auf eines der Fenster zuraste.

Mit dem Vorsatz, seinen Kollegen eine Standpauke zu halten, schwebte er in das Swesda-Modul. Er erwartete Wendy und Arkady in der Küche hantieren zu sehen, aber sein russischer Kollege hielt sich krampfhaft an einem Haltegriff fest und rieb sich mit einem Lappen über das Gesicht. Seine Augen wirkten wie zwei rote, blutunterlaufene Kreise. Während er mit schmerzverzerrter Miene ins Leere schaute, fischte Wendy ein kleines Fläschchen aus dem Sanitätskoffer.

»Was ist dir denn passiert«, polterte Ed lauter als er vorhatte. Er war immer noch aufgebracht wegen der Fenster.

Wendy parierte seinen Blick genervt.

»Jetzt halt mal die Luft an. Wie wär’s mit einer Prise Empathie?«

Ed tat es sofort leid. Er hatte sich von seiner Wut leiten lassen. Das sollte einem erfahrenen Kommandanten nicht passieren. Im Akt der Wiedergutmachung schwebte er zu Arkady hinüber und berührte sanft dessen Schulter.

Der gutmütige Russe versuchte ihn anzusehen, blinzelte jedoch nur. Dabei verwandelten sich seine Augen in schmale Schlitze. Tränen flossen heraus und sammelten sich als Kügelchen auf den geröteten Backen.

Wendy öffnete eine Tube und drückte dem Bord-Ingenieur durchsichtiges Gel in die Augen. Danach legte sie ihm einen Verband um den Kopf, der seine Augen komplett verdeckte.

»Ist nicht so schlimm, Junge«, meinte sie und klopfte ihm auf die Schultern. »Morgen ist alles wieder gut. Das vergeht bald …«

»Aber es brennt so!«, flüsterte Arkady auf Englisch, allerdings mit seinem schweren russischen Akzent.

»Was ist denn passiert?«, fragte Ed in bemüht ruhigem Tonfall.

»Ich war drüben im Sarja«, erklärte Arkady mit abgehackter Stimme.

Sein Kollege meinte das russische Modul, das in der Frühzeit der Station als Energie- und Antriebsmodul benutzt worden war. Jetzt diente es nur noch als Lager.

»Und was ist damit?«, bohrte Ed nach.

»Das System meldete einen Druckabfall in der Kühlmittelleitung, also habe ich nach dem Leck gesucht. Dafür habe ich eines der Wandpaneele abgenommen, hinter dem sich eine große Blase Kühlflüssigkeit angesammelt hat – und die ist mir geradewegs ins Gesicht geflogen.«

Ed sah die Szene bildlich vor sich. Austretende Flüssigkeit formte sich in der Schwerelosigkeit zu Kugeln. Manchmal machten sie sich einen Spaß daraus, einander Sphären aus Orangensaft zuzupusten. Wenn sich jedoch mitten im Raum Bälle aus Chemikalien bilden, konnte das gefährlich werden.

Ed wandte sich an Wendy, die als Biologin den Posten des Bordarztes übernommen hatte. »Wie gefährlich ist das?«

»Die Module Sarja und Swesda benutzen Wasser mit 30 Prozent Glycerol als internes Kühlmittel. Es ist nicht sonderlich gefährlich, aber wenn man es in großen Mengen auf die Haut oder in die Augen bekommt, reizt es den Körper. Seine Augen werden noch einige Stunden lang wehtun.«

Ed verdrehte die Augen. »Die Station verwandelt sich langsam in eine zweite Mir. Es wird höchste Zeit, das Ding abzuwracken, bevor etwas Ernstes passiert. Hier geht alles den Bach runter.«

»Reg dich ab«, sagte Wendy. »Wir sind eben die letzte Stammbesatzung.«

»Zwei Monate noch«, maulte Ed. »Wer weiß, was noch alles zu Bruch geht.«

»Herrgott Ed, warum bist du überhaupt auf dieser Mission, wenn du nur meckerst? Ich kann es nicht mehr hören!«

Ed atmete tief durch. Wenn schon Wendy laut wurde, war es höchste Zeit für die verbale Notbremse.

»Tut mir leid«, flüsterte er.

»Ich weiß, warum du frustriert bist, Ed. Du wolltest lieber die Mondmission, statt hier auf der Raumstation zu arbeiten. Und du hättest sie kriegen können, aber das hast du dir selber versaut.«

Das tat weh.

Doch die Wahrheit tut immer weh.

Sie hatte völlig recht. Ed war einmal der Top-Astronaut der NASA gewesen. Die wichtigsten Missionen hatte man ihm anvertraut. Aber das war ihm zu Kopf gestiegen und er hatte angefangen, gegen Dinge zu poltern, die ihm bei der NASA nicht passten. Damit hatte er einigen Leuten vor den Kopf gestoßen. Leider gehörten dazu auch die Manager für die Missionseinsätze der Astronauten.

»TsUP für ISS, kommen«, quäkte es aus den Lautsprechern.

Ed drehte den Kopf zur Kommunikationskonsole. Das Bodenkontrollzentrum in Moskau, aufgrund seiner russischen Abkürzung nur knapp TsUP genannt, hatte sich gemeldet. Der für heute geplante Start der Progresskapsel musste inzwischen stattgefunden haben. Die Kapsel würde den lang ersehnten Nachschub mit irdischen Gütern bringen, die hier als Luxus galten. Das Docking war in fünf Stunden vorgesehen.

Ed schwebte zur Konsole herüber und schaltete auf den Konferenzkanal.

»Hier Walker. Wir hören euch.«

»Und hier Tsibliev aus dem verschneiten Moskau. Ihr seid sicher längst beim Abendessen. Wie läuft es bei euch?«

Arkady packte Ed am Arm und schüttelte den Kopf. Ed seufzte und klopfte ihm bestätigend auf die Schulter.

»Bei uns ist alles bestens«, log er. »Wollten gerade den Ofen anschmeißen. Hühnchen steht auf dem Speiseplan. Was macht die Progress? Wir warten schon gespannt und bereiten gleich das Andockmanöver vor.«

»Tja, ISS. Wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: Der Start war erfolgreich und hat vor einer Stunde stattgefunden. Das Ausfalten der Solarsegel und grundlegende Funktionstests verliefen einwandfrei. Nun die schlechte Nachricht: Die Antenne des Kurs-Radarsystems meldet eine Fehlfunktion und sendet keine Daten.«

Oh, Scheiße!

Das Kurs-System wurde in den letzten Minuten vor dem Docking gebraucht. Das automatische Andocksystem bekam davon Geschwindigkeit und Position der Kapsel mitgeteilt. Ohne die Antenne war das Docking geplatzt.

Und ich habe mich schon so auf einen neuen Rasierer gefreut.

»ISS, hört ihr? Wir haben das Docking um 24 Stunden verschoben. Wir hoffen, den Fehler zu beseitigen. Falls wir erfolglos bleiben, wird Arkady die Progress mit dem TORU-System manuell andocken.«

Ed war sprachlos. Das konnte nur ein Witz sein. Das TORU-System war notorisch unzuverlässig und hatte bereits auf der Mir für erheblichen Ärger gesorgt. Es war bloß für absolute Notfälle vorgesehen und ohne das Radar hatte man keinen Plan, wo sich die verdammte Kapsel befand.

»Ähm, Viktor? Ist das mit Houston abgesprochen? Ich halte es für keine gute Idee, das TORU zu benutzen«, warf Ed ein.

»Natürlich ist das abgesprochen. Die NASA teilt unsere Ansicht, dass eure Mission einzig so erfolgreich zu Ende geführt werden kann.«

Mit Houston werde ich mich noch unterhalten, grollte Ed.

»Ich halte es nach wie vor für keine gute Idee«, beharrte er.

»Arkady macht das schon«, wiegelte Viktor ab. »Er hat ausreichend in Sternenstädtchen trainiert. Ist kein Problem, nicht wahr, Arkady?«

Der blinde Russe fingerte an seinem Kommunikator. Es dauerte lange Sekunden, bis er den Schalter fand. »Ist kein Problem«, heuchelte er. »Wir sind bereit. Wir melden uns. ISS, Ende.«

Zähneknirschend schaltete Ed den Konferenzkanal aus und stierte seinen Kollegen wütend an. »Bist du wahnsinnig?«, schrie er. »Du kannst nichts sehen. Dieses verdammte TORU wird uns ins Grab bringen, wie damals fast die Leute auf der Mir. Um ein Haar wären sie abgekratzt.«

Arkady schob seinen Verband nach oben und blinzelte ihm entgegen. »Es geht schon. Morgen sind meine Augen wieder perfekt.«

Ed schnaubte. »Wunder geschehen nicht mal auf der Erde.«

»Ist das TORU wirklich so problematisch?«, fragte Wendy.

»Natürlich ist es das. Ohne das verdammte Radar hat man keine Ahnung, wie weit die Station noch von der Kapsel weg ist. Du siehst nur ein Fernsehbild, das von der Progress auf den Bildschirm übertragen wird. Sonst hast du gar nichts!«

»Ich schaffe das, wenn ihr mir helft«, versicherte Arkady. »Ihr könnt Geschwindigkeit und Entfernung der Progress mit dem Dopplerlaser feststellen. Damit meistern wir es.«

»Unsinn«, fauchte Ed. »Das ist Wahnsinn, und das weißt du. Warum kannst du deiner verdammten Bodenstation nicht ein einziges Mal widersprechen?«

Arkady zögerte. Es war ihm unangenehm, darüber zu reden.

»Wenn ich Befehle nicht befolge, wird mein Gehalt gekürzt. Ich muss an meine Frau und die Kinder denken.«

Ed schaute betroffen. Er dachte an die heruntergekommenen Plattenbauwohnungen, in denen die russischen Kollegen hausten. Daran hatte sich seit den Tagen der Sowjetunion nichts geändert. Wer seine Pflicht erfüllte, bekam einen Orden und ein mickriges Gehalt. Und wer versagte, bekam gar nichts.

»Ich muss mit Houston sprechen«, erklärte Ed und langte nach einem Handgriff, um Schwung zu nehmen. »Bin drüben im Destiny-Modul.«

»Wollen wir nicht zuerst etwas essen?«, fragte Wendy.

»Mir ist der Appetit vergangen«, murmelte Ed und schwebte durch die Luke davon.

 

Im Labor angekommen, aktivierte er eine Leitung nach Houston. Er hätte den Kontakt auch vom Sarja herstellen können, doch er wollte mit dem Capcom alleine reden.

»Houston, ISS. Walker hier. Kommen.«

Die Bodenkontrolle meldete sich sofort.

»Hallo Ed, wir hören.«

Ed erkannte die Stimme. Sie gehörte dem Astronauten John Baker. Ein guter Mann. Vor zwei Jahren war er mit ihm zusammen bei einer Mission in der ISS gewesen. Damals war vieles noch ganz anders gelaufen. Vor allem hatte weniger Chaos geherrscht.

»John, ich würde gerne auf eine gesicherte Leitung umschalten. Ich habe etwas Privates.«

Ed hielt die Luft an. In der Regel war die Kommunikation offen und man konnte sie in Europa, Japan und Russland verfolgen.

»In Ordnung, Ed.«

Baker wirkte nicht einmal überrascht. Ed atmete auf und betätigte einen Schalter. Von nun an fand die Kommunikation verschlüsselt statt.

»John«, begann Ed und kam gleich zur Sache. »Weißt du von dem manuellen Andockverfahren der Progress?«

»Ja, wir wissen Bescheid.«

Eds Puls beschleunigte sich.

»Was soll der Scheiß? Ihr wisst doch, wie unzuverlässig das TORU ist. Und dann noch ohne Radar.«

»Ja, aber uns sind diesmal die Hände gebunden. Wie die Russen an ihren Teil der Station andocken, ist deren Sache.«

»Es gibt Vorschriften, die auch die Russen einhalten müssen. Ich hab mir nicht jeden Mist gemerkt, aber ich weiß ganz sicher, dass der Verlust des Radarsystems ein Abbruchkriterium ist. Also, was soll das?«

»Wir haben unseren Protest bereits vorgebracht. Doch die Russen bestehen drauf und Marshall hat beschlossen, die Situation nicht zu eskalieren. Die Beziehungen mit den Russen sind nicht die besten und wir wollen das nicht schlimmer machen. Es sind die letzten Tage der ISS. Also spiel mit, ja?«

Ich hör wohl nicht recht!

»John, wenn was schiefläuft, dann stecken wir hier in der Scheiße. Das Risiko ist zu groß. Ich bin der Kommandant und ich werde dem nicht zustimmen.« Eds Stimme wurde wieder lauter, als ihm lieb war. Sogar sein Atem kam ihm laut vor, fast wie ein Pochen in den Lautsprechern. Nur mit Mühe konnte er sich mäßigen.

»Kumpel, lass es die Russen versuchen«, meinte John. »Klar, du bist der Kommandant, aber gib ihnen die Chance. Lass Nikolayev das Manöver beginnen und wenn du siehst, dass es nicht hinhaut, hast du von uns grünes Licht, den Vorgang abzubrechen. Doch bitte weigere dich nicht schon im Vorfeld, sonst bekommst du richtig Ärger. Marshall hat dich eh schon auf dem Kieker. Ist also auch in deinem Interesse. Versprich mir, dass ihr es wenigstens versucht.«

Scheiße! Mir passt das überhaupt nicht, nur was soll ich machen?

»Also gut. Er soll es versuchen. Aber wenn die Sache aus dem Ruder läuft, dann breche ich den Anflug der verdammten Kapsel sofort ab!«

 

5

 

David betrat den Raum mit sichtlicher Nervosität. Für den kleinen Tisch vor den Fenstern war das Zimmer viel zu groß. In der Ecke befand sich noch ein Ständer mit ausgelegten Prospekten der Firma, bei der David sich beworben hatte, ansonsten war der Raum leer und strahlte mit seinen weißen Wänden eine kühle Tristesse aus.

Nicht sehr einladend für potentielle, zukünftige Arbeitnehmer.

»Dr. Holmes, zunächst danke ich Ihnen für Ihr Kommen. Mein Name ist Luke Cromberg. Rechts neben mir sitzen Dr. Salesbury und Dr. Mills. Bitte setzen Sie sich.«

Die Stimme Crombergs erkannte David von seinem Telefonat mit dem Leiter der Personalabteilung. Die anderen waren ihm von dem Organigramm des Raumfahrtkonzerns Centauri ebenfalls ein Begriff. Dr. Mills, deutlich übergewichtig mit Schweißtropfen auf der Stirn, war Leiter der Konstruktionsabteilung. Dr. Salesbury, klein, schlank und mit einem fürchterlich vorstehenden Gebiss, das ihn an einen längst vergangenen Ausflug auf die Pferderennbahn erinnerte, war Astrophysiker.

David nickte freundlich, setzte sich betont langsam auf den Stuhl und versuchte seine Nervosität mit einem selbstsicheren Blick zu überspielen. Trotzdem zitterte seine linke Hand.

»Dr. Holmes, wir haben Ihre Bewerbung mit Freude gelesen und haben noch einige Fragen an Sie. Bitte erzählen Sie uns zuerst etwas über Ihre Doktorarbeit, die Sie im letzten Monat abgeschlossen haben. Worum ging es dabei?«

David nickte. Natürlich hatte er seinem Bewerbungsschreiben eine genaue Inhaltsangabe der Promotion beigefügt, doch er war es gewohnt, dass die Leute alles zweimal hören wollten – selbst wenn das Thema sie schon beim ersten Mal langweilte.

Ruhig erklärte er den Herren seine statistischen Modelle zur nachträglichen Analyse von Satellitenflugbahnen. Er referierte über die endlosen Stunden zur Programmierung eines FORTRAN-90-Moduls, damit er eine vor Ewigkeiten erstellte Codesammlung nutzen konnte. Ebenso berichtete er von den Versuchen, mit seinem Modell die Pioneer-Anomalie zu erklären, und von dem harten Kolloquium, in dem seine Thesen auf massiven Widerstand gestoßen waren. Von seinen Spekulationen, was mit Voyager 2 geschehen war, erzählte er jedoch nichts. Davon hatte er noch niemandem erzählt.

»Mr. Holmes. Sie haben Ihr Kolloquium mit Erfolg abgeschlossen, aber eine Bestnote erzielten Sie nicht. Können Sie den Grund dafür benennen?«

Jetzt musste er doch darüber reden. Er zögerte.

»Nun ja, die Verifizierung meiner Modelle hing von externen Daten ab. Zur Überprüfung meiner Simulationsergebnisse brauchte man schwer zugängliche Informationen. Durch den Verlust der Voyager 2 fehlten mir die Datenpunkte jenseits von 136 AU, sodass meine Prognosen nicht vollständig überprüft werden konnten. Zwar fanden die Prüfer keine Fehler in meinen Modellen, doch man wollte sie ohne Verifizierung auch nicht als korrekt ansehen. Pech gehabt.« Er zuckte mit den Schultern.

»Ja. Für den Verlust der Raumsonde können Sie nichts«, bestätigte Dr. Mills und hielt ein Blatt aus der Bewerbungsmappe hoch. »Dafür ist Ihre Publikationsliste beeindruckend. Sogar Nature! Alle Achtung.«

Er legte das Blatt auf den Schreibtisch zurück und schaute David durchdringend an.

»Am JPL und am Caltech haben Sie sich sehr für den interstellaren Raum interessiert. Das geht aus der Liste Ihrer besuchten Seminare hervor. Wieso?«

David lächelte.

»Er ist das ultimative Ziel«, sagte er. »Obwohl wir mit Teleskopen bereits viele Erkenntnisse über unser Planetensystem gewonnen haben, können wir so nicht herausfinden, ob es noch andere bewohnbare Planeten im Universum gibt. Hierzu müssen wir den großen Ozean überqueren. Vier Sonden haben es schon geschafft, unser Sonnensystem zu verlassen, wenngleich wir zu allen den Kontakt verloren haben. Doch in einigen Jahren wird die Plutosonde New Horizons in den interstellaren Raum vordringen und es müssen weitere folgen. Nur so können wir unseren Weg zu den Sternen vorbereiten.«

»Sie glauben, dass die Menschen irgendwann zu den Sternen fliegen werden?«, fragte Dr. Salesbury.

Sein Gegenüber schielte stark. Das verunsicherte David und er wusste nicht, welches Auge des Mannes er fixieren sollte.

»Ich bin davon überzeugt«, erwiderte er zögernd. »Irgendwann werden wir diesen Weg gehen, und die ersten Schritte dahin müssen wir jetzt unternehmen.«

»Nun, Mr. Holmes! Dann verraten Sie uns doch bitte, warum Sie sich ausgerechnet bei unserem Konzern beworben haben. Centauri Industries ist hauptsächlich in der Energiebranche tätig. Wären Sie nicht besser beim JPL geblieben?« Cromberg schaute todernst, als hätte er die Absage schon formuliert.

David grinste. Der Mann war ein guter Schauspieler.

»Natürlich weiß ich, dass Sie Ihren Umsatz primär mit dem Bau von Kernfusionsreaktoren machen. Aber ich bin mir sicher, dass ich mit meinem Wissen und meinen Visionen bei Ihnen bestens aufgehoben bin.«

»Dr. Holmes, erklären Sie uns das«, forderte Cromberg.

David lächelte vieldeutig.

»Denke Sie nicht auch, dass ich mit meinen Qualifikationen gut zu Ihrem Hermes-Projekt passen würde?«

Cromberg drehte sich zu Dr. Salesbury um. Dieser blickte erstaunt zurück. Jetzt wandte sich Dr. Mills an David. Er schien verärgert.

»Dieses Projekt ist geheim. Was wissen Sie darüber und von wem wissen Sie es?«

Der durchdringende Blick seines Gegenübers wirkte einschüchternd auf David. Hatte er den Bogen überspannt?

Er blickte reumütig zu Boden und räusperte sich. Keinesfalls würde er Susan verraten, die ihm vor einigen Wochen diesen Tipp gegeben hatte. Seine Studienfreundin hatte ein Praktikum bei Centauri gemacht und einige Gerüchte aufgefangen.

»Nun, ich weiß, dass Ihr Konzern die Unternehmung von Arthur Wyman ist, einem ziemlich vermögenden Internetmilliardär. Und Wyman hat schon vor einigen Jahren gesagt, dass er den Menschen gerne den Weg zu den Sternen öffnen würde. Sozusagen als Erbe. Das ist kein Geheimnis, auch wenn er das nie an die große Glocke gehängt hat.«

Gespannt beobachtete David die Männer gegenüber. Sie schwiegen, aber Dr. Salesbury lächelte. Davon ermutigt fuhr David fort.

»Ich habe erfahren, dass Sie eine Abteilung gegründet haben, um die Möglichkeiten einer Reise zu den Sternen zu studieren. Und ich habe ebenso erfahren, dass eine Sonde vorbereitet wurde, die das Sonnensystem verlassen soll. Ich möchte gerne an diesem Projekt mitarbeiten.«

Mills wandte sich an Cromberg.

»Sehen wir das nicht zu eng«, sagte er. »Es sollte ohnehin bald bekannt gegeben werden. War nur eine Frage der Zeit, bis es sich rumspricht.«

Cromberg erwiderte nichts. Aber an seiner Mimik konnte David erkennen, dass es dem Manager nicht recht war, dass sich Firmengeheimnisse offenbar bis nach Kalifornien herumgesprochen hatten. Schließlich drehte sich der Personalchef wieder zu dem jungen Physiker um.

»Was wissen Sie über die Sonde?«

»Nichts Genaues. Nur dass sie sehr schnell sein soll. Vermutlich wollen Sie das interstellare Medium studieren.«

Mills nickte. »Einen Augenblick, Dr. Holmes.«

Der Mann beugte sich rüber zu Luke Cromberg und flüsterte ihm etwas zu. Dieser dachte kurz nach und nickte. Mills wandte sich wieder zu David.

»Wir möchten Sie gerne einstellen. Sagen Sie zu?«

David sprang von seinem Stuhl auf. Viel zu spät fasste er sich und setzte sich wieder hin.

»Ja, natürlich. Vielen Dank, Sir.«