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Der Ausgestoßene war hungrig. Seit Tagen hatte er nichts mehr zu fressen bekommen, und das Verlangen nach Nahrung brannte trotz der Kälte wie Feuer in seinen Eingeweiden.
Einst war er ein König gewesen. Der uneingeschränkte Herrscher über sein Rudel. Jetzt war er ein Gefallener. Abgelöst von einem jüngeren, kräftigeren Leitwolf.
Seitdem war jeder Tag ein neuer Kampf ums Überleben. Und gerade jetzt, in der Zeit der Kälte, die von blendender, erstickender Helligkeit begleitet wurde, fand er kaum noch etwas Nahrhaftes.
Doch heute hatte er Glück. Zwischen einigen Nadelbäumen kauerte ein regloses Bündel Fleisch. Ein Opfer von Frost und Kälte, trotz des sperrigen Fells, das seinen Leib umgab.
Der Ausgestoßene fletschte die Zähne und knurrte in freudiger Erwartung ...
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Seitenzahl: 144
Cover
Impressum
Der Stamm der Berserker
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Timo Wuerz
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2688-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Stamm der Berserker
(Teil 2)
von Ian Rolf Hill
Der Ausgestoßene war hungrig. Seit Tagen hatte er nichts mehr zu fressen bekommen, und das Verlangen nach Nahrung brannte trotz der Kälte wie Feuer in seinen Eingeweiden.
Einst war er ein König gewesen. Der uneingeschränkte Herrscher über sein Rudel. Jetzt war er ein Gefallener. Abgelöst von einem jüngeren, kräftigeren Leitwolf.
Seitdem war jeder Tag ein neuer Kampf ums Überleben. Und gerade jetzt, in der Zeit der Kälte, die von blendender, erstickender Helligkeit begleitet wurde, fand er kaum noch etwas Nahrhaftes.
Doch heute hatte er Glück. Zwischen einigen Nadelbäumen kauerte ein regloses Bündel Fleisch. Ein Opfer von Frost und Kälte, trotz des sperrigen Fells, das seinen Leib umgab.
Der Ausgestoßene fletschte die Zähne und knurrte in freudiger Erwartung …
Geduckt näherte sich der alte Wolf seinem Opfer, das sich immer noch nicht rührte. Es handelte sich um einen jener sonderbaren Zweibeiner, um die seine Art im Normalfall einen großen Bogen machte.
Waren die Winter jedoch hart und entbehrungsreich, so wurde die angeborene Scheu nicht selten überwunden. Wenn die Zweibeiner allein und ohne Deckung waren wie dieser hier, stellten sie keine große Herausforderung dar. Und jene Wölfe, die wie er alleine jagen mussten, konnten sich ihre Beute ohnehin nicht aussuchen.
Doch auch wenn sich das Opfer hier nicht regte, war Vorsicht geboten. Diese Wesen waren heimtückisch und unberechenbar.
Nachdem der alte Wolf sich jedoch bis auf wenige Meter genähert hatte, war er sich sicher, dass von diesem Menschen keine Gefahr ausging. Halb sitzend, halb liegend, ruhte sein Körper am Stamm einer kümmerlichen Fichte, die nicht ansatzweise die stattlichen Dimensionen ihrer Verwandten weiter südlich erreichte.
Der Kopf des Mannes war zur Seite gesackt, die Lippen blau verfärbt. Vielleicht war er sogar schon tot. Doch selbst wenn dem so war, der alte Wolf würde das Fleisch nicht verschmähen. Diesen Luxus konnte er sich nicht mehr leisten, seit er von seinem Nachfolger besiegt und fortgejagt worden war.
Das Maul des Tieres stand offen. Der heiße Atem bildete in der kalten Luft Wolken vor der Schnauze, aus der warmer Geifer lief.
Obwohl er sich bemühte, seine dick bepelzten Pfoten leise auf den verharschten Schnee zu setzen, brach er immer wieder durch die leicht vereiste Oberschicht. Es knirschte, doch das schien das Opfer gar nicht mehr wahrzunehmen.
Der alte Wolf blieb stehen und reckte den breiten Schädel auf seinem muskulösen Hals weit nach vorne. Er zog die Lefzen hoch und witterte. War da nicht ein kleiner Atemhauch vor der Nase des Zweibeiners zu sehen?
Der Wolf duckte sich. Er würde die Sache mit einem Sprung und einem schnellen Biss beenden. Egal ob tot oder lebendig. Heute würde er sich den Magen vollschlagen.
Die immer noch kräftigen Hinterläufe knickten für einen kurzen Augenblick ein, wollten den schweren Leib des Tundrawolfs nach vorne katapultieren, als Bewegung in das vermeintliche Opfer kam.
Sein Arm, an dessen Ende etwas Dunkles zu sehen war, schoss nach vorne. Der alte Wolf wurde von einem harten Schlag getroffen und ein lauter Knall wetterte über die verschneite, einsame Landschaft. Schnee rieselte von den Ästen des Baumes, unter dem das Opfer gewartet hatte.
Doch nicht der Zweibeiner war es, der heute zur Beute wurde. Es war der Ausgestoßene, der das Ende seines Lebenswegs erreicht hatte. Er hatte ein erfülltes und stolzes Dasein geführt und viele Nachkommen gezeugt. Doch mit dem zweiten Knall erlosch seine Existenz von einem Augenblick zum anderen.
Das Geschoss schlug genau zwischen seinen hellen Augen ein, in denen sich zuletzt die Gestalt seines Henkers spiegelte.
***
Mit einem erleichterten Seufzen ließ Suko die Hand mit der schweren Glock sinken, die zentnerschwer zu sein schien. Was er nicht zu glauben gewagt hatte, war eingetreten.
Er hatte bereits mit dem Leben abgeschlossen und sich unter den verkrüppelten Fichten einen Platz zum Sterben gesucht, als er am Horizont den Schatten des Wolfs gesehen hatte. Ein Einzelgänger, der vermutlich die Nähe einer menschlichen Siedlung suchte, in der Hoffnung dort leichter etwas zu Fressen zu finden.
Dann war das Tier auf Suko aufmerksam geworden, hatte seine Witterung aufgenommen, und der Inspektor, der schon seit Stunden zwischen den Bäumen gekauert und lediglich seine Extremitäten bewegt hatte, um den Kreislauf in Schwung zu halten, war zu völliger Regungslosigkeit erstarrt.
Dies war vielleicht die einzige Chance, seinem Schicksal doch noch ein Schnippchen zu schlagen, hatte er sich klargemacht. Doch dazu durfte er keinen Fehler begehen. Wenn er es vermasselte, war er verloren.
Aber Suko hatte es nicht vermasselt und es geschafft, den alten Tundrawolf mit zwei Kugeln aus der Glock zu töten. Es kümmerte den Inspektor nicht, dass es Geschosse aus geweihtem Silber waren, mit freundlicher Genehmigung der Weißen Macht, des Geheimdienstes des Vatikans, der ihn und John in Russland mit den entsprechenden Waffen zur Werwolfjagd ausgerüstet hatte.
Doch wenn er hier und heute starb, nutzten ihm auch Silberkugeln nichts mehr. Und so hätte Suko das ganze Magazin in die Luft verballert, wenn er dadurch gerettet worden wäre. Oder zumindest eine Heizdecke mit Stromanschluss bekommen würde. Er würde sogar eine Kanne heißen Grogs trinken, obwohl Alkohol ansonsten nicht gerade sein Ding war.
»Was gibt’s da zu lachen, Freundchen?«, knurrte Suko leise, als er auf den toten Wolf herabblickte, dessen Lefzen sich im Tod über das Gebiss nach oben geschoben hatten, sodass es tatsächlich so aussah, als ob das Tier grinsen würde.
»Na, warte, Freundchen. Dir werde ich jetzt das Fell über die Ohren ziehen!«
Das war alles andere als ein leeres Versprechen, denn Suko hatte das Tier nur in zweiter Linie zum Selbstschutz erlegt. Er brauchte Wärme und vor allem Nahrung, die sein Körper in Energie umwandeln konnte.
Und so machte er sich ans Werk, auch wenn seine Muskeln längst nicht mehr so wollten wie er. Nichtsdestotrotz war sich der Inspektor im Klaren darüber, dass dieser Sieg nur ein Aufschub des Unvermeidlichen war.
Der Tod konnte warten, und auch wenn Suko sich durch das Fleisch und Blut des Wolfs ein wenig Zeit erkauft hatte, würde der Schnitter schon in Kürze seine Ernte einfahren können.
***
Die Formel war mir glatt und sicher über die Lippen gekommen. Sie war mir mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen, und selbst wenn man mich aus tiefstem Schlaf wecken würde, könnte ich sie vorwärts, rückwärts und seitwärts aufsagen.
Mir war keine andere Möglichkeit mehr geblieben, als zum letzten Mittel zu greifen, auch wenn es Morgana Layton und ihre Werwölfe gleichermaßen das Leben kosten würde.
Doch bei ihnen handelte es sich um gefährliche Werwölfe, die Leid und Tod über die Menschen brachten. Aber ich hatte als Sohn des Lichts die Verantwortung, menschliches Leben zu schützen. Obwohl Morgana Layton mir und Suko in Todenham das Leben gerettet hatte, konnte ich jetzt keine Rücksicht mehr darauf nehmen. Denn wenn ich zögerte, konnten Karina oder Michail in den nächsten Sekunden bereits von einem der giftigen Dornen des Mantikors dahingerafft werden. So sah ich mich gezwungen, das Kreuz zu aktiveren.
Und mein Talisman ließ mich nicht im Stich. Kurzzeitig zuckte ich reflexartig zusammen, denn in den letzten Wochen und Monaten hatte ich leider immer wieder erlebt, dass mein Kreuz in bestimmten Situationen versagte und seine Kraft auf mich zurückgeschleudert wurde. Mittlerweile wusste ich, dass dies mit diesem »Täufer« zusammenhing, dem geheimnisvollen Mönch, der offenbar in der Lage war, Dämonen durch eine Art Taufe gegen mein Kreuz zu immunisieren. So hatte es zumindest mein Freund Bill Conolly beobachtet.1)
Jetzt aber reagierte das Kreuz so, wie ich es erwartet und mir auch erhofft hatte. Von einem Augenblick zum anderen explodierte es förmlich in meiner Hand. Ich kannte es schon, dieses grelle, strahlende Licht, das dennoch nicht in den Augen schmerzte und mich auch nicht blendete. Ich kam mir vor, als ob ich in einem Kokon aus Licht stünde, in dem ich keinen Schmerz und kein Leid verspürte. Selbst die eisige Kälte wurde von mir ferngehalten. Und das Licht breitete sich natürlich auch rasend schnell in alle Himmelsrichtungen aus.
Es erfasste die Forschungsstation und das umliegende Gelände, so wie natürlich auch das dunkle Himmelszelt. Wie musste dieser Anblick erst aus der Luft aussehen?
Ich konzentrierte mich auf das Geschehen vor mir und sah den Mantikor und die Werwölfe überscharf in dem grellen Licht. Wie dreidimensionale Scherenschnitte vor einer weißen Leinwand.
Die Werwölfe, die wie die Kletten an dem Ungeheuer klebten, fielen als nackte Männerleichen von dem Monster ab. Der Anblick erinnerte mich an überreife Früchte, die von einem Baum abfielen.
Der Mantikor stieß ein letztes trompetenhaftes Brüllen aus, dann setzte die Vernichtung ein. Die Magie des Kreuzes merzte das Böse radikal und erbarmungslos aus. Da der Mantikor aus geballter schwarzmagischer Energie bestand, war sein Ende vorprogrammiert. Das zottelige Fell schmorte zusammen, ohne die geringste Rauchentwicklung.
Die Haifischzähne rieselten als graue Asche aus dem aufgerissenen Schlund, in den das Licht eindrang. Schließlich zerfiel der Mantikor von innen heraus. Das Licht schien ihn regelrecht ausgetrocknet und versteinert zu haben.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, doch irgendwann zog sich das Licht wieder in sein Zentrum zurück. Das war natürlich mein Kreuz, das ich immer noch hoch erhoben in der linken Faust hielt.
Sofort überfielen mich wieder die eisigen Temperaturen der sibirischen Nacht. Ich kam mir vor wie unter einer kalten Dusche stehend, nur dass ich wenigstens nicht nass wurde. Dabei fiel mir auf, dass sich auch der Sturm gelegt hatte. Ein weiterer Beweis dafür, dass es die Harpyie gewesen sein musste, die ihn verursacht hatte. Ich sah mich um, ob ich die Reste der Sturmdämonin irgendwo im Schnee entdeckte. Aber ich fand nichts.
Nur Karina richtete sich schräg hinter mir auf und blickte mich aus großen Augen unsicher an. Dabei bemerkte ich, dass auch Michail Chirianow verschwunden war. Ebenso wie Morgana Layton. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das aktivierte Kreuz sie rückstandslos vernichtet hatte. Auch wenn sie nicht als herkömmliche Werwölfin angesehen werden konnte.
Dafür sah ich den Mantikor vor uns im Schnee stehen wie eine Skulptur aus brüchigem, schwarzgrauem Sand errichtet. Die Magie des Kreuzes hatte das Ungeheuer ausgetrocknet und zerstört. Der Leib wies zahlreiche Risse auf.
Ohne uns abzusprechen stapften wir auf das Ungeheuer zu. Die Leichen der Männer, die einst Werwölfe gewesen waren, beachteten wir dabei kaum.
Dicht vor dem gewaltigen Schädel des Monsters, der doppelt so groß war wie meiner, blieben Karina und ich stehen.
Mit dem dicken Winterstiefel stieß ich gegen das Vorderbein des Mantikors, das unter dem Druck sofort auseinanderbrach. Dadurch sackte der gesamte Oberkörper des Ungeheuers nach vorne. und es dauerte nur wenige Sekunden, da brach die Gestalt komplett in sich zusammen.
Ein Haufen Asche und Staub war alles, was von dem mächtigen Mantikor zurückgeblieben war.
»Das war es dann wohl«, bemerkte Karina trocken.
Es war der erste Kommentar, den sie abgab, und ich nickte.
»Ebenso wie es das mit unserem Trekol war.« Dabei deutete ich mit dem ausgestreckten Zeigefinger nach vorne. Kreuz und Glock hatte ich längst wieder eingesteckt.
Unser russischer Geländewagen, der auf drei Achsen und sechs gewaltigen Niederdruckreifen gefahren war, war nur noch ein Haufen Schrott. Wieder machten wir uns gemeinsam auf den Weg, um uns die Bescherung aus der Nähe anzusehen.
Der Mantikor hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Die Fieberglaskarosserie hatte der brachialen Gewalt nicht standhalten können und war nur noch ein verbogenes und gesplittertes Wrack, aus dem wir nicht einmal unser eigenes Hab und Gut bergen konnten. Damit war auch das technische Equipment der beiden russischen Agenten, die meiner Freundin an die Seite gestellt worden waren, verloren.
»Da ist nichts zu machen, John. Komm, lass uns zurück in die Station gehen. Da können wir uns aufwärmen.«
»Recht hast du«, sagte ich und wandte mich ab.
Seite an Seite gingen wir zurück zu dem flachen Gebäudekomplex. Um die Leichen würden wir uns später kümmern.
Mittlerweile war die Dämmerung in die Nacht übergangen und belohnte uns mit einem atemberaubenden Sternenhimmel, in dem der volle Mond wie eine große, runde Laterne leuchtete.
Ein solcher Anblick war in einer Stadt wie London undenkbar. Die Schicht aus Abgasen und Feinstoffpartikeln ließ nur noch das Licht der hellsten und größten Sterne hindurch. Wie viele es eigentlich dort draußen gab, erkannte ich erst jetzt, und unwillkürlich blieb ich stehen. Einmal mehr wurde ich mir der Winzigkeit der Erde und unserer eigenen Existenz innerhalb des Kosmos bewusst.
Einerseits fühlte ich mich dadurch irgendwie bedrückt, andererseits aber auch erleichtert. Es war immer wieder wichtig, sich seines Platzes im Universum bewusst zu werden und die eigene Bedeutung nicht überzubewerten. Das galt natürlich auch für einen Geisterjäger.
Karina war neben mir stehen geblieben, und ich fühlte, wie sie nach meiner Hand griff. Dann musste ich an Suko denken und natürlich auch an Michail Chirianow.
Gerade nach ihm erkundigte ich mich bei meiner russischen Partnerin.
Karina hob die Schultern. »Es ging alles so wahnsinnig schnell. Du hast das Kreuz herausgeholt, und diese Morgana ist vollkommen durchgedreht. Ich dachte schon, sie würde Michail zerreißen. Auch er war offenbar vollkommen überrumpelt. Und noch bevor du die Formel rufen konntest oder zumindest bevor du sie komplett ausgesprochen hattest, war da dieses andere Licht.«
»Anderes Licht?«, fragte ich verblüfft, weil ich davon gar nichts mitbekommen hatte.
Karina nickte heftig. »Ja, ja. Du konntest es nicht sehen, weil es ja schräg hinter dir erschienen ist. Nur wenige Sekunden, bevor dein Kreuz so hell erstrahlt ist. Du sahst aus, als ob du in dem Licht gebadet hättest. Wie ein Engel.«
Das sagte sie ohne die geringste Verklärung oder Ergriffenheit. Sachlich und nüchtern, sodass ich lediglich beide Augenbrauen hob, was Karina wiederum zum Lachen animierte. Ein Laut, der mir in dieser Totenstille unheimlich guttat.
»Das Licht, das Morgana und Michail erfasst hat, war anders. Irgendwie kälter. Wie … wie …«
»… das Licht des Mondes?«, half ich ihr aus.
»Ja, genau!«, rief Karina. »Es war das Licht des Mondes, und es wirkte auch sonderbar flach und zweidimensional. Morgana und Michail verschwanden, und ich sah noch den Umriss eines gewaltigen schwarzen Wolfes.«
»Fenris, der Götterwolf«, bemerkte ich, und ich wusste, was geschehen war.
Fenris hatte Morgana vor dem Licht des Kreuzes gerettet. Und die Wölfin wiederum hatte Michail mitgenommen, wollte den Werwolfjäger einfach nicht aus ihren Krallen lassen.
»Wenn du es sagst. Hast du das bereits öfter erlebt?«
»Kann man wohl sagen. So oder ähnlich. Zumindest sind mir das Licht und die Silhouette des Götterwolfs bestens bekannt. Offenbar scheint Morgana aber an Michail Chirianow einen Narren gefressen zu haben. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie ihn nur deshalb so dermaßen eng an sich bindet und gefangen hält, weil er den Nachschub an Silberkugeln gewährleistet. Das könnten zur Not auch andere machen.«
Karina nickte. »Möglich. Jetzt brauche ich aber was Warmes zu trinken, und außerdem habe ich Hunger.«
Da hatte Karina ein wahres Wort gesprochen, denn auch ich fühlte den Hunger in meinen Eingeweiden nagen.
Die Tür stand noch offen, und wir betraten den Gemeinschaftsraum der Forschungsstation. Wir verschlossen die Tür sorgfältig hinter uns und schürten das Feuer in den beiden Kanonenöfen. Wenig später war es bereits wieder so warm, dass wir unsere Jacken ausziehen konnten.
Bevor wir uns zum Essen niederließen, wollten wir die Station durchsuchen, um sicherzugehen, dass keine unliebsamen Überraschungen auf uns warteten. Doch die Räume waren menschenleer. Auch Werwölfe lauerten nicht mehr auf uns. Dafür fanden wir eine kleine Kammer, in der man wohl Michail gefangen gehalten hatte, sofern er nicht in der Werkstatt hatte arbeiten müssen, die wir ebenfalls entdeckten. Dort stand auch der große Waffenschrank, dessen Türen immer noch offen standen.
Karinas Augen begannen zu leuchten. Ich musste ebenfalls lächeln, denn für einen Geisterjäger war der Vorrat an Silberkugeln, den uns Michail und Morgana Layton hinterlassen hatten, ein wahres El Dorado.
Insbesondere Karina nutzte die Gelegenheit, sich wieder ordentlich einzudecken. Aber auch ich nahm die Chance war, mich mit Ersatzmagazinen zu versorgen. Glücklicherweise hatte Michail auch Projektile für Faustfeuerwaffen hergestellt, unter anderem eben auch für eine Glock. Immerhin hatte die zuverlässige Pistole längst ihren globalen Siegeszug angetreten und wurde zumindest von meinen Kollegen in England, unseren Streitkräften und auch Geheimdiensten verwendet.
Wir fanden auch entsprechende Taschen, in denen wir die Ersatzwaffen und -magazine verstauen konnten. Obwohl wir beide keinen gesteigerten Wert darauf legten, nahmen wir uns auch jeder eine Kalaschnikow mit zwei Reservemagazinen mit. Wer wusste schon, was noch auf uns wartete? Andererseits war der Fall doch mehr oder weniger abgeschlossen oder etwa nicht?
Die Werwölfe waren vernichtet oder verschwunden. Ebenso wie der Mantikor und die Harpyie. Morgana Layton hatte ebenfalls die Kurve gekratzt und Michail mitgenommen.
Sukos Schicksal indes war vollkommen ungewiss, und ich würde nicht eher ruhen, bis ich wusste, was aus meinem Partner geworden war.
Was sollte ich Shao sagen, wenn ich nicht einmal Sukos Leiche gesehen hatte? Als ich daran dachte, kramte ich mein Handy heraus, das ich auf lautlos gestellt hatte. Ich sah mehrere Anrufe in Abwesenheit. Unter anderem von Glenda Perkins, Bill Conolly und – ja – auch von Shao.
Klar, Suko, war bereits einen Tag und eine Nacht überfällig und hätte seiner Partnerin wohl zumindest eine SMS geschickt. Ich verspürte einen Klumpen in meinem Magen und fühlte, wie mir die Kehle eng wurde.