Professor Zamorra 1310 - Ian Rolf Hill - E-Book

Professor Zamorra 1310 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Es war ein Gemetzel gewesen.
Die blonde Killerin hatte niemanden verschont. Erbarmungslos hatte sie Zitas Brüder und Schwestern niedergemäht. Selbst ihre Mutter Rigla war der Waffe der Schlächterin zum Opfer gefallen.
Niemand war ihr entkommen.
Niemand bis auf Zita und ihren Bruder Pirok. Ausgerechnet der schwachsinnige Pirok. Manchmal besaß das Schicksal einen recht eigenwilligen Sinn für Humor ...

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Ghoul-Gemetzel

Leserseite

Vorschau

Impressum

Ghoul-Gemetzel

von Ian Rolf Hill

Es war ein Gemetzel gewesen. Die blonde Killerin hatte niemanden verschont. Erbarmungslos hatte sie Zitas Brüder und Schwestern niedergemäht. Selbst ihre Mutter Rigla war der Waffe der Schlächterin zum Opfer gefallen.

Niemand war ihr entkommen.

Niemand bis auf Zita und ihren Bruder Pirok.

Ausgerechnet der schwachsinnige Pirok. Manchmal besaß das Schicksal einen recht eigenwilligen Sinn für Humor ...

Eine innere Stimme hatte Zita geraten, ihren Bruder zurück und den Kumpanen der blonden Killerin samt ihrem beißwütigen Köter zu überlassen, doch das hatte sie dann doch nicht über ihr schleimiges Herz gebracht.

Was sollte sie machen? Er gehörte nun mal zur Familie.

Wenige Monate zuvor

Nicht dass Zita besonders stark an ihrer Sippe gehangen hatte. Die meisten von ihnen waren Idioten gewesen, kaum klüger als Pirok. Und diejenigen mit mehr Verstand hatten sie bloß ausgenutzt und hätten sie ohne zu zögern geopfert. Vor allem ihre Schwester Ona. Zita war ihr also lediglich zuvorgekommen.

Im Grund genommen musste sie der Blonden und ihren Schergen dankbar sein, dass sie sie vom Joch der Mutter Rigla befreit hatten. Nur was sollte sie mit ihrer neu gewonnenen Freiheit anfangen?

Erst einmal raus aus dem Wald und weg von Cluj-Napoca, schon klar. Und dann? Irgendwo untertauchen, logisch. Nur wo?

Professor Zamorra, einer der Dämonenjäger, war Zeuge ihrer Flucht geworden. Und wenn nur die Hälfte von dem stimmte, was man sich von ihm und seiner blonden Furie erzählte, dann würde er sie jagen. Vielleicht sogar gemeinsam mit Günther und seinem Bluthund.

Das Vieh besaß Zähne aus purem Silber!

Ganz ehrlich, wie meschugge musste man eigentlich sein, um auf so eine kranke Idee zu kommen?

»Papa! Papa! Papa!«, fistelte Pirok neben ihr auf dem Beifahrersitz.

Auf seinem knochigen Schädel lag noch immer das abgezogene Gesicht des Bestattungsunternehmers Zoltan Yurek, dessen Frau und Tochter gefesselt auf dem Rücksitz saßen und vor Angst beinahe wahnsinnig wurden.

Anfangs hatte Zita es ja noch ganz witzig gefunden, doch mittlerweile nervte Piroks infantiles Spiel sie mehr und mehr. Zumal das Gezeter des Proviants sie beim Nachdenken störte.

»Hör auf damit!«

Zita ließ das Seitenfenster herunter, riss ihrem Bruder das Gesicht des Bestatters vom Schädel und schleuderte es durch die Öffnung ins Freie, wo es sich im Gestrüpp am Wegesrand verfing. Im Rückspiegel sah Zita den Hautlappen im Wind flattern.

Pirok zuckte zusammen, stieß ein leises Winseln aus und floss in den Fußraum vor dem Beifahrersitz, von wo aus er seine Schwester treuherzig anblickte.

Zita grunzte abfällig. Sie überlegte, ob sie Pirok den Befehl geben sollte, die beiden kreischenden Weiber zum Schweigen zu bringen, doch da sie genau wusste, wie das endete, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als diese leidige Aufgabe selbst zu übernehmen.

Kurzentschlossen lenkte sie den Leichenwagen in einen Waldweg am Rande des Hoia-Baciu, jenes geheimnisumwitterten Waldes, der so lange ihre Heimat gewesen war. Viel zu lange, wenn es nach Zitas Geschmack ging.

Zita löschte die Scheinwerfer und schaltete die Innenbeleuchtung ein, auf dem Sitz drehte sie sich um und zerrte ihren Geiseln die Kapuzen vom Kopf. Verquollene Gesichter kamen zum Vorschein.

Silva Yurek war Ende vierzig, blond und übergewichtig. Sie hatte rosige Pausbacken und einen wogenden Busen. Darunter malten sich ein paar Speckringe unter dem dünnen Stoff des Pullovers ab. Mit einem Satz: Silva Yurek sah einfach zum Anbeißen aus.

Ganz im Gegensatz zu ihrer magersüchtigen Tochter. Das brünette Haar hing lang auf die schmalen Schultern herab. Für ihre kleinen Brüste brauchte sie einen Push-up-BH, damit die Männchen ihn überhaupt wahrnahmen.

So ganz hatte Zita nie begriffen, warum die Weibchen ihr Gesäuge derart zur Schau stellten. Vermutlich um Männchen anzulocken. Dass die wiederum auf die fleischigen Wucherungen so abfuhren, verstand Zita dagegen sehr gut. Auch sie mochte das saftige Fleisch, wenn auch aus einem anderen Grund. Im Gegensatz zu den Menschen natürlich schön abgehangen.

Ilona war höchsten achtzehn Jahre alt, eher siebzehn. Vielleicht auch erst sechzehn, so genau konnte Zita das nicht sagen. In diesem Alter bemühten sich die Weibchen älter auszusehen, als sie in Wirklichkeit waren. Anders als die älteren Frauen, die alles dafür taten, um jünger zu wirken. Daher hatte Silva Yurek ihre Haare wohl auch wasserstoffblond färben lassen, sodass es Zita beinahe in den Augen wehtat.

»Hört zu«, zischte Zita die beiden Frauen an. »Wir haben es eilig, und ich muss mich konzentrieren. Also haltet die Schnauze oder ich verfüttere eure Eingeweide an meinen Bruder. Ist das angekommen?«

Zumindest bei Pirok, der in wilder Vorfreude schmatzte und aus dem Fußraum zurück auf den Beifahrersitz glitt, von wo aus er einen seiner dürren Arme mit den spinnenbeinartigen Fingern nach Silva ausstreckte. Die kreischte in Panik laut auf.

Zita schlug ihrem Bruder auf die Finger und verpasste Silva eine Ohrfeige. Ihr Schrei verstummte abrupt. Ilona drückte sich wimmernd in eine Ecke. Dummerweise befand sich kein Sarg auf der Ladefläche. Andererseits hätte darin nur eine der beiden Frauen Platz gefunden.

»Töten«, fistelte Pirok. »Wir sollten sie töten!«

»Nein, du Idiot.« Zita fuhr zu ihm herum und fauchte ihn an. »Wir brauchen sie lebend. Zumindest vorerst. Zamorra und seine Lakaien werden es sich zweimal überlegen, ob sie uns auf die Pelle rücken, solange wir zwei Geiseln haben. Sieh im Handschuhfach nach, ob darin etwas liegt, mit dem wir sie knebeln können.«

Aber Pirok musste sie enttäuschen.

Da fiel Zita der Erste-Hilfe-Kasten ein, der in jedem Fahrzeug Vorschrift war. Darin befanden sich auch Rollen mit Verbandsmull und Pflaster.

Zehn Minuten später waren die beiden Frauen ruhiggestellt. Sie winselten zwar noch immer wie junge Hunde, aber durch die Mullbinden in ihren Schlünden klang es bei Weitem nicht mehr so nervig. Tatsächlich empfand Zita die dumpfen Laute als anregend, was sich vor allem dadurch bemerkbar machte, dass ihr Körper Schleim absonderte. Pirok pulsierte sogar regelrecht.

Zita kauerte sich auf dem Fahrersitz zusammen und dachte nach. Leider konnte sie dem Drang, währenddessen Nägel zu kauen, nicht nachgeben. Sie selbst besaß nämlich keine, und um an denen von Silva oder Ilona zu nagen, hätte sie die Fesseln lösen müssen. Also musste es eben ohne Nägelkauen gehen. Allzu viel Zeit durfte sie sich jedenfalls nicht lassen. Die Polizei würde sicherlich nach dem Wagen fahnden.

Zwar hatte die örtliche Polizei in der Vergangenheit öfter mal das eine oder andere Auge zugedrückt, doch nachdem Stadtrat Nikolescu das Zeitliche gesegnet hatte, musste Zita davon ausgehen, dass die Behörden nicht mehr ganz so gut auf sie zu sprechen waren.

Die Straße Richtung Bukarest würde vermutlich längst gesperrt sein. Aber vermutlich war es ohnehin nicht besonders schlau im Land zu bleiben. Irgendwann mussten sie was futtern, und sobald irgendwo angefressene Leichen oder aufgebrochene Gräber gefunden wurden, würden Zamorra und seine Schergen Bescheid wissen.

Wahrscheinlich war es sogar besser, sich vorerst von Tierkadavern zu ernähren, obwohl der bloße Gedanke bei Zita für Übelkeit sorgte.

Und plötzlich wusste Zita, wohin sie fahren würden.

Sie stieß ein Jauchzen aus, das sofort Piroks Aufmerksamkeit erregte. Fragend starrte er seine Schwester an, die umgehend den Motor startete, ihn kurz darauf aber wieder abwürgte.

Die Straßen im Hoia-Baciu glichen einem Labyrinth, und Zita hatte nicht die geringste Ahnung, wohin sie fahren musste. Sie fluchte und drehte sich erneut auf dem Beifahrersitz um. Wütend zerrte sie Ilona Yurek die Kapuze vom Kopf. Die Augen der jungen Frau schwammen in Tränen.

»Willst du leben?«

Ilona nickte.

»Schön, dann wirst du mir helfen.« Zita deutete auf den Bildschirm in der Konsolenmitte. »Ich weiß, dass das Ding uns sagen kann, wohin wir fahren müssen. Kannst du es bedienen?«

Abermals nickte Ilona.

Zita grinste, wobei sie nicht vergaß, ihre spitzen Zähne zu blecken. »Ich wusste doch, dass ihr uns nützlich sein werdet. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist.«

Zumindest was die Programmierung des Navigationscomputers anging, hatte sich Zita nicht in Ilona getäuscht. Sogar die Strecke konnte sie sich aussuchen. Sie wählte extra eine Route abseits der Hauptverkehrswege, in der Hoffnung, dass dort zuletzt irgendwelche Straßensperren errichtet wurden.

Sie fuhren die ganze Nacht hindurch.

Als im Osten der neue Morgen graute, hatten sie die Grenze nach Ungarn fast erreicht. Der nächstgelegene Ort nannte sich Biharia, ein größeres Dorf, in dem vielleicht fünftausend Einwohner lebten. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, suchte Zita ein Versteck in der Nähe der Ortschaft und fand es in einer alten Scheune, die aussah, als würde sie beim nächsten Sturm zusammenbrechen.

Zita parkte den Leichenwagen in einem Waldweg, der dem Bewuchs nach zu urteilen, nur noch selten befahren wurde. Sie trug Pirok auf, das Fahrzeug mit Ästen und Zweigen zu tarnen, während sie ihre Gefangenen in den Schuppen schleppte, der bis auf ein verrostetes, ausgeschlachtetes Autowrack leer war. Es roch muffig nach altem Holz und feuchtem Stroh.

Unter dem löcherigen Dach hingen Schwalbenbester. Vogelkot klebte an den Balken und bildete kleine Hügel auf dem Boden. In dem feuchten Stroh nisteten Ratten. Zita erschlug sie mit einer brüchigen Schaufel, die unter den Schlägen auseinanderbrach. Immerhin reichte es, um die Ratten und ihre Brut zu töten. Zita leckte sich über die schleimigen Lippen. Die Viecher kamen ihr als kleiner Snack gerade recht.

Zunächst aber band sie Silva und Ilona an einen der Stützbalken. Die Stricke hatten sich tief in das Fleisch der beiden Frauen gegraben. Laute der Qual drangen unter den Kapuzen hervor, als Zita die Stricke an den Armen löste, nur um sie anschließend wieder festzuzurren.

Dabei fiel ihr ein, dass die Menschen ebenfalls essen und trinken mussten. Und zwar sehr viel häufiger als Zita und ihr Bruder. Außerdem mussten sie es irgendwann auch wieder ausscheiden. Zita hätte sich mit Sicherheit nicht so viele Gedanken darüber gemacht, hätten sie nicht vor dem Problem gestanden, eine Landesgrenze zu überqueren.

Zita wusste nicht, was genau sie erwartete, aber ihr war klar, dass sie über kurz oder lang ein neues Auto benötigten. Und Geld. Zwar hatte ihnen Zoltan einiges an Bargeld hinterlassen, aber Zita wusste, dass die Menschen auch mit Plastikkarten bezahlten, die sie jedoch nicht so ohne Weiteres benutzen konnte. Auch dafür brauchte sie Silva und Ilona.

Zita warf einen Blick zum Eingang der Scheune, durch die das erste Licht des neuen Tages sickerte. Viel war es nicht, doch Zita konnte trotzdem alle Einzelheiten erkennen. Menschen indes waren bei solch schlechten Lichtverhältnissen so gut wie hilflos, zumal die meisten auch nicht gelernt hatten, ohne ihre Sehkraft auszukommen.

Um Auto zu fahren und sich der menschlichen Sprache bedienen zu können, musste Zita annähernd humanoide Gestalt annehmen. Eine Fähigkeit, die nicht allen ihren Artgenossen gegeben war. Sie hingegen beherrschte diesen Trick ziemlich gut, sodass sie auf den ersten Blick nicht unbedingt als Dämonin erkannt wurde, auch wenn ihr Aussehen nicht gerade dem gängigen Schönheitsideal entsprach.

Das Haar war strähnig, die Haut blass und farblos, die Augen lagen tief in den Höhlen. Ihr Gesicht glänzte, als würde sie unter Schweißausbrüchen leiden. Dabei es war lediglich der Schleim, der mal stärker, mal schwächer aus den Poren quoll.

Die letzten Stunden hatten sie viel Kraft gekostet.

Trotz ihres kränklichen Aussehens nahm Zita diese Gestalt auch jetzt wieder an, um mit ihren Geiseln zu sprechen. Sie musste sich beeilen. Wenn möglich wollte sie fertig sein, bevor Pirok zurückkehrte.

Zita zog Ilona die Kapuze vom Kopf und löste das Pflaster, das sie einmal um den Kopf herumgewickelt hatte. Das Mädchen quiekte, als einige der blonden Strähnen daran haften blieben. Neue Tränen quollen aus den Augenwinkeln und rannen an den Nasenflügeln entlang.

Ilona versuchte, die Mullbinde mit der Zunge aus dem Mund zu schieben. Zita half ihr dabei. Die Lippen des Mädchens zitterten.

»B-b-bitte«, flehte es. »L-lassen Sie uns gehen!«

»Keine Sorge. Wenn ihr tut, was wir von euch verlangen, wird euch kein Haar gekrümmt«, log Zita.

»W-w-was w-w-wollt ihr denn?«

»Es wird Tag. Mein Bruder und ich wollen über die Grenze nach Ungarn. Allerdings nicht offiziell, wenn du verstehst ...«

Ilona schüttelte den Kopf und Zita seufzte.

»Ihr sollt uns helfen. Wir müssen eine Stelle finden, die nicht kontrolliert wird. Ganz davon abgesehen, habt ihr bestimmt Hunger und Durst, nicht wahr?«

Dieses Mal nickte Ilona.

Zita grinste. »Wunderbar. Dann werden wir jetzt einen kleinen Ausflug ins Dorf machen!«

Ilonas Augen weiteten sich, ihre Züge entgleisten. Zuerst begriff Zita nicht weshalb, bis sie dem Blick der jungen Frau folgte und an sich herunterblickte. Da erkannte sie das Problem.

Sie war nackt!

Ganz gleich, wie gut sie die menschliche Gestalt nachahmen konnte, aber so würde sie mit Sicherheit Aufsehen erregen. Sie brauchte also Kleidung. Aber woher sollte sie die nehmen? Die Antwort auf diese Frage saß kaum eine Armlänge entfernt, direkt neben Ilona.

Zita erhob sich und ging, gefolgt von Ilonas furchtsamen Blicken, zu Silva. Die fuhr zusammen, als ihr Zita die Kapuze vom Kopf rupfte. »Ich werde dir jetzt die Fesseln abnehmen. Versprichst du mir, nicht zu schreien oder wegzulaufen?«

Silva nickte hastig.

»Sehr gut, es würde dir nämlich nicht bekommen. Mein Bruder wartet nur darauf, dass ihr irgendeine Dummheit begeht.«

Zita fletschte die Zähne und löste zuerst den Knebel, dann die Stricke.

»W-was ... was soll ich tun?«

»Zunächst einmal sollst du dich ausziehen!«

Das Gesicht der Frau verzog sich vor nackter Furcht. »Nein! B-bitte nicht. Ich ... ich tue alles, was ihr wollt, aber ...«

»Wie schön, aber im Moment will ich nur, dass du dich ausziehst. Es sei denn, du möchtest zusehen, wie ich das Gesicht deiner Tochter fresse!«

Zita fletschte die Zähne. Silva Yurek fing an winseln, gehorchte aber.

»Geht doch«, zischte die Dämonin, und zwinkerte Ilona zu, die furchtsam den Kopf abwandte. Und einen spitzen Schrei ausstieß.

Ihr Blick war zur Scheunentür gefallen, in der Pirok auftauchte. Er ging auf allen vieren. Mit seinen überlangen Armen sah er aus wie ein magersüchtiger Gorilla, dem sämtliche Haare ausgefallen waren. Die dünne Haut klebte wie Pergament an seinem Schädel, der ständig in Bewegung war.

Seine schwarzen, an Kieselsteine erinnernden Augen quollen abwechselnd aus den Höhlen. Schleim troff von seinen Zähnen. Eine graue, von Bläschen überzogene Zunge glitt über die schmalen Lippen.

Pirok schmatzte gierig beim Anblick der halb entkleideten Silva Yurek, die in den Schrei ihrer Tochter einstimmte und die Arme um ihren Busen schlang.

Zita knirschte mit den Zähnen.

»Ruhe!«, bellte sie, und wandte sich an Pirok: »Reiß dich zusammen. Unsere Gäste haben Angst vor dir. Los, verzieh dich! Wenn du Hunger hast, da vorne liegt was zu Futtern.« Sie deutete auf die erschlagenen Ratten.

Pirok huschte auf das Nest zu und fauchte angewidert. Trotzdem widersprach er seiner Schwester nicht. Stattdessen schnappte er sich mehrere Kadaver und zog sich mit ihnen zurück. Erstaunlich flink kroch er an der Innenseite der Scheunenwand empor und verbarg sich im Gebälk unterhalb des Daches.

Für Zita war seine bleiche Gestalt deutlich zu erkennen, die beiden Frauen mussten dagegen schon genauer hinschauen. Nur das Knacken, Knirschen und Schmatzen, das entstand, als Pirok die Rattenkadaver verschlang, war selbst für Silva und Ilona nicht zu überhören.

»W-was seid ihr?«

Zita drehte sich zu Ilona um. »Hat dir dein Papa nie von uns erzählt?«

Ilona schüttelte den Kopf. Auch Silva verneinte, als Zita sie musterte. »Ist ja sonderbar. Aber wahrscheinlich wollte er euch beschützen. Nun, das hat ja nicht besonders gut funktioniert. Sei's drum. Pirok und ich sind Ghouls. Einige Klugscheißer bezeichnen uns auch als Ghoule, letztlich meinen sie aber alle dasselbe.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Leichenfresser!«

Es war kaum zu glauben, aber die beiden Frauen wurden noch bleicher. Silva sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen.

»Leichenfresser?«, echote Ilona. »Soll das heißen ...?«

»Das heißt, wenn ihr nicht spurt, töten wir euch nicht nur, wir fressen euch auch auf. Glaubt ihr, ich habe einen Scherz gemacht, als ich behauptet habe, ich würde eure Eingeweide fressen?«

Weder Silva noch Ilona gaben eine Antwort. Wahrscheinlich dachten sie beide an Zoltan Yurek, ihren Ehemann und Vater, der von Pirok auf dem Dach des Leichenwagens ausgeweidet worden war1.

Zita streckte die Hand nach der Witwe des Bestatters aus. »Und jetzt her mit den Klamotten!«

Silvas Hände zitterten, als sie der Dämonin ihre Sachen überreichte. Die Leichenfresserin hielt sich Rock und Bluse vor die magere Gestalt. Ilonas Kleider hätten ihr mit Sicherheit besser gepasst, aber sie brauchte das Mädchen angezogen. Es würde Zita ins Dorf begleiten.