Reineke Fuchs - Inge Rosemann - E-Book + Hörbuch

Reineke Fuchs E-Book

Inge Rosemann

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Beschreibung

Leichtfüßig eilt er durch die Jahrhunderte - elegant und bissig, überlegen an berechnender Schläue und heuchlerischer Verschlagenheit: Reineke Fuchs, der gefährliche Schelm in den Tierfabeln aus Antike und Mittelalter. Gern nistet er sich bei den Dichtern ein, die von ihm und seiner - und unserer - Welt mit heiterer Kunstfertigkeit erzählen. Lebendig stellen ihn uns die Kupferstecher, Maler und Zeichner vor Augen, und in berühmten Hexametern schilderte auch Goethe Reinekes unterhaltsame, wenn auch äußerst bedenkliche Taten und Abenteuer. Hier nun begegnet er uns aufs Neue in einer gereimten Fassung mit dem uralten Thema vom Lauf der Welt: Er ist der Meister des frommen Betrugs, wohl weiß er mit Worten zu fangen - Sein Name lautet: Reineke Fuchs, vor welchem die Lebenden bangen.

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Unter den in unserem Vaterlande wildlebenden Säugethieren steht der Fuchs (Canis vulpes) unzweifelhaft obenan. Kaum ein einziges anderes Mitglied dieser Klasse genießt einen so hohen Ruhm und erfreut sich einer so großen Bekanntschaft wie Freund Reineke, das Sinnbild der List, Verschlagenheit, Tücke, Frevelhaftigkeit und, wie ich sagen möchte, gemeinen Ritterlichkeit. Ihn rühmt das Sprichwort, ihn preist die Sage, ihn verherrlicht das Gedicht; ihn hielt einer unserer größten Meister für würdig, seinen Gesang ihm zu widmen. Es ist gar nicht anders möglich: der Gegenstand einer so allgemeinen Theilnahme muß ein ausgezeichnetes Geschöpf sein. Und das ist denn auch unser Schlaukopf und Strauchdieb in jeder Hinsicht. Wir müssen ihm seiner geistigen wie leiblichen Eigenschaften wegen unsere Achtung zollen, ihn gewissermaßen liebgewinnen. Gleichwohl erfreut sich Reineke keineswegs unserer Freundschaft. Trotz aller Anerkennung, welche seine Fähigkeiten uns einflößen, wird er von uns verfolgt und befehdet, wo sich nur immer Gelegenheit dazu bietet.

Der Fuchs ist ein vollendetes Thier in seiner Art. „Zierlicher, als seine Verwandten in Tracht und Haltung“, sagt Tschudi, „feiner, vorsichtiger, berechnender, biegsamer, von großem Gedächtnis und Ortssinn, erfinderisch, geduldig, entschlossen, gleich gewandt im Springen, Schleichen, Kriechen und Schwimmen, scheint er alle Erfordernisse des vollendeten Strauchdiebes in sich zu vereinigen und macht, wenn man seinen geistreichen Humor hinzunimmt, den angenehmen Eindruck eines abgerundeten Virtuosen in seiner Art.“ Reineke ist unbedingt der allervollendetsten Spitzbuben einer. Mit seinen leiblichen Begabungen stehen seine geistigen Fähigkeiten nicht bloß im Einklange, sondern helfen ihm gewissermaßen über manche Mängel seiner leiblichen Ausrüstung, im Vergleiche zu anderen, besser begabten Raubthieren hinweg. Reineke versteht sein Handwerk zu treiben und läßt sich kaum von einem zweiten Geschöpfe übertreffen. Ihm scheint nichts unerreichbar, seiner List und Tücke kein Wild zu schnell oder zu stark, seiner Behendigkeit nichts zu rasch und zu gewandt zu sein. Gefahr würdigt er vollkommen, aber fürchtet sie nicht; denn für ihn sind alle Netze, Fallen, Schlingen und Jagdwaffen eigentlich kaum da; für ihn findet sich aus jeder Verlegenheit noch ein Ausweg.

Reineke lebt, hundertfach durch Wort und Bild gezeichnet, in Jedermanns Anschauung und ist wohl bekannt. Demungeachtet verdient er den weniger mit der Natur Vertrauten besonders vorgestellt zu werden. Seine Länge beträgt bis 1,3 Meter, wovon freilich 40 Centim. auf den Schwanz kommen, die Höhe am Widerrist dagegen nur 35, höchstens 38 Centim., das Gewicht sieben bis zehn Kilogramm. Der Kopf ist breit, die Stirn platt, die Schnauze, welche sich plötzlich verschmälert, lang und dünn. Die Seher stehen schief und die Lauscher, welche am Grunde sich verbreitern und nach oben zuspitzen, aufrecht. Der Leib erscheint seines ziemlich dichten Haarkleides wegen dick, ist in Wahrheit aber ungemein schlank, jedoch äußerst kräftig und der umfassendsten Bewegung fähig. Die Läufe sind dünn und kurz, die Standarte oder Lunte aber ist lang und buschig, der Balg sehr reichlich, dicht, weich, und hinsichtlich seiner Färbung ein wirklich vollendeter zu nennen. Reineke sammt seiner ganzen edlen Sippschaft trägt ein Kleid, welches seinem Räuberthume in der allervortrefflichsten Weise entspricht. Die Färbung, ein fahles, grauliches Roth, welches sich der Bodenfärbung förmlich anschmiegt, paßt ebenso zum Laubwalde wie zum Nadelholzbestande, er sei hoch oder niedrig, oder ist für die Heide wie für das Feld und für das Stein- und Felsengeklüfte gleich geeignet.

Seine Wohnplätze werden immer mit äußerster Vorsicht gewählt. Es sind tiefe, gewöhnlich verzweigte Höhlen im Geklüft, zwischen Wurzeln und anderen günstigen Stellen, welche am Ende in einen geräumigen Kessel münden. Wenn es nur irgend angeht, gräbt er sich diese Baue nicht selbst, sondern bezieht alte, verlassene Dachsbaue oder theilt sie mit Grimbart.

Außer dem Menschen hat der Fuchs immer noch eine Anzahl von Feinden. Nicht allein der Wolf fängt und verspeist ihn –

Der Fuchs

Alfred Edmund Brehm, Brehms Tierleben

Reineke Fuchs

Zu Pfingsten im sonnigen, wonnigen Mai,

als die Vögel im Felde sangen,

da kamen zum Hofe von König Leu

demütig die Tiere gegangen.

Sie kamen mit Federn, im Pelz und im Fell,

auf Krallen, Pfoten und Hufen:

Es hatte der König mit strengem Appell

zum Hoftag sie alle berufen.

Nur einer von ihnen, wer kannte ihn nicht?

Obwohl den Ruf er vernommen,

hatte doch trotzig der Bösewicht

sich wieder geweigert, zu kommen!

Er ist der Meister des frommen Betrugs,

wohl weiß er mit Worten zu fangen –

Sein Name lautet: Reineke Fuchs,

vor welchem die Lebenden bangen.

Nur Grimbart, den Dachs und verständigen Mann,

pflegte er freilich zu schonen,

wusste er doch, dass der Neffe ihm dann

würde mit Diensten es lohnen.

Und also hoben die Tiere nun an,

über den Räuber zu klagen

und alles, was er ihnen hatte getan,

getreulich dem Herrscher zu sagen.

Als erster meldete Isegrim sich

- stets wurde der Wolf so gerufen –

und sprach von Beschwerden so bitterlich,

die Reinekes Taten ihm schufen:

Hatte er doch einen scharfen Strahl

von seinem Harne gesprühet

auf Isegrims Kinder, denen zur Qual

bis heut sind die Äuglein verbrühet -

Und als da waren mit Absicht genau

die Winselnden giftig geblendet,

fand sogar Isegrims edele Frau

mit Worten sich höhnisch geschändet!

Als Nächster redete Wackerlos

auf französisch! – Dem herzigen Hündchen

blickten zum Himmel die Augen ganz groß

und zuckte zitternd das Mündchen:

„Ein Würstchen fand ich und hatt es beleckt

ein wenig – doch fett und vorzüglich

hielt ich es hinter der Hecke versteckt

und sparte den Bissen noch klüglich.

Reineke aber, der heimlich dort schlich,

hatte still unterdessen

mit wässrigem Maule vollständig

die ganze Wurst aufgefressen!“

Die Tränen rannen jetzt jämmerlich

dem Wackerlos über die Wangen,

als Hinze, der Kater, meldete sich:

„Ach, schweigt doch! – Zwei Jahr sind vergangen,

seitdem ich damals zur Mitternacht

betrat die Mühle so leise,

zog mit den Krallen das Würstchen sacht

und reichte Euchs höflich zur Speise!“

Um sich dem Könige kundzutun,

ein Häschen am Boden umfasste

mit flehendem Aufblick und bittend nun

des Schweifes sich sträubende Quaste.

Da sprach der Panther1: „Ihr sehet gekniet

Lampe, den furchtsamen Hasen,

der vor den geringsten Gefahren gleich flieht

und zupft nur die Hälmchen vom Rasen.

Jüngst wollte Reineke angeblich

ihn lehren, das Credo zu singen,

auf dass Herr Lampe dann könnte sich

als ein Kaplan verdingen.

Wie sie nun saßen mit frommem Gesang

und in Andacht versunkener Seele,

plötzlich der Fuchs dem Sänger sprang

an die schutzlos gebotene Kehle!

Wäre ich nicht des Weges da

zufällig spazieren gekommen,

hätte doch dieser Meister beinah

dem Schüler das Leben genommen!

Hat nicht der König freies Geleit

und Frieden verkündet für jeden?“

Der Wolf versetzte: „Wer wäre gefeit

vor Reinekes schmeichelnden Reden?

Verführt er nicht alle? – Ach, wäre er tot!“,

rief er mit versagender Stimme,

als Reinekes Neffe, der Dachs, entbot

Entgegnung mit heftigem Grimme,

erhob sich und drohte: „Wohl ist bekannt,

Ihr wollt Eure Schande nur rächen!

Aber da wüsste ich allerhand,

der Klage zu widersprechen:

Wäre mein Oheim nur selber hier,

er nennte Euch wahrlich die Taten,

mit welchen doch vormals, Herr Isegrim, Ihr

habt ihn schmählich verraten!

Im Winter ginget Ihr friedlich zu zweit

im Walde, um Beute zu jagen

und begegnetet dort zu gelegener Zeit

eines Fuhrmanns beladenem Wagen

mit Fischen! – Gleich machtet Ihr einen Plan,

dass Reineke schlau auf dem Wege

zur Täuschung als Euer treuer Kumpan

wie tot vor die Räder sich lege.

Der Fuhrmann packte und schleuderte roh

den Reglosen über den Rücken –

er war gewiss seines Fundes schon froh,

der als Kragen sollte ihn schmücken,

als mit hurtiger Pfote Reineke warf

die Fische zum Wolf auf die Erde,

auf dass eine Mahlzeit nach vollem Bedarf

heimlich serviert ihnen werde!

Er sprang vom Wagen – da ging es ihm schlimm,

denn ach! – Wie geschwind unterdessen

hattet doch Ihr schon, Herr Isegrim,

sämtliche Fische gefressen!

Dem Betrogenen, welcher den Streich gewagt,

habt Ihr mit fettigen Pfoten

nur noch zwei Gräten halbabgenagt

verächtlich als Rest angeboten!

Höret nun weiter! - Reineke ging

einst mit dem Wolf, ob zum Schmause

etwas sich fände. – Und siehe, es hing

ein Schwein frisch geschlachtet im Hause!

Beherzt der Oheim durchs Fenster kroch

und warf die dampfende Beute

zum Wolf hinab – das bemerkte jedoch

ein Wachhund. – Die heulende Meute

der sämtlichen Hunde stürmte herbei,

und knapp nur den Mäulern entweichend,

kam keuchend der Kühne gerade noch frei,

geduckt den Ausgang erreichend.

Und wie er nun nach bestandener Gefahr

erbat sich den Anteil vom Schweine –

oh Jammer! – Zum Bersten Herr Isegrim war

gemästet, er fraß es alleine,

und nach seiner wölfischen Art von Humor

ward spaßig der Helfer empfangen:

Hohnlachend warf er das Krummholz ihm vor,

an welchem das Schweinchen gehangen!

Wollt Ihr es hören, vernehmet nun auch,

warum gestemmt überm Leibe

Reineke machte oft gründlich Gebrauch

von Isegrims willigem Weibe:

Denn als sie vorm Fuchs beim höfischen Tanz

befangen die Augen einst senkte,

fühlte er wohl, dass sie gerne ihm ganz

ihre Gunst noch inniger schenkte -

Und richtig! – Sobald der Gemahl war verreist,

ist solches auch pünktlich geschehen –

Was ist schon dabei? – So geht es doch meist –

und wird auch in Zukunft so gehen!“

Wiegenden Hauptes wunderten sich

wie mit erstaunter Gebärde

die Edelen alle, und nachdenklich

blickten sie schweigend zur Erde.

Grimbart fuhr fort: „Ich verstehe auch nicht,

dass Lampe will sich beschweren:

Pflegte er doch im Unterricht

stets Quinte und Quart zu verkehren!

Wohl zupfte mein Oheim ein wenig ihn

an seinen schläfrigen Ohren –

damit er besser mit Disziplin

beachte die Folge der Horen!

Denn zeigt sich discipulus störrisch und stumm,

dass der Meister muss ihn belehren

und zauset ihn etwas – ich frage: Warum

soll man der Ermunterung wehren?

Und weshalb heult der erbärmliche Hund?

Wackerlos sollte sich schämen

und schweigen, anstatt mit dem Diebe im Bund

gestohlenes Gut anzunehmen!

Doch seit in Gnaden, Herr König, Ihr

habt allen nun Frieden geboten,

wandelt mein Oheim nur noch mit Brevier

zwischen gefalteten Pfoten

mager und fastend im härenen Kleid

und singt in vollständiger Länge,

während er sich als Klausner kasteit,

die schwierigsten Kirchengesänge!

Sein prächtiges Schloss Malepartus im Wald

verließ er! – Entkräftet am Leibe

baute er büßend zum Aufenthalt

eine Hütte fern seinem Weibe.“

Wie staunend noch all die versammelten Herrn

solch neue Kunde vernahmen,

mit Wehegeschrei schon vernehmlich von fern

zum König gezogen kamen

Hahn Henning mit Kreyant und Kantart – wie auch

fünf seiner Kinder da gingen,

als Verwandte den Leichnam nach Sitte und Brauch

verhüllten Hauptes zu bringen.

Denn eine Bahre senkten sie dort –

wen hatten sie so wohl getragen?

Eine Henne war es. – Mit zitterndem Wort

begann Herr Henning zu klagen:

„Wie konnten wir immer, von Hunden bewacht

und mit schützenden Mauern umgeben,

im Klosteramtshofe bei Tag und bei Nacht

in Sicherheit sorgenfrei leben!

Doch eines Tages, als Reineke strich

scharfäugig still um die Mauern

und näher mit schnüffelnder Schnauze schlich,

um uns im Hof zu belauern,

da tobten die Hunde! – Der Räuber entwich

und kehrte zurück als ein Pater –

gesenkten Hauptes und scheinheilig

in einer Kutte – so trat er

nun vor uns und sprach, weil durch Königsbescheid

Frieden im Land solle walten,

wolle auch er nun für alle Zeit

gehorsam der Jagd sich enthalten

und reichte den Brief. – In Gebeten gebeugt

begann er zu psalmodieren,

doch wie er heimlich zur Seite äugt,

sieht er uns alle spazieren

zum Hofe hinaus mit freudigem Dank,

die Mauern befreit zu verlassen –

da wie ein Blitz der Heuchler sprang

vor, mit der Pfote zu fassen

die Pforte geschwinde! – Gleich schloss er sie fest,

sodass wir, ins Freie gegangen,

plötzlich mit flatternder Angst und Protest

in Freiheit waren gefangen!

Mit einem Satz den herrlichsten Hahn

riss meuchelmordend er nieder

und schlug ihm beim Sturz seinen schneidenden Zahn

durchs sträubend gespreizte Gefieder!

Und schützte uns dann auch mit wildem Gebell

die Meute der schnobernden Hunde,

der Lüsterne kam doch leise und schnell

wann er wollte, zu jeglicher Stunde.

Von zwanzig Kindern raubte er mir

fünfzehn! – Als Letzte von allen

ist Kratzfuß, die Henne – Ihr sehet sie hier –

ihm tot aus den Krallen gefallen!“

Der Hahn verstummte. – Die Tiere entsetzt

erhoben sprachlos die Pfoten –

Wehe! – Wie fürchterlich Reineken jetzt

des Königs Brauen da drohten!

„Herr Grimbart“, rief er, „da sehet Ihr nun

des Klausners heilige Taten!

Betet für dieses würdige Huhn –

wir aber wollen beraten

mit den weisesten Männern im ganzen Land,

wie wir uns des Frevlers erwehren!“