1,99 €
Im Amazonasgebiet des 16. Jahrhunderts verschlingen Wahnsinn und Gier die Seelen der Mitglieder der von Lope de Aguirre angeführten Expedition. Und Denise Curtis, gefangen im Körper eines jungen Mädchens, steht ihrem skrupellosen Vater Lykaon gegenüber, einem Dämon von unvorstellbarer Macht. Um seinen mörderischen Plan zu vereiteln, beschwört Denise einen anderen Dämon - Mandragoro! Zugleich und dennoch in einer anderen Epoche kämpft Suko ums nackte Überleben. Und John Sinclair tritt in einer zeitlosen Dimension den Nornen der germanischen Saga entgegen - und der offenbar irren Totengöttin Hel!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Terror der Totengöttin
Grüße aus der Gruft
Vorschau
Impressum
Terror der Totengöttin
(Teil 3 von 3)
von Ian Rolf Hill
Pedro de Ursuá war tot!
Erschlagen von seinem Lehnsmann Lope de Aguirre, aus dessen Augen der Wahnsinn sprang. Das Blut des spanischen Edelmanns klebte nicht nur an der Klinge, mit der Aguirre ihm den Schädel gespalten hatte, es benetzte auch das Gesicht von Ursuás Braut Doña Inés de Atienza, die, von Entsetzen gelähmt, auf den zusammengesunkenen Leichnam ihres Geliebten starrte.
Die umstehenden Konquistadoren, ja, selbst die einheimischen Sklaven waren verstummt. Niemand wagte sich zu rühren.
Nur einer lächelte stumm. Niemand beachtete ihn. Niemand bis auf Elvira, Aguirres Tochter, in dessen Körper die Seele von Denise Curtis steckte.
Es war der Mönch Pater Egeas, hinter dessen frommer Maske sich einer der fürchterlichsten Dämonen verbarg, denen Denise jemals begegnet war.
Ihr Vater Lykaon!
Peru, 1561
Drei Männer, die Vergeltung für Pedro de Ursuá üben wollten, starben noch in derselben Minute.
Arkebusen krachten. Auf die kurze Entfernung durchschlugen sie die Brustpanzer der Konquistadoren. Den Rest erledigte Aguirre selbst, in dem er einen Verletzten mit dem Schwert richtete. Er schlug ihm vor versammelter Mannschaft den Kopf ab.
Selbst Denise war erschüttert ob dieser Grausamkeit.
Sie hatte selbst einiges auf dem Kerbholz, allerdings gingen ihre Morde allesamt auf das Konto der Bestie, die in ihr schlummerte. Vielleicht lag es auch an dem Körper des Mädchens Elvira, dass Denise so empfand.
Dass ihre Seele über vierhundertfünfzig Jahre in die Vergangenheit geschleudert worden war, verdankte sie der Totengöttin Hel, die sie in der Gegenwart getötet hatte, auch wenn Denise bezweifelte, dass diese Seelenwanderung in Hels Absicht gelegen hatte.
Sicher war sie sich dessen allerdings nicht, denn die Totengöttin der nordischen Mythologie war nicht nur schrullig und skrupellos, sondern auch unberechenbar.
Andererseits war sich Denise sicher, dass sie keineswegs zufällig hier gestrandet war, in unmittelbarer Nähe ihres Vaters Lykaon, der sich zu dieser Zeit allerdings kaum an seine Identität als mächtiger Wolfsdämon erinnerte.
Denise hatte sich aus Doña Inés' Schoß erhoben. Pedro de Ursuás Braut hatte sich seit dem grausamen Mord an ihrem Geliebten nicht um einen Millimeter gerührt, schien zur Statue erstarrt zu sein. Denise zuckte zusammen, als sie die Hände des Indianers José Cocomayoc an den Schultern berührten.
Wie aus dem Boden gewachsen ragte Pater Egeas vor ihr auf.
»Ich sorge für die Sicherheit der Tochter des Kommandanten!«, fuhr er den Sklaven an. »Scher dich weg!«
Cocomayoc gehorchte.
Aguirre stand leicht vornübergebeugt auf der kleinen Lichtung, das blutige Schwert noch in der Hand. Seine Blicke durchbohrten die Umstehenden. »Ist noch jemand hier, der meine Entscheidungen infrage stellt?«
Beklommenes Schweigen antwortete ihm. Unmöglich zu sagen, wer von den Konquistadoren Aguirre treu ergeben und wer klug genug war, sich seinem Irrsinn zu beugen und heimlich nach Verbündeten zu suchen, um später einen erneuten Putschversuch zu wagte. Die Aussicht auf unermesslichen Reichtum, den Lope de Aguirre den Männern versprochen hatte und der angeblich im sagenumhüllten El Dorado auf sie wartete, schien jedoch viele komplett verblendet zu haben.
Aguirre straffte sich. Langsam ließ er das Schwert sinken.
»Dann entscheide ich, dass wir weiterziehen, um den Schatz der Omaguas zu finden und an uns zu bringen!« Er hob die behandschuhte Linke und streckte den Zeigefinger aus. »Aber nicht, um danach das Gold der spanischen Krone und König Philipp II. zu übergeben. Diese Expedition untersteht nicht länger der Befehlsgewalt des Königs, sondern allein der meinigen. Denn ich bin ein freier Mann und allein Gott dem Herrn Rechenschaft schuldig!«
»Amen!«, raunte Pater Egeas.
Und da wusste Denise, dass dieser feige Mord auf sein Konto ging. Aguirre war nicht mehr als sein Werkzeug. Eine von Gier und Wahnsinn gepeinigte Kreatur, die Wachs in den Händen des Dämons war.
Doch was plante Lykaon?
Denise war entschlossen, es herauszufinden.
»Lope de Aguirre ist nicht dumm. Er weiß sehr wohl, dass der Edelmann Don Fernando de Guzmán lange Jahre ein treuer Weggefährte des von ihm getöteten Pedro de Ursuá war. Aber er ist auch ein Wendehals, der sein Fähnlein nur allzu gern nach dem Wind dreht. Indem er ihn zum neuen König von Spanien ausruft, sichert er sich seine Treue und die der meisten Konquistadoren.«
Angespannt lauschte Denise den Worten von Pater Egeas.
Schon sehr früh hatte sie festgestellt, dass der vermeintliche Priester die Nähe von Aguirres Tochter suchte, in deren Körper sie ja steckte. Und auch Elvira de Aguirre schien nichts gegen die Gesellschaft des charismatischen Mönches gehabt zu haben, das konnte Denise spüren. Wenn sie jetzt Egeas mied, wäre ihm das wahrscheinlich verdächtig vorgekommen.
Wenn sie überleben wollte, musste sie sich den Begebenheiten anpassen. Darüber hinaus würde Pater Egeas ihr am ehesten die Fragen beantworten können, die ihr auf der Seele brannten. Ihr Vorteil war, dass er offenbar nicht die geringste Ahnung hatte, dass sie in Wirklichkeit gar nicht mehr die Mestizin Elvira war, sondern seine eigene Tochter, die er jedoch erst in vierhundertfünfzig Jahren zeugen würde.
Der Mönch und das Mädchen saßen abseits des Lagers, am Ufer des Río Ene, eines Nebenflusses des Amazonas, der seine schlammbraunen Fluten träge durch das felsige Bett wälzte. Während die Indianer-Sklaven unter der Aufsicht der Konquistadoren Bäume fällten und Flöße bauten, verfasste Aguirre ein Schreiben an König Phillip II. von Spanien, in dem er ihm die Herrschaft aberkannte und ihn als willfährigen Diener Luzifers verunglimpfte.
»Nur Gott allein ist mächtiger als der König«, erklärte Egeas. »Erst durch seine Gnade hat ein Mensch Anspruch auf den Thron. Indem Aguirre ihm einen Bund mit dem Satan unterstellt, zweifelt er seine Vormachtstellung an und ...«
»Schreibt man Hundsfott mit einem T oder mit zweien?«, schrie Aguirre von seinem Schreibpult aus, das unter einem Baldachin aus Bast und Palmwedeln stand.
»Entschuldigt mich«, murmelte Pater Egeas schmunzelnd und legte Denise wie beiläufig die Hand aufs Bein. Die junge Frau im Körper eines fünfzehnjährigen Mädchens erschauerte. Eisige Kälte rieselte über ihr Rückgrat, die Härchen im Nacken sträubten sich.
Oh, sie wusste genau, zu was dieser Dämon fähig war, hatte es am eigenen Leib erfahren.
Ihr war, als schlänge sich eine Garotte um ihren Hals. Keinen Laut brachte sie hervor, daher nickte sie stumm, die Hand fest um das goldene Medaillon des Heiligen Christopherus geschlossen, dem Schutzpatron aller Reisenden.
Sie beobachtete, wie Pater Egeas, Don Fernando de Guzmán und Lope de Aguirre die Köpfe zusammensteckten. Niemand achtete in diesen Sekunden auf Denise, die sich erhob und über die Felsen dorthin ging, wo Doña Inés mit angewinkelten Beinen im Schatten eines Baumes kauerte.
Ihr Blick war ins Leere gerichtet, in der Hand hielt sie ein goldenes Kreuz, das sie gegen die Lippen presste. Denise sank neben ihr nieder.
Das einst so sorgfältig gebundene Haar hing in wirren Strähnen bis auf ihre Schultern herab. Denise ergriff die Bürste, die im Schoß der älteren Frau lag, und fing an, ihr das Haar zu bürsten.
»Verzeiht, Doña Inés«, sagte Denise. »Ich wusste nicht, das dies geschehen würde, das müsst Ihr mir glauben. Könnte ich es ungeschehen machen, ich würde mein Leben dafür geben.«
Überrascht stellte Denise fest, dass das nicht nur so dahingesagt war.
Aber vielleicht geht man ja leichtfertiger mit solchen Beteuerungen um, wenn man bereits gestorben ist, dachte sie in einem Anflug von Galgenhumor.
Was hatte sie schon zu erwarten im Körper einer fünfzehnjährigen Mestizin, die mit ihrem wahnsinnigen Vater durch einen unerforschten Dschungel stolperte, auf der Suche nach einem Hirngespinst. El Dorado war eine Legende, Denise wusste das. Glauben würde ihr indes keiner. Erst recht nicht Lope de Aguirre.
Denise zuckte zusammen, als sich eine Hand auf ihren Arm legte.
Es war die Hand der Doña Inés, deren Augenmerk noch immer ins Leere gerichtet war. Denise erschauerte und warf einen unsicheren Blick in die Runde.
Sie erschrak, als sie aus einiger Entfernung den Blick von Pater Egeas auf sich ruhen sah.
Hastig legte sie die Bürste zurück in den Schoß der Doña und entschuldigte sich mit dem Hinweis, dass sie dringend austreten müsse. Sie erhob sich, raffte ihr vor Schmutz starrendes Samtkleid und stolperte das felsige Ufer hinauf in Richtung Wald.
Von den schwer schuftenden Soldaten und Sklaven nahm anscheinend niemand Notiz von ihr. Und so verschmolz Denise unbehelligt mit den Schatten des Waldes, wo sie sich eine ruhige Stelle inmitten des Dickichts suchte.
Nachdem sie fertig war, kehrte sie jedoch nicht zu den anderen zurück. Stattdessen drang sie tiefer in den Urwald ein, sich des Risikos und der Gefahr, in die sie sich begab, sehr wohl bewusst. Da musste sie nur an den furchtbaren Angriff denken, der gerade einmal acht Tage zurücklag.
Der Wald war lebendig geworden, und Einheimische hatten die Eindringlinge aus dem Unsichtbaren heraus mit Pfeilen beschossen, während die Wurzeln der Bäume, die Ranken und Lianen ein gespenstisches Eigenleben entwickelt hatten. Dreißig Soldaten waren bei dem Überfall ums Leben gekommen, und mehr als die Hälfte der knapp sechshundert Indianer-Sklaven war geflohen.
Denise ahnte, wer für diesen Angriff verantwortlich war. Wenn sie damit richtig lag, wäre derjenige ein Verbündeter gegen Lykaon alias Pater Egeas.
Sie trat an einen der Urwaldriesen heran, legte die Hände auf die schrundige Borke und presste die Stirn dagegen.
»Bitte, Geist des Waldes, gib dich zu erkennen. Ich bin gekommen, um Buße zu tun und deinen Beistand im Kampf gegen die weißen Eroberer und den Teufel in ihrer Mitte zu erflehen. Bitte erhöre deine ergebene Dienerin, Mandragoro!«
Der Prankenhieb des Bären mit dem silbergrauen Pelz traf die Totengöttin Hel und schleuderte sie gegen eine mannshoch aus dem Erdreich ragende Wurzel, die Teil der Weltenesche Yggdrasil war, der Heimat der Nornen.
Allein der Hieb hätte einem Menschen vermutlich das Genick gebrochen, spätestens aber der Aufprall. Das Knirschen und Bersten der Gebeine in dem zur Hälfe verwesten Leib der zierlichen Frau war Musik in Lykkes Ohren.
O gewiss, sie kannte Hel und wusste um ihre Macht, deshalb zeigte sie auch keinerlei Zurückhaltung. Mit all ihrer von Thor gegeben Kraft griff sie die Totengöttin an, die nicht ohne Grund bei den Schicksalsweberinnen erschienen war.
Hel hatte den durchgetrennten Lebensfaden von Denise Curtis eingefordert, die spurlos verschwunden war.
Zusammen mit Morgana Layton, der Herrin der Werwölfe, war Lykke nach Yggdrasil gekommen, um die Nornen um Hilfe zu bitten. Morgana hatte den Lebensfaden berührt und wäre dabei fast gestorben.
Ihr Geist hatte den Körper verlassen und Denises Seele erblickt, die durch das Totenreich irrte, durch Helheim, die Domäne der Totengöttin Hel, der Schwester des Götterwolfes Fenris, dessen Erbin und Nachfolgerin Morgana Layton war.
Und sie hatte noch mehr gesehen. Nämlich die Geisterjäger John Sinclair und Suko, die allein auf einer aus Knochen bestehenden Insel in einem Meer aus teerigem Schlamm gefangen waren. Und der Sohn des Lichts hatte sein silbernes Kreuz aktiviert.
Die magische Entladung hatte Denise und Morgana fortgeschleudert. Was aus der Seele von Lykaons Tochter geworden war, wusste Lykke nicht. Morgana aber war in ihren Körper zurückgekehrt.
Um Antworten zu finden, hatte sie sich auf den Weg ins Totenreich gemacht, während Lykke bei den Nornen die Stellung hielt.
Nicht grundlos, wie sich herausgestellt hatte, nachdem Hel aufgetaucht war.
Der Berserkerin war klar, dass sie der Totengöttin keine Gelegenheit zum Verschnaufen geben durfte, und setzte sofort nach. Mit einem gewaltigen Satz, dem man ihrem massigen Leib niemals zugetraut hätte, setzte sie über den Wurzelstrang hinweg.
Hel kauerte auf allen vieren. Benommen schüttelte sie den Kopf und wollte sich aufrichten, als der Schatten der Bärin über sie fiel.
Ruckartig hob sie den Kopf. »Können wir ...?«
Was Hel konnte, war Lykke herzlich egal. Ihre Kiefer schlossen sich um das rechte Bein der Totengöttin und rissen sie zurück. Lykke warf den Schädel von einer Seite zur anderen und schleuderte Hel gegen das harte Wurzelholz.
Die Geräusche hörten sich an, als würde sie einen mit rohen Eiern gefüllten Sack gegen den Stamm dreschen.
Schließlich ließ Lykke ihre Beute los, die mit einem dumpfen Laut zu Boden prallte.
Der nächste Prankenhieb riss das Totenhemd und die darunterliegende Haut in Fetzen. Aus dem schwärenden, schwarz verfaulten Fleisch, das die gesamte linke Körperhälfte bedeckte, quollen Maden.
Lykke schüttelte sich vor Ekel, trotzdem machte sie weiter, bis von Hel nicht mehr als ein Haufen Fleisch und Knochen übrig war.
Erschöpft hielt die Berserkerin inne.
Die Schamanin der Bärenhäuter sank kraftlos zusammen, der silbrig schimmernde Pelz schien sich für Sekunden aufzublähen, dann fiel er in sich zusammen und legte sich wie eine Decke über Lykkes menschliche Gestalt.
Mit zittrigen Knien richtete sich die Schamanin auf.
Die Norne Werdandi trat näher, gefolgt von ihren Schwestern Skuld und Urd, die den Zorn der Totengöttin am eigenen Leib zu spüren bekommen hatten.
Die kindliche Skuld, die die Zukunft verkörperte, verzog das Gesicht. »Ich habe dem Miststück die Abreibung durchaus gegönnt, aber war das nicht ein wenig übertrieben?« Lykke warf der Norne einen erstaunten Blick zu, den Skuld mit einem Achselzucken quittierte. »Na ja, sie ist immer noch unsere Nachbarin.«
»Und Teil der natürlichen Ordnung!«, fügte Urd hinzu.
Aus dem Haufen zu Lykkes Füßen drangen gedämpfte, abgehackte Laute, die sich als meckerndes Gelächter entpuppten.
Die Augen der Schamanin weiteten sich, als sich Hel mit ruckartigen Bewegungen, die von einem widerwärtigen Knirschen und Reißen begleitet wurden, entfaltete.
Vor Lykke richtete sich die Totengöttin auf.
Innerhalb weniger Sekunden fanden die zertrümmerten Gebeine wieder zueinander, schlossen sich die Wunden und fügte sich zusammen, was zusammengehörte. Nur das Totenhemd flatterte weiterhin in Fetzen um den zierlichen Leib.
»Da du dich jetzt ausgetobt hast, können wir uns hoffentlich in Ruhe unterhalten.«
Aus dem bläulich fluoreszierenden Tunnel, den Morgana Layton mit der Magie des Götterwolfs Fenris erschaffen hatte, jagten ein halbes Dutzend Werwölfe auf uns zu. Dicht gefolgt von Naema, Liliths abtrünnigem Engel der Unzucht und Hurerei.
Das schwarze, engelsgleiche Geschöpf mit den Fledermausschwingen schwang Satans Marotte und zielt damit auf Morganas Kopf.
Ich kannte dieses teuflische Narrenzepter leider nur allzu gut. Darin hauste der Geist eines wahnsinnigen Dämons, und wer mit der Marotte in Berührung kam, verlor unweigerlich den Verstand, egal, ob Engel, Mensch oder Dämon.
Dem Spuk und dem Eisernen Engel war diese gefährliche Waffe bereits zum Verhängnis geworden, und jetzt sollte Morgana dran glauben.
Ich stand zu weit entfernt. Außerdem hatte ich eigene Probleme, schließlich war Naema nicht allein gekommen. Der erste Werwolf flog auf mich zu, ehe meine Hand überhaupt in die Nähe der Beretta kam. Zum Ausweichen fehlte mir die Zeit, und so musste ich den Ansturm voll nehmen.
Der Schlag vor die Brust riss mich von den Beinen.
Rücklings prallte ich auf die Oberfläche des teerartigen Meeres, das dank der Magie meines Kreuzes zu einer steinharten Masse getrocknet war. Der Talisman hing wie immer an der Kette um meinen Hals. Unter dem Pullover, sodass er dem Werwolf nicht gefährlich werden konnte, der das Maul aufriss und nach meiner Kehle schnappte.
Ich riss den Unterarm vors Gesicht, die Kiefer schlossen sich darum. Es fühlte sich an, als würde mein Arm in einem Schraubstock stecken. Die Lederjacke schützte mich vor den Zähnen, doch der bloße Druck der Kiefer drohte mir den Knochen zu zermalmen.
Und hinter dem Werwolf tauchten bereits die nächsten Bestien auf.
In diesem Augenblick erklang der Ruf, der alles verändern sollte.
»TOPAR!«
Auch Suko sah die Gefahr, in der Morgana schwebte.
Seine Hand wanderte schon zum Stab des Buddha, als er die ersten Bewegungen in dem transzendentalen Tunnel wahrgenommen hatte, noch bevor sich die Gestalten von Naema und den Werwölfen herausgeschält hatten. Und dann war alles blitzschnell gegangen.
Die Tatzen der Werwölfe schienen den Boden gar nicht zu berühren, so schnell waren sie.
Den ersten fegte Suko mit einem Tritt zur Seite, ehe die Finger seiner rechten Hand den heiligen Stab berührten und er das magische Wort rief.
Jede sich in Hörweite aufhaltende Person erstarrte für die Dauer von exakt fünf Sekunden. Fünf Sekunden, in denen nur der Träger des Stabes, Suko, handeln konnte.
Zwei Werwölfe standen sprungbereit vor ihm, der dritte wälzte sich über den Boden und wollte gerade wieder auf die Beine kommen, als ihn Buddhas Magie erwischte.
Der Inspektor kümmerte sich nicht um sie.
Er tauchte zur Seite und sah, dass nicht nur Morgana, sondern auch sein Freund John Sinclair in Bedrängnis war. Der Geisterjäger war gerade dabei, die linke Hand zu ballen. Noch war die Faust offen.
Suko nahm sich die Zeit, die ausgefahrene Dämonenpeitsche hineinzudrücken, dann warf er sich gegen Morgana.
Wie ein Rugbyspieler rammte er die Werwölfin, die zur Seite flog.
Und dann war die Zeit auch schon um!
Suko vernahm das Fauchen und Geifern der Bestien, eine von ihnen heulte auf. Der Inspektor aber hatte nur Augen für Naema, die zum Greifen nahe vor ihm schwebte.
Satans Marotte fegte auf ihn zu.
Suko ließ sich fallen, und haarscharf fegte die dämonisch verzerrte Harlekinfratze über ihn hinweg. Er spürte noch den Luftzug, dann ergriff ihn eisige Kälte.
Ein unwiderstehlicher Sog packte Suko und riss ihn nach hinten.
Der Inspektor schrie, als ihn unvorstellbare Kräfte herumwirbelten. Er verlor jegliches Raumgefühl. Sein Schrei erstickte in einem qualvollen Giemen, denn in dem Tunnel aus rotierendem Licht gab es keinen Sauerstoff.
Wo er auch hinblickte, war nichts als diese wirbelnde weißblaue Helligkeit. Bunte Lichter zerplatzten vor Sukos Augen, sein Bewusstsein versank in gnädiger Schwärze.
Denise Curtis wusste nicht, wie oft sie ihre Worte wiederholte.
Sie kam sich dumm und naiv vor. Als ob sich ein Dämon vom Kaliber eines Mandragoro zeigte, nur weil eine kleine, einfältige Göre ihn darum bat.
»Was denke ich mir eigentlich dabei?«, murmelte sie verdrossen. »Das hier ist doch kein beschissener Disney-Film!«
»Elvira!«
Sie erschrak so heftig, dass sie einen leisen Schrei ausstieß. Im ersten Moment dachte sie wirklich, der Naturgeist Mandragoro habe zu ihr gesprochen.
Doch dann schlossen sich Cocomayocs faltige Finger um ihren Arm, und der Indio zerrte sie von dem Stamm weg.
Denise stand kurz davor, dem alten Mann eine zu kleben, doch der deutete auf den Baumstamm. Hunderte, ach was, Tausende winziger Leiber krabbelten darüber hinweg. Einige von ihnen waren fast so lang wie ihr Daumen.
Ameisen!