Ramsay - Rhenna Morgan - E-Book

Ramsay E-Book

Rhenna Morgan

5,0

Beschreibung

Angesichts einer lange vorhergesagten und nervtötend vagen Prophezeiung, die vor immensen Veränderungen für Eden warnt, ist Ramsay Shantos gezwungen, Worte und Legenden anstatt Rebellen zu jagen. Für einen Mann der Tat ist das die schlimmste Art der Qual. Bis er einer sexy Bibliothekarin begegnet, die das Zeichen der Prophezeiung trägt. Ein Zeichen, das eigentlich kein Wesen der menschlichen Rasse besitzen kann. Gequält von ihrem gemischtrassigen Erbe, hat Trinity Blair in ihrem Leben nur wenig menschliche Berührung erfahren, geschweige denn Intimität. Selbst die unschuldigste Berührung füllt ihren Geist mit den tiefsten, dunkelsten Geheimnissen eines Menschen - außer bei Ramsay. Ihre Immunität gegenüber seinen Gedanken weckt die zarte Hoffnung, dass sie endlich die Leidenschaft ihrer Dark Spiritu-Brüder erleben darf ... es sei denn, Ramsay ist der gefährliche Scheideweg, den ihr Vater prophezeit hat. Als sich das Wissen über Eden in der Menschenwelt verbreitet, ist Trinity Ramsays einzige Hoffnung, eine Massenpanik zu verhindern. Kann er es riskieren, dem arglosen Sonnenschein die Geheimnisse seiner Rasse zu verraten? Oder ist Trinity die unbekannte Quelle der Zerstörung von Eden? Warnung: Enthält einen Playboy-Krieger, der nicht nur inner- und außerhalb des Schlafzimmers bestens trainiert ist, sondern der zudem mit verruchten Worten und einem Grinsen, das selbst Höschen schmelzen lässt, ausgestattet ist. Teil 3 der packenden Fantasy Romance-Reihe von Erfolgsautorin Rhenna Morgan ("Haven Brotherhood").

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Seitenzahl: 523

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Rhenna Morgan

Eden Teil 3: Ramsay

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Sandra Martin

© 2016 by Rhenna Morgan unter dem Titel „Waking Eden (Eden #3)“

© 2024 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-682-9

ISBN eBook: 978-3-86495-683-6

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Langebuch Gerez Weiß GbR, 20257 Hamburg.

Die Personen und die Handlung des Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Autorin

Kapitel 1

Trinity Blair rutschte mit ihren verschwitzten Händen am Lenkrad ab, als sie den Wagen auf den Parkplatz vor dem Plush steuerte und beinahe einen Mann in Anzug überfahren hätte, der aussah, als käme er geradewegs aus einem Sitzungssaal. Mein Gott, was für ein Albtraum. Schicke Autos, grelle Lichter und eine Menge Menschen, die dicht gedrängt und herausgeputzt vor dem Club warteten. Offensichtlich hatte sie den Verstand verloren, als sie dem Vorschlag ihrer Freundinnen zugestimmt hatte. Jede andere dreiundzwanzigjährige Frau hätte wohl gern einen Abend mit den Mädels durchgetanzt, um das Wochenende einzuläuten, aber für Trinity war der Gedanke schrecklich.

Naomi streckte Trinity vom Rücksitz aus einen Zwanzig-Dollar-Schein über die Schulter. Der blutrote Nagellack ihrer Freundin passte perfekt zu ihrem Kleid, das sich wie eine zweite Haut an ihren Körper schmiegte. „Fahr zum Parkservice, Trin. Der Parkplatz ist voll und ich will diese Absätze für die Tanzfläche aufheben.“

Als bräuchte Naomi die Schuhe. Mit ihrem dunklen Haar und ihrer mokkabraunen Haut würde sie mit oder ohne Schuhe reichlich Gelegenheit zum Tanzen haben.

Trinity ignorierte das Geld und steuerte mit ihrem kostengünstigen Honda Accord auf den Bordstein zu, wobei sie die Finger so fest um das Lenkrad schlang, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. „Zwanzig Dollar fürs Parken ist Wahnsinn.“

Genauso wie die Tatsache, dass sie sich bereit erklärt hatte, ihre Freundinnen zu begleiten. Der Laden war gerammelt voll und sie würde den Körperkontakt mit anderen Menschen nicht vermeiden können. Mit jeder Berührung würde sie einen nicht gerade subtilen Einblick in die dunklen und schmutzigen Geheimnisse der betreffenden Person bekommen. „Steigt ihr hier aus, ich werde einen Parkplatz suchen.“

„Auf keinen Fall.“ Tessa, die auf dem Beifahrersitz saß, schnappte Naomi den Zwanziger aus der Hand und zeigte auf die wartenden Männer vom Parkservice. Ihr glatter blonder Bob betonte ihre markante Kieferpartie und ihre strahlenden haselnussbraunen Augen. „Parke einfach und lass uns reingehen. Wenn wir uns beeilen, kriegen wir noch einen Tisch.“

„Ist schon gut, Trin.“ Margo. Die ruhige, lässige, verständnisvolle Margo. Ihre Persönlichkeit war genauso unaufdringlich wie ihr nichtssagendes braunes Haar und ihre banale äußere Erscheinung. Trinity würde ihre Freundschaft oder ihre Bereitschaft, ihr den Rücken freizuhalten, um nichts in der Welt eintauschen wollen. Einige Menschen konnten ihre Phobie einfach nicht verstehen. „Setz uns ab und schick mir eine Nachricht, wenn du an der Tür bist. Ich treffe dich am Eingang.“

Trinity schaltete auf Parken, woraufhin sich die Türen automatisch entriegelten. Die Mädchen stiegen aus und das Dröhnen und Lachen der Menge drang in den dunklen Innenraum des Wagens. Margo beugte sich neben der Beifahrertür vor, um Trinity zuzuzwinkern. „Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, Freundin, aber irgendwann bewegst du deinen Hintern da rein. Du hast jetzt eine eigene Wohnung und keine böse Mutter mehr, mit der du dich herumschlagen oder der du Rechenschaft ablegen musst. Das hier wird dir guttun. Du musst unter Menschen gehen.“

Bevor Trinity etwas erwidern konnte, wurden die Türen zugeschlagen und das Summen ihrer Klimaanlage übertönte das Geplapper der Leute draußen.

Sie litt tatsächlich an einer Phobie, die sie ihrer ungewöhnlichen Abstammung zu verdanken hatte. Ihre Adoptiveltern hatten von den verblüfften Ärzten die Diagnose Haphephobie erhalten, die bestens geeignet war, die Wahrheit zu verbergen.

Trinity umfuhr eine Gruppe lachender Frauen, deren kurze Röcke und Schuhe ihre langen, sprühgebräunten Beine zur Geltung brachten. Wobei die Schuhe wahrscheinlich mehr gekostet hatten als die monatlichen Raten für ihren Wagen. Sie fuhr ans andere Ende des Parkplatzes und überprüfte einmal mehr ihre Frisur im Rückspiegel. Der Schnitt war fantastisch – hinten extrem kurz und vorn kokett lang, sodass ein wilder Pixie-Look entstand – aber in ihrer einfachen Levis und der weißen Bluse würde sie verglichen mit allen anderen wohl wie eine Hinterwäldlerin wirken.

Allerdings würde sie ohnehin nicht mit einem Mann nach Hause gehen. Bereits während ihres ersten Semesters hatte ein einfacher Kuss mit einem Kerl aus dem Englischkurs jegliche Hoffnung auf Intimität zunichtegemacht. Statt des rasenden Herzschlags und der Schmetterlinge im Bauch, die sämtliche Ausgaben der Cosmopolitan versprachen, hatte sie einen Sitz in der ersten Reihe seines Lebens eingenommen und jedes schmerzhafte Detail seines Abschlussjahres vor sich gesehen. Das hatte ihrer Erregung einen gewaltigen Dämpfer versetzt.

Ein blendend weißes Licht flammte plötzlich auf der Beifahrerseite auf und Trinity zuckte zusammen, wobei sie sich die Fingerknöchel am Lenkrad anstieß und nur knapp an einem silbernen Sportwagen vorbeischrammte. „Verdammt noch mal, Dad!“

„Sie hat recht, weißt du.“ Die tiefe, fast ausdruckslose Stimme ihres Vaters war kaum zu hören, denn sie wurde von ihrem rasenden Herzen übertönt.

Sie rieb sich mit dem Handballen über das Brustbein und starrte auf den Beifahrersitz. „Du kannst nicht jedes Mal einfach so hereinplatzen. Irgendwann bringst du mich noch um.“

„So leicht bist du nicht zu töten, außerdem wird dein Vater nicht für deinen Tod verantwortlich sein.“

Durch seine Worte fühlte sie sich nicht gerade besser. Da sie zum Teil menschlich war, haftete eine Verletzlichkeit an ihr, derer sich die meisten Leute nicht einmal bewusst waren. Aber sie war auch ein Spiritu, und das war etwas ganz anderes. Zum einen brachte diese Tatsache eine große Verantwortung mit sich und zum anderen leider auch Zugang zu übermäßig vielen Informationen. Dabei lag der Aufgabe eines Spiritus ein wunderschöner Gedanke zugrunde. Unsichtbar und unerkannt standen sie ihren Schützlingen ihr ganzes Leben lang zur Seite, während sie ihnen immer wieder inspirierende und ermutigende Worte zuflüsterten. Kein Wesen, das zu Empfindungen fähig war, kam ohne einen Spiritu aus, wobei nicht alle Schöpfungen des Großen auf ihren geistigen Begleiter hörten.

Nein, dieser Aspekt bereitete ihr keine Probleme. Aber sie hatte rund um die Uhr Zugang zu vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Ereignissen, und das machte ihr eine Heidenangst. Jeder Spiritu verfügte über einen Einblick in die Leidenschaften des Lichts und der Dunkelheit und war durch einen kollektiven Geist direkt mit dem Großen verbunden. Für ihren Job war das leider eine Notwendigkeit, denn nur so waren sie in der Lage, ihre Schützlinge in die richtige Richtung zu lenken. Für andere Leute war der Gedanke, in die Zukunft blicken zu können, sicher verlockend, aber Trinity würde menschliche Ignoranz und glückselige Verblendung jederzeit vorziehen. „Das bedeutet wohl, dass du weißt, woran ich einmal sterben werde?“

Ihr Vater Kazan ließ den Blick über die Reihen glänzenden Metalls schweifen. Sein einfaches schwarzes T-Shirt und seine Jeans hatten rein gar nichts gemein mit der sinnlichen Kleidung, die die Spiritu der dunklen Seite für gewöhnlich trugen. Er antwortete nicht. Das tat er nie. Es war verboten, Informationen über Dinge preiszugeben, die noch nicht stattgefunden hatten. Und Daddy stand mit seinen Vorgesetzten nicht gerade auf gutem Fuß, nachdem er sich mit Trinitys leiblicher Mutter, Anaya, eingelassen hatte.

Trinity lenkte den Wagen in eine Parklücke in der vorletzten Reihe. „Weißt du, da ich schon einen allwissenden Vater habe, könnte ich doch einen Vorteil daraus schlagen und in Erfahrung bringen, wann ich das Zeitliche segne. Zumindest könnte ich mich so darauf vorbereiten.“

„Fast allwissend. Und alles kann sich ändern. Du weißt, dass sich der Verlauf der Ereignisse dank des freien Willens von einer Sekunde auf die andere neu gestalten kann.“

Ach ja, richtig, der freie Wille. Der Trumpf, den alle Lebewesen in der Hand hielten, einschließlich der Spiritu. Dadurch erklärte sich auch Trinitys Geburt. Ein Spiritu machte sich allein schon dadurch strafbar, dass er sich seinem Schützling ohne ausdrücklichen königlichen Befehl zu erkennen gab. Aber wenn er sich dann auch noch verliebte und eine intime Beziehung mit seinem Schutzbefohlenen einging, dann war es ein Wunder, dass ihr Vater seine Existenz noch nicht verwirkt hatte. Im Moment hatte sie allerdings ganz andere Sorgen, denn auf sie wartete eine Bar, in der es vor Menschen und damit möglichen körperlichen Kontakten nur so wimmelte.

Sie kramte ganz unten in ihrer abgegriffenen Michael-Kors-Handtasche nach ihrem Lipgloss, klappte die Sonnenblende herunter und schminkte ihre Lippen nach.

Kazan durchbohrte sie förmlich mit einem Blick, sodass ihre Hand zu zittern begann. „Wenn du dich endlich mit deinen Kräften abfinden und dich ihrer bemächtigen würdest, könntest du dir die Frage selbst beantworten.“

Und über die gleichen Einblicke wie er verfügen? Nein, danke. „Ich kann Mom nicht verlassen. Sie hat nur noch mich.“ Nun, sie war zwar nicht ihre leibliche Mutter, denn Anaya war kurz nach Trinitys Geburt gestorben. Ihre Adoptivmutter, Carol Blair, war zwar nicht gerade eine Vorzeigemutter, aber sie hatte Trinity trotz ihrer „Phobie“ beigestanden, während andere sicher die Flucht ergriffen hätten.

Natürlich versäumte Carol es nicht, ihre guten Taten mit einer ordentlichen Portion Schuldgefühlen zu versehen, wenn es ihr in den Kram passte.

„Du schindest Zeit.“

Trinity schraubte den Himbeersorbet-Lipgloss zu und sah ihren Vater an. „Würdest du das an meiner Stelle nicht auch tun? Der Umgang mit der Menschheit in der Bibliothek ist schwer genug. Aber in diesem Club läuft so viel nackte Haut herum, dass ich garantiert eine ganze Bandbreite an Informationen aufschnappen werde.“

„Vielleicht solltest du aufhören, dich dagegen zu wehren. Nimm deine Gaben an.“

„Das wäre nicht richtig. Es ist … ich weiß auch nicht …“

„Ein Teil von dir.“ Kazan strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und umhüllte sie mit seiner allumfassenden Liebe. „Der heutige Abend ist ein großer Schritt für dich.“

Das warme und wohlige Gefühl ließ nach.

Trinity wandte sich wieder ab. Ihr Vater war immer ein wenig nachdenklich, kalt und reserviert, als wäre etwas tief in seinem Inneren abgestorben. Vor allem, wenn es darum ging, dass sie ihre Gaben als Spiritu verleugnete. Allerdings schien die Furche zwischen seinen Augenbrauen heute Abend noch tiefer zu sein als sonst. Die Anspannung machte sich sogar um seine Augenwinkel bemerkbar, während er mit dem Daumen immer wieder über die Innenseite der Tür strich. Derart nachdenklich und verschlossen wurde er sonst nur, wenn er über sein kurzes Intermezzo mit Anaya sprach. „Gibt es in dem allwissenden kollektiven Geist etwas, was ich wissen sollte?“

Er schüttelte den Kopf und blickte stur geradeaus. „Du weißt, dass ich dir das nicht verraten kann. Du musst dein Leben führen und deine eigenen Entscheidungen treffen.“

„Das ist nicht sonderlich hilfreich.“

Kazan drehte sich ihr wieder zu. In seinem Gesicht zeichnete sich ein Ausdruck von Traurigkeit und Bedauern ab. „Ich bin schon einmal verwarnt worden, weil ich mich in deine Mutter verliebt habe. Ich werde nicht auf den Rest meiner Existenz verzichten, indem ich ein zweites Mal die Regeln breche. Ich kann dich nicht allein lassen. Du bist auch so schon einsam genug.“

Ihr Magen krampfte sich noch mehr zusammen und sie verspürte ein unbehagliches Brennen in der Brust. Was auch immer ihm auf dem Herzen lag, es ging über seine übliche Launenhaftigkeit hinaus und weckte in Trinity das Bedürfnis, Reißaus zu nehmen. Sie kramte nach ihrem Handy und schaltete das Licht in der Fahrerkabine ein. „Warum gehen wir nicht zurück ins Haus? Wir können uns unterhalten und …“

Kazan packte ihre Hand, als sie gerade etwas in ihr Smartphone tippen wollte. „Du bist auf dem richtigen Weg, Trinity. Ich kenne niemanden, der ein gütigeres Herz hat. Genau wie deine Mutter. Aber vergiss nicht, dass auch mein Wesen durch deine Adern fließt.“

Ein dunkler Spiritu. Im Gegensatz zu ihren Brüdern des Lichts, die das Gewissen und den guten Willen ansprachen, waren die Angehörigen der dunklen Seite Verfechter und Inspiration für die erregenden, dekadenten Leidenschaften. Vom Rausch eines waghalsigen Sprungs ins Unbekannte bis hin zum Kribbeln in den Zehen beim ersten Kuss eines Geliebten – kein Wesen kam ohne die Ermutigung eines dunklen Spiritus aus. Seit dem Tag, an dem Kazan sie an ihrem achtzehnten Geburtstag zum ersten Mal besucht hatte, hatte sie dieses Mantra immer wieder gehört.

„Wenn dich die Leidenschaft übermannt, verschließe dich nicht davor“, sagte er. „Nimm sie an. Schwelge in ihr. Dann wirst du wissen, was es heißt, wirklich zu leben.“

Also schön, irgendetwas stimmte hier nicht. Seine übertrieben rätselhaften Äußerungen machten sie langsam wirklich nervös. „Dad, im Ernst. Ich werde den Mädchen eine Nachricht schreiben. Sie kennen mich und würden sich nicht wundern, wenn ich einen Rückzieher mache. Wir können zusammen etwas essen gehen und uns unterhalten.“

Er ließ ihre Hand los und richtete sich in seinem Sitz auf, wobei er eine förmliche und distanzierte Haltung einnahm. „Es ist besser, wenn du gehst. Du hast eine Aufgabe zu erfüllen.“ Er ballte die Hand auf seinem Oberschenkel zur Faust. „Für eine Weile wird dies mein letzter Besuch sein.“

„Warum?“

Sein Adamsapfel wippte sichtlich auf und ab, während er weiter auf das Meer glänzender Fahrzeuge starrte.

Oh, verdammt. Der Scheideweg. Es war dreizehn Jahre her, seit er zum ersten Mal die Erlaubnis erhalten hatte, sie zu besuchen und ihr zu erklären, wer und was sie wirklich war. Seitdem hatte er ihr so viel Führung und Liebe wie möglich zuteilwerden lassen, um die furchtbaren Verhältnisse aufzuwiegen, in denen sie durch ihre Adoption gelandet war. Aber er hatte auch angedeutet, dass sie eines Tages vor einem schicksalhaften Wendepunkt stehen würde. „Ich werde dich nicht nach Details fragen, Dad. Aber mir wäre es lieber, du bleibst hier und sprichst nicht über das, was dich bedrückt.“

„Deinetwegen bin ich nicht besorgt. Aber ich habe Angst, dass ich gegen die Regeln verstoßen und dir etwas verraten könnte, was du nicht wissen sollst.“ Er schloss die Augen und senkte den Kopf, dann wandte er sich ihr erneut zu. „Ich liebe dich, Trinity, und könnte stolzer nicht sein.“

Warum klang er so verzweifelt? So endgültig? Er würde sie doch nicht für immer verlassen. Sie hatte doch außer ihm niemanden. Er war das einzige Wesen, zu dem sie eine wirkliche Beziehung hatte, denn er wusste nicht nur, was sie war, sondern sie konnte ihn auch auf ganz normale Weise berühren.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, streckte er ihr seine Hand mit der Handfläche nach oben entgegen. „Falls du es dir anders überlegst und bereit bist, deine Fähigkeiten anzunehmen, dann rufe nach mir. Ich werde dich hören.“

Trinity ergriff mit beiden Händen seine Hand, als könnte sie durch den bloßen Körperkontakt verhindern, dass seine Gestalt verblasste. So greifbar. Warm. Sie durfte ihn nicht verlieren. Nicht jetzt. Sie war noch nicht bereit. „Ich kann Mom nicht verlassen.“

„Du kannst Carol nicht vor ihrer Verbitterung bewahren. Das kann nur sie selbst.“

„Sie hat mir beigestanden und eine Möglichkeit gefunden, sich um mich zu kümmern, als andere Leute mich zurückgeschickt hätten. Wie viele Eltern würden sich eines quengeligen Kleinkinds annehmen, das die Berührungen anderer nicht erträgt?“

„Mehrere.“ Kazan zog seine Hand zurück und starrte wieder durch die Windschutzscheibe. „Mein Volk hätte besser auf dich aufpassen sollen, während ich meine Strafe abgesessen habe. Sie hätten jemanden finden sollen, der weniger fanatisch ist.“

„Freier Wille, schon vergessen?“ Trinity versetzte ihm einen leichten Stoß gegen die Schulter, um ihn aus seiner mürrischen Stimmung zu reißen. „Außerdem lebe ich nicht mehr mit ihr zusammen. Ich habe mich endlich abgenabelt und eine eigene Wohnung gefunden. Das ist doch ein Anfang, nicht wahr? Eines Tages, wenn ich weiß, dass sie sich daran gewöhnt hat, kann ich vielleicht …“

„Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich weiß, dass du Angst vor dem hast, was wir sind.“ Er entspannte sich mit einem traurigen Lächeln, beugte sich vor und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. „Ich bin immer für dich da.“ Mit diesen Worten zog er den Kopf zurück und zeigte auf das Gebäude vor ihnen. „Jetzt geh. Versuch, dich zu amüsieren.“

Als er zu verblassen begann, starrte er ihr direkt in die Augen, mit einem durchdringenden Blick, mit dem er ihre Seele zu durchbohren schien. „Und denk daran, das Schicksal ist das, was du daraus machst.“

***

Ramsay raste in seinem Porsche Spyder mit offenem Verdeck durch die Innenstadt von Dallas. Aus der Anlage schallte All American Nightmare von Hinder und vermischte sich mit dem Dröhnen des Motors.

Jagger saß auf dem Beifahrersitz und verrenkte sich beinahe den Hals, als er eine langbeinige Blondine in einem kurzen, blassblauen Rock beäugte. „Du machst es mir nicht gerade leicht, die Umgebung zu begutachten.“

„Wir können wohl kaum einfliegen“, rief Ramsay, um die Musik zu übertönen. „Aber eine Spritztour mit einem Sportwagen ist fast genauso gut. Es ist schon viel zu lange her, seit ich ihn zuletzt gefahren habe.“ Ramsay bog links ab und fuhr auf den Parkplatz des Plush, wobei er direkt den Parkservice ansteuerte.

Jagger drückte die Tür auf und stieg aus dem engen Innenraum des Wagens. Einige der Frauen, die in der Schlange vor dem Eingang standen, musterten ihn von oben bis unten. Kein Wunder. Der Kerl war so groß wie Ramsay und der Rest seiner Krieger, doch zudem hatte er die Ausstrahlung eines goldenen Surferboys, dem die Frauen einfach nicht widerstehen konnten. „Mann, du fährst genauso halsbrecherisch, wie du fliegst.“

„Da hast du recht.“ Ramsay genoss das Leben in vollen Zügen und sprengte mit seiner Leidenschaft sämtliche Grenzen, sei es auf dem Schlachtfeld oder im Schlafzimmer.

Zumindest war das früher so gewesen. Bevor Maxis Steysis die Lomos-Rebellion wiederbelebt und den verrückten Plan verfolgt hatte, die Menschheit zu versklaven. Und bevor sein Bruder eine Gefährtin gefunden und damit eine viertausend Jahre alte Prophezeiung ins Spiel gebracht hatte. Da Maxis nun tot war, waren sie im Begriff, das erste Problem in den Griff zu bekommen. Aber diese verdammte Prophezeiung würde ihnen noch einige Scherereien machen.

Genug davon.

Er öffnete die Fahrertür und stieg ebenfalls aus dem Wagen. Heute Abend wollte er sich gehen lassen und wie früher ein unbeschwertes Leben genießen. Zumindest einen Hauch davon. Denn im Moment war er nur damit beschäftigt, sich den Arsch aufzureißen, damit nicht alles den Bach hinunterging.

Der Mann vom Parkservice musterte den Spyder voller Ungeduld. Offenbar konnte er es kaum erwarten, sich hinters Steuer zu setzen.

Ramsay schnappte sich das Parkticket, das der Kerl ihm entgegenstreckte, und lachte leise. „Einmal durch die Innenstadt, aber falls Sie ihn zu Schrott fahren, werden Sie sich wünschen, dass ich Sie nicht ausfindig machen kann.“

Na also. Schon ein Schritt weiter auf dem Weg zurück zu seinem sorglosen Selbst. Nun brauchte er nur noch ein paar Stunden gute Musik, die laut genug war, um bis in seine Knochen zu vibrieren, und eine Frau, die es mit seiner aufgestauten Energie aufnehmen konnte.

„Bist du dir sicher, dass du da reingehen willst?“, hallte Jaggers Stimme durch ihre telepathische Verbindung. Im Gegensatz zu den Bindungen zwischen Familienmitgliedern, die sich unweigerlich bildeten, wurde jedes Band zwischen Kriegern bewusst geschaffen. Es war ein Zeichen des Vertrauens und der Loyalität, das die Krieger Ramsay als ihrem Strategos, oder Oberbefehlshaber, bei ihrer Vereidigung entgegenbrachten.

Der Laden war gerammelt voll. Aber um dreiundzwanzig Uhr an einem Donnerstag war das nicht verwunderlich. Freitag und Samstag würden sich die Leute hier jedoch halb tottreten. „Warum zum Teufel denn nicht?“

Jagger warf ihm einen vielsagenden Blick über die Schulter zu und ließ seinen Blick dann wieder durch den Club schweifen. „Weil du eher wie jemand aussiehst, der einem Stier den Kopf abreißen will, statt wie ein Mann, der sich amüsieren möchte.“

„Wir sind erst vor zwei Stunden durch das Portal getreten.“ Es fühlte sich verdammt gut an, etwas Abstand zwischen sich und all die frisch Verliebten in Eden zu bringen. „Ich brauche ein bisschen mehr als eine Dusche und eine Fahrt in einem schicken Wagen, um mich zu entspannen.“

Mit einem Grinsen schlenderte Jagger in Richtung einer Sitzecke in der Nähe der Bar, die gerade frei wurde. „Hat Eryx erzählt, wie die Ratssitzung heute gelaufen ist?“

Oh, das hatte er allerdings. Während der ersten dreißig Minuten hatte er die Spannung abgebaut, indem er mit Ramsay trainiert und diesem wiederholt Tritte und Schläge gegen den Kopf verpasst hatte. Glücklicherweise war Eryx der Malran ihres Volkes und Ramsay war nur ein Erbe. Letzterer würde es vorziehen, im Alleingang gegen eine ganze Armee anzukämpfen, als sich mit den politischen und königlichen Pflichten auseinanderzusetzen, die sein Bruder ertragen musste. „Ich bin hierhergekommen, um mich ein wenig gehen zu lassen, und nicht, um schon wieder die Lage der Nation durchzukauen.“

Jagger streckte sich in einem großen schwarzen Ledersessel aus. „Ich mache nur Konversation, Chef.“

Ramsay ließ sich links von Jagger auf einer zweisitzigen schwarzen Ledercouch nieder, von der aus er einen ungehinderten Blick auf die Tanzfläche hatte. Er winkte eine Kellnerin heran. Sie war ein hübsches kleines Ding mit kurzen dunklen Haaren und einem kessen Hüftschwung. Gerade jetzt könnte sein Blut etwas Verdünnung in Form von gutem Scotch gebrauchen. „Habt ihr Balvenie?“

Ihr Lächeln wurde noch breiter. Wahrscheinlich kalkulierte sie im Geiste, wie hoch ihre Rechnung am Ende des Abends ausfallen würde. „Der Dreißigjährige ist der Beste, den wir haben. Aber der ist wahnsinnig teuer.“

Natürlich. Er könnte ein paar Schlucke von dem Fünfziger seines Bruders vertragen. „Den nehme ich.“

Sie legte einen Untersetzer vor ihm auf den Tisch und warf Jagger einen erwartungsvollen Blick zu.

„Ein Stout.“ Jagger beachtete sie kaum und ließ den Blick unentwegt über die Menge schweifen. „Ein Großes, die Sorte ist mir egal.“

Die Kellnerin schob auch ihm einen Untersetzer zu und dann die Hüfte vor, wobei sie Ramsays Knie streifte. „Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“

Frech und selbstsicher. Eine berauschende Kombination bei einer Frau. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich mit Scotch auskannte und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, das höchste Niveau anzustreben. Ein vielversprechender Anfang für diesen Abend.

Dennoch hatte sie es ihm nicht wirklich angetan. Mit einem Lächeln wandte er den Blick ab und gab ihr auf diese Weise wortlos zu verstehen, dass er ablehnte. Das verdammte Chaos hatte ihn ganz durcheinandergebracht. Er sehnte sich nach seinem früheren Leben.

Die Kellnerin schlenderte davon und Jagger starrte ihr auf den Hintern.

Es war irgendwie seltsam, mit Jagger durch die Clubs zu ziehen. Sie standen sich zwar nahe, denn alle Elitekrieger waren eng miteinander vertraut, aber zu Eryx und Ludan hatte er ein viel innigeres Verhältnis. Ein Männerabend mit Eryx kam allerdings nicht infrage. Sein Bruder war viel zu sehr damit beschäftigt, mit seiner frischgebackenen Baineann im Schloss herumzuknutschen.

Und Ludan fiel in letzter Zeit als Begleitung gänzlich aus. Als Eryx‘ Somo, sein Leibwächter, war sein ruppiges Auftreten nicht ungewöhnlich, doch im vergangenen Monat war der stämmige Krieger nicht nur schroff gewesen, sondern hatte sich in ein regelrechtes Arschloch verwandelt.

Vielleicht war das der Grund, warum Ramsay heute Abend nicht sonderlich gut gelaunt war. Er vermisste seine Kameraden.

„Für einen Kerl, der darauf aus ist, flachgelegt zu werden, siehst du aus, als wärst du immer noch mit dem Kopf in der Bibliothek deines Bruders.“ Jagger schenkte einer vorbeigehenden Schar von Mädchen, die zu jung aussahen, um sich in einem Club herumzutreiben, ein verschlagenes Lächeln. „Schon etwas über die Prophezeiung herausgefunden?“

Über dieses Thema wollte er noch weniger sprechen. Seit dieser Spiritu aufgetaucht war und vorausgesagt hatte, dass die Prophezeiung weitere Entwicklungen nach sich ziehen würde, war Ramsay verdammt nervös. Obendrein war der Wortlaut genauso vage wie die Rede eines Politikers während des Wahlkampfs.

Wenn ein Shantos-Mann eine Gefährtin nimmt, die das Zeichen eines mit Efeu umwundenen Schwertes trägt, wird eine neue Ära in Eden anbrechen.

Und sein Bruder hatte sich ausgerechnet mit einer Gefährtin vereint, die genau dieses Zeichen auf seinem Arm hatte entstehen lassen. „Ich dachte, wir wollten nicht über die Arbeit sprechen.“

„Wenn du nicht so verbissen hinter der Sache her wärst, hättest du vielleicht nicht so schlechte Laune und bräuchtest keine Auszeit.“

„Besser als herumzusitzen und darauf zu warten, dass uns etwas anderes den Boden unter den Füßen wegzieht. Es ist eine Sache, dass Lexi Eryx das Zeichen verpasst hat. Aber herauszufinden, dass es neben Myren und Menschen noch weitere Wesen gibt …“ Ramsay schüttelte den Kopf und nippte an seinem Scotch.

Spiritu. Die angebliche Inspiration in jedermanns Gedanken. Die Vorstellung, dass jemand seinen Verstand derart beeinflussen konnte, ließ Ramsay die Wände hochgehen. „Man fragt sich doch, wie viel von unserem Leben wir tatsächlich selbst bestimmen und wie viel davon wir unserer guten Fee zu verdanken haben. Wenn es den Spiritu nur um Inspiration geht, wo zum Teufel sind sie dann jetzt? Sie könnten uns doch wenigstens eine Anleitung liefern, um uns durch die Prophezeiung zu führen.“

„Wenn du danach suchst, siehst du den Wald vor lauter Bäumen nicht. Beim Kämpfen ist es genauso. Wenn du auf den Schlag wartest, wirst du ihn verpassen. Lass die Dinge fließen, dann wird dir nichts entgehen.“

Ramsay brach in schallendes Gelächter aus. „Willst du mir etwa sagen, ich solle auf die Macht vertrauen?“

„Fick dich, Shantos“, sagte Jagger, doch in seinen Worten lag keinerlei Verärgerung. Mit einem Lächeln stand er auf und ging auf eine Gruppe hübscher junger Frauen zu. Das Quartett war ein wahrhaftiges Buffet an Schönheiten, das für jeden Geschmack etwas zu bieten hatte. „Seid ihr auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit?“

Verdammt. Vielleicht eignete sich Jagger doch als Begleitung, um Frauen aufzureißen. Er würde Eryx überreden müssen, Lexis neuen Somo öfter von der Leine zu lassen.

Eine große Blondine mit exotischen Augen und einem Körper, der für den Laufsteg geschaffen war, reichte Jagger die Hand. „Ich heiße Tessa. Macht es euch wirklich nichts aus, den Tisch mit uns zu teilen?“

„Süße, mit dir teile ich mehr als nur meinen Tisch“, erwiderte Jagger.

Bingo. Dem Kichern der Mädchen nach zu urteilen, war der Mann definitiv als Aufreißer geeignet.

„Ich bin Naomi.“ Tessa war zwar elegant, doch die Frau, die sich neben Ramsay setzte, war mit ihren sinnlichen Kurven und ihrer mokkabraunen Haut Sex auf zwei Beinen. Sie deutete auf die mausgraue, braunhaarige Frau, die sich auf der Armlehne des Sessels niederließ. „Das ist Margo.“

Margo lächelte und nickte ihnen zur Begrüßung zu. Sie wirkte wie Mutter Teresa in einem Meer voller Sünder. Sie beugte sich vor und spähte um ihn herum. „Trinity? Kommst du?“

Ramsay folgte ihrem Blick und wurde des puren Sonnenscheins in Menschengestalt ansichtig. Ihr Haar war kürzer, fast platinblond, und zu einer modischen Frisur geschnitten, die irgendwo zwischen windzerzaust und frisch gefickt einzureihen war. Ihre Augen waren dunkelbraun, fast schwarz. Und ihre Kurven … Gelobt sei der Große, wer auch immer die Marketingabteilung von Levi‘s leitete, täte gut daran, eine Kamera auf sie zu richten. Mit der Kampagne würden sie eine Menge Geld verdienen.

Sie wischte sich die Handfläche an der Hüfte ab und senkte das Kinn, wobei sie diese erstaunlichen Augen vor seinem Blick verbarg. „Hi.“

„Ich bin Ramsay.“ Ehe er sich versah, war er aufgestanden und hatte ihr eine Hand entgegengestreckt. Wann zum Teufel war das passiert? Und warum ergriff sie sie nicht? Zum Histus, er war wirklich noch zerstreuter, als er geglaubt hatte.

Margo stand auf und schob sich zwischen sie. „Setz dich auf meinen Platz, Trin.“

Trinity trat zögernd vor und fummelte am Kragen ihrer weißen Bluse herum.

Seltsam. Sie zeigte etwa ein Zehntel so viel Haut wie die anderen Frauen im Club, doch sie weckte in ihm nur den Wunsch, den perfekten Körper darunter zu erforschen. Er wollte sie berühren und ihr das Hemd aufknöpfen, um es ihr über die Schulter zu streifen und ihre ebenmäßige Haut zu küssen. Vielleicht würde sie sogar nach Sonnenschein schmecken.

„Sie ist ein bisschen schüchtern“, sagte Margo gerade so laut, dass Ramsay sie hören konnte. Wahrscheinlich versuchte sie damit, über die Unbeholfenheit ihrer Freundin hinwegzutäuschen.

Gelächter und ein plötzlicher Schrei durchbrachen das gleichmäßige Raunen der Menge, als ein paar kichernde Mädchen einem Gerangel auswichen.

Eine von ihnen geriet ins Taumeln und stolperte genau auf Trinity zu.

Ramsay schoss nach vorn und packte Trinity am Ellbogen.

Trinity zuckte zurück, wobei sie einen zu großen Schritt nach hinten machte und zu Boden plumpste.

„Trin!“ Margo wollte ihr beim Aufstehen helfen.

Doch Ramsay kam ihr zuvor. „Ist alles in Ordnung?“

Ihre Wangen liefen hochrot an, als sie sich auf einen Ellbogen stützte und sich den Hintern rieb. „Alles bestens. Es ist nichts gebrochen, außer meinem Stolz.“

Er streckte ihr eine Hand entgegen, aber sie lehnte mit einem Kopfschütteln ab. Der Ausschnitt ihrer Bluse klaffte auf und gewährte Ramsay einen Blick auf ihr zartes Dekolleté, das ein antik wirkender Anhänger zierte.

Ramsay erstarrte.

Nicht nur irgendein Anhänger, sondern ein exaktes Abbild von Lexis prophetischem Zeichen. Ein mit Efeu umranktes Schwert. Und es baumelte am Hals eines Menschen.

Oh, verdammt, nein. Auf keinen Fall würde er sich die Informationen entgehen lassen, wenn das Schicksal damit vor seiner Nase wedelte. Er ergriff ihre Hand, zog sie auf die Beine und tauchte in ihre Erinnerungen ein.

Sein ganzer Körper schien in Flammen aufzugehen. Ein brennender Schmerz schoss seinen Arm hinauf und durchströmte seinen Körper, während ein Hämmern sein Hirn zermarterte.

Er registrierte vage, dass er ihre Hand losließ. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Kapitel 2

Trinity ließ sich neben Ramsay auf die Knie fallen und überprüfte den Puls an seinem Hals. Ganz im Gegensatz zu dem unbändigen Flattern ihres Herzens schlug er ruhig und kräftig.

Sie strich ihm eine Strähne seines dunklen Haars aus dem umwerfenden Gesicht. Nicht jeder Mann war in der Lage, sein Haar lang zu tragen, ohne dabei feminin zu wirken, doch diesem Kerl gelang es mit Leichtigkeit. Er sah aus wie ein sexy Barbar, der seine Lederrüstung gegen ein hautenges T-Shirt und eine Jeans eingetauscht hatte.

Ramsays hünenhafter Freund ging ihr gegenüber in die Hocke und packte seine Schulter. Wie war sein Name noch? John? Nein. Jagger. So hieß er. Er hatte goldblondes Haar und die dazu passenden Augen. Der Typ sah aus, als wäre er von Midas selbst erschaffen worden. „Was ist passiert?“

„Ich weiß es nicht.“ Sie untersuchte Ramsays Hinterkopf. Er blutete nicht, aber sie würde darauf wetten, dass er morgen früh eine hässliche Beule davontragen würde. Mein Gott, sein Haar fühlte sich sündhaft geschmeidig an, ganz dicht und seidig. „Er hat meine Hand gepackt und mich auf die Füße gezogen. Dann weiß ich nur noch, dass seine Augen zurückgerollt sind und er zusammengesackt ist.“

Jagger schob eine Hand unter Ramsays Kopf und ergriff mit der anderen sein Kinn. Er betrachtete seinen Freund mit düsterem Blick. Oder war er einfach nur konzentriert?

„Ich habe versucht, ihn aufzufangen, aber er ist, nun ja …“, erklärte sie und deutete auf Jagger, „genauso riesig wie du.“

Ramsay öffnete die Augen und schüttelte den Kopf.

Jagger verlagerte sein Gewicht auf die Fersen und grinste. „Da machst du einer Frau Avancen und fällst gleich in Ohnmacht. Dir ist doch klar, dass ich dich damit erpressen kann.“

Ramsay betrachtete seinen Freund, dann sie, dann ihre Hand an seiner Brust.

Ihre Hand. An seiner Brust. Sie berührte ihn nicht nur, sondern streichelte seine stahlharten Muskeln mit kleinen, beruhigenden Bewegungen.

Trinity zog ruckartig die Hand zurück und stand so schnell auf, dass sie fast gegen den Couchtisch hinter ihr gestoßen wäre.

Keine einzige Vision. Weder vor noch nach seinem Sturz. Das allein sollte Grund genug sein, um tagelang vor Freude zu johlen und auf dem Tisch zu tanzen, doch nachdem sie seine Muskeln befühlt hatte, konnte sie nur noch daran denken, ihn auch mit der anderen Hand zu berühren. Und zwar ohne sein T-Shirt.

Ramsay stand auf und kniff die Augen zu dünnen Schlitzen zusammen.

Beute. Während er sie anstarrte, fühlte sie sich wie eine Gazelle, von einem schwarzen Panther in den Bann gezogen.

Jagger trat einen Schritt auf ihn zu, als wollte er ihm Einhalt gebieten. „Willst du mir erzählen, was hier los ist?“

Die Frage riss Ramsay aus seinen Gedanken. „Wahrscheinlich bin ich von der Reise hierher noch etwas mitgenommen. Plötzlich habe ich alles verschwommen gesehen, an mehr kann ich mich nicht erinnern.“

Seltsam. Seine Worte boten eine logische Erklärung, aber der Tonfall und die Art, wie er seinen Freund musterte, erweckten den Eindruck, als steckte mehr dahinter.

Jagger musterte sie von Kopf bis Fuß, bevor er nickte und zu seinem Platz zurückschlenderte.

Ramsay kam näher. Sein Auftreten war nicht mehr ganz so furchterregend wie noch vor ein paar Sekunden, aber er schien immer noch nervös. Wie ein Raubtier. Er streckte ihr erneut die Hand entgegen. „Vielleicht fangen wir noch einmal von vorn an. Ich bin Ramsay.“

Ein Augenschmaus. Der Kerl war eine wahre Augenweide erster Güte. Sie tat sich immer schwer, die Größe anderer Leute einzuschätzen, aber ihre Lippen befanden sich auf Höhe seiner stahlharten Brustmuskeln, die sie gerade noch schamlos befühlt hatte. Trinity konnte ein paar vereinzelte helle Strähnen in seinen dunklen Haaren erkennen, was sie vermuten ließ, dass ihr Panther sich hin und wieder gern in der Sonne rekelte.

Seine tiefe, grollende Stimme war noch verlockender als der Rest von ihm. „Ich habe den ganzen Abend Zeit.“ Er streckte ihr weiterhin die Hand entgegen. Seine gebräunte Haut war ebenso verführerisch wie seine Worte. Eindeutig ein sonnenverwöhnter Panther.

Sie hatte ihn bereits zweimal berührt. Es konnte sicher nicht schaden, es noch ein drittes Mal zu tun. „Trinity Blair.“

Sie ergriff seine Hand und er umschloss ihre Finger. Ein wunderbar warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Am liebsten hätte sie sich ganz dicht an ihn geschmiegt. Für einen Moment trat der Club in den Hintergrund und die Welt schien stillzustehen. Sie sah weder irgendwelche Bilder vor sich, noch suchten sie furchterregende Emotionen heim. Sie fühlte nichts, außer seiner unvergleichlich berauschenden Berührung.

Tessas Stimme durchbrach ihre Gedanken. „Oh, mein Gott. Hast du ihn gerade berührt?“

Trinity riss sich los und trat einen Schritt zurück.

„Sieh mal einer an“, sagte Naomi mit sinnlicher Stimme, als sie sich auf der Couch zurücklehnte und einen Arm entlang der Lehne ausstreckte. „Das verspricht, ein interessanter Abend zu werden.“

Margo stand auf, wies Naomi mit einem Ruck ihres Kopfes an, aufzustehen, und bat Ramsay mit einer Geste, sich zu setzen. „Warum macht ihr beiden es euch nicht bequem? Naomi und ich gehen an die Bar. Möchte jemand noch etwas trinken?“

Oh verdammt. Margo blitzte sie mit einem verschwörerischen Funkeln an. Dieser Ausdruck trat jedes Mal in ihre Augen, wenn sie zwei Menschen miteinander verkuppeln wollte. Allerdings hatte sie noch nie Trinity auf diese Weise angesehen. Die Einmischung ihrer Freundin wäre nicht gerade hilfreich, wenn sie für den Rest des Abends die Kontrolle über sich behalten wollte.

„Setz dich zu ihm“, flüsterte Margo ihr ins Ohr, bevor sie sich umdrehte und Naomi mit sich in Richtung Bar zog.

Ramsay verzog die Lippen zu einem Grinsen, denn er hatte die verräterischen Worte ihrer Freundin offensichtlich gehört.

Verlegen ließ sich Trinity auf das Sofa sinken, wobei sie so weit wie möglich ans andere Ende rutschte.

Ramsay setzte sich dicht neben sie. Für einen Moment ruhte sein Blick auf ihrem Hals, bevor er ihn hob und ihr in die Augen sah. „Dann magst du es also nicht, berührt zu werden. Das klingt nach einer interessanten Geschichte.“

Es war wohl das einzig Interessante an ihr, doch ausgerechnet die eine Sache, über die sie nicht sprechen konnte. Aber selbst, wenn sie ihm etwas über ihr Dasein als Spiritu erzählen könnte, ihr Verstand schien zu streiken, denn sie war nur noch imstande, den muskelbepackten Gott anzustarren, der wenige Zentimeter von ihr entfernt saß. „Es ist mir unangenehm, das ist alles. Die meisten Menschen machen mich nervös. Offenbar …“ Sie rieb eine Hand an ihrem Oberschenkel. „Offenbar hast du mich überrascht und ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken.“

Wieder betrachtete er ihren Hals und sein Lächeln erstarb.

Sie zupfte an ihrem Kragen und vergewisserte sich, dass der Anhänger nicht zu sehen war, den ihr Adoptivvater David ihr vor seinem Tod geschenkt hatte.

„Bist du dir sicher?“ Ramsay legte den Kopf schief und schien über etwas nachzudenken. „Ich glaube, wir sollten es noch einmal versuchen und die Theorie auf die Probe stellen.“

Na, wenn das keine perfekte Gelegenheit war, die ihr auf dem Silbertablett serviert wurde. Ihr ganzes Leben lang war Kazan der einzige Mensch gewesen, der sie ganz normal berühren konnte. Sie würde alles dafür geben, mehr als nur einen einfachen Händedruck auszuprobieren.

Ramsay beugte sich vor und streckte den Arm entlang der Lehne aus. Sein markantes Gesicht strahlte eine ebensolche Kraft aus wie der Rest seines Körpers. Er hatte eine stolze Nase, ein markantes Kinn, von sexy Bartstoppeln bedeckt, und dichte Augenbrauen, von denen eine etwas stärker gewölbt war als die andere. Sein warmer, erdiger Duft umgab sie, in dem eine exotische Note mitschwang. Sandelholz vielleicht. „Berühre mich.“

Seine Worte klangen kaum wie ein Befehl, sondern eher wie eine dunkle, sinnliche Herausforderung. Trinity hatte das Gefühl, als entfachte er mit seiner Stimme Nervenenden in ihrem Körper, von deren Existenz sie nicht einmal etwas gewusst hatte. „Wo?“

Sobald sie das Wort ausgesprochen hatte, senkte er die Lider und verdeckte seine stürmischen, silbergrauen Augen. „Carte blanche. Das bleibt dir überlassen.“

Ihr Blick blieb an seinen vollen Lippen hängen. Sie hätte ihren ersten Gehaltsscheck darauf verwettet, dass er die Kunst des Küssens meisterlich beherrschte. Allerdings hatte sie nicht viele Vergleichsmöglichkeiten.

Statt seiner Lippen entschied sie sich für seine Wange. So warm.

Die Bartstoppeln kitzelten an ihrer Hand und sandten ein Kribbeln durch ihren Arm.

„Du scheinst es zu verkraften.“ Ramsay strich ihr kaum merklich über die Schulter. „Dann stört es dich also nicht, wenn dich jemand durch den Stoff berührt?“

Trinity ließ ihre Hand sinken und starrte auf die Tanzfläche. Was zum Teufel war nur in sie gefahren? Sie kannte diesen Mann überhaupt nicht und hatte keine Ahnung, warum es ihr möglich war, ihn zu berühren. Entweder war es ein außergewöhnlicher Zufall oder es steckte etwas viel Gefährlicheres dahinter. Ausgehend von der Unterhaltung, die sie gerade noch mit ihrem Vater geführt hatte, würde sie darauf wetten, dass Letzteres der Fall war. „Der Stoff lindert den Effekt ein wenig. Die meisten Menschen können das nicht verstehen. Wie bist du darauf gekommen?“

Ramsay ließ seinen Blick über ihre Kleidung schweifen. „Für gewöhnlich sind die Menschen in Nachtclubs leichter bekleidet und verhüllen sich nicht.“

Trinity zog ihre Clutch zwischen ihrem Bein und der Armlehne der Couch hervor und drückte sie fest an sich. Sie sollte sich auf den Weg zum Wagen machen. Margo könnte ihr eine Nachricht schreiben, sobald die anderen bereit wären, zu gehen.

„Versuchen wir es einmal andersherum“, sagte Ramsay und beugte sich wieder vor. Er strahlte eine solche Hitze aus, dass sie das Gefühl hatte, sie wäre in eine Heizdecke gehüllt.

„Wie bitte?“

„Lass mich dich noch einmal berühren und sehen, wie du reagierst.“

Ihr Herz machte einen Satz. Das sollte sie nicht tun. Die Tatsache, dass er anders als die anderen war, bedeutete wahrscheinlich auch, dass von ihm Gefahr ausging. Wenn sie klug wäre, würde sie nach Hause gehen und sich mit einem ihrer Fantasy-Romane ins Bett kuscheln.

Sie nickte.

Er hob eine Hand.

Trinity hielt den Atem an.

Er strich mit dem Daumen über ihre Unterlippe und ließ dann seine Fingerknöchel über ihr Kinn und ihren Hals hinunter bis zu ihrem Schlüsselbein gleiten.

Dabei rutschte ihr Anhänger zwischen ihren Brüsten ein Stück zur Seite. Die Bewegung schien wie ein Weckruf an ihre Sinne, die sich wie ausgehungert nach Berührung verzehrten. Sie wich zurück.

Ramsay fixierte weiterhin ihren Hals mit einem derart intensiven Blick, dass sie schon glaubte, ihre Bluse würde jeden Moment einfach zerfallen. „Hat es dich aufgewühlt?“

Verdammt, die Berührung hatte sie tatsächlich aufgewühlt, aber nicht auf die gleiche Weise wie sonst.

Er legte den Kopf schief und kniff erneut die Augen zu dünnen Schlitzen zusammen, um sie wie ein Raubtier zu beäugen. „Woher kommst du, Trinity?“

Ein Kribbeln breitete sich in ihrem Nacken aus, und ein lautes Summen dröhnte in ihren Ohren. Eine Warnung. Genau dasselbe Gefühl hatte sie an dem Tag heimgesucht, an dem ihr Adoptivvater gestorben war, und noch unzählige Male danach. „Ich muss gehen.“

Sie eilte durch die Menge und versuchte, sich im Zickzack an den Menschen vorbeizuschlängeln, um jeglichen Kontakt zu vermeiden. Sie scheiterte einmal zu oft, und in ihrem Kopf schwirrten erotische, lebhafte Bilder herum, bei denen es hauptsächlich um wilden Sex ging. Die Art von Sex, die ihr für immer verwehrt bleiben würde.

Irgendwo hinter sich hörte sie Ramsay ihren Namen rufen.

Trinity lief weiter und kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy. Auf keinen Fall wollte sie noch länger in seiner Nähe bleiben. Es fühlte sich so gut an, von ihm berührt zu werden. Großartig, um genau zu sein. Er weckte in ihr den Wunsch, ihren Verstand über Bord zu werfen und sich von ihm die ganze Nacht lang mit den Händen verwöhnen zu lassen.

Aber er stellte zu viele Fragen. Nach all dem geheimnisvollen Gerede ihres Vaters und den schicksalhaften Verheißungen, die immer noch in ihrem Kopf herumspukten, wollte sie kein Risiko eingehen. Es wäre besser, ihren Begierden nicht nachzugeben und auf der sicheren Seite zu bleiben, bevor sie mehr preisgab, als sie sollte. 

Kapitel 3

Serena strich über den Ärmel ihres hellblauen Chiffonkleids und vergewisserte sich, dass das verblassende Zeichen ihres inzwischen verstorbenen Gefährten nicht zu sehen war. Hinter ihr dröhnte Thyrus‘ Stimme immer weiter. Tu dies. Verschweige das. Typisches Gerede eines Anwalts. Es handelte sich um dieselben verdammten Anweisungen, die sie in den letzten vier Wochen immer wieder gehört hatte.

Sie stieß sich vom Tisch ab und stellte sich vor das hohe Bogenfenster, um einen Blick auf die goldene Stadt Cush zu werfen. Vor ihr erstreckten sich die braungrau und elfenbeinfarben gepflasterten Straßen, während die Morgensonne sich in einer Reihe verwitterter weißer Kuppeldächer spiegelte. Als sie vor zwei Stunden in der Hauptstadt Edens eingetroffen war, hatte bereits eine kleine Ansammlung von Menschen vor dem Gebäude gewartet, von denen einige sogar die Nacht über auf der Straße gezeltet hatten. Mittlerweile war die Menge deutlich gewachsen.

„Man könnte meinen, ich sei eine Hexe aus Salem.“

Thyrus hielt mitten in seinem Monolog inne. „Wie bitte?“

„Im Menschenreich hat man damals Jagd auf Hexen gemacht. Die Leute waren Fanatiker, die nach einer Hinrichtung lechzten.“

Thyrus watschelte in seiner kastanienbraunen Anwaltsrobe, die etwas zu sehr über seinem Bauch spannte, auf sie zu, um sie vom Fenster wegzuziehen. „Wohl kaum. Sie sind eher von Neugierde getrieben. Es kommt nicht alle Tage vor, dass eine Frau ihrem Gefährten einen Dolch ins Herz rammt, noch dazu dem Anführer der Lomos-Rebellion.“

Er zog ihr einen Stuhl heran, auf dem sie seit ihrer Ankunft bei Tagesanbruch gesessen hatte. „Also, denk daran. Beharre auf deiner Unschuld. Sie haben zwar einen Einblick in deine Erinnerungen, aber nicht in die Emotionen, die damit verbunden sind. Ausschlaggebend für das Urteil des Ellan wird die Intention sein, die hinter deinen Taten steckt. Wenn du an deiner Behauptung festhältst, dass du Maxis nur aus Liebe zu dem Malran getötet hast, weil du letzteren beschützen wolltest, dann wird es dem Rat schwerfallen, dich zu verurteilen.“

„Und was ist mit der Tatsache, dass ich an Lexis Entführung beteiligt war?“ Das war eine dumme Entscheidung gewesen. In Zukunft würde sie mit mehr Bedacht vorgehen und etwas mehr Abstand zu dem Geschehen halten müssen. Letztlich würde sie dadurch mehr erreichen.

„Korrigiere mich, falls ich falschliege, aber die Entführung selbst wurde doch von Maxis begangen. Du hast lediglich als Köder für die Malress fungiert. Ist das richtig?“

Serena nickte. Thyrus mochte eine der schlampigsten Kreaturen sein, die sie je getroffen hatte, aber in rechtlichen Angelegenheiten war er äußerst bewandert. Ganz zu schweigen davon, dass er ein treuer, aber stiller Unterstützer der Rebellion war.

„Dann halte dich an diese Version der Geschichte“, sagte Thyrus. „Erkläre dem Rat, dass du Reue empfunden hast, aber weise auch darauf hin, dass es notwendig war, Maxis' Pläne zu unterstützen, um letztendlich den Malran zu schützen. Vertrau mir. Sie haben nichts gegen dich in der Hand. Vor allem nicht, nachdem du Maxis ins Jenseits befördert hast, als niemand sonst dazu fähig war.“ Thyrus schüttelte den Kopf. „Ein Verlust für die Rebellion, aber ein genialer Schachzug deinerseits, denn nun sieht es so aus, als hättest du die ganze Zeit über auf Seiten des Malran gestanden. Erinnere mich daran, dass ich dich mir nie zur Feindin machen sollte.“

Ein Klopfen ertönte an der Tür und ein junger Mann, der gerade erst das Ritual seiner Erweckung vollzogen haben konnte, streckte den Kopf herein. „Der Rat hat sich versammelt und das Königspaar ist eingetroffen. Ihr müsst euch in die Haupthalle begeben.“

Das Königspaar.

Sie hätte an Eryx‘ Seite stehen sollen. Nicht diese von Menschen aufgezogene Bürgerliche, Lexi Merrill.

Ja. Serena musste in Zukunft wirklich mit mehr Bedacht vorgehen. Vor allem, wenn sie dadurch den Thron der Malress würde freimachen können.

Das gleichmäßige Stimmengewirr aus der Haupthalle drang durch den langen, dunklen Korridor, den sie mit Thyrus an ihrer Seite entlangging. Sie traten durch den Hintereingang des riesigen Saals, der von einem gläsernen Kuppeldach überspannt war, das sich über drei Stockwerke erstreckte. Das Sonnenlicht strömte durch die Decke und beleuchtete Eryx und Lexi, die auf ihren Thronen im vorderen Teil der Halle saßen.

Diese Schlampe. Sie trug ein platinfarbenes Kleid und eine Krone auf dem Kopf. Die Krone hätte ihr gehören sollen.

Serena wandte sich ab und begegnete dem Blick von Angus Rallion, einem Politiker auf Lebenszeit, der Eryx einmal zu oft verärgert hatte und nun in die untersten Gefilde der politischen Reihen verbannt worden war.

Er bedachte Serena mit einem überheblichen Grinsen. Als sie den selbstgefälligen Ausdruck auf seinem Gesicht sah, hätte sie am liebsten gleich wieder zu einem Dolch gegriffen. Wenn dieser Idiot ihre Pläne nicht so sehr vermasselt hätte, befände sie sich jetzt vielleicht in einer anderen Position. Vorzugsweise in Eryx‘ Bett.

Aber sie schenkte ihm ein Lächeln und ging erhobenen Hauptes mit Thyrus zur Anklagebank. Es wäre besser, ihre Brücken nicht abzubrechen. Man konnte nie wissen, wann der Einfluss eines Insiders von Nutzen sein könnte. Auch wenn Angus nun in den niederen Rängen kursierte, er hatte Verbindungen. Und zwar mächtige.

Das laute Geräusch von Holz, das auf Marmor geschlagen wurde, hallte dreimal durch den Saal.

„Erhebt euch.“ Ein junger Mann rief den Saal zur Ordnung. Trotz seiner Jugend klang seine Stimme äußerst förmlich.

Die Ellan, die auf langen, elfenbeinfarbenen Kissen am Boden knieten, standen auf. Die älteren Ratsmitglieder höheren Ranges lugten von ihren Logenplätzen entlang der Wände im zweiten und dritten Stock hinunter. Eryx und Lexi blieben sitzen.

„Im Auftrag des Malran und der Malress wird Serena Doroz Steysis, die Baineann des verstorbenen Maxis Steysis, hiermit dem Rat der Myren vorgeführt und des versuchten Mordes an unserer Malress, des Verrats am Thron und des Verstoßes gegen die Gebote des Großen angeklagt.“ Der Ratsdiener blickte von dem riesigen Buch auf, das auf seinem Pult lag, und wandte sich Thyrus zu. „Wie plädiert die Angeklagte?“

Thyrus hob sein Kinn. Trotz seiner wabbeligen Wangen wirkte die Geste hochmütig. „Die Angeklagte ist unschuldig.“

Ein Raunen ging durch die Menge und die Mitglieder begannen, untereinander zu tuscheln.

Der Ratsdiener kritzelte etwas in das Buch, wobei das Kratzen auf dem Pergament laut genug war, um bis zu Serenas Tisch zu dringen. Er deutete auf den Tisch des Staatsanwalts und legte seinen Stift beiseite. „Simmons, Ihr könnt beginnen.“

Ein gut aussehender, schlanker Mann mit sandblondem Haar erhob sich und ordnete seine Papiere. Sein strahlend weißes Ratsgewand war mit leuchtenden Juwelen verziert, die ihn als einen der ranghöchsten Ellan auswiesen. Offenbar setzte Eryx alle Hebel in Bewegung, um sie für ihre Verbrechen büßen zu lassen.

Simmons machte sich an die Arbeit und zählte die Ereignisse noch einmal auf, die jeder bereits kannte. Er begann mit ihrer früheren Beziehung zu Eryx, was eine milde Umschreibung dafür war, dass sie wie Tiere gefickt hatten und vor einem Jahrzehnt ein Paar waren. Dann folgte ihre Beteiligung an Lexis Entführung und deren versuchten Ermordung, die Tatsache, dass sie sich mit Maxis vereint und ihm anschließend an einem öffentlichen Ort vor den Augen einer Menschenmenge in Evad ins Herz gestochen hatte. „Die Anklage behauptet, dass Serena Doroz Steysis nicht nur aktiv an den Aktionen der Lomos-Rebellion beteiligt war, sondern dass sie darüber hinaus plante, Menschen zu entführen und zu versklaven und den Malran und die Malress zu ermorden.“

„Die Behauptung ist wohl kaum zulässig, wenn man bedenkt, dass sie ihren Fireann eigenhändig getötet hat und der Malran und die Malress am Leben und wohlauf sind“, warf Thyrus ein.

Simmons zog mit arroganter Miene eine Augenbraue in die Höhe. „Die Ellan repräsentieren den Willen des Volkes. Für mich ist nur ihre Meinung wichtig, nicht Eure, Herr Anwalt.“ Er schritt zu seinem Tisch und schob ihm ein Dokument zu. „Die Staatsanwaltschaft ruft Neil Vernace in den Zeugenstand.“

Serena unterdrückte gerade noch ein entrüstetes Schnauben. Wirklich? Ein Rekrut der Rebellen? Mehr hatten sie nicht zu bieten?

Der Zeuge ging zu dem Stuhl zu Eryx‘ Rechten und wartete darauf, dass der Malran ihm zunickte, bevor er sich an die Kante setzte. 

Simmons blickte von seinem Dokument auf. „Du hast der Rebellion gedient, nicht wahr?“

„Für eine kurze Zeit“, antwortete der Mann und blickte zu Eryx auf. Mit seinem durchgedrückten Rücken und den gestrafften Schultern erweckte er den Eindruck, als würde er bei dem geringsten Anzeichen der Verärgerung seitens der Malrans die Flucht ergreifen.

Armer Junge. Er hatte es sicher schwer, sich nicht an seiner Zunge zu verschlucken, solange Eryx ihn derart durchdringend anstarrte. Der Malran wirkte in seiner normalen Ratskleidung einschüchternd genug, doch in Kampfdrast und Lederhose konnte er jemandem richtiggehend Angst machen.

„Mir war das Ausmaß der Ziele, die sie verfolgten, nicht bewusst“, erklärte Neil, während er Eryx weiterhin anstarrte. „Wenn ich gewusst hätte, dass sie den Menschen schaden wollen, wäre ich der Rebellion nie beigetreten.“

Verdammter Verräter. Sie hätte ihr halbes Erbe darauf verwettet, dass er ein anderes Lied gesungen hätte, wenn sie und Maxis triumphiert hätten. Vor allem, wenn er selbst ein paar Sklaven gehabt hätte.

„Auf deine Überzeugungen und deine Beteiligung werden wir später eingehen“, hallte Eryx‘ geschmeidiger, sonorer Bariton durch den Saal. Hier untermalte seine Stimme seine Macht, doch Serena zog es vor, sie aus nächster Nähe zu hören.

Simmons entfernte sich von seinem Tisch, auf dem seine Notizen lagen. „Neil, kannst du bestätigen, dass die Angeklagte mit Maxis auf dem Trainingsgelände der Rebellion gesichtet wurde und aktiv an den Strategiesitzungen teilgenommen hat?“

„Ja.“ Neil warf einen Blick auf Serena und wandte sich dann wieder an den Staatsanwalt. „Zwar erst gegen Ende, aber sie hat daran teilgenommen.“

„Teilgenommen?“, fragte Thyrus und erhob sich. „Kannst du dich erinnern, inwiefern sie zu besagten Strategiesitzungen beigetragen hat?“

Neils Blick wanderte von Simmons zu Thyrus und dann zu Eryx.

Eryx starrte ihn reglos an. Er wirkte wie ein träges Raubtier, das sich von dem Geschehen nicht aus der Ruhe bringen ließ.

Serena wusste es besser. Den Shantos-Männern entging nichts.

Thyrus setzte sich wieder auf seinen Stuhl. „Der Malran kann dir die Antwort nicht liefern. Gib hier einfach das wieder, woran du dich erinnerst.“

„Hüte deine Zunge, Anwalt“, warf Eryx mit warnendem Unterton ein, der wie ein Peitschenhieb durch den Saal hallte. Letztendlich wäre er in der Lage, jedes Urteil zu überstimmen, wenn er wollte. Wahrscheinlich wäre er versucht, genau das zu tun, wenn er dadurch nicht seine politische Unterstützung verlieren würde.

Eryx warf Thyrus noch einen vernichtenden Blick zu und wandte sich dann wieder Neil zu. „Antworte.“

„Äh, ich kann mich nicht erinnern.“

„Nichts?“, drängte Thyrus. „Keinerlei Vorschläge von Serena, wie auch immer sie geartet sein mögen?“

„Nein. Nicht, dass ich wüsste.“

Thyrus trommelte mit seinem Daumen auf die Tischplatte. „Ist es möglich, dass sie nur anwesend war und das Geschehen lediglich beobachtet hat, ohne jedoch etwas beizutragen?“

Stille legte sich über den Saal, und Serenas Herzschlag beschleunigte sich augenblicklich. Wäre es hier nicht um ihren eigenen Kopf gegangen, hätte sie das intensive Gefühl wahrscheinlich genossen.

„Es wäre möglich, ja.“

Ausgezeichnet. Zwar nur ein kleiner Sieg, aber immerhin ein Sieg.

Thyrus zuckte mit den Schultern, als wäre Neils Geständnis nichts Besonderes, oder vielmehr, als würde es ihn nicht überraschen. „Sonst noch etwas von Eurem Zeugen, Simmons?“

Simmons schüttelte den Kopf und Eryx gab Neil ein Zeichen, wegzutreten.

„Wenn der Malran so gnädig wäre, würde die Staatsanwaltschaft gern die Malress als nächste Zeugin aufrufen.“

Ein Raunen ging durch die Menge hinter Serena. Sie hätte schwören können, dass es sogar bis auf die Straße zu hören war.

Thyrus stand auf. „Mein Malran, wenn es Euch zufriedenstellt, räumt die Verteidigung bereitwillig ein, dass meine Klientin tatsächlich die Nachricht überbracht hat, die Eure Baineann in Gefahr brachte. Darüber hinaus gibt Serena zu, dass sie anwesend war, als Eure Gefährtin als Geisel festgehalten wurde. Ich sehe keinen Grund, unserer Malress weitere Unannehmlichkeiten zu bereiten, indem wir die Details noch einmal aufwärmen.“

„Dann sollten wir vielleicht darüber sprechen, wie unsere Malress die Situation einschätzte, als Serena die Nachricht an sie überbrachte“, warf Simmons in einem ebenso herablassenden Tonfall ein.

Lexi blieb genauso stoisch wie ihr Gefährte, doch ein Lächeln umspielte kaum merklich ihre Lippen. Serena hatte keine Ahnung, was das glückliche Paar sich gerade auf telepathische Weise zuflüsterte.

Eryx atmete tief durch und nickte.

Simmons verbeugte sich leicht und richtete seine Aufmerksamkeit auf Lexi. „Würdet Ihr dem Ellan Eure einzigartigen Gaben beschreiben, meine Malress?“

„Ich bin eine emotionale Empathin.“

Serenas Magen krampfte sich zusammen. Sie unterdrückte gerade noch den Impuls, die Tafel, die neben Thyrus‘ Ellbogen lag, quer durch den Raum zu schleudern. So viel dazu, dass ihre Gefühle nicht greifbar waren.

Thyrus spielte mit seinem Stift. Er hatte die Lippen geschürzt und den Blick nachdenklich auf den Tisch gerichtet. Wahrscheinlich plante er seine nächste Mahlzeit, statt sich mit den neuen explosiven Erkenntnissen auseinanderzusetzen, die zwischen ihr und der Freiheit standen.

„Für diejenigen, die mit dieser Gabe nicht vertraut sind, bedeutet das, dass Ihr die Emotionen derer lesen könnt, die sich in Eurer Nähe befinden?“, fragte Simmons.

„Ich würde eher sagen, dass ich sie erlebe. So wie ein heilender Empath die Wunde eines anderen in sich aufnimmt, bevor er sie in seinem eigenen Körper heilt, nehme ich die Emotionen in mich auf.“

Simmons sah Serena an. „Könntet Ihr die Emotionen beschreiben, die Ihr an jenem Tag empfunden habt, als Serena Euch die Nachricht überbracht hat, die Euch zu Maxis gelockt hat?“

Zum ersten Mal, seit Serena den Saal betreten hatte, begegnete Lexi ihrem Blick. „Hass. Kalte, berechnende Abscheu.“

„Würdet Ihr sagen, dass das die Emotionen einer Person sind, die Euch schaden will?“

Thyrus stand auf und stieß einen verärgerten Seufzer aus, der laut genug war, dass sogar Simmons ihn zu hören schien. „Verzeihung, Malress. Aber ist es möglich, dass der Zorn, den Ihr mit Euren beeindruckenden Gaben wahrgenommen habt, nichts mit Euch zu tun hatten, sondern vielmehr mit der Lage, in der die Angeklagte sich befunden hat?“

„Das bezweifle ich stark.“ Lexi lehnte sich gegen die gepolsterte Rückenlehne und schlug die Beine übereinander, wobei sie ein gebräuntes Bein entblößte.

Thyrus legte den Kopf schief und lächelte sie an wie ein Vater, der sie beschwichtigen wollte. „Ja, aber es wäre möglich, nicht wahr? Es wäre sogar möglich, dass sie tatsächlich wütend auf Euch war, aber trotzdem bereit war, sich und Euch in eine prekäre Situation zu bringen, um ihren ehemaligen Liebhaber zu schützen. Richtig?“

Mehrere Ratsmitglieder schnappten hörbar nach Luft, als sie die indiskrete Anspielung hörten.

Lexi bedachte Thyrus von ihrem Thron aus mit finsterem Blick. Sie saß völlig reglos da, sodass man sie auch für einen Pappaufsteller hätte halten können. „Das nehme ich an.“

Beeindruckend. Serena konnte sich nicht entscheiden, was sie mehr erfreute. Thyrus‘ geschicktes Manöver oder Lexis Unbehagen.

Simmons fuhr fort und rief weitere Zeugen auf, während Thyrus konterte und der Tag unaufhaltsam voranschritt.

Serenas Rücken schmerzte von dem unbequemen Holzstuhl, auf dem sie saß, und ihr Hintern war schon vor mindestens einer Stunde taub geworden.

Die Beine von Thyrus‘ Stuhl scharrten über den rauen Boden, als er sich abermals erhob. „Die Verteidigung ruft Reese Theron in den Zeugenstand.“

Reese machte sich auf den Weg zu dem Stuhl zu Eryx‘ Rechten.

Kaum hatte sein Hintern die Sitzfläche berührt, da begann Thyrus auch schon mit seiner Befragung. „Ist meine Klientin zu Euch gekommen, um Euch von Maxis Steysis‘ Plänen zu erzählen und den Malran um Gnade zu bitten?“

„Das ist richtig.“ Reese begegnete ihrem Blick. Seine wilde Mähne aus langem, blondem Haar untermalte seinen muskulösen Körperbau, sodass er wie ein Löwe aus der Sahara wirkte. „Obwohl ich ihre Aufrichtigkeit infrage gestellt habe.“

„Das ist Eure Meinung und reine Vermutung“, erwiderte Thyrus. „Ist sie zu Euch gekommen und hat Euch von Maxis‘ Plänen erzählt oder nicht?“

„Das ist richtig.“

„Hat sie Euch gesagt, dass sie Euch diese Informationen weitergab, obwohl sie sich damit in Gefahr begab?“

„Das hat sie.“

„Und hat sie Euch gebeten, den Malran in ihrem Namen um Gnade zu bitten?“

„Ja.“

Thyrus fuhr mit dem Finger über den Rand seines Notizblocks. „Hat sie dadurch dem Malran die Informationen geliefert, die nötig waren, um den Anführer der Rebellion zu stürzen?“

„Ich würde sagen, das ist ein strittiger Punkt, wenn man bedenkt, dass sie diejenige war, die den Mord begangen hat.“

Thyrus hob ruckartig den Kopf. „Ganz genau.“ Er ging um den Tisch herum und baute sich vor Reese auf. „Trotz ihrer Bitte um Hilfe und obwohl sie ihr eigenes Leben in Gefahr gebracht hat, hat sie den Malran an erste Stelle gesetzt und ihn vor einem Mann geschützt, der sie gezwungen hat, sich mit ihm zu verbinden.“

Ein Raunen ging durch die Menge.

Lexi starrte mit düsterem Blick von ihrem Thron herab.

Nachdenklich strich Eryx mit dem Daumen über die glatte Armlehne seines Stuhls. „Sonst noch etwas, Anwalt?“

Thyrus drehte wieder um und schüttelte den Kopf. „Nein, mein Malran. Keine weiteren Fragen.“

Kapitel 4

Ramsay ließ seinen Kopf gegen die gepolsterte Lehne der Couch in Eryx‘ privatem Ratszimmer zurückfallen und starrte an die verzierte Decke. Vier verfluchte Stunden hatte er in diesem verdammten Prozess verschwendet. Fünf, wenn man die Rückreise von Evad und den Flug nach Cush mitzählte.

Trinity würde jetzt in der Bibliothek sein. Diese Information hatte er ihrer Freundin Margo schließlich abgerungen, nachdem er ihr eineinhalb Stunden lang versichert hatte, dass er niemals etwas tun würde, was Trinity gefährden könnte. Er hatte ihr immer wieder geschworen, dass er sie nur kennenlernen wollte.

Und er wollte herausfinden, wie zum Histus sie zu dieser Halskette gekommen war. Zudem würde er zu gern erfahren, wie sie ihn betäubt hatte, als er versucht hatte, ihre Erinnerungen zu scannen.

Er war so kurz davor gewesen, einen weiteren Blick auf ihren Anhänger zu werfen. Ihre zarte Haut hätte ihm fast die Fingerknöchel verbrannt, bevor sie wie ein verängstigter Hase Reißaus genommen hatte.

„Das ist kein Witz, Mann“, sagte Jagger mit dröhnender Stimme zu Wes, Troy und Ian. Sie hatten sich in der Nähe des Konferenztischs am anderen Ende des Raumes versammelt, um ihren Malran zu unterstützen. „Im einen Moment war er noch ein vollendeter Don Juan und im nächsten lag er flach auf dem Hintern.“

Schallendes Gelächter erfüllte den Raum, während alle Ramsay beäugten.

Alle außer Ludan. Eryx‘ bester Freund und Somo hatte sich in einem schicken Ohrensessel niedergelassen, der viel zu zierlich für seinen kräftigen Körperbau war. Er war zwar anwesend, aber er schien so weit weg zu sein, wie Ramsay sich fühlte.

„Du hast es einfach nicht lassen können“, sagte Ramsay zu Jagger durch ihre Verbindung.

„Natürlich nicht.“ Jagger wackelte mit den Augenbrauen und hob sein Glas Strasse an, der in der Sonne schimmerte. Die meisten myrenischen Krieger tranken den kräftigen, bernsteinfarbenen Schnaps gern. „Wenigstens habe ich es im kleinen Kreis erzählt. Wäre ich zu Boden gegangen, hättest du mich vor versammelter Mannschaft während des Trainings bloßgestellt.“

Ian setzte sich auf den gut gepolsterten Sessel zu Ramsays Linken, dessen dunkelbrauner Farbton zu dem Rest der dunklen Einrichtung des Raumes passte. Maskuline Raffinesse, hatte seine Mutter es genannt, als sie während der Regierungszeit seines Vaters die Zimmer neu dekoriert hatte. „Daran zweifle ich keine Sekunde.“

Ramsay blickte ruckartig auf. Hatte Ian das gerade laut gesagt?