John Sinclair 2038 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2038 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Einst war er ein König gewesen. Bis ihn ein Mächtigerer stürzte und den Platz einnahm, der ihm zustand. Gebunden mit magischen Fesseln, harrte er der Stunde seiner Befreiung. Der gefallene Engel, Luzifer, sorgte dafür, indem er ihm menschliche Gestalt verlieh.
Doch sie wurde ihm genommen, als er dem Gott, dem er Gehorsam heuchelte, frevelte. Und wieder ward er besiegt, gebannt, gedemütigt. Jahrtausende vergingen, ehe er erneut nach der Herrschaft strebte, nach der absoluten Kontrolle. Abermals fand er Verbündete. Einer von ihnen versprach ihm unendliche Macht.

Stattdessen kamen Tod und Zerstörung über ihn und seine Mitstreiter. Sie waren verraten worden und anstelle von Macht ernteten sie Vernichtung. Aber so leicht ließ sich ein Gott nicht töten, denn ein solcher war er und würde er immer sein.

König von Arkadien. Beherrscher der Bestien. Gott der Wölfe.
Lykaon.

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Seitenzahl: 145

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Inhalt

Cover

Impressum

Lykaons Braut

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Prieto/Norma

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5155-2

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Lykaons Braut

von Ian Rolf Hill

Einst war er ein König gewesen. Bis ihn ein Mächtigerer stürzte und den Platz einnahm, der ihm zustand. Gebunden mit magischen Fesseln, harrte er der Stunde seiner Befreiung. Der gefallene Engel, Luzifer, sorgte dafür, indem er ihm menschliche Gestalt verlieh.

Doch sie wurde ihm genommen, als er dem Gott, dem er Gehorsam heuchelte, frevelte. Und wieder ward er besiegt, gebannt, gedemütigt. Jahrtausende vergingen, ehe er erneut nach der Herrschaft strebte, nach der absoluten Kontrolle. Abermals fand er Verbündete. Einer von ihnen versprach ihm unendliche Macht.

Stattdessen kamen Tod und Zerstörung über ihn und seine Mitstreiter. Sie waren verraten worden, und anstelle von Macht ernteten sie Vernichtung. Aber so leicht ließ sich ein Gott nicht töten, denn ein solcher war er und würde er immer sein.

König von Arkadien. Beherrscher der Bestien. Gott der Wölfe.

Lykaon.

Meine Lungen brannten und arbeiteten wie Blasebälge. Der Schweiß rann mir in Strömen vom Gesicht, und die Kehle fühlte sich an, als bestünde sie aus Sandpapier. In Ermangelung frischen Wassers schluckte ich bitter schmeckenden Speichel.

Ich keuchte wie ein altersschwaches Rhinozeros und hätte mich am liebsten auf den Waldboden gelegt und aufgegeben. Genau darauf spekulierten meine vermummten Verfolger. Ich wunderte mich ohnehin, wie sie unter den Sturmhauben atmen, geschweige denn Laufen konnten.

Die mussten doch einen Hitzschlag bekommen.

Weiter, nur weiter. Nicht aufgeben, hämmerte ich mir ein und holte das Letzte aus meinem malträtierten Körper heraus. Meine Kondition war gewiss nicht die Schlechteste, aber so langsam bekam ich Seitenstechen.

Wie lange rannte ich nun schon durch diesen verdammten Wald, der einfach kein Ende nehmen wollte?

Stunden? Wohl eher Minuten. In Anbetracht der Situation war Zeit relativ. Da dehnten sich selbst Sekunden zu kleinen Ewigkeiten. Ich riskierte einen schnellen Blick über die Schulter.

Verflucht, die Bastarde waren immer noch hinter mir. Vier Maskierte, die auseinanderfächerten, um mich in die Zange zu nehmen. Ich richtete den Blick geradeaus und duckte mich rechtzeitig, bevor mir der tiefhängende Ast der Fichte ins Gesicht schlug.

Nur noch den Hang dort hinauf, dann hatte ich es geschafft!

Das Ziel lag so nah und war doch so fern.

Vielleicht noch fünfzig Yards zwischen dicht stehenden Bäumen hindurch. Fünfzig Yards steil bergauf! Wer von uns hatte eigentlich diese Schnapsidee gehabt?

Es herrschte Hochsommer und über den dicht stehenden Wipfeln der Bäume brannte eine erbarmungslose Sonne, die die Luft unterhalb des Blätterbaldachins in ein wahres Treibhaus verwandelte. Längst klebte mir die Kleidung tropfnass am Leib.

Trotzdem war der Boden unter dem Laub stellenweise feucht und rutschig. Besonders hier, am Nordhang. Das wurde mir zum Verhängnis, als mein rechtes Bein wegrutschte und ich der Länge nach auf den Bauch fiel. Sofort rollte ich mich herum und sah aus dem Augenwinkel den ersten Verfolger heranpreschen. Aus der Bewegung heraus trat ich zu. Mein Bein wurde zur Sense, die dem Angreifer die Füße unter dem Körper wegriss. Ich achtete nicht weiter darauf, drehte mich, bis ich wieder auf dem Bauch lag und sprang auf.

Von rechts kam der Nächste. Ich tat so, als wollte ich ausweichen, im letzten Moment machte ich kehrt, senkte den Kopf und ging in den Gegner rein. Ein überraschter Laut drang unter der Sturmhaube hervor. Ich packte den Mann bei den Kniekehlen und richtete mich ruckartig auf, schleuderte ihn über mich hinweg. Ein Ächzen verriet mir, dass er meinem ersten Häscher, der sich längst wieder auf den Beinen befand, vor die Füße gefallen sein musste.

Der Kerl stolperte und präsentierte mir den ungeschützten Nacken.

Ich konnte einfach nicht widerstehen und platzierte die Handkante.

Gerne hätte ich auch den anderen ausgeschaltet, aber es gab ja noch mehr Verfolger, hinter denen zwei weitere erschienen. Das schaffte ich nie!

Der kurze Kampf hatte meine Reserven aufgebraucht. Ich konnte nicht mehr weiterrennen und würde mich ihnen stellen müssen.

Kurz entschlossen, packte ich mir den Typen, dem ich das Fliegen beigebracht hatte, riss ihn auf die Füße und legte ihm den linken Unterarm vor die Kehle. Den rechten Arm schlang ich um seinen Schädel und übte mit der Hand Druck auf den Hinterkopf aus.

»Stehen bleiben«, keuchte ich, doch die verbliebenen vier Häscher dachten gar nicht daran.

Ohne Rücksicht auf Verluste griffen sie an. Ich brachte es nicht über mich, meiner Geisel das Genick zu brechen. Ich stieß ihm das angewinkelte Bein in den verlängerten Rücken, trieb ihn dem ersten Angreifer entgegen, während ich mich sofort dem nächsten widmete.

Der deckte mich sogleich mit einer Tritt-Schlag-Kombination ein, die ich nur mühsam blocken konnte. An einen Konter war nicht zu denken und ich konnte leider auch nicht verhindern, dass die beiden restlichen Kerle in meinen Rücken gelangten.

Für einen Augenblick war ich unachtsam. Das nutzte mein Gegner eiskalt aus und trat mir das Standbein unter dem Hintern weg. Ich landete auf dem Kreuz und vernahm nur am Rande, das gedämpfte Stöhnen und Ächzen der zwei Maskierten hinter mir. Gefolgt von einigen schnellen Schlägen und Tritten.

Bevor ich mich darum kümmern konnte, musste ich erst meinen eigenen Angreifer ausschalten. Ich griff mit einer Hand in das Erdreich, schleuderte dem Vermummten Dreck und Laub entgegen, hoffte, dass etwas davon die freiliegenden Augen traf.

Gleichzeitig warf ich mich herum und trat nach hinten aus wie ein störrischer Esel. Ich hatte erwartet, dass mein Gegner ungeachtet der Dreckladung vorwärtsstürmen würde, doch er rechnete nicht damit, dass ich noch im Liegen nachsetzte. Er rannte förmlich in meinen Tritt und würgte, als sich der Absatz meines Stiefels in seinen Bauch wühlte.

Er verlor den Halt und rutschte den Hang hinunter.

Ich richtete mich auf und sah die Typen, die mich von hinten hatten überwältigen wollen, in einen Nahkampf mit einem Mann verwickelt, der schnell wie ein Schatten war: Suko.

Er hatte über uns in den Kronen der Bäume gelauert, so wie wir es besprochen hatten. Und jetzt lehrte er unsere Häscher einige Lektionen in Sachen Kampfkunst.

Um die beiden brauchte ich mir also keine Sorgen mehr zu machen. Im Gegensatz zu denjenigen, die ich als Erstes gegeneinander ausgespielt hatte. »Vorsicht, John!«

Ich handelte instinktiv und ließ mich fallen. Einer der Maskierten, die sich mit meinem Partner angelegt hatten, flog über mich hinweg und riss die beiden Kerle von den Beinen.

Ich sprang auf und setzt die Gefallenen mit Handkantenschlägen außer Gefecht.

Jetzt war nur noch einer übrig, und der wurde von Suko mit einem raschen Schulterwurf erledigt. Er hielt seinen Arm fest und fixierte ihn mit dem Fuß.

Ich stand vor den Niedergeschlagenen, stützte mich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab und pfiff aus dem letzten Loch. Am liebsten hätte ich mich übergeben.

»Warum hat das so lange gedauert?«, fragte Suko und mir wurde schwindelig.

»W …wie bitte?«, erwiderte ich keuchend.

Mein Partner grinste nur und wandte sich stattdessen an den Typen vor sich am Boden. »Ich schätze, das war es für heute.«

Er ließ seinen Gegner los, der demonstrativ den Arm bewegte, in dem es verdächtig knackte. Dann zog er sich die Sturmhaube vom Kopf. Darunter kam ein verschwitztes Gesicht mit dunklen Bartschatten zum Vorschein. Der Schädel war kahlgeschoren.

Er ignorierte die ihm dargebotene Hand und rappelte sich auf die Beine. Auch ihm war die Anstrengung deutlich ins Gesicht geschrieben. »Pures Glück!«, sagte er nur und ging zu seinen Kameraden, die sich nun ebenfalls zu rühren begannen.

Ich hatte nicht mit vollem Dampf zugeschlagen, sodass keiner unserer Sparringspartner unter ernsthaften Folgen zu leiden hatte.

»Ja, sicher. Glück!« Suko gönnte sich ein zufriedenes Lächeln und hob die Hand. Ich klatschte mich mit meinem Partner ab. »Ich hoffe nur, der Alte verzichtet fürs Erste auf derartige Übungen.«

Um eine solche handelte es sich nämlich. Aus irgendeinem Grund war Sir James der Meinung gewesen, wir könnten mal wieder etwas Training gebrauchen. Er hatte uns an die Kollegen der Special Forces Unit verwiesen, die uns durch die Mangel nehmen sollten. Dabei hatte ich immer gedacht, ein besseres Training, als sich tagtäglich mit den Ausgeburten der Hölle herumzuschlagen, gäbe es nicht.

Falsch gedacht. Und so kämpften wir uns seit sechs Uhr früh durch diesen Wald im Norden Londons, auf der Flucht vor bestens ausgebildeten Sondereinsatzkräften. Zehn Minuten Vorsprung und dann war es auch schon losgegangen.

Das Schlimme war nur, dass Suko diese Aktion sogar noch Spaß zu machen schien.

Immerhin gehörte er zu meinem Team.

Gemeinsam mit den Spezialkräften schleppten wir uns zurück zum Mannschaftswagen, der uns vor wenigen Stunden hier abgeliefert hatte. Dort erwartete uns der Leiter der Einheit, zusammen mit einem Attaché. Bevor die Aktion startete, hatten wir uns umziehen dürfen und trugen nun ebenfalls die Overalls mit Camouflage-Muster.

»Wir haben Ihnen was mitgebracht, Meister«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen, das Stechen in den Rippen ignorierend. Der starrte seine Männer entgeistert an.

»Das ist nicht euer Ernst«, bellte der Hauptmann. »Ihr lasst euch von zwei Sesselpupsern des Yard vorführen?«

»He, den Sesselpupser möchte ich überhört haben«, kommentierte Suko und nahm dankbar die Wasserflasche entgegen, die ihm der Attaché reichte.

Auch ich erhielt eine und schraubte mit zitternden Fingern den Verschluss ab, der mir prompt aus der Hand in den Dreck fiel. Egal, ich hatte sowieso nicht vor, einen einzigen Tropfen in der Flasche zu lassen.

Ich kam mir vor wie ein Schwamm, der monatelang in der Wüste gelegen hatte. Gierig trank ich die ersten Schlucke und genoss die Kühle des Wassers, das meine ausgedörrte Kehle hinunterrann. Der Druck wich aus meinem Kopf, und ich beschloss, dass ich für heute genug getan hatte. Es war zwar nicht mal Mittag, aber für diese Tortur würde ich mir den Rest des Tages freinehmen.

»Also schön, ihr Warmduscher«, schnarrte der Teamleiter und bedachte jeden einzelnen mit einem durchdringenden Blick. Auch Suko und mich und irgendwie ahnte ich, dass aus meinem freien Nachmittag nichts werden würde.

»Ihr hattet euren Spaß. Jetzt geht es zurück. Im Dauerlauf durch den Wald. Zehn Meilen bis London. Kämpfen könnt ihr, aber wie gut seid ihr beim Orientierungslauf?«

Ich schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Meister. Daraus wird nichts. Wir haben gewonnen. Ich …«

»Es ist zehn Uhr dreiundzwanzig«, schrie mich der Möchtegern-Feldwebel an. »Sir James hat gesagt, dass Sie mir Ihre gesamte heutige Dienstzeit zur Verfügung stünden. Also gehört Ihr Arsch bis siebzehn Uhr mir, Sinclair.«

Ich fühlte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg, und starrte Suko entgeistert an, der nur mit den Schultern zuckte. Ich wollte dem Schreihals gerade verklickern, dass meine Bürozeit um sechzehn Uhr dreißig endete, als aus meinem Jackett, das im Bus lag, das Bimmeln des Handys drang.

Ich trank den letzten Schluck Wasser, warf die leere Flasche dem Attaché zu und bedachte den Teamleiter mit einem finsteren Blick, während ich auf den Mannschaftsbus zu stiefelte.

Ich fischte das Smartphone aus der Innentasche der dünnen Sommerjacke. Unbekannter Anrufer. Im Prinzip kein gutes Omen, aber in diesem Fall vielleicht genau die richtige Lösung für mein Problem.

Tja, mit manchen Wünschen sollte man vorsichtig sein.

»Hallo John«, säuselte mir Morgana Layton ins Ohr. »Ich würde gerne mit dir einen Ausflug nach Sofia machen.«

»Sinclair, verdammt. Ich rede mit Ihnen!«, kreischte der Feldwebel, doch Suko stellte sich vor den zeternden Hampelmann und zeigte ihm lediglich einen Vogel. Mein Partner hatte mir sofort angesehen, dass der Anruf alles andere als erfreulich und absolut dienstlich war.

»Morgana«, erwiderte ich laut genug, damit Suko es hörte und informiert war. »Warum sollte ich das wohl in Erwägung ziehen?«, wandte ich mich der Werwölfin am Telefon wieder zu.

Sie sagte nur ein Wort, und damit war die Angelegenheit gegessen: »Lykaon.«

***

Aleksandra betrachtete den Kasten mit gemischten Gefühlen.

Er glich einer Festung, die sich im Licht der aufgehenden Sonne scherenschnittartig vor der Silhouette des Witoscha-Gebirges abhob. Das Haus Lag am südlichen Rand von Sofia und hatte drei Stockwerke und einen Keller.

Die Fassade war grau und unansehnlich, die Scheiben der zahllosen Fenster dagegen sauber, aber größtenteils verhangen. Ein flaches Satteldach mit roten Schindeln, ein Schornstein, aus dem sich schwacher Rauch kräuselte.

Der Bau hatte drei Zugänge. Der Haupteingang bestand aus einer großen doppelflügeligen Tür mit Oberlicht, zu der drei betonierte Stufen hinaufführten. Einen Hinterausgang, der in den weitläufigen Garten führte, in dem die Bewohner, Insassen, Flüchtlinge – oder wie auch immer man sie bezeichnen mochte – arbeiten und entspannen durften.

Der Nebeneingang an der östlichen Schmalseite des Gebäudes diente als Lieferanteneingang mit eigener Zufahrt. Das Grundstück wurde von einer hohen Mauer umsäumt, auf deren Krone sich NATO-Draht und Glasscherben befanden. Hinter dem Haupttor erstreckte sich die Auffahrt bis zu einem Rondell vor der Hausfront. Ein Springbrunnen mit einem kunstvoll verzierten Wasserspeier bildete den ersten Blickfang. Dahinter verteilten sich beidseits der Eingangstür mehrere Parktaschen.

Der hintere Teil des Areals, der Garten, wurde von einem zusätzlichen Zaun abgetrennt. So konnten sich die Insassen dort aufhalten, ohne mit Lieferanten oder etwaigen Besuchern in Kontakt treten zu müssen.

Nachts lag das Haus in völliger Dunkelheit und Totenstille da. Nach zweiundzwanzig Uhr brannte dort kein einziges Licht. Die Stille aber bezog sich lediglich auf die menschlichen Bewohner. Aleks hatte während ihrer dreitägigen Observation das Knurren und Bellen großer Hunde gehört, die sowohl im Hof als auch im Garten patrouillierten.

Hunde, ja klar. Aleksandra konnte sich denken, wer oder was dort seine Runden zog.

Werwölfe!

Und zwar eine ganz spezielle Sorte. Jene, die einem Dämon namens Lykaon hörig waren und deren Verwandlung nicht länger als einen Lidschlag in Anspruch nahm. Damit waren sie den herkömmlichen Exemplaren, wie sie die Jägerin seit frühester Kindheit kannte, haushoch überlegen. Allerdings waren sie nicht in der, Lage den Wolfskeim durch einen Biss zu übertragen. Stattdessen mussten sie sich auf althergebrachte Weise vermehren.

Das stellte Lykaon natürlich vor gänzlich neue Herausforderungen, da es nicht mehr viele seiner Untertanen gab und die Sippen versprengt waren. Aus diesem Grund hatte er andere Maßnahmen ergriffen und sich die Errungenschaften der Wissenschaft, gepaart mit einer uralten, mächtigen Magie, zunutze gemacht. In der Mongolei hatte er, getarnt als Öl-Raffinerie, eine Kloning-Fabrik unterhalten, in der er die Werwölfe am Fließband produzierte. Gemeinsam mit der Werwölfin Morgana Layton und den Geisterjägern John Sinclair und Suko hatte Aleksandra das Nest ausgehoben.1)

Damals hatte Aleks auf schmerzhafte Weise erfahren müssen, dass es noch andere, grauenhaftere Kreaturen als Werwölfe gab. Doch die waren ihr im Prinzip gleichgültig, denn sie hatten schließlich ihre Familie nicht auf dem Gewissen. Die traumatischen Erinnerungen waren erneut in ihr aufgewallt, als sie auf dem Weg hierher nach Sofia durch ihre alte Heimat gefahren war.

Serbien.

Von Budapest mit dem Zug nach Belgrad und von dort weiter mit der Eisenbahn nach Sofia. Hier hatte sich Aleks sogleich ein Motorrad gemietet, damit war sie am beweglichsten. Wo ihre Möchtegern-Partnerin Morgana steckte, wusste sie nicht, und es interessierte sie auch nur am Rande. Es gab eigentlich nur einen Grund, weshalb sie gute Miene zum bösen Spiel machte und überhaupt mit der selbsternannten Königin der Wölfe paktierte.

Dara.

Aleksandra spürte bei dem Gedanken an ihre Gefährtin einen schmerzhaften Stich in der Brust, in Höhe des Herzens. Sie hätte es nie für möglich gehalten und jedem, der ihr früher gesagt hätte, dass sie sich mal in eine leibhaftige Werwölfin verlieben würde, die Knochen gebrochen. Aber so war es gekommen. Ausgerechnet der Tochter jenes Mannes, der ihr das Wichtigste auf Erden genommen hatte, galt ihre Liebe. Und jetzt befand sich Dara weiß Gott wie viele Meilen entfernt auf einem Walfänger, der im Nordpolarmeer kreuzte. Umgeben von weiteren Bestien und einer Sippe von Menschen, die sich sogar in Bären verwandeln konnten, in Berserker.

Der Irrsinn wollte kein Ende nehmen. Umso mehr, weil diese Werwölfe und Werbären, angeführt von Morgana Layton, Krieg gegen Lykaons Wölfe führten. Dass der, trotz der Niederlage, die er und seine Mitstreiter im Schwarzen Dom erlitten hatten, noch einige Asse im Ärmel hatte, zeigte sich hier.

Das Gebäude, das Aleksandra observierte, war nicht mehr und nicht weniger als ein Frauenhaus! Hierhin also hatte der Serienkiller Ferenc Varga auf Geheiß des mittlerweile toten Boris Baranov seine weiblichen Opfer bringen lassen.

Baranov war einst Lykaons rechte Hand gewesen, bevor er bei der Erweckung Corinfelias vernichtet worden war. Zuvor aber, schien er Kontakt mit Varga gehabt zu haben, der der Werwolfjägerin in seinen letzten Minuten diese Adresse hier verraten hatte.2) Viel Überredungskunst hatte sie dazu nicht benötigt. Im Grunde seines verkommenen Herzens war Varga ohnehin ein Einzelgänger gewesen. Loyalität hatte jedenfalls nicht zu seinen herausragenden Eigenschaften gezählt.

Im Frauenhaus sollten die von Varga gegen ihren Willen geschwängerten Frauen ihre Kinder austragen, die zu Werwölfen heranwachsen würden. Ob dies einfach in weiser Vorausschau geschah, oder ob Lykaon plante, die Kinder mit Hilfe von Magie oder irgendeiner anderen Schweinerei künstlich altern zu lassen, entzog sich Aleksandras Kenntnis.

Heute wollte sie endlich in das Domizil des Feindes eindringen. Morgana Layton hatte mehr als genug Zeit gehabt, Vorkehrungen zu treffen. Und die Werwolfjägerin brannte mit jeder Faser ihres durchtrainierten Körpers darauf, diese – im wahrsten Sinn des Wortes – Brutstätte zu vernichten.