John Sinclair 1962 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 1962 E-Book

Ian Rolf Hill

4,8
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Witternd hob der riesige Wolf den Kopf. Hoch aufgerichtet stand er im Schnee und betrachtete den weitläufigen Gebäudekomplex. Die restlichen Werwölfe duckten sich in einem ausgedehnten Halbkreis um das Alphatier herum.

Der Rudelführer konnte nur wenige Bewegungen an den Gebäuden ausmachen. Vereinzelt liefen Menschen draußen auf erhöhten Stegen entlang, das Bellen von Hunden drang an seine Ohren. Die Nacht war ideal für den Angriff, obwohl der Mond noch nicht seine volle Kraft entfaltete.

Da stieß der Anführer ein leises Heulen aus. Gerade einmal so laut, dass es die restlichen zwanzig Werwölfe hören konnten. Das Signal zum Angriff!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 154

Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
14
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Blutfehde der Bestien

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2687-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Blutfehde der Bestien

(1. Teil)

von Ian Rolf Hill

Witternd hob der riesige Wolf den Kopf. Hoch aufgerichtet stand er im Schnee und betrachtete den weitläufigen Gebäudekomplex. Die restlichen Werwölfe duckten sich in einem ausgedehnten Halbkreis um das Alphatier herum.

Der Rudelführer konnte nur wenige Bewegungen an den Gebäuden ausmachen. Vereinzelt liefen Menschen draußen auf erhöhten Stegen entlang, das Bellen von Hunden drang an seine Ohren. Die Nacht war ideal für den Angriff, obwohl der Mond noch nicht seine volle Kraft entfaltete.

Da stieß der Anführer ein leises Heulen aus. Gerade einmal so laut, dass es die restlichen zwanzig Werwölfe hören konnten. Das Signal zum Angriff!

Alexej Jerschow versah schon seit zehn Jahren seinen Dienst in der Polareule. So wurde das Hochsicherheitsgefängnis am Polarkreis, nahe der Kleinstadt Salechard, genannt. Eine aus Holz geschnitzte Eule unterstrich diesen Namen, auf den die Mitarbeiter stolz waren.

Für Alexej war die Arbeit als Gefängnisaufseher keineswegs eine Frage der Ehre. Der Job hier an der Grenze zwischen Tundra und Taiga war nicht nur sicher, sondern wurde auch gut bezahlt. Und obwohl Alexej nicht aus einer Art Ehrgefühl handelte, war es gut zu wissen, dass einige der schlimmsten Subjekte dank seiner Arbeit keine Gefahr für seine russischen Mitbürger mehr darstellten.

Fast die Hälfte der Insassen war zu lebenslanger Haft verurteilt, was in Russland wörtlich zu nehmen war. Ob der Rest noch einmal herauskommen oder zumindest verlegt werden würde, stand in den Sternen, die man in dieser klaren Vollmondnacht besonders gut sehen konnte.

Seine Partner Igor und Konstantin waren auf Patrouille, und Jurij schnarchte leise vor sich hin, sodass Alexej mit seinen Gedanken alleine war. So fragte er sich, ob es unter den Insassen der Polareule ein paar Männer gab, die jetzt ebenfalls nach draußen blickten und von der Freiheit träumten. Zugegeben, ein Traum, der beinahe an Selbstgeißelung grenzte und gewiss eine Portion Masochismus erforderte, doch es war Vollmond, und die Erfahrung sagte Alexej, dass viele Häftlinge dann besonders unter Schlaflosigkeit litten.

Alexej Jerschow war dreiunddreißig Jahre alt, sein Haar war ebenso dunkelblond wie sein dichter Schnauzbart. Er war Junggeselle und meldete sich häufig freiwillig für die Nachtschichten, die etwas besser bezahlt wurden als die Tagschicht.

Das zusätzliche Gehalt konnte er gut gebrauchen. Einen Teil seines Lohns legte er für seine Mutter in Labytnangi zur Seite. Mit ein Grund dafür, dass er den Job hier oben am Polarkreis angenommen hatte. Den Rest seines Geldes gab Alexej für sein Hobby aus: Modellbau. Und zweimal im Monat für eine Frau namens Tamara, die ihm das Bett wärmte und ihm Dinge zeigte, von denen er zwei Wochen lang träumte, bis er sich wieder mit der brünetten Schönheit treffen konnte.

Ein Geräusch riss Alexej aus seinen Gedanken und Jurij aus dem Schlaf. Es klang wie mehrere, schnell hintereinander ertönende Explosionen. Schüsse krachten. Alexejs jüngerer Kollege fluchte, während er selbst zu seiner Kalaschnikow griff und nach draußen stürmte.

Von der Wachzentrale aus erreichte man über eine Metalltreppe einen Steg, von dem aus man die fünf Sicherheitszäune überblicken konnte, die etwaige Flüchtlinge erst überwinden mussten, ehe sie sich mit der mörderischen Witterung Sibiriens auseinandersetzen konnten.

Aus dem Zellentrakt vernahm Alexej laute Schreie. Von den Zwingern wehte ihm das schmerzerfüllte Jaulen der Hunde entgegen. Irgendjemand oder Irgendetwas schien die Tiere bestialisch abzuschlachten.

Der Innenhof und die fünf Außenzäune wurden nicht nur in das silbrige Licht des Mondes getaucht, sondern auch von großen Scheinwerfern beleuchtet. In deren Schein sah Alexej Gestalten, die es nicht geben durfte. Aufrecht gehende Wölfe mit langen Armen und Pranken mit messerscharfen Krallen!

Alexej stockte der Atem, und Jurij, der neben ihm stehend dasselbe gesehen hatte, schrie entsetzt auf und brachte die Kalaschnikow in Anschlag.

Alexej schlug den Gewehrlauf nach unten. »Hör auf, Jurij!«, schrie er den jüngeren Mann an, der ihn mit schockgeweiteten Augen anstarrte. »Geh wieder in die Zentrale, und schlag Alarm. Wir werden angegriffen!«

Jurij rührte sich nicht, und plötzlich vernahmen sie die Schreie von Igor und Konstantin.

Alexej blickte über Jurijs Schulter, konnte aber nicht erkennen, was seinen Kameraden widerfuhr. Dafür richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Kollegen, der am ganzen Leib zu zittern begonnen hatte. Alexej, in dem die Angst emporstieg und ihn zu lähmen drohte, packte den Kameraden an den Aufschlägen seiner Jacke und schüttelte ihn.

»Jurij, verdammt«, brüllte er. »Hol Verstärkung!«

Er ließ den jüngeren Mann los und griff zu seiner Kalaschnikow, als er merkte, dass Jurij etwas hinter ihm anstarrte. Sein Mund zuckte, und er versuchte, etwas zu sagen, doch es kamen nur unartikulierte Laute heraus.

Alexej fuhr herum und ließ von Grauen gepackt das Gewehr fallen. Das aufrecht gehende Monster, das jetzt eine Armlänge vor ihm stand, weckte Urängste in dem Gefängniswärter. Weg, nur weg. Er warf sich herum.

Da krachte die Pranke des Monsters mit voller Wucht in seinen Rücken. Alexej wurde nach vorne geschleudert und im nächsten Moment nach hinten gerissen. Seine Blase entleerte sich, und Jurij starrte immer noch mit vor Angst geweiteten Augen auf seinen Kollegen.

Das Monster hielt Alexej mit einer Klaue fest, zerfetzte ihm mit der anderen die dicke Jacke und versenkte das mörderische Gebiss mit den vor Geifer glänzenden Zähnen in der Schulter des Unglücklichen.

Dann ließ die Bestie den vor Schock gelähmten Mann fallen und stieg über ihn hinweg auf Jurij zu. Der Werwolf packte ihn an der Kehle, hob ihn an und schnappte mit den Kiefern nach dem Ohr, das er fast beiläufig abriss.

Jurij kreischt und hielt sich die klaffende Wunde, doch das Monster kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern reckte den mächtigen Schädel hoch und witterte.

Es sah, wie zwei seiner Artgenossen an den Wachtürmen emporkletterten wie Katzen und die Türen und Fenster zerschlugen, als bestünden sie aus Papier. Dann verschwanden sie im Inneren, und wenige Sekunden später, nachdem noch ein, zwei Schüsse gefallen waren, spritzte das Blut der Opfer gegen die restlichen, noch unversehrten Scheiben.

***

Der Werwolf warf den Kopf in den Nacken und heulte triumphierend. Dies war seine Nacht. Er senkte den Schädel wieder und sah, wie sein Artgenosse aus den Zwingern kam. Sein Maul war blutverschmiert. In einer Pranke hielt er noch die Hälfte eines Hundekadavers.

Iwan wusste um den Jähzorn seines Kameraden und wie schlecht er seine Triebe unter Kontrolle hatte. Deshalb war ihm die Aufgabe zuteil geworden, die Wachhunde zu zerreißen. Mit denen konnten sie ohnehin nichts anfangen.

Morgana wäre vielleicht in der Lage gewesen, sie zu kontrollieren. Doch bald würde es so viele von ihrer Art geben, dass sie nicht auf die Hilfe von gewöhnlichen, domestizierten Hunden angewiesen wären.

Auch in die Bereitschaftsbaracke waren sie eingedrungen. Die Insassen aber hatten sie weitestgehend in Ruhe gelassen, denn in die einzelnen Zellen einzudringen war selbst für einen Werwolf nicht gerade leicht und kostete Zeit.

Viele Wärter waren verletzt, einige von ihnen schwer, doch getötet worden war bisher niemand, denn das entsprach nicht den Plänen von Morgana Layton und Fenris, dem Götterwolf.

Ihre Werwolf-Armee benötigte Nachschub, und auch wenn die Wachmänner der Polareule sich nicht freiwillig für ein Dasein als Werwolf entschieden hatten, waren Iwan und Morgana zuversichtlich, dass sie sich ihnen anschließen würden. Die Herrin konnte sehr überzeugend sein. Nur wenige der Verletzten sollten zurückbleiben, man würde sie am nächsten Tag finden und ärztlich versorgen.

Doch spätestens in der übernächsten Nacht, wenn Vollmond war, würde der Keim, der heute Nacht gesät worden war, sich entfalten. Die Verletzten würden sich verwandeln und ihrerseits über Kollegen und Häftlinge herfallen. Und dann hätte Fenris sogar noch einige Schläfer in der Hinterhand.

Iwan war zufrieden, und seine Herrin Morgana würde es ebenfalls sein. Und so gab er das Signal zum Rückzug.

***

Panja lächelte ihrem Mann zu und stellte den Teller mit den herrlich duftenden Blintschiki vor ihm auf den Tisch. Michail lief das Wasser im Munde zusammen. Er rückte mit dem Stuhl näher an den Tisch, hob den Blick, um seiner geliebten Frau für das Mahl zu danken. Doch dazu kam er nicht mehr. Panjas Lächeln gefror auf ihren Lippen, während sie dem Blick ihres Mannes begegnete. Sie richtete ihren Oberkörper auf und erstarrte regelrecht zur Salzsäule.

Ein großer, bedrohlicher Schatten erschien hinter ihr, ein kräftiger Arm mit dunkler, borstig bewachsener Haut und einer Pranke an seinem Ende, erschien in Michails Blickfeld. Und noch ehe er überhaupt reagieren konnte, fuhr sie mit einer lächerlich beiläufigen Bewegung über Panjas Hals.

Die Kehle öffnete sich klaffend wie ein grinsender Mund, der ihn verhöhnen wollte. Einen Lidschlag später schoss das Blut in einer schwallartigen Kaskade heraus, überschwemmte Michail Chirianow, der immer noch stocksteif auf seinem Stuhl saß und keinen Finger rühren konnte.

Panjas Kopf kippte zur Seite, zersprang auf dem harten Holzfußboden wie Porzellan. Das Ungeheuer hinter ihr richtete sich auf, und Michail sah – das zarte Antlitz von Margarete. Sie grinste ihn mit blutigen Zähnen an, Zähnen die nicht mehr menschlich waren, sondern den grausamen Hauern von Wölfen glichen.

»Komm mit mir, Michail«, rief sie lockend. »Du bist jetzt einer von uns.«

Er wollte protestieren, den Kopf schütteln und den Tisch mit den blutbesudelten Blinis von sich stoßen, doch nicht einmal ein profanes »Njet« kam über seine Lippen.

Dafür hob er langsam seine Hände und sah, wie sie sich verformten, wie spitze Krallen aus den Nagelbetten sprossen und seine eigenen Nägel wie die Schuppen eines Fisches zu Boden rieselten. Haare wuchsen in Sekundenschnelle aus den Poren, verdichteten sich zu einem Fell, und mit wachsendem Entsetzen registrierte Michail das Ziehen und Zerren in seinem Gesicht, das nicht einmal unangenehm war. Er spürte, wie sich die Knochen seiner Kiefer nach vorne schoben, wie die Reißzähne sein stumpfes, menschliches Gebiss aus dem Zahnfleisch drückten.

Margarete, halb Monster, halb Mensch, kam mit den ausgebreiteten Armen eines Gorillas auf ihn zu, drückte ihn kraftvoll an ihre schlaffen, ledrigen Brüste.

Michail riss seine Wolfsschnauze auf, brüllte und schrie wie ein kleines Kind, das er plötzlich wieder war und das aus lauter Angst vor den Wölfen und Bären zu Mama flüchtete.

Tatsächlich sah er seine Eltern nebeneinander stehen und ihm zuwinken, als er sich von Margarete abwandte, doch auch seine Eltern verwandelten sich zu Monstern, wurden zu Werwölfen, die ihm die Arme entgegenstreckten und ein schauriges Heulen ausstießen.

Michail schrie erneut auf. Diesmal lauter und anhaltender. Er schrie auch noch, als er mitten in der Nacht erwachte. Wie ein Klappmesser fuhr er auf der schmalen Pritsche empor. Die derbe Bettdecke rutschte von seinem zitternden Leib. Das Unterhemd klebte klatschnass vom Schweiß an seinem Oberkörper. Michail Chirianow benötigte einige Sekunden, um sich zu orientieren und überhaupt zu realisieren, dass er geträumt hatte.

Nur ein Traum, und doch wusste er, dass nicht alles seiner überreizten Fantasie entsprungen war. Seine erste Frau Panja war tatsächlich den Bestien zum Opfer gefallen. Wenn auch nicht dem Monster, das seine zweite Frau Margarete in Wirklichkeit gewesen war.

Er hatte beide geliebt und beide verloren. Dabei hatte ihm gerade Margarete geholfen, den Verlust von Panja zu überwinden, sich nicht in dem übermächtigen Wunsch nach Rache zu verlieren und bis an sein Lebensende in allen Winkeln der Erde nach den Vollmondbestien zu suchen.

Doch Margarete hatte ihn benutzt und belogen. Sie war selbst ein Ungeheuer gewesen, das noch scheußlicher und grausamer war als die Werwölfe. Und seit jener schicksalhaften Nacht vor einigen Monaten, als er von einer Werwölfin namens Morgana Layton entführt worden war und Margarete in der Schmiede in Salechard ihr wahres Gesicht gezeigt hatte, plagten ihn die Albträume.1) Hatte er überhaupt eine Nacht mal durchgeschlafen?

Er zitterte noch am ganzen Leib, als er die Beine von dem Feldbett schwang und nach der Wodkaflasche auf dem Nachttisch griff. Ohne den Alkohol hätte er wohl gar keinen Schlaf mehr gefunden und deshalb tolerierten seine Entführer auch den selbstgebrannten Kartoffelschnaps, solange Michail weiterhin seine Pflicht erfüllte.

Er schraubte den Deckel von der Flasche und setzte die Öffnung an die Lippen. Auf ein Glas verzichtete er. Der Wodka war klar und rein, ohne das geringste Brennen floss er die Kehle hinunter und verbreitete erst im Magen seine wohltuende Wärme.

Michail hätte gerne mehr getrunken, trotzdem setzte er nach dem dritten Schluck die Flasche ab, schraubte sie zu und stellte sie wieder auf das Nachtschränkchen zurück. Er wollte ja nur seine Nerven beruhigen und sich nicht bis zur Besinnungslosigkeit besaufen.

Anfangs hatte er noch Hoffnung auf Flucht gehegt, doch nach dem Kampf des Monsters, das einmal seine Frau Margarete gewesen war, gegen Morgana Layton und Fenris war den Werwölfen ihr Stützpunkt in der Kfz-Werkstatt von Salechard nicht mehr sicher genug gewesen. Wer wusste denn schon, was Margarete in ihrer Gefangenschaft an ihre Verbündeten weitergegeben hatte? Als Dämonin hatte sie sicherlich andere Mittel der Informationsübermittlung gehabt.

Soviel Michail Chirianow wusste, ging es um einen Kampf zweier verschiedener Werwolf-Arten. Da waren zum einen die Werwölfe, wie er sie kannte und jahrelang gejagt hatte. Die Bestien, die sich bei Vollmond verwandelten, obwohl es auch unter ihnen Exemplare zu geben schien, die nicht auf den Mondzyklus direkt angewiesen waren. Wichtig war jedoch, dass diese Werwölfe sich nur relativ langsam und unter großen Schmerzen verwandeln konnten, dafür waren sie in der Lage, sich durch einen einfachen Biss zu vermehren. Ihre Anführerin Morgana Layton konnte sogar den Keim der Bestie mittels Geschlechtsverkehr weitergeben. Es lief also mehr oder weniger auf den einfachen Tausch von Körperflüssigkeiten hinaus.

Diese Art der Werwölfe diente und folgte dem Götterwolf Fenris.

Dagegen standen die anderen Werwölfe, die dem Dämon Lykaon huldigten, der einst selbst Anspruch auf den Thron des Götterwolfs erhoben hatte, von Fenris aber bezwungen und gebannt worden war, ehe Luzifer ihm eine menschliche Identität als König von Arkadien gegeben hatte und somit die magischen Fesseln hatte lösen können.

Doch das dunkle Erbe war irgendwann wieder durchgebrochen, und als Lykaon schließlich dem Göttervater Zeus das Fleisch von Menschen serviert hatte, hatte dieser die dunkle Seite des Wolfsdämons wieder an die Oberfläche gezerrt. Und abermals hatte Lykaon Fenris herausgefordert, der jedoch auch dieses Mal siegreich gewesen war.

Trotzdem blieben die anderen Werwölfe ihrem König treu ergeben. Und sie konnten sich, im Gegensatz zu Fenris’ Untertanen, blitzschnell, binnen eines Lidschlags verwandeln. Nur vermehren mussten sie sich auf die herkömmliche Weise, was natürlich Zeit in Anspruch nahm.

Gemeinsam hatten beide Arten lediglich ihre Verwundbarkeit durch Silber. Und ausgerechnet solche Kugeln sollte Michail für seine Entführer herstellen.

Werwölfe, die mit Silberkugeln Jagd auf ihresgleichen machten! Vollkommener Irrsinn.

Doch Michail Chirianow, der Werwolf-Jäger, hatte sich in sein Schicksal gefügt. Zunächst unter dem Druck, dass auch seine Frau Margarete in der Gewalt von Morgana Layton und ihren Bestien war, später dann in der Hoffnung, die Waffen gegen seine Entführer einsetzen zu können. Nachdem er nun auch seine zweite Frau verloren hatte, gab es für ihn nur noch die Rache.

Wohin sollte er auch zurück? Nach Labytnangi, wo er jahrelang mit Margarete gewohnt und sogar eine Anstellung an der russischen Akademie der Wissenschaften erhalten hatte? Auf keinen Fall! Dieses Leben war vorbei, endgültig.

Mit Sicherheit galten er und Margarete längst als vermisst, wenn sie nicht sogar schon für tot erklärt worden waren.

Nein, selbst wenn er gewollt hätte, sein Schicksal war vorherbestimmt. Er würde sein Leben dem Kampf gegen die Werwölfe widmen. Die Jahre des Müßiggangs und des bürgerlichen Lebens waren vorüber und nicht mehr als eine Lüge gewesen. Jetzt galt es, nach vorne zu blicken.

Morgana Layton hatte für sich und ihre neu gegründete Werwolf-Elite ein neues Versteck gefunden. Immer noch in relativer Nähe zu Salechard und Labytnangi, denn sie beabsichtigte keineswegs, vor ihren Gegnern Reißaus zu nehmen. Sollte Margarete ihren Verbündeten den Standort des Feindes mitgeteilt haben, würden sie erscheinen, und dann könnten Morgana Layton und Fenris ihren Gegnern eine empfindliche Niederlage bereiten. Sie hatten sich weiter auf die Halbinsel Jamal zurückgezogen und dort eine stillgelegte Forschungsstation in Besitz genommen.

So reich Mütterchen Russland an Land und Bodenschätzen war, so sehr mangelte es Väterchen Staat an Geld, und das wurde sicherlich nicht für die Wissenschaft verpulvert, sofern sie nicht militärischen Zwecken diente.

Für Morgana und ihre Gefährten war das natürlich ideal, denn so mussten sie keine Wissenschaftler töten oder zu ihresgleichen machen, deren Verschwinden unnötiges Aufsehen erregte.

Michail Chirianow konnte sich in dem Komplex frei bewegen. Wo hätte er auch hingehen sollen? Bis zur nächsten Siedlung waren es über fünfzig Kilometer durch die sibirische Tundra, und die Temperaturen draußen lagen im zweistelligen Bereich unter Null. Michail wandte auf dem Bett sitzend den Kopf und sah aus dem Fenster, in die sternenklare Nacht hinaus.

Groß und rund stand der Mond am Firmament und tauchte die Landschaft in ein silbriges, fahles Licht. Der erste Schnee war bereits wieder gefallen und bedeckte die Erde wie ein übergroßes Leichentuch, unter dem schon so viele Menschen begraben lagen. Unter anderem auch die Familie des Nenzen Ilja, der Michail vor einiger Zeit erneut auf die Bestien aufmerksam gemacht hatte.

Die kleine Kammer, in der der Werwolf-Jäger hauste, war erfüllt von einer bulligen Wärme, die von einem kleinen Ofen ausging, der in der Ecke stand.

Michail hatte kein weiteres Holz nachgelegt, bevor er zu Bett gegangen war. Trotzdem glommen noch die Reste der letzten Scheite in ihrer Asche. So brauchte der hochgewachsene Russe gar nicht erst auf die Uhr zu sehen, um zu wissen, dass er nicht länger als zwei Stunden geschlafen haben konnte.

Um das Feuer zu schüren, legte er ein neues, großes Fichtenscheit nach. Das würde der Glut neue Nahrung geben und so verhindern, dass die Temperaturen in der Kammer zu stark absanken.

Michail aber wollte sich in der Anlage umsehen, in der eine bedrückende Stille herrschte. Morgana Layton hatte ihre Werwölfe, angeführt von ihrem Vertrauten Iwan, ausgeschickt, um neue Bestien zu rekrutieren. Gegen deren Willen natürlich, denn welcher Mensch wollte schon freiwillig als blutgierige Bestie umherlaufen?

Michail jedenfalls nicht. Aus diesem Grund hatte er sich auch ein scharf geschliffenes Messer aus der Küche gestohlen, das immer unter seiner Matratze lag, und das er jetzt in den Ärmel des Pullovers schob, nachdem er sich angezogen hatte. Er würde sich lieber selbst die Kehle durchschneiden, als zum Werwolf zu werden.

Doch würde er sich überhaupt noch selbst töten können, wenn er erst einmal gebissen war? Wann war der Werwolf gegen gewöhnliche Waffen immun? Nur wenn er als Bestie unterwegs war oder auch in menschlicher Gestalt? Und griff diese Art der Unverwundbarkeit sofort nach dem Biss, oder musste er sich erst einmal verwandelt haben?

Fragen, auf die selbst der erfahrene Werwolf-Jäger keine Antwort wusste, denn meistens hatte er mit den Bestien nur in ihrer Wolfsgestalt unmittelbaren Kontakt gehabt.