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Leichtfüßig eilt er durch die Jahrhunderte - elegant und bissig, überlegen an berechnender Schläue und heuchlerischer Verschlagenheit: Reineke Fuchs, der gefährliche Schelm in den Tierfabeln aus Antike und Mittelalter. Gern nistet er sich bei den Dichtern ein, die von ihm und seiner - und unserer - Welt mit heiterer Kunstfertigkeit erzählen. Lebendig stellen ihn uns die Kupferstecher, Maler und Zeichner vor Augen, und in berühmten Hexametern schilderte auch Goethe Reinekes unterhaltsame, wenn auch äußerst bedenkliche Taten und Abenteuer. Hier nun begegnet er uns aufs Neue in einer gereimten Fassung mit dem uralten Thema vom Lauf der Welt: Er ist der Meister des frommen Betrugs, wohl weiß er mit Worten zu fangen - Sein Name lautet: Reineke Fuchs, vor welchem die Lebenden bangen.
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Seitenzahl: 102
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Unter den in unserem Vaterlande wildlebenden Säugethieren steht der Fuchs (Canis vulpes) unzweifelhaft obenan. Kaum ein einziges anderes Mitglied dieser Klasse genießt einen so hohen Ruhm und erfreut sich einer so großen Bekanntschaft wie Freund Reineke, das Sinnbild der List, Verschlagenheit, Tücke, Frevelhaftigkeit und, wie ich sagen möchte, gemeinen Ritterlichkeit. Ihn rühmt das Sprichwort, ihn preist die Sage, ihn verherrlicht das Gedicht; ihn hielt einer unserer größten Meister für würdig, seinen Gesang ihm zu widmen. Es ist gar nicht anders möglich: der Gegenstand einer so allgemeinen Theilnahme muß ein ausgezeichnetes Geschöpf sein. Und das ist denn auch unser Schlaukopf und Strauchdieb in jeder Hinsicht. Wir müssen ihm seiner geistigen wie leiblichen Eigenschaften wegen unsere Achtung zollen, ihn gewissermaßen liebgewinnen. Gleichwohl erfreut sich Reineke keineswegs unserer Freundschaft. Trotz aller Anerkennung, welche seine Fähigkeiten uns einflößen, wird er von uns verfolgt und befehdet, wo sich nur immer Gelegenheit dazu bietet.
Der Fuchs ist ein vollendetes Thier in seiner Art. „Zierlicher, als seine Verwandten in Tracht und Haltung“, sagt Tschudi, „feiner, vorsichtiger, berechnender, biegsamer, von großem Gedächtnis und Ortssinn, erfinderisch, geduldig, entschlossen, gleich gewandt im Springen, Schleichen, Kriechen und Schwimmen, scheint er alle Erfordernisse des vollendeten Strauchdiebes in sich zu vereinigen und macht, wenn man seinen geistreichen Humor hinzunimmt, den angenehmen Eindruck eines abgerundeten Virtuosen in seiner Art.“ Reineke ist unbedingt der allervollendetsten Spitzbuben einer. Mit seinen leiblichen Begabungen stehen seine geistigen Fähigkeiten nicht bloß im Einklange, sondern helfen ihm gewissermaßen über manche Mängel seiner leiblichen Ausrüstung, im Vergleiche zu anderen, besser begabten Raubthieren hinweg. Reineke versteht sein Handwerk zu treiben und läßt sich kaum von einem zweiten Geschöpfe übertreffen. Ihm scheint nichts unerreichbar, seiner List und Tücke kein Wild zu schnell oder zu stark, seiner Behendigkeit nichts zu rasch und zu gewandt zu sein. Gefahr würdigt er vollkommen, aber fürchtet sie nicht; denn für ihn sind alle Netze, Fallen, Schlingen und Jagdwaffen eigentlich kaum da; für ihn findet sich aus jeder Verlegenheit noch ein Ausweg.
Reineke lebt, hundertfach durch Wort und Bild gezeichnet, in Jedermanns Anschauung und ist wohl bekannt. Demungeachtet verdient er den weniger mit der Natur Vertrauten besonders vorgestellt zu werden. Seine Länge beträgt bis 1,3 Meter, wovon freilich 40 Centim. auf den Schwanz kommen, die Höhe am Widerrist dagegen nur 35, höchstens 38 Centim., das Gewicht sieben bis zehn Kilogramm. Der Kopf ist breit, die Stirn platt, die Schnauze, welche sich plötzlich verschmälert, lang und dünn. Die Seher stehen schief und die Lauscher, welche am Grunde sich verbreitern und nach oben zuspitzen, aufrecht. Der Leib erscheint seines ziemlich dichten Haarkleides wegen dick, ist in Wahrheit aber ungemein schlank, jedoch äußerst kräftig und der umfassendsten Bewegung fähig. Die Läufe sind dünn und kurz, die Standarte oder Lunte aber ist lang und buschig, der Balg sehr reichlich, dicht, weich, und hinsichtlich seiner Färbung ein wirklich vollendeter zu nennen. Reineke sammt seiner ganzen edlen Sippschaft trägt ein Kleid, welches seinem Räuberthume in der allervortrefflichsten Weise entspricht. Die Färbung, ein fahles, grauliches Roth, welches sich der Bodenfärbung förmlich anschmiegt, paßt ebenso zum Laubwalde wie zum Nadelholzbestande, er sei hoch oder niedrig, oder ist für die Heide wie für das Feld und für das Stein- und Felsengeklüfte gleich geeignet.
Seine Wohnplätze werden immer mit äußerster Vorsicht gewählt. Es sind tiefe, gewöhnlich verzweigte Höhlen im Geklüft, zwischen Wurzeln und anderen günstigen Stellen, welche am Ende in einen geräumigen Kessel münden. Wenn es nur irgend angeht, gräbt er sich diese Baue nicht selbst, sondern bezieht alte, verlassene Dachsbaue oder theilt sie mit Grimbart.
Außer dem Menschen hat der Fuchs immer noch eine Anzahl von Feinden. Nicht allein der Wolf fängt und verspeist ihn –
Der Fuchs
Alfred Edmund Brehm, Brehms Tierleben
Zu Pfingsten im sonnigen, wonnigen Mai,
als die Vögel im Felde sangen,
da kamen zum Hofe von König Leu
demütig die Tiere gegangen.
Sie kamen mit Federn, im Pelz und im Fell,
auf Krallen, Pfoten und Hufen:
Es hatte der König mit strengem Appell
zum Hoftag sie alle berufen.
Nur einer von ihnen, wer kannte ihn nicht?
Obwohl den Ruf er vernommen,
hatte doch trotzig der Bösewicht
sich wieder geweigert, zu kommen!
Er ist der Meister des frommen Betrugs,
wohl weiß er mit Worten zu fangen –
Sein Name lautet: Reineke Fuchs,
vor welchem die Lebenden bangen.
Nur Grimbart, den Dachs und verständigen Mann,
pflegte er freilich zu schonen,
wusste er doch, dass der Neffe ihm dann
würde mit Diensten es lohnen.
Und also hoben die Tiere nun an,
über den Räuber zu klagen
und alles, was er ihnen hatte getan,
getreulich dem Herrscher zu sagen.
Als erster meldete Isegrim sich
- stets wurde der Wolf so gerufen –
und sprach von Beschwerden so bitterlich,
die Reinekes Taten ihm schufen:
Hatte er doch einen scharfen Strahl
von seinem Harne gesprühet
auf Isegrims Kinder, denen zur Qual
bis heut sind die Äuglein verbrühet -
Und als da waren mit Absicht genau
die Winselnden giftig geblendet,
fand sogar Isegrims edele Frau
mit Worten sich höhnisch geschändet!
Als Nächster redete Wackerlos
auf französisch! – Dem herzigen Hündchen
blickten zum Himmel die Augen ganz groß
und zuckte zitternd das Mündchen:
„Ein Würstchen fand ich und hatt es beleckt
ein wenig – doch fett und vorzüglich
hielt ich es hinter der Hecke versteckt
und sparte den Bissen noch klüglich.
Reineke aber, der heimlich dort schlich,
hatte still unterdessen
mit wässrigem Maule vollständig
die ganze Wurst aufgefressen!“
Die Tränen rannen jetzt jämmerlich
dem Wackerlos über die Wangen,
als Hinze, der Kater, meldete sich:
„Ach, schweigt doch! – Zwei Jahr sind vergangen,
seitdem ich damals zur Mitternacht
betrat die Mühle so leise,
zog mit den Krallen das Würstchen sacht
und reichte Euchs höflich zur Speise!“
Um sich dem Könige kundzutun,
ein Häschen am Boden umfasste
mit flehendem Aufblick und bittend nun
des Schweifes sich sträubende Quaste.
Da sprach der Panther1: „Ihr sehet gekniet
Lampe, den furchtsamen Hasen,
der vor den geringsten Gefahren gleich flieht
und zupft nur die Hälmchen vom Rasen.
Jüngst wollte Reineke angeblich
ihn lehren, das Credo zu singen,
auf dass Herr Lampe dann könnte sich
als ein Kaplan verdingen.
Wie sie nun saßen mit frommem Gesang
und in Andacht versunkener Seele,
plötzlich der Fuchs dem Sänger sprang
an die schutzlos gebotene Kehle!
Wäre ich nicht des Weges da
zufällig spazieren gekommen,
hätte doch dieser Meister beinah
dem Schüler das Leben genommen!
Hat nicht der König freies Geleit
und Frieden verkündet für jeden?“
Der Wolf versetzte: „Wer wäre gefeit
vor Reinekes schmeichelnden Reden?
Verführt er nicht alle? – Ach, wäre er tot!“,
rief er mit versagender Stimme,
als Reinekes Neffe, der Dachs, entbot
Entgegnung mit heftigem Grimme,
erhob sich und drohte: „Wohl ist bekannt,
Ihr wollt Eure Schande nur rächen!
Aber da wüsste ich allerhand,
der Klage zu widersprechen:
Wäre mein Oheim nur selber hier,
er nennte Euch wahrlich die Taten,
mit welchen doch vormals, Herr Isegrim, Ihr
habt ihn schmählich verraten!
Im Winter ginget Ihr friedlich zu zweit
im Walde, um Beute zu jagen
und begegnetet dort zu gelegener Zeit
eines Fuhrmanns beladenem Wagen
mit Fischen! – Gleich machtet Ihr einen Plan,
dass Reineke schlau auf dem Wege
zur Täuschung als Euer treuer Kumpan
wie tot vor die Räder sich lege.
Der Fuhrmann packte und schleuderte roh
den Reglosen über den Rücken –
er war gewiss seines Fundes schon froh,
der als Kragen sollte ihn schmücken,
als mit hurtiger Pfote Reineke warf
die Fische zum Wolf auf die Erde,
auf dass eine Mahlzeit nach vollem Bedarf
heimlich serviert ihnen werde!
Er sprang vom Wagen – da ging es ihm schlimm,
denn ach! – Wie geschwind unterdessen
hattet doch Ihr schon, Herr Isegrim,
sämtliche Fische gefressen!
Dem Betrogenen, welcher den Streich gewagt,
habt Ihr mit fettigen Pfoten
nur noch zwei Gräten halbabgenagt
verächtlich als Rest angeboten!
Höret nun weiter! - Reineke ging
einst mit dem Wolf, ob zum Schmause
etwas sich fände. – Und siehe, es hing
ein Schwein frisch geschlachtet im Hause!
Beherzt der Oheim durchs Fenster kroch
und warf die dampfende Beute
zum Wolf hinab – das bemerkte jedoch
ein Wachhund. – Die heulende Meute
der sämtlichen Hunde stürmte herbei,
und knapp nur den Mäulern entweichend,
kam keuchend der Kühne gerade noch frei,
geduckt den Ausgang erreichend.
Und wie er nun nach bestandener Gefahr
erbat sich den Anteil vom Schweine –
oh Jammer! – Zum Bersten Herr Isegrim war
gemästet, er fraß es alleine,
und nach seiner wölfischen Art von Humor
ward spaßig der Helfer empfangen:
Hohnlachend warf er das Krummholz ihm vor,
an welchem das Schweinchen gehangen!
Wollt Ihr es hören, vernehmet nun auch,
warum gestemmt überm Leibe
Reineke machte oft gründlich Gebrauch
von Isegrims willigem Weibe:
Denn als sie vorm Fuchs beim höfischen Tanz
befangen die Augen einst senkte,
fühlte er wohl, dass sie gerne ihm ganz
ihre Gunst noch inniger schenkte -
Und richtig! – Sobald der Gemahl war verreist,
ist solches auch pünktlich geschehen –
Was ist schon dabei? – So geht es doch meist –
und wird auch in Zukunft so gehen!“
Wiegenden Hauptes wunderten sich
wie mit erstaunter Gebärde
die Edelen alle, und nachdenklich
blickten sie schweigend zur Erde.
Grimbart fuhr fort: „Ich verstehe auch nicht,
dass Lampe will sich beschweren:
Pflegte er doch im Unterricht
stets Quinte und Quart zu verkehren!
Wohl zupfte mein Oheim ein wenig ihn
an seinen schläfrigen Ohren –
damit er besser mit Disziplin
beachte die Folge der Horen!
Denn zeigt sich discipulus störrisch und stumm,
dass der Meister muss ihn belehren
und zauset ihn etwas – ich frage: Warum
soll man der Ermunterung wehren?
Und weshalb heult der erbärmliche Hund?
Wackerlos sollte sich schämen
und schweigen, anstatt mit dem Diebe im Bund
gestohlenes Gut anzunehmen!
Doch seit in Gnaden, Herr König, Ihr
habt allen nun Frieden geboten,
wandelt mein Oheim nur noch mit Brevier
zwischen gefalteten Pfoten
mager und fastend im härenen Kleid
und singt in vollständiger Länge,
während er sich als Klausner kasteit,
die schwierigsten Kirchengesänge!
Sein prächtiges Schloss Malepartus im Wald
verließ er! – Entkräftet am Leibe
baute er büßend zum Aufenthalt
eine Hütte fern seinem Weibe.“
Wie staunend noch all die versammelten Herrn
solch neue Kunde vernahmen,
mit Wehegeschrei schon vernehmlich von fern
zum König gezogen kamen
Hahn Henning mit Kreyant und Kantart – wie auch
fünf seiner Kinder da gingen,
als Verwandte den Leichnam nach Sitte und Brauch
verhüllten Hauptes zu bringen.
Denn eine Bahre senkten sie dort –
wen hatten sie so wohl getragen?
Eine Henne war es. – Mit zitterndem Wort
begann Herr Henning zu klagen:
„Wie konnten wir immer, von Hunden bewacht
und mit schützenden Mauern umgeben,
im Klosteramtshofe bei Tag und bei Nacht
in Sicherheit sorgenfrei leben!
Doch eines Tages, als Reineke strich
scharfäugig still um die Mauern
und näher mit schnüffelnder Schnauze schlich,
um uns im Hof zu belauern,
da tobten die Hunde! – Der Räuber entwich
und kehrte zurück als ein Pater –
gesenkten Hauptes und scheinheilig
in einer Kutte – so trat er
nun vor uns und sprach, weil durch Königsbescheid
Frieden im Land solle walten,
wolle auch er nun für alle Zeit
gehorsam der Jagd sich enthalten
und reichte den Brief. – In Gebeten gebeugt
begann er zu psalmodieren,
doch wie er heimlich zur Seite äugt,
sieht er uns alle spazieren
zum Hofe hinaus mit freudigem Dank,
die Mauern befreit zu verlassen –
da wie ein Blitz der Heuchler sprang
vor, mit der Pfote zu fassen
die Pforte geschwinde! – Gleich schloss er sie fest,
sodass wir, ins Freie gegangen,
plötzlich mit flatternder Angst und Protest
in Freiheit waren gefangen!
Mit einem Satz den herrlichsten Hahn
riss meuchelmordend er nieder
und schlug ihm beim Sturz seinen schneidenden Zahn
durchs sträubend gespreizte Gefieder!
Und schützte uns dann auch mit wildem Gebell
die Meute der schnobernden Hunde,
der Lüsterne kam doch leise und schnell
wann er wollte, zu jeglicher Stunde.
Von zwanzig Kindern raubte er mir
fünfzehn! – Als Letzte von allen
ist Kratzfuß, die Henne – Ihr sehet sie hier –
ihm tot aus den Krallen gefallen!“
Der Hahn verstummte. – Die Tiere entsetzt
erhoben sprachlos die Pfoten –
Wehe! – Wie fürchterlich Reineken jetzt
des Königs Brauen da drohten!
„Herr Grimbart“, rief er, „da sehet Ihr nun
des Klausners heilige Taten!
Betet für dieses würdige Huhn –
wir aber wollen beraten
mit den weisesten Männern im ganzen Land,
wie wir uns des Frevlers erwehren!“