John Sinclair 2032 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2032 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Der Hai öffnete in stummem Todeskampf das Maul.
Verzweifelt bemüht, Wasser durch die Kiemen zu pressen, um den lebensnotwendigen Sauerstoff herauszufiltern. Nur reichten seine Bemühungen nicht aus. Er benötigte Auftrieb, den ihm nur die Brustflossen verschaffen konnten. Die aber waren ihm brutal vom Leib geschnitten worden. Wie ein Stein war er daraufhin auf den Grund des Meeres gesunken, der hier, nahe der Insel Kadavu im Pazifischen Ozean, keine drei Meter unter der Oberfläche lag.


Das Wasser war so klar und rein, dass Nazil, Häuptling eines Dorfes der iTaukei, das verendende Tier deutlich erkannte. Die Strömung hatte den Hai hierhergetrieben, zum Tode verurteilt worden war er weit draußen auf dem Meer. Für Nazil glich es einem Wunder, dass der Hai es bis zu diesem Ort geschafft hatte. Er schüttelte den Kopf, wobei Tränen über seine Wangen liefen. Nein, das war kein Wunder, vielmehr eine Botschaft. Von Dakuwanga.
Er war bereit, zurückzukehren, um die Frevler zu bestrafen.
Er musste nur beschworen und entfesselt werden.


Und Nazil war entschlossen, dem Wunsch des Hai-Gottes nachzukommen.
Noch heute Nacht ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Angriff aus der Tiefe

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Konstantin G

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4906-1

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Angriff aus der Tiefe

von Ian Rolf Hill

Der Hai öffnete in stummem Todeskampf das Maul.

Verzweifelt bemüht, Wasser durch die Kiemen zu pressen, um den lebensnotwendigen Sauerstoff herauszufiltern. Nur reichten seine Bemühungen nicht aus. Er benötigte Auftrieb, den ihm nur die Brustflossen verschaffen konnten. Die aber waren ihm brutal vom Leib geschnitten worden. Wie ein Stein war er daraufhin auf den Grund des Meeres gesunken, der hier, nahe der Insel Kadavu im Pazifischen Ozean, keine drei Meter unter der Oberfläche lag.

Das Wasser war so klar und rein, dass Nazil, Häuptling eines Dorfes der iTaukei, das verendende Tier deutlich erkannte. Die Strömung hatte den Hai hierhergetrieben, zum Tode verurteilt worden war er weit draußen auf dem Meer. Für Nazil glich es einem Wunder, dass der Hai es bis zu diesem Ort geschafft hatte. Er schüttelte den Kopf, wobei Tränen über seine Wangen liefen. Nein, das war kein Wunder, vielmehr eine Botschaft. Von Dakuwanga.

Er war bereit, zurückzukehren, um die Frevler zu bestrafen.

Er musste nur beschworen und entfesselt werden.

Und Nazil war entschlossen, dem Wunsch des Hai-Gottes nachzukommen.

Noch heute Nacht …

»Ich höre dich, Dakuwanga«, flüsterte Nazil und betrachtete die untergehende Sonne, die glutrot am Firmament leuchtete wie ein glühendes Stück Kohle.

Ohne zu zögern kippte er seinen schweren, muskulösen Körper über den Rand des flachen Kanus, mit dem er hinausgefahren war.

Das warme Wasser umschmeichelte ihn, streichelte die braune, ledrige Haut. Fünfzig Jahre zählte Nazil, und die Hälfte davon war er Häuptling der iTaukei, wie die indigene Bevölkerung der Fidschis bezeichnet wurde. Als solcher trug er nicht nur Verantwortung für die Menschen des Dorfes, sondern auch für die Pflanzen und Tiere der Insel Kadavu. Insbesondere für die Haie, die bei den iTaukei als heilig galten.

Mit kräftigen Schwimmstößen glitt Nazil auf den Fisch zu, einem knapp zwei Meter messenden Zitronenhai, der schwach nach dem Mann schnappte. Das Leben hatte das Tier schon fast verlassen, sodass es Nazil keine Mühe bereitete, dem Maul mit den messerscharfen Zähnen auszuweichen.

Nazil packte die Schwanzflosse und zog den jungen Hai rückwärts nach oben. Er bedauerte es von Herzen, dem Tier in seinen letzten Minuten derartige Qualen zu bereiten, aber es ging nicht anders.

Mit einer Hand fasste er den Rand des Einbaums. Das Boot neigte sich zur Seite, sodass es für einen unbeteiligten Zuschauer aussehen musste, als würde es kentern, doch Nazil wusste was er tat. Er rollte sich geschickt in das Kanu. Dann erst zog er den verendenden Hai zu sich ins Boot.

Nazil atmete ein und schloss für einen Moment die Augen. Er schmeckte das Salz des Meeres auf der Zunge und fühlte den kühlen Hauch des Windes, der über die feuchte Haut strich. Er ergriff das Paddel und fuhr mit schnellen Ruderbewegungen zurück zum Ufer.

Dort zog er das Kanu auf den weißen Sandstrand vor seinem Haus, einer einfachen Hütte aus Palmholz, mit einer Veranda und einem Dach aus Wellblech. Dort herum wuchsen Palmen mit langen Wedeln, die tagsüber Schatten spendeten. Dahinter standen die Behausungen der restlichen Dorfbewohner, die von Tourismus und Fischfang lebten. Anspruchslose Menschen, die mit der Natur im Einklang lebten. Sie waren zufrieden mit dem, was sie besaßen, ohne nach Dingen zu streben, die sie nie bekamen.

Etliche Fidschianer dachten da anders, erlagen der Verlockung des Geldes und des Konsums. Wie die Japaner, von denen viele hierher nach Kadavu kamen. Sie waren es obendrein, die mit ihren Schiffen aufs Meer hinausfuhren, wo sie nicht nur Wale fingen, sondern auch Haie, um ihnen die Flossen abzuschneiden, damit sich eine reiche Elite eine geschmacklose Suppe daraus kochte. Ein Statussymbol für eine dekadente, sterbende Gesellschaft.

Es gab zwar schon Verbote für den Walfang und das Finning, wie die Jagd nach den Haifischflossen bezeichnet wurde, doch die Besitzansprüche der Gewässer hier, im östlichen Pazifik, waren vielfältig und die Mittel gering, sodass es an Kontrollen mangelte. Wurde ein Walfänger oder ein Finning-Schiff erwischt, hagelte es saftige Strafen, die die Verantwortlichen mit einem süffisanten Grinsen beglichen. Häufig reichte ein fürstliches Schmiergeld, damit der Fall ad acta gelegt wurde.

Die Mehrkosten holte die Finning-Mafia rasch wieder rein. Für Haifischflossen langte ihre gut betuchte Kundschaft gerne tief in die Tasche.

Das alles wusste Nazil, und es schürte seine Wut nur noch mehr.

Mit dem geschundenen Hai auf den Armen schritt er majestätisch über den warmen Sand auf sein Haus zu. Auf den Wegen zwischen den Hütten liefen gackernde Hühner herum, ein Hund bellte. Ansonsten wirkte das Dorf wie ausgestorben. Als spürten die Menschen, dass Unheil nahte.

Nazils Sicht verschwamm hinter einem Schleier aus Tränen, als der Hai auf seinen Händen erschlaffte. Daher erschienen die Gestalten seiner beiden erwachsenen Kinder wie verwaschene Schemen. Nebeneinander traten sie auf die Veranda heraus, um ihren Vater zu begrüßen.

Der hochgewachsene Vishal, mit dem kantigen Kinn und den breiten Schultern hatte vor Kurzem erst seinen dreißigsten Geburtstag gefeiert, seine Schwester Awy war zwei Jahre jünger.

Beide waren barfuß, und Awy trug ein kunstvoll um ihre Hüften drapiertes Wickelkleid aus rosafarbenem Stoff. Ein Bikinioberteil verdeckte ihre Brüste. Das lange Haar lag wie ein seidig schimmernder, schwarzer Schleier auf ihren Schultern.

Das Gesicht mit den dunkelbraunen Augen strahlte förmlich, sobald sie lächelte. Dann entstanden neben ihren Mundwinkeln kleine Grübchen. Jedes Mal, wenn Nazil seine Tochter anschaute, glaubte er Mara zu sehen, seine verstorbene Frau, die vor fast zehn Jahren auf die Reise gegangen war.

Jetzt aber blickten die Augen von Awy traurig und ihre Miene blieb ernst.

Ebenso wie die ihres Bruders Vishal, auf dessen Oberlippe ein dichter Bart wuchs. Er trug das traditionelle Gewand aus Tapa, getrocknetem Rindenbast. Eine Kette aus Walfischzähnen lag um seinen Hals.

Kaum jemand trug den Schmuck noch, doch Vishal legte viel Wert auf Traditionen. Vielleicht sogar mehr als Nazil selbst. Die Arme hielt er vor der Brust verschränkt und blickte stolz und mit unverhohlener Abscheu auf das tote Tier auf Nazils Händen.

»Also ist es wahr«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Dakuwanga hat dich in deinen Träumen gerufen und dir einen Boten gesandt.«

Nazil neigte das Haupt. Seine Tränen benetzten die raue Haut des verendeten Hais, dessen Maul leicht geöffnet war und die dreieckigen Zähne entblößte. Es sah aus, als würde das Tier noch im Tode über die Einfältigkeit der Menschen lachen. Wie konnten sie so töricht sein, zu glauben, sie könnten weiterhin auf diesem Planeten leben, wenn erst die Haie und mit ihnen das Meer gestorben waren?

»Heute Nacht werden wir ihn aus seinem Schlaf wecken«, erklärte Nazil.

Vishal nickte. »So sei es.«

Awy schüttelte wütend den Kopf. »Seid ihr noch zu retten?«, rief sie aufgebracht, die Hände zu Fäusten geballt. »Das ist Wahnsinn. Ihr werdet das Monster nicht kontrollieren können.«

Vishal schnaubte nur abfällig, wandte sich ab und verschwand im Inneren des Hauses, um das Ritual vorzubereiten. Nazil blickte seiner Tochter in die Augen, die nun ebenfalls feucht glänzten. Ihre Unterlippe bebte und die Flügel ihrer Stupsnase zitterten. Ein Zeichen für die enorme Anspannung, unter der die junge Frau litt.

»Wenn dem so ist, werden wir den Preis für den Frevel unserer Brüder und Schwestern zahlen. Egal, ob iTaukei, Japaner oder Weißer, wir sind alle eins. Wir tragen die Verantwortung und müssen Buße tun. Dakuwanga allein entscheidet, wer lebt und wer stirbt, denn er ist der Gott des Meeres.«

»Dann werden wir alle sterben!« Awy schluchzte, warf sich herum und rannte davon.

Traurig sah Nazil seiner Tochter hinterher, wissend, dass sie die Wahrheit sprach.

***

Bill Conolly seufzte schwer und hatte Probleme die Erregung im Zaum zu halten. Es hatte ihn viel Geduld und noch mehr Geld und Einfluss gekostet, so weit zu kommen. Dank der Reportagen, die ihn rund um den Erdball führten, und die sich nicht selten mit ebenso außergewöhnlichen wie sensationellen Themen beschäftigten, besaß er überall auf der Welt Beziehungen.

Auch dieses Mal hatte ihm das Vitamin B geholfen, an sein Ziel zu gelangen. Nun ja, nicht ganz ans Ziel, momentan stand er noch an Deck des Forschungsschiffs Aurora und sah einem jungen Japaner namens Akamatsu Manabu zu, wie der die Kamera des unbemannten Tauchboots Kopernikus justierte. Das wurde von dem Amerikaner Tom Pulaski gesteuert, einem schlaksigen Kerl mit blondem Haar und Vollbart.

Manabu war eher dicklich, und die Brille mit dem dünnen Rahmen, der aussah wie Draht, saß schief auf der knubbeligen Nase des IT-Spezialisten.

Dessen Vater hatte Bill es zu verdanken, einen Platz auf der Aurora bekommen zu haben, die hier über dem Marianengraben, unweit der berüchtigten Challenger-Tiefe, auf den Wellen dümpelte.

Akamatsu Kyo gehörte eine florierende Firma, die sich auf technisches Forschungsequipment spezialisiert hatte. Von ihr stammte die Kopernikus, sowie das meiste elektronische Zeug an Bord der Aurora. Mandra Korab hatte Kyo vor Jahren geholfen, das damals noch junge Unternehmen vor einen Skandal zu bewahren. Die Rufschädigung hätte das Aus für Akamatsu-Elektronik bedeutet. Trotzdem war es Kyo nicht leichtgefallen, Bill an Bord zu bringen. Solche Expeditionen waren für Wissenschaftsjournalisten das reinste Eldorado, und selbst für einen Mann in der Position von Akamatsu Kyo war es nicht ratsam, es sich mit der Fachpresse zu verscherzen.

Doch er hatte ein Einsehen mit Bill und Mandra, der diesen Gefallen nicht eingefordert hätte, wenn es ihm nicht ernst damit gewesen wäre. Dabei basierte Bills Anliegen, das Forschungsschiff Aurora auf seiner mehrwöchigen Reise zu begleiten, lediglich auf Träumen und Visionen. Seit den Vorfällen um den Täufer und den Schwarzen Dom, bei dem er mitgeholfen hatte, seinen Freund John Sinclair zu retten, hatte Bill keine einzige Nacht ruhig durchgeschlafen.

Das lag nicht an der Tatsache, dass er sich deutlich an seine verstorbene Frau Sheila erinnerte, und auch nicht an der grauenhaften Schlacht, die er hautnah miterlebt hatte, als er gemeinsam mit Kara, Suko, Myxin und den Horror-Reitern dem Sturm auf den Schwarzen Dom beigewohnt hatte. Nein, es waren vielmehr die Bilder, die er in den Träumen sah, seit der Spuk ihm mit Hilfe des Tranks des Vergessens geholfen hatte, den Verlust seiner Familie zu überwinden.1)

Es war nicht nur Sheila, die auf Glamis Castle gestorben war. Sein Sohn Johnny war seitdem in einer unbekannten Dimension verschollen. Dass es für Sheila keine Rettung mehr gab, damit hatte Bill sich abgefunden.

Vielleicht hätte auch der Spuk dem Reporter seinen Lebens- und Kampfeswillen nicht zurückgeben können, wenn nicht die Hoffnung bestand, dass Johnny noch lebte und verzweifelt einen Rückweg in seine Welt suchte.

Allein dieser Umstand setzte Bill unter Dauerstrom, und während er im Griff des Spuks gezappelt hatte und der Tropfen des magischen Tranks seine Kehle hinuntergelaufen war, waren in rasender Geschwindigkeit dutzende von Bildern vor dem geistigen Auge aufgeflammt. In Sekundenbruchteilen hatte Bill das Wirken des uralten Dämons auf dieser Welt miterleben können, dessen Erinnerungen geteilt.

Gegen viele davon sperrte sich sein fragiler, menschlicher Verstand, das Gehirn aber versuchte die Eindrücke dennoch zu verarbeiten und zu ordnen.

Das geschah wie mit allem, was das Bewusstsein aufnahm, in den Träumen. Dort vermengten sich Ängste, Hoffnungen und reale Begebenheiten zu einem undurchsichtigen Konglomerat. Bill war schon auf dem Weg nach Indien gewesen, um mit Mandra Korab darüber zu sprechen. Möglicherweise kannte der Inder solche Dimensionstore, jene Transzendenz-Sphären, wie Sheilas Mörder sie bezeichnet hatte, oder sie erlangten durch Hypnose Klarheit. Während des Flugs nach Kalkutta hatte der Reporter einen Traum, der dermaßen plastisch und real gewesen war, dass er kurzfristig seine Pläne geändert hatte.

Noch auf dem Flughafen von Kalkutta hatte er einen Weiterflug Richtung Tokio gebucht und sich telefonisch bei Mandra entschuldigt, dessen Fahrer Bill bereits erwartet hatte. Der Inder hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, und so hatte in Tokio nicht nur ein vollgetankter Helikopter auf ihn gewartet, der Bill zur Aurora gebracht hatte, sondern auch ein Päckchen. Beim Anblick des Inhalts hatte der Reporter unwillkürlich lächeln müssen.

Es war eine Pistole der Marke SIG Sauer P229, Kaliber neun Millimeter. Das Magazin fasste fünfzehn Schuss, und die Munition bestand natürlich aus Silberkugeln. Genau dasselbe Modell hatte der Inder Bill zur Verfügung gestellt, als er vor gut zwei Jahren in Indien zu tun gehabt hatte, wo sie auf ein Rudel Wertiger getroffen waren, die vermutlich ebenfalls auf Phorkys’ Kappe gingen.2)

Derart gerüstet fühlte Bill sich gleich deutlich wohler, obwohl er bezweifelte, dass ihm die Waffe hier an Bord nützen würde. Schon gar nicht, wenn sich sein Verdacht erhärtete …

»Wie tief sind wir jetzt?«, fragte er Manabu und der Japaner deutete auf den rechten oberen Bildschirmrand eines Monitors, von denen das technische Labor überzuquellen schien. Tatsächlich erinnerte Bill die Einrichtung mehr an die Sendezentrale eines Fernsehsenders, als an den Raum an Bord eines hochentwickelten Forschungsschiffes.

»9547 Meter«, kommentierte Manabu überflüssigerweise, da Bill die rasch größer werdende Zahl längst gesehen hatte.

Seine Frage diente in erster Linie dazu, die innere Anspannung zu lösen. Dem Reporter stand buchstäblich der Schweiß auf der Stirn. Zweifel plagten ihn, ob er richtig gehandelt hatte. Das schlechte Gewissen, Mandra Korab vor den Kopf gestoßen zu haben, indem er ihn versetzt hatte, machten die Angelegenheit nicht leichter für ihn.

Wie sollten sie in dieser ägyptischen Finsternis, die das Tauchboot nur punktuell mit den Unterwasserscheinwerfern durchbohrte, ein einzelnes Objekt ausfindig machen?

»Schnapsidee«, murmelte Bill zum wiederholten Male, während er wie ein Tiger im Käfig auf und ab wanderte.

»Setz dich, Bill«, murrte Pulaski, doch der Reporter winkte ab.

»Kann nicht. Bin zu nervös«, erwiderte er kurz angebunden.

»Und mich machst du nervös«, antwortete der Wissenschaftler, ohne von dem Bildschirm aufzusehen.

Seine Hände ruhten auf der Steuerung der Kopernikus, und Bill bewunderte Pulaski für dessen Nervenstärke. Es ging für ihn zwar nicht um das Leben seines Sohnes, doch allein die Tatsache, ein mehrere Millionen teures Stück Technik in eine der unerforschtesten Regionen der Erde steuern zu dürfen, hätte Bills Meinung nach ausreichen müssen, dem Mann wenigstens ein leichtes Zittern abzuringen. Aber die Finger balancierten so gelassen auf dem winzigen Joystick wie ein Vogel auf der Hochspannungsleitung.

»Irgendwelche Wünsche?«, fragte Pulaski.

Bill, der aufgeregt am Fleisch seines Daumens nagte, verharrte und runzelte irritiert die Stirn.

»Äh, was meinst du?«

Jetzt wandte Tom den Blick und schaute den Reporter über die Schulter von unten ins Gesicht. »Na, du hast uns doch mit diesem sensationellen Phänomen den Mund wässrig gemacht. Ich dachte, da kannst du uns wenigstens eine etwas genauere Ortsangabe geben.«

Bill schüttelte den Kopf. »Challengertief, mehr weiß ich nicht.«

Manabu lachte glucksend. »Die allein ja schon einige Kilometer misst.«

Der Reporter riss erschrocken die Augen auf und sprang auf einen der Monitore zu, die das Bild einer Tiefseekamera übertrug.

»Da war was«, stieß er hervor.

Tom Pulaski fluchte und fuhr auf dem Drehhocker herum. »Scheiße, das kommt davon, wenn man sich auf Smalltalk einlässt.« Er hantierte an den Einstellungen und die Kopernikus beschrieb einen Bogen, ohne fündig zu werden. »Konntest du erkennen, was es war?«, wollte er wissen, und seiner Stimme war die Enttäuschung anzuhören.

»Beruhige dich«, antwortete Manabu lächelnd an Bills Stelle. »Das war ein Tiefseefisch. Ich glaube, ein Barten-Drachenfisch. Kannst ihn dir nachher auf den Videos anschauen.«

»Dass es dort unten auch so dunkel sein muss«, schimpfte der Reporter. »Man kann überhaupt nichts sehen.«

Jetzt war es an Tom, zu lachen. »Wenn du das Challengertief mit tausend Flutlichtern ausleuchtest wirst du auch nicht mehr erkennen können. Dann verkriechen sich nämlich sämtliche Lebewesen in irgendwelchen Spalten und Rissen. Hier unten gibt es nur eine Lichtquelle, und das ist die Biolumineszenz. Du wirst verstehen, dass unsere Tiefseebewohner keinen Wert darauf legen, dass man in ihrer Privatsphäre herumschnüffelt.«

Bill starrte den Forscher konsterniert an und erwiderte: »Klugscheißer.« Er wollte noch etwas hinzufügen, erstarrte aber auf der Stelle. »Schwenk mal nach rechts«, sagte er und kam sich dabei selbst wie ferngesteuert vor.

Tom seufzte schwer, tat jedoch, wie ihm geheißen. Zwei Sekunden später versteifte er sich auf dem Schemel. Ebenso wie Manabu, der mit geweiteten Augen die Monitore betrachtete, die die Bilder zeigten, die von den Frontkameras des Tauchboots übermittelt wurden.

Ohne dass er eine Aufforderung benötigte, stoppte Pulaski die Fahrt der Kopernikus, darum bemüht, das Unterseeboot in der Strömung stabil zu halten.

Bill trat vor, wobei sein Mund aufklappte.

Das war es. Deshalb war er hergekommen.

Der Reporter fühlte, wie seine Kehle trocken wurde. Atemlos wischte er sich den Schweiß von der Stirn, während sich der Puls beschleunigte. Mit fiebrigem Blick verfolgte er die beiden Lichtstrahlen, die von der schwarz glänzenden pulsierenden Kugel, die schwerelos in der nachtschwarzen Tiefe schwebte, regelrecht geschluckt und absorbiert wurden.

Die Schwärze des Objekts war so absolut, dass sie sich von der sie umgebenden Finsternis abhob. Was er nicht mehr für möglich gehalten hatte, war eingetreten.

Er hatte eine Transzendenz-Sphäre gefunden.

***

Er lag in der Koje auf der Pritsche, die ihm als Bett diente und trachtete danach, sein aufgewühltes Gefühlsleben unter Kontrolle zu bringen. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, und seine Arme und Beine zitterten vor innerer Erregung.

In der Kehle steckte ein Kloß, der auch nach mehrmaligem Schlucken nicht weichen wollte. Wie gerne hätte er sich jetzt betrunken, doch er musste einen klaren Kopf bewahren.

Für Johnny!