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Tassilo Grapsch war ein Räuber. Und was für einer! Nicht sehr klug, aber unheimlich stark. Seine breite, dicht behaarte Brust und die enorm dicken Armmuskeln beeindruckten jeden, der sie zu sehen bekam. Er hatte Hände wie Schaufeln, Schugröße neunundvierzig und war fast zwei Meter groß! Der grauweiße Bart, der früher mal kohlschwarz gewesen war, hatte sein halbes Gesicht zugewuchert und reichte ihm bis zum Nabel. Aus seiner wilden Mähne ragten rote Henkelohren. Unter den buschigen Brauern funkelten seine Augen. In seinem Mund konnte er eine Vierteltorte auf einmal hineinschieben. Und seine Nase war ein richtiger Räuberzinken. Ja, er war ein tollkühner, unglaublich starker und sehr gefürchteter Räuber gewesen. Aber er hat seit Jahren nicht mehr geraubt. Olli, seine Frau, wollte es so. Die ewige Langeweile machte ihn krank: als erstes fällt ihm ein Zahn nach dem anderen aus, dann verschluckt er sein neues Elchgebiss. Zu guter letzt soll er in die Klapsmühle, bis sein alter Freund Max kommt und eine Idee hat ... Die witzig-skurrilen Geschichten über den furchtlosen Räuber, von Dorota Wünsch liebevoll illustriert, sind längst ein Klassiker geworden.Weitere Räuber Grapsch Geschichten: - Räuber Grapsch will wieder rauben - Räuber Grapsch ein Wüstenräuber?
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Seitenzahl: 57
Sieghelm Stolzenrück kam allein aus Bad Schlotterborn zurück. Ohne seine Rosamunde. Einsam saß er nun auf der Terrasse des Ferienhauses und starrte in den Wald. Grapsch und Olli trösteten ihn, so gut sie konnten.
Als Grapsch mal im Klomobil hockte, bat Olli den pensionierten Polizeihauptmann, ihr zu helfen, Grapsch abzulenken. Sie und er waren sich sofort einig: Tassilo durfte nie mehr in seine alten Räubergewohnheiten zurückfallen!
Bis Grapsch aus dem Klomobil zurückkehrte, hatten sie sich auch schon ein neues Ablenkungsmittel ausgedacht. Mit Anton zusammen spielten sie drei Tage lang Skat. Stolzenrück gewann fast immer. Und ab und zu ertappte er sich bei dem Gedanken, dass sein neues Leben auch Vorteile hatte: Rosamunde hätte ihn nicht tagelang Karten spielen lassen! Und es fragte auch keiner danach, ob er sein Bett machte oder nicht. Und ob er jeden Tag frische Socken anzog. Olli wusch seine Socken und lud ihn oft zum Essen ein. Ganz langsam kam seine gute Laune zurück.
Aber während sich Stolzenrück von Tag zu Tag besser fühlte, ging Grapsch jeden Abend mit einem längeren Gesicht zu Bett. Kartenspielen war ja an sich eine feine Sache. Aber fast nie dabei gewinnen? Er schielte immer häufiger zur Ofentür hinüber. Olli und Stolzenrück warfen sich besorgte Blicke zu. Sie brauchten dringend einen Plan!
Schließlich kam dem pensionierten Polizeihauptmann die Idee mit der Elchzucht.
„Elche“, rief er am Morgen des vierten Tages, als Grapsch seine Karten lustlos so hielt, dass sie jeder sehen konnte. „Elche lieben sumpfige Wälder. Der Rabenhorster Wald ist genau das Richtige für sie. Bis zu drei Metern sind sie lang und sogar größer als du! Dabei sind sie absolut ungefährlich für unsereins, denn sie leben nur von Gras, Farn und Rinde. Von einem einzigen Elch werden wir ein halbes Jahr lang satt!“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. Als niemand etwas sagte, fuhr er begeistert fort: „Wir werden natürlich nicht alle Elche verzehren. Wir werden Elchrennen veranstalten und Eintritt dafür nehmen. Und in der Adventszeit werden wir Elche mit Weihnachtsschlitten vermieten. Mit einem Weihnachtsmann drin. Der bist du. Olli muss dir nur noch einen roten Mantel und eine rote Mütze mit Pelzbesatz nähen. Wenn wir genug Werbung dafür machen, werden wir uns vor Bestellungen gar nicht retten können! Außerdem wirft ein Elch jedes Jahr sein Geweih ab. Und für Elchgeweihe wird viel gezahlt!“
„Das erste Elchgeweih“, knurrte Grapsch, „behalte ich selber. Das kommt in unserem Wohnsaal an die Wand.“
Bald wurden ein Elch und zwei Elchkühe angeliefert. Olli bezahlte sie vom Malergeld. Grapsch und Stolzenrück rieben sich die Hände: In ein paar Monaten würden die Kühe Kälber kriegen, und die Kälber würden, sobald sie Kühe geworden wären, wieder Kälber kriegen und so weiter. In ein paar Jahren würde hier eine ganze Herde weiden!
Es waren große, massige Tiere, die gleichgültig in die Landschaft glotzten. Der Elch war den Kühen mit seinem sperrigen Schaufelgeweih oft im Weg. Manchmal bekamen auch Kamel und Pony unsanfte Stöße ab, wenn es um das Futter ging. Das Gras im Gehege reichte jetzt nicht mehr für alle, die da ästen. Grapsch und Stolzenrück mussten täglich zusätzliches Futter heranschaffen. Und nicht wenig!
Die Elche waren unersättlich! Sie fraßen das Laub von den Bäumen, die im Gehege standen. Sie rissen ganze Zweige ab und verschlangen sie. Ja, sie zogen sich sogar Stolzenrücks Socken rein, die er zum Auslüften an den Zaun gehängt hatte. Bald magerten Kamel und Pony ab, weil ihnen die Elche kein Futter übrig ließen.
„Und wo bleiben die Kälber?“, knurrte Grapsch. „Jeden Morgen schneiden wir Schilf, laden uns ein paar Bündel auf den Buckel und schleppen sie zu ihnen. Sie mampfen alles ratzeputz weg. Aber es passiert nichts!“
Eines Morgens passierte was: nämlich eine Katastrophe. Als Grapsch seine Arme ausbreitete und an dem Geweih rüttelte, um zu sehen, ob es schon locker war, erwischte der Elch seinen Bart, den er offensichtlich für eine Art Futter hielt. Jedenfalls begann er, ihn zu verschlingen. Grapsch rüttelte wütend am Geweih, schlug dem Elch die Faust aufs Maul, trat ihm auf die Zehen und versuchte verzweifelt, seinen Bart wieder aus dem Elchschlund herauszuziehen.
Vergeblich. Der Elch ließ sich nicht stören. Um das Futter von Grapschs Kinn und Wangen zu rupfen, zog er gewaltig. Das tat ziemlich weh. Grapsch begann zu brüllen und zu toben. Im letzten Augenblick kam Stolzenrück mit Rosamundes großer Schere angerannt und schnitt den Bart ab. Zufrieden schluckte der Elch Grapschs Bartpracht hinunter, rülpste dann und drehte Stolzenrück seinen Hintern zu. Für ihn war diese Sache erledigt.
Nicht aber für Grapsch. Der sah jetzt so merkwürdig aus, dass ihn Olli kaum erkannte, als er sich ins Grapschheim zurückschleppte: Nur der Schnurrbart war noch da und ein bisschen Gestrüpp auf beiden Wangen. Direkt unter dem Kinn aber war der Bart zu Ende. Einfach ab. Und Kinn und Wangen waren von dem Gezerre so wund, dass Olli alle ihre Salben hervorkramte, um die Schmerzen zu lindern und die gepeinigte Haut zu heilen.
Doch keine half. Grapschs untere Gesichtshälfte entzündete sich. Er lag auf dem Bett im Geburtskämmerchen und jammerte und stöhnte den ganzen Tag. „Du wirst noch so lange an mir herummachen, Olli, bis mir der Bart nicht mehr nachwächst!“, klagte er.
„Mir fällt nichts mehr ein, was ich noch an deinem Kinn ausprobieren könnte.“ Sie schüttelte den Kopf. „Jetzt kann nur noch ein Arzt helfen.“
„Eher tunke ich mein Kinn in Kamelspucke, bevor ich einen Arzt an mich ranlasse!“, knurrte er.
„Kamelspucke?“, fragte Olli nachdenklich. „Warum eigentlich nicht? Vielleicht hilft sie ja …“
Schon lief sie mit einer Schüssel zum Gehege und brachte sie eine Viertelstunde später halb gefüllt zurück. Mit dem sahnigen Schleim bestrich sie Grapschs Kinn und Wangen.
„Mit dem Elch ist irgendwas“, berichtete sie. „Er liegt auf dem Boden und röchelt. Es sollte mich nicht wundern, wenn er an deinem Bart einginge. Wie soll er ihn denn auch verdauen?“
„Warum drückt er ihn nicht unverdaut wieder raus?“, knurrte Grapsch.
„Einen ganzen Bart?“, fragte Olli. „Wie leicht kann so was ein dickes Knäuel bilden und damit ein Loch oder einen Durchgang zustopfen!“
Die Kamelspucke wirkte Wunder. Am Abend dieses Tages war Grapschs Kinn abgeschwollen und brannte nicht mehr. Aber als er das Geburtskämmerchen verließ, um nach dem Elch zu sehen, lag der tot im Gehege, gestorben an Grapschs Bart.