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Kaum ist Matt Drax wieder auf der Erde, wird er in eine Rettungsmission verwickelt: Eine griechische Bunker-Enklave hat den Tsunami knapp überlebt und ist nun unter der Erde gefangen. Matt, Tom und Xij lassen sich im Amphibienpanzer PROTO dorthin versetzen - doch die Rettungsmission droht zum Desaster zu werden.
Und auch Hordelab stößt auf unerwartete Schwierigkeiten, als er in Agartha nach dem Baufortschritt der Sprungfeld-Plattform sehen will und ihm Starnpazz' Lügengeschichten zum Verhängnis werden...
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Seitenzahl: 153
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Impressum
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Was bisher geschah …
Nach der Flut
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Lektorat: Michael Schönenbröcher
Titelbild: Néstor Taylor/Bassols
Autor: Ian Rolf Hill
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4634-3
www.bastei-entertainment.de
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Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer – die Erde. Ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, „Maddrax“ genannt, dessen Staffel ins Jahr 2516 versetzt wird. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese für ihn fremde Erde. Bis sie durch ein Wurmloch, das sich im Forschungszentrum CERN auftut, auf einen von zwanzig Trabanten um einen Ringplaneten versetzt werden, während der Mond auf die Erde zu stürzen droht.
Auf dem Ringplaneten herrschen die Initiatoren, auch „Friedenswahrer“ genannt, die Spezies aus allen Teilen der Galaxis durch das Wurmloch entführen, um sie Tests zu unterziehen. Matt und Aruula können ihnen jedoch entkommen, und sie reisen von Mond zu Mond, um ihre Gefährtin Xaana zu finden, die schon Monate zuvor durch das Wurmloch ging. So wie auch ihr Erzfeind Professor Dr. Smythe, der sich aber in seinem Machthunger mit einer Rettungskapsel ins All katapultiert.
Mit der Hilfe ihrer neuen Gefährten Mi-Ruut und Kra’rarr finden sie Xaana auf dem Dschungelmond Botan. Doch dessen Natur ist krank! Der Geist Botans versucht die beiden zu assimilieren. Als sich die Krankheit über ganz Botan ausbreitet, setzen die Initiatoren in ihrer Not die gottgleiche Rasse der Saven ein. Die heilen Botan und werden von dem Naturgeist vereinnahmt. Schließlich bekommen die Gefährten die Gelegenheit, die Initiatoren auf dem Mond Messis zu treffen, wo eine Delegation aus drei Avataren – Roboter, in die die Geister der Friedenswahrer schlüpfen können – sie erwartet. Diese werden jedoch von den Kontras, einer Guerillagruppe innerhalb der Initiatoren, von der Leitstelle getrennt. Die Gefährten flüchten, während ein Kontra einen der Avatare kapert und ihnen folgt, um sie über die wahren Pläne seines Volkes zu unterrichten. Kurz bevor er die Menschen erreicht, stoppen ihn drei Initiatoren, die körperlich nach Messis kamen und nun die Verfolgung fortsetzen, später aber ebenfalls umkommen und so nicht verhindern können, dass die drei Menschen auf das dunkle Geheimnis der Initiatoren stoßen. Sie beobachten, wie man entführten Messisanern die Köpfe abtrennt! Aber dann werden sie entdeckt – und ihrer Erinnerungen der letzten Wochen beraubt! So haben sie auf Messis einen Neustart, bei dem sich die Initiatoren von ihrer besten Seite zeigen und ihnen eine Offerte unterbreiten: einen Teil der Menschheit auf den Mond Novis umzusiedeln und so vor der Vernichtung zu bewahren. In Wahrheit sollen sie jedoch die Messisaner ersetzen.
Während Aruula und Xaana auf Novis bleiben, reist Matt zur Erde. Um Kontakt zu Techno-Enklaven aufzunehmen, sucht er zusammen mit Tom Ericson und Xij Hamlet in London nach einem Funksatelliten, den ein Wetterballon in die Stratosphäre bringen soll. Dabei werden sie von einem Tsunami überrascht – und in letzter Sekunde von dem Initiator Hordelab gerettet, der Matt gefolgt ist.
Nach der Flut
von Ian Rolf Hill
Wasser!
Überlebenswichtig. Wenigstens das aus Flüssen, Kanälen und Seen. Meerwasser dagegen ist ungenießbar. Mehr noch: Es ist tödlich!
Vor allem, wenn es in Massen kommt, die Behausungen und Höhlen flutet, die Gänge füllt, den Weg abschneidet. Es dringt durch jede Spalte und jeden Riss, ist nicht aufzuhalten. Es besitzt die Kraft von hundert Rudeln, und es ist schnell. Rasend schnell. Schneller als eine Taratze laufen oder klettern kann …
Zzhithak hörte die Schreie der Wächter über das Brüllen des Wassers hinweg, als die Flut in den Bau sprudelte. Er glaubte sogar das Bersten ihrer Knochen wahrzunehmen, als ihre Leiber gegen den Fels geworfen wurden. Er brauchte das Rudel nicht zu warnen, ihm keine Befehle zuzuzischen. Jeder wusste instinktiv, was zu tun war. Flüchten und die Brut retten.
Er selbst übernahm die Führung.
Zzhithak hörte das Wasser nahen. Schneller, als der Fluchttunnel an Höhe gewann.
Ein Gitter verschloss den Ausgang, sollte das Eindringen von Feinden verhindern. Jetzt würde es sie hier unten einschließen, ihnen den Tod bringen. Das grelle Licht der Sonne schien Zzhithak zu verspotten. Er kreischte vor Zorn, schöpfte Kraft und Stärke aus ihm. Sein Kreischen steigerte sich zu einem frenetischen Brüllen, als er seinen Leib aus vollem Lauf gegen das Gitter warf. Und fühlte, wie etwas in seinem Körper brach. Er schmeckte Blut, hörte aber auch das Knirschen der Metallstreben im Fels. Das Gitter hatte ihn gebremst, gleichzeitig jedoch nachgegeben. Zwei Untertanen halfen ihrem König, und gemeinsam brachen sie das Hindernis aus seiner Verankerung.
Der Weg war frei.
Zzhithak sprang hinaus, wandte sich um, wollte sehen, wer vom Rudel schaffen würde.
Der Taratzenkönig erstarrte vor Schreck und fühlte zum ersten Mal in seiner Existenz Todesangst, als er die Welle erblickte, die die Sonne verdunkelte.
Furcht und Faszination.
Xenias kindliches Gemüt wusste nicht, wie es auf die mannigfaltigen Reize reagieren sollte. Ihr Verstand war mit den zahllosen Eindrücken überfordert, mit denen sie förmlich bombardiert wurde. Den Kopf in den Nacken gelegt, sah sie die dunklen Wolken aus Vögeln, die mit zehntausendfachem Kreischen über sie hinwegzogen und die Sonne verdunkelten.
Zugleich spürte sie das Beben des Bodens unter ihren Füßen. Die Erde bäumte sich auf, als wäre das Mädchen ein lästiges Insekt, das sie abschütteln wollte. Ein harter Stoß warf sie um. Ein spitzer Stein bohrte sich durch den dünnen Stoff ihrer Hose.
Der Schmerz brachte Xenia wieder ins Hier und Jetzt. Sie schrie und umklammerte instinktiv ihr Bein. Tränen traten in ihre Augen. Ein weiterer Stoß erschütterte die Erde. Xenia verstummte und erstarrte vor Entsetzen. Sie wagte es nicht, auch nur den kleinen Finger zu rühren, aus Angst, dass sich die Erde unter ihr auftun und sie verschlingen würde. Nur das Zittern ihrer Unterlippe verriet, dass sie nicht zu Stein geworden war.
Xenia sah im Geiste eine Erdspalte mit kochender Lava, in die sie mit ihrer Familie stürzen würde. Tränen rannen über ihr Gesicht und bildeten mit dem aufwallenden Staub einstürzender Häuser, der durch die Straßen Athens wölkte, einen schmierigen Film auf ihrer Haut.
Das Geschrei der Vögel, die gen Norden flohen, verklang. Dafür schnitt das Brüllen von Philipos in ihr Bewusstsein und zerriss den Schleier aus Angst und Panik. Nun konnte sie die Stimme ihrer Mutter nicht nur hören, sondern auch verstehen.
„Steh auf, Xenia!“, schrie sie. „Los!“
Ein Schatten erschien neben ihr, griff nach ihrem Oberarm und riss sie grob auf die Beine. Ein heißer Stich durchzuckte ihre linke Schulter. Erschreckt riss sie den Kopf herum, sah in das dreckverschmierte Gesicht ihrer Mutter. In den geweiteten Augen unter den dichten schwarzen Brauen flackerte nackte Panik. Das sonst seidig schimmernde schwarze Haar war zerzaust und grau vom Staub. Philipos hing in einem Tuch vor ihrer Brust und brüllte sich die Lunge aus dem Leib.
Die restlichen Mitglieder ihrer Gemeinschaft, die ebenfalls die Flucht ergriffen, nahm Xenia nur am Rande war. Sie hörte ihre Rufe und Schreie, als wären sie meilenweit entfernt.
„Wo ist Papa?“
Penelope Vangelis richtete sich auf und zog Xenia einfach mit sich. „In der Zentrale. Er versucht Hilfe zu rufen.“
Xenia stemmte sich gegen den harten Griff ihrer Mutter. Nicht ohne ihren Papa. Und schon gar nicht in die Richtung, aus der das Verderben herankam.
Eine tiefblaue Wand mit weißen Schlieren stand wie gemalt am Horizont. Doch Xenia wusste, dass dem nicht so war. Die Welle war Wirklichkeit. Keiner der Erwachsenen hatte ihr gegenüber ein Blatt vor den Mund genommen. Wozu auch? Xenia würde die grauenhafte Wahrheit ohnehin bald am eigenen Leibe erfahren. Die Wissenschaftler im Bunker hatten gesagt, das Erdbeben und der Tsunami, wie sie die Welle nannten, wären entstanden, weil sich zwei Kontinentalplatten weit im Süden untereinander schoben.
„Ich will auf Papa warten!“
Xenias Mutter wurde von dem Widerstand überrascht. Sie löste ihren den Griff um Xenias Arm und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Über Philipos’ Brüllen hinweg rief sie: „Papa kommt nach, versprochen. Wir können nicht auf ihn warten, wir müssen zum Bunker. Ich brauche dich jetzt, Xenia. Philipos braucht dich.“
Der Name ihres kleinen Bruders, der verzweifelt mit den kleinen Händen nach dem Gesicht seiner Mutter tastete, brachte Xenias dazu, widerwillig zu nicken. Sie wollte etwas sagen, doch kein Wort kam über ihre Lippen. Sie schniefte und wischte sich mit dem Ärmel Tränen, Rotz und Dreck aus dem Gesicht.
„Komm, es ist nicht mehr weit.“
Ihre Mutter wandte sich um und zog Xenia hinter sich her, die automatisch zu rennen begann. Der Rucksack mit den Lebensmittelrationen und Medikamenten wog wie Blei auf ihren Schultern.
Wieder schüttelte sich der Boden. Es fing mit einem sanften Vibrieren an, das sich zu einem kraftvollen Ruckeln steigerte. Bis der Boden um sie herum auseinanderbrach. Es hörte sich an, als würden die Knochen eines Riesen brechen. Aus den Augenwinkeln sah Xenia Gebäude ineinander stürzen und Bäume fallen.
Es ist nicht mehr weit, hatte Mama gesagt, doch es schienen noch Meilen bis zum Tempel zu sein, unter dem sich der Bunker befand. Der sollte sich angeblich komplett abdichten lassen. Wie Papa es bis dahin schaffen wollte, wusste Xenia nicht. Doch sie vertraute ihm. Und sie vertraute Mama. Wenn sie sagte, dass er kommen würde, dann kam er auch.
Das Kreischen der Vögel war nur noch als fernes Pfeifen zu hören, wurde von dem Krachen und Bersten um sie herum überlagert. Hinzu kam das dumpfe Grummeln, das stetig lauter wurde. Die Welle kam.
Xenia stieß gegen den Rücken ihrer Mutter, als diese abrupt abstoppte und zur Seite auswich. Der Boden brach auf und ein schwarzer Schlund gähnte ihnen entgegen. Penelope Vangelis lief an ihm entlang, bis hinüber zur anderen Seite springen konnte. Xenia folgte ihr.
„Schneller, Xenia, schneller!“, rief ihre Mutter.
Der Weg vor ihnen stieg sanft an und Xenia sah bereits das Dach des Tempels über die Wipfel der Bäume hinweg ragen. Es war wirklich nicht mehr weit.
Plötzlich sackte Mama nach unten weg. Xenia prallte aus vollem Lauf gegen die schwere Kiepe auf ihrem Rücken, die einzig verhinderte, dass sie vollends im aufgerissenen Boden verschwand. Xenia stolperte über den Körper ihrer Mutter und die Bodenspalte, in der sie feststeckte, hinweg. Sie schlug hart mit der Schulter auf mit Geröll und Steinen übersäten Weg auf. Ihr rechter Arm schien in Flammen zu stehen. Sie schrie auf. Mehr aus Angst um ihre Mutter als wegen des Schmerzes.
Penelope stemmte sich mit beiden Armen gegen die Kante des Spalts, versuchte gleichzeitig, den Kopf ihres Sohnes von dem harten Stein fernzuhalten.
Xenia rappelte sich hoch, warf den schweren Rucksack ab und sprang ihrer Mutter zur Hilfe. Das anschwellende Grollen in ihrem Rücken ignorierend, packte sie mit beiden Händen ihre Schultern und wollte sie mitsamt dem Baby und der Last auf ihrem Rücken aus der Felsspalte zerren. Vergebens. Ihr Blick verschwamm hinter einem Schleier aus Tränen.
Penelopes Augen weiteten sich noch mehr. „Lass mich!“, brüllte sie Xenia an, die erschreckt zurückzuckte. „Nimm Philipos und lauf!“
Das war der Moment, in dem etwas in dem Mädchen zerbrach und einen Kummer gebar, der einen Schatten auf ihre Seele werfen sollte, solange sie lebte.
Xenia schüttelte den Kopf. Sie weinte und schrie und begann wieder an den Armen der Mutter zu ziehen. „Nein, nein, ich gehe nicht ohne dich!“
„Du musst, Xenia. Bitte! Rette dich und Philipos!“ Tränen rannen nun auch über Penelopes Wangen. Xenia wusste nicht, was sie tun sollte. Mama weinte nicht oft, und jedes Mal, wenn sie es tat, hatte sich das Mädchen überfordert gefühlt. Was sollte sie tun, wenn selbst ihre Mutter keinen Rat mehr wusste?
Penelope Vangelis blickte auf und ihre Augen wurden starr. Dann löste sie mit einer Hand das Tragetuch von ihrer Schulter. Xenia griff zu und zog Philipos an sich. Dabei erhaschte sie einen Blick in die Spalte und sah, dass das Bein ihrer Mutter verdreht zwischen den Felsen steckte. Blut rann daran herab.
Xenia wandte den Blick ab. Der Kopf des Babys leuchtete hochrot in dem hellblauen Stoff. Das Gesichtchen war nicht mehr als eine zerknautschte Grimasse, nass vor Tränen.
Und Xenia gehorchte. Sie presste Philipos gegen ihren Brustkorb, angelte mit dem rechten Arm nach dem fallengelassenen Rucksack und zog ihn auf ihre Schulter. Dann legte sie das Baby in die rechte Armbeuge, um auch den linken Arm durch die Schlaufe zu stecken.
Eine neue, andere Kraft übernahm ihr Denken und Handeln. Sie hörte das lauter werdende Grollen, das sich zu einem Donnern steigerte. Sie spürte das Zittern der Erde unter ihren Füßen.
„Du schaffst es nicht mehr zum Bunker!“ Die Stimme ihrer Mutter klang fest, gar nicht verzweifelt. Sie gab Xenia Halt. „Lauf zum kleinen Tempel auf dem Hügel“, fuhr sie fort, „und klettere auf sein Dach. Er ist der höchste Punkt im Umkreis.“
Mama hatte recht. Die Tholos, dem antiken Vorbild maßstabsgetreu nachgebaut, lag näher und war schneller erreichbar. Sie sah den säulengetragenen Rundbau keine fünfzig Meter entfernt aus den Wipfeln der Bäume ragen.
„Los, Xenia, lauf. Ich … komme gleich nach.“
„Ich liebe dich, Mama“, sagte Xenia und erschrak vor ihrer eigenen Stimme. Sie wusste, dass ihre Mutter log. Sie würde nicht nachkommen.
Das Mädchen wandte sich ab und rannte, so schnell es seine Beine trugen, auf den Tempel zu. Es nahm seine Umwelt jetzt viel bewusster und klarer wahr. Geschickt balancierte Xenia die Erdstöße aus, sprang über einen weiteren Spalt und erreichte den Nebentempel.
Dort hielt sie schwer atmend inne, presste Philipos fest an sich. Die beiden unteren Enden des Tuches schlang sie um die Hüften und band sie in Höhe der Lendenwirbel zusammen. Die oberen verknotete sie hinter ihrem Nacken. Zärtlich strich sie über das kleine Köpfchen mit dem zarten Flaum. Dann fing Xenia leise an zu singen. Sie wusste, wie beruhigend ihr Gesang auf Philipos wirkte.
„Kato sto gialo, kato sto perigiali. Kato sto gialo kondi, nerantzoula foundoti.“
Mehrere Bäume waren vor dem Tempel umgestürzt; einer hing mit seiner Krone sogar zwischen den Säulen. Die flachen Wurzeln ragten wie tote Siragippenbeine aus dem geborstenen Erdreich.
Xenia kletterte dicht hinter den Wurzeln auf den Stamm und verharrte für einen Moment, als ein neuerlicher Stoß den Baum zum Schwanken brachte.
„Plenan chiotisses, plenan papadopoules. Plenan kiaplonan kondi, nerantzoula foundoti.“
Xenias Stimme zitterte, doch sie riss sich zusammen und sang weiter. Nur unterbrochen von ihren keuchenden Atemzügen, während sie auf allen Vieren weiterkroch. Philipos schluchzte ununterbrochen und schnappte nach Luft.
Das Donnern wurde immer lauter. Der warme Wind steigerte sich zu einem Sturm und brachte die Kronen der noch stehenden Bäume in Aufruhr. Ersten Gischttropfen der anrollenden Wassermassen benetzten wie einen feinen Nieselregen Xenias Haut.
Unterhalb der Baumkrone, die zwischen die Säulen gerutscht war, lag ein weiterer Stamm quer darüber. Er ragte steil nach oben. Xenia zog sich an der rauen Rinde empor und griff nach einem tiefstehenden Ast.
„Plenan kiaplonan ke me tin amo pezan. Plenan kiaplonan kondi, nerantzoula foundoti.“
An den Ästen der Eiche hangelte sie sich empor, immer darauf achtend, dass Philipos sich nicht den Kopf anstieß. Endlich war sie oben und konnte ihr Glück kaum fassen, denn einer der Äste lag direkt auf dem Dach des Rundbaus. Er war so dick wie ihr Arm, würde vermutlich nicht das Gewicht eines Erwachsenen tragen. Doch für sie und Philipos mochte es reichen.
Xenia nahm den Rucksack ab und schleuderte ihn auf das Dach. Erschreckt ging sie in die Knie und hielt sich an dem Ast fest, als wieder ein Erdstoß den Boden zum Zittern brachte. Kurz befürchtete sie, der Ast würde abrutschen; doch er hielt.
Philipos aber fing wieder an zu brüllen. Xenia schnappte nach Luft und biss die Zähne aufeinander, konzentrierte sich voll und ganz auf die letzten Meter ihrer halsbrecherischen Kletterpartie.
Und dann kam das Wasser. Das Donnern schwoll an und ein Regenschauer flog über das Dach des Tempels hinweg, prasselte auf Xenias Rücken. Sie wusste, dass dies nur der Anfang war, und warf sich nach vorne. Hand über Hand zog sie sich an dem dünnen Ast hoch, der sich unter ihrem Gewicht durchbog. Sie fühlte regelrecht, wie die Fluten an den Stämmen unter ihr zerrten.
Xenia schrie, Philipos kreischte, und dann wurden die Bäume unter ihr weggerissen. Mit einem letzten Schrei und der Kraft der Verzweiflung stieß sich Xenia ab, flog den letzten halben Meter durch die Luft und bekam den Rand des Daches zu fassen.
Im letzten Moment drehte sie sich, damit sie nicht mit der Brust dagegen prallte und Philipos zwischen ihr und dem Marmor zerquetscht wurde. Dafür prellte sie sich schmerzhaft die Rippen.
Mit schier übermenschlicher Anstrengung gelang es Xenia, ihre beiden Körper auf das Dach zu ziehen. Sie rollte sich über den steinernen Rand und blieb schwer atmend auf dem Rücken liegen, den brüllenden Philipos auf ihrer Brust, der zu husten begann, als er sich an seinem eigenen Geschrei verschluckte.
Kaltes Wasser, das nach Salz und Meer schmeckte, zog in Schleiern über sie und das Baby hinweg. Sofort fuhr sie hoch und schob sich mit den Füßen weiter zur Mitte des flachen Daches hin. Unter ihr gischteten und sprudelten die Wassermassen, rissen Bäume, Steine und Geröll mit sich.
Xenia schaute sich um. In der Ferne sah sie die Dächer des Tempels des Hephaistos aus den Fluten ragen. Sie löste das Tuch mit dem Baby von ihrem Hals und wischte das Wasser mit einem Zipfel aus Philipos’ Gesichtchen. Dann strich sie ihm zärtlich über die Wangen und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn, ehe sie ihn auf dem Dach ablegte.
Sie selbst blickte über die Umrandung hinab in das wirbelnde Chaos. „Mama“, wimmerte Xenia leise. Plötzlich kehrten Angst und Trauer übermächtig zurück. Die kindliche Hoffnung, ihre Mutter könnte es doch noch geschafft haben, entpuppte sich als aussichtslos. Wo sollte sie auch sein?
Xenia schluchzte auf. Wo sie auch hinschaute, überall war Wasser. Bis auf die Hügel war Athen im Meer versunken.
„Mama! Papa!“, wollte sie rufen, doch es wurde nicht mehr als ein Wimmern.
Xenia sank zurück und presste sich mit dem Rücken gegen die steinerne Umrandung des Daches. Sie hob Philipos hoch und bettete ihn in ihre Armbeuge. Sanft wiegte sie ihn hin und her und begann leise zu singen, den Blick starr geradeaus in eine imaginäre Ferne gerichtet.