Perfectly Royal - Sandra Baunach - E-Book

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Sandra Baunach

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Beschreibung

Meldrina, ein kleiner Inselstaat vor der Küste Frankreichs, wird seit jeher von einer einflussreichen Königsfamilie regiert. Als Teil dieser Familie muss sich auch Prinz Thomas den strengen Regeln der Monarchie beugen. Dabei würde er viel lieber rauschende Partys feiern und mit schönen Frauen flirten. Als Thomas jedoch Anna kennenlernt, ändert sich sein Leben schlagartig. Er kann an nichts anderes mehr denken als an sie. Doch eine Beziehung zwischen den beiden scheint unmöglich, denn Anna ist eine Bürgerliche und noch dazu das Kindermädchen der königlichen Familie. Pflichtbewusst ergibt sich Thomas in sein Schicksal und versucht, sich Anna aus dem Kopf zu schlagen. Doch kann der Prinz die Liebe seines Lebens wirklich so einfach vergessen? Von Sandra Baunach sind bei Forever erschienen: Perfectly Royal - Eine Liebe gegen jede Regel Back to you - Eine Christmas Love-Story

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Die AutorinSandra Baunach, geboren 1982 in Koblenz, wohnt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in der Vordereifel. Schon während der Schulzeit schrieb sie kleine Geschichten, die sie in der Schülerzeitung veröffentlichte. Inzwischen ist sie Erzieherin und leitet eine Kindertagesstätte. Neben dem Schreiben hat sie noch eine zweite Leidenschaft, die Tortenkunst. Wenn sie in ihrer Freizeit nicht gerade Texte verfasst, backt sie leckere Kuchen und kreiert wahre Tortenkunstwerke.

Das BuchMeldrina, ein kleiner Inselstaat vor der Küste Frankreichs, wird seit jeher von einer einflussreichen Königsfamilie regiert. Als Teil dieser Familie muss sich auch Prinz Thomas den strengen Regeln der Monarchie beugen. Dabei würde er viel lieber rauschende Partys feiern und mit schönen Frauen flirten. Als Thomas jedoch Anna kennenlernt, ändert sich sein Leben schlagartig. Er kann an nichts anderes mehr denken als an sie. Doch eine Beziehung zwischen den beiden scheint unmöglich, denn Anna ist eine Bürgerliche und noch dazu das Kindermädchen der königlichen Familie. Pflichtbewusst ergibt sich Thomas in sein Schicksal und versucht, sich Anna aus dem Kopf zu schlagen. Doch kann der Prinz die Liebe seines Lebens wirklich so einfach vergessen?

Sandra Baunach

Perfectly Royal

Eine Liebe gegen jede Regel

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

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Meinen Prinzessinnen,

more than my life!

Und Liebe wagt, was irgend Liebe kann.

William Shakespeare, Romeo und Julia

TEIL 1 – Thomas

Kapitel 1

25. August 2007

Es war der heißeste Sommer seit Jahren. Das ganze Land stöhnte unter der anhaltenden Hitzewelle. Die Luft lag flirrend über der von Bäumen gesäumten Landstraße, auf den Feldern stand das Korn. Ein dunkelblauer Wagen schoss die staubige Straße zu einem großen Anwesen entlang. Vor einer breiten Eingangstreppe kam der Wagen zum Stehen. Der Kies spritzte in alle Richtungen davon. Thomas sprang gut gelaunt aus seinem Aston Martin. Fast liebevoll schloss er die Tür. Er liebte diesen Wagen. Es war ein Geschenk seiner Großmutter zu seinem 25. Geburtstag gewesen. Dabei war das viel bedeutendere Geschenk daran, dass er ihn selber fahren durfte. Seine Großmutter war nach dem Unfall seiner Eltern sehr vorsichtig geworden.

Die Sonne knallte heiß auf ihn herab, und auf Thomas’ Stirn sammelte sich sofort wieder der Schweiß. Sehnsüchtig dachte er an die Klimaanlage im Wagen. Aber dann fiel ihm wieder der Pool seiner Schwester ein, und er machte sich auf den Weg zur Eingangstür. Kurz nach dem Klingeln öffnete sich die Tür, und Melanie, das Dienstmädchen erschien. Melanie wurde rot, als Thomas sie anzwinkerte.

»Sir. Willkommen!«, stammelte sie verlegen, und Thomas lächelte noch etwas verwegener. Ja, er war sich seiner Wirkung auf Frauen durchaus bewusst. Thomas war groß und schlank. Er hatte dunkelbraune, kurz gelockte Haare, braune Augen und ein sehr charmantes Lächeln. Seine Freunde neckten ihn oft damit, dass er wie ein Prinz aus einem Disneyfilm aussah. Dennoch machte er sich nichts vor. Hauptsächlich hatte er seinen Erfolg bei Frauen seinem guten Aussehen, vererbt durch seine Mutter, und seinem Titel, vererbt durch seinen Vater, zu verdanken. Die wenigsten Menschen kannten ihn wirklich richtig. Und nur einem Bruchteil davon vertraute er genug, um in ihrer Gegenwart er selbst zu sein. Einer dieser Menschen war Mary, seine ältere Schwester.

Thomas eilte durch das riesige Gebäude. Es war im 19. Jahrhundert errichtet worden. Unglaublich, in welchen Dimensionen hier damals gebaut worden war. Hohe Decken, riesige Fenster, und die Zimmer waren die reinsten Ballsäle. Alleine das Hauptbadezimmer war so groß, dass bequem drei Busse darin Platz gefunden hätten. Alles war mit Stuck verziert, und prunkvolle Kronleuchter hingen von der Decke, edle Vorhänge an den Fenstern. Alles in allem wirkte das Anwesen genauso, wie es auch gedacht war. Es war ein Schloss, einer Prinzessin würdig. Denn genau das war seine Schwester. Eine Prinzessin. Die Kronprinzessin von Meldrina, um genau zu sein. Meldrina war ein kleiner Inselstaat vor der Küste Frankreichs. Direkt vor der Bretagne und fast so groß wie Irland, jedoch mit ein paar Tausend Einwohnern mehr. Meldrina war mit seinen steilen Felswänden an der Westküste und saftigen Wildblumenwiesen an der östlichen Seite vor allem bei Wanderern ein beliebtes Urlaubsland. Wie in einigen Staaten in Europa herrschte auch in Meldrina noch die Staatsform der Monarchie. Doch im Gegensatz zu anderen Königshäusern hatte Meldrina schon vor Jahrzehnten die übliche männliche Thronfolge geändert, damit auch die weiblichen Nachkommen berücksichtigt wurden. Deshalb war statt Thomas, dem ersten männlichen Nachkommen, seine ältere Schwester die Thronfolgerin.

Thomas eilte weiter durch den Salon, ohne den ganzen Prunk zu beachten. Er war damit aufgewachsen. Durch zwei breite Flügeltüren trat er auf die großzügige Terrasse. Seine Schwester saß auf einer Poolliege und schaute kurz auf, als sie Thomas bemerkte. Mary war das weibliche Pendant zu Thomas. Sie trug ihr braunes Haar in langen Wellen, und ihre Augen schützte sie mit einer Sonnenbrille. Melanie hatte versucht schneller bei Mary zu sein, um ihn anzukündigen, hatte es aber nicht geschafft.

»Erster!«, grinste Thomas schalkhaft.

»Ich …« Melanie stotterte wieder.

»Danke, Melanie!«, antwortete Mary. Dabei sah sie jedoch Thomas tadelnd an.

»Hallo, Thomas. Möchtest du etwas trinken?«

»Ja, gerne. Eine Cola bitte!«, antwortete Thomas und setzte sich auf die zweite Poolliege. Melanie eilte davon.

»Thomas, lass das!«

»Was?«, fragte er unschuldig.

»Du bringst Melanie jedes Mal durcheinander.«

»Ich hab nur einen kleinen Scherz gemacht.«

»Ich kann ja Großmutter mal davon erzählen«, erwiderte Mary. Thomas kniff die Augen zusammen, versuchte herauszufinden, ob seine Schwester nur bluffte. Schließlich beschloss er, lieber kein Risiko einzugehen.

»Okay. Ich bin ja schon brav.«

Und tatsächlich, als Melanie ihm sein Getränk brachte, war er die Höflichkeit in Person.

»Los, erzähl mal. Wie war es in Afrika?«, fragte Mary, als Melanie wieder fort war.

»Heiß. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie heiß es dort ist. Ich glaube, ich habe alleine durchs Schwitzen 15 Kilo abgenommen«, erzählte Thomas. Mary lachte auf.

»Du armer Kerl. Du siehst auch total unterernährt aus.«

Thomas schmunzelte. Er mochte Marys Lachen. Es klang genau wie das ihrer Mutter. Dann wurde er wieder ernst.

»Die Menschen dort waren sehr nett. Sie sind sehr offen. Und so gastfreundlich. Viele leben in schrecklicher Armut. Und dennoch wollten sie mit mir ihr Essen teilen. Aber sie sind auch sehr stolz. Sie wollen kein Geld geschenkt bekommen. Sie möchten dafür arbeiten. Selbst Kleiderspenden nehmen sie nicht umsonst an. Sie bezahlen dafür, auch wenn es nur ein minimaler Betrag ist. Ich war wirklich überwältigt.« Thomas unterbrach sich und nahm einen Schluck Cola.

»Manchmal beneide ich dich«, sagte Mary. »All die Länder und die vielen Menschen, die du kennenlernst.«

»Ja, es ist ein Segen und ein Fluch. Als hättest du ein schweres Leben. Hier faul in der Sonne liegen und den Kindern beim Baden zusehen«, neckte Thomas seine Schwester.

»Hey! Faul?«, rief Mary empört. Thomas sah zum ersten Mal zu seinem Neffen und seiner Nichte. Sie planschten im Pool in einiger Entfernung. Und deshalb fiel sie ihm erst jetzt auf. Es traf ihn mit voller Wucht in den Magen.

»Thomas!« Mary stupste ihn an.

»Wer ist das?«, fragte er, ohne die Augen abzuwenden. Mary folgte seinem Blick.

»Das ist Anna. Unser neues Kindermädchen.«

»Anna«, murmelte Thomas. Neben seinem vierjährigen Neffen Nick stand eine junge Frau hüfttief im Wasser. Sie trug einen schlichten schwarzen Badeanzug und hielt eine Hand auf Nicks Rücken. Die andere hatte sie unter seinem Bauch. Sie brachte ihm offensichtlich Schwimmen bei. Mary betrachtete argwöhnisch ihren Bruder.

»Thomas. Nein! Oh nein!«, sagte Mary warnend und legte ihre Hand auf seinen Arm.

»Was?« Thomas zwang sich, Mary anzusehen.

»Anna ist unser Kindermädchen. Und sie ist gut! Lass sie in Ruhe ihre Arbeit machen«, sprach Mary eindringlich. Thomas sah wieder zurück zum Pool. Er beobachtete, wie Anna sich zur Seite drehte und seiner achtjährigen Nichte Susie etwas zurief.

»Anna«, hauchte Thomas unhörbar.

»Sie ist hübsch«, fuhr er etwas lauter fort, immer noch Anna betrachtend. Sie hatte dunkle, kinnlange, von der Nässe glänzende Haare. Was ihm aber am meisten gefiel, war ihr herzförmiges Gesicht und der Ausdruck darin. Die Arbeit machte ihr Spaß. Das war wahre Schönheit. Er konnte kaum die Augen von ihr lassen.

»Ich weiß. Ehrlich, Thomas. Ich kenne diesen Blick. Wie du sie ansiehst. Mach dich nicht selbst unglücklich.«

Thomas seufzte und nickte ergeben.

»Schon gut.« Er grinste. »Schauen wird ja wohl noch erlaubt sein.«

Er nahm sein Glas, und trank den Rest in einem Zug aus.

Eine halbe Stunde später rief Anna die Kinder aus dem Pool und trocknete sie notdürftig ab. Denn schon liefen die beiden zu ihrem Onkel und sprangen ihm nass auf den Schoß.

»Onkel Thomas.« Susie schlang ihre Arme um seinen Hals.

»Ah!«, schrie der auf. »Ihr macht mich ganz nass.«

Aber er schob nur halbherzig seine Nichte und seinen Neffen von sich. Mary lächelte, ehe sie aufstand und ihre Kinder von ihrem Bruder wegzog. Sie setzten sich neben Thomas und sahen ihn erwartungsvoll an.

»Hast du uns etwas mitgebracht?«, fragten sie ihn. Thomas grinste. Dann griff er in seine Hosentasche und zog zwei Armbänder heraus. Sie waren aus Holzperlen in den verschiedensten Farben. Die Augen beider Kinder leuchteten.

»Danke«, sagten sie höflich, als sie sich die Armbänder überstreiften. Anna hatte in respektvollem Abstand gewartet, als Mary sie zu sich winkte.

»Anna, ich möchte dir meinen Bruder vorstellen«, sagte Mary. Ehe Mary jedoch seinen offiziellen Namen und Titel nennen konnte, sprang er auf und sprach schnell:

»Thomas!«

Mary runzelte missbilligend die Stirn.

»Sir. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.« Anna deutete einen Knicks an. Und Thomas schmunzelte über ihre Unbeholfenheit. Es war ihr deutlich anzusehen, wie unangenehm es ihr war, nur im Badeanzug vor dem Prinzen zu stehen. Nun konnte er sie sich genauer ansehen. Sie hatte braune Augen, darunter ein paar vereinzelte Sommersprossen. Ihr Mund war klein, mit schmalen Lippen. Ihr Haar glänzte feucht und leuchtete im Sonnenlicht rotbraun. Er schätzte sie auf Anfang zwanzig.

»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte er und musste sich zurückhalten, um seinen Blick nicht über ihren Körper streifen zu lassen. Thomas merkte, dass sie ihre Hand zurückziehen wollte. Unwillig ließ er sie frei.

»Bitte entschuldigen Sie mich«, sagte Anna verlegen und drehte sich leicht weg.

»Natürlich Anna«, antwortete Mary. Anna lief schnell mit den Kindern ins Haus. Thomas sah ihr hinterher.

»Ich warne dich, Thomas«, ermahnte ihn Mary erneut. Sie stand auf.

»Willst du eine Runde schwimmen?«, fragte sie ihren Bruder.

»Da sag ich bestimmt nicht Nein.«

»Im Poolhaus liegen Badeshorts!« Sie wies auf das Gebäude seitlich des Pools, dann wandte sie sich ab und ging ihren Kindern hinterher.

Thomas sprang in das angenehm kühle Wasser und zog gleich eine Bahn durch. Zügig schwamm er noch ein paar weitere Minuten, ehe er sich an den Rand des Beckens lehnte. Er strich die feuchten Haare aus dem Gesicht und legte seinen Kopf nach hinten. Er genoss mit geschlossenen Augen die Wärme auf seinem Gesicht, als er auf ein paar entfernte Stimmen aufmerksam wurde. Thomas drehte sich um, legte seine Arme auf den Beckenrand und stützte sein Kinn darauf. Dann entdeckte er seine Schwester, Susie, Nick und Anna. Alle vier saßen am Tisch auf der riesigen Terrasse vor den bodentiefen Fenstern, die in den großen Salon führten. Die Sonne stand schon etwas tiefer, weshalb die Bäume am Rand des Gartens der kleinen Gruppe etwas Schatten spendeten. Sie beschäftigten sich wohl gerade mit Susies Hausaufgaben, während Nick mit seinen Spielfiguren spielte. Thomas beobachtete Anna, inzwischen in dunklen Jeans und weißer, kurzärmeliger Bluse, wie sie Susie etwas erklärte und immer wieder lächelte. Unwillkürlich lächelte er jedes Mal mit. Er sah, wie Susie Anna ansah, und erkannte, dass seine Nichte ihr Kindermädchen sehr gern hatte. Sie bewunderte es geradezu.

Nach ein paar Minuten gähnte Thomas und zog sich dann aus dem Becken. Er musste langsam los, wenn er nicht zu spät zu seiner Großmutter kommen wollte. Außerdem war Mary gerade ins Haus gegangen. Das wollte er ausnutzen. Nur in Badeshorts spazierte Thomas unbemerkt zur Terrasse und stellte sich neben den Tisch. Am liebsten hätte er sich geschüttelt, aber dann wären Susies Hausaufgaben gesprenkelt gewesen.

»Na, soll ich mich jetzt mal auf euren Schoß setzen?«, fragte er Susie und Nick und grinste schelmisch. Wasser tropfte ihm ins Gesicht.

»Nein!«, brüllten beide lachend los.

Anna schaute auf, und ihre Augen weiteten sich ganz kurz, als sie Thomas sah. Schnell senkte sie wieder den Blick. Aber das hatte Thomas gereicht. Ganz offensichtlich, hatte ihr gefallen, was sie gesehen hatte.

»Thomas!« Mary stand in der Terrassentür. Sie hatte missbilligend die Augenbrauen hochgezogen. Thomas’ selbstsicheres Lächeln zerfiel. Marys Gesicht nach zu urteilen, war ihr vollkommen bewusst, was ihr Bruder damit bezwecken wollte. Er wollte Anna beeindrucken.

»Die Handtücher sind im Poolhaus«, wies sie ihn an. Und ihr Tonfall machte klar, dass es nun besser war, sich zurückzuziehen. Beim Weggehen konnte er noch einen schnellen Blick auf Anna werfen und entdeckte, dass sie ein ganz kleines Grinsen auf den Lippen hatte. Er freute sich jetzt schon darauf, sie in Zukunft öfter zu sehen. Und vielleicht würde er es auch einmal schaffen, mit ihr zu sprechen, ohne dass Mary ihn zurückpfiff.

Kapitel 2

Nach dem Besuch bei Mary war Thomas zeitlich sehr knapp im Palast angekommen. Hastig eilte er über die breiten Flure und Treppen, achtete nicht auf die imposanten Wandteppiche und zahlreichen Gemälde. Er ignorierte die Gardisten und das Hauspersonal, die ihm auf seinem Weg durch das Schloss begegneten. Auf dem dunklen Parkettboden erklang jeder seiner Schritte laut und hallte an den Wänden wider. Schließlich hatte er seine Wohnung im Westflügel erreicht. Früher hatte er nur ein Zimmer und ein Bad für sich alleine gehabt. Es hatte ihn viele Diskussionen gekostet, bis seine Großmutter damit einverstanden gewesen war, dass er sich in diesem Teil des Schlosses eine eigene Wohnung einrichten durfte. Nun hatte er hier drei Räume, ein großes Bad und eine Küche für sich alleine. Auch eine Dachterrasse gehörte dazu. Es war sein Rückzugsort. Hier war er ganz für sich.

Thomas betrat das größte Zimmer seiner Wohnung, das Wohnzimmer. Das Ambiente unterschied sich gänzlich vom restlichen Schloss, welches sehr traditionell eingerichtet war. Thomas war da moderner. Hohe hellblaue Wände und bodentiefe Fenster. In der Mitte stand ein niedriges braunes Sofa, davor ein schwarzer Couchtisch mit einer Glasplatte. Eine Trennwand, an der ein riesiger Fernseher hing, verbarg den Blick zum Schlafzimmer. Thomas streifte seine braune Lederjacke ab, kam um die Zwischenwand herum und öffnete die breiten Flügeltüren zum Schlafzimmer.

Er legte die Jacke auf sein großes Bett, welches den ganzen Raum zu beherrschen schien. Unzählige Kissen waren auf dem Bett drapiert. Die meisten davon flogen jedoch im Laufe einer Nacht auf den Boden. Dafür hatte Thomas einfach einen zu lebhaften Schlaf. Es roch nach frischer Bettwäsche, wahrscheinlich war sein Bett am Morgen für seine Rückkehr neu bezogen worden. Das Abendlicht malte mit den Sprossen der breiten Fensterfronten ein Schattengitter auf den beigen Teppich.

Thomas betrat den angrenzenden Raum. Sein Ankleidezimmer. An zwei Wänden waren Schrank und Regalelemente eingebaut worden, die nun seine zahlreichen Kleidungsstücke beherbergten. Von Jeans und Shirts über etliche Anzüge bis hin zur Unterwäsche hatte Thomas von allem mehr als genug. Er nahm sich wahllos ein Hemd aus dem Schrank und zog sich rasch um. Mit zwei Krawatten stellte er sich vor einen großen Spiegel und hielt beide abwechselnd an seinen Kragen. Skeptisch betrachtete er sich und wägte zwischen der burgunderroten und der royalblauen mit feinen grauen Streifen ab. Schließlich entschied er sich für den gestreiften Schlips und band ihn sich rasch um. Jetzt noch schnell die Haare geordnet, dann war er wieder vorzeigbar.

Seine Großmutter Margarete erwartete ihn im kleinen Speisezimmer. Und klein bedeutete eigentlich nur, dass er nicht so groß war wie der Speisesaal. Dennoch war der Raum recht weitläufig. Thomas mochte das Speisezimmer nicht sehr, es war ihm zu dunkel. Tiefblaue Wände mit goldenem Muster im Stil der Fleur de Lis. Schwere Vorhänge verhüllten nun die Fenster, und die Kristalle am Kronleuchter leuchteten bernsteinfarben auf. Der Tisch war gedeckt mit feinem Porzellan. Margarete saß bereits an ihrem Platz und ließ sich von einem Butler Weißwein einschenken. Sie war schlank, groß, und hatte grau melierte Haare, die in einem recht modischen Garconschnitt frisiert waren. Sie trug ein mintfarbenes Etuikleid, passenden Schmuck und ihre Brosche, die sie vor Jahrzehnten von ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann geschenkt bekommen hatte. Als Thomas näher trat, hob sie den Kopf.

»Thomas. Schön, dass du wieder da bist«, begrüßte Margarete ihren Enkel. Sie lächelte leicht, und ihr Blick wanderte kurz über sein Erscheinungsbild. Auch wenn Thomas recht rebellisch erschien, so nahmen seine Großmutter und ihre Meinung einen hohen Stellenwert in seinem Leben ein. Wenn er an seine Kindheit dachte, so kam Margarete nur selten vor. Er war auf einem großen Anwesen außerhalb von Terosa aufgewachsen, so wie sich Mary mit ihrer Familie einen Rückzugsort außerhalb der Hauptstadt und des Palastes gesucht hat. Thomas hatte seine Großmutter nie als eine typische Oma kennengelernt. Sie war ihm gegenüber immer recht distanziert gewesen. Ihm war klar, dass sie aus einer anderen Generation von Adligen kam. Einer Generation, in der man seine Kinder von Kindermädchen großziehen ließ.

Erst seine Mutter Elizabeth hatte mit dieser Tradition gebrochen und nur wenig Hilfe von einer Nanny angenommen. Elizabeth war immer sehr darauf bedacht gewesen, Mary und Thomas eine möglichst normale Kindheit zu bieten. Margarete hatte er nur selten gesehen und dann meist nur zu offiziellen Anlässen. Thomas hatte diese Termine gehasst. Stets hatte er sich dabei an das Hofzeremoniell halten müssen. Und noch heute merkte er, dass dieser unbewusste Druck weiterhin auf ihm lastete. Immer hatte er das Gefühl, ihren prüfenden Blick auf sich zu spüren, und vor allem, ihm gerecht werden zu müssen. So wie in diesem Moment. Sie nickte kaum merklich und bedeutete Thomas, Platz zu nehmen. Obwohl er über ihre stumme Zustimmung irgendwie erleichtert war, ärgerte er sich zugleich darüber, dass sie einen solchen Einfluss auf ihn ausübte. Thomas setzte sich.

»Hallo, Grandma«, grüßte er sie. Der Butler zeigte ihm die Weinflasche und goss, auf Thomas’ Nicken hin, die fast klare Flüssigkeit in dessen Weinglas.

»Es war sehr ruhig hier, während du weg warst«, fuhr Margarete fort, und Thomas wusste nicht, ob sie sich über die Ruhe freute oder es bedauerte. Aber er weigerte sich, danach zu fragen.

»Feldsalat auf Roter Bete Carpaccio mit Kürbiskernkrokant«, kündigte der Butler an, und beide bekamen einen Salatteller vorgesetzt. Margarete nahm ihr Besteck und begann zu essen.

»Nun, dann berichte mal, wie es dir ergangen ist.« Margarete blickte ihn auffordernd an. Thomas aß von seinem Salat. Er schindete Zeit, suchte nach den richtigen Worten.

»Mir ist es gut ergangen.« Er antwortete nichtssagend. Auf keinen Fall wollte er zugeben, dass seine Reise sehr interessant gewesen war. Er hatte viele unterschiedliche Menschen kennengelernt und faszinierende Orte gesehen. Hatte sich mit Staatsoberhäuptern und Stammeshäuptlingen getroffen und diplomatische Brücken gebaut. Dennoch hatte er nicht vergessen, dass diese lange Tour durch die verschiedenen Länder Beschäftigungsmaßnahme und Strafe zugleich gewesen war.

Als Thomas’ Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen, war er erst sechzehn Jahre alt gewesen. Mary war zwölf Jahre älter als er und zu diesem Zeitpunkt bereits verheiratet. Und so wurde damals gegen seinen Willen entschieden, dass er zu seiner Großmutter in den Palast ziehen würde. Es war damals eine schwere Zeit für ihn gewesen. Er war ein trauernder Waise, seine Schwester nicht greifbar, und er lebte mit einer Frau zusammen, die er nur als Patriarchin kannte. Thomas begann zu rebellieren, verstieß gegen Regeln, kämpfte gegen die Fesseln der Monarchie. Er testete seine Grenzen aus und war doch nie den einen Schritt zu weit gegangen. Letztendlich hatte er immer gewusst, wo sein Platz war. Dies dachte er zumindest. Margarete betrachtete ihn mit einem intensiven Blick.

»Wirst du mich nun immer fortschicken, wenn ich mir einen kleinen Fehltritt erlaube?«, fragte Thomas, ohne sie anzusehen. Er nahm einen großen Schluck Wein.

»Ich wollte dich nur aus der Schusslinie der Presse holen«, antwortete sie. Thomas setzte zu einer Antwort an, doch sie fuhr einfach fort. »Und einen kleinen Fehltritt würde ich das nicht nennen.« Sie hob mahnend ihre Augenbrauen. Thomas presste die Lippen zusammen.

»Es war nur eine Party«, sagte er schließlich doch.

»Eine Party mit Drogen und Frauen. Sehr freizügigen Frauen.« Ihre Stimme hatte einen scharfen Ton angenommen. »Und mittendrin der Bruder der Kronprinzessin.«

Thomas atmete tief ein. Das tat Margarete oft. Sie versuchte ihm wegen Mary ein schlechtes Gewissen zu machen. Er schwieg. Dieses Gespräch war eine Wiederholung ihres letzten Gespräches vor seiner Abreise. Es würde zu nichts führen. Thomas hatte noch nie erlebt, dass seine Großmutter ihre Meinung änderte, wenn sie sich einmal dermaßen festgelegt hatte. Sie beendeten die Vorspeise, und fast lautlos wurden die Teller abgeräumt.

»Schweinefilet in Sherrysoße mit Buttermöhren und Tagliatelle«, kündigte der Butler den nächsten Gang an. Er servierte und verschwand dann wieder diskret im Nebenraum.

»Ich hatte so sehr gehofft, dass die Armee dich etwas ruhiger gemacht hätte.« Margarete seufzte theatralisch, und Thomas musste sich ein Augenrollen verkneifen. Er war 21 Jahre alt gewesen, als er sich für eine militärische Laufbahn entschied. Die Königin war mehr als einverstanden damit gewesen. Und Thomas war gerne bei der Armee. Er mochte die Kameradschaft. Dass er ein Soldat unter vielen war. Dass er nicht im Schloss lebte. Doch das Beste war seine Flugausbildung. Seit zwei Jahren hatte er den Flugschein. Er liebte es, durch die Lüfte zu schweben. Hier hatte er die volle Kontrolle, nur er alleine bestimmte über sich, die Maschine und sein Ziel. Leider orderte Margarete ihn seit ein paar Monaten immer öfter zurück an den Hof. Verlangte von ihm, dass er seine prinzlichen Pflichten erfüllte. Immer öfter erwähnte sie, dass es wichtig sei, ein Vorbild für das Volk zu sein, zu heiraten, eine Familie zu gründen. Sie schob Mary vor, die all dies so mustergültig erfüllt hatte.

»Es tut mir leid, dich immer wieder zu enttäuschen, Grandma«, murmelte er sarkastisch. Hoffentlich war dieses Essen bald zu Ende. Er ahnte schon, welche Richtung dieses Gespräch nehmen würde. Margarete ignorierte diesen Einwand und wechselte stattdessen das Thema.

»Nächste Woche besucht uns Lord Parrish mit seiner Familie.«

Thomas seufzte hörbar. Stur aß er weiter und ging nicht darauf ein. Sie würde diese Unterhaltung auch alleine bestreiten.

»Seine Tochter Theresa kennst du doch?«, fuhr Margarete fort. Und da war auch schon Grandmas neustes Lieblingsthema. Seit Thomas vor ein paar Monaten 25 Jahre alt geworden war, kam das Thema Heirat immer wieder zur Sprache. Tatsächlich kannte er Theresa. Sie war im selben Alter, hatte blonde Haare, blaue Augen. Eigentlich war sie hübsch und ganz sympathisch. Aber sie reizte ihn überhaupt nicht.

»Ja, kenne ich und interessiert mich nicht«, antwortete er barsch. Theresa konnte sich Margarete sofort wieder aus dem Kopf schlagen. Die Tochter des Lords war ganz und gar nicht sein Typ. Obwohl Thomas zugeben musste, dass er sich bisher nicht wirklich auf einen Typ Frau festgelegt hatte. Und doch kamen ihm dieses Mal sofort rotbraune Haare und rehbraune Augen in den Sinn. Er dachte an das hübsche Kindermädchen im Dienste seiner Schwester. Erinnerte sich an ihr kleines Grinsen, als er nur in Shorts vor ihr stand. Ja, sie wäre sein Typ.

»Vielleicht lernst du sie mal näher kennen«, meinte Margarete zwischen zwei Bissen. Thomas schaute auf. Wen? Anna? Einen kurzen Moment lang wusste er nicht, wen sie meinte. Rasch erinnerte er sich an ihr Gespräch. Sie sprach von Theresa.

»Das möchte ich aber gar nicht. Ich will selbst entscheiden, wen ich kennenlerne«, entgegnete er barsch, und er wusste auch schon genau, wen er kennenlernen wollte

»Thomas.« Wieder wurde ihr Ton leiser, warnender. »Es spricht nichts dagegen. Solange du dir immer bewusst bist, welchen Stand du einnimmst. Die zukünftige Schwägerin der Königin sollte standesgemäß sein.«

Thomas schüttelte den Kopf. Schon wieder schob sie Mary vor. Diese Predigt bekam er nun schon zum hundertsten Male. Hauptsache standesgemäß. Das war seiner Großmutter am wichtigsten.

»Unser Königshaus ist das letzte in Europa …«, begann Margarete.

»Ohne bürgerliche Heirat«, fuhr er genervt fort. Thomas schob seinen Teller weg, er war noch nicht fertig und eigentlich auch noch nicht satt. Aber der Appetit war ihm vergangen.

»Und was wäre so schlecht daran?«, fragte er provozierend. Margarete schürzte die Lippen.

»Bürgerlichkeit führt zu einer Lockerung der Traditionen. Und für die Monarchie sind Traditionen wichtig. Was ist so schlecht an Traditionen?«, warf sie ihm seine eigenen Worte zurück.

»Sie engen ein«, kam es wie aus der Pistole geschossen. Margarete zögerte ein paar Sekunden, musterte aufmerksam ihren Enkel. Auch sie schob ihren Teller weg.

»Deiner Schwester hat es nicht geschadet. Marcus war eine gute Wahl.«

Thomas schwieg. Da konnte er nichts entgegnen. Mary und Marcus liebten sich tatsächlich, und ihre Ehe war zwar arrangiert, aber glücklich.

»Und deine Eltern? Auch sie waren glücklich zusammen gewesen«, zählte Margarete weiter auf. Thomas runzelte unwillig die Stirn. Auch das stimmte. Obwohl er wusste, dass Margarete seine Mutter nur schwer akzeptiert hatte. Sie war für die Königin die letzte Wahl unter vielen gewesen. Für seinen Vater allerdings die erste.

»Ich will selbst wählen«, sagte er fest entschlossen.

»Das darfst du auch«, stimmte Margarete zu. »Innerhalb der Regeln.«

»Heißt das, ich darf noch nicht mal jemanden kennenlernen, der nicht standesgemäß ist?«, fragte Thomas und dachte schon wieder an Anna.

»Das wäre vergebene Liebesmüh. Du bist Prinz und trägst Verantwortung.« Margaretes Stimmung kippte. Thomas sah es ihr an.

»Und wenn ich es doch einfach mache? Schickst du mich dann wieder weg?«

»Thomas, ich diskutiere nicht mehr mit dir. Du kennst meinen Standpunkt und wirst dich daran halten.« Margarete warf ihm einen wütenden Blick zu. Wahrscheinlich dachte sie gerade, warum er nicht mehr wie Mary war. Thomas hielt ihrem Blick stand. Dann erhob er sich und warf die Serviette auf den Tisch.

»Dann wäre ja alles besprochen. Vielen Dank für das herzliche Willkommen.«, Er funkelte sie nochmals wütend an, ehe er zur Tür marschierte.

»Thomas«, sagte Margarete. Er lief ein paar Schritte weiter. Wollte sich verweigern, alleine schon deshalb, weil sie ihm den Abgang ruiniert hatte. Aber sie war die Königin und war es gewohnt, das letzte Wort zu haben.

»Thomas!«, kam nun der scharfe Befehlston. Thomas blieb stehen, drehte sich aber nicht um. »Es gibt noch Dessert. Creme Brulee, die magst du doch so gerne«, fuhr Margarete fort.

Es war ihre Art, ihm ein Friedensangebot zu machen. Aber er war viel zu aufgebracht. Heute hatte er eine Frau getroffen, die er wenigstens näher kennenlernen möchte. Und ohne es zu wollen, hatte er begonnen, mit seiner Großmutter darum zu ringen.

»Ich habe keinen Appetit mehr.« Er ging weiter und hatte die Hand schon auf der Türklinke.

»Thomas, ich habe mich wirklich gefreut, dass du wieder da bist«, sagte Margarete in versöhnlicherem Ton. Thomas drehte sich schließlich doch um und warf ihr einen müden Blick zu.

»Ich war heute lange unterwegs. Gute Nacht, Grandma!«

»Gute Nacht, Thomas!« Sie nickte und entließ ihn.

Kapitel 3

31. August 2007

In den Tagen und Wochen nach seinem Afrika-Aufenthalt hatte Thomas immer wieder Gründe gefunden, um bei Mary vorbeizuschauen. Nicht immer hatte er dabei Anna gesehen. Aber jedes Mal wenn er sie traf, hatte er sich besser gefühlt. Es kribbelte ihm in den Fingern, mit ihr zu flirten. Egal, ob Grandma es guthieß oder nicht. Es fiel ihm von Mal zu Mal schwerer, sich unter Kontrolle zu halten. Anna jedoch hielt sich stets respektvoll zurück. Thomas war vollkommen klar, dass er dabei war, sich in Anna zu verlieben. Und das, obwohl er kaum ein Wort mit ihr sprach. Er musste sie nur ansehen und wusste, dass er sie wollte. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas so sehr gewollt wie sie. Er fragte sich immer wieder, ob es nicht einfach nur daran lag, dass er sie nicht haben durfte. Ständig ging sie ihm durch den Kopf. Ihre Augen, ihr Lächeln. Er dachte daran, dass er Anna eigentlich nicht mögen durfte, da seine Großmutter dies unter keinen Umständen tolerieren würde. Sie hatte ihren Standpunkt mehr als einmal klargestellt. Auch seine Stellung als Prinz beschäftigte ihn sehr. Schon von klein auf war sein Leben vorbestimmt gewesen. Und in diesem Leben war kein Platz für eine Frau wie Anna. Er hatte schon einige Frauen kennengelernt und manche davon auch näher. Aber dieses Mal war es anders. Er konnte nicht mal sagen, was es war. Nur, dass er Anna immer wieder sehen wollte. Dass er in ihrer Nähe sein wollte, selbst wenn sie nicht miteinander sprachen. Einfach nur zu wissen, dass sie anwesend war, war schon genug. Nie zuvor hatte eine Frau seine Gedanken dermaßen beherrscht. Aber die Anweisung seiner Großmutter war eindeutig. Eine Beziehung zu Anna wäre vergebene Liebesmüh. Im wahrsten Sinne des Wortes. Grandma würde einer solchen Verbindung niemals zustimmen.

Als schließlich Thomas’ Cousin Dave ihn eines Tages anrief, um ihn zu einer Party zu sich einzuladen, nahm Thomas dankbar an. Er musste mal wieder auf andere Gedanken kommen.

»Hey, Thomas, darf ich dir jemanden vorstellen?« Dave schlug Thomas so heftig auf die Schulter, dass er sein Bier verschüttete. Dave war in Thomas’ Alter und hatte wie Thomas kurze braune Haare. Seine grünen Augen funkelten verwegen. Er hatte eine junge Frau im Arm. Sie war wunderschön, hatte lange braune Haare, ebenfalls grüne Augen und ein bezauberndes Lächeln. Thomas vermutete sofort eine Schauspielerin. Dave war ebenfalls Schauspieler. Die Königin war darüber nicht gerade begeistert, aber da Dave nur ein Cousin zweiten Grades war, tolerierte sie es. Über Dave hatte Thomas schon einige prominente Frauen kennengelernt, und die Freude darüber war stets auf beiden Seiten gewesen.

»Das ist Becca Riley«, stellte Dave sie vor. Becca lächelte noch breiter. Sie ließ ihren abschätzenden Blick an Thomas herabgleiten. Ganz offensichtlich war ihr völlig bewusst, wen sie da vor sich hatte. Den begehrtesten Junggesellen des Landes. Und Thomas erwiderte ihr Lächeln. Dies war genau die Zerstreuung, die er sich von dieser Party erhofft hatte.

Eine Stunde später tanzte Thomas immer noch mit Becca, die sich zum schnellen Rhythmus der Partymusik förmlich an ihm rieb. Thomas stieg bereits das viele Bier zu Kopf und ließ ihn ebenfalls ausgelassen mittanzen. Becca drehte sich mit dem Rücken zu ihm, wandte ihren Kopf und lächelte ihn über die Schulter verführerisch an. Thomas schlang die Arme um ihre Mitte, und sie lachte auf. Ihre Haare flogen ihm ins Gesicht, und kurz dachte er, sie wären rötlich. Thomas blinzelte und erkannte, dass es wohl nur am flackernden Licht der Diskokugel über ihnen gelegen haben musste. Dave stand am DJ-Pult und führte ein angeregtes Gespräch mit dem DJ. Er warf Thomas einen vielsagenden Blick zu und hielt dann seinen Daumen hoch.

Becca drehte sich wieder zu ihm, schaute ihn unter ihren langen Wimpern verführerisch an. Und küsste ihn dann. Thomas erwiderte den Kuss, doch dann blitzten braune Augen und Sommersprossen vor seinem inneren Auge auf. Schlagartig riss er die Augen auf, stieß Becca fast von sich. Sie runzelte die Stirn.

»Was ist los?«, fragte sie laut, um die Musik zu übertönen.

»Es tut mir leid«, antwortete Thomas und betrachtete Becca nachdenklich. Sie war die schönste Frau auf dieser Party. Und das mit Abstand. Er beugte sich zu ihr und küsste sie erneut. Und dann erkannte er, was nicht stimmte. Becca hatte ein zu hübsches Gesicht. Ihre Lippen waren zu voll. Ihre Nase zu gerade. Ihre Haut zu makellos. Thomas brach ab.

»Es tut mir wirklich leid«, sagte er erneut und ließ dann Becca mitten in der Tanzmenge stehen.

»Hey, Thomas. Warte mal.« Dave hetzte ihm hinterher. Thomas war schon fast an seinem Wagen. Finn, der junge Sicherheitsoffizier, der erst vor einem Monat in den Dienst der königlichen Familie gestellt worden war, stand schon neben der Wagentür. Seine dunkelblonden Haare waren sehr kurz geschnitten, seine hellblauen Augen immer wachsam. Thomas blieb nicht stehen, bis er bei Finn angekommen war.

»Was ist los?«, wollte Dave verwirrt wissen. Thomas rieb sich das Gesicht, als wollte er die Küsse wegwischen.

»Es ist nichts«, antwortete Thomas müde. Dave betrachtete ihn argwöhnisch.

»Ja, ganz bestimmt«, meinte Dave, »Und du glaubst wirklich, dass ich dir das abnehme?«

Dave zog sichtlich verärgert die Augenbrauen zusammen. Doch wie sollte Thomas ihm erklären, was los war, wenn er es doch selbst kaum verstand. Wieso ging Anna ihm nicht mehr aus dem Kopf? Er konnte doch nicht zulassen, dass ausgerechnet ein Kindermädchen ihn so im Griff hatte. Und das, ohne es zu wissen. Anna hatte keine Ahnung, welche Wirkung sie auf ihn hatte. Thomas war sich bewusst, dass er Anna eigentlich nicht kannte und sehr wahrscheinlich nur deshalb begehrte, weil sie für ihn verboten war. Verbotene Früchte schmecken eben süßer. Diese alberne Schwärmerei musste ein Ende haben. Er wollte sein altes Leben wiederhaben.

»Grandma«, sagte Thomas schließlich, denn Dave würde nicht eher Ruhe geben, bis er einen Grund für Thomas’ verändertes Verhalten hatte. »Ständig liegt sie mir in den Ohren, dass ich eine Frau finden soll. Heiraten, der ganze Kram.«

Dave musterte ihn noch ein paar Sekunden. Dann schien er Thomas zu glauben.

»Und das belastet dich so sehr, dass du nicht mehr feiern kannst?«, hakte er dann doch nach. Thomas seufzte tief.

»Dave, die letzten Wochen waren wirklich anstrengend. Lass mir einfach eine Pause«, murmelte er, und fühlte sich tatsächlich erschöpft. Dave nickte.

»Okay. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sagst du Bescheid, klar?« Dave klopfte Thomas auf die Schulter. Schaff diese braunen Augen, diese roten Lippen aus meinem Kopf, bat Thomas in Gedanken.

»Klar«, antwortete er stattdessen. Er winkte Dave noch kurz zu, und ließ sich dann von Finn die Wagentür öffnen. Auf der Fahrt zurück zum Schloss, dachte Thomas über den Abend nach. Er wollte sich nicht einer Schwärmerei hingeben. Die Frauen liefen ihm nach, nicht andersrum. Es konnte doch nicht sein, dass Anna seine Gedanken, sein Leben so beherrschte. Er musste dies dringend in den Griff bekommen.

29. September 2007

Als ihn seine Großmutter nur eine Woche nach der Party mit einem Staatsbesuch in Australien beauftragte, nahm Thomas diesen zum ersten Mal gerne an. Vielleicht käme er so auf andere Gedanken. Erst gestern war er zurückgekommen. Und fühlte sich nun gewappnet für Anna. Die Hitze war verflogen, und es fegte nur noch ein lauwarmer Wind über die Felder. Der Herbst hielt langsam Einzug, die Blätter verfärbten sich gelb. Thomas stieg die Treppe zu Marys Villa hinauf. Melanie öffnete ihm, lächelte ihn schmeichlerisch an. Doch in letzter Zeit spielte er nicht mehr mit. Der Reiz daran war verflogen.

»Wo ist Mary, Melanie?«, fragte er knapp, während er das Haus betrat.

»Sie ist mit den Kindern zu dem Turnier gefahren«, antwortete Melanie perplex.

»Welches Turnier? Wann kommen sie zurück?« Thomas blieb überrascht stehen.

»Ein Reitturnier von Miss Susie. Ich weiß nicht, wann sie zurückkommen.«

Thomas überlegte. Mit den Kindern weg? Dann war Anna bestimmt mitgefahren. Und schon wieder dachte er an Anna. Er musste damit aufhören. Das war schon nicht mehr gesund.

»Ich werde auf sie warten. Bringst du mir eine Cola?«

Thomas wandte sich ab, ging zügig durch das Haus und kam schließlich im großen Salon an. Er stellte sich an die Tür, die zum Garten führte. Weiter hinten konnte er den Pool erkennen. Thomas dachte daran, wie er vor ein paar Wochen das erste Mal Anna dort gesehen hatte. Er hätte nie gedacht, dass ihm so etwas mal passieren würde. Dass eine Frau ihm so den Kopf verdrehen würde. Nur durch ihre bloße Anwesenheit. Sonst war er derjenige, der den Frauen die Köpfe verdrehte. Aber nun war er darüber hinweg. Es war nur eine kurze Schwärmerei gewesen. Nichts Weltbewegendes.

Thomas überlegte sich, ob er sich von Marcus, Marys Mann, erneut eine Badehose leihen konnte. Da sah er im Augenwinkel eine Bewegung hinter dem Pool. Zwischen den Büschen. Reflexartig drehte er den Kopf. Sein Herz setzte kurz aus.

Anna.

Sie war hier. Thomas stand der Mund offen. Ihr Haar war etwas länger gewachsen und hing ihr im Gesicht. Sie trug Jeans und T-Shirt. Reitstiefel und einen Helm in ihrer Hand. Sie wollte reiten gehen.

Und prompt hatte er wieder so ein Flattern im Magen. Impulsiv öffnete er die Tür und betrat die Terrasse. Sie hatte ihn nicht bemerkt. Und dann war sie auch schon in den rückwärtig liegenden Ställen verschwunden. Thomas bewegte sich schon, ehe er begriff, wo er hinging. Nur wenige Minuten später stand er in der Stalltür. Der Geruch von Heu und Tier stieg ihm in die Nase. Er hörte das Schnauben der Pferde und Anna, die in der Box arbeitete. Langsam schlich er sich näher.

Am Eingang der Box hing ein Schild mit der Aufschrift Sisko. Thomas kannte den Hengst. Seine Nichte Susie hatte auf dem Fjordpferd mit dem gelassenen Gemüt reiten gelernt. Thomas beobachtete Anna, wie sie sich mit routinierten, ruhigen Bewegungen um das Pferd bewegte und es sattelte. Sie murmelte leise etwas vor sich hin. Berührte immer wieder den Hengst.

»Ähm«, räusperte er sich vorsichtig. Anna erschrak und flog herum.

»Oh, Sir«, stotterte sie überrascht. Sie hatte ganz offensichtlich nicht mit ihm gerechnet. Kurz stieg ihr die Röte ins Gesicht.

»Hallo, Anna.« Zum ersten Mal sprach er sie direkt an.

»Sie sind wieder aus dem Urlaub zurück«, stellte Anna fest.

»Ja, bin ich. Sie wollen ausreiten?« Er machte ein paar Schritte auf sie zu und deutete auf das gesattelte Pferd.

»Ähm, ja.« Sie war verwirrt. Noch nie hatte er so viel mit ihr gesprochen. Er sollte sich verabschieden und wieder gehen. Und er sollte es genau jetzt tun. Stattdessen sagte sein Mund etwas völlig anderes. Er strich über den Kopf des Hengstes.

»Darf ich Sie begleiten?«, fragte Thomas, er sah sie dabei nicht an. Beiden musste klar sein, dass es sich für einen Prinzen nicht gehörte, alleine mit dem Kindermädchen auszureiten. Seine Schwester würde ihm den Kopf abreißen und zu Großvaters Jagdtrophäen in das Kaminzimmer hängen. Aber Mary war nicht hier. Und während sein Verstand betete, dass Anna ihn abwies, flehte alles andere in ihm, sie möge zustimmen. Sie antwortete nicht sofort. Thomas hatte sie in eine Zwickmühle gebracht. Denn wie sollte sie dem Prinzen das Ausreiten verbieten? Sie hätte schon die verfahrene Situation ansprechen müssen. Er war ganz schön unfair, ihr den schwarzen Finn zuzuschieben.

»Ähm. Klar. Wieso sollten Sie nicht?«, sagte Anna verlegen, und auch sie sah ihn nicht an.

Zügig machten sie die Pferde fertig. Thomas hatte sich für Attila entschieden, den feurigen Araberhengst mit dem glänzend schwarzen Fell. Schweigend ritten sie in Richtung des nahe liegenden Waldes. Im Schatten war es angenehm kühl. Nach einer Weile trabten sie nebeneinander, und Thomas begann von seinen Reisen zu erzählen. Anna hörte aufmerksam zu. Sie stellte Fragen, war wirklich interessiert an dem, was er erlebt hatte, wem er begegnet war. Sie blieb aber immer sehr höflich und respektvoll. Behielt stets den distanzierten Respekt bei, dem ihm jeder entgegenbrachte. Thomas betrachtete sie immer wieder heimlich von der Seite. Das Funkeln in ihren braunen Augen. Das kleine Schmunzeln in den Mundwinkeln. Er fand sie wunderschön.

Sie ritten über eine Stunde, und Thomas genoss jede einzelne Minute. Er fragte Anna, wie sie Kindermädchen wurde, und sie erzählte ihm von dem langen, anstrengenden Weg zur Nanny der königlichen Familie. Von der Ausbildung zur Erzieherin und der strengen Auswahl des Königshauses. Es war ungewöhnlich, einer so jungen Frau die Erziehung und Betreuung der prinzlichen Kinder anzuvertrauen. Anna hatte es einiges an Durchhaltevermögen und viel Überzeugungsarbeit bei Mary gekostet, aber schließlich waren ihre Mühen von Erfolg gekrönt gewesen. Und Thomas war seiner Schwester insgeheim sehr dankbar dafür, denn sonst hätte er Anna wohl niemals kennengelernt.

Er wollte von ihr wissen, wo sie herkam. Wo sie zur Schule gegangen war. Und sie berichtete ihm freimütig, dass sie in einem kleinen Dorf namens Nevignon vor der Hauptstadt Terosa aufgewachsen war. In einer Straße, in der es mehr Jungen gab als Mädchen. Sie konnte sehr lebendig erzählen, und ihr herzförmiges Gesicht, ihr ganzer Körper gestikulierte mit. Und er stellte sie sich dabei vor. Als Schülerin in einem kleinen Dorf, in dem jeder jeden kannte. Wie sie raufend und fußballspielend zwischen den Nachbarsjungen bestanden hatte. Thomas musste sehr über ihre Anekdoten lachen. Als Achtjährige war Anna den größten Baum im Dorf hinaufgeklettert, nur weil ein Drachen hineingeflogen war und sich kein Junge getraut hatte, so hoch hinaufzuklettern. Sie hatte den Drachen befreit, war aber dann beim Abstieg auf halber Strecke von einem Ast gefallen. Dies hatte ihr einen gebrochenen Arm, aber auch den Respekt der Nachbarskinder eingebracht. Den halben Sommer hatte sie mit einem Arm im Gips verbringen müssen.

Anna verriet ihm auch ihr liebstes Hobby, dass sie für ihr Leben gern malte. Es war ihr großer Traum irgendwann einmal davon leben zu können. Thomas hätte ihr wohl noch stundenlang zuhören können. Dennoch war ihm bewusst, dass diese gestohlene Zeit verging und sie bald wieder in die Realität zurückmussten. Langsam machten sie sich auf den Rückweg.

Der Wald war so dicht gewachsen, dass sie durch das Blätterdach nicht bemerkt hatten, wie sich der Himmel zugezogen hatte. Kaum hatten sie den Wald verlassen, prasselte schon der warme Regen auf sie herab. Im schnellen Galopp steuerten sie den Stall an. Lachend stieg Anna von ihrem Pferd und führte es in die schützende Halle. Ihre Haare tropften, ihre Wangen waren gerötet. Das Galoppieren hatte ihr sichtlich Spaß gemacht. Schnell begannen beide ihre Pferde abzutrocknen.

»Danke«, sagte Thomas zu ihr, als sie die Pferde versorgt hatten.

»Wofür?« Sie verschloss die Boxentür und drehte sich mit fragendem Blick um. Thomas war schon dicht hinter ihr gewesen. Nun trat er einen weiteren Schritt auf sie zu. Blieb sehr nah vor ihr stehen. Er konnte ihr feuchtes Haar riechen, welches jetzt dunkelbraun, fast schwarz glänzte. Thomas hätte nur die Hand heben müssen, um sie zu berühren. Ihre Wange zu streicheln, ihre Haut zu spüren.

Anna wich zögernd etwas zurück und hatte dann die Tür im Rücken. Sekundenlang starrte er ihr nur wortlos in die braunen Augen. Sie hatte so unwahrscheinlich lange Wimpern. Ihr nasses Shirt klebte an ihrer Haut. Und er war wirklich froh, dass es nicht weiß war. Er sollte gehen. Einfach weggehen. Er konnte nicht mehr klar denken. Anna fuhr sich schnell mit der Zunge über die Lippen. Thomas hob seine Hand. Langsam strich er mit den Fingerspitzen an ihrem Arm hinauf. Es war das erste Mal, dass er sie berührte. Er schluckte hart. Anna atmete schwer, mit offenem Mund. Ihre Brust hob und senkte sich. Er war ihr zu nah. Viel zu nah. Er wusste es. Thomas schloss die Augen und widerstand der Versuchung, sie zu küssen.

»Ich muss gehen«, sagte er plötzlich. Dann riss er seine Hand zurück und stürmte aus dem Stall.

Es hatte gar nichts gebracht. Da war er wochenlang fort gewesen, um von ihr loszukommen. Damit er nicht mehr an sie denken musste. Und dann war er nur ein paar Stunden zurück, und schon hatte sie ihn wieder total durcheinandergebracht. Und das auch noch völlig unwissentlich. Was sollte er nur machen? Er wollte sie, begehrte sie. Plötzlich wünschte er sich, so sehr wie noch nie, dass er kein Prinz wäre. Dann könnte er sich verlieben, in wen er wollte. Anna. Dann könnte er Anna lieben.

Zwei Stunden und drei ignorierte Anrufe seiner Schwester später ging Thomas dann doch noch ans Telefon. Er war in seiner Wohnung im Palast, und hatte sich den Whiskey aus der Bar geholt.

»Ja?«, brummte er schlecht gelaunt in den Hörer.

»Thomas?!«, sagte Mary erleichtert.

»Ja, was?«, fragte Thomas barsch.

»Was war denn heute Nachmittag hier los? Melanie wusste nur, dass du da warst, aber nicht, dass du wieder fort bist. Und du warst mit Anna ausreiten? Thomas, du hattest mir etwas versprochen«, sagte Mary erbost.

»Streng genommen habe ich gar nichts versprochen«, murmelte Thomas widerspenstig zurück. Mary schnaubte hörbar auf.

»Es tut mir leid«, lenkte er sofort ein.

»Ich weiß, ich weiß«, gab Mary seufzend zurück. Sie war ihm schon gar nicht mehr böse.

»Geht es dir gut?«, fragte sie nach einer kurzen Pause.

»Ja, warum?«

»Du hörst dich so …« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »… traurig an.«

»Es ist nichts«, wehrte Thomas ab. Er beugte sich auf dem Sofa nach vorne, und nahm sein Glas.

»Du hast sie wirklich gern, oder?«, fragte Mary leise.

»Ich weiß nicht. Ein bisschen?«, gab er schließlich zu. Und schalt sich selbst einen Lügner. Ein bisschen? Was redete er sich da eigentlich ein? Er hatte sich hoffnungslos in Anna verliebt.

»Thomas. Das geht nicht. Das weißt du doch. Wie kann ich dir nur helfen?«, seufzte sie, ganz die große Schwester. Thomas zuckte mit den Schultern, doch das konnte seine Schwester natürlich nicht sehen. Also schwieg er einfach.

»Sie muss gehen. Wir werden ein neues Kindermädchen finden«, fuhr Mary energisch fort. Sie hatte einen Weg entdeckt, das Problem ihres Bruders zu lösen, und würde es sofort tatkräftig angehen. So war sie schon immer gewesen. Aber Thomas gab es einen Stich. Er wollte nicht, dass Anna ging.

»Okay«, flüsterte Thomas resignierend. Er hörte sich niedergeschlagen an.

»Thomas, es tut mir wirklich leid. Sie ist wirklich nett.«

»Ja, mir tut es auch leid.«

»Bitte hasse mich nicht dafür.«, bat Mary leise.

»Ich werde dich nie hassen.«, erwiderte Thomas sofort.

»Jetzt schlaf etwas. Ich werde das alles regeln.«

»Ist gut. Bye!« Thomas schloss die Augen und kniff sich in den Nasenrücken.

»Gute Nacht!«

Thomas beendete das Gespräch. Das war ein anstrengender, aber auch schöner Tag gewesen. Er war sich gar nicht bewusst gewesen, wie gern er Anna bereits hatte. Und er schalt sich selbst einen Narren, denn eigentlich kannte er sie ja kaum. Aber er konnte nichts dagegen machen. Sie zog ihn einfach an. Wie das Licht die Motten. Und nun hatte er sich verbrannt.

In der Nacht träumte er von nassen, dunklen Haaren, und rehbraunen Augen.

Kapitel 4

8. Oktober 2007

Mary hatte sich gleich am nächsten Tag gemeldet. Sie hatte sich Annas Vertrag angesehen und festgestellt, dass dieser nur befristet war. Dies bedeutete, sie würde in sechs Monaten ohnehin aufhören. Und da Thomas als Repräsentant des Königshauses mit immer mehr Pflichten betraut war, entging er der Versuchung in der nächsten Zeit fast ganz automatisch. Auf Wunsch seiner Großmutter unternahm er wieder weite Reisen in die entlegensten Länder. Ganze vier Monate war er mehr unterwegs als zu Hause. Immer nur für ein paar Tage in der Heimat. Und dann sorgte Mary dafür, dass Thomas und Anna sich nicht begegneten. Nur zu Weihnachten besuchte er seine Schwester für mehr als ein paar Tage. Denn da war auch Anna bei ihrer Familie.

20. März 2008

Kurz vor Thomas’ Geburtstag und Annas Dienstende fand zum Nationalfeiertag von Meldrina eine Militärparade statt. Sie führte durch ganz Terosa bis hin zum Schloss. Terosa war die größte Stadt der Insel und wahrscheinlich auch die älteste. Ein Labyrinth aus engen Straßen und alten Häusern gab ihr einen pittoresken Charme. Einzig die Hauptstraße war breit genug für die Parade. Entlang der Zugstrecke waren Straßensperren errichtet worden, und die Einwohner des Landes säumten bereits den gesamten Weg. Die Parade war einer der Höhepunkte der Festivitäten. Man kam nicht oft so dicht an die Königsfamilie heran. Schon Stunden zuvor waren die besten Plätze belegt gewesen. In der Altstadt gab es gepflasterte Plätze mit imposanten Brunnen, umsäumt von zahlreichen Restaurants und kleinen Cafés. Auf allen fanden Feste und Konzerte statt. Auch im Palast war ein Ball vorgesehen. Thomas ahnte, dass seine Großmutter keine Mühen gescheut hatte und jede Menge heiratswillige, standesgemäße junge Frauen eingeladen hatte. Er seufzte beim Gedanken an heute Abend.

Bereits seit seinem 16. Lebensjahr begleitete Thomas die Parade, und alles war ihm sehr vertraut. Zusammen mit Marcus, Marys Mann, machte er sich fertig und betrat den Startplatz. Die männlichen Mitglieder der Königsfamilie ritten traditionell hoch zu Ross neben der Parade einher, während die Frauen samt Kindern von einer Tribüne aus zusahen. Nur seine Großmutter würde als einzige Frau und Oberhaupt des Königshauses direkt hinter ihnen in einer Kutsche fahren.

Thomas war nun doch etwas aufgeregt. Nicht wegen des Reitens, er war ein geübter Reiter. Nein, er wusste, dass er Anna wahrscheinlich zum letzten Mal sah. Und er freute und fürchtete sich gleichermaßen. Die Gardisten um ihn herum saßen schon auf ihren Pferden. Die Menschen, die um den Startplatz standen, riefen seinen Namen. Es war laut, und hektisch. Eine aufgeregte Vorfreude auf das Fest lag in der Luft.

Thomas bestieg seine Stute und strich die königsblaue Uniform glatt. Er mochte diese Uniform. Sie hatte bereits seinem Vater gehört. Und er bildete sich gerne ein, sie würde noch nach ihm riechen. Er fuhr sich durch das braune Haar und setzte den schwarzen Uniformhut auf. Seine Großmutter saß schon in der Kutsche und nickte ihm lächelnd zu. Er nickte zurück. Auch wenn ihm ihre Fürsorge und ihr Drängen zu heiraten etwas nervten, so wusste er doch, dass sie immer nur das Beste für ihn wollte. So wie alle Großmütter. Aber sie war eben nicht nur seine Großmutter, sondern auch die Königin. Und deshalb hatte sie auch das Wohl der Monarchie und des Landes immer im Blick.

Das Zeichen zum Start wurde gegeben, und die ersten Gruppen zogen los. Zuerst die Marschkapelle, dann die Fußsoldaten, und das waren einige. Schließlich waren auch Thomas und Marcus dran. Sie setzten sich aufrecht in den Sattel und passten sich dem Tempo der Parade an. Mit jedem Meter wurde Thomas aufgeregter. Die Menschen am Straßenrand jubelten und klatschten laut. Er lächelte freundlich in die Menge und winkte vereinzelt Kindern zu. Etwa in der Mitte der Paradenstrecke war die Tribüne aufgebaut. Sie waren schon auf der Hauptstraße, hier drängten sich die meisten Zuschauer. In der Ferne konnte er schon die obersten Plätze der Tribüne sehen. Am liebsten hätte er dem Pferd die Sporen gegeben, um im gestreckten Galopp nach vorne zu preschen. Die Stute bemerkte seine Unruhe und kam kurz aus dem Tritt. Marcus schaute  argwöhnisch zu ihm. Ob er Bescheid wusste? Hatte Mary ihn eingeweiht?

Und schneller, als er gedacht hatte, waren sie bei der Tribüne. Thomas’ Augen flogen über die vielen Gesichter. Relativ weit vorne war Mary, sie lächelte stolz und winkte ihrem Mann zu. Auch Susie und Nick jubelten, riefen ihrem Vater und auch ihrem Onkel zu. Thomas winkte lächelnd zurück und suchte Anna. Vielleicht war sie doch nicht mitgekommen? Oder stand gar nicht auf der Tribüne? Kurz verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. Aber nur Sekunden später hatte er Anna entdeckt. Sie stand etwa drei Reihen über Susie und Nick. Auch sie lächelte und winkte zaghaft der gesamten Reitergruppe zu.  

Thomas schaute sie direkt an. Er wollte sich alles einprägen. Jede Regung in ihrem hübschen Gesicht, welches ihn so sehr verzaubert hatte. Ihre Augen, in die er immer wieder schauen wollte. Ihre Hände, die er so gerne gehalten hätte. Ihre Lippen, die er so gerne geküsst hätte.

Und dann, kurz bevor er ganz vorbei war, drehte sie ihm den Kopf zu, und sah ihn an. Er lächelte zaghaft. Und sie lächelte zurück. Sie hatte aufgehört zu winken. Und sie hielt seinen Blick. So lange, bis er sich doch abwenden musste. Mit einem zufriedenen Schmunzeln auf den Lippen ritt er vorüber. Genau so wollte er sie in Erinnerung behalten. Ihn ansehend und nur ihn.

Marcus und Thomas waren schon eine Straßenecke weiter, als sie einen ohrenbetäubenden Krach hörten. Ein grauenvolles Schrillen von Blech und Stahl. Und dann Schreie. Entsetzliche Schreie. Thomas blieb das Herz stehen. Marcus sah ihn mit aufgerissenen Augen an. Beiden wurde schlagartig klar, dass etwas Schreckliches geschehen war.

»Zurück!«, stieß Marcus hervor, und ohne ein weiteres Zögern rissen sie die Pferde herum und preschten, so schnell sie durch die Menge kamen, zurück zum Ort des Geschehens. Etliche Gardisten machten es ihnen sofort nach. Als Thomas um die Kurve kam, suchte er nach der Tribüne, doch was er entdeckte, ließ ihm den Atem stocken.

Ein Wagen war von hinten in die Tribüne gerast, hatte die Stützbalken umgemäht und so die Tribüne zum Einstürzen gebracht. Menschen, Polizisten und auch Rettungskräfte, die bei einer Parade immer anwesend waren, liefen schon kreuz und quer. Es war die reinste Panik ausgebrochen. Menschen halfen sich gegenseitig hoch, weinten und hielten sich fest. Thomas suchte die Menge ab.

Mittendrin entdeckte er Susie, die nach Leibeskräften schrie. Marcus und Thomas sprangen vom Pferd und rannten los. Thomas zur Tribüne, Marcus zu Susie. Er hob sie hoch und brachte sie zu einem Rettungswagen. Nur Augenblicke später war er wieder neben Thomas und arbeitete sich durch die Menschen. Sie halfen Fremden auf, reichten sie an die Rettungskräfte weiter. Schoben Stahlstreben beiseite, und suchten. Suchten nach ihren Liebsten.

»Mary! Nick!«, rief Marcus immer wieder, er klang verzweifelt.

»Mary! Nick!«, stimmte Thomas mit ein. Und dann war er es ihm egal, wer es hören könnte:

»Anna!«

Eine Ewigkeit schien zu vergehen. Immer wieder riefen sie die Namen. Wie ein Mantra. Thomas lief der Schweiß von der Stirn. Als er sich aufrichtete, um sich mit dem Ärmel über die Stirn zu wischen, glaubte er seinen Namen zu hören. Hektisch sah er sich um, und dann entdeckte er sie. Anna. Sie stand auf der anderen Straßenseite und sah ihm direkt in die Augen. Anna hatte Nick an der Hand. Sein kleiner Neffe weinte herzzerreißend. Sie sahen beide unverletzt aus. Schmutzig und verängstigt, aber unverletzt. Thomas stieß ein kleines Dankgebet zum Himmel hinauf. Nur die Lippen bewegend, ohne einen Laut, fragte er:

»Alles okay?«

Anna nickte ernst. Sie wirkte geschockt.

»Marcus!«, rief er, und als Marcus sich umdrehte, wies er zu Anna und Nick.

»Gott sei Dank!«, sagte Marcus erleichtert, doch dann drehte er sich wieder um und suchte weiter. Noch fehlte ein Familienmitglied.

»MARY!«, rief er noch lauter. Und auch Thomas suchte wieder. Sie arbeiteten sich verbissen durch den Schutt und die Metallstangen.

»Sir.« Jemand tippte Thomas an, aber er machte unbeirrt weiter. Ignorierte alles um sich herum. Er musste seine Schwester finden.

»SIR!« Nun riss ihn jemand an der Schulter herum. Thomas sah den Störenfried widerwillig an. Es war ein Polizist.

»Sir. Wir haben Ihre Schwester gefunden.«

»Marcus.« Thomas klopfte Marcus schnell auf die Schulter. »Sie haben Mary.«

»Wo?«

»Sir, ähm, sie ist da vorne im Krankenwagen«, fuhr der Mann fort. Und schon stürmten beide los. Am Krankenwagen wollte Marcus sofort einsteigen.

»Sir, bitte, lassen Sie den Sanitätern Platz zum Arbeiten«, sagte der Polizist und versuchte Marcus am Arm zurückzuhalten.

»Ich fahre mit!«, blaffte der nur. Angst stand in seinen Augen.

»Selbstverständlich, Sir. Wir fahren im Wagen direkt hinter ihnen her«, versuchte der arme Mann den aufgebrachten Marcus weiter zu beruhigen.

»Marcus!« Thomas ergriff Marcus fest am Arm.

»Marcus, beruhige dich!« Er sprach mit betont ruhiger Stimme zu seinem Schwager. Marcus sah ihn schließlich an.

»Fahr du mit. Ich hole die Kinder und komme nach«, sagte Thomas. Mit hektischem Blick suchte Marcus die Menge nach seinen Kindern ab. Er entdeckte Anna, die Nick auf dem Arm hatte und Susie an der Hand.

»Danke!« Marcus rieb sich über die Augen, seufzte auf und legte Thomas die Hand auf den Oberarm.

»Hey, ist doch klar«, erwiderte Thomas. Marcus wurde zu einem Polizeiwagen geführt, und Thomas drehte sich zu Anna und den Kindern um. Im Gehen zog er sich die Uniformjacke aus. Sie war dreckig, hatte ein paar Blutflecken, und der Ärmel war eingerissen. Er würde sie reinigen und nähen lassen müssen. Nun roch sie wahrscheinlich nicht mehr nach seinem Vater. Nur nach Staub, Schmutz und Schweiß. Zeuge eines unfassbaren Unglücks.

Thomas blieb direkt vor Anna stehen und nahm ihr wortlos Nick vom Arm. Nick schlang sofort seine Arme um den Hals seines Onkels und weinte bitterlich auf. Susie stand bleich daneben. Ihre Tränen waren versiegt. Nur eine Dreckspur über den Wangen verriet, dass sie überhaupt geweint hatte. Sie starrte nur noch auf den Boden. In den letzten Minuten hatten sie beide mit ansehen müssen, wie man ihre Mutter aus den Trümmern zog. Das würden sie niemals wieder vergessen.

Thomas erinnerte sich an das Gefühl der Hilflosigkeit. Daran, wie er seine Eltern verloren hatte, wie man sie nur noch tot aus den Trümmern des Wagens hatte bergen können. Er war dabei gewesen, hatte es mit ansehen müssen. Ein Grauen breitete sich in ihm aus. Er hätte alles getan, um dies hier ungeschehen zu machen. Sanft strich er über Susies Gesicht. Jetzt erst sah er, dass Anna und die Kinder ein paar Schrammen abbekommen hatten. Susies rechte Hand war bandagiert. Annas Gesicht war blutverschmiert. Vorsichtig strich er ihr den Pony aus dem Gesicht. Sie blutete am Haaransatz, aber es schien nur oberflächlich zu sein und war schon angetrocknet. Anna drehte den Kopf weg.

»Wie schwer seid ihr verletzt?«, fragte Thomas an Anna gewandt.

»Ich weiß nicht genau«, antwortete Anna ernst. »Ich konnte keine schlimmen Verletzungen finden.«

»Wir fahren trotzdem ins Krankenhaus«, meinte Thomas. Er hob Nicks Kopf, und versuchte ihm in die Augen zu sehen.

»Sch, Nick, sch! Alles okay. Beruhige dich. Alles wird gut.« Thomas redete ruhig auf seinen Neffen ein und strich ihm besänftigend über den Rücken. Nick schniefte und wurde tatsächlich ruhiger. Thomas nahm, immer noch Nick auf dem Arm, Susie an der Hand.

»Hey, Großer. Willst du im Krankenwagen vorne fahren?«

Nick hob den Kopf, und nickte.

»Dann los!« Thomas setzte sich in Bewegung, und um jeglichen Missverständnissen vorzubeugen, sah er Anna an, und sagte: »Komm mit!«

Im Krankenhaus herrschte geschäftiges Treiben. Es war wie im Bienenstock, überall wuselten Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger herum. Jeder hatte ein klares Ziel, eine feste Aufgabe. Thomas kam sich vor wie im Auge eines Wirbelsturms. Nach ein paar Minuten wurde ein junger Arzt auf die kleine Gruppe aufmerksam.

»Sir, verzeihen Sie, wir haben hier … Ich hatte Sie nicht gesehen«, entschuldigte er sich schnell. Ihm war vollauf bewusst, wen er da vor sich hatte.  

»Nein, nein. Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie haben Notfälle, die gehen vor«, widersprach Thomas verständnisvoll.

»Wie kann ich Ihnen helfen? Sie waren doch auch bei der Parade. Sind Sie verletzt?«, fragte der junge Arzt schon geschäftig weiter.

»Nein, ich war schon ein Stück weiter, aber sie …« Er wies auf die Kinder. »… sie standen direkt auf der Tribüne.«

Der Arzt verstand sofort und rief eine Kollegin zu sich. Gemeinsam führten sie die Kinder in ein Untersuchungs-zimmer. Ein Gardist, der sie die ganze Zeit begleitet hatte, folgte ihnen auf Thomas’ Zeichen hin.

»Sie auch!«, sagte Thomas schnell und zeigte auf Anna. Die Ärztin drehte sich um und rief eine weitere Kollegin.

»Ich? Nein, nein. Mir geht es gut«, wehrte Anna mit erhobenen Händen ab.

»Sie war auch auf der Tribüne. Sie hat sich am Kopf verletzt«, fuhr Thomas fort, Annas Einwand schlichtweg ignorierend.

»Nein, wirklich. Das ist nicht nötig. Es geht mir gut, Sir«, versuchte es Anna erneut und strich sich den Pony in die Stirn.

Thomas sah sie stirnrunzelnd an. Es war eine Sache, zu beschließen, sein Leben ohne sie zu verbringen. Etwas völlig anderes war es jedoch, sie durch die Banalität eines solchen Versäumnisses der Sorgfalt zu verlieren. Er machte einen Schritt auf sie zu. Und plötzlich kam ihm ein Gedanke. War sie es gewesen, die seinen Namen gerufen hatte? Oder doch eines der Kinder?

»Bitte«, flüsterte er eindringlich, wohl darauf bedacht, dass er ihr nicht zu nahe kam. Dies war ein öffentlicher Ort. Sie zögerte ein paar Sekunden, hielt seinem Blick stand.

»Na gut«, gab sie schließlich nach. Aber noch im Weggehen setzte sie nach: »Auch wenn es völlig unnötig ist.«

Thomas sah ihr verblüfft hinterher, und in ihren Augen blitzte der Schalk. So, so. Anna konnte also widerspenstig sein. Und gegen seinen Willen musste er schmunzeln. Sie faszinierte ihn, ohne Frage. Einem Prinzen so etwas zu sagen, das hatte etwas. Anna verschwand in einem weiteren Untersuchungszimmer, und Thomas machte sich auf den Weg zur Schwesternstation.

Unterwegs rief er seine Großmutter an. Sie war sofort nach dem Unglück evakuiert worden. Und hatte von ihren Sicherheitsangestellten bereits erfahren, dass es allen außer Mary gut ging. Thomas versprach, sich zu melden, sobald er mehr über Marys Zustand erfuhr. Schnell fand er heraus, wo seine Schwester und Marcus waren. Im Gang vor den OP-Sälen tigerte sein Schwager unruhig auf und ab.