Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Lernen Sie von den besten Naturfotografen der Niederlande, wie Ihnen außergewöhnliche Bilder von herkömmlichen Naturmotiven gelingen. Entwickeln Sie ein Auge für besondere Motive und ungewohnte Perspektiven, erkennen Sie Fotogelegenheiten in Details oder meistern Sie die Herausforderung von schwierigen Lichtsituationen. Erfahren Sie, wie Sie widrige Umstände und Einschränkungen kreativ nutzen können und lernen Sie die Vorzüge einer Location vor Ihrer Haustür zu schätzen. Nutzen Sie Farben und Formen der Natur als Bildgestaltungsmittel oder arbeiten Sie mit dem Schwarzweißmodus Kontraste heraus. Setzen Sie Schärfe und Unschärfe als Stilmittel ein oder abstrahieren und verfremden Sie Ihre Motive. Das Buch ist gegliedert in die Kapitel Sehweise, Komposition, Abstraktion, Bewegung, Licht und Equipment. Die einzelnen Workshops vermitteln Techniken der Aufnahme und Bildgestaltung anhand faszinierender Bildbeispiele. Portfolios auch hierzulande bekannter Fotografen wie beispielsweise Heike Odermatt, Theo Bosboom oder Jan van der Greef bieten dem Leser eine Fülle an neuen Bildideen. Unter der Rubrik "Kreativität" formulieren Naturfotografen ihren ganz persönlichen Zugang zu Kreativität und Inspiration. Aus dem Inhalt: - Stil und Vision entwickeln - Muster, Linien, Formen - Farbe und Schwarzweiß - Kompositionsregeln brechen - Abstraktion und Verfremdung - Lange Belichtungszeiten und Bewegen der Kamera - High Key und Low Key - Lensbabys und Vintage-Objektive nutzen - Mehrfachbelichtungen - Kreative Nachbearbeitung
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 205
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Daan Schoonhoven ist begeisterter Naturfotograf und entwickelt schon seit über 15 Jahren Konzepte für die Naturfotografie, um sie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. So ist er Betreiber der niederländischen Fotografen-Communitys www.nederpix.nl und www.birdpix.nl sowie Gründer der Naturfoto-Organisationen PiXFACTORY und der Bildagentur Buiten-Beeld. Bei seiner eigenen fotografischen Arbeit bleibt Daan seiner ersten Liebe treu, der Vogelwelt. Gemeinsam mit den besten Naturfotografen der Niederlande gibt er die erfolgreiche Buchreihe der »Praktijkboeken« heraus, praxis- und lösungsorientierte Fachbücher, die der dpunkt.verlag nun auch dem deutschen Publikum in Übersetzungen zugänglich macht. Alle Titel sind von unterschiedlichen Fotografen geschrieben, die dem Leser ihr Expertenwissen vermitteln und mit ihren besten Fotos zeigen, wie man dieses in gelungene eigene Bilder umsetzt. Sie sind auch auf www.natuurfotografie.nl zu finden, einer weiteren von Daan betriebenen Website, wo sie Fototipps veröffentlichen und Fotoworkshops anbieten.
Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus+:
www.dpunkt.plus
Daan Schoonhoven (Hrsg.)
Naturmotive mit anderen Augen sehen und fotografieren
Übersetzung aus dem Niederländischen
Daan Schoonhoven
Lektorat: Rudolf Krahm
Übersetzung: Stephanie Wloch, Tuliparola Translations, Grevenbroich
Copy-Editing: Friederike Daenecke, Zülpich
Layout: Birgit Bäuerlein
Satz: Ulrich Borstelmann, Dortmund
Herstellung: Susanne Bröckelmann
Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de,
unter Verwendung eines Fotos von Theo Bosboom
Druck und Bindung: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe (Saale)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN:
Print978-3-86490-461-5
PDF978-3-96088-260-2
ePub978-3-96088-261-9
mobi978-3-96088-262-6
1. Auflage 2017
dpunkt.verlag GmbH
Wieblinger Weg 17
69123 Heidelberg
Copyright der niederländischen Originalausgabe © Uitgeverij Birdpix, 2016
Copyright für die Fotos: Fotografen wie angegeben
Titel der Originalausgabe: Praktijkboek creatieve natuurfotografie
Published by Uitgeverij Birdpix (PiXFACTORY)
ISBN: 978-90-79588-145
Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.
Alle Angaben und Programme in diesem Buch wurden von den Autoren mit größter Sorgfalt kontrolliert. Weder Autor noch Herausgeber noch Verlag können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buchs stehen.
In diesem Buch werden eingetragene Warenzeichen, Handelsnamen und Gebrauchsnamen verwendet. Auch wenn diese nicht als solche gekennzeichnet sind, gelten die entsprechenden Schutzbestimmungen.
5 4 3 2 1 0
Haubentaucher im All. Arno ten Hoeve, 9.10. 2015, Canon EOS 5D Mark II mit Canon EF 100–400 mm 1:4,5–5,6L IS II USM auf 400 mm; 1/1600 s, Blende 9, ISO 640
Sehweise
Die Kunst des Hinsehens
Stil und Vision entwickeln
Experimentieren (Denkmuster durchbrechen)
Kopieren oder Kreieren
Einschränkungen kreativ nutzen
Flow
Die Location vor der Haustür
Portfolio Heike Odermatt
Die Vision von Roeselien Raimond
Komposition
Muster, Linien, Formen
Farbe
Schwarzweiß
Wenig Schärfentiefe
Mit Kompositionsregeln brechen
Bildformate
Portfolio Kees Siebesma
Die Vision von Johan van de Watering
Abstraktion
Stimmung
Emotion
Raum
Verfremdung
Unschärfe
Portfolio Nico van Kappel
Die Vision von Marijn Heuts
Bewegung
Lange Belichtungszeit bei Tieren
Landschaften und Langzeitbelichtungen
Kamerabewegungen in der Landschaftsfotografie
Formen der Zoom-Unschärfe
Portfolio Jan van der Greef
Licht
High Key und Low Key
Spielen mit Licht(-einfall)
Wenig Licht, hohe ISO-Werte
Blitzlicht einsetzen
Bokeh
Ausleuchtung mit LED-Licht
Portfolio Theo Bosboom
Die Vision von Johan van der Wielen
Equipment
Lensbaby
Vintage-Objektive
Weniger ist mehr
Mehrfachbelichtung
Das Spiel mit der Beugung
Kreative Nachbearbeitung
Die Vision von Bob Luijks
Index
Fotografenindex
… zur deutschen Ausgabe
Mit dem »Praxisbuch Kreative Naturfotografie« veröffentlicht der dpunkt.verlag ein zweites Buch aus der Praxisbuchreihe des niederländischen Fotografenkollektivs von Nederpix in deutscher Übersetzung. Zwar hält er damit nicht die ursprüngliche Reihenfolge der Originalveröffentlichungen ein, doch haben uns Lektoren die Fotos und Workshops dieses Buchs so fasziniert, dass wir es unseren Lesern so rasch wie möglich zugänglich machen wollten. Bringen Sie damit Ihre Fotoleidenschaft wieder in Schwung und lassen Sie sich von den Workshops und Tipps zu neuen Fotoprojekten inspirieren. Entwickeln Sie eine andere Sichtweise und betrachten Sie die Natur aus unüblichen Blickwinkeln. Erfahren Sie, wie Sie widrige Umstände und Einschränkungen kreativ nutzen können und lernen Sie die Vorzüge einer Location vor Ihrer Haustür zu schätzen. Lassen Sie sich zeigen, wie Sie in den kreativen Flow kommen, mit Ihrem Motiv eins werden oder zu einer eigenen fotografischen Handschrift gelangen. Lernen Sie, Farben und Formen der Natur als Bildgestaltungsmittel zu nutzen, setzen Sie Schärfe und Unschärfe als Stilmittel ein oder abstrahieren und verfremden Sie Ihre Motive.
Ich hoffe, Sie kommen mithilfe des Praxisbuchs auf viele neue Bildideen, und wünsche Ihnen beim Lesen und Fotografieren viel Erfolg und Freude.
Rudolf Krahmdpunkt.verlagJuni 2017
Mit dem Praxisbuch »Kreative Naturfotografie« entsprechen wir dem Wunsch von immer mehr Naturfotografen und -fotografinnen, kreativer zu fotografieren. Dank der Beiträge von zahlreichen Menschen ist es uns mit diesem Buch gelungen, eine wertvolle Ergänzung zu allen bisher erschienenen Praxisbüchern zu bieten. Ich möchte gerne allen, die an diesem Buch mitgearbeitet haben, zu diesem hervorragenden Ergebnis gratulieren.
Das bewährte Autorenteam hat seine Vorstellungen über kreative Naturfotografie im Buch wundervoll zum Ausdruck gebracht: Marijn Heuts, Bob Luijks, Roeselien Raimond, Johan van de Watering und Johan van der Wielen. Ihr Wissen und ihr Erfahrungsschatz sind ein Garant für Substanz und Tiefgang. Die Beiträge von Wilco Dragt, Andrea Gulickx, Gerard Leeuw und Anja Zwanenburg garantieren Abwechslung und Vielfalt. Weitere wertvolle Zutaten für das Erfolgsrezept eines inspirierenden Buchs sind die Portfolios von Theo Bosboom, Jan van der Greef, Nico van Kappel, Heike Odermatt und Kees Siebesma.
Ich danke Euch allen für Euren Beitrag, ob groß oder klein. Wirklich großartig, dass Ihr Euer Wissen und (langjährigen) Erfahrungen mit allen teilen wollt.
Die meisten Fotos in diesem Buch stammen von den oben genannten Personen. Darüber hinaus haben wir auch Fotos von ungefähr einem Dutzend anderer Fotografen aufgenommen, um mehr Abwechslung zu bieten. Weiter hinten im Buch finden Sie deren Namen im Index. Auch bei ihnen möchte ich mich ganz herzlich für ihren Beitrag bedanken.
Schließlich danke ich auch meinen Mitstreitern Arno ten Hoeve und Jaap Schelvis: Es war eine besondere Ehre, wieder ein Buch mit Euch machen zu dürfen.
Daan SchoonhovenMärz 2016
Bei der Fotografie geht es vor allem darum, was Sie als schön empfinden. Das macht auch den Reiz des Fotografierens aus: Ein Foto machen, das Sie schön finden. Das gilt ganz besonders für die kreative Fotografie. Aber was ist schön?
In den Niederlanden gilt diesbezüglich das Sprichwort: »Über Geschmack lässt sich streiten.« Mit diesem Satz wird angedeutet, dass man etwas scheußlich findet. Man kann es auch positiv interpretieren: Über Geschmack lässt sich nicht streiten und daher mache ich, was ich schön finde, gemäß der englischsprachigen Maxime: »Beauty is in the eye of the beholder.«
Zu Anfang dieses Buchs muss aber eine entscheidende Frage gestellt werden: Was ist kreative Naturfotografie? Die einen sagen: »Fotografie ist eine Kunstform, und jedes Foto ist eine Interpretation der Wirklichkeit und damit kreativ.« Andere sind der Meinung, dass viele Fotografien einfach nur etwas dokumentieren und somit wenig mit Kunst und Kreativität zu tun haben.
»Kreative Fotografie ist nicht mehr als die Anwendung bestimmter Techniken, Tricks eben, die jeder lernen kann.« – »Nein«, sagt ein Fotograf entrüstet, »es geht darum, wie man schaut und was man sieht. Das Auge des Fotografen ist ausschlaggebend, um das Wesentliche in einem Bild einzufangen.«
Zweifellos haben Sie schon einmal von dem Unterschied zwischen »ein Foto aufnehmen« und »ein Foto machen« gehört. Wenn ein Foto aufgenommen wird – so lautet die vorherrschende Meinung –, dann ist die Situation so, wie sie ist, und der Fotograf hat kaum Einfluss darauf. Dieser Vorgang wird kaum mit Kreativität in Verbindung gebracht. Wenn aber ein Foto gemacht wird, gilt meist die Auffassung, dass man dabei alles in der Hand hat und persönlich interpretieren kann. Dieser Vorgang wird verstärkt mit Kreativität in Verbindung gebracht.
Das ist auch der rote Faden in dieser Ausgabe: Es geht kontinuierlich darum, dass Fotos gemacht und daher kreiert werden. Bestimmte Betrachtungsweisen wirken wie Hemmschuhe, wenn man frei heraus fotografieren möchte. Manchmal kommt man nicht umhin, sich seiner eigenen Sichtweisen bewusst zu werden und sie aus einem gewissen Abstand zu betrachten, bevor man den Reichtum entdecken kann, der sich dahinter verbirgt. Die Autoren fordern Sie dazu heraus, damit Sie künftig in der Lage sind, über Ihren eigenen Tellerrand hinaus zu schauen und Ihre Grenzen zu überwinden.
In diesem Buch wollen wir Kunst und Können miteinander verbinden. Daher werden wir auch die technischen Möglichkeiten, die uns die Fotografie bietet, beleuchten und schauen, wie wir diese für ansprechende Fotos einsetzen können.
Wie bereits beim »Praxisbuch Vogelfotografie« bauen die gut 40 Kapitel nicht aufeinander auf und können daher in beliebiger Reihenfolge gelesen werden. Natürlich war eine entsprechende Strukturierung erforderlich, und so behandeln wir sechs Bereiche: Sehweise, Komposition, Abstraktion, Bewegung, Licht und Ausrüstung. Zusätzlich zu den informativen Kapiteln finden Sie als zusätzliche Inspirationsquelle Portfolios von fünf verschiedenen Fotografen mit jeweils ganz eigenem Blick. Und Sie lernen die persönliche Vision der fünf Hauptautoren dieses Buchs kennen.
Wenn Sie nach der Lektüre wieder ans Fotografieren gehen, wünsche ich Ihnen, dass Sie tief in ein Thema eintauchen und alles um sich herum vergessen können, damit Sie in der Lage sind, neue Bilder zu kreieren. Denn etwas zu kreieren, gehört zu den schönsten Erfahrungen, die es gibt.
Bei der kreativen Naturfotografie geht es vor allem um das Hinsehen. Die Sehweise ist die Art, in der man die Dinge betrachtet. Der Blick auf die Fotografie ist daher vor allem ein Blick auf das Hinsehen. Eine Sehweise kann man entwickeln und perfektionieren, aber sie ist immer persönlich.
Silberreiher. Deventer, 11.12. 2013; Arno ten Hoeve; Canon EOS-1D X mit Canon EF 500 mm 1:4L IS II USM + 2-fach-Telekonverter Extender EF 2x III; 1/100 s, Blende 10, ISO 1600
Bob Luijks
Sehen – das tun wir täglich mit unseren Augen. Aber das ist noch lange nicht dasselbe wie gut hinsehen. Hinsehen ist die Kunst, das Wesentliche Ihres Motivs zu erfassen. Entscheidend für das gründliche Hinsehen sind: Zeit, Vorstellungskraft, Antizipieren und verfügbare Informationen.
Wann entstehen die kreativsten Fotos? Meistens dann, wenn Sie sich die Zeit nehmen, sich hinzusetzen und sich umzuschauen. Auf einmal fällt Ihr Blick auf unendlich viele interessante Möglichkeiten. Dabei geht es wirklich nicht nur um Kleinigkeiten. Scannen Sie ganz in Ruhe die komplette Umgebung. Wenn Sie dann ein Motiv gefunden haben, bewahren Sie die Ruhe. Ein kleiner Schritt vor, zurück, nach links oder rechts macht das Foto vielleicht ein Stück weit besser. Greifen Sie aber nicht sofort zur Kamera, sondern sehen Sie weiter hin, suchen Sie das i-Tüpfelchen. Beißen Sie sich danach eine Zeit lang an diesem Motiv fest, und stellen Sie sich immer wieder die Frage: Habe ich jetzt alles herausgeholt, was in ihm steckt?
Gut hinschauen bedeutet vor allem, auch vorausschauend denken zu können. Versuchen Sie sich vorzustellen, wie eine Location oder ein Motiv unter anderen Umständen wirkt – bei anderem Sonnenstand, zu einer anderen Jahreszeit oder bei anderem Wetter. Dieses Wissen versetzt Sie in die Lage, bei der Umsetzung der geplanten Bilder zielgerichtet vorzugehen und somit Ihre kostbare Zeit effektiv zu nutzen. Aber erzielt man damit nun immer die kreativsten Bilder?
Ein Schwarm Saatkrähen auf einem Feld erregt meine Aufmerksamkeit, daher halte ich mein Auto an und steige aus. Auf einmal bemerke ich Vogelspuren am Straßenrand, die durch den Tau immer deutlicher sichtbar werden. Dann fällt mein Blick auf die besondere Form des aufgetauten Bereichs im Schnee, der zwar nicht von einem Vogel stammt, aber die Spuren trotzdem perfekt ergänzt. Margraten, 15.2. 2010, 14.46 Uhr, Bob Luijks; Canon EOS 40D mit Canon EF 24–70 1:2,8L USM auf 30 mm; 1/60 s, Blende 13, ISO 320
Die kreativen Bilder entstehen vielleicht gerade eher in Momenten, die sich anders entwickeln als erwartet. Das Wetter zeigt sich von einer anderen Seite, das Licht ist doch nicht so schön und so weiter. Aber Aufgeben ist keine Option: Entweder kommt Plan B zum Einsatz oder Sie versuchen, diesem schwierigen Moment doch etwas Potenzial abzuringen.
Normalerweise nehmen wir unsere Umgebung wahr, ohne darüber nachzudenken. Wir saugen zwar alle Informationen auf, aber unser Gehirn pickt sich nur das Wesentliche heraus. Das Wesentliche hat selten einen Bezug zur Fotografie, sondern eher zu praktischen Dingen, wie den richtigen Weg zu finden. Alles andere bemerken wir kaum. Wenn wir Fragen stellen (»Wie, was, warum, wann?«) verstehen wir besser, was wir gerade eigentlich betrachten. Diese Informationen scheinen zunächst nicht so relevant zu sein, können aber genutzt werden, um Ihren Fotos das gewisse Etwas zu verleihen, was wiederum auf der informativen oder kreativen Ebene beeindrucken kann.
Ein zufälliges Arrangement von zwei Schilfhalmen birgt bei näherer Betrachtung Stoff für eine gefühlvolle Interpretation: Sie stützen sich gegenseitig in der kalten Winterzeit. Meijel (Gemeinde Peel en Maas), 26.1. 2013, 12.45 Uhr, Bob Luijks; Canon EOS 5D Mark III mit Canon EF 100–400 mm 1:4,5–5,6L IS USM auf 400 mm; 1/250 s, Blende 14, ISO 800
Die Weißen Waldvöglein sind Orchideen, die ganz anders aussehen als die bekannteren Orchideen. Sie gedeihen auch an dunklen Standorten, wo nur wenige andere Pflanzen wachsen. Das animierte mich, diesen geheimnisvollen Charakter als Leitidee aufzugreifen und daher den Weißabgleich kühler einzustellen, kräftig unterzubelichten und eine Doppelbelichtung vorzunehmen.
Dokumentarische Darstellung. Südlimburg (NL), 19.5. 2014, 10.08 Uhr, Bob Luijks; Canon EOS 5D Mark III mit Sigma 105 mm 1:2,8 EX DG OS HSM; 1/200 s, Blende 2,8, ISO 100
Persönliche Sicht auf die dunkle Seite des Motivs. Südlimburg (NL), 19.5. 2014, 10.16 Uhr, Bob Luijks; Canon EOS 5D Mark III mit Sigma 105 mm 1:2,8 EX DG OS HSM; 1/125 s, Blende 2,8, ISO 100
Kann man das Sehen lernen? Es hilft, sich in Ruhe gründlich umzuschauen und zu versuchen, das große Ganze (»unser Auge sieht alles«) auszublenden. Eine gewisse Begabung ist von Vorteil, aber beim Lernprozess spielen auch folgende Aspekte eine Rolle:
Unvoreingenommen sein: Sie müssen offen und unvoreingenommen sein, wenn Sie das Wesentliche erkennen wollen. Wenn Sie sich nicht der Umgebung oder dem Motiv öffnen, bleibt es wahrscheinlich bei einer oberflächlichen Registrierung. Daran ist nichts auszusetzen, aber es sollte Ihnen schon bewusst sein.
Die Verknüpfung zu einer packenden Komposition: Auch wenn Ihr Auge noch so gut ist, wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihren Fund auf überzeugende Weise ins Bild zu rücken, bleibt das Endergebnis eher schwach. Dabei spielen der Bildaufbau, der Einsatz von Licht und die Vermittlung der Stimmung eine wichtige Rolle.
Beschränken Sie sich einmal eine Zeit lang auf ein einziges Gebiet bei Ihnen in der Nähe (siehe Seite 34, »Die Location vor der Haustür«). Gehen Sie oft und bei jeder Witterung hin, informieren Sie sich gründlich, und nehmen Sie beispielsweise an einer Exkursion durch das Gebiet teil. Je öfter Sie dorthin zurückkehren, desto mehr werden Sie entdecken. Sie schärfen Ihren Blick für das Einfache und werden bemerken, dass es überall Fotopotenzial gibt. Oder Sie beschränken sich auf ein einziges Motiv und erweitern damit immer mehr Ihre Grenzen.
Sie können natürlich auch von Anfang an versuchen, mit einem kreativen Blick Ihre Umgebung oder Ihr Motiv zu betrachten, aber das sollte möglichst zwanglos geschehen. Sie müssen selbstverständlich weiterhin gut hinsehen, aber dann auch einfach anfangen. Oft zieht das eine das andere nach sich. Auf einmal wird Ihr Blick von etwas angezogen oder Ihnen fällt später beim Betrachten der Fotos auf Ihrem Bildschirm etwas Ausbaufähiges auf. Garantiert kommen Sie beim nächsten Mal einen Schritt weiter.
Eine Alpendohle ist ein weitverbreiteter Vogel und gar nicht scheu an Stellen in ihrem Revier, wo auch die Spezies Mensch häufig vorkommt: an Fressbuden in großer Höhe. Sich Zeit nehmen, einfach ruhig abwarten und gut hinsehen sind die Zutaten für ein ansprechendes Bild. 1.8. 2014, 14.29 Uhr, Arno ten Hoeve; Canon EOS-1D X mit Canon EF 500 mm 1:4L IS II USM + 2-fach-Telekonverter Extender EF 2x III; 1/640 s, Blende 8, ISO 1600
Marijn Heuts
Fragen Sie einen beliebigen Fotografen nach seinem Stil und seiner Vision, und er wird Ihnen in der Regel keine Antwort geben können. Seltsamerweise können die Fotos einem Fotografen oft aber doch direkt zugeordnet werden oder tragen seine spezielle Handschrift. Offensichtlich hat jeder Fotograf daher schon einen eigenen Stil und eine Vision, die er aber nur schwer in Worte fassen kann. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass es sich um Eigenheiten des Fotografen handelt, die viel von seiner Persönlichkeit preisgeben. Stil und Vision bieten daher indirekt einen Einblick ins Innere einer Person, und das kann schon etwas heikel sein.
Zu Beginn seiner fotografischen Laufbahn kommt es einem wahrscheinlich nicht in den Sinn, das stimmungsvolle Sonnenlicht in einem Wald derart auf die wesentlichen Formen und Farben zu reduzieren. Forst Westerschouwen, 16.1. 2013, 16.27 Uhr, Nel Ringelberg; Sony Alpha 77 mit Sony 16–80 mm 1:3,5–4,5 Carl Zeiss Vario-Sonnar T* auf 75 mm; 1/3 s, Blende 22, ISO 200; aus der freien Hand und Kamera vertikal geschwenkt
Ein malerischer Morgen mit Nebelschwaden über einem Heidesee. Hat man erst einmal ein ganzes Bildarchiv voller weiträumiger Nebellandschaften, wird es Zeit, das Blickfeld zu erweitern und ein ganz anderes Bild zu machen. Dies ist ein Foto, auf das ich vor einigen Jahren nie gekommen wäre. Oisterwijk, 2.8. 2015, 6.24 Uhr, Marijn Heuts; Canon EOS 5D Mark III mit Canon EF 70–200 mm 1:2,8L IS II USM auf 125 mm; 1/8 s, Blende 16, ISO 100
Einst waren Gemälde das Mittel, um Personen zu verewigen. Der Maler gab sein Bestes, um das Porträt ansprechend und dem Auftraggeber, der dafür reichlich zahlte, möglichst ähnlich zu gestalten. Mit dem Aufkommen der Fotografien gab es auf einmal ein schnelleres und günstigeres Mittel, mit dem man auch bessere Ergebnisse erzielte. Als die Malerei infolgedessen als authentische Darstellung überflüssig wurde, fingen die Maler an, ihre Motive auch ganz anders darzustellen, mit mehr Spielraum für eigene Interpretationen. Damit wurde die Geburtsstunde der modernen Kunst eingeläutet.
Womöglich gibt es Parallelen zu der Entwicklung der Naturfotografie. Auch sie war einst zur möglichst naturgetreuen Wiedergabe ihrer Motive bestimmt. Das war in den Anfangsjahren der Fotografie schon schwer genug. Aber mit dem Einzug der digitalen Fotografie und dem Aufkommen von Handys mit brauchbaren Kameras kann fast jeder ein Beweisfoto von einem Tier oder einer Landschaft machen. Und daher suchen Fotografen nach neuen Möglichkeiten. Wenn das eigene Bildarchiv voller weiträumiger Nebellandschaften ist, wird es Zeit, das Blickfeld zu erweitern, die Natur ins Bild zu rücken – mit viel mehr Raum für eigene Interpretationen.
Im Kleinen kann man diesen Prozess bei jedem einzelnen Fotografen beobachten. Am Anfang steht die Beherrschung der Technik, der Versuch, eine fehlerfreie Kopie der Wirklichkeit zu machen. Sobald das gelungen ist, bietet das gewonnene Selbstvertrauen Raum für Kreativität, und man lässt zunehmend persönliche Empfindungen in die Fotos einfließen. Die Technik bleibt wichtig, wird aber unbewusst eingesetzt – oder, was noch besser ist: Sie wird manchmal bewusst nicht eingesetzt.
Wo Sie sich in dem Spektrum zwischen »registrierend« und »kreativ« zu einem bestimmten Zeitpunkt befinden, hängt von Ihrem persönlichen Stil und Ihrer Vision ab. Einen wirklich eigenen Stil und eine eigene Vision können Sie jedoch nur entwickeln, wenn Sie sich selbst treu bleiben. Haben Sie daher keine Angst, von dem abzuweichen, was die Masse als allgemein akzeptabel betrachtet. Machen Sie, was Sie schön finden, und bearbeiten Sie das innerhalb der Grenzen, die für Sie selbst akzeptabel sind. Seien Sie offen für neue Einflüsse und neue Formen der Fotografie. Schauen Sie sich die Arbeiten anderer Fotografen an, und fragen Sie sich ganz bewusst, was Ihnen daran gefällt und was nicht. Filtern Sie diejenigen Elemente heraus, die Sie ansprechen, und lassen Sie den Rest fallen. Und wenn Sie sich entscheiden, die Früchte Ihrer geistigen Arbeit und Mühen im Internet auszustellen, sollten Sie die Meinung anderer respektieren, ohne sich diese aber zu sehr zu Herzen zu nehmen. Lassen Sie nicht den unverstandenen Künstler heraushängen, sondern genießen Sie es, in der freien Natur kreativ sein zu können. Andere müssen Ihren Stil und Ihre Vision nicht begreifen oder schön finden.
Tropfen auf einem abgestorbenen Blatt, alles ohne Farbe. Ein Foto, das eher an einem trübsinnigen Tag als an einem Freudentag entsteht. Terheijden, 22.11. 2015, 12.47 Uhr, Johan van Gurp; Nikon D7000 mit Sigma 105 mm 1:2,8 EX DG Makro; 1/8 s, Blende 14, ISO 100
Sowohl Ihr Stil als auch Ihre Vision sind dynamisch, denn alle möglichen Einflüsse, teilweise von außen, sorgen dafür, dass sie sich mit der Zeit entwickeln. Die Entwicklung wird bereits ab der Geburt in Gang gesetzt. Dabei spielen beispielsweise angeborene Eigenschaften, wie die eines Autodidakten oder Ausprobierers, aber auch die Vorlieben der Eltern und der sich daraus ergebende Erziehungsstil eine Rolle. Sobald man in die Schule kommt, wird man von Lehrern, Klassenkameraden und Freunden beeinflusst. In der Pubertät fängt man an, eine eigene Meinung zu entwickeln (erst »Nein« zu allem, danach etwas differenzierter). Im Laufe der Zeit spielt auch der Zeitgeist (wie Modeströmungen) eine unbewusste, aber wichtige Rolle.
Letztendlich entscheiden Sie sich für die Naturfotografie und fangen an, zu fotografieren. Ihre ersten Fotos sind eine unbewusste Verschmelzung von allem, wofür Sie stehen, was Sie gelernt und von zuhause mitbekommen haben. Bald nach Ihrem Einstieg in die Naturfotografie kommen Sie mit anderen Fotografen in Kontakt. Sie können sich bei ihnen etwas abgucken, Elemente aus ihren Werken übernehmen und in Ihre eigenen Fotos einbauen. In Foren und auf Facebook gibt es kritische Kommentare zu Ihren Bildern, und auch, wenn Sie meinen, dass Ihnen das nichts ausmacht, nehmen Sie Ihre Fotos unbewusst kritischer unter die Lupe und ändern sicherlich recht schnell einige Sachen.
Eine von Natur aus atemberaubende Landschaft auf das Wesentliche reduzieren: ein Spiel aus farbigen Flächen mit nur ganz sparsamen Details. Das Farbschema verrät jedoch direkt, dass es irgendwo in einem Heidegebiet sein muss. Diese Art von Fotografie ist nicht jedermanns Sache, aber das sollte kein Grund sein, solche Fotos nicht mehr zu machen. Valkenswaard, 28.8. 2015, 7.08 Uhr, Marijn Heuts; Canon EOS 5D Mark III mit Canon EF 70–200 mm 1:2,8L IS II USM auf 80 mm; 1,6 s, Blende 25, ISO 100, Kamera während der Aufnahme geschwenkt
Aber sogar, wenn Sie das nicht tun und nur auf Ihr Gefühl und Ihren Verstand vertrauen, sind Ihr Stil und Ihre Vision noch immer dynamisch. Angenehme und auch unerfreuliche Ereignisse in Ihrem Leben beeinflussen die Fotos, die Sie machen. So ein Ereignis kann einerseits ein einschneidendes Erlebnis sein, wie die Geburt eines Kindes oder der Verlust eines geliebten Menschen. Aber andererseits kann es auch eine scheinbare Belanglosigkeit sein, wie das tolle Gefühl, spontan einen Tag frei zu nehmen, oder dieses dumpfe Gefühl im Magen nach einer ärgerlichen Mail. Wenn sich Ihre Fotografie im Auf und Ab Ihres Lebens mitbewegen darf, dann hat dies einen beträchtlichen Anteil an der Entwicklung Ihres Stils und Ihrer Vision.
Zweifeln Sie daran, dass sich Ihr Stil und Ihre Vision wirklich weiterentwickeln? Dann schauen Sie doch einmal in Ihrem Lightroom-Archiv nach älteren Dateien. Sie werden verblüfft feststellen, dass sich Ihre Fotos im Laufe der Jahre verändert haben – in Bezug auf Komposition, Helligkeit, Farben, Abstraktion und Nachbearbeitung.
Wenn Sie Ihre eigenen Fotos etwas eingehender betrachten, werden Sie vielleicht entdecken, dass ein lang geführtes Fotoarchiv in seiner Reinform eigentlich eine bebilderte Zusammenfassung Ihrer Lebensgeschichte und der Person darstellt, die Sie (geworden) sind. Ein bisschen unheimlich, oder?
Marijn Heuts
Besondere Bilder macht man nicht einfach so. Natürlich gibt es Zufallstreffer, sogar Patzer, die sich unabsichtlich als genial entpuppen. Wenn Sie jedoch konsequent und bewusst kreativ sein wollen, müssen Sie Ihre Scheu über Bord werfen, sich trauen, angreifbar zu sein, und einfach unbefangen bahnbrechende oder auf jeden Fall für Sie selber neue Sachen ausprobieren.
Nicht jeder ist ein Fan von völliger Abstraktion. Daher sollten Sie sich nicht verpflichtet fühlen, an Ihrem Ententeich vor Ort Reflexe zu fotografieren. Sollte es Sie aber doch ansprechen, probieren Sie es immer wieder aus. Finden Sie heraus, was funktioniert und was nicht. Capelle aan den IJssel, 22.1. 2012, 14.58 Uhr, Marieke Schouten-Ruis; Sigma SD14 mit Sigma 18–200 mm 1:3,5–6,3 DC OS HSM auf 50 mm; 1/125 s, Blende 5, ISO 400
Dieser kahle, winterliche Wald mit seinen gespenstischen Kronen wirkt wie ein Schauplatz für einen Fantasyfilm – dank der modernen Technik, in diesem Fall einer Vierfachbelichtung, deren Aufnahmen um jeweils 90 Grad gedreht wurden. Viele Ergebnisse landen in »Ablage P«, aber dieses Bild hat sich behauptet. Bunde, 9.1. 2016, 15.52 Uhr, Marijn Heuts; Canon EOS 5D Mark III mit Tamron Di 28–75 mm 1:2,8 SP XR LD IF auf 50 mm; 1/640 s, Blende 8, ISO 800 für alle vier Aufnahmen