Räuber Grapsch rund um die Welt (Band 4) - Gudrun Pausewang - E-Book

Räuber Grapsch rund um die Welt (Band 4) E-Book

Gudrun Pausewang

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Beschreibung

Räuber Grapsch konntest du nicht übersehen, denn er war fast zwei Meter groß, mit Schuhgröße neunundvierzig. Aus seinem Struwwelhaar ragten große rote Henkelohren, und der schwarze Bart reichte ihm bis zum Nabel. Er liebte das Rauben genauso wie seine immer größer werdende Räuberfamilie. Komplett war sie aber erst mit der Heimkehr von Oma Ata. Und sie kam nicht allein. Mit dabei war ein Elefant, drei Löwen, ein Apfelschimmel, ein Kamel, ein Clown… Ach, ein ganzer Zirkus! So aufregend war es im Rabenhorster Wald schon lange nicht mehr….Die witzig-skurrilen Geschichten über den furchtlosen Räuber, von Rolf Rettich mit viel Detailfreude illustriert, sind längst ein Klassiker geworden.Weitere Räuber Grapsch Geschichten: - Ein Eigenheim für Räuber Grapsch - Räuber Grapsch fühlt sich nicht wohl - Räuber Grapsch muss leiden

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2014 Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH © 1992 und 2003 Ravensburger Verlag GmbH Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH Postfach 2460, D-88194 Ravensburg. Autor: Gudrun Pausewang Illustrator: Rolf Rettich Koloriert von Mia Steingräber

ISBN 978-3-473-47577-3

www.ravensburger.de

Ein Nackedei rennt durch den Wald

„Hast du irgendwo meinen Räubersack gesehen, Olli?“, grunzte Räuber Grapsch eines Morgens im Herbst, ein paar Wochen nach Lisbeths Geburt. „Ich hab schon gestern nach ihm gesucht und konnte ihn nicht finden.“ Er wälzte sich aus dem Heu, während Quarka und Lisbeth an Ollis Brüsten tranken, und schnaubte den Heustaub aus den Nasenlöchern.

„Mach nicht so eine Zugluft“, sagte Olli. „Die Kinder könnten sich erkälten. Den Räubersack? Den hab ich verbrannt.“

Grapsch, der gerade an der Kletterstange in die Stube hinunterrutschte, bremste erschrocken. Er rutschte wieder hinauf, bis er durch das runde Deckenloch in den Dachboden schauen konnte, schob den Nachttopf beiseite und knurrte: „Was hast du da gesagt?“ „Du brauchst ihn ja nicht mehr“, sagte Olli ruhig. „Jetzt, wo du zwei Kinder hast, Tassilo, wird nicht mehr geraubt. Jetzt bleibst du zu Hause und ernährst uns redlich. Wir haben ein Haus, eine Höhle und einen Garten, dazu einen großen Wald. Davon müssten wir doch irgendwie leben können!“

Grapsch seufzte, dass das Heu aufwirbelte. Wieder dieser alte Streit! Eine Riesenbrust müsste ich haben, dachte er, aus der Olli und die Kinder jederzeit Milch und Honig saugen könnten, wenn sie Hunger hätten. Und ich auch. Dann würde Olli nicht immer so quengeln –

Aber so eine Brust hatte er nicht. Und die ließ sich auch nirgends rauben. Er schaute Olli zu, wie sie jetzt die Kinder im Heu windelte. Was für schöne Töchter! Und Olli, seine Frau – die beste Frau der Welt. Ein Prachtstück, klein, aber oho! So eine Frau, solche Kinder konnte er unmöglich verhungern lassen. Aber draußen tanzten schon die ersten Schneeflocken. Bald würde tiefster Winter sein. Der Vorratskeller war leer. Max und Anton, die beiden Bauhelfer, hatten einen gesegneten Appetit gehabt, fast so gesegnet wie er selber.

„Mach Platz“, sagte Olli, „ich muss mit den Kindern runter.“ Grapsch verschwand abwärts. Olli drückte Quarka an die Stange. Quarka war noch kein Jahr alt, sie konnte noch nicht laufen. Aber rutschen konnte sie schon. Sie klammerte ihre winzigen Händchen um die Stange und rutschte ihrem Vater nach. Hinter ihr kam Olli heruntergesaust – mit angewinkelten Knien, damit sie Lisbeth in der Schürzentasche nicht zerquetschte.

Grapsch zog Quarka von der Stange ab wie eine Schnecke vom Stängel und setzte sie auf den Fußboden. Das gab jedes Mal ein fürchterliches Geschrei, denn Quarka rutschte für ihr Leben gern. Manchmal, wenn Olli noch oben auf dem Dachboden war, warf Grapsch Quarka wieder durch das Loch hinauf, und Olli ließ sie noch einmal an der Stange herabrutschen. Oder noch öfter. Und Grapsch und Olli lachten dabei Tränen.

Aber dazu hatte Grapsch heute keine Lust. Trübselig duschte er sich unter dem Wasserfall im Keller, dann trottete er, noch nackt, um sein rundes Eigenheim. Er winkte der Fratze und dem Schweinehintern über der Haustür zu und sah sich um. Da lag der Garten, sauber umgegraben. Aber pflanzen und säen konnte man erst im Frühjahr. Drüben an der lieben alten Räuberhöhle hing schon ein kleiner Eiszapfen. Nachdenklich betrachtete Grapsch den Sumpf und die Baumwipfel. Mit einer kleinen Hoffnung im Räuberherzen schlurfte er wieder ins Haus zurück.

„Du kannst doch so gut kochen, Olli“, sagte er. „Könntest du nicht Salat aus Schilf und Binsen machen? Und Tannenzapfen braten? Wir haben doch beide gute Zähne – “

„Sind wir Wildschweine oder Eichhörnchen ?“, unterbrach ihn Olli ärgerlich. „Lass dir was Besseres einfallen!“

„Dazu muss ich mich hinlegen“, sagte Grapsch und kroch wieder ins Heu. Bald hörte Olli ihn schnarchen. Da wieselte sie voller Zorn an der Stange hoch, kniete sich auf seine Brust, zog ihn am Bart und schrie: „Wenn du uns kein Essen verschaffst, geh ich mit den Kindern wieder zu Oma Lisbeth!“

Das machte ihn wach. Er rutschte so schnell an der Stange herunter, dass er sich fast die Schenkel verbrannte, fuhr in die Stiefel und stürzte aus dem Haus.

„Na also“, sagte Olli zufrieden. Aber als sie zwischen den Dachsparren hinausspähte und ihn rennen sah, rief sie erschrocken: „Du hast ja nichts an!“ Und als sie sah, dass er in Richtung Juckenau rannte, kreischte sie ihm nach: „Und wehe, du raubst!“

Meerschweinchen in der Bluse

Am Abend, als es schon finster war, klopfte es an Maxens Tür. Besser gesagt: Es tat Schläge, dass das ganze Häuschen zitterte. Max, der Feuerwehrmann, war gerade von einem Feuerwehreinsatz zurückgekommen und saß in der Badewanne, um sich den Ruß abzuwaschen. Das Wasser in der Wanne war kohlrabenschwarz. Herrje, schon wieder brennt’s wo!, dachte er, sprang aus der dampfenden Wanne und rannte pudelnackt zur Haustür. Aber kein Feuerwehrmann stand davor, sondern Räuber Grapsch, ebenfalls pudelnackt. Nur seine Füße steckten in Stiefeln. Er war blauviolett vor Kälte. „Du bist’s, mein lieber Lebensretter!“, rief Max erfreut und zog ihn ins Haus.

Grapsch antwortete nicht. Sein Unterkiefer war am Oberkiefer festgefroren. Aber als er die dampfende Wanne erblickte, wurde er lebendig, fuhr aus den Stiefeln und hüpfte mit einem mächtigen Satz ins Rußwasser, dass die Wogen über den Rand schwappten. „Bist du wahnsinnig?“, rief Max. „Du wirst doch ganz schwarz!“ Grapsch zog die Knie hoch, rutschte tief in die Wanne, tauchte den Kopf ganz ein, bis alles Festgefrorene aufgetaut war, tauchte als Mohr wieder auf und grunzte: „Lieber schwarz als kalt – “

Max schüttelte den Kopf, trocknete sich ab und zog sich an. Dann kochte er einen Riesentopf Kartoffeln und schlug ein Dutzend Eier in die Pfanne, wobei er sich Sorgen machte, ob diese Menge wohl reichte. Und was sollte Grapsch anziehen? Schon stieg der Räuber aus der Wanne, schwarz gestreift, und Wasserbäche ergossen sich in die ganze Wohnung. Max riss schnell seinen Kleiderschrank auf, schleppte herbei, was er besaß, und Grapsch probierte. Hosen platzten, Nähte krachten. Schließlich entschied er sich für Maxens Jogginganzug. Der war dehnbar. Die Hosenbeine reichten zwar nur bis knapp unter die Knie, und die Bluse war nicht im Stande, Grapschs Bauch zu bedecken. Aber Grapsch langte sich einfach das nasse Badetuch her, wickelte es sich um die nackte Partie zwischen Hose und Bluse – und fertig.

Als Max Kartoffeln und Rührei auf Grapschs Teller häufte, winkte der Räuber traurig ab und wischte sich mit dem Bart über die Augen.

„Du hast keinen Hunger?“, rief Max bestürzt. „Dann geht’s dir schlecht. Erzähle! Kratz dir’s von der Seele, Mann!“

Da geschah etwas Unglaubliches: Grapsch, dieser riesige, haarige Kerl, fing an zu weinen. Er weinte so heftig, dass sein Bart troff und das Rührei vom Tisch geschwemmt wurde. Vor Rührung weinte Max mit. Und sobald er den Grund für Grapschs Tränenstrom erfahren hatte, begann er gleich alles, was er in seiner Speisekammer hatte, in einen Bettbezug zu füllen. Denn einen Sack hatte er nicht zur Hand.

„Danke“, schluchzte Grapsch und umarmte Max so heftig, dass dem die Knochen knackten. „Ich verspreche dir auch, dass ich dir dafür gern noch mal dein Leben rette ...“

Gemeinsam wischten sie die Wohnung trocken, dann nahm Grapsch Abschied.

„Warte“, sagte Max, „ich muss dir noch was zeigen, bevor du gehst.“ Und er führte Grapsch in den Schuppen, wo er ihm stolz seine Meerschweinchen vorführte, die er seit seiner Heimkehr aus dem Rabenhorster Wald züchtete. „Hier“, sagte er und steckte dem Räuber ein schwarzes Meerschweinchen vorn in die Bluse, „ein kleines Geschenk für Quarka.“

„Und Lisbeth?“, fragte Grapsch.

Es zeigte sich, dass Max noch nichts von Lisbeth wusste. „Nein so was!“, rief er. „Ich gratuliere!“ Und er steckte noch ein zweites Meerschweinchen in Grapschs Bluse, ein weißes.

Erleichtert stapfte Grapsch zurück in den Wald. Kurz vor Mitternacht kam er daheim an. Olli sprang an ihm hoch und wollte ihm um den Hals fallen, doch da sah sie sein schwarz gestreiftes Gesicht. „Wo warst du?“, schrie sie entsetzt.

„In einer rußigen Badewanne“, antwortete er.

Die Kinder waren auch noch nicht im Heu, sondern kugelten in der Stube herum. Als sie ihren Vater erkannten, krähten sie vor Vergnügen.

„Ich hab auch allen was Schönes mitgebracht“, tönte Grapsch und wuchtete Olli den prallvollen Bettbezug vor die Füße.

„Geraubt?“, fragte Olli finster.

„Geschenke von Max“, antwortete Grapsch. Und schon zog er das schwarze Meerschweinchen aus der Bluse und gab es Quarka in die Patschhände. Schwuppdiwupp, auch das weiße erschien. Er setzte es vor Lisbeth auf den Fußboden und ließ es herumhüpfen.

Die Kinder staunten, und Grapsch grinste zufrieden. Alles war ja wieder in Ordnung. Olli zog mit Gejuchz Maxens Schätze – vor allem Kartoffeln, Möhren und geräuchertes Schweinefleisch – aus dem Bettbezug und schnupperte an ihnen.

„Und schöne Grüße von ihm“, sagte Grapsch.

Plötzlich wurde sein Blick starr. Er griff sich in die Bluse. Und was zog er heraus ? Noch ein Meerschweinchen! Ein schwarz-weiß geflecktes !

„Das geht nicht mit rechten Dingen zu“, stotterte er verblüfft, zog sich die Bluse über den Kopf und schüttelte noch ein viertes Meerschweinchen heraus, „Max hat mir nur zwei geschenkt – das schwöre ich!“

„Denen geht’s wie uns, mein Zuckerböckchen“, sagte Olli heiter und hängte sich nun doch an Grapschs rußigen Hals.

Aber nach drei Wochen war die Harmonie dahin: Der Bettbezug war leer gefuttert, und nun hatte Olli vor Hunger nicht mehr genug Milch in der Brust. In ihrer Not kochte sie Heusuppe, Heugemüse und Heutee.

„Bald fange ich an zu muhen und zu blöken“, seufzte Grapsch. „Dann schaff was anderes her!“, schimpfte Olli.

Zu allem Elend schneite es schon den dritten Tag. Grapsch verkroch sich vor Verzweiflung ins Heu. Neun Stunden schlief er wie ein Stein. Und als er endlich wieder aus dem Heu auftauchte, waren Olli und die Kinder fort, samt Ollis Stiefeln und ihrem Pelzmantel, der mal Frau Stolzenrück gehört hatte. Nur die Meerschweinchen waren noch da. Inzwischen waren es acht.

Natürlich freute sich Oma Lisbeth sehr, als Olli mit den Kindern vor der Tür stand. Sie nahm das neue Kleinchen behutsam in die Hände und küsste es ab. Und ganz aus dem Häuschen geriet sie, als sie erfuhr, dass es Lisbeth hieß. „Nein aber auch gar!“, rief sie und schob es sich zwischen Bluse und Schal, wo es schön warm war. Auch Quarka bekam einen warmen Platz: oben auf dem Kachelofen. Aber auf Olli war Oma Lisbeth diesmal gar nicht gut zu sprechen.

„Du bist auf und davon, weil er euch nicht satt machen kann?“, schimpfte sie. „Wie soll er denn? Es ist Winter! Und wenn er euch was rauben will, erlaubst du’s ihm nicht! – Arbeiten? Er kann sich ja nirgends sehen lassen. Alle kennen ihn. Willst du etwa, dass er wieder ins Gefängnis kommt? – Heute Nacht kannst du hier schlafen, meinetwegen. Aber morgen Früh gehst du mit den Kindern zurück in den Wald und lässt ihn, verflixt noch mal, bis zur nächsten Ernte auf Raubzüge gehen. Er hat ja nichts anderes gelernt ...“ So kam’s, dass Olli am nächsten Mittag wieder samt den Kindern und einem Schlitten voll Proviant ins runde Haus heimkehrte, den verzweifelten Grapsch aus dem Heu wühlte und ihn reuevoll auf den Bart küsste.

„Mein Halunkilein, mein Süßes“, flüsterte sie, „mein King-Kongchen, mein Gaunerle, geh rauben, wenn’s nicht anders geht!“

Da stieß Grapsch einen Freudenschrei aus, der die Wipfel beutelte.

„Hast du das gehört, Karo?“, flüsterte der alte Förster Emmerich, der am Waldrand von Juckendorf mit seinem Hund einem Wildschweinrudel auflauerte. „Das klang verdächtig nach Mord. Morgen müssen wir uns unbedingt die JUCKENER MORGENPOST kaufen.“

Grapsch rollte Olli durchs Heu, warf sie sich auf die Schultern und sauste mit ihr die Stange hinunter. Und schon stopfte er Jogginganzug und Badetuch in den Bettbezug, fuhr in Hose, Stiefel und Kittel und trabte mit dem Bettbezug als Sack auf dem Rücken davon. Er war noch nicht über den Sumpf, da war er schon dick beschneit.

Olli winkte ihm unter dem Schweinehintern nach. Auf einmal fiel ihr siedend heiß ein, dass heute Nikolaustag war!

„Tassilo!“, schrie sie ihm nach, „heute kannst du nicht rauben gehen, heute sind die Nikolause bis spät nachts unterwegs, von Haus zu Haus, die sehen und verraten dich!“