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Der kubanische Flugkapitän Fernando Tortugas fliegt mit dem veralteten sowjetischen TU-62-M-Transporter von Havanna nach Paris. An Bord befindet sich Professor Benito Cavallo, der als weltbekannter Spezialist für Organverpflanzungen auf dem Pariser Kongress für Chirurgie und Transplantation beweisen will, dass ein lebendes Herz und weitere Transplantationsorgane unbeschadet den transatlantischen Lufttransport überstehen. Als die Meldung von einem großen Eisenbahnunglück in Bagdad kommt, wo Professor Cavallo und die lebenden Organe dringend benötigt werden, verspricht ihm der Flugkapitän, ihn ohne Zwischenstopp in Paris innerhalb von 8 Stunden nach Bagdad zu bringen und das ohne zusätzlichen Treibstoff. Der tollkühne Tortugas will in seinem, nicht für Überschallflug eingerichteten Flieger im Jet-Strom des Tornados Dorit diesen Geschwindigkeitsvorteil nutzen. Aber wird der Treibstoff reichen? Eine wissenschaftlich-fantastische Erzählung aus dem Jahre 1968 in der Originalfassung.
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Seitenzahl: 68
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Carlos Rasch
Rekordflug im Jet-Orkan
Wissenschaftlich-fantastische Erzählung
ISBN 978-3-95655-498-8 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1968 im Verlag Neues Leben, Berlin (Das neue Abenteuer, Heft 292).
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Dorit tobte an der Küste entlang.
Antonio Branco drückte seine Stirn an das Fensterglas und beobachtete sorgenvoll dieses heulende Chaos draußen, das turmhohe Vorhänge aus Sturzbächen, vermengt mit Sand, Steinen, Zweigwerk und grünem Laub über die kleine Startbahn der Beobachtungsstation jagte. Er bangte um die Flugzeuge in der Halle und um die hohen Antennenmasten.
Zeitweise rann das Wasser fingerdick an den Scheiben herab. Die Sicht war gleich Null. Antonio Branco spürte deutlich das feine Beben des Bodens unter seinen Füßen vom Wogenprall der Brandung, die zweihundert Meter entfernt auf den Strand schlug. Ihre Schaumflocken stoben bis zum Hangar hinüber, in dem die Wetterflugzeuge standen.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es Zeit war, das fällige Telegramm mit den Messwerten an die Jet-Zentrale in Kanada abzusetzen. Er beugte sich über ein Gerät und stanzte die Codezeichen in den Lochstreifen. Das Papierband fiel diesmal kurz aus. Antonio Branco legte den Codestreifen in den Funkfernschreiber und drückte auf die Starttaste.
„Hallo, Kanada! Hallo, Jet-Zentrum! Hier ist Kuba, Messstation Pinar de Fuego: Heute keine Messdaten über das ständige Hochsturmband. Arbeiten durch Hurrikan Dorit unmöglich!“
In Kanada war man schon an solche Fehlmeldungen gewöhnt. Die Jet-Station auf Kuba fiel in den Sommermonaten des Öfteren aus. Die Hurrikane machten jede direkten Messungen auf Tage hinaus unmöglich.
Antonio Branco war allein im flachen Stationsgebäude zurückgeblieben. Wer von den Wissenschaftlern und dem Personal trotz Dorit die weite Fahrt aus der City hierher unternommen hatte, stand jetzt drüben am Hangar und zurrte die Flugzeuge fest für den Fall, dass das Dach abgerissen oder eine Wand der Halle eingedrückt wurde.
Die Yankees auf dem Kontinent hatten wieder einmal zu lange gewartet. Dorit hatte abgedreht und bedrohte nicht mehr ihre Küsten. Damit war der Fall für sie erledigt, obwohl der Wettersputnik „Zenit 4“ und der amerikanische Wettersatellit „Tiros 48“ das Auge des Zyklons schon vor Tagen entdeckt hatten. Ihre achtturbinigen Hurrikan-Rangers waren nicht gestartet, um Dorit noch auf dem Atlantik den Garaus zu machen. Der Hurrikan-Charta von Miami zufolge hatten sich die Yankees aber gegenüber allen anderen Staaten des karibischen Raumes dazu verpflichtet, die Wirbelstürme zu bekämpfen. Sie erhielten dafür erhebliche Geldmittel zugebucht.
In diesem Jahr war nur Anita abgefangen worden. Betsy ermattete glücklicherweise von allein in der Yucatánstraße. Cleopatra aber konnte ungehindert über die Karibischen Inseln hinweggehen. Gedachte man auch gegen Dorit nichts zu unternehmen, weil sie die amerikanische Küste nicht bedrohte? Natürlich war es noch immer Glückssache, die Hurrikane am richtigen Zipfel zu erwischen und auf den Atlantik zurückzuschicken oder sie zum Einschlafen zu bringen. Aber das war noch lange kein Grund, die Achtstrahligen nicht starten zu lassen.
Man müsste heute mit einem der kleinen stabilen Zweisitzer bis zur Tropopause aufsteigen, in die Jet-Straße eintauchen und ein Messprogramm abwickeln können, dachte Antonio Branco. Er wettete eins zu tausend, dass entgegengesetzt zur Meinung des Chefs der Windschlauch über Kuba gerade jetzt von Dorit aufgeladen wurde und die Windgeschwindigkeit in großer Höhe alle bisher ermittelten Höchstwerte übertraf. Wahrscheinlich entfachte Dorit im Jet-Band eine verschärfte Windströmung von mindestens vierhundertfünfzig Kilometer pro Stunde, die noch weit jenseits des Atlantiks zu spüren sein würde.
Fernando Tortugas würde ein solches Unternehmen wagen. Er war Pilot der Jet-Station gewesen. Man rechnete ihn zu den besten Fliegern Kubas. Kein Wunder, wenn er schon nach einem halben Jahr von diesem stillen Posten als Wetterflieger wieder weggeholt wurde. Jetzt war er vermutlich Captain auf einem dieser stinkfeinen Musikeimer, die mit Überschall nach Europa flogen. Wer tüchtig war, konnte sich eben die beste Arbeit aussuchen.
Warum, in drei Teufels Namen, hatte sich Fernando Tortugas Knall und Fall wieder vom Zentralflughafen in Havanna anheuern lassen? Sie waren in dem halben Jahr hier auf der Station gute Freunde geworden. Daher wusste Antonio, dass es Fernandos stiller Traum gewesen war, einen Hurrikan-Ranger zu fliegen. Man brauchte allerhand Mut, um bis zum Sturmzentrum vorzudringen und seine Ladung in den Sog einzustreuen. Fernando Tortugas hatte diesen Mut. Aber die Yankees ließen ihn nicht in ihren Verein rein. Wahrscheinlich saß in Miami so ein Kubahasser aus der alten Zeit, dem das Genugtuung verschaffte.
Fernando, kein Freund von langer Trauer, ging seitdem einer neuen, besonders verrückten, aber sportlichen Idee nach: Er gedachte mit dickbäuchigen Lastenseglern in zehntausend Meter Höhe einen ganz billigen Lufttransport über den Ozean hinweg zu probieren, vielleicht mit Früchten. Man bedenke, im Zeitalter der Stratosphären-Liner Lastensegler steuern zu wollen und dabei wie in alten Zeiten den Wind zu benutzen!
Deshalb war Tortugas auch zur Jet-Station gekommen und hatte gebeten, eines der zweisitzigen Wetterflugzeuge fliegen zu dürfen. Er wollte ein Gefühl für das Fliegen im Strahlsturm bekommen. War das damals eine Aufregung gewesen, als der bekannte Luftkapitän einfach auf der Piste erschien, die Spanten der Zweisitzer befühlte und dann in zwei, drei Sätzen seinen Plan entwickelte.
Man gab ihm selbstverständlich die Maschine, erklärte ihn aber im Übrigen für lebensmüde.
Vielleicht war man gerade deshalb, weil Fernando Tortugas von seiner Segler-Idee so besessen war, in dem halben Jahr, in dem er zur Station gehörte, mit einem Riesensprung in der Beobachtung der Jet-Stürme vorangekommen. Die anderen Piloten aus Pinar de Fuego vermieden es, beim Messflug im Strahlsturm zu viel zu wagen. Aber Fernando war Tag für Tag aufgestiegen, um direkt in die kritische Randzone hineinzusteuern.
„Am wichtigsten ist es, nicht gegen den Windstrom einzutauchen“, hatte er Antonio Branco einmal erklärt. Das war eine ironische Anspielung auf das Erlebnis eines noch unerfahrenen jungen Fliegers, der einen scharfen Jet-Sturm als Gegenwind zu spüren bekommen hatte und dessen Geschichte man sich auf der Jet-Station als Anekdote erzählte. Der junge Pilot hatte die Grundregel, nicht gegen den Jet zu fliegen, unbeachtet gelassen. Seine Maschine hatte sich deshalb, als sie Jet-Berührung bekam, von dem plötzlichen Ruck fast überschlagen. Irgendwie musste der Pilot sein Flugzeug herum und auf Mitwindkurs bekommen haben, ohne dass die Flügel abbrachen. Der Jet-Sturm hielt ihn gefangen und nahm ihn nach Osten mit. Er wagte nicht, die ruhige Mittelachse zu verlassen und auszubrechen. Als er schließlich aus Treibstoffmangel doch dazu ansetzte, wähnte er sich noch nahe der Küste Kubas. Zu seiner Verblüffung fand er sich, nachdem er abspringen musste, tausend Kilometer weiter zum Atlantik hin an Bord eines Frachters wieder. Er hatte seine Maschine ausgerechnet an der tiefsten Stelle des Grabens von Puerto Rico ins Wasser geschickt. Der Boden des Ozeans trägt dort die solide Schicht von neuntausendzweihundert Metern Wasser über sich. Den jungen Piloten gruselte seitdem so sehr, dass er nur noch im Binnenland Hubschrauber flog.
So etwas konnte Fernando Tortugas natürlich nicht passieren.
Im Nebenraum schrillte ein Telefon.
Antonio Branco verließ seinen Platz an der wasserüberströmten Fensterscheibe und ging hinüber. Am anderen Ende meldete sich, im Prasseln des Sandes auf dem Dach und im Heulen des Windes kaum zu verstehen, der Zentralflughafen von Havanna.
„Schalten Sie Ihren Funkempfänger ein, Senor!“, schrie der Mann dort. „Gehen Sie im Sieben-Meter-Band auf Empfang. Das ist zurzeit die ruhigste Welle. Sie werden dringend von Bord der SENORA IN-12 verlangt. Hallo, Jet-Centre, verstehen Sie mich?“
„Hier ist nicht das Jet-Centre“, korrigierte Antonio Branco. „Da müssen Sie sich nach Toronto verbinden lassen.“
Der Partner am Draht wurde spürbar nervös. „Mann, machen Sie keine Schwierigkeiten. Für mich sind jetzt Sie das Jet-Centre. Wenn Sie die Station in Pinar de Fuego sind, dann bin ich richtig. Es handelt sich um eine internationale Hilfsaktion: Sie sollen als Fachmann den Piloten an Bord der SENORA INAGUANTABLE beraten. Die S-IN-12 ist vor zwei Stunden von Guantanamo aus gestartet und steht jetzt mit Kurs Paris über der Sargassosee. Gehen Sie sofort auf Empfang! Ende!“
„Si1, si, Senor! Verstanden! Ende!“, beeilte sich Antonio Branco zu sagen. Das Stichwort »Internationale Hilfsaktion“ hatte ihn von seinem Sitzplatz auf der Schreibtischkante hochgejagt. Antonio Branco stellte die angegebene Wellenlänge ein und rief mehrmals: „Hallo S-IN-12! Hier Station Jet 9! Hallo, SENORA INAGUAN! Hier Pinar de Fuego! Hallo S-IN-12! Hier Doktor Branco! Bitte kommen!“
Zu seiner Verblüffung meldete sich Fernando Tortugas. „Hallo, Antonio“, ertönte es undeutlich und krächzend aus dem Lautsprecher. „Du könntest mir einen kleinen Gefallen tun und mir Dorit hinterherschicken“, versuchte er zu scherzen. „Ich brauche nämlich etwas mehr Wind unter den Flügeln. — Leider habe ich nicht mehr so genau die Koordinaten des südlichen Jet-Zweiges im Kopf. Sag mir mal rasch ein paar Daten durch. Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich dreitausend Meter über mir einen solchen Orkanschlauch. Es wäre sehr nett, wenn du mich die nächsten Stunden auf seiner Bahn über den großen Teich lotsen würdest.“
„Heilige Madonna!“, rief Antonio erschrocken. „Ist was mit deiner Maschine, ein Schaden oder so? Sind viele Leute an Bord?“