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Die Wölfin zitterte. Sie hatte Angst. Zu oft hatte sie in den vergangenen Jahren versagt, hatte sogar Hilfe von Feinden angenommen. Und während andere Dämonen immer mächtiger wurden, fristeten die Werwölfe ein Schattendasein.
Doch das sollte sich ändern. Fenris, der Götterwolf, würde dafür sorgen. Lange hatte er sich zurückgehalten und die Führung der Werwölfe seinem Alpha-Weibchen überlassen. Jetzt würde alles anders werden ...
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Seitenzahl: 146
Cover
Impressum
Lykaons Erwachen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Timo Wuerz
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1492-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Lykaons Erwachen
von Ian Rolf Hill
Irgendwo in Sibirien
Die Wölfin zitterte. Sie hatte Angst. Zu oft hatte sie in den vergangenen Jahren versagt, hatte sogar Hilfe von Feinden angenommen. Und während andere Dämonen immer mächtiger wurden, fristeten die Werwölfe ein Schattendasein.
Doch das sollte sich ändern. Fenris, der Götterwolf, würde dafür sorgen. Lange hatte er sich zurückgehalten und die Führung der Werwölfe seinem Alpha-Weibchen überlassen. Jetzt würde alles anders werden …
Die Wölfin stand zitternd auf der von Fichten umsäumten Lichtung. Die Temperaturen lagen im zweistelligen Bereich unter Null. Beleuchtet wurde die Szenerie nur von dem fahlen Licht des Vollmondes, der den nackten, menschlichen Leib der Werwölfin in einen silbernen Schein tauchte.
Zwischen den Stämmen der Nadelbäume rings um die Lichtung bewegten sich mächtige Schatten, deren gelbe Raubtieraugen wie kleine Sterne in der Finsternis funkelten.
Einer der Schatten löste sich und trat zu der zitternden Frau auf die Lichtung. Es war ein Wolf, dessen Fell pechschwarz im Licht des Vollmonds schimmerte. Kleine Eiskristalle hingen zwischen den Haaren.
Der Wolf war größer als seine schwächeren Artgenossen, die sich immer noch in den Schatten unter den Bäumen duckten und die Lichtung umkreisten.
Auf allen Vieren trottete er langsam, beinahe gemächlich auf die Frau zu, die trotz ihrer Angst Ehrfurcht und Respekt für die Bestie empfand. Dieser Wolf war nicht einfach nur groß. Er war gigantisch. Selbst auf allen Vieren überragte sein mächtiger Körper die Frau um Haupteslänge.
Er war kein gewöhnlicher Wolf. Er war ein Gott. Fenris, der Götterwolf.
Eine Schrittlänge vor der Frau blieb er stehen, blies ihr seinen heißen Atem entgegen, der als Wolke ihren Körper umschmeichelte.
Obwohl sie sich fürchtete, schloss sie für einen Moment die Augen, genoss den Atem ihres Meisters und hätte in diesem Augenblick jedes Urteil von ihm akzeptiert. Selbst wenn es ihren Tod bedeutet hätte.
Die schöne Frau sank auf die Knie und legte den Kopf in den Nacken. So präsentierte sie Fenris ihre ungeschützte Kehle als Zeichen der Unterwerfung.
Der entließ ein bedrohliches Knurren aus den Tiefen seines Rachens.
»Versagerin!«, grollte Fenris und zerstörte damit die Hoffnung der schönen Frau. Er warf sie mit einem kurzen Stoß seines gewaltigen Schädels nieder und legte eine riesige Pranke auf ihre zitternden Brüste.
Auf dem Rücken liegend schüttelte die Werwölfin den Kopf. »Nein, Fenris«, flehte sie. »Das stimmt nicht. Ich habe dir immer treu gedient, doch unsere Gegner sind mächtig. Und auch Lupina ist nicht gegen sie angekommen.«
Fenris brüllte auf. »Du wagst es, dich mit der Königin der Wölfe auf eine Stufe zu stellen?«
Die Werwölfin krümmte sich. »Nein, das würde ich mir nicht anmaßen. Doch wir kämpfen auf verlorenem Posten. Wir haben nicht nur unter den Menschen zahlreiche Feinde, sondern auch unter den Schwarzblütlern. Denk an Francis Leech.«
Fenris neigte den Schädel als Zeichen seiner Zustimmung. »Jaaa«, grollte es gedehnt aus seiner Kehle. »Den hat Sinclair beseitigt, doch er ist nicht die eigentliche Gefahr gewesen. Ich selbst werde mich meinem alten Feind stellen. Aber ich brauche ein mächtiges Rudel an meiner Seite und eine Gefährtin, die würdig ist, es anzuführen.«
Die Werwölfin fasste neuen Mut. Sie richtete ihren Blick auf die gelben Augen des Götterwolfs, und ein Funkeln glitzerte in ihren Pupillen. Sie hob ihren rechten Arm und strich zärtlich über die Schnauze des mächtigen Dämons.
»Ich bin würdig, mein Herr und Meister.«
Fenris zog die Lefzen hoch und ließ seine gewaltigen Reißzähne im Schein des Mondes aufblitzen. »Dann beweise es! Geh, und bilde eine neue Werwolf-Elite. Aber zuvor musst du einen alten Feind besiegen.«
»Wer ist es?«
»Einst nannte man ihn den Werwolf-Jäger. Sein Name ist Michail Chirianow. Du kennst ihn nicht, doch er hat schon gemeinsam mit unserem Feind John Sinclair gegen Lupina gekämpft. Besiege ihn, und erweise dich meiner würdig.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, senkte Fenris sein Haupt und öffnete das gewaltige Maul. Dann versenkte er seine riesigen Zähne in dem weichen Fleisch zwischen Hals und Schulter der Frau. Diese bäumte sich auf, zuckte unter dem Götterwolf und keuchte vor Schmerz und Lust.
Dann verwandelte sie sich. Haare sprossen aus der Haut und bildeten innerhalb von wenigen Lidschlägen ein dichtes Fell. Die Nägel an den Fingern und Zehen wurden zu gefährlichen Krallen und das wunderschöne Antlitz formte sich zu der Schnauze eines mächtigen Wolfes.
Fenris ließ von ihr ab und gewährte der Wölfin so, sich zu erheben.
»Geh!«, befahl er ihr erneut.
Und Morgana Layton ging.
***
Sibirien, Labytnangi, nahe der Halbinsel Jamal, auf Höhe des Polarkreises
Der Mann sah aus wie ein Bär, und sein Blick konnte kalt wie Gletschereis sein. In das dichte schwarze Haar hatten sich im Laufe der Zeit silberne Strähnen eingeschlichen, und das Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen, obwohl der Mann noch gar nicht so alt war. Doch das Leben hier oben in Sibirien hatte seinen Tribut gefordert. Die untere Gesichtshälfte war von einem dichten Vollbart bedeckt, während das Haupthaar von einer großen Fellmütze verborgen wurde.
Vor der Kälte schützte ihn das dichte Fell eines Rentiers, das der Mann selbst erbeutet und gegerbt hatte.
Nachdem der Mann die kleine Spelunke betreten hatte, verstummten die Gespräche der anwesenden Männer. Jetzt hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Doch die Stille währte nur drei Sekunden lang, dann schwoll der Lärmpegel wieder an, und der Neuankömmling blickte sich um.
Frauen waren heute keine in der Kneipe, aber er war auch nicht hier, um jemanden fürs Bett zu finden. Schließlich wartete zu Hause eine liebende Frau auf ihn. Es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, Margarete untreu zu werden, dafür hatte sie ihm zu viel gegeben. Er hätte selbst nicht geglaubt sich jemals wieder zu verlieben. Nicht seit damals, als Panja, seine erste Frau, gestorben war.
Nein, der hochgewachsene, kräftige Mann war hier, weil er mit einem alten Nenzen namens Ilja verabredet war, der in den Wintermonaten mit seiner Familie nach Labytnangi kam, um dort seine Waren anzubieten. In erster Linie Kleidung und Schmuck aus Rentierfell und -knochen. In den etwas gemäßigteren Sommermonaten lebten Ilja und seine Sippe als Nomaden auf der Halbinsel Jamal, nördlich von Labytnangi.
Jetzt saß Ilja allein an einem kleinen Tisch in der hintersten Ecke des Lokals, das diesen Namen kaum verdiente. Es war nicht mehr als ein Verschlag mit einem Kanonenofen in der Ecke, der eine bullige Wärme verbreitete. Die Wände waren kahl und schmucklos, stellenweise blätterte die blaue Farbe ab. Das Mobiliar bestand aus harten, ungepolsterten Holzstühlen und runden Tischen, die längst hätten aufgearbeitet werden müssen.
Der Neuankömmling war hier nicht oft Gast. Es gab gemütlichere Lokale, auch am Polarkreis. Doch Ilja hatte darauf bestanden, sich hier mit seinem Bekannten zu treffen, denn der Wodka war billig, in jeder Hinsicht, und wenn man etwas Wichtiges zu besprechen hatte, konnte man sicher sein, dass keine Unbefugten lauschten, denn wer hierher kam, der wollte sich volllaufen lassen.
Kein Wunder, dass das schöne Geschlecht das Etablissement meidet, dachte der Neuankömmling und ging auf den Tisch zu, an dem Ilja saß, ihm zuwinkte und sich erhob. Das Wasserglas, in dem sich zweifelsohne Wodka befand, leerte er in einem Zug und winkte dem Wirt wortlos zu. Dabei deutete er auch auf seinen Besucher, den er herzlich umarmte.
Dann setzten sich beide.
Der Wirt nickte, füllte zwei neue Gläser, die er wortlos auf den zerkratzten Tisch knallte, und begab sich wieder hinter den zerschlissenen Tresen.
»Schön, dich zu sehen, Michail. Wie ist es dir ergangen?«
Michail Chirianow, der Werwolf-Jäger, grinste und griff zu seinem Wodkaglas mit dem er Ilja zuprostete. »Nastrovje!«
Er nahm einen großen Schluck und leerte das Glas zur Hälfte. Erst dann antwortete er.
»Ich kann mich nicht beklagen. Es gibt viele, denen es schlechter geht.«
»Das stimmt.« Ilja nickte. »Und doch könnte es uns besser gehen. Die großen Ölkonzerne haben auf Jamal jetzt das Sagen, und die alten Werte und Traditionen der Nenzen sind unwichtig geworden. Es gibt immer weniger Platz für die großen Rentierherden.«
»Willst du denn fort?«, fragte Michail neugierig.
Ilja schüttelte den Kopf. Sein weißes Haar war dünn geworden, und die Haut seines Gesichtes erinnerte sein Gegenüber immer an altes Leder, so zerfurcht sah sie aus.
»Auf keinen Fall. Dafür bin ich zu alt. Seit ich Laufen kann, habe ich mit Rentieren gelebt, und sie haben mich und meine Familie ernährt. Ich werde auf Jamal sterben, doch meine Söhne und meine Enkelkinder werden sich etwas anderes überlegen müssen. Vielleicht werden sie sogar bei einer der Ölfirmen Arbeit finden. Wie ich gehört habe, soll jetzt auch eine griechische Firma mitmachen.«
Ilja schüttelte verständnislos den Kopf. »Und ich dachte, die hätten kein Geld.«
Er mahlte mit den zahnlosen Kiefern und schmatzte kurz, ehe er von dem Wodka trank.
Michail Chirianow schmunzelte wurde aber schnell wieder ernst. »Ilja, du hast mich doch nicht nur zum Plaudern hergebeten und schon gar nicht, um über Politik und Wirtschaft zu debattieren. Was ist los?«
»Hör dich mal reden, Michail. Debattieren. Du warst schon immer ein kluger Kopf. Klüger als die meisten hier in Sibirien. Es hat mich immer gewundert, dass du hiergeblieben bist. Doch wenigstens hast du an der russischen Akademie der Wissenschaften eine gute Arbeit gefunden und …«
»Ilja«, ermahnte Michail den alten Nenzen, der mit steigendem Alkoholpegel im Blut zum Schwafeln neigte.
Plötzlich standen Tränen in den trüben Augen des alten Mannes, deren Blick er jetzt auf seinen Gesprächspartner richtete.
»Sie hat mir fast ein Drittel meiner Herde genommen«, flüsterte er heiser und trank den Rest seines Wodkas.
Als er den Arm heben wollte, um dem Wirt abermals zu winken, legte Michail Chirianow seine große Hand schwer auf den Unterarm des alten Nenzen.
»Wer?«, fragte er eindringlich.
»Die Bestie, verflucht. Der Werwolf!«, schrie Ilja. »Und er hat auch meinen Sohn auf dem Gewissen.«
***
Damit hatte Michail Chirianow beim besten Willen nicht gerechnet.
Mein Gott, wie lange hatte er nicht mehr mit diesen grausamen Bestien zu tun gehabt? Gewiss, sein Ruf als Werwolf-Jäger war einst legendär gewesen und selbst bis zum russischen Geheimdienst gelangt, der damals noch als KGB berüchtigt gewesen war. Doch nach seinem Einsatz in London, in der russischen Botschaft, wo er gemeinsam mit einem Mann namens John Sinclair eine Verschwörung der Werwölfe aufgedeckt und zahlreiche Bestien zur Hölle geschickt hatte, gab es keine Verwendung mehr für seine Dienste.
So war Michail Chirianow zurückgekehrt in die Tundra und hatte damit begonnen, sich ein neues Leben aufzubauen. Von Zeit zu Zeit hatte er sich noch bei seinem damaligen Kontaktmann beim KGB, Wladimir Golenkow, gemeldet und so erfahren, dass nur wenige Monate nach seiner Reise nach England die Königin der Wölfe, Lupina, getötet worden war.
Ihre Nachfolgerin Morgana Layton hatte offenbar andere Pläne, als eine Werwolf-Elite in Sibirien aufzubauen. Doch Michails Rachedurst war immer noch nicht gestillt, und so hatte er Augen und Ohren offen gehalten nach weiteren Spuren der Bestien.
Sibirien war groß und nur dünn besiedelt. Es gab genug Verstecke, wo sich noch vereinzelt Werwölfe verbergen konnten, und der Aberglaube unter vielen Einwohnern war äußerst ausgeprägt.
So hatte es Michail nie an Geschichten gemangelt, denen er nachjagen konnte. Doch lediglich in zwei Fällen hatten seine silbernen Pfeile ein lohnendes Ziel gefunden. Meistens war es nicht mehr als falscher Alarm gewesen.
Im schlimmsten Fall hatte es Michail mit Tundra-Wölfen zu tun bekommen, die Siedlungen bedroht und Nutztiere gerissen hatten. Oft genug war der Werwolf-Jäger jedoch irgendwelchen Halsabschneidern auf den Leim gegangen, die sich seine Besessenheit zu Nutze gemacht hatten, um sich des lästigen Raubzeugs zu entledigen.
Schließlich hatte Michail Chirianow Margarete kennengelernt, die ihn gezähmt und überredete hatte, sich mit ihr hier in Labytnangi niederzulassen, wo er bald eine Stelle als wissenschaftlicher Assistent an der russischen Akademie der Wissenschaften gefunden hatte.
Trotzdem hatte er alle vier Wochen bei Vollmond einen neuen Pfeil mit silberner Spitze für seinen Bogen gefertigt. Doch als er schließlich hundert Pfeile zu Hause liegen hatte und kein Werwolf mehr in Erscheinung getreten war, hatte er schließlich seine Jagd komplett eingestellt. Die Werwölfe schienen ausgestorben, und auch zu Wladimir Golenkow war der Kontakt abgebrochen.
Und jetzt waren sie wieder da. Genauso wie Michails Hass auf sie.
Michail Chirianow sah den Alten mit versteinerter Miene an, schirmte sich mental gegen dessen Schmerz ab und fragte: »Wo ist es geschehen?«
Ilja zog die Nase hoch und beobachtete den Wirt, der das Licht einschaltete, das zwei nackte Glühbirnen unter fleckigen Metallschirmen verstreuten. Draußen war es dunkel geworden.
»Ungefähr zwanzig Kilometer nördlich. Vor Salechard. Du weißt schon, da wo die Polareule steht.«
Der Werwolf-Jäger nickte. Die Polareule war eine euphemistische Bezeichnung für eines der härtesten Gefängnisse Russlands. Die Hälfte der Insassen verbüßte dort eine lebenslange Haftstrafe, und wer in Russland lebenslänglich bekam, der verließ den Knast nur mit den Beinen voran.
»Hast du ihn gesehen?«
Ein krächzendes Kichern drang aus dem Mund des alten Nenzen.
»Gesehen? Michail, ich habe mit ihm gekämpft!«
Schlagartig versteifte sich der Werwolf-Jäger. Alarmiert sah er sich um. Außer ihm, Ilja und dem Wirt befanden sich noch fünf weitere Zecher in dem Schankraum.
Dann wandte er sich wieder um. »Hat er dich gebissen?«
Ilja verzog die Lippen vor dem zahnlosen Mund. »Wir haben Vollmond, nicht wahr? Ich kann es spüren, Michail. Der Ruf des Mondes. Mein Blut brodelt bereits. Ich habe dir erzählt, dass der Werwolf ein Drittel meiner Rentierherde gerissen und meinen ältesten Sohn auf dem Gewissen hat.«
Michail Chirianow nickte langsam.
»Aber ich, mein Freund, habe den Rest meiner Familie ermordet.«
Und dann verwandelte sich Ilja.
***
Griechenland, auf der Halbinsel Peloponnes, in der Stadt Patras
Der alte Mann mit dem dichten schlohweißen Haar und dem ebenso weißen Vollbart sah an der verspiegelten Fassade des Bürohochhauses empor.
Die scheinen hier keine Geldsorgen zu haben, dachte er zynisch und betrat das Foyer.
Es war warm in Griechenland, auch wenn vom ionischen Meer der Wind herüberwehte und die Temperaturen erträglicher machte als auf dem Festland. Dennoch konnte man schnell ins Schwitzen kommen, und es gab sicherlich nicht wenige Menschen, die das klimatisierte Foyer des Firmenhauptsitzes von Lykos Oil zu schätzen gewusst hätten.
Für solche Dinge hatte der Weißhaarige jedoch keinen Sinn und stellte sich ordnungsgemäß an der Rezeption vor. »Ich habe einen Termin mit Egeas Demeter.«
Die hübsche Empfangsdame mit den dunklen, verheißungsvollen Augen und dem rabenschwarzen Haar, das sie im Nacken zu einem Zopf gebunden hatte, der lang auf ihren Rücken fiel, lächelte den Mann herzlich an und wandte sich dann ihrem Computer zu. Wenige Mausklicks später war seine Aussage bestätigt.
»Sehr wohl, mein Herr. Nehmen sie bitte den Fahrstuhl zu ihrer Rechten, und fahren Sie ins oberste Stockwerk. Sie benötigen eine Chipkarte, die sie vor den Scanner an der rechten Seite des Fahrstuhls halten müssen.«
Sie reichte ihm die Karte, schenkte ihm ein Lächeln und griff nach dem Telefonhörer, um sein Kommen anzukündigen.
Der Weißhaarige wartete nicht auf das Ende des Gesprächs, winkte der Dame noch einmal zu und begab sich schnurstracks zum Fahrstuhl. Erst jetzt bemerkte er die vier durchtrainierten, breitschultrigen Männer in ihren schwarzen Maßanzügen, die strategisch günstig in der Empfangshalle verteilt standen und jede Bewegung genauestens registrierten.
Obwohl hier nicht so viel Betrieb herrschte wie auf dem Flughafen, gab es ein stetes Kommen und Gehen. Mit ein Zeichen dafür, dass es Lykos Oil bei Weitem nicht so schlecht erging, wie dem Rest des Landes. Öl war immer noch ein lukratives Geschäft, und die Firma schickte sich zurzeit sogar an, in Russland Fuß zu fassen, wie der Weißhaarige wusste.
Die verchromten Türen des Fahrstuhls öffneten sich, nachdem der Mann die Chipkarte vor den Scanner rechts daneben gehalten hatte. Ein Knopf fehlte gänzlich. Offenbar war dieser Lift nur ausgewählten Personen zugänglich.
Das innere der Kabine war geräumig und bot ohne Weiteres zwanzig Personen Platz. Der Weißhaarige war allerdings allein, und das war ihm auch angenehm so. Leise Musik erklang, als sich die Türen hinter ihm schlossen. Gegenüber davon befand sich der obligatorische Spiegel, der die Kabine noch gewaltiger erscheinen ließ. Ein Tastenfeld war zwar vorhanden, aber weitaus minimalistischer gestaltet, als man es für ein Gebäude mit diesen Ausmaßen erwartet hätte.
Er drückte den Knopf für das oberste Stockwerk und eine Frauenstimme erklang: »Bitte bestätigen.«
Über einem weiteren Scanner erschien ein roter Pfeil. Der Weißhaarige verstand und hielt erneut seine Chipkarte davor. Die Farbe des Pfeils wechselte zu einem leuchtenden Grün, und die Stimme sagte: »Eingabe bestätigt.«
»Na, dann kann es ja endlich losgehen«, knurrte der Weißhaarige und lehnte sich an die verspiegelte Wand.
Die Fahrt dauerte nur wenige Sekunden, dann hatte der Lift sein Ziel erreicht. Ein leises »Pling« signalisierte dem Mann, dass er angekommen war.
Der Weißhaarige trat aus dem Fahrstuhl heraus und sah direkt auf eine gläserne Front, die ihm einen atemberaubenden Blick über die Stadt Patras gewährte. Aus dem zwanzigsten Stockwerk lohnte sich die Aussicht tatsächlich, und der strahlende Sonnenschein sorgte für eine entsprechend gute Sicht, auch wenn eine leichte Dunstglocke über der Stadt lag.
»Wenn Sie mir bitte folgen möchten.«
Der Weißhaarige schrak zusammen. Er hatte den schwarz gekleideten Mann gar nicht kommen gehört, und das beunruhigte ihn immens. Normalerweise war es keinem gewöhnlichen Sterblichen möglich, sich so lautlos an ihn heranzupirschen. Entweder verstand er etwas von seinem Fach oder aber …
Der Typ Marke Leibwächter ähnelte seinen vier Kameraden aus der Empfangshalle auf geradezu frappierende Art und Weise. Beinahe unheimlich, dachte der Weißhaarige. Als ob sie alle irgendwo hergestellt und geklont werden.
Er zuckte mit den Schultern und ergab sich zunächst in sein Schicksal. »Gerne, wenn Sie dann bitte vorweg gehen würden.«