Persönlichkeitsrecht von Polizeibeamten - Keller Christoph - E-Book

Persönlichkeitsrecht von Polizeibeamten E-Book

Keller Christoph

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Beschreibung

Tätliche Angriffe auf Polizeibeamte, gefilmte und veröffentlichte Polizeieinsätze, gezielte Diffamierungen von Polizisten in sozialen Netzwerken, ACAB-Plakate in Fußballstadien, Tätowierungsverbote für Polizeibeamte – schon diese Beispiele verdeutlichen, dass Polizeibeamte sich tagtäglich in unterschiedlichsten Situationen im Spannungsfeld der grundgesetzlich garantierten Persönlichkeitsrechte mit ihrer (Vorbild-)Rolle als Repräsentanten des Staates und Träger des staatlichen Gewaltmonopols bewegen. Aber auch der Dienstherr steht in der Verpflichtung gegenüber den Polizeibeamten und darf deren Grundrechte nicht beliebig einschränken. Folgerichtig setzt sich der Autor in diesem Buch daher umfassend mit der Frage auseinander, wie die einzelnen verfassungsrechtlichen Garantiebereiche der individuellen Persönlichkeitsentfaltung mit der Wirklichkeit des Polizeiberufes in Einklang zu bringen sind. Dabei setzt er folgende Themenschwerpunkte: das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Kommunikationsgrundrechte, Ehrverletzungsdelikte, das Recht am eigenen Bild, das Recht am eigenen Wort, Tatmittel: Internet, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Datenschutz im Arbeits- und Dienstverhältnis, Persönlichkeitsrechte im öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis, Rechtsschutz. Die Darstellung mit vielen Beispielen aus der täglichen Polizeipraxis und einer gründlichen verfassungsrechtlichen Herleitung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wendet sich an alle Polizeibeamte und liefert ihnen einen wertvollen Rat­geber dafür, ihre Erfahrungen zu bewerten. So hilft das Buch jedem Polizisten dabei, ein starkes berufliches Selbstbewusstsein und hohes berufliches Selbstverständnis zu erlangen. Für die vorliegende Neuauflage wurde das Werk umfassend überarbeitet und ergänzt. So wurden u.a. die Kapitel zum Erscheinungsbild von Polizeibeamten und zur Teilnahme an sozialen Netzwerken erheblich erweitert. Außerdem wurde der Abschnitt "Polizeiarbeit, Corona und Dienstunfallrecht" neu aufgenommen.

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Persönlichkeitsrecht von Polizeibeamten

Polizeibeamte im Spannungsverhältnis zwischen Amtsträger und „Bürger in Uniform“

von

Christoph Keller

2. Auflage

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

E-Book

2. Auflage 2022

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2022

ISBN 978-3-8011-0926-4 (EPUB)

Titel Nummer 102133

Buch (Print)

2. Auflage 2022

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2022

Druck und Bindung: Wölfer Druck+Media, Haan

ISBN 978-3-8011-0922-6

Alle Rechte vorbehalten

Unbefugte Nutzungen, wie Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Satz und E-Book: VDP GMBH Buchvertrieb, Hilden

www.vdpolizei.de

E-Mail: [email protected]

Inhalt

Vorwort zur 2. Auflage 2022

Vorwort zur 1. Auflage 2019

1. Kapitel: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht

I. Allgemeine Grundrechtslehren

1. Begriff der Grundrechte, Grundrechtsarten

2. Funktionen der Grundrechte

a) Status negativus

b) Status positivus

c) Status activus

3. Grundrechte als objektives Recht

a) Staatliche Schutzpflichten

b) Drittwirkung

c) Einrichtungsgarantien

4. Grundrechtsfähigkeit

a) Grundrechtsfähigkeit natürlicher Personen

b) Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen

aa) Juristische Personen des Privatrechts

bb) Juristische Personen des öffentlichen Rechts

c) Grundrechtsmündigkeit

5. Grundrechtsprüfung

6. Schutzbereich

7. Grundrechtseingriff

a) Eingriff

b) Klassischer Eingriffsbegriff

c) Weiter Eingriffsbegriff

8. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

a) Schranken

b) Schranken-Schranken

II. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht

1. Einführung

2. Historie

3. Funktionen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

4. Persönlicher Schutzbereich

a) Grundrechtsfähigkeit natürlicher Personen

b) Grundrechtsfähigkeit in Sonderstatusverhältnissen

c) Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen

5. Sachlicher Schutzbereich

6. Grundrechtseingriff

a) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht

b) Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

7. Schrankentrias

a) Verfassungsmäßige Ordnung

b) Rechte anderer

c) Sittengesetz

8. Sphärentheorie

a) Individualsphäre

b) Privatsphäre

c) Intimsphäre

2. Kapitel: Kommunikationsgrundrechte

I. Meinungsfreiheit

1. Sachlicher Schutzbereich

a) Werturteile

b) Schmähkritik

c) Satire

d) Tatsachenbehauptungen

e) Mehrdeutige Äußerungen

f) Geschütztes Verhalten

g) Meinungsfreiheit vs. allgemeines Persönlichkeitsrecht

2. Eingriff

3. Dienstliche, politische und private Meinungen

4. Grenzen der Meinungsfreiheit

a) Verletzung der Menschenwürde

b) Formalbeleidigung

c) Schmähung

II. Informationsfreiheit

III. Pressefreiheit

1. Pressefreiheit vs. allgemeines Persönlichkeitsrecht

2. Verdachtsberichterstattung

3. Identifizierende Berichterstattung

4. Auskunftsansprüche

IV. Rundfunk- und Filmfreiheit

V. Kunstfreiheit

VI. Wissenschaftsfreiheit

VII. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

1. Gesetzesvorbehalt (Art. 5 Abs. 2 GG)

a) Allgemeine Gesetze

b) Gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre

c) Zensurverbot

2. Schranken-Schranken

3. Verfassungsimmanente Schranken (Art. 5 Abs. 3 GG)

VIII. Summary

3. Kapitel: Ehrverletzungsdelikte

I. Systematik der Ehrdelikte

II. Beleidigungsdelikte

1. § 185 StGB: Beleidigung

a) Ehrverletzung, Form der Kundgabe

b) Beleidigung mittels Tätlichkeit oder öffentlicher Kundgabe

c) Herabsetzende Äußerungen im Familienkreis (beleidigungsfreie Sphäre)

d) Rechtfertigung durch Kommunikationsgrundrechte

aa) Meinungsfreiheit

bb) Kunstfreiheit

e) Gegenschlagtheorie

f) Vorsatz

2. § 186 StGB: Üble Nachrede

3. § 187 StGB: Verleumdung

4. § 188 StGB: Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung

5. § 189 StGB: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener

6. Kollektivbeleidigung

a) Beleidigung einer Personenmehrheit

b) Polizei als Institution („A.C.A.B.“)

7. Verhetzende Beleidigung

8. Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität

III. Wechselseitig begangene Beleidigungen (Straffreierklärung)

IV. Rechtswidrigkeit und Formalbeleidigung

1. § 192 StGB: Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises

2. § 193 StGB: Wahrnehmung berechtigter Interessen

V. Schuld

VI. Verfahrensrechtliche Fragen

1. Antragsdelikt

2. Antragsverzicht durch Betroffene

3. Strafantrag der Behördenleitung

a) Antragsrecht des Dienstvorgesetzten

b) Stellungnahme des Dienstvorgesetzten

c) Fürsorgepflicht

d) Antragsrecht bei Kollektivbeleidigung

4. Privatklage

5. Sühneversuch

6. Einstellung des Verfahrens, Vergleich

7. Entschädigung des Verletzten im Strafverfahren (Adhäsionsverfahren)

VII. Bekanntgabe der Verurteilung

VIII. Zivilrechtliche Ehrschutzklagen

IX. Fallgruppen, Rechtsprechung

X. Summary

4. Kapitel: Das Recht am eigenen Bild

I. Das Kunsturheberrechtsgesetz (KunstUrhG)

1. § 22 KunstUrhG: Das Recht am eigenen Bild

a) Schutzbereich

aa) Bildnis verbreiten

bb) Bildnis öffentlich zur Schau stellen

cc) Verletzung des Schutzbereichs

b) Einwilligung

2. § 23 KunstUrhG: Wahrung berechtigter Interessen, Ausnahmetatbestände

a) Bildnisse der Zeitgeschichte

b) Beiwerke neben Landschaft oder sonstiger Örtlichkeit

c) Versammlungen, Aufzüge und ähnliche Vorgänge

d) Höheres Interesse der Kunst

e) Interessenabwägung

3. § 24 KunstUrhG: Privilegierte Veröffentlichung von Bildern

a) Zweck der Rechtspflege

b) Zweck der öffentlichen Sicherheit

4. Strafrechtlicher Schutz

a) § 33 KunstUrhG: Strafverfolgung

b) Strafantrag

c) Privatklage

d) Einziehung

5. Zivilrechtlicher Schutz

II. Polizeibeamte und das Recht am eigenen Bild

1. Schutzbereich

2. Ausnahmetatbestand: Zeitgeschichtliche Ereignisse

3. Ausnahmetatbestand: Versammlungen, Aufzüge, ähnliche Vorgänge

a) Bildnisse vom Geschehen

b) Bildnisse von Demonstranten

c) Bildnisse von Polizeibeamten

4. Interessenabwägung

5. Fallgruppen, Rechtsprechung

6. Geldentschädigung für „betroffene“ Polizeibeamte

7. Schutz privater Rechte

8. Verhältnis von Fotografie (KunstUrhG) und Datenschutzrecht (DS-GVO)

III. § 201a StGB: Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen

1. Rechtsgut

2. Tatbestand (Abs. 1)

a) Nr. 1: Unbefugte Bildaufnahmen

aa) Wohnung

bb) Gegen Einblick besonders geschützte Räume

cc) Herstellen oder Übertragen

dd) Verletzung höchstpersönlicher Lebensbereich

b) Nr. 2: Zurschaustellen einer Hilflosigkeit

c) Nr. 3: Bildaufnahmen verstorbener Personen

d) Nr. 4: Gebrauchen oder Zugänglichmachen hergestellter Bildaufnahmen

e) Nr. 5: Zugänglichmachen einer befugt hergestellten Bildaufnahme

3. Tatbestand (Abs. 2): Ansehensschädigung

4. Tatbestand (Abs. 3): Nacktheit einer anderen Person

5. Tatbestandsrestriktion: Wahrnehmung berechtigter Interessen (Abs. 4)

6. Einziehung (Abs. 5)

7. Strafantrag

IV. Summary

5. Kapitel: Das Recht am eigenen Wort

I. § 201 StGB: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes

1. Rechtsgut

2. Nichtöffentlich gesprochenes Wort

3. Aufnahmen auf einem Tonträger (§ 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB)

4. Gebrauch der Aufnahme oder Weitergabe an Dritte (§ 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB)

5. Abhören mittels Abhörgerät (§ 201 Abs. 2 Nr. 1 StGB)

6. Öffentliche Mitteilung des aufgenommen oder abgehörten Wortes (§ 201 Abs. 2 Nr. 2 StGB)

7. Rechtfertigung

a) Einwilligung

b) Staatliche Maßnahmen

c) Handeln privater Personen

8. Strafbarkeit des Versuchs

9. Einziehung

10. Antragserfordernis

11. Qualifizierungstatbestand für Amtsträger

II. Cop Recorder

III. Dienstliche Äußerungen mit Außenwirkung

IV. Summary

6. Kapitel: Tatmittel: Internet

I. Ehrverletzungsdelikte im Internet

1. Besonderheiten der digitalen Kommunikation

2. Absenderperspektive

3. Empfängerperspektive

4. Erscheinungsformen

a) Subjektiv gekennzeichnete Bewertungen im Internet

b) Veröffentlichung unwahrer Informationen

c) Veröffentlichung wahrer Informationen

5. Taterfolg

II. Veröffentlichung von Polizeieinsätzen im Internet

1. Veröffentlichung von Polizeieinsätzen als strafbare Handlung

a) Straftat nach § 201a StGB

b) Straftat nach § 33 KunstUrhG

2. Videomontagen

III. Gesprächs- und Videoaufzeichnungs-Apps (Cop Recorder)

1. Strafbarkeit des App-Nutzers

a) Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 StGB

b) Straftat nach BDSG

2. Strafbarkeit der App-Betreiber

a) Anbieten der App

b) Veröffentlichung des aufgezeichneten Materials

3. Strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen nach „Angriff“ mittels Cop Recorder

4. Polizeirechtliche Eingriffsmaßnahmen nach „Angriff“ mittels Cop Recorder

5. Das Mobiltelefon als „informationstechnisches System“

IV. Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)

1. Meldepflicht

2. Verfassungsrechtliche Bedenken

3. Auskunftsanspruch und Auskunftsermächtigung (TTDSG)

V. Summary

7. Kapitel: Widerstand gegen die Staatsgewalt

I. Gewalt gegen Polizeibeamte

1. Bundeslagebild: Gewalt gegen Polizeibeamte

2. Phänomenbereiche: Gewalt gegen Polizeibeamte

II. Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften durch das Strafrecht

III. § 113 StGB: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

1. Geschützter Personenkreis

2. Tauglicher Täterkreis

3. Tathandlungen

a) Widerstand leisten mit Gewalt

b) Widerstand leisten durch Drohung mit Gewalt

c) Tätlicher Angriff

4. Vornahme einer Vollstreckungshandlung

5. Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung

6. Besonders schwere Fälle

a) Waffe oder gefährliches Werkzeug

b) Gewalttätigkeit

c) Gemeinschaftlich begangene Tat

7. Besondere Irrtumsregel (§ 113 Abs. 4 StGB)

IV. § 114 StGB: Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte

V. § 115 StGB: Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen

VI. Behinderung von hilfeleistenden Personen

VII. Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel (§ 305a StGB)

VIII. Verletzungen nach Widerstandshandlungen − Ansprüche

IX. Zahlung durch den Dienstherrn bei Schmerzensgeldansprüchen

X. Polizeilicher Einsatz von Bodycams zwecks Gewaltreduktion

XI. Summary

8. Kapitel: Datenschutz im Arbeits- und Dienstverhältnis

I. Datenschutz als Grundrecht

II. Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)

1. Auswirkungen der DS-GVO auf bereichsspezifische Datenschutzregelungen

2. Öffnungsklausel

3. Rahmenbedingungen für den Beschäftigtendatenschutz

4. Grundsätze und Zulässigkeit der Datenverarbeitung

5. Einwilligung

a) Schriftform

b) Konkludente Einwilligung

c) Bestimmtheit der Einwilligung

d) Einwilligung für den konkreten Fall

e) Transparenzgebot

f) Freiwilligkeit der Einwilligung

g) Widerruf der Einwilligung

h) Opt-out-Lösung

i) Einwilligung in Über-Unterordnungsverhältnisse

j) Checkliste

6. Löschungsrechte

7. Datenportabilität

8. Widerspruchsrecht

9. Profiling, Scoring

10. Auftragsdatenverarbeitung

11. Datenschutzbeauftragter

12. Meldung von Datenschutzverstößen

13. Betroffenenrechte

III. BDSG (2018)

1. Anwendungsbereich

a) Öffentliche Stellen des Bundes und nicht öffentliche Stellen

b) Öffentliche Stellen der Länder

2. Sanktionen

IV. Beschäftigtendatenschutz

1. Beschäftigtendatenschutzgesetz (BDSG-E)

2. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt

3. Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses

a) Tatbestand: Vor Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses

b) Tatbestand: Im Beschäftigungsverhältnis

aa) Aufdeckung von Straftaten

bb) Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses

4. Einwilligung

5. Beschäftigtenbegriff

6. Verarbeitung sensitiver Beschäftigtendaten

7. Nicht dateimäßige Verarbeitung von Beschäftigtendaten

8. Kollektivvereinbarungen als Erlaubnistatbestand

9. Einhaltung der Grundsätze der DS-GVO

10. Beteiligungsrechte der Interessenvertretungen

11. Betroffenenrechte

12. Dienstvereinbarungen, Betriebsvereinbarungen

13. Rechtsfolgen einer rechtswidrigen Datenverarbeitung

V. Überwachung am Arbeitsplatz

1. Heimliche Mitarbeiterkontrollen

a) (Un-)Zulässigkeit nach DS-GVO

b) Zulässigkeit heimlicher Mitarbeiterkontrollen in Ausnahmefällen

2. Kontrolle der Telekommunikation, E-Mail- und Internetkommunikation

a) Kontrolle bei verbotener privater Nutzung

aa) Anwendbarkeit des TKG

bb) Anwendbarkeit des BDSG

b) Kontrolle bei erlaubter privater Nutzung

aa) Anwendbarkeit des TKG

bb) Kontrollmöglichkeiten

(1) E-Mail-Verkehr

(2) Internetnutzung

c) Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz (TTDSG)

d) Weiterleitung dienstlicher E-Mails auf privaten E-Mail-Account

e) Nutzung von standortbezogenen Telekommunikationsdiensten

f) Kontrolle des Rechners

g) Kontrolle des Verhaltens auf sozialen Netzwerken

3. Zugriffsmöglichkeiten auf Messenger-Nachrichten

4. Videoüberwachung

VI. Veröffentlichung personenbezogener Daten

1. Internet

a) Abkehr von der Arkantradition

b) Interessenkollisionen

c) Auskunftssperren

2. Intrapol

3. Veröffentlichung von Fotos

a) Recht am eigenen Bild

b) Recht des Urhebers

c) Einwilligung

d) Muster: Einwilligungserklärung

e) Personalvertretungsrecht

f) Praxishinweise

VII. Dienst-/Arbeitszeit

1. Gesetzliche Regelungen

a) Regelarbeitszeit

b) Bereitschaftsdienst

aa) EuGH (Große Kammer), Urt. v. 09.03.2021 – C-580/19 (R J/Stadt Offenbach a.M.)

bb) EuGH (Fünfte Kammer), Urt. v. 11.11.2021 – C-214/20 (MG / Dublin City Council)

c) Mehrarbeit

d) Arbeitszeitkonten

e) Telearbeit

2. Europarechtliche Vorgaben

a) Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) im Lichte der EuGH-Rechtsprechung

b) Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) auf Beamte

c) Verantwortlichkeit bei der Nichteinhaltung von Schutzvorschriften

VIII. GPS-Ortung von Streifenwagen

X. Summary

9. Kapitel: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis

I. Teilnahme an sozialen Netzwerken durch Polizeibeamte

1. Nutzung für polizeiliche Zwecke

2. Gefahren der Teilnahme an sozialen Netzwerken für Polizeibeamte

a) Beamtenrechtlicher Pflichtenkreis

b) Einschränkung der Verwendungsbreite von Polizeibeamten

3. Rassistische und rechtsextreme Äußerungen von Beamten

a) Rechtsextremistische Chatgruppen

b) Meldepflicht an vorgesetzte Stellen

II. Äußeres Erscheinungsbild uniformierter Polizeibeamter

1. Lagerfeld-Zopf

2. Ohrschmuck

3. Tätowierungen

a) Tätowierungen als Einstellungshindernis

b) Tätowierungen als Dienstpflichtverletzung

4. Accessoires mit religiösem oder politischem Inhalt

5. Piercings

6. (Neue) Regelungen zum Erscheinungsbild von Beamten

a) Einschränkung und Untersagung bestimmter Formen des Erscheinungsbildes

b) Einschränkung und Untersagung religiös oder weltanschaulich konnotierter Formen des Erscheinungsbildes

c) Verbot der Gesichtsverhüllung

III. Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte

1. Gefahren ohne Kennzeichnungspflicht

2. Gefahren durch Kennzeichnungspflicht

3. Eingriffscharakter

4. Namensschilder vs. anonymisierte Kennzeichen

a) Anknüpfung an die konkrete Tätigkeit der Beamten

b) Einsatz in geschlossenen Einheiten

5. Zulässigkeit einer Kennzeichnungspflicht aufgrund Gesetz

6. Rechtfertigung über Erlassregelungen

7. Verpflichtung zur Einführung von Kennzeichnungspflichten

8. Verhältnismäßigkeit einer Kennzeichnungspflicht

9. Ausweispflicht

IV. Äußerungen und Verhalten in der Öffentlichkeit

1. Politische Betätigung

2. Polizeibeamte im Kontext der Reichsbürgerbewegung

a) Pflicht zur Verfassungstreue

b) Reichsbürgerbewegung

aa) Ideologie

bb) Polizeiliches Einschreiten gegen „Reichsbürger“

3. Religiöse Betätigung und Gewissensfreiheit

a) Religiöse Betätigung

b) Religiös motivierte Verhaltensweisen im Innenverhältnis („Handschlag-Fall“)

c) Gewissensfreiheit

4. Flucht in die Öffentlichkeit

5. Schutz des Beamten vor der Öffentlichkeit

6. Beweislastverteilung durch Antidiskriminierungsgesetze

V. Streikverbot

VI. Mobbing, sexuelle Belästigung und Stalking

1. Mobbing

2. Sexuelle Belästigung

3. Stalking

VII. Dienstfähigkeit und ärztliche Untersuchungen

1. Nachweis der Dienstunfähigkeit infolge Erkrankung

2. Anordnung polizeiärztlicher Untersuchung

3. Polizeidienst(un)fähigkeit

VIII. Handlungspflichten von Polizeibeamten

1. Verfassungsrechtliche Erwägungen

2. Polizeirechtliches Ermessen

3. Beamtenrechtliche Pflichten

IX. Polizeiarbeit, Corona und Dienstunfallrecht

X. Summary

10. Kapitel: Rechtsschutz

I. Zivilrecht

1. Gegenansprüche bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen

a) Unterlassungsansprüche

b) Gegendarstellung

c) Beseitigungsanspruch, Widerrufsanspruch

d) Berichtigung

e) Schadensersatz

f) Geldentschädigung („Schmerzensgeld“)

g) Herausgabe ungerechtfertigter Bereicherung

h) Auskunftsansprüche

2. Gewaltschutzgesetz

II. Verwaltungsrecht, Rechtsschutz im Beamtenrecht

1. Nichtförmliche Rechtsbehelfe

a) Petition

b) Gegenvorstellung

c) Fachaufsichtsbeschwerde

d) Dienstaufsichtsbeschwerde

e) Verbindung von Beschwerden

f) Rechtsschutz

g) Personalrat

h) Schwerbehindertenvertretung

i) Gleichstellungsbeauftragte

j) Antidiskriminierungsstelle

k) Selbstreinigungsverfahren

l) Gnadengesuch

2. Widerspruchsverfahren

3. Kontrolle durch die Rechtsprechung

4. Vorläufiger Rechtsschutz

III. Datenschutzrecht

IV. Summary

Literaturverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage 2022

Für die 2. Auflage wurde dieses Buch neu bearbeitet und ergänzt. Änderungen und Fortentwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung erforderten bereits nach drei Jahren eine Neuauflage.

Überdies förderte die Praxis neue Fallkonstellationen zu Tage, sodass etwa der Abschnitt „Polizeiarbeit, Corona und Dienstunfallrecht“ neu einzufügen war. Insbesondere bedurften nachfolgende Themen einer grundlegenden Neubearbeitung bzw. wurden neu implementiert:

Tätowierungen als Dienstvergehen

Erscheinungsbild von Beamten

Verletzung persönlicher Lebensbereiche im Innenverhältnis

Religiös motivierte Verhaltensweisen im Innenverhältnis („Handschlagverweigerung“)

Außerdienstliche politische Meinungs- und Betätigungsfreiheit

Rechtsextremistische Chatgruppen bei der Polizei

Recht am eigenen Bild: Verhältnis KunstUrhG und DS-GVO

Recht am eigenen Wort – Entwicklung der Rechtsprechung

Meinungsfreiheit – Entwicklung der Rechtsprechung

Antidiskriminierungsgesetze

Europarechtliche Vorgaben im Arbeitszeitrecht

Polizeiarbeit, Corona und Dienstunfallrecht

Die tabellarische Übersicht über einzelne Beleidigungstatbestände wurde ergänzt.

Dass Literatur und Rechtsprechung in Gänze überarbeitet wurden, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Das bewährte Konzept des Buches wurde beibehalten.

Für Auslassungen und Ungenauigkeiten stehe ich ein und bin für Hinweise darauf dankbar ([email protected]).

Mettingen, im Oktober 2022

Christoph Keller

Vorwort zur 1. Auflage 2019

Kaum eine andere Berufsgruppe steht so im Blickpunkt der Öffentlichkeit wie die Polizei. Einerseits, wenn es um die Sicherheit und Ordnung für die Bürger geht, andererseits, wenn es um die Beamten selbst geht, etwa in ihrer Funktion als Vorbild. Allerdings zeigt sich diese Vorbildfunktion vermehrt von einer anderen Seite. Die Menschen reagieren unterschiedlich und decken, aus ihrer Sicht, polizeiliches Fehlverhalten auf. Im Zeitalter von Smartphones und Internet ist das schnell geschehen. Ohne zu hinterfragen werden Situationen gefilmt und (im Internet) veröffentlicht, mitunter mit Auslösung eines Shitstorms.

Zudem sind Polizeibeamte aufgrund ihrer Aufgabe, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen, in erhöhtem Maße Konfliktsituationen, insbesondere mit „schwierigen“ Personen, ausgesetzt. Speziell im Einsatzgeschehen müssen ad hoc Entscheidungen getroffen werden, die weitreichende Konsequenzen haben (können). Polizeibeamte sind – anders als Beamte in „sonstigen“ Verwaltungsbereichen – dem wachsenden Risiko ausgesetzt, von teils aggressiven, alkoholisierten, uneinsichtigen Adressaten polizeilicher Maßnahmen beschimpft, beleidigt oder angegriffen und verletzt oder sogar getötet zu werden. Kein Respekt, vermehrte Übergriffe, Beleidigungen – die öffentliche Gewalt gegen Polizisten nimmt in Deutschland immer mehr zu. Die Gesamtentwicklung der Fall-, Opfer- und Tatverdächtigenzahlen verdeutlichen die in Deutschland unvermindert hohe Bereitschaft zur Gewaltanwendung gegen im Einsatz befindliche Polizeivollzugsbeamte. Dabei geht es nicht nur um Übergriffe gegen Polizisten bei Demonstrationen oder Einsätzen rund um Fußballspiele. Die Gewalt ist längst im Alltag der Beamten angekommen. Die Ursachen sind vielfältiger Natur und keiner monokausalen Betrachtung zugänglich. Mangelnder Respekt und ein zunehmender Einfluss von Alkohol sind sicherlich mitursächlich. Zudem gibt es gerade im polizeilichen Alltag immer wieder Anlässe, die dazu führen, dass Bürger die Nerven verlieren. Mit impulsiven Gesten und Kraftausdrücken machen sie sich dann oft Luft.

Auch innerdienstlich genießen Polizeibeamte (grundsätzlich) den Schutz des Persönlichkeitsrechts. Verletzungen des Persönlichkeitsrechts können dabei durch unterschiedlichste Kontrollmaßnahmen des Arbeitgebers geschehen. Erinnert sei nur an die Diskussionen rund um die Ortung von Streifenwagen. Persönlichkeitsrechte sind auch im öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zu wahren. Allerdings wird oft verkannt, dass der personelle Schutzbereich des Grundrechts vielfach gar nicht eröffnet ist. Es ist abwegig, anzunehmen, dass öffentliche Bedienstete während der Ausübung amtlicher Tätigkeiten gegenüber dem Bürger ihre Persönlichkeit (quasi grenzenlos) frei entfalten können. Amtliche Tätigkeit ist keine Betätigung von Freiheit, sondern treuhänderischer Dienst für das Gemeinwohl. Die klassische Unterscheidung von Josef lsensee zwischen Amtsbereich (mit Grundrechtsbindung), Dienstverhältnis (mit Grundrechtsträgereigenschaft, aber eingeschränkten Ausübungsbefugnissen) und Privatbereich (mit Grundrechtsträgereigenschaft) macht deutlich, dass Polizeibeamte auch im Dienst Träger von Grundrechten sind, die seitens des Staates nicht beliebig eingeschränkt werden dürfen.

Mit dem Inkrafttreten der DS-GVO wurde der Datenschutz in Europa und folglich auch in Deutschland zum 25.05.2018 in rechtlicher Hinsicht auf eine völlig neue Grundlage gestellt. Mit dem nunmehr unmittelbar geltenden Recht hat auch der „Beschäftigtendatenschutz“ Änderungen erfahren, die in diesem Buch vorgestellt werden.

Insgesamt wird die schwierige Situation von Polizeibeamten unter verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Die besonderen Situationen, denen Polizeibeamte vielfach ausgesetzt sind, werden aufgegriffen.

Infolgedessen gliedert sich das Buch in folgende Kapitel:

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht

Kommunikationsgrundrechte

Ehrverletzungsdelikte

Das Recht am eigenen Bild

Das Recht am eigenen Wort

Tatmittel: Internet

Widerstand gegen die Staatsgewalt

Datenschutz im Arbeits- und Dienstverhältnis

Persönlichkeitsrechte im öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis

Rechtsschutz.

Mettingen, im November 2018

Christoph Keller

1. Kapitel:

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht

Wie ganz allgemein eine Staatsordnung, die nur spezielle Verhaltensweisen schützt, nicht menschenwürdekonform ist, gilt dies auch für die Dimension der Grundrechtsentfaltung. Es gehört zum unantastbaren, auf Art. 1 Abs. 1 GG rückführbaren Bereich des Art. 2 Abs. 1 GG, dass dem Einzelnen eine möglichst umfassende Freiheit gewährleistet wird, er sich also grundsätzlich in jedem beliebigen Verhalten selbst verwirklichen kann.1

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gehört zum Kanon der Grundrechte mit hoher Relevanz für die Praxis.2 Es entwickelt(e) sich zudem zu einem zentralen Grundrecht der digitalen Welt, in der vor allem Informationen ausgetauscht werden und der Zugriff auf Individuen zunächst über Informationen erfolgt.3

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird vom deutschen Verfassungsrecht so interpretiert, dass die Bezüge von der freien Entfaltung der Persönlichkeit zur in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten und für unantastbar erklärten Würde des Menschen gerückt werden. Das Menschenbild des Grundgesetzes geht vom Einzelnen aus, der sich nach eigenen Plänen und eigenverantwortlich als Persönlichkeit frei entfaltet und sich dabei als soziales Wesen bindet und Gemeinschaften begründet. Dieses Recht steht jedem in gleichem Maße zu, die Ordnung, in der er wirkt, wird von ihm mit gleichem Recht wie von jedem anderen mitgestaltet“.4

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist unübersichtlich, weil es in der Rechtsprechung eine Vielzahl von Ausprägungen erfahren hat und zugleich in den Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG nur eine sehr knappe textliche Anbindung vorliegt.5 Bevor auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Detail eingegangen wird, wird zunächst aus Gründen des Gesamtverständnisses ein Überblick über die „Grundrechtslehre“ gegeben.

I. Allgemeine Grundrechtslehren

Die allgemeinen Grundrechtslehren werden mitunter als abstrakte und womöglich aus diesem Grund auch als schwierigste Materie gesehen. Dennoch sind grundlegende Kenntnisse für das „Gesamtverständnis“ unabdingbar; nur so lässt sich tieferes Verständnis für die Grundrechte und ihre Bedeutung gewinnen.

1. Begriff der Grundrechte, Grundrechtsarten

Grundrechte sind einer Einzelperson zustehende Rechte, die – in einer Verfassung geregelt – Elementarrechte gegenüber dem Staat verbürgen. Sie beinhalten in erster Linie subjektive Rechte des Einzelnen, die die Staatsgewalt beschränken und gerichtlich durchsetzbar sind. Historisch bedingt waren die Grundrechte die wichtigste Antwort auf den Polizeistaat. Sie sind dem früheren Obrigkeitsstaat mühevoll abgetrotzt worden.6 Auch im geltenden Recht steht der Abwehrcharakter der Grundrechte im Vordergrund.7 Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat. In den Art. 1 bis 19 GG sind die Grundrechte des Grundgesetzes geregelt, an die gem. Art. 1 Abs. 3 GG die gesamte Staatsgewalt unmittelbar gebunden ist. Jedes einzelne Grundrecht ist in seinem Anwendungsbereich Kontrollmaßstab für das einschlägige einfache Recht, welches dem Verfassungsrecht im Rang nachgeht. Gerichtlich kann die Vereinbarkeit jeglichen staatlichen Handelns mit den Grundrechten im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) überprüft werden.8

Daneben existieren sog. grundrechtsgleiche Rechte, die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a) GG genannt sind (Art. 20 Abs. 4, Art. 33, Art. 38, Art. 101, Art. 103 und Art. 104 GG). Diese Rechte sind mit den Grundrechten in Art. 1–19 GG vergleichbar, da sie ebenfalls subjektive Rechte enthalten, den Schutz des Einzelnen gegen die Staatsmacht bezwecken und zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde zum BVerfG gemacht werden können.

Auch in den Landesverfassungen sind Grundrechte gewährleistet, die die jeweilige Landesstaatsgewalt binden. Sollten Bundes- und Landesgrundrechte divergieren, kommt Art. 142 GG (als „Sonderregelung“ zu Art. 31 GG) zur Anwendung.

Es existieren zudem internationale Grundrechte, die in völkerrechtlichen Verträgen niederlegt sind, wie in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Diese Grundrechte haben in der deutschen Rechtsordnung (nur) den Rang von Bundesgesetzen, sodass später erlassene Bundesgesetze ihnen nach dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori („das jüngere Gesetz hebt das ältere Gesetz auf“) vorgehen können.9

Die Grundrechte sind aufgrund der Kürze ihrer Formulierung stark interpretationsbedürftig. Durch die Lehre der Grundrechtsfunktionen können die Rechtsfolgen von Grundrechten systematisiert und typisiert werden. Ein Grundrecht kann dabei mehrere Funktionen in sich vereinen. Eine grundsätzliche Differenzierung hat zwischen subjektiv-rechtlichen und objektiv-rechtlichen Inhalten der Grundrechte zu erfolgen. Als subjektive Rechte sind die Grundrechte Rechte des jeweiligen Grundrechtsträgers, z.B. Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe. Als objektive Prinzipien begründen die Grundrechte Pflichten zur Ausgestaltung der staatlichen Rechtsordnung, ohne dass aus diesen Pflichten eine individuelle Berechtigung folgt.10 Die wichtigste Funktion der Grundrechte als subjektive Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat kann mit der sog. Statuslehre umschrieben werden.11 Unterschieden wird dabei zwischen dem status negativus (gesichert durch Abwehrrechte), dem status positivus (gesichert durch Leistungsrechte) und den status activus (gesichert durch Mitwirkungsrechte).

Nach ihrer (Haupt-)Schutzrichtung lassen sich die Grundrechte (bzw. grundrechtsgleichen Rechte) in Freiheits-, Gleichheits- und Justizgrundrechte einteilen. Die Freiheitsgrundrechte sichern dem Grundrechtsträger einen Freiraum vor staatlichen Maßnahmen zu und zielen auf ein staatliches Unterlassen ab, z.B. Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 GG.

Die Gleichheitsrechte (z.B. Art. 3 GG) haben dagegen Nichtdiskriminierungsfunktion. Der Staat darf vergleichbare Sachverhalte nicht willkürlich ungleich und ungleiche Sachverhalte nicht willkürlich gleich behandeln.12

2. Funktionen der Grundrechte13

Die Grundrechte sind aufgrund der Kürze ihrer Formulierung stark interpretationsbedürftig. Durch die Lehre der Grundrechtsfunktionen können die Rechtsfolgen von Grundrechten systematisiert und typisiert werden. Ein Grundrecht kann dabei mehrere Funktionen in sich vereinen. Die wichtigste Funktion der Grundrechte als subjektive Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat kann mit der sog. Statuslehre umschrieben werden. Unterschieden wird dabei zwischen dem status negativus (gesichert durch Abwehrrechte), dem status positivus (gesichert durch Leistungsrechte) und den status activus (gesichert durch Mitwirkungsrechte).

a) Status negativus

Status negativus ist der Zustand, in dem der Einzelne Freiheit vom Staat hat. Ihm liegt die Idee eines liberalen Rechtsstaates zugrunde. Der Bürger kann sein gesellschaftliches Zusammenleben mit anderen ohne den Staat regeln. Die Grundrechte schützen diesen Zustand in Form von Abwehrrechten, die bestimmte Freiheiten, Rechte und Rechtsgüter gegen staatliche Eingriffe schützen. Diese haben die Funktion, die Staatsgewalt zu begrenzen, indem sie für den Staat Unterlassungspflichten aufgeben.14 Da die Grundrechte in erster Linie Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat sind, können sich Organe des Staates nicht gegen andere Teile des Staates auf Grundrechte berufen.

Beispiel:15 Ein Minister, der vom Bundeskanzler angegriffen wird, er habe seine Ressortkompetenz überschritten, will sich vor der Presse gegenüber den „Angriffen“ verteidigen. Untersagt ihm der Bundeskanzler dies, so kann sich der Minister jedenfalls nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen.

b) Status positivus

Status positivus ist der Zustand, in dem der Einzelne von seiner Freiheit nicht ohne den Staat Gebrauch machen kann, sondern für die Schaffung und Erhaltung seiner freien Existenz auf staatliche Hilfe angewiesen ist. Der status positivus ist im Grundgesetz schwächer angelegt. Diese Rechte gewähren Schutz durch den Staat.16

c) Status activus

Status activus ist der Zustand, in dem der Einzelne seine Freiheit im und für den Staat betätigt. Der status activus wird durch Mitwirkungsrechte an der staatlichen Willensbildung und Betätigung gesichert. Hierzu gehören vor allem die sog. staatsbürgerlichen Rechte, wie das aktive und passive Wahlrecht, Art. 38 GG, oder das grundrechtsgleiche Recht auf Zugang zum öffentlichen Dienst nach Eignung und Befähigung, Art. 33 Abs. 2, 3 GG.17

3. Grundrechte als objektives Recht

In den Grundrechten sind nicht nur subjektive Rechte, sondern auch objektive Wertentscheidungen verkörpert.18 Das BVerfG spricht von den Grundrechten als einem Wertsystem das in alle Rechtsbereiche ausstrahlt. Objektivrechtliche Gehalte der Grundrechte sind insbesondere Vorgaben für die Anwendung und Auslegung des Privatrechts (sog. Drittwirkung von Grundrechten), staatliche Schutzpflichten und Einrichtungsgarantien.

a) Staatliche Schutzpflichten

Die grundrechtsgebundene Staatsgewalt hat nach der abwehrrechtlichen Dimension der Grundrechte ungerechtfertigte Eingriffe in Grundrechte zu unterlassen. Darüber hinaus hat sie dem Grundrechtsinhaber aber auch gegen Eingriffe von dritter Seite Schutz zu gewähren. Nur selten fordern die Grundrechte den Staat ausdrücklich zum Schutz der Grundrechtsträger auf, wie in Art. 1 Abs. 1 Satz 2. Für andere Grundrechte kann sich eine Schutzpflicht durch Auslegung der Verfassung ergeben; so besteht z.B. eine Pflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Leib und Leben seiner Bürger zu schützen.

Beispiel: Bei einem Amoklauf in einer Schule, müssen die sich in Tatortnähe befindlichen Polizeibeamten einschreiten und den Bürgern unverzüglich zu Hilfe kommen (es darf z.B. nicht auf das Eintreffen von Spezialeinsatzkommandos gewartet werden). Das Einschreitermessen der Beamten ist hier aufgrund der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG auf Null reduziert.19

Bei der Frage, wie eine Schutzpflicht zu erfüllen ist, billigt das BVerfG dem Gesetzgeber und den sonstigen Staatsorganen eine beträchtliche Entscheidungsfreiheit zu; der Staat hat einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich, wie er seinem verfassungsrechtlichen Auftrag des Grundrechtsschutzes nachkommt. Denn es gibt regelmäßig eine Vielzahl von Möglichkeiten, den Schutz eines von der Verfassung vorgegebenen Ziels zu erreichen.20

Beispiel: Bei einer Geisellage, besteht kein Anspruch des Bürgers, dass die Polizei auf die Forderungen des Geiselnehmers eingeht um das Leben der Geiseln zu retten. Die Einsatzleitung kann auch, wenn es die Lage hergibt, die gewaltsame Befreiung der Geiseln veranlassen.

b) Drittwirkung

Nach Art. 1 Abs. 3 GG verpflichten die Grundrechte die Staatsgewalt in allen ihren Erscheinungen, nicht aber Privatpersonen.21 Allerdings besteht aufgrund des objektiv-rechtlichen Gehalts der Grundrechte eine mittelbare Drittwirkung: Die Grundrechte binden nicht nur den Privatrechtsgesetzgeber, sondern auch die Richter bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts. Als „Einbruchstellen“ der Grundrechte in das Privatrecht dienen dabei die zivilrechtlichen Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe (z.B. § 242 BGB „Treu und Glauben“, § 138 BGB „Gute Sitten“ usw.), bei deren Auslegung die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte zur Geltung kommt. Alle Normen, auch die des Privatrechts, müssen im Geist der Grundrechte ausgelegt und angewandt werden. (grundrechtskonforme Auslegung).22

Beispiel: Eine Tierschutzorganisation ruft medienwirksam dazu auf, keine Hähnchen des Herstellers „Rasenhof“ zu kaufen. Verklagt dieser daraufhin die Tierschutzorganisation auf Unterlassung und Schadensersatz nach § 826 BGB, hat der entscheidende Richter bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals „Verstoß gegen die guten Sitten“ das Grundrecht auf Meinungsfreiheit der Tierschützer, Art. 5 Abs. 1 GG, zu berücksichtigen.

c) Einrichtungsgarantien

Einrichtungsgarantien schreiben Rechtsinstitute verfassungsrechtlich fest und schützen dadurch ihren Kernbestand vor einem Zugriff des einfachen Gesetzgebers. Bei den Einrichtungsgarantien wird zwischen institutionellen Garantien, die sich auf öffentlich-rechtliche Normkomplexe beziehen (z.B. das Berufsbeamtentum, Art. 33 Abs. 4, 5 GG) und Institutsgarantien, die sich auf privatrechtliche Normkomplexe beziehen (z.B. die freie Presse, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GG) unterschieden.23

Beispiel:24 Das Bundesland N beschließt ein Gesetz, nach dem aus Gründen der Kostenersparnis künftig Polizeibeamte nur noch als Angestellte im öffentlichen Dienst eingestellt werden sollen. Das Gesetz ist verfassungswidrig wegen eines Verstoßes gegen den Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4, 5 GG. Danach sind hoheitliche Kernaufgaben, wie die Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit und die Strafverfolgung, zwingend von Beamten wahrzunehmen (institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums).

4. Grundrechtsfähigkeit

Grundrechtsfähigkeit oder (Grundrechtsberechtigung) ist die Fähigkeit, Träger von Grundrechten zu sein. Auf ein Grundrecht kann sich nur berufen, wer konkret grundrechtsfähig ist. Dabei ist zwischen Menschen- und Bürgerrechten zu unterscheiden sowie zwischen der Grundrechtsberechtigung von natürlichen und juristischen Personen.

a) Grundrechtsfähigkeit natürlicher Personen

Die Grundrechtsfähigkeit beginnt grundsätzlich mit Vollendung der Geburt und endet mit dem Tod (d.h., wenn die Hirnfunktionen irreversibel erloschen sind). Zu berücksichtigen sind folgenden Fallkonstellationen:25

dem Nasciturus (also dem werdenden Leben) kommt der Schutz aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bereits ab dem Zeitpunkt der Nidation zu (Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter).

das Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, gilt auch nach dem Tod fort, weil der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in seinem Achtungsanspruch nach seinem Tode nicht herabgewürdigt oder erniedrigt werden darf. So können sich Angehörige auch nach dem Tod des Grundrechtsträgers auf eine Verletzung von dessen Persönlichkeitsrechten berufen (postmortaler Persönlichkeitsschutz).

Die Grundrechte gelten aufgrund der umfassenden Bindung aller Staatsgewalt an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) auch in sog. besonderen Gewaltverhältnissen (oder Sonderstatusverhältnissen). Das sind Rechtsverhältnisse, in denen der Einzelne in einer besonders engen Rechts- und Pflichtenbeziehung zum Staat steht, z.B. bei Beamten, Soldaten, Strafgefangenen oder Schülern.

Die Grundrechtsfähigkeit steht in begrenztem Maß zur Disposition ihres Inhabers. Ein genereller Grundrechtsverzicht ist ausgeschlossen. Allerdings kann ein Grundrechtsträger in konkrete staatliche Eingriffe einwilligen, soweit

die konkrete Grundrechtsposition verzichtbar ist (dies ist bei der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, und dem Recht auf Leben, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, nicht der Fall, sehr wohl aber bei Art. 13 Abs. 1 GG)

die Einwilligung freiwillig erfolgt, d.h. nicht durch Täuschung oder Drohung erwirkt wird

und sich der Einwilligende der Tragweite seiner Willensbekundung bewusst ist. Damit hiervon ausgegangen werden kann, ist stets eine ausdrückliche Einwilligung zu fordern. Das heißt, durch bloßes Schweigen bzw. stillschweigendes Dulden kann keine wirksame Einwilligung vorgenommen werden. Bei besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen, etwa bei einer molekulargenetischen Untersuchung ist zudem eine schriftliche Einwilligung zu verlangen und eine vorherige Belehrung durch die Polizei (vgl. z.B. § 81f Abs. 1 StPO).

26

b) Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen

Unterschieden wird zwischen juristischen Personen des Privatrechts und juristischen Personen des öffentlichen Rechts.

aa) Juristische Personen des Privatrechts

Juristische Personen des Privatrechts besitzen eine durch das einfache Recht verliehene eigene Rechtspersönlichkeit. Sie sind (voll-)rechtsfähig, wie z.B. die Aktiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 AktG), die GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG), oder ein eingetragener Verein (§ 21 BGB). Daneben gibt es Personenmehrheiten, die nicht umfassend rechtsfähig, sondern teilrechtsfähig sind. Das bedeutet, dass deren Rechtsfähigkeit auf bestimmte Rechtsgebiete und Rechtsnormen beschränkt ist (z.B. OHG, KG). Art. 19 Abs. 3 GG erfasst sowohl voll- als auch teilrechtsfähige Personenmehrheiten. Die Grundrechte gelten aber nur für inländische juristische Personen (im o.g. Sinne). Das maßgebliche Kriterium dafür ist anhand der sog. Sitztheorie zu ermitteln. Danach kommt es auf den Sitz der juristischen Person an, der im Inland liegen muss. Entscheidend ist hierbei nicht der satzungsmäßige Sitz der Hauptverwaltung, sondern der tatsächliche Handlungsort der Organe der juristischen Person, das „selbstgewählte Aktionszentrum“. Auf die Staatsangehörigkeit der Mitglieder kommt es nicht an.27

Die Frage, ob juristische Personen des Privatrechts Grundrechtsträger sein können, kann letztlich mithilfe von Art. 19 Abs. 3 GG beantwortet werden.28 In dogmatischer Hinsicht wird durch Art. 19 Abs. 3 GG die Grundrechtsfähigkeit, welche an sich natürlichen Personen zukommt, auch den inländischen juristischen Personen zugesprochen.29 Art. 19 Abs. 3 GG erweitert den Kreis der Grundrechtsberechtigten über denjenigen der natürlichen Personen hinaus. Juristische Personen des Privatrechts besitzen eine durch das einfache Recht verliehene eigene Rechtspersönlichkeit. Sie sind (voll-)rechtsfähig, wie z.B. die Aktiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 AktG), die GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG), oder ein eingetragener Verein (§ 21 BGB). Daneben gibt es Personenmehrheiten, die nicht umfassend rechtsfähig, sondern teilrechtsfähig sind. Das bedeutet, dass deren Rechtsfähigkeit auf bestimmte Rechtsgebiete und Rechtsnormen beschränkt ist (z.B. OHG, KG).30

Begründet wird eine eigene Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen und nicht nur die der hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Person.31 Welchen Umfang diese Erweiterung hat, ist allerdings nicht unumstritten.32

Die Grundrechte gelten aber nur für inländische juristische Personen. Das maßgebliche Kriterium dafür ist anhand der sog. Sitztheorie zu ermitteln. Danach kommt es auf den Sitz der juristischen Person an, der im Inland liegen muss. Entscheidend ist hierbei nicht der satzungsmäßige Sitz der Hauptverwaltung, sondern der tatsächliche Handlungsort der Organe der juristischen Person, das „selbstgewählte Aktionszentrum“.33 Auf die Staatsangehörigkeit der Mitglieder kommt es nicht an.34

Unter inländische juristische Personen sind auch solche zu fassen, die ihren Sitz zwar nicht in Deutschland, aber in einem anderen Mitgliedstaat der EU haben. Eine andere Bewertung wäre mit dem gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV nicht vereinbar.

Die geltend gemachten Grundrechte müssen zudem nach Art. 19 Abs. 3 GG auf die inländische juristische Person wesensmäßig anwendbar sein, wie etwa Art. 14 GG, Art. 5 Abs. 1 und 3 GG oder Art. 13 Abs. 1 GG. Grundrechte, die an natürliche Qualitäten des Menschen anknüpfen (z.B. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 6 GG), kommen somit von vornherein nicht in Betracht.35

bb) Juristische Personen des öffentlichen Rechts

Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts ist umstritten.

Hinter den verschiedenen juristischen Personen des öffentlichen Rechts steht die einheitliche Staatsgewalt, die nicht gleichzeitig grundrechtsverpflichtet (Art. 1 Abs. 3 GG) und grundrechtsberechtigt sein kann (sog. Konfusionsargument).36

Ausnahmen von diesem Grundsatz erkennt das BVerfG in den Fällen, in denen der Rechtsträger einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich unmittelbar zugeordnet ist und infolgedessen als eine staatsunabhängige oder zumindest staatsdistanzierte Einrichtung anzusehen ist. Das sind im Wesentlichen die Rundfunkanstalten, die Universitäten und deren Fakultäten, ferner die Kirchen.37

Die Justizgrundrechte in Art. 101 Abs. 1, 103 GG nehmen eine Sonderrolle ein. Sie gelten auch für ausländische juristische Personen des Privatrechts sowie umfassend für juristische Personen des öffentlichen Rechts.38

c) Grundrechtsmündigkeit

Von der Grundrechtsfähigkeit ist die Frage der Grundrechtsmündigkeit zu unterscheiden. Hier geht es darum, ob die selbstständige Geltendmachung von Grundrechten im konkreten Fall an Altersgrenzen gebunden ist.39 Die Grundrechtsmündigkeit betrifft die Fähigkeit einer Person, ein Grundrecht, dessen Träger sie ist, in möglichen Konfliktsituationen entsprechend ihrer Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit ausüben zu können.40 Die Frage nach der Grundrechtsmündigkeit beantwortet, ob und unter welchen Voraussetzungen der nicht geschäftsfähige Grundrechtsträger seine Grundrechte selbstständig geltend machen kann. Für die Anwendung von Grundrechten, die elementare Rechte gewähren bzw. die menschliche Existenz sichern, besteht kein bestimmtes Alterserfordernis.41

Bei integritätsbezogenen Grundrechten (z.B. Leben, körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG) spielen Altersgrenzen keine Rolle. Die Grundrechtsmündigkeit eines Grundrechtsträgers ist deshalb nur bei tätigkeitsbezogenen Grundrechten zu prüfen.42

5. Grundrechtsprüfung

Bei der Prüfung von Freiheitsgrundrechten und Gleichheitsgrundrechten folgt die Prüfungsreihenfolge zwei Regeln. Freiheitsrechte sind vor Gleichheitsrechten zu prüfen und innerhalb dieser Gruppen die besonderen Rechte vor den allgemeinen. Insofern ergibt sich prüfungstechnisch folgende Reihenfolge:43

Besondere Freiheitsrechte

Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG

Besondere Gleichheitsrechte

Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG

Beispiel: Im Rahmen einer Versammlung beschlagnahmt die Polizei ein Plakat mit vermeintlich beleidigendem Inhalt. Spezifischer und damit vorrangig zu prüfen ist hier die Meinungs- bzw. Versammlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG; Art. 8 Abs. 1 GG); demgegenüber nachrangig ist die mit der Beschlagnahme verbundene Beschränkung der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) des Betroffenen.44

6. Schutzbereich

Der Schutzbereich eines Grundrechts bezeichnet den Bereich, den die Grundrechtsnorm aus der Lebenswirklichkeit als Schutzgegenstand herausschneidet und unter verfassungsrechtlichen Schutz stellt.45 Im Rahmen des sachlichen Schutzbereichs („Was ist geschützt?) sind die durch das betreffende Grundrecht geschützten Verhaltensweisen (z.B. „versammeln“ in Art. 8 GG) oder Rechtsgüter bzw. Schutzgegenstände (z.B. „Leben und körperliche Unversehrtheit“ in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu ermitteln. Dabei sind im Grundgesetz enthaltene Schutzbereichsbeschränkungen – soweit vorhanden – bereits zu berücksichtigen (durch Art. 8 GG sind z.B. nur friedliche und waffenlose Versammlungen geschützt; dementsprechend erstreckt sich auch der Schutzbereich nur auf solche).46

Bei der Prüfung des personalen Schutzbereichs („Wer wird geschützt?“) sind die Personen zu ermitteln, die durch das betreffende Grundrecht geschützt werden (Grundrechtsträger). Hier kommt die Unterscheidung zwischen Deutschen- und Jedermann-Grundrechten zum Tragen (zum Begriff des Deutschen Art. 116 Abs. 1 GG), ferner die Frage nach der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen (Art. 19 Abs. 3 GG).47

7. Grundrechtseingriff

Ist geklärt, dass der Schutzbereich des zu prüfenden Grundrechts eröffnet ist, ist zu untersuchen, ob die gerügte staatliche Maßnahme einen Eingriff darstellt; d.h. eine Beeinträchtigung des grundrechtlich geschützten Verhaltens oder des grundrechtlich geschützten Rechtsguts.48

a) Eingriff

Das grundrechtliche Schutzgut wird durch ein Beeinträchtigungsverbot geschützt. Allerdings ist diese Formulierung unscharf. Unzulässige Einwirkungen auf das Schutzgut eines Grundrechts werden meist als „Eingriff“ bezeichnet. Der Eingriff löst den grundrechtlichen Abwehranspruch aus. Der Gewährleistungsgehalt eines Grundrechts liegt somit in dem Verbot von Eingriffen in das Schutzgut. Jedoch ist nicht jede beliebige Einwirkung auf das Schutzgut ein Eingriff. Dafür müssen vielmehr bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.49

Eingriff wird man definieren können als jedes positive hoheitliche Handeln, das den Grundrechtsträger unmittelbar oder mittelbar in seiner Grundrechtsposition mehr als nur unerheblich beeinträchtigt.50 Dieser Eingriffsbegriff hat grundsätzlich auch beim Allgemeinen Persönlichkeitsrecht Gültigkeit. Nehmen Hoheitsträger Eingriffe vor, bedarf es nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.51

b) Klassischer Eingriffsbegriff

Der klassische Eingriffsbegriff zeichnet sich durch Finalität (nicht bloß unbeabsichtigte Folge eines auf ganz andere Ziele gerichteten Staatshandelns), Unmittelbarkeit (nicht bloß zwar beabsichtigte, aber mittelbare Folge des Staatshandelns), Rechtsförmigkeit (rechtliche, nicht bloß tatsächliche/faktische Wirkung) und imperativen Gehalt (mit Befehl und Zwang angeordnet bzw. durchsetzbar) aus.52

Beispiel: Verpflichtung zur Duldung einer körperlichen Untersuchung

(Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

c) Weiter Eingriffsbegriff

Auch (nur) mittelbare oder faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen können Eingriffe darstellen.53

Beispiel: Warnungen vor dem Genuss bestimmter Lebensmittel (Art. 12 Abs. 1 GG) oder vor Jugendsekten (Art. 4 Abs. 1 GG). Insoweit ist von einem weiten Eingriffsbegriff auszugehen.

Eingriff ist danach jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, (wesentlich) erschwert oder ganz oder teilweise unmöglich macht (weiter Eingriffsbegriff).

8. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Könnte jeder Grundrechtsträger von seinen Grundrechten grenzen- und rücksichtslos Gebrauch machen, würde das zwangsläufig zu Konflikten mit den Interessen der Allgemeinheit und den Grundrechten anderer Grundrechtsträger führen. Die Grundrechte sind deshalb koordinierungs- und kompatibilisierungsbedürftig.54 Dem Grundrechtsgebrauch müssen also Schranken gezogen werden.

a) Schranken

Die meisten Grundrechte enthalten einen Gesetzesvorbehalt („Schrankenvorbehalt“), wonach ein Grundrecht z.B. „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes“ beschränkt werden darf. Damit obliegt die angesprochene Ausgleichsaufgabe primär dem Gesetzgeber. Bei den Gesetzesvorbehalten werden zwei Erscheinungsformen unterschieden:

einfache Gesetzesvorbehalte erlauben Einschränkungen durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes ohne nähere Qualifizierung (z.B. Art. 2 Abs. 2 Satz 3, 8 Abs. 2, 12 Abs. 1 Satz 2 GG);

qualifizierte Gesetzesvorbehalte lassen eine Beschränkung des Grundrechts nur unter bestimmten Voraussetzungen, bei bestimmten Situationen, zu bestimmten Zwecken oder durch bestimmte Mittel zu (z.B. Art. 5 Abs. 2, 11 Abs. 2, 13 Abs. 2 bis 7 GG).

Aber auch normtextlich vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte (z.B. Art. 4 Abs. 1, 2, 5 Abs. 3 GG) können beschränkt werden. Sie unterliegen aber einem erhöhten Rechtfertigungsniveau: „Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung im Stande, „uneinschränkbare“ Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen“.55 Grundlage muss ein Gesetz sein. Eine Grenzziehung durch Gesetz ist auch bei fehlendem Gesetzesvorbehalt nicht entbehrlich, sondern im Gegenteil wegen des hohen Ranges des vorbehaltslosen Grundrechts besonders wichtig und folgt im Übrigen bereits aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes.56

b) Schranken-Schranken

Dem das jeweilige Grundrecht beschränkenden Gesetzgeber sind wiederum Grenzen gesetzt. Er ist an die sog. Schranken-Schranken gebunden. Diese können sich direkt aus dem eingeschränkten Grundrecht ergeben, sowie aus Art. 19 Abs. 1, 2 GG und dem Übermaßverbot. Aber auch Verstöße gegen sonstiges Verfassungsrecht, z.B. das Rechtsstaatsprinzip, führen zu einer Grundrechtsverletzung. Infolge dessen ist das grundrechtsbeschränkende Gesetz umfassend in formeller (Kompetenz, Verfahren) und materieller Hinsicht (z.B. Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit) auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.57 Einschränkende Verfassungsprinzipien („Schranken-Schranken“) sind insbesondere

Verbot von Einzelfallgesetzen (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG),

Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG),

Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) und die

Wechselwirkungslehre

58

Das Zitiergebot gilt nur für Grundrechte, die „durch oder aufgrund eines Gesetzes“ beschränkt werden können, Nachdem z.B. der allgemeinen Handlungsfreiheit aber die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung sowie das Sittengesetz Schranken setzen, gilt für sie das Zitiergebot nicht.59

II. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht

Nach seinem Wortlaut gewährt Art. 2 Abs. 1 GG jedem die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“, soweit er nicht dabei gegen die Rechte anderer verstößt, das Sittengesetz oder die verfassungsmäßige Ordnung (Schrankentrias). Die „freie Entfaltung“ wurde zur allgemeinen Handlungsfreiheit oder auch Verhaltensfreiheit entwickelt. Der Begriff der Persönlichkeit ist dagegen in der Folge vom BVerfG unter Aufnahme des Anliegens der Persönlichkeitstheorie zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht weiterentwickelt worden.

Während die allgemeine Handlungsfreiheit die Rechtssphäre des Einzelnen insgesamt umfassend schützen will60, geht es bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht darum, wichtige Elemente der Persönlichkeit des Menschen unter Bezug auch auf Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich zu schützen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird deshalb auch zitiert mit Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.61

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist wie ein eigenständiges Grundrecht zu behandeln. Es ist im Verhältnis zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Art. 2 Abs. 1 GG das speziellere Grundrecht und daher vorrangig.62

1. Einführung

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ und wird entsprechend regelmäßig in Art. 2 Abs. 1 GG. i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankert.63 Das Grundrecht findet sich nicht im Verfassungstext von 1949; es ist vielmehr eine spätere Schöpfung der Rechtsprechung. Es wurde ausdrücklich entwickelt, um den grundrechtlichen Schutz neunen Entwicklungen anpassen zu können.64

Dem Schutz der Persönlichkeit dienen neben sog. besonderen Rechten, die lediglich einzelne Facetten erfassen, auch allgemeine Rechte. Die übliche Bezeichnung „allgemeines Persönlichkeitsrecht“ ist gleichwohl kein gesetzlicher, insbesondere kein grundgesetzlicher Terminus. In Art. 2 Abs. 1 GG heißt es lediglich, dass jeder „das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ hat. Die Rechtsprechung leitet hieraus allerdings ein allgemeines Persönlichkeitsrecht ab, das sich in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG mittlerweile zu einem eigenen Grundrecht verselbstständigt hat.65

Art. 1 Abs. 1 GG

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.66

Durch Art. 1 GG steht ein Halte- und Orientierungspunkt bereit, der nicht nur ein ethisch-moralisches Angebot ist, das man annehmen oder auch ablehnen kann, sondern das vielmehr als Teil der Verfassung ein verbindliches normatives Prinzip darstellt.67

Die Menschenwürdegarantie ist ein verfassungsrechtliches Tabu.68 Ein in letzter Zeit besonders umstrittener Fall des Absolutheitsanspruchs der Menschenwürdegarantie war die Frage nach der Zulässigkeit der „Rettungsfolter“69, insbesondere bei tragischen Fällen von „Würdekollisionen“.70 Typische Fälle der Verletzung der Menschenwürde sind Sklaverei, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungsweisen, vollständige Entrechtung oder Entzug von Privatheit/Intimsphäre.71 Auch in der Erniedrigung oder Ächtung von Personen kann eine Beeinträchtigung liegen.72 Inhaltlich bedeutet Menschenwürde die grundsätzliche Achtung vor dem Eigenwert der menschlichen Person.73

Versucht man die Rechtsprechung und Lehre zu systematisieren, so kristallisieren sich als Bezugspunkte heraus:74

der Schutz der menschlichen Identität und des Eigenwerts jedes Menschen;

der Schutz der körperlichen und seelischen Integrität;

der Schutz der Intimität;

der Schutz des Kernbereichs der menschlichen Selbstbestimmung;

der Schutz der Sozialbezogenheit;

der Schutz des Existenzminimums als materieller Basis menschlichen Daseins.

Die Würde des Menschen ist ein objektiver, unverfügbarer Wert, auf dessen Beachtung der einzelne nicht wirksam verzichten kann.75 Ausgeschlossen ist demnach die Möglichkeit der Einwilligung des Betroffenen in die Verletzung seiner Würde, denn diese steht nicht zu seiner Disposition.76

Beispiel („Zwergenweitwurf“):77 Die Veranstaltung eines sog. Zwergenweitwurfs verstößt gegen die guten Sitten, weil sie durch die Umstände ihres Ablaufs die Würde des Menschen verletzt.

Beispiel („Zellengröße“):78 Eine längerfristige Unterbringung eines Gefangenen in einem Haftraum von etwa 4,5 m2 verstößt gegen dessen Menschenwürde.

Eine Ausweitung des Schutzes der Menschenwürde auf einen „Schutz vor sich selbst“79 dürfte aber dem Ziel der Unantastbarkeit der Menschenwürde widersprechen und der Bedeutung der eigenen Empfindungen des Betroffenen für den Inhalt der Menschenwürde nicht gerecht werden. Ein Schutz gegen den Willen des Betroffenen ist regelmäßig nicht erforderlich. Nur wenn ernsthafte Zweifel an der Fähigkeit zu einer wirklich freien Entscheidungsfindung bestehen, kommt eine Schutzpflicht des Staates aus Art. 1 GG gegen den Willen des Grundrechtsträgers in Betracht. Darüber hinaus gehört zum Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG nach einhelliger Ansicht, dass der Mensch als ein Wesen geschützt werden soll, das kraft seines Geistes befähigt ist, sich seiner selbst bewusst zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich und seine Umwelt zu gestalten. Es gibt also keine staatliche Verpflichtung des Menschen zum „richtigen“ Menschsein.80 Menschenwürde ist vielmehr auch dann vorhanden, wenn der konkrete Mensch die Möglichkeit freier Selbstgestaltung zur Selbsterniedrigung missbraucht. Denn solch „unwürdiges“ Verhalten ist als Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet und staatlicherseits als erlaubt hinzunehmen, soweit dieses Verhalten nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.81

Problematisch sind also die Fälle, in denen es wirklich im objektiven Sinne um eine Erniedrigung geht, in denen aber nicht selten der oder die Betroffene „mitspielt“. Geht man davon aus, dass die Menschenwürde auch die Selbstbestimmung umfasst, dann kommen nur Extremfälle von nahezu masochistischer Qualität in Betracht, wenn es darum geht, die in freier Selbstbestimmung getroffene Entscheidung zu übergehen. Das ist bei den „Peep-Show“-Fällen zumindest fragwürdig.

Das BVerwG hat in seiner ersten Peep-Show-Entscheidung vom 15.12.1981 sein Sittenwidrigkeitsurteil darauf gestützt, die spezifische technisch-räumliche Ausgestaltung des Vorgangs „vermittle den besonders krass hervortretenden Eindruck einer entpersonifizierenden Vermarktung der Frau. Darin liege zugleich eine Verletzung ihrer Würde“.82 Diesem Ansatz folgend, wird problematisches Moralisieren ersetzt durch den Rückgriff auf Grundrechtspositionen.83 Diese grundrechtsdogmatische Rekonstruktion ist indes kritisch zu reflektieren. Zu berücksichtigen ist, dass die Menschenwürde auch gegenüber (unterstellt) freier Entscheidung des Würdeträgers selbst geschützt wird, sodass das Grundrecht zu einer Grundpflicht, sich menschenwürdig zu verhalten, umgedeutet wird.84 Dies ist nicht zu Unrecht als „pseudoobjektive Scheinlegitimation“ kritisiert worden.85 Das BVerwG löste das Verdikt der Sittenwidrigkeit von der Frage der Menschenwürdekompatibilität. Es stellt zwar weiterhin auf die sozialethischen Wertvorstellungen ab, greift aber zur näheren Konkretisierung nicht mehr auf Art. 1 Abs. 1 GG, sondern auf die Mehrheitsüberzeugung innerhalb der Bevölkerung zurück.86 In einem zweiten Schritt relativiert das BVerwG dann allerdings die Bedeutung der tatsächlichen Mehrheitsüberzeugung. Das Sittenwidrigkeitsurteil über die kommerzielle Ermöglichung und Ausnutzung bestimmter Darbietungen wird nunmehr vor dem Hintergrund des ethisch Gesollten gefällt.87 Nunmehr werden die guten Sitten i.S. von § 33 Abs. 2 Nr. 2 GewO als diejenigen sozialethischen Wertvorstellungen interpretiert, die in der Rechtsgemeinschaft vertreten werden.88

Die Grenze zur unzulässigen Selbsterniedrigung ist aber beim Flatrate-Bordell überschritten. Hier wird zumindest suggeriert, dass die Freier nach Zahlung einer Pauschalgebühr ohne zeitliche und persönliche Grenzen über die „gekauften“ Frauen verfügen können. Es wird geradezu zugesichert, dass es auf die Selbstbestimmung über ihren Körper nicht mehr ankommt. Hier ist die Menschenwürde verletzt.89

Obwohl die Menschenwürde einen wesentlichen Teil der deutschen Verfassungsidentität ausmacht, sind selbst dogmatische Grundsatzfragen umstritten.90 Bei der Definition des Schutzbereichs erweist sich die These vom „schwierigen“ Grundrecht in doppelter Weise als richtig: Ist der Schutzbereich der Menschenwürde eröffnet und greift eine Maßnahme in den Schutzbereich ein, dann steht wegen der Unantastbarkeit der Menschenwürde die Grundrechtsverletzung fest.91

Bei der Schutzbereichsbestimmung wird zurückgegriffen auf die klassische „Dürig’sche Objektformel“92, wonach der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns werden darf. Die Objektformel hat zwar ihre Schwächen. Man hat sie als Leerformel kritisiert.93 Aber eines kann man ihr bei allen offensichtlichen Schwächen nicht absprechen, dass sie nämlich gerade einen situationsunabhängigen Geltungsanspruch aller Menschen im Staat des Grundgesetzes zu beschreiben versucht. Die Objektformel schafft jedenfalls Klarheit, dass der Zweck, für den der Mensch als Objekt oder Instrument behandelt wird, nicht zählt; auch der beste oder höchste Zweck macht die Behandlung nicht menschenwürdeverträglich. Bei der Menschenwürde geht es also nicht um das Verhältnis zwischen Zweck und Mittel, nicht um Abwägung und Verhältnismäßigkeit, sondern um das Verbot der Behandlung als Objekt oder Instrument schlechthin.94

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird als das wichtigste und in der Praxis bedeutsamste Grundrechte überhaupt bezeichnet95 und gewinnt aufgrund neuer Technologien, wissenschaftlicher Forschungsmöglichkeiten und einer zunehmend „explodierenden“ Mediengesellschaft immer mehr an Bedeutung.96

Art. 2 Abs. 1 GG

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Nach seinem Wortlaut gewährt Art. 2 Abs. 1 GG jedem die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“97, soweit er nicht dabei gegen die Rechte anderer, das Sittengesetz oder die verfassungsmäßige Ordnung (Schrankentrias) verstößt.98 Ursprünglich wurde der Schutzbereich des Grundrechts von der sog. Persönlichkeitstheorie dahingehend verstanden, dass nur ein bestimmter Kernbereich des Persönlichen geschützt wird. Mit dem Elfes-Urteil hat das BVerfG 195799 dieser Theorie eine Absage erteilt.100 Das BVerfG stellte vor allem darauf ab, was unter „freier Entfaltung“ zu verstehen ist. Die „freie Entfaltung“ wird sodann zur allgemeinen Handlungsfreiheit oder auch Verhaltensfreiheit entwickelt.101 Dass die Ableitung der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG durch das BVerfG richtig ist, bestätigt die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes,102 da sich bereits im Herrenchiemseer-Entwurf (1948) die Formulierung findet, dass jeder die Freiheit hat, „ innerhalb der Schranken der Rechtsordnung und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet.“103

Der heutigen Fassung von Art. 2 Abs. 1 GG geht die berühmt gewordene Formulierung nach Art. 2 Abs. 2 des Entwurfs von Herrenchiemsee voraus: „Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der Rechtsordnung und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet“. Einem anderen Wortlaut wurde sodann – auf den Vorschlag von Mangoldts hin – in den Beratungen des Parlamentarischen Rats vor allem deshalb der Vorzug gegeben, weil dieser dem Stil der übrigen Freiheitsgewährleistungen besser entsprach. Garantiert ist dem Einzelnen daher „das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.104 Auf diesen entstehungsgeschichtlichen Befund rekurriert die heute vorherrschende Auffassung zum Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG, nach der das Grundrecht die allgemeine Handlungsfreiheit in einem weiten Sinne gewährleistet.105

Während die Persönlichkeitsentfaltung durch das eigene Verhalten mittels der ebenfalls in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt wird, hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Voraussetzungen der Persönlichkeitsentfaltung zum Gegenstand.106

Art. 2 Abs. 1 GG ist Auffanggrundrecht gegenüber den speziellen Grundrechten („lückenschließende Auffangfunktion“107) und tritt hinter diesen zurück, soweit deren Schutzbereiche reichen.108 Geschützt sind alle Verhaltensweisen, die nicht vom Schutzbereich eines speziellen Freiheitsrechts erfasst werden. Das Grundrecht schützt dabei nicht nur die Freiheit, sich (grundsätzlich) so zu verhalten, wie man will (Handlungsfreiheit), sondern auch die Integrität der Persönlichkeit selbst, d.h. das „Sein“ im Unterschied zum „Tun“.109 Beispiele für die Handlungsfreiheit sind z.B. das Reiten im Wald110 oder das Taubenfüttern im Park.111

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde vom BVerfG in richterrechtlicher Rechtsfortbildung aus der allgemeinen Handlungsfreiheit in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie heraus als eigenständiges Grundrecht mit unterschiedlichen inhaltlichen Ausprägungen entwickelt. Während allerdings bei der allgemeinen Handlungsfreiheit das aktive Tun des Einzelnen im Fokus des Schutzes steht, dient das allgemeine Persönlichkeitsrecht eher dem Schutz der passiven Freiheit.112

Es wird definiert als Recht des Einzelnen auf Achtung und Entfaltung seiner Persönlichkeit.113

Sowohl in der Praxis als auch im Studium spielt das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine wichtige Rolle, und zwar nicht nur im öffentlichen Recht, sondern auch im Zivilrecht.114

Neben dem Recht spielt die „Persönlichkeit“ im Führungsprozess eine entscheidende Rolle. Menschen glauben an ihre Einzigartigkeit. Sie sehen sich als unverwechselbar und gestehen dies in der Regel auch ihren Mitmenschen zu. Die Wahrnehmung dieser Einzigartigkeit hängt vor allem an den zuerkannten Eigenschaften, den erlebten Gefühlen und Emotionen, aber auch an den empfundenen oder zugeschriebenen Motiven von Handlungen.115 Der Wunsch als einzigartiges Wesen, als Individuum gesehen zu werden, ist dem Menschen eigen – niemand möchte als eine gesichtslose Kreatur in einer Massen eingestuft werden. Genauso stark ist der Wunsch, dass andere diese Einzigartigkeit respektieren. Diese Bedürfnisse sind in der Arbeitswelt die gleichen wie in der Privatwelt, daher scheinen Hinweise aus der Führungslehre, den Mitarbeiter als Persönlichkeit wahrzunehmen und die spezifischen Eigenschaften, Emotionen und Motivlagen zu respektieren, nur logisch.116

Die Zivilrechtsprechung hat ein in Art. 1 GG und in Art. 2 Abs. 1 GG verwurzeltes allgemeines Persönlichkeitsrecht 20 Jahre früher anerkannt als das BVerfG. In seinem Leserbrief-Urteil führte der BGH 1954 aus, dass die Art. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG einen unmittelbar zwischen Privaten geltenden Verbotstatbestand beinhalten.117 Wenig später nahm das Gericht von dieser unmittelbaren Drittwirkung118 Abstand und ordnete das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht in § 823 Abs. 1 BGB ein.119 Aufgrund der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Rechtsprechung des BGH seit dem Jahr 1954 als „sonstiges Recht“ i.S. des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt.120 Diese Rechtsfortbildung der Zivilgerichte hat das BVerfG 1973 im Soraya-Beschluss gebilligt.121 Anders als der unmittelbare Eingriff in die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte und Rechtsgüter indiziert der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings noch nicht die Rechtswidrigkeit. Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein sog. offener oder Rahmentatbestand. Aufgrund seiner „generalklauselartigen Weite und Unbestimmtheit“ liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist grundsätzlich nur dann rechtswidrig und begründet nur dann Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Schadensersatzansprüche, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.122

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht lässt sich – auch wenn im Grundgesetz explizit nicht so verankert – aus der Zusammenschau des Art. 2 Abs. 1 GG mit der Garantie der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG herleiten. Das Grundgesetz kennt indes weder den Begriff der „Privatsphäre“ noch den der „Privatheit“. Privatheit lässt sich nicht unvermittelt als Schutzgegenstand der Grundrechte des Grundgesetzes erfassen. Sie erschließt sich insgesamt nicht als reiner Rechts-, sondern als ein von zahlreichen Disziplinen geprägter Schlüsselbegriff.123 Auch im Herrenchiemseer-Entwurf (1948) kommen die Begriffe nicht vor. Vielmehr wird das, was man umgangssprachlich als „Privatsphäre“ bezeichnen könnte, durch das Zusammenwirken mehrerer grundrechtlicher Normen geschützt, insbesondere durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.124 Privatheit ist mithin ein Schlüsselbegriff, dessen Heterogenität und Vielschichtigkeit sich auch dem Recht vermitteln. Gegenwärtig verändern sich leitbildende Denkmuster infolge des sozialen und technischen Wandels. Grundrechtsbezogen lässt sich Privatheit breit als Fundament liberaler Freiheitsrechte, aber auch enger als Schutz räumlicher Sphären oder des Anspruchs auf Achtung der Privatsphäre verstehen.125

Die grundrechtliche Freiheit ist sehr stark abgesichert, wenn zur allgemeinen Handlungsfreiheit die Menschenwürde tritt.126 Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem der Einzelne seine Individualität entwickeln kann,127 also die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ als solche und ihre Grundbedingungen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht enthält die „Garantie bestimmter Freiräume im engsten persönlichen Lebensbereich“.128

Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob es sich bei Art. 1 Abs. 1 GG überhaupt um ein die drei Staatsgewalten unmittelbar bindendes und als solches schon aus sich selbst heraus – und nicht erst i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG – mit der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG rügefähiges Grundrecht handelt.129 Zumindest der Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG („die nachfolgenden Grundrechte“) lässt daran zweifeln. Systematisch gehört Art. 1 Abs. 1 GG, wie die Überschrift von Abschnitt 1 und Art. 142 GG zeigen, zu den Grundrechten.130

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet dem Einzelnen die engere persönliche Lebenssphäre. Unter den zahlreichen aus Art. 2 Abs. 1 GG entwickelten (unbenannten) Freiheitsrechten (Innominatfreiheitsrechte) besitzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine herausgehobene Stellung aufgrund seiner besonderen dogmatischen Konturierung und Ausdifferenzierung einerseits sowie seines besonders engen Bezugs zur Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) andererseits.131

Das aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. GG hergeleitete Recht auf Achtung der Privatsphäre ist Ausgangsbasis der Entwicklung grundrechtlicher Determinanten im Hinblick auf den staatlichen Umgang mit persönlichen Informationen und Daten. Ursprünglich umriss die „Privatsphäre“ eine abgeschottete Situation des Alleinseins oder der Interaktion weniger Beteiligter. Gesprächsinhalte oder Daten waren „privat“, wenn und weil sie die Privatheit ihres Entstehungskontexts teilten. Die engen Grenzen dieser Konzeption sind freilich mittlerweile überwunden.132

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht enthält verschiedene von der Rechtsprechung entwickelte Untergruppen. Soweit sie eine ausdrückliche gesetzliche Normierung erfahren haben, wird von besonderen Persönlichkeitsrechten gesprochen, z.B. § 22 KunstUrhG, § 12 BGB, §§ 12 ff. UrhG). Liegt so eine gesetzliche Ausformung vor, ist diese als lex specialis zunächst zu prüfen, bevor auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückgegriffen werden darf.133 Bei einer Verletzung des Rechts am eigenen Bild sind somit grundsätzlich die spezielleren Vorschriften des KunstUrhG heranzuziehen, sodass ein Rückgriff auf allgemeine Vorschriften zum Schutz des APR nicht in Betracht kommt.134 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist mithin „Quellrecht“ für weitere Schutzrechte. So stellt das in § 22 KunstUrhG einfachgesetzlich ausgestaltete Recht am eigenen Bild eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Abgebildeten dar.135

Die „freie Entfaltung“ wurde zur allgemeinen Handlungsfreiheit oder auch Verhaltensfreiheit entwickelt. Der Begriff der Persönlichkeit ist dagegen in der Folge vom BVerfG unter Aufnahme des Anliegens der Persönlichkeitstheorie zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht weiterentwickelt worden. Während die allgemeine Handlungsfreiheit die Rechtssphäre des Einzelnen insgesamt umfassend schützen will, geht es bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht darum, Elemente der Persönlichkeit des Menschen unter Bezug auch auf Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich zu schützen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird deshalb auch zitiert mit Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.136 Während die freie Entfaltung der Persönlichkeit und der „Normalfall“ menschlicher Selbstbestimmung in Art. 2 Abs. 1 GG geregelt sind, gibt es einen Kern, der unter den Schutz der Menschenwürde fällt, z.B. die Selbstbestimmung über die eigene Sexualität oder über grundlegende personenbezogene Informationen. Hierunter fällt auch die Entscheidung darüber ob der Mensch etwas sagt und was er sagt.

So ist eine Folter nicht nur ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und 104 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern immer auch ein Eingriff in die Menschenwürde, weil sie exakt auf den Kern der Selbstbestimmung zielt.137 Hierzu hat das LG Frankfurt am 04.08.2011 (Az. 2-04 O 521/05) entschieden, dass das Land Hessen dem verurteilten Kindsmörder Magnus G. € 3.000 Schmerzensgeld für die Folterdrohung in einem Polizeiverhör zahlen muss. Gäfgen hatte 2002 den Bankierssohn Jakob von M. entführt und ermordet. Die Polizei hatte nach Gäfgens Festnahme mit ihrer Drohung im Verhör den entführten Bankierssohn noch retten wollen. Die Leiche des Kindes war dann allerdings wenig später aus einem Tümpel geborgen worden.

Auch beim Einsatz eines sog. Lügendetektors steht das BVerfG auf dem Standpunkt, dass so eine „Begutachtung“ eine Verletzung der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts darstellt.138 Insofern ist ein Polygraphietest auch im Disziplinarverfahren kein geeignetes Beweismittel.139 Die forensische Psychophysiologie beschäftigt sich mit dem Aufspüren von Lügen anhand körperlicher Reaktionen. Der Polygraph misst mit Sensoren und Elektroden körperliche Veränderungen; üblicherweise sind dies Atemfrequenz und -tiefe, Schweißabsonderungen, Blutdruck, Hautleitfähigkeit und Herzaktivität; seine Trefferquote wird insgesamt mit ca. 70 bis 90 % beziffert.140

In der Rechtsprechung des BVerfG kann das Zusammentreffen grundrechtlicher Bestimmungen zu deren Verbindung führen. Die Verbindung von Grundrechten untereinander wird auch als „partielle Verbundlösung“ von Konkurrenzproblemen durch das BVerfG beschrieben. Dagegen sind in Kollisionsfällen Verbindungen nicht möglich, „weil das BVerfG Verbindungen nur zwischen Grundrechten und anderen grundgesetzlichen Bestimmungen knüpft, die es in Bezug zu einem bestimmten Grundrechtsträger setzt“.141

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst verschiedene Ausprägungen der Selbstbestimmung,142 z.B.

die Darstellung in der Öffentlichkeit,

das Recht am eigenen Bild,

Recht am eigenen Namen,

143

Wahrung der eigenen Ehre,

Recht am eigenen Wort

und das Recht, über die Preisgabe und Verwendung der eigenen Daten zu bestimmen (Recht auf informationelle Selbstbestimmung144).

Als das BVerfG im Jahr 1983 im Volkszählungs-Urteil mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht ein Abwehrrecht des Bürgers gegen die „unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten“ schuf,145 begründete es ein verfassungsrechtliches Schutzkonzept von schlichter und klarer Schönheit, das gleichwohl von Weitsicht geprägt war und sich als erstaunlich haltbar erwiesen hat.146 Schon die in diesem Urteil entwickelten Anforderungen an den staatlichen Datenzugriff waren so präzise formuliert, dass sie umfängliche Umbauarbeiten insbesondere in den Polizei- und Sicherheitsgesetzen erforderlich machten.147 Beim Volkszählungs-Urteil Anfang der 1980er-Jahre ging es noch darum, dass der Staat von Tür zu Tür ging, um Daten quasi von Hand abzufragen. Heute hinterlässt jeder Smartphone-Benutzer täglich eine – für damalige Verhältnisse – unvorstellbare Menge an Bewegungs- und Kommunikationsdaten. Doch der Unterschied liegt nicht nur in der größeren Quantität und Qualität der Daten oder einer veränderten Gefährdungslage für die Daten durch fortschreitende technische Möglichkeiten: Früher waren es fast ausschließlich staatliche Stellen, die Daten erhoben, sammelten und auf Lochkarten übertrugen. Heute sind es aber gerade auch private Firmen wie Facebook oder Google, die umfangreiche Datenberge anlegen.148

Seine „freie Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft“ kann der Einzelne nur wahrnehmen, soweit es ihm möglich ist, Informationen über seinesgleichen zu erfassen und zu verarbeiten.149 Die freie Entfaltung der Persönlichkeit erfordert den Schutz des Menschen gegen eine unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten. Es wäre mit der Verbürgung der Menschenwürde nicht zu vereinbaren, „wenn der Neugierde des Staates, dem Vordringen in den Bereich innerer Persönlichkeitsentwicklung, kein angemessenes grundrechtliches Gegengewicht entgegengesetzt werden könnte“.150

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bildet eine zentrale Grundlage für den Datenschutz in Deutschland.151 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat auch und gerade in sozialen Netzwerken eine hohe Bedeutung. Es entspricht der Verantwortung und dem geschäftsbedingten Interesse des Betreibers eines sozialen Netzwerks, sein Angebot so zu gestalten, dass die personenbezogenen Daten der Nutzer optimal geschützt werden und diese selbstbestimmt über ihre Daten verfügen können.152

Ausgangspunkt ist das verfassungsrechtliche Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Im Kern geht es um eine Fortentwicklung des Rechts auf Achtung der Privatsphäre, wobei als Schutzgegenstand die Selbstbestimmung des Einzelnen und als Gefährdungslage der konkrete Verwendungszusammenhang von Daten ausgemacht wurde.153 Weil die sozialen Bezüge und Verwendungszusammenhänge aber nicht zum Gegenstand des Schutzbereichs erklärt, sondern bei den Schranken verortet werden, verselbstständigte sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ließ den grundrechtlichen Freiheitsvoraussetzungsschutz zum Inhalt eines Grundrechts werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ist der Schutzbereich durch die Befugnis des Einzelnen gekennzeichnet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Schutzgegenstand ist eine Datenverfügungsbefugnis, die zwar nicht unmittelbar das grundrechtliche Schutzgut abbildet und damit nicht um ihrer selbst willen geschützt ist, dessen abwehrrechtlicher Schutz dann aber schnell auf einen Mechanismus zur Sicherung anderer Freiheiten verkürzt wird.154