John Sinclair 2015 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2015 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Die Atlanter waren geschockt. Sie waren auf den geballten Angriff der Dunklen Eminenzen gefasst gewesen. Doch dass es so schrecklich werden würde, damit hätten sie nie und nimmer gerechnet.

Myxin fokussierte seine mentalen Energien und war bereit, all seine magischen Fähigkeiten auf einen Schlag zu entfesseln. Alles andere in seiner Umgebung blendete er aus. Er dachte nicht mehr an Kara, die sich mit dem Goldenen Schwert gegen Phorkys' Gorillabestien verteidigte, dachte nicht an den Eisernen Engel, der gegen Lykaon zu unterliegen drohte - und auch nicht an die sterbende Sedonia, deren Mörder zusammengesunken im Zentrum der Schlacht kniete: Bill Conolly!

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Inhalt

Cover

Impressum

Sturm auf den Schwarzen Dom

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4349-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Sturm auf den Schwarzen Dom

(2. Teil)

von Ian Rolf Hill

Und die Zahl des reitenden Heeres war vieltausendmal tausend; ich hörte ihre Zahl.

Und so sah ich in dieser Erscheinung die Rosse und die darauf saßen: Sie hatten feuerrote und blaue und schwefelgelbe Panzer, und die Häupter der Rosse waren wie die Häupter der Löwen, und aus ihren Mäulern kam Feuer und Rauch und Schwefel.

(Die Offenbarungen des Johannes, 6, 16+17)

Myxin, der Magier, konzentrierte sich. Er fokussierte seine mentalen Energien und war bereit, all seine magischen Fähigkeiten auf einen Schlag zu entfesseln.

Blitze ummantelten ihn, und seine Füße lösten sich vom Boden. Es war ihm gelungen, Rabisana und dieses geflügelte Monstrum, in dem er sofort eine Harpyie erkannte, abzuschütteln. Alles andere in seiner Umgebung blendete er aus.

Er dachte nicht mehr an Kara, die sich mit dem Goldenen Schwert gegen Phorkys’ Gorillabestien verteidigte, dachte nicht an den Eisernen Engel, der gegen Lykaon zu unterliegen drohte. Auch an die sterbende Sedonia verschwendete er keinen Gedanken, ebenso wenig wie an ihren Mörder, der zusammengesunken im Zentrum der Schlacht kniete: Bill Conolly!

Dafür sah Myxin eine weitere vertraute Gestalt zwischen den Bäumen. In der linken Faust ein Schwert haltend, in der rechten eine Pistole. Vor der Brust baumelte ein silbernes Kreuz, das im Schein der vereinzelten Brände funkelte und glänzte.

Fast hätte Myxin einen erlösenden Schrei ausgestoßen, als er seinen Freund John Sinclair erkannte. Das war Rettung in letzter Sekunde.

Niemals hätte er damit gerechnet, dass der Kampf gegen die Dunklen Eminenzen derart katastrophal verlaufen würde.

Beinahe wäre Myxin haltlos zu Boden gesunken, als er die rothaarige Frau hinter dem Geisterjäger auftauchen sah. In der Hand hielt sie einen armdicken Knüppel. Das Gesicht der aparten Frau verzerrte sich vor Hass und Abscheu, als sie den Ast in Johns Rücken drosch. Ein zweiter Hieb folgte. Plötzlich wurde Myxin gepackt und zu Boden gerissen.

Erschrocken wandte er den Kopf und blickte direkt in den aufgerissenen Schlund der Vampirhexe, in deren Wolfsrachen die beiden Vampirhauer übergroß hervorstachen.

Er hörte den verzweifelten Schrei des Eisernen, Karas Keuchen, während sie die Gorillabestien in Schach hielt. Dann wurde seine Aufmerksamkeit von der verdammten Harpyie in Anspruch genommen, in deren aufgerissenem Schlund sich ein Feuerball zu formen begann.

Der verzweifelte Schrei drang automatisch aus Myxins Mund und vermischte sich mit dem Ruf von Bill Conolly: »Jooohhn!«

Gleichzeitig versuchte Myxin, seine mentalen Kräfte zu aktiveren, wollte sich aus der Umklammerung Rabisanas fortteleportieren, wollte die Harpyie mit Telekinese wegstoßen.

Doch es gelang ihm nicht. Lag es daran, dass er alles auf einmal versuchte? Oder an der vereinten Magie der Dunklen Eminenzen und ihres geheimnisvollen Anführers?

Oder lag es an den spitzen Vampirhauern, die sich schmerzhaft in das Fleisch seines Halses bohrten? Mit ruckartigen, zerrenden Bewegungen wollte die Vampirhexe seine Kehle aufreißen. Myxin sah den Feuerball im Maul der Harpyie größer werden, während hinter ihr eine grauenhafte Figur in die Höhe wuchs. Kahler Schädel, gelbe Echsenaugen und gewaltige Drachenschwingen.

Im nächsten Moment zogen sich die Zähne aus seinem Fleisch zurück. Rabisanas Umklammerung löste sich, und die Augen der Harpyie weiteten sich für eine Sekunde, dann fuhr der Feuerball aus ihrem Maul, während das Ungeheuer senkrecht in den Himmel schoss.

Myxin fiel auf die Knie und hob zugleich die linke Hand, formte mit den Fingern eine Kralle, in die der Feuerball hineinfuhr und die ihn in der Luft gefrieren zu lassen schien. Zwischen Handfläche und Fingerspitzen befand sich nicht mehr als wenige Millimeter Luft, und der kleine Magier spürte die Hitze des Feuers.

Mit einer beiläufigen Armbewegung schleuderte er den Feuerball auf eines der Gorillamonster, das schreiend in Flammen aufging. Myxin sah noch, wie die Harpyie in die Wolken eintauchte, die sich um ihre Gestalt zusammenballten und gemeinsam mit ihr im Nichts verschwanden.

Währenddessen hörte Myxin den Ruf seines Freundes John Sinclair. Es war ein regelrechter Erlösungsschrei, der sich in der Luft überschlug und fast so klang, als würden die Worte von einer zweiten Stimme überlagert werden.

»Michael, Gabriel, Raphael, Uriel!«

Grelles weißes Licht strahlte auf, und Myxin schloss geblendet die Augen. Er wusste, dass er die Helligkeit nicht zu fürchten brauchte und dass John Sinclair, Bill Conolly, Kara und der Eiserne nicht geblendet wurden. Doch er selbst war einst ein Dämon gewesen, und auch wenn er sich längst nicht mehr als solcher fühlte und er sogar in der Lage war, das Kreuz zu berühren, so gab es doch immer noch einen kleinen Rest schwarzen Blutes in ihm, der ihn immer wieder an seine unselige Herkunft erinnerte.

Er spürte die weiße Magie in Wellen über sich hinwegbranden. Es riss und zerrte an ihm wie zuvor die Fangzähne der Vampirhexe an seinem Hals. Er spürte sogar das Brennen in der Wunde, wo der Keim des Vampirs ausgetrieben und vernichtet wurde. Nicht, dass er ihn zu fürchten gebraucht hätte. Hinter ihm brüllten die Gorillamonster, und dann – war es vorbei.

Myxin öffnete die Augen und sah in einen strahlend blauen, wolkenlosen Himmel. Er registrierte, dass er auf dem Rücken lag, und langsam hob er den linken Arm, tastete nach der Wunde an seinem Hals, die sich schon wieder geschlossen hatte.

Verdammtes Luder, dachte Myxin. Was glaubte sie eigentlich, wer sie war? Was die Vampire aus Atlantis und die Cavallo nicht geschafft hatten, wäre auch einer Rabisana nicht gelungen.

Langsam richtete er sich auf und hörte noch in der Bewegung den lauten Schrei: »Sedoniaaa!«

Und selbst dem kleinen Magier aus Atlantis, dem Anführer der Schwarzen Vampire, der selbst unzählige Male Angst und Schrecken über die Menschen gebracht hatte, lief ein Schauer über den Rücken. Aus jeder einzelnen Silbe sprang ihm der Schmerz geradezu entgegen, den derjenige, der ihn ausgestoßen hatte, empfinden musste.

Wer den Eisernen Engel kannte, ihn kämpfen gesehen hatte und wusste, was er bereits alles erlebt und durchlitten hatte, der hätte niemals für möglich gehalten, dass ein derartiger Schrei über seine Lippen kommen konnte.

Ein Schatten fiel über ihn, und Myxin hob den Kopf, erkannte die goldene Klinge, die das Sonnenlicht reflektierte und sah in das tränenüberströmte Gesicht von Kara. Blut lief der Schönen aus dem Totenreich über das Antlitz und auch an ihren nackten Armen erkannte er Schrammen und Blessuren. Das lange schwarze Haar war zerzaust und roch angesengt. Der Kampf hatte ihr viel abverlangt, doch dass sie überhaupt noch lebte, war Beweis genug, was für eine Kriegerin die Tochter des Delios war.

Sie reichte dem Magier die linke Hand, und er ließ sich bereitwillig von seiner Gefährtin auf die Beine ziehen.

»Sedonia?«, fragte er, und Kara nickte nur.

Myxin ließ Karas Hand los, nachdem er sie kurz gedrückt hatte, trat zur Seite und sah zuerst Bill Conolly, der mit kreideweißem Gesicht an einem Baumstamm lehnte. Die Beretta lag wie ein Fremdkörper in seiner rechten Hand, deren Arm kraftlos nach unten hing. Auch in seinen Augen schimmerten Tränen, und sein Blick ging ins Leere.

Myxin warf einen schnellen Blick über die Schulter, doch dort, wo sich John Sinclair hätte befinden müssen, lag lediglich die rothaarige Frau leblos auf dem Boden.

So viele Fragen brannten Myxin auf der Zunge, doch es gab Wichtigeres zu erledigen, und so rief er Kara lediglich zu: »Kümmere dich um Bill und die Frau.«

Er selbst lief auf den Eisernen Engel zu, der auf die Knie gesunken war. Die gewaltigen Flügel über dem Rücken zusammengefaltet, der Rücken gebeugt, kauerte er über seiner Gefährtin, ihr blasses Haupt in seinen Schoß gebettet.

Wer hätte glauben mögen, dass eine Gestalt wie er, die aussah wie eine lebendige Bronzestatue, Tränen vergießen konnte? Und doch sah Myxin, wie der Freund weinte und trauerte, schluchzte und schrie, während seine Hand sanft über die Wange der Frau strich, die er zu lieben gelernt hatte.

Das Schwert des Eisernen lag achtlos im Laub.

Sedonias Lider flatterten, ihr Blick nahm ihre Umgebung kaum noch wahr. Die blutleeren Lippen zitterten, und der Strom des hellroten Blutes, der aus ihrem zerschossenen Oberkörper rann, wollte und wollte nicht enden.

Myxin kämpfte gegen den würgenden Druck in seiner Kehle an, blinzelte das brennende Gefühl aus seinen Augen und ging neben der tödlich verwundeten Frau und ihrem Freund in die Hocke.

Der Eiserne Engel schien den Magier gar nicht bewusst wahrzunehmen. Ohne innezuhalten weinte und schluchzte er hemmungslos weiter. Er unternahm auch keinerlei Anstalten, Myxin wegzustoßen, als dieser die Hände auf die beiden blutigen Löcher legte.

Der kleine Magier schloss die Augen und empfing im Geiste die Bilder, die ihm seine Hände sandten. Er erkannte einen glatten Durchschuss und eine Silberkugel, die Lunge und Herzbeutel perforiert hatte. Schweißperlen traten dem Magier auf die Stirn, als er sich konzentrierte und die Magie, die er für den letzten Angriff gesammelt hatte, für Sedonias Rettung einsetzte.

Und was er selbst nicht für möglich gehalten hätte, gelang ihm jetzt. Er stillte die Blutung, senkte den Herzschlag auf ein Minimum ab und schickte Sedonia in eine magische Stase. Erst dann machte er sich daran, die Projektilsplitter zu lokalisieren und sie vorsichtig durch den Schusskanal zu extrahieren.

Seine telekinetischen Fühler traten mit der Präzision eines Chirurgen in Aktion, übertrafen bei Weitem alles, was die moderne Medizin zu leisten imstande war. Keine zwei Minuten später hob Myxin die linke Hand. Auf der Fläche lagen die Reste der Kugel, deformiert und zersplittert. Er warf das zerstörte Projektil in den Dreck.

Erst dann öffnete er die Lider und sah aus dem Augenwinkel, wie sich Kara und Bill der kleinen Gruppe näherten. Die Schöne aus dem Totenreich und der Reporter trugen die leblose Frau zwischen sich, und noch im Laufen rief Kara: »Wir müssen hier verschwinden.«

Myxin nickte bloß, denn jetzt hörte auch er das knatternde Geräusch, und als er den Blick hob, sah er über den Wipfeln der Bäume die schwere Militärmaschine kreisen. Und es war nicht der einzige Hubschrauber, der sich am Himmel abzeichnete.

Ohne sich lange abzusprechen, begann Myxin mit den Vorbereitungen der Teleportation. Kara und Bill legten die regungslose Frau neben Sedonia. Anschließend zückte Kara das Goldene Schwert und beschrieb mit der Spitze einen Kreis in das Erdreich, um die sechs Personen herum.

Der Kreis war kaum geschlossen, da ergriff Myxin Karas Hand, und ihre Magie verband sich. Wind kam auf, und Blitze knisterten in dem magischen Rund, flossen an den unsichtbaren Wänden empor und verbanden sich über ihren Häuptern zu einer Kuppel.

Einen Lidschlag später verschwand die kleine Gruppe und materialisierte sich zwischen den Flammenden Steinen.

I

»Bist du sicher, dass es klug war, ihn gehen zu lassen?« Bruder Anselm, ein stämmiger Mann, dessen ansehnlicher Bauch seine Vorliebe für gutes Essen und Gerstensaft schon von Weitem verriet, runzelte die Stirn.

Basil fühlte Ärger in sich aufsteigen und rief sich innerlich zur Ordnung. Er wusste, dass seine Wut nicht Bruder Anselm galt, sondern sich selbst. Weil er zugelassen hatte, dass Bill Conolly verschwand, und niemand so recht wusste, wohin er eigentlich wollte.

Der neue Abt des Klosters St. Patrick biss sich kurz auf die Lippe, dann schüttelte er den Kopf und meinte: »Nein, ich halte es nicht für klug. Aber ich habe mit Bill gesprochen, und er war von seinem Vorhaben nicht abzubringen. Wenn ich es recht überlege, kam er mir fast besessen vor.«

Bruder Anselm lehnte sich in dem Stuhl zurück, während das Blut aus seinem Gesicht wich. Beide Männer saßen in Basils Arbeitszimmer, dem Büro des Klostervorstehers, das er von seinem Vorgänger übernommen hatte, der vor Kurzem an multiplem Organversagen gestorben war.

»Besessen?«, echote Bruder Anselm. »Besessen von einem Dämon?«

Oh, die Brüder des Klosters wussten nur zu gut, dass es sie gab. Die Untoten, Vampire, Hexen, Werwölfe und – Dämonen! Es gab die Hölle, den Teufel und die Reiter der Apokalypse. Seltsamerweise schöpfte Basil aus diesem Umstand Mut, wo andere verzweifelt wären. Wenn es nämlich eine Hölle gab, mit dem Teufel namens Asmodis, dann gab es auch den Himmel mit seinen Heerscharen voller Engel und ihrem Schöpfer.

John Sinclair, der Sohn des Lichts, trug ein Kreuz, das von den Erzengeln selbst geweiht wurde, und er war hier, in den Mauern des Klosters, vor langer Zeit den Horror-Reitern gegenübergetreten.

Basil seufzte und hätte fast noch geschmunzelt, als er die Frage seines Mitbruders hörte. Stattdessen winkte er unwirsch ab und erwiderte: »Besessen von einer fixen Idee!«

Erleichtert stieß Bruder Anselm den Atem aus. »Gott sei Dank. Ähm, ich meine, sollten wir nicht trotzdem in London anrufen und seine Freunde informieren?«

Basil sah den beleibten Mönch, der im Kloster für die Instandhaltung der kleinen Kapelle verantwortlich war, böse an. Nicht nur, weil er den Namen des Herrn so fahrlässig gebraucht hatte. »Ich habe versprochen, eben dies nicht zu tun. Außerdem, was sollte ich denen denn sagen? Dass Bill Conolly hier eine Woche mit uns gearbeitet und gebetet hat? Dass sich ein Teil seiner Amnesie löste und er jetzt wieder verschwunden ist, auf dem Weg weiß-Gott-wohin?«

Wieder biss er sich auf Lippe, als er merkte, dass er selbst gerade gegen das zweite Gebot verstoßen hatte. »Du hast doch selbst viel Zeit mit ihm verbracht«, fügte er rasch hinzu und schwor sich, heute Abend ein Ave-Maria mehr zu beten und um Vergebung für seine Sünden zu bitten. »Hast du keine Idee, wo er hinwollen könnte?«

Bruder Anselm schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen, als das Telefon auf dem Schreibtisch des Klostervorstehers klingelte.

Beide Männer zuckten zusammen, obwohl das Anrufsignal alles andere als schrill und misstönend klang. Selbst hier, im spartanisch eingerichteten Kloster, hatte man sich mittlerweile von dem alten Wählscheibenapparat verabschiedet, den Basils Vorgänger in Ehren gehalten hatte. Doch er selbst hatte nicht die Absicht, in nächster Zeit an einem Herzschlag zu sterben und sich daher einen modernen, schnurlosen Apparat zugelegt.

Trotzdem fuhr das Klingeln des Telefons wie ein Blitz zwischen die beiden Männer. Ratlos blickten sie sich an. Schließlich gab sich Basil einen Ruck und fischte den Apparat aus der Ladestation. Mit dieser Aktion nahm er den Anruf automatisch entgegen, ohne extra eine Taste betätigen zu müssen.

Daher hörte er die aufgeregte Stimme, noch ehe er den Hörer ans Ohr gelegt hatte.

»Bruder Basil, es ist … ich brauche Hilfe … Cathy Reynolds.«

Die Augenbrauen des Abtes zogen sich über der Nasenwurzel zusammen. Ärgerlich schüttelte er den Kopf und sah sein Gegenüber, das neugierig über den Schreibtisch linste, irritiert an.

»Nun mal langsam mit den jungen Pferden«, erwiderte Basil gütig, und der Klang seiner Stimme strafte seinen angespannten Gesichtsausdruck Lügen. »Mit wem spreche ich überhaupt?«

»Sarah O’Donnell«, kam es atemlos aus dem Hörer. »Es ist schrecklich, Pater.«

»Was ist vorgefallen?«, fragte Basil in ruhigem, aber bestimmten Tonfall weiter. Er kannte natürlich die alleinstehende Witwe und Pensionswirtin aus dem nahen Ort Peelham und wusste auch, dass Bill Conolly dort genächtigt hatte, ehe er zum Kloster gekommen war. Ob der Anruf von Sarah O’Donnell mit dem Reporter zusammenhing?

Gut möglich, denn der Abt wusste beim besten Willen nicht, was die Witwe sonst von ihm wollte. Man konnte nicht gerade behaupten, dass es sonderlich viel Kontakt zwischen den Einwohnern und den Klosterbrüdern gab.

»Cathy Reynolds! Sie ist hier … und … und …«

»Was ist mit ihr?«, rief Basil, nun schon eine Spur ungeduldiger. Dabei strich er sich unentwegt durch den weißen Bart, als wolle er sich selbst beruhigen.

»Ich glaube, sie ist ein Vampir!«

I

»Was ist da gerade passiert?«, schrie Myxin aufgebracht und blickte Kara mit geweiteten Augen an.

Die sah von dem Eisernen Engel, der immer noch über der sterbenden Sedonia kauerte, zu dem teilnahmslos im Gras knienden Bill Conolly und dann zu der bewusstlosen Nadine Berger.

Zumindest war die ehemalige Schauspielerin nur ohnmächtig. Die Schöne aus dem Totenreich kannte Nadine, die seit ihrer Wiedergeburt und ihrem Exil auf Avalon keinen Tag gealtert zu sein schien. So wenig wie sie selbst, seit sie hier zwischen den Flammenden Steinen lebte, inmitten des ewigen Frühlings und fernab von der Welt und ihren Problemen. Obwohl diese Enklave atlantischer Magie nicht weit von der Absturzstelle des Flugzeugs entfernt lag, brauchten sie keine Entdeckung zu fürchten. Unbefugte nahmen das kleine Tal überhaupt nicht wahr. Sie würden immer automatisch darum herum gehen oder einfach drüber hinwegfliegen.

»Hast du mich überhaupt gehört, Kara?«, rief der kleine Magier und ergriff ihren linken Oberarm.

Unwillig machte sich sie sich los. »Ich hole Wasser. Sedonia und Nadine brauchen Hilfe.«

Kara rannte zu der mittleren der drei Hütten, stieß die Tür auf und kehrte kurz darauf mit einer großen hölzernen Schale wieder zurück, mit der sie sich auf den Weg zu dem kleinen Bach machte. Sie wusste ja selbst nicht, was da gerade geschehen war. Sie hatten die Absturzstelle des Flugzeugs gefunden, hatten die Sturmfront gesehen, die offensichtlich magischen Ursprungs gewesen war, und dann war auch schon der Angriff erfolgt.

Schreckliche Bestien, bizarre Mischungen aus Mensch und Gorilla, waren über sie hergefallen, und schließlich hatten die Dunklen Eminenzen persönlich mit geballter Macht angegriffen. Kara hatte sogar die Magie des Ian McCoy gefühlt, der eine seiner perversen Illusionen erzeugt hatte, obgleich sie zuerst nicht gewusst hatte, wem seine Magie eigentlich galt. Bis Bill Conolly mit Nadine Berger im Schlepp erschienen war und wie ein Irrer angefangen hatte, auf sie zu schießen.

Sein flackernder Blick, aus dem der Wahnsinn sprach, hatte ihr deutlich gemacht, dass er sie alle verkannte. Ein grauenhafter Irrtum, der Sedonia das Leben kosten würde.

Kara kämpfte gegen die Tränen an. Sie durfte sich jetzt nicht der Trauer hingeben, musste einen kühlen Kopf bewahren, bevor alles, was sie sich hier aufgebaut hatten, auseinanderbrach. Sie hielt die Schale in das plätschernde Wasser und beobachtete dabei, wie es über die glatt gewaschenen Steine sprudelte. Betrachtete sie dieses Idyll, fiel es ihr jedes Mal aufs Neue schwer, an all die Gefahren und Probleme zu denken, mit denen sie immer wieder konfrontiert wurden.

Kara stellte die gefüllte Schale neben sich ins Gras und tauchte auch die beiden Tücher, die sie mitgenommen hatte, in das kühle Nass. Diese legte sie über ihre bloßen Unterarme, ergriff die Schale mit dem Wasser und eilte zurück zu den hohen Stelen, zwischen denen ihre Freunde immer noch warteten.

Zwei der Steine verdeckten ihre Sicht, sodass sie nicht sehen konnte, was dort geschah, doch Myxins sich überschlagende Stimme und die fast schon gebrüllte Antwort des Eisernen Engels verrieten ihr, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. War Sedonia etwa schon …

Kara beschleunigte ihre Schritte und beachtete gar nicht, dass Wasser aus der Schale schwappte und ihr Kleid benetzte. Das war durch den Kampf sowieso hinüber und zeigte mehr entblößte Haut, als es verdeckte.

Dann wurde ihr Blickfeld frei, und was sie sah, ließ sie bis ins Mark erschrecken. So sehr, dass ihr die Schale mit dem Wasser aus den Händen rutschte und ins Gras fiel, wo das feuchte Element sofort versickerte.

Aus weit aufgerissenen Augen beobachtete Kara die Szenerie, die in ihrer Intensität und Dramatik schlichtweg bizarr wirkte.

Der Eiserne Engel stand in der Mitte des magischen Areals, dort wo sich die Schnittstelle der beiden Diagonalen, die die Steine miteinander verbanden, befand. Mit der linken Hand hielt er Bills Kehle umklammert, mit dem rechten Arm, in dessen Hand das gewaltige Schwert ruhte, hatte er weit ausgeholt. Myxin stand daneben, schien mit Hilfe seiner mentalen Energien zu verhindern, dass er das Schwert auf Bills Schädel niederfahren ließ.

Nadine Berger hing blass und kraftlos am linken Unterarm des bronzenen Riesen. Doch selbst wenn sie im Vollbesitz ihrer Kräfte gewesen wäre, wäre es ihr nicht möglich gewesen, den Griff des Eisernen zu sprengen. Zu stark waren seine Kräfte, zu robust sein stählerner Leib, der sich trotzdem so schnell und geschmeidig bewegen konnte.

Kara schüttelte auch die beiden tropfnassen Tücher von ihren Armen und rannte auf die Steine zu, die sich vom Bach aus gesehen auf einer kleinen Anhöhe befanden. Ein Grund mehr, weshalb sie das Drama erst so spät erkannt hatte.

»Was ist hier los?«, schrie sie aufgebracht und wandte sich mit ihren Worten vor allem an den Eisernen Engel.

Bill hing schlaff in seinem Griff, die Augen verdreht, der Mund offen, sodass die Zunge heraushing. Ein würgendes Geräusch drang aus seiner Kehle und verursachte eine Gänsehaut bei Kara.

Der Eiserne Engel musste durchgedreht sein. Ein schneller Seitenblick auf Sedonia, doch die Schöne aus dem Totenreich konnte nicht erkennen, ob ihre Freundin noch atmete. Myxins magische Stase hatte auch die Lungenfunktion auf ein Minimum reduziert. Dem fahlen Teint nach zu urteilen konnte da genauso gut eine Leiche im Gras liegen …