Ponnamal - Amy Carmichael - E-Book

Ponnamal E-Book

Amy Carmichael

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Beschreibung

Ponnamal war eine enge und treue Gefährtin der bekannten Missionarin Amy Carmichael. Ohne diese hingegebene und talentierte Frau kann man sich die Entstehung der Dohnavur-Gemeinschaft kaum vorstellen – und doch gefiel es Gott, Amy diese so wichtige Stütze bereits nach wenigen Jahren gemeinsamen Dienstes zu nehmen.

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AmyCarmichael

Ponnamal

Bis zur äußersten Grenze

Übersetzt von Erika Wuttke (um 1930),

sprachlich bearbeitet von Heinrich Töws (2022).

Impressum:© 2024 Christlicher Missions-Verlag e.V., Elverdisser Str. 29, 33729 Bielefeld

ISBN: 978-3-86701-701-5

Inhalt

1. Ponnamal

2. Die Erweckung

3. Die Befreiung

4. Bis zur äußersten Grenze

5. Unterland

6. Und siehe, wir schreiten zur Tat

7. Und es kam zustande

8. Macht voran!

9. Immer am Platz

10. Ihr Tagewerk

11. Ihrer Generation voraus

12. Gott, unsere Zuversicht

13. Der Herr, unser Arm

14. Der Ausbruch der Schmerzen

15. Ihre Musik

16. Mitten im Schmelzofen

17. Unser Triumphzug

Amy Carmichael erzählt

1. Ponnamal

Die junge Frau stand allein im dunklen Raum. Aufmerksam lauschte sie in die Finsternis hinein. Niemand um sie her rührte sich. Ihr kleines Töchterchen schlief ruhig auf der Matte, die alte Schwiegermutter atmete schwer und gleichmäßig. Sie wür­de nicht so bald erwachen.

Die junge Witwe zog die schweren eisernen Riegel der Tür zurück und schlüpfte hinaus in die Nacht. Draußen, unter dem silberweißen Schein der Sterne, die mitleidig auf sie herabzu­blicken schienen, stand sie still. Die weiche, warme Luft umschmeichelte ihren zart gebauten Körper. Sie wusste, dass ihr Vorhaben falsch war und dass sie im Begriff stand, eine Sünde zu begehen. Aber ihre Seele war zu stark von Vereinsamung und Verelendung überwältigt, als dass sie noch auf ihr Gewissen hätte hören können. Seitdem sie keinen Mann mehr hatte, wurde ihr Leben immer schwerer. Nun war es zu schwer, um es noch länger zu ertragen. Gott allein weiß, wie unerträglich das Leben einer indischen Witwe gemacht werden kann.

Jetzt hatte sie sich aus dem Haus hinausgeschlichen, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. Der Brunnen war nicht weit weg; es zog sie förmlich zu der dunklen Tiefe hin, in deren Schlund alles still wird. So manch eine Leidensgenossin hatte bereits den Weg dorthin gefunden. Und doch, als ihr Fuß die Schwelle des Hauses überschritten hatte, zögerte sie noch einmal. Sie blickte nach oben. Das ferne Funkeln der stillen Sterne beruhigte sie. Die angenehme Nachtluft ergoss sich wie heilender Balsam auf ihre Seele.

Während sie so dastand, tauchte in ihr die Erinnerung an eine andere indische Witwe auf, von der sie gelesen hatte. Ein großes Werk hatte diese gegründet und geleitet, dort, im Westen von Indien. Eine Witwe – und dennoch von Nutzen für Indien? Könnte diese Tatsache nicht erneut zur Tatsache werden, und zwar in ihrem eigenen Leben? Vielleicht gab es auch für die arme Einsame hier unter dem Sternenlicht noch ein­mal etwas zu tun… Nein, sie wollte in dieser Nacht noch nicht alle Hoffnung von sich werfen. So schlich sie sich zurück in die Schlafkammer und legte sich auf ihre Matte. Sie zog ihr einziges Kindchen näher an sich heran, ihr klei­nes Mädchen, das sie in ihrem Elend soeben für immer verlassen wollte. Schlaflos mit offenen Augen daliegend, ließ die jun­ge Frau Gedanke um Gedanke an ihrem Geist vorüberzie­hen, bis der Tag anbrach.

Ponnamal war im August 1875 geboren, in demselben Jahr, in dem Edward, Prinz von Wales, Indien bereiste. Auch in der Nähe von Ponnamals Geburtsort wurde er von indischen Chris­ten begrüßt, unter denen auch Ponnamals Vater war. Und weil das kleine Mädchen in einem so bedeutenden Jahr zur Welt gekommen war, sagten die Dorfleute zu ihrem Vater, sie wer­de groß werden unter dem Frauengeschlecht. Der gute Mann glaubte es, freute sich sehr über sein Töchterchen und nannte es Ponnamal, was Goldmutter heißt. Ponnamal wuchs zu einem reizenden Mädchen heran. Weich und hell war ihre Hautfarbe. Sie hatte klare Augen, die offen in die Welt hineinschauten. Welliges Haar umrahmte ihr Gesichtchen. Die zarten kleinen Hände durften von keiner schweren Arbeit rissig werden. Von ihrer Mutter, einer heiligen Seele echt indischer Wesensart, wurde sie sorgfältig großgezogen. Als Ponnamal zur Schule ging, tat sie sich vor allen anderen hervor und wurde im Lauf der Jahre sehr klug. Ihr Vater wurde umso mehr darin bestätigt, dass sie eines bedeutsamen Jahres Kind wäre.

Im Alter von neunzehn Jahren wurde Ponnamal verheiratet, ohne dass man Näheres über den Mann wusste, dem man solch einen Goldschatz anvertraute. So erging es leider vielen ihrer Schwestern. Den Eltern genügte, dass der Bräutigam Professor an einer Missionshochschule war, aus christlichem Hause kam, im richtigen Verwandtschaftsgrad zu Ponnamals Familie stand und aus der gleichen Kaste stammte. Obwohl beide Familien einer christlichen Gemeinde angehörten, war ihr Denken und Empfinden immer noch tief geprägt von den alten Vorurteilen ihres Volkes, besonders bei der Wahl der Ehepartner. Die Hochzeit kam. In seidene Gewänder gekleidet, mit Kettchen und Goldringen bedeckt, so entzückend und treu in ihrem Herzen, wie sie aus den Augen schaute, verließ Ponnamal ihres Vaters Haus – eine hochbegabte junge Frau, aber sanft und scheu.

Über ihren einjährigen Ehestand sprach sie nie gern. Er hatte sie enttäuscht. Sie hatte eine edle Gesinnung, der Mann aber war durch und durch irdisch gesinnt. Außerhalb des Lehr­betriebs waren seine Interessen nicht hoch zu werten. Keine gleich­gestimmte Saite zwischen Mann und Frau erklang, bis das Kind kam. Wie alle Tamilen waren auch sie zu zärtlicher Elternliebe geneigt und trafen sich nun auf gemeinsamem Boden. In der feinfühligen Weise der indischen Frau, aus Wenigem das Beste zu machen, gab sich Ponnamal zufrieden und war glücklich.

Da starb ihr Mann, und nun gehörte sie zu den verlasse­nen Existenzen Indiens. Sie war Witwe geworden, und damit ein Anstoß für die Familie ihres Mannes (erst recht weil dieselbe von guter Herkunft war). Zuerst nahm ihr Vater sie zu sich, um ihr etwas Trost zuteilwerden zu lassen. Die Mut­ter war inzwischen gestorben. Aber auch der Vater, obwohl er Christ war, konnte das Gefühl der Beschämung angesichts seiner Tochter nicht ganz überwinden. Ihr Leben schien eine lange Kette von Trübsalen werden zu wollen.

Doch sie raffte sich auf und sah der Lage der Dinge ins Ge­sicht. Sie wusste: um zu siegen, muss man stark sein. Aber die Zärtlichkeit ihrer eigenen Eltern schien ihr den Lebensmut nur abzuschwächen. Also beschloss sie, zu ihren Schwiegereltern und zu ihrem Kind zurückzukehren. Dem indischen Brauch nach gehörte ihre Kleine nämlich in deren Haus hinein, und nicht in erster Linie zu der Mutter. „Ich wollte lernen, durchzuhalten“, sagte sie viele Jahre später, „und kehrte deshalb in das Haus meiner Schwiegereltern zurück.“

Auf Mitgefühl brauchte sie hier aber nicht hoffen. Jetzt begann erst die eigentliche Schule der Witwenschaft. Die weiblichen Angehörigen der Familie ihres Mannes waren ganz an­ders veranlagt als die ihrer eigenen Familie. Ponnamals Mutter und auch ihre Großmutter gehörten jener feinen Sorte innerlich gerichteter Frauen an, die Indien in so auserlesener Art aufweist, wie sonst kaum ein Land. Auch die Schwieger­eltern waren kraftvoll, weltklug und etwas vermögend. Die edlen Charakterzüge jedoch fehlten, ebenso die richtige Bildung. Für sie war die Witwe wie ein schwarzer Fleck auf einem schö­nen Gewand; ein Wesen, das man nur um des Sohnes willen erträgt. Ponnamals Schwiegermutter hatte keinerlei Verständnis für ihre edle geistige Veranlagung. Diese war der Schwiegermutter befremdend und anstößig, und ihre raue Stimme trieb die junge Frau von Morgen bis zum Abend im Hause umher, wobei Ponnamal, die so willig zum Helfen und zum Dienen war, trotz guter Leistungen nur „eine unnütze Faulenzerin“ gescholten wurde.

Die arme Witwe hielt es für das Beste, alles über sich ergehen zu lassen. So nahm sie die schlechte Behandlung zuerst in Frieden hin. Aber nach und nach sank ihr der Mut. Es wurde ihr nicht einmal erlaubt, sich selbst schick und sauber zu halten. Das verletzte ihre Selbstachtung tief. Ihr schönes welliges Haar durfte sie nicht kämmen (außer mit den Fingern), nicht einmal aufstecken oder ordnen.

---ENDE DER LESEPROBE---