Rheines Gold - Andrea Schacht - E-Book

Rheines Gold E-Book

Andrea Schacht

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Beschreibung

Das römisch besetzte Köln, die luxuriösen Thermen dieser Zeit – und wieder eine hinreißende Heldin: farbenprächtige Schauplätze und faszinierende Protagonisten sind das Markenzeichen von Andrea Schacht!

Köln, im Jahr 100 nach Christus. Die junge, rothaarige Witwe Rufina führt seit dem Tod ihres Mannes die Therme der Colonia. Doch die Geschäfte laufen schlecht. Als eines Morgens kein Wasser in die Becken läuft und weiterer Verdienstausfall droht, sucht Rufina wütend den Baumeister Silvian auf. Doch es gibt einen grausigen Grund, warum das Wasser nicht fließt: Ein menschlicher Leichnam verstopft die Rohrleitung. Und Rufina kennt den Mann – er steht in Zusammenhang mit dem Tod ihres Mannes … Als sie Fragen stellt, stößt sie auf Schweigen. Und als sie kurz darauf entführt wird und sich in letzter Sekunde befreien kann, befindet sie sich bereits mitten in einem Gewirr aus zwielichtigen Machenschaften, illegalem Goldhandel und düsteren Intrigen. Einzig Silvian, der Baumeister, steht ihr zur Seite …

Fesselnd, originell und wunderbar detailgenau: Einmal mehr erweist sich Andrea Schacht als Meisterin des spannenden historischen Romans.

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Seitenzahl: 565

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Inhaltsverzeichnis
 
Buch
Autorin
Lob
Dramatis Personae
Vorwort
 
1. Kapitel – Pridie Idus Feburarias
2. Kapitel – Tote Hasen, Gold und Leichen
3. Kapitel – Goldsucher
4. Kapitel – Nichts als Ärger
5. Kapitel – Lupercalia, das Fest der Wölfin
6. Kapitel – Freundinnen
7. Kapitel – Münzhandel
8. Kapitel – Bewerber
9. Kapitel – Matronalia, das Fest der Juno Lucina
10. Kapitel – Erkenntnisse und Erdbeben
11. Kapitel – Umwege
12. Kapitel – Eine Orgie
13. Kapitel – Böses Erwachen
14. Kapitel – Veneralia, das Fest der Venus
15. Kapitel – Fragen über Fragen
16. Kapitel – Die mit dem Wolf raunt
17. Kapitel – Runenrat: Mannaz
18. Kapitel – Waldesruh
19. Kapitel – Lemuria, das Fest der hungrigen Toten
20. Kapitel – Haarbänder
21. Kapitel – Ein unerwarteter Beschützer
22. Kapitel – Agonalia, ein Opferfest
23. Kapitel – Träumereien
24. Kapitel – Runenrat: Kenaz
25. Kapitel – Goldhandel
26. Kapitel – Tochterliebe
27. Kapitel – Dunkle Kanäle
28. Kapitel – Der Fallensteller
29. Kapitel – Gesalbt und geschmiert
30. Kapitel – Das Tribunal
31. Kapitel – Der bittersüße Duft der Sehnsucht
 
Copyright
Buch
Köln, im Jahre 101 nach Christi Geburt. Die junge Witwe Rufina ist nach dem Tod ihres Mannes Maurus gezwungen, die Therme, die er gepachtet hatte, allein weiterzuführen. Doch das Geschäft läuft schlecht. Als dann eines Morgens kein frisches Wasser in die Becken läuft, sucht Rufina zornig den Baumeister Silvian auf, der im Wasserkastell für das Funktionieren der Zuleitungen zu sorgen hat. Es gibt jedoch einen grausigen Grund, warum das Wasser nicht fließt: Ein Leichnam verstopft die Rohrleitung. Und Rufina kennt den Mann: Er hat im Januar gleichzeitig mit ihrem Mann die Stadt verlassen.
Damals hat man Rufina erklärt, dass Maurus im Wald von Wölfen zerrissen worden sei – nun aber keimt ein anderer Verdacht in ihr. Doch als sie Fragen stellt, stößt sie auf eine Mauer aus Schweigen. Und als sie kurz darauf entführt wird, kann sich Rufina im letzten Moment befreien. Schließlich stößt sie auf ein Geflecht aus zwielichtigen Machenschaften und Bestechung, illegalem Goldhandel und politischen Intrigen.In den warmen, luxuriösen Thermen gedeihen Klatsch, Gerüchte und Intrigen. In den dunklen Wäldern Germaniens ist es leicht, einen Menschen spurlos verschwinden zu lassen. In den Straßen und auf den Foren der Colonia werden Geschäfte gemacht und Ämter vergeben. In dem mächtigen Strom aber, dem Lebensnerv der Stadt, sammelt sich an Stellen, die nur wenige kennen, des Rheines Gold...
Autorin
Andrea Schacht (1956 - 2017) war lange Jahre als Wirtschaftsingenieurin und Unternehmensberaterin tätig, hat dann jedoch ihren seit Jugendtagen gehegten Traum verwirklicht, Schriftstellerin zu werden. Ihre historischen Romane um die scharfzüngige Kölner Begine Almut Bossart gewannen auf Anhieb die Herzen von Lesern und Buchhändlern. Mit »Die elfte Jungfrau« kletterte Andrea Schacht erstmals auf die SPIEGEL-Bestsellerliste, die sie auch danach mit vielen weiteren Romanen eroberte.
 
Von Andrea Schacht im Taschenbuch lieferbar:
Der dunkle Spiegel (36280)
DIE »RING-TRILOGIE«: Der Siegelring (35990) · Der Bernsteinring (36033) ·
Der Lilienring (36034)
 
Demnächst erscheint:
Die Lauscherin im Beichtstuhl.
Eine Klosterkatze ermittelt (36263, April 2006)
Aurea sunt vere nunc saecula;plurimus auro venit honos,auro conciliatur amor.
 
 
 
Wir haben jetzt wahrhaft goldene Zeiten;für Gold werden die höchsten Ehrenstellen verkauft,mit Gold gewinnt man Liebe.
 
OVID, ARS AMATORIA
Dramatis Personae
Römische Bürger der Colonia
Aurelia Rufina: eine junge Witwe, sehr rothaarig und gelegentlich aufflammend, die eine Pacht-Therme in der Colonia mit geschäftlichem Geschick führt und nicht nur diese Sache recht gut macht.
Tiberius Fulcinius Maurus: ihr jüngst verstorbener Ehemann, der Sohn des Olivenöl-Händlers Crassus, der gerne den trotteligen Freigelassenen spielte, aber auch ganz andere Qualitäten hatte.
Fulcinia Maura und Fulcinius Crispus: ihre beiden Kinder, die nicht alles glauben, was man ihnen einreden will.
Publius Fulcinius Crassus: Aurelias Schwiegervater, ein alter, hagerer Schwerenöter, noch immer hinter den jungen Frauen her, wenngleich mit mäßigem Erfolg. Er ist zutiefst von seinem missratenen Sohn Maurus enttäuscht.
Fulcinia maior: Crassus’ Cousine aus dem vornehmen Zweig der Familie, unverheiratet, menschenscheu und so würdevoll wie ein kaiserlicher Triumphzug.
Aulus Lucillius Silvian: römischer Baumeister der Eifel-Wasserleitung, und trotz seiner innigen Verbundenheit zum kühlen Nass leicht entflammbar durch rothaarige Frauen.
Quintus Lampronius Meles: ein wohlhabender und gutaussehender Bürger der Colonia mit großen Ambitionen und kostspieligen Freundinnen.
Gaius Maenius Claudus: Statthalter der Germania inferior, ein ehrenwerter Mann, der nichts von Korruption und Bestechung hält, sich aber auf seltsamen Umwegen Informationen zu beschaffen weiß.
Sabina Gallina: seine Frau, die ihrem Beinamen »Hühnchen« alle Ehre macht und zum Objekt der Begierde wird.
Regulus: ein Freigelassener und Vertrauter des Claudus, der seine Botschaft nicht abliefern kann.
Decimus Hirtius Sidonius: einer der beiden Duumviri der Colonia, ein Veteran mit Vergangenheit und einer kleinen, kindischen Vorliebe für schöne Figuren.
Titus Valerius Corvus: der Zweite der Duumviri, ebenfalls ein Veteran mit Vergangenheit, doch einer völlig anderen. Und kindisch ist er bestimmt nicht.
Burrus: ein Gladiator im Ruhestand, einst Kampflehrer von Maurus, jetzt so etwas wie ein Leibwächter Rufinas.
 
 
Sonstige römische Bürger
Lucius Aurelius Falco, Legionskommandant, Valeria Gratia, seine Verlobte, Camilla Donatia, eine nicht sehr intelligente Dame, Faustillius, der Haushofmeister vom Maenius Claudus, Acacius, ein toter Sklave.
 
 
Germanen und Gallier
Halvor: ein gestandener Clanchef, der im Wald seinen Geschäften nachgeht.
Oda: die in der Colonia ihren Geschäften nachgeht.
Wolfrune: die mit dem Wolf raunt und dabei erstaunliche Erkenntnisse gewinnt.
Aswin, Holdger, Thorolf und Erkmar: vier Betrogene.
Swidger: der Goldschmied, der auf eine schnelle Sesterz aus ist.
Dorovitrix: ein Goldschmied mit väterlichen Gefühlen.
Personen in Therme und Haus
Paula, die Kassiererin, Bella, die Masseurin, Barbaria, die Badeaufseherin, Erla, die Salbenhändlerin, Mona, ihre Tochter, Tertius, ihr Sohn, Cyprianus, der Weinhändler, Viatronix, der Arzt, Eghild, die Gymnastin, Irene, die Köchin, Marius, Aufseher der Arbeiter, Nasus, der Badeaufseher, Hosidius, der Pachteintreiber, Laufburschen, Reinigungspersonal und Heizer.
 
Die Göttlichen
Mercurius – der Gott der Händler, der Reisenden und natürlich auch der Diebe.
Juno Lucina – die mütterliche Göttin, die über Ehe, Gesundheit und Geburten wacht.
Venus – die schöne Göttin der Harmonie und der Liebe, die sich durch aufrichtige Bitten schon mal zu tatkräftigem Eingreifen verleiten lässt.
Vesta – die heilige Flamme.
Vorwort
Er führt wirklich reines Gold, der breite Strom, der in den Alpen entspringt und seinen Weg von Süden bis zur Nordsee sucht. Bis 1943 wurde es im Rhein noch professionell gewaschen, und sogar heute noch kann man es in seinem Oberlauf in geringen Mengen finden. Zu Zeiten der römischen Besiedlung war es wohl noch ergiebiger. Auch die Bäche und Flüsschen der Eifel enthalten Waschgold in Form feiner Flitterchen und Plättchen.
Doch nicht nur sein Goldgehalt machte den Rhein samt den Eifelgewässern für die Anwohner wichtig, der Fluss war Handelsweg und vor allem Grenze – zwischen römischem Gallien und den germanischen Ländern. Das Eifelwasser aber war vor allem den Bewohnern der Colonia ein Herzensanliegen. Gesundheitsbewusst wie die Römer nun einmal waren, legten sie höchsten Wert auf reines Wasser. Darum scheuten sie sich nicht, eine fast einhundert Kilometer lange Wasserleitung quer durch die Eifel bis in die Stadt zu errichten. Ein Meisterwerk der Baukunst, denn es versorgte alle Haushalte der Stadt mit fließendem, sauberem Wasser.
Und nicht nur mit Trinkwasser, nein, man liebte auch den Luxus des Badens, und öffentliche Thermen gab es selbstverständlich auch in Köln, wie in jeder römischen Ansiedlung.
Ob wirklich eine davon allerdings von einer temperamentvollen Thermenpächterin geführt wurde, ist nicht überliefert.
Aber annehmen darf man es ja …
Colonia Claudia Ara Agrippinensium,im dritten Regierungsjahr desCaesars Marcus Ulpius Traianus
(Köln im Jahre 101 der christlichen Zeitrechnung)
1. Kapitel
Pridie Idus Feburarias
Immer hält der Beginn Zeichen der Zukunft bereit. Ängstlich aufs erste Wort sind bei euch die Ohren gerichtet.
OVID, DE FASTI
 
Seit Tagen schon pfiff unablässig ein eisiger Wind von Osten her über das Land, und die Natur fiel in eine frostige Starre. Trocken knisterte das alte Laub am Boden unter einer harschigen Schneedecke, und die Tiere des Waldes gruben mühsam nach den letzten essbaren Wurzeln. Mehr als ein Reh war schon den mageren Wölfen zum Opfer gefallen, die sich in diesem Hungerwinter näher und näher an das von Menschen bewohnte Gebiet wagten.
Die letzten Arbeiten an der eben vollendeten Wasserleitung, die sich viele Meilen durch den dichten germanischen Wald zog, ruhten in diesen Tagen, und aus den Siedlungen wagten sich die Holzschläger, Köhler, Jäger und Pechsieder nur noch gruppenweise hervor, um ihren Geschäften nachzugehen. Wer nicht ohne Not sein Heim verlassen musste, blieb in der rauchgeschwängerten Hütte, um die allfälligen Winterarbeiten beim flackernden Licht der Kienfackeln zu erledigen. Dann und wann zuckten die Bewohner schaudernd zusammen, wenn in der Dunkelheit das Heulen eines einsamen Wolfes erklang.
In der ummauerten Stadt hingegen fühlten sich die Bürger sicherer. Man hatte Vorräte angelegt – Holz, Öl, Getreide, Fleisch, allerlei getrocknete oder eingelegte Gemüse und Früchte. Der gewürzte Wein wurde in den Krügen an den Herdfeuern gewärmt und versüßte die lange Dunkelheit des Wintermonats. Wenngleich die lebhaften Geselligkeiten der Sommerzeit eingeschlafen waren, so ließen es sich dennoch die umtriebigen Einwohner der Colonia Claudia Ara Agrippinensium nicht nehmen, einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen. Die Therme im Westen, nahe dem Wasserkastell, warm, hell erleuchtet von zahllosen Lampen, duftend von Salböl und würzigem Räucherwerk, war gut besucht. Die Nische, in der sich die Statue der Juturna, der Göttin der heilenden Quellen, befand, wurde hier mit besonderer Achtung geschmückt, denn das köstliche, frische Quellwasser aus der Eifel sprudelte aus den Leitungen. Außerdem bot die Badeanlage den Luxus einer dauerhaft warmen Fußbodenheizung, einem schön angelegten Warmwasserbecken, einem heißen Schwitzraum, mehreren kühlen Becken und natürlich einer mit poliertem Marmor ausgestatteten Latrine, unter deren acht Sitzen ständig das Wasser gurgelte.
An diesem späten Nachmittag hatte sich die Therme bereits geleert, und derzeit benutzten nur noch zwei Männer den intimen Raum hinter dem schweren Vorhang, um sich ihren Geschäften zu widmen. Dass ein dritter wie ein dunkler Schatten in einer Nische hinter der Säule stand und ihrer Unterhaltung lauschte, bemerkten sie nicht.
»Vergiss nicht, ich habe dir vor sieben Jahren einen beträchtlichen Gefallen getan. Jetzt verlange ich nur eine kleine Gegenleistung.«
»Ich stimme nicht alleine darüber ab, wie du sehr wohl weißt.«
»Sicher. Aber das lass meine Sorge sein.«
Ein leises Lachen erklang.
»Meinen Partner wirst du weder mit Gold noch mit spitzfindigen Hinweisen auf gewährte Gefallen überreden können. Er hat den Ruf, völlig unbestechlich zu sein, und ist ein so verdammt ehrenhafter Mann. Du wirst selbst in seiner tiefsten Vergangenheit kein schwarzes Fleckchen finden.« Es folgte ein kurzes Schweigen, während dem nur das Wasser plätscherte. Dieselbe Stimme fuhr dann aber fort: »Oh, nimm dieses Grinsen aus deinem Gesicht.«
Der andere erwiderte in nüchternem Tonfall: »In der Nische vor der Latrine steht eine kleine Statue. Merkur, wie es dem Anlass entspricht.«
Wieder ertönte ein leises Lachen und die Frage: »In bewährter Qualität?«
»Selbstredend!«
»Nun gut, ich werde sehen, was ich für dich tun kann. Alles andere musst du selbst in die Wege leiten.«
Der Vorhang bewegte sich, zwei Männer mit ihren Handtüchern über den Armen und nur mit einfachen weißen Leinenschurzen bekleidet, wie sie gewöhnlich in der Therme getragen wurden, traten in kurzem Abstand voneinander heraus. Der Erste winkte zwei hochgewachsene Begleiter herbei, der andere wandte sich der Nische zu, in der eine kleine, weiße Statuette auf einem hohen Sockel unauffällig auf ihre Abholung wartete.
Der Mann im Schatten drückte sich hinter die Säule. Doch unglücklicherweise stieß sein Fuß an einen versehentlich vergessenen Zinnbecher, der klappernd umfiel.
»Ein Lauscher!«, zischte der eine Redner und drehte sich zu seinen Begleitern um. »Bringt ihn zum Schweigen!«
Die zwei Männer sprangen hinter ihm vor, bereit, den Mann zu ergreifen. Es gab einen kurzen, heftigen Kampf, bei dem die Figur aus der Nische umkippte, zu Boden fiel, hinter den Vorhang rollte und in einem Spalt des Mauerwerks verschwand.
Die beiden Latrinenbenutzer hingegen hatten sich geflissentlich vom Ort der Vollstreckung entfernt.
2. Kapitel
Tote Hasen, Gold und Leichen
Welcher Unstern, soll ich denken,steht meinem Schicksal im Wege?steht meinem Schicksal im Wege?Welche Götter soll ich anklagen,dass sie Krieg gegen mich anzetteln?
OVID, AMORES
 
Drei Monate später war der April ins Land gezogen.
Aurelia Rufina schob die Schüssel mit gesüßtem Hirsebrei halb leer gegessen zur Seite. Sie hatte schon lange keinen Appetit mehr.
»Ich gehe die Becken kontrollieren«, tat sie ihrem Schwiegervater kund, der mit großem Behagen eine zweite Portion Honig über seinen Brei goss.
»Du bist ein mageres Huhn geworden, Rufina. Du solltest mehr essen, sonst findest du nie einen neuen Mann!«
»Hat irgendjemand dich um deine Meinung gefragt, Crassus?«
»Und Gift hast du auch unter der Zunge.«
»Du kippst dir genug Honig in die Schüssel, da muss ich dir ja nicht noch welchen um den Bart schmieren!«
Die junge Frau stand von der Bank auf, zog sich mit einem energischen Ruck die Stola zurecht und steckte sich noch einmal die widerspenstigen Locken fest. Ein Sonnenstrahl, der durch das geöffnete Fenster fiel, ließ sie kupferrot aufleuchten.
Crassus stellte den Honigtopf hin und schüttelte resigniert den Kopf: »Dabei könntest du wirklich ganz niedlich aussehen!«
»Mit Niedlichkeit verdiene ich nicht mein Geld.«
»Mit der Therme auch nicht.«
»Ach, stopf dir doch endlich den Brei in den Mund, du alter Nörgler!«
Sie rauschte aus dem Raum und nahm den privaten Zugang über das Peristyl des Innenhofes zum Apodyterium, dem Auskleideraum im Eingangsbereich der Therme. Er war am frühen Morgen noch unbelebt. Ein prüfender Blick zeigte ihr jedoch, dass die Diener ihn aufgeräumt und gefegt hatten. Die Fächer in den Regalen an den Wänden waren leer, an keinem der Haken hing eine vergessene Tunika, nur zwei Kindersandalen störten das Bild der von ihr gewünschten Ordnung. »Crispus!«, murrte Rufina unwillig, hob sie auf, stellte sie vor die Tür und begann ihren Rundgang aufs Neue. Sie warf einen Blick in das Gymnasium, in dem die Gäste sich dem Spiel oder der Körperertüchtigung hingeben konnten. Eiserne Hanteln lagen aufgereiht auf einem Gestell, und lederne Bälle in unterschiedlicher Größe waren in einer Ecke aufgestapelt. Ein paar lange Holzstecken lehnten an der Wand, mit ihnen wurde Gymnastik getrieben oder Stockfechten geübt. Für ganz martialische Besucher gab es auch Holzschwerter und hölzerne Messer. Rufina betrachtete das alles zufrieden und wandte sich der Eingangshalle zu. Das Tor war noch geschlossen, Paula noch nicht an ihrem Platz, um das Eintrittsgeld zu kassieren. Aber es war ja auch noch früh am Morgen. Durch den hohen Bogen, der zum Innenhof führte, blickte sie auf den Schatten, den ein kleiner Obelisk warf. Die Sonnenuhr war eigentlich nur eine Spielerei, launisch war das Wetter in den germanischen Landen, und Helios verbarg viel zu oft sein leuchtendes Antlitz hinter trüben Wolken. Immerhin, an diesem Aprilmorgen war es frühlingshaft warm, und der Himmel wölbte sich strahlend blau über die Stadt. Helles Licht fiel durch die grünlichen Glasscheiben der Fenster und machte eine Beleuchtung durch die vielen von den Decken hängenden Öllampen unnötig. Die verlässlichere Zeit gab die Wasseruhr an, die neben Paulas Kassenpult stetig die Stunden vertropfte.
An ihr orientierte sie sich auch, wenn es darum ging, den Gong zu schlagen, der die Öffnungs- und Schließungszeiten bekannt gab.
Rufina setzte ihren Rundgang fort und durchquerte das Tepidarium, den Vorwärmraum mit seinen Sitzgruppen, den kleinen Wasserbecken in den Nischen. Im anschließenden Salbraum mit den Klinen entlang der schön bemalten Wände würde Bella, die Masseurin, später ihrer Arbeit nachgehen. Abgetrennt von den eigentlichen Baderäumen befanden sich dahinter eine Reihe kleinerer Läden, die an Händler und Dienstleister verpachtet waren. Wenn sie ihre Stände eröffnet hatten, würde man allerlei Badezubehör erstehen können, etwa hübsch verzierte Sandalen, Strigilis, die bronzenen Schaber, und feinen Bimsstein aus der Eifel zum Reinigen der Haut, aber auch Kämme, Bürsten, kosmetisches Gerät, Haarschmuck und Fibeln. Andere verkauften Wein, Gebäck oder Pasteten an die hungrigen Gäste. Ein Arzt bot an drei Tagen seine Dienste an, ein Barbier an den anderen. Rufina schob den trennenden Vorhang zur Seite und grüßte freundlich Cyprianus, den Weinhändler, der seine Amphoren überprüfte und die Becher auf der Theke ordnete. Dann betrat sie das Frigidarium und stutzte.
Das Becken war trocken.
Zwar wurde jeden Abend das Wasser abgelassen und die Fliesen wurden gereinigt, aber morgens sollte es frisch gefüllt sein. Mit wunderbar kristallklarem Wasser, das aus den sauberen, gesundheitsfördernden Quellen der Eifel stammte und nichts mit dem sumpfigen Grundwasser der Stadt gemein hatte.
Wenn es denn floss.
Ein Blick in das Caldarium sagte Rufina, dass an diesem Morgen kein Tropfen kristallklaren Wassers in die Therme geflossen war. Dafür aber war der Boden schon recht heiß.
»Fulcinia, nehmt das Feuer zurück!«, rief sie ungehalten ins Praefurnium, wo die Heizer das Holzfeuer in Gang gebracht hatten. »Wir haben mal wieder kein Wasser!«
Sie bekam zwar keine Antwort, aber in diesem Fall konnte sie sich auf sofortiges Befolgen ihrer Befehle verlassen. Fulcinia war einmalig darin, die Heizer zu beaufsichtigen.
»Marius!«
Die Antwort des Aufsehers hingegen ließ auf sich warten.
»Marius!«
Rufina stürmte in den kleinen Raum, der ihm, der die Knechte und Heizer einzuteilen und zu überwachen hatte, zustand. Marius war noch mit einem Brotfladen beschäftigt, kaute gründlich, schluckte und hob dann träge seine massige Figur aus dem Sessel, als seine Herrin ihn mit eindringlichen Worten aufforderte, so zügig wie möglich zum Wasserkastell zu marschieren und nachzufragen, wann denn wohl die Leitungen wieder in Betrieb seien.
»Ich lauf ja schon, Patrona, ich lauf ja schon!«
»Laufen, flügelfüßiger Merkur, laufen nennt er das!«, grollte Rufina leise vor sich hin, als sie den behäbigen Gang beobachtete, mit dem Marius sich zu dem zwei Straßenzüge entfernt gelegenen Kastell bewegte. Sie fuhr mit ihren Kontrollen fort und lugte im Vorbeigehen hinter den Vorhang zwischen zwei Säulen, der den Latrinenbereich abtrennte. Das gewohnte Gurgeln des Wassers unter den Marmorsitzen war verstummt, die Schwämmchen zur intimen Reinigung jedoch lagen sauber aufgereiht neben den marmornen Sitzen. Unwillig rümpfte sie die Nase und inspizierte dann das Sudatorium, das Schwitzbad, den wärmsten Raum der Therme, bei dem die heiße Luft aus dem Praefurnium nicht nur den Boden heizte, sondern auch durch ein ausgeklügeltes Belüftungssystem die Wände erwärmte. Zusätzlich würden später noch zwei Kohlebecken angezündet werden. Sie waren bereits gerichtet, und Bündel mit duftenden, getrockneten Kräutern und Späne von wohlriechendem, harzigem Holz lagen bereit. Ein weiteres kreisrundes Kaltwasserbecken würde nach dem schweißtreibenden Aufenthalt den Besuchern Erfrischung bringen – wenn das Wasser wieder floss. Dahinter gab es einen abgeschlossenen Ruheraum mit Liegen und geflochtenen Sesseln, von dem man auf den Innenhof blicken konnte und durch dessen Türen man auf das umlaufende Peristyl gelangte. Der Säulengang führte rings um den beinahe quadratischen Hof und bot den Gästen ebenfalls Sitzgelegenheiten oder die Möglichkeit, plaudernd auf und ab zu laufen. Der Hof selbst, die Palaestra, war mit weißem Kies bestreut und wurde oft zu Ballspielen benutzt.
Das eigentliche Bad befand sich in dem östlichen und nördlichen Flügel des Gebäudes, der westliche diente im unteren Bereich als Lagerhaus und die oberen Räume den Arbeitern als Unterkunft. Der Südriegel war zum Wohnhaus der Thermenpächter ausgestaltet.
Rufina jedoch blieb im Gebäude, und als sie das Lager überprüft hatte, in dem all die für den Betrieb notwendigen Materialien untergebracht waren, kam Marius von seinem Gang zurück. Er schnaufte vernehmlich und wischte sich die schweißnasse Stirn.
»Sie werden sich heute Nacht drum kümmern, Patrona!«
»Sie werden sich wann darum kümmern?«
»Heute Nacht. Es heißt, man könne nicht die ganze Stadt trockenfallen lassen, nur weil ein Rohr verstopft ist.«
»Wer ist man, der das sagt?«
»Der Aquarius, der Röhrenmeister.«
»Ach ja. Der Aquarius!«
»Außerdem sei der Baumeister Aulus Lucillius Silvian mit zwei Besuchern da und verlange seine Aufmerksamkeit.«
»Verlangt er! Nun, und ich verlange die Aufmerksamkeit des Aulus Lucillius Silvian. Und zwar augenblicklich. Sag Paula, sie soll den Frauen, die heute Morgen kommen, erklären, das Bad sei geschlossen. Morgen haben wir wieder geöffnet. Ich bin in Kürze zurück!«
»Du siehst sehr zornig aus, Patrona!«
»Ich bin überaus zornig, Marius. Ich will die Becken bis zur Mittagsstunde wieder gefüllt sehen.«
»Beleidige den Baumeister nicht...«
Doch Marius’ warnende Worte verhallten ungehört zwischen den Säulen des Caldariums.
Rufina nahm sich nicht die Zeit, sich die Palla überzuwerfen, die sie gewöhnlich trug, wenn sie das Haus verließ, sondern lief mit eiligen Schritten Richtung Wasserkastell, wobei sich die Haarsträhnen aus ihrer hochgesteckten Frisur lösten. Sie erreichte kurz darauf das mächtige, runde Gebäude an der Stadtmauer, in das der Kanal aus der Eifel mündete und von dem aus die Verteilung der Wasserströme in die unterschiedlichen Stadtteile vorgenommen wurde. Durch die angelehnte Tür trat sie ein und rief nach dem Röhrenmeister, der hier seinen Dienst versah. Er kam die Treppe hinunter, erkannte sie und schüttelte unwillig den Kopf.
»Nein, Aurelia Rufina, ich habe deinem Aufseher schon gesagt, wie sich die Lage darstellt.«
»Aquarius, das ist mir herzlich gleichgültig. Ich will den Baumeister sprechen.«
»Er hat Besucher!«
»Jetzt hat er zusätzlich noch eine Besucherin. Lass mich zu ihm.«
»Aurelia Rufina, ich bitte dich, er...«
Gedämpftes Gebrüll klang aus dem Inneren des Gebäudes.
»Scheint kein ganz friedlicher Besuch zu sein. Nun, das passt zu meiner Stimmung.«
Sie drückte sich an dem Mann vorbei und erklomm die Treppen, die zu dem Verteilerraum führten. Um das kreisrunde Sammelbecken verlief ein schmaler Gang, auf dem drei Männer standen. Lucillius Silvian war ein breitschultriger Mann von ansehnlicher Größe, doch er wurde von dem blonden Hünen an seiner Seite noch um fast eine Kopflänge überragt. An Lautstärke jedoch waren sie einander ebenbürtig!
»Meine Leute haben heute Nacht dein verdammtes Wehr nicht angerührt!«, blaffte der Germane.
»Wer sonst wohl? Ihr habt das schon oft genug getan.«
»Dummejungenstreiche. Sie lassen jetzt die Finger davon.«
»Wer das wohl glaubt. Wer hat denn neulich die Sträucher in den Schacht gestopft, Halvor?
»Dazu waren sie nicht am Wehr!«
Der Baumeister grinste plötzlich und hob die Schultern. Etwas ruhiger fuhr Halvor, der Germane, fort: »Silvian, deine Wasserleitung ist leider eine verdammte Versuchung. Weiter im Süden lässt sie unsere Quellen und Brunnen austrocknen. Ihr zieht das ganze Wasser in die Stadt ab! Enorix kann davon auch ein Lied singen!«
»Richtig, darum bin ich hier! Wir haben da im Hinterland ein Problem, Baumeister Silvian«, mischte sich der dritte Mann ein.
»Dann müssen wir das Problem vor Ort lösen. Aber es geht einfach nicht, dass ihr euch an den Wehren vergreift! Wir wollten heute früh den Kanalabschnitt reparieren. Der Arbeiter wäre beinahe ersoffen, als er in den Schacht gestiegen ist!«
»WIR HABEN DAS WEHR NICHT ANGERÜHRT!«
Rufina hatte das Becken umrundet und drängte sich zwischen die beiden Männer, die sich wütend anstarrten.
»Habt ihr nichts Besseres zu tun, als euch anzuschreien? In der Zeit, die ihr mit eurem Gebell verbringt, hättest du die Leitung schon freibekommen können, die in die Therme führt, Baumeister Silvian!«
Der Angesprochene verstummte und blickte einen Moment lang irritiert auf die aufgelöste junge Frau.
»Aurelia Rufina!«
»Stimmt, so heiße ich! Und nun sei so gut und gib deinem Röhrenmeister den Auftrag, die Leitung frei zu machen.«
»Das geht nicht, Aurelia Rufina. Dazu muss das Becken leer laufen, und dann hat die ganze Stadt kein Wasser.«
»Das weiß ich wohl, aber es dauert so lange nicht. Es wäre ja auch nicht das erste Mal.«
Rufina hatte sich vorgenommen, ihre Bitte in ruhigem Ton vorzutragen, doch die Erbitterung brach wieder durch, als der Baumeister geduldig versuchte, ihr sein Vorgehen noch einmal zu erläutern. Ihre Laune war seit dem frühen Morgen schon nicht die beste, und sie spuckte Gift und Galle.
Mit unerwartetem Erfolg. Der blonde Hüne betrachtete sie achtungsvoll, und als sie zwischendurch nach Luft schnappte, grinste er ihr anerkennend zu: »Du bist ein rechter Feuerbrand, kleine Domina.«
»Ich sollte sie zum Abkühlen in das Becken werfen!«, knurrte Silvian und machte Anstalten, auf sie zuzugehen.
»Tu es nicht, sie würde nur das Wasser zum Sieden bringen!« Enorix, der Gallier aus der Eifel, war an ihre Seite getreten und sah zu ihr hinunter. Er war genauso groß wie der blonde Germane, doch seine wilde Mähne und sein dichter, lockiger Vollbart waren ebenso flammend rot wie Rufinas Haare. »Aurelia Rufina, was regst du dich so auf? Die edlen Bürger dieser Stadt werden es schon überleben, wenn sie einen Tag mal kein Bad nehmen können.«
Seine Stimme war tief und freundlich, und Rufina zog hilflos die Schultern hoch.
»Die Bürger schon, ich nicht! Schon dreimal in diesem Monat hat es Wasserprobleme gegeben. Einmal kam gar keins, ein andermal eine schlammige, stinkende Jauche, und letzte Woche schwamm ein toter Hase im Caldarium...«
Rufinas Stimme hatte sich überschlagen, und sie biss sich auf die Knöchel ihrer rechten Hand, um nicht in Tränen auszubrechen. Doch der Baumeister war augenscheinlich ebenfalls an die Grenzen seiner Belastbarkeit gestoßen. Er tobte los: »Und wir haben, verdammt noch mal, diese verdammte Leitung fertig zu kriegen, und das ist ein verdammt schwieriger Teil, den wir zu erledigen haben. Und ich will, verdammt noch mal, nicht mit derartigen Kleinigkeiten wie toten Hasen belästigt werden!«
Rufina ließ ihre Hand los, und ihre Augen sprühten Funken. Doch bevor sie mit der geballten Energie einer Feuersbrunst zur Antwort schreiten konnte, legte ihr Enorix seine schwere Hand auf die Schulter.
»Da steckt doch noch mehr dahinter, kleine rote Füchsin!«, sagte er sanft. »Vielleicht gibt es Gründe, die den Baumeister doch überzeugen können, die Leitung zu prüfen?«
Rufina presste die Lippen zusammen, aber dann brach es plötzlich aus ihr heraus.
»Morgen kommt der Pachteintreiber, und ich kann mir keinen Tag Verlust mehr leisten. Seit Maurus tot ist...«
Silvian sah sie mit einem Mal betreten an, dann rief er einen der Arbeiter und befahl ihm, das Wehr am Zulauf aus dem Eifelkanal zu schließen. Geschrei und Gebrüll konnte er ertragen, Gezeter auch, aber die letzten Worte hatten ihn plötzlich betroffen gemacht. Nur zu gut wusste er, was Maurus, Rufinas Mann, geschehen war.
»Die halbe Stadt wird gleich hier sein!«, murrte er, als der Wasserspiegel in dem Verteilerbecken langsam zu sinken begann und die Leitungseinmündungen sichtbar wurden, durch die das Wasser in die Stadt verteilt wurde. Es dauerte eine geraume Weile, bis es so weit abgelaufen war, dass man in das Becken steigen konnte, und in der Zwischenzeit fachsimpelten Enorix, Halvor und Silvian über die Lösung ihres Brunnenproblems. Rufina stand stumm dabei und gewann allmählich ihre Fassung wieder. Sie hatte sich in den Griff bekommen, als Silvian zwei Arbeiter des Aquarius’ aufforderte, die Zuleitung zu dem Stadtviertel zu prüfen, in dem die Therme lag. Der Zulaufkanal, aus dem die Ströme aus der Eifel kamen, war mannshoch und begehbar, die Verteilerleitungen hier im Wasserkastell noch immer von so großem Durchmesser, der einem schmächtigen Mann erlaubte, bis zur Absperreinrichtung hineinzukriechen. Der Arbeiter, der sich der betroffenen Röhre annahm, kam langsam rückwärts wieder heraus.
»Baumeister, wir haben ein Problem.«
»Das dachte ich mir. Welcher Art?«
»Ein großes Problem, Lucillius Silvian. Es – nun ja – es scheint ein menschlicher Körper vor dem Wehr zu stecken.«
Silvian ergriff wortlos eine der brennenden Lampen und kletterte die Sprossen in das Sammelbecken hinunter. Er war zu breit in den Schultern, um in die Leitung zu kriechen, aber er leuchtete hinein und rief dann nach einer Hakenstange. Man reichte sie ihm, und mit einem kräftigen Ruck zog er das Hindernis aus der Röhre.
»Großer Jupiter!«
Ein Mann lag auf dem Boden zu seinen Füßen, tot, ohne jeden Zweifel. Sein Körper bot ein grausiges Bild, der Weg durch den gemauerten Kanal hatte ihn bis fast zur Unkenntlichkeit entstellt. Doch man sah, er trug Lederhosen, wie es gewöhnlich die Einheimischen taten, feste Stiefel und eine gegürtete Tunika.
»Das ist keiner von meinen Arbeitern. Kennt jemand von euch diesen Mann?«
Halvor und Enorix schüttelten den Kopf, auch die Arbeiter verneinten. Der Aquarius aber beugte sich hinunter und löste den Gürtel des Mannes. Nachdenklich wog er den nassen Lederbeutel, der daran hing.
»Wenn das sein Geldbeutel ist, war er ein reicher Mann.«
»Rufen wir den Ädilen. Und der Arbeiter soll noch einmal nachsehen, ob sich sonst noch irgendwas in der Leitung befindet.«
Rufina hatte das Ganze vom oberen Beckenrand beobachtet und fragte jetzt nach: »Wie kann ein Mann denn da hineinkommen, Baumeister Silvian?«
»Genauso wie der tote Hase, vermutlich. Wenn er durch einen der Inspektionsschächte in den Zulaufkanal gefallen oder gestiegen ist, wird ihn das Wasser mitgerissen haben. Wahrscheinlich wäre er noch am Leben, wenn sich nicht irgend so ein Trottel an den Wehren zu schaffen gemacht hätte!«
»Aber warum steigt jemand in den Kanal? Das verstehe ich nicht.«
»Vielleicht ist er ja nicht freiwillig hineingeklettert!«, bemerkte Halvor vorsichtig. »Einer eurer trefflichen Ärzte sollte ihn untersuchen und herausfinden, ob er ertrunken ist, oder ob er vielleicht schon zuvor auf andere Weise zu Tode gekommen war.«
»Das aufzuklären überlassen wir besser dem Ädilen.«
Der Arbeiter kam mit der Meldung aus der Leitung zurück, es habe sich nichts weiter darin befunden, und gemeinsam schafften der Aquarius und Silvian die Leiche nach oben auf die Umgehung des Beckens.
»Lasst das Wasser wieder einlaufen, sonst beschwert sich die ganze Colonia!«
Als der Zulauf geöffnet wurde und das Eifelwasser wieder sprudelnd das Becken zu füllen begann, traf der Ädil mit zwei Helfern ein. Er warf einen kurzen Blick auf den Toten und schüttelte den Kopf. Doch als sie einen Blick in den Lederbeutel getan hatten und die Goldmünzen sahen, stöhnte er leise auf.
»Kein armer Mann. Das riecht nach Ärger!«
»Nicht nach meinem!«, stellte Rufina fest und nickte dem Baumeister und den beiden Barbaren kurz zu. »Ich kümmere mich jetzt wieder um meine Suppe. Danke, Baumeister Silvian.«
Der Baumeister, noch immer mürrisch, zuckte mit den Schultern und meinte: »Vielleicht war es gar nicht so schlecht, so penetrant darauf zu bestehen, die Leitung zu prüfen!«
Ungehobelter Klotz, beschied ihn Rufina innerlich.
 
Als sie in der Therme angekommen war, hörte sie schon das Plätschern des Wassers. Die Becken füllten sich langsam, doch Paula, die am Eingang mit ihrer Geldkiste saß, wirkte ein wenig gereizt.
»Patrona, die Camilla Donatia und ihre hochnäsige Gefolgschaft haben gesagt, sie kämen nicht wieder, weil es hier ständig Probleme gibt. Sie haben ein ziemliches Gezänk veranstaltet.«
Dass auch Paula nicht ohne Einfluss auf besagtes Gezänk war, konnte sich Rufina vorstellen, die Capsaria zeichnete sich nicht durch ein langmütiges Wesen aus. Sie zuckte dennoch nur mit den Schultern und meinte: »Tja, da ihnen die öffentliche Therme zu vulgär ist, werden sie wohl im Rhein baden müssen.«
»Vielleicht auch nicht, es gibt noch genügend kleine Privatbäder, und wenn sie sich mit den Männern über die Zeiten einigen...«
»… dann sieht es schlecht für uns aus. Da hast du Recht, Paula. Aber was soll ich machen? Es ist doch nicht meine Schuld, dass ausgerechnet der Zulauf zu dieser Therme verstopft war.«
»Sie haben auch die anderen Frauen, die baden wollten, auf der Straße abgefangen. Sie verbreiten das Gerücht, du würdest zumachen, weil du kein Geld mehr hast, um das Wasser zu bezahlen.«
»Ich kann es bezahlen, und ich werde es auch.«
»Du könntest mir auch meinen Lohn auszahlen, Patrona!«
»Die Kalenden des Mai sind erst in fünf Tagen, Paula, so lange wirst du dich noch gedulden müssen!«
»Wirst du ihn dann zahlen?«
Rufina wischte sich eine Strähne aus der Stirn und seufzte.
»Ja, es wird schon irgendwie gehen.«
Paula war nicht die Einzige, die misstrauisch der Zukunft entgegensah. Auch bei den Händlern gab es Gemurre, und die Kosmetikerin und die Masseurin klagten über den Verdienstausfall an diesem Vormittag. Immerhin waren alle Becken gefüllt, bevor die nachmittägliche Badezeit der Männer begann. Noch einmal ging Rufina mit kritischem Blick an ihnen vorbei, um zu prüfen, ob nicht doch etwas Unappetitliches aus den Rohren geschwemmt worden war. Aber das Wasser schimmerte rein und klar, und auf dem Beckenboden schienen die Mosaikfische wie belebt in den kleinen Wellen zu schwimmen. Nur in einem der Kaltwasserbecken störte ein dunkler Flecken das leuchtende Blau der Fliesen. Es war kein sehr tiefes Becken, und Rufina raffte ihr Gewand bis über die Knie, stieg die drei Stufen hinab und bückte sich nach dem Gegenstand. Sie hielt einen kleinen Lederbeutel in der Hand, voll gesogen mit Wasser und mit einem verknoteten Band geschlossen. Um ihn genauer zu untersuchen, trug sie ihn zu ihrer Wohnung.
Es erwies sich als kniffelig, das nasse Lederband aufzuknoten, und nach einigen fruchtlosen Versuchen griff Rufina nach einem Messerchen und schnitt es ungeduldig auf. Es klirrte leise, als aus dem Beutel zwei zierliche Gegenstände auf die Tischplatte fielen. Mit spitzen Fingern hob Rufina sie auf und trug sie zum offenen Fenster, um sie im hellen Sonnenlicht zu untersuchen. Fein geflochtener dünner Golddraht bildete einen Halbmond, an dessen Rundung zarte, lanzettförmige Goldplättchen hingen. Nach oben schlossen sich die Drähtchen, eng miteinander verzwirnt, zu einem offenen Ring mit einer Öse.
»Ohrringe!«, flüsterte Rufina leise. Sie legte sie auf die Handfläche und betrachtete sie lange. Trauer legte sich um ihr Herz.
Die Ohrringe waren in derselben Art gefertigt wie das Halsband, das ihr Maurus vor acht Jahren zur Geburt ihres ersten Kindes geschenkt hatte. Zwei passende Reifen aus Goldfiligran, die sie an den Oberarmen tragen konnte, hatte sie dann bei der Geburt von Crispus erhalten.
Weitere Geschenke dieser Art würde sie nie wieder erhalten, Maurus war vor über zwei Monaten, im bittersten Winter ihres Lebens, gestorben.
 
Fulcinius Crassus war, entgegen seines Zunamens »der Fette«, zeitlebens ein ausgesprochen hagerer Mann geblieben, der zur Überraschung aller, die ihn kannten, in der Lage war, üppigste Mahlzeiten zu sich zu nehmen, ohne auch nur einen Ansatz von Fett auf seinem knochigen Körper zu bilden. Inzwischen hatte er die sechzig bereits um einige Jahre überschritten, sein Haar und sein Bart waren grau und ziemlich struppig, außer zu den Zeiten, in denen er es sich angelegentlich sein ließ, jüngeren Frauen imponieren zu wollen. Seiner Schwiegertochter Rufina gegenüber hatte er selten derartige Anwandlungen.
Er betrat den Raum, als sie gerade die Ohrringe zurück in den feuchten Beutel steckte.
»Was ist nun schon wieder los, Mädchen? Mit einer solchen Leidensmiene wirst du vielleicht Mitleid erregen, aber dadurch kommen auch nicht mehr Gäste in die Therme. Hat ein ganz schönes Gegacker heute Vormittag gegeben. Warum warst du nicht da und hast die Frauen selbst empfangen? Die Paula ist ein dummes Huhn, kaum in der Lage, die Asse und Sesterzen richtig herauszugeben.«
»Ich habe dafür gesorgt, dass wenigstens die Männer heute Nachmittag sauberes Wasser haben.«
»So, hast du! Warum hast du das nicht deinen verschlafenen Aufseher regeln lassen? Dafür bezahlst du deine Angestellten doch teuer genug!«
»Hör auf zu nörgeln, Crassus.«
»Ich nörgele nicht, ich stelle nur ein paar praktische Fragen!«
»Praktisch, wie? Auf der einen Seite soll ich Paulas Arbeit machen und auf der anderen darf ich die von Marius nicht übernehmen.«
»Mach du die Frauenarbeit und überlass den Männern die ihre.«
»Nur zu gerne, Schwiegervater. Welche Männerarbeit würdest du jetzt gerne übernehmen?«
»Keine. Ich bin doch nicht so ein schäbiger Latrinenpächter wie mein missratener Sohn. Mir ist noch immer ein Rätsel, warum er diese Arbeit angenommen hat. Er hätte den Olivenhandel übernehmen sollen.«
»Er hat aber nun mal die Therme gepachtet. Und nicht die Latrine, um das wieder einmal klarzustellen. Immerhin hat er damit ganz gut unseren Lebensunterhalt verdient.«
»Hat er, du hingegen bist schon wieder mit den Einnahmen im Rückstand.«
»Das hat seine Gründe, wie du sehr wohl weißt.«
»Ich sehe schon, demnächst kommen hier ungesüßter Bohnenbrei und Essigwasser auf den Tisch!«
»Wenn dir das nicht passt, dann kannst du ja etwas zum Haushalt beisteuern, Schwiegervater. Du brüstest dich doch immer damit, wie gut deine Geschäfte gehen!«
Es hatte sich wieder ein giftiger Ton in Rufinas Stimme geschlichen, und ihre dunklen Augen blitzten den alten Mann herausfordernd an. Er schaffte es regelmäßig, sie zu reizen.
»Warum sollte ich in diese Latrine investieren? Gib den Laden auf, Rufina. Es schickt sich nicht für eine Frau, ein solches Geschäft zu führen. Es gibt zu Gerede Anlass!«
»Unsinn. Wenn ich die Therme aufgebe, verdiene ich überhaupt nichts mehr und liege dir mit den Kindern auf der Tasche. Das ist das Letzte, was ich will.«
»Ich auch nicht, davor schütze mich Merkur. Du musst wieder heiraten, das ist alles.«
»Dazu habe ich dir meinen Standpunkt bereits mehrmals klar gemacht. Und wenn du nichts dagegen hast, dann werde ich mich jetzt um meine Abrechnungen kümmern. Morgen kommt der Pachteinnehmer!«
»Tu das, Rufina, tu das. Aber bitte sei vorher so nett und schick mir die süße kleine Masseurin ins Zimmer. Solange keine Gäste deine leeren Becken besuchen, kann sie mir ihre Dienste widmen.«
»Schön, wenn du den üblichen Satz bezahlst. An mich, wohlgemerkt. Ich gebe ihr dann schon ihren Anteil.«
»Rufina, ich gehöre zur Familie!«
»Ich muss an meine Einnahmen denken, Schwiegervater, sonst gerate ich in Rückstand! Du zahlst zukünftig für alle Leistungen. Oder du hilfst mit. Eins von beidem.«
»Ich bin ein alter Mann!«
»Du bist ein alter Bock, und zukünftig wirst du sogar für die Benutzung der Latrine bezahlen!«
»Kommt nicht in Frage. Dann pinkle ich eher in die Ecken.«
»Wenn du das tust, wische ich die Schweinerei eigenhändig mit deiner besten Toga auf!«
Rufina nahm das feuchte Lederbeutelchen an sich und verließ mit energischen Schritten das Zimmer. In dem Raum, den sie sich für ihre Verwaltungsarbeiten vorbehalten hatte, nahm sie sich die Wachstäfelchen vor, auf denen sie ihre Abrechnungen zu machen pflegte, und stellte das Rechenbrett bereit.
Es war ein deprimierendes Geschäft, und es wollte ihr nicht recht von der Hand gehen. Mehrmals ertappte sie sich, wie sie mutlos aus dem Fenster starrte. Möglicherweise hatte ihr Schwiegervater Recht, und sie würde über kurz oder lang die Therme aufgeben müssen. Sie nahm ihm seine spitzen Bemerkungen nicht besonders übel, auch wenn sie ihnen nicht mit Langmut begegnete. Er war vor zwei Wochen in die Colonia gekommen, und sie musste zugeben, er hatte sie mit seiner ständigen Nörgelei aus ihrer Lethargie gerissen. Sie kannte ihn nun schon seit fast neun Jahren. Es war seine Art, an allem herumzukritisieren, vor allem aber an seinem Sohn Maurus, der so gar nicht seine Erwartungen erfüllt hatte. Fulcinius Crassus betrieb ein blühendes Handelsgeschäft, das er in die Hände seines Partners gelegt hatte, um nach Erhalt der Nachricht vom Tode seines Sohnes in die Colonia zu reisen. Seine Spezialität waren das feinste Olivenöl und die delikatesten eingelegten Oliven, die sie bei den Bauern aufkauften und mit einem satten Gewinn in jene römischen Provinzen lieferten, die nicht mit dem Anbau von Olivenbäumen gesegnet waren. Hin und wieder hatte Maurus, als er alt genug war, Reisen für ihn unternommen und Geschäftsbeziehungen geknüpft, aber kaum hatte er sich einmal eine ordentliche Provision verdient, war er seinen eigenen Interessen nachgegangen. Einen Faulenzer, einen ehrgeizlosen Tagedieb und einen vergnügungssüchtigen Leichtfuß hatte Crassus ihn geschimpft, weil er wochenlang mit seinen Freunden umhergezogen war. Einen ausgemachten Dummkopf nannte er ihn, der weder Geldverstand noch Bildung besaß, obwohl er die besten Lehrer für ihn eingestellt hatte. Verschwendungssucht warf er ihm vor, doch es waren nicht Crassus’ Sesterzen, die Maurus so großzügig ausgab. Das wusste Rufina nur zu genau, denn sie hatte es schon wenige Monate nach ihrer Hochzeit übernommen, für Crassus die Bücher zu führen. Obwohl Maurus immer Geld bei der Hand hatte, wusste sie nie genau, woher es stammte. Die anderen Vorwürfe mochten stimmen, doch Rufina vertrat trotz allem eine eigene Meinung zu Maurus. Vielleicht war er nur von geringem Ehrgeiz geplagt, was das Geschäftemachen anbelangte, er war sicher auch nicht der verantwortungsvollste Ehemann gewesen, aber über die Geburt der beiden Kinder hatte er sich aufrichtig gefreut, und ihnen war er, wenn er denn mal anwesend war, ein hingebungsvoller Vater. Maura und Crispus liebten ihn vorbehaltlos. Und sie selbst?
Wieder sah sie aus dem offenen Fenster. Auf den ziegelgedeckten Dächern der Nachbarhäuser saßen gurrende Tauben und tschilpende Spatzen. Die Äste einer hohen Buche neigten ihre Zweige in der sanften Brise des Frühlings, und ihre kleinen hellgrünen Blattfächer begannen sich eben zu entfalten. Aber Rufina bemerkte das alles nicht. Sie sah Maurus’ Gesicht vor ihren Augen.
Sie würde nicht mehr heiraten. Genauso wenig, wie Fulcinia maior es getan hatte.
Dann aber riss sie sich zusammen und begann mit der Aufstellung der Ausgaben. Das Holz für die Beheizung des Bades musste bezahlt werden, die Wassergebühr war fällig, der Vorrat an Salben und Parfüms musste ergänzt und das Lampenöl nachbestellt werden. Eine Reihe Tiegel waren zerbrochen, auch die tönernen Öllampen hielten nicht ewig. Zudem waren die Löhne zu zahlen. Beinahe fünfzig Leute waren nötig, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Die Heizer und das Reinigungspersonal machten den größten Anteil aus, aber auch Garderobenwärter, Bademeister, Masseure und andere Dienstleister mussten für das anspruchsvolle Publikum bereitstehen. In Rom hätte man Sklaven zur Verfügung gehabt – nicht, dass die viel billiger gewesen wären -, hier in der Provinz waren es vornehmlich Einheimische oder Freigelassene, die sich für Lohn verdingten.
Der Betrag summierte sich, und Rufina seufzte leise. Dann nahm sie sich die Einnahmen vor. Zum einen war da das Eintrittsgeld – die Frauen zahlten morgens, wenn das Wasser frisch war, das Doppelte von dem, was die Männer in den für sie reservierten Nachmittags- und Abendstunden zu zahlen hatten. Die Summe deckte knapp die Ausgaben. Für die Pacht war noch keine Sesterze eingebracht. Sie sollte im Prinzip durch die Untervermietung an die Händler abgedeckt werden, die ihre kleinen Geschäfte und Stände innerhalb der Therme oder im Hof führten. Auch der Verkauf von weißer Holzasche aus der Heizanlage brachte ein paar Münzen ein.
Rufina zählte und rechnete und rechnete und zählte – es wollte nicht stimmen. Nach dem, was ihr die Mieter schuldeten, hätte die Summe nicht gereicht, um die Pacht zu zahlen. Und dennoch war mehr Geld in der Kasse, als die nüchternen Zahlen sagten.
»Schon wieder!«, murmelte sie leise. »Er hat schon wieder zu viel gezahlt. Was will Cyprianus damit nur erreichen?«
Sie zählte sorgsam die überschüssigen Denare und Sesterzen ab und legte sie beiseite. Der Rest – nun, es würde nicht reichen. Vielleicht, wenn sie mit dem Salbenhändler noch einmal reden könnte. Er musste eben noch ein paar Tage auf sein Geld warten. Oder Barbaria, die Badeaufseherin, bekam ihren Lohn erst im nächsten Monat. Sie war sowieso ziemlich unzuverlässig.
Noch einmal seufzte Rufina auf. Die Pacht würde bezahlt, das Wasser und das Holz auch. Aber ihr blieb für den Haushalt nichts mehr übrig.
»Rufina, störe ich?«, fragte eine leise, beinahe scheue Stimme.
Eine schlanke Dame mittleren Alters trat über die Schwelle. Ihre Haltung war würdevoll und aufrecht, ihre unauffälligen Züge ruhig und gelassen. Sie war in eine nüchterne, dunkle Stola über einer weißen Tunika gewandet, ihre schwarzen Haare waren glatt in der Mitte gescheitelt, und zwei graue Strähnen zogen sich rechts und links von den Schläfen nach hinten, wo sie zu einem schlichten Knoten zusammengefasst waren.
»Fulcinia, komm herein. Nein, du störst nicht. Ich bin eben mit den Abrechnungen fertig geworden.«
»Und wie sieht es aus?«
»Nicht gut. Cyprianus hat wieder zu viel gezahlt. Das ist mir so unangenehm.«
»Hat er irgendwelche Absichten?«
»Ich weiß es nicht. Er ist nicht mehr als freundlich, Andeutungen hat er bisher nie gemacht. Aber er hat jetzt schon das dritte Mal mehr bezahlt, als in der Vereinbarung steht.«
»Hast du ihn gefragt, warum?«
»Er sagt, die Geschäfte laufen so gut. Aber das stimmt nicht. Unsere Besucher sind nicht zahlreicher geworden, im Gegenteil. Und mehr trinken tun sie auch nicht. Ich werde ihm die Münzen zurückgeben. Ich will mich nicht zu irgendwas verpflichten.«
»Das mag klug sein. Wir werden einen anderen Weg finden. Die Haushaltskosten übernehme ich im nächsten Monat.«
»Ach, Fulcinia...«
»Natürlich tue ich das. Schließlich wohne und esse ich hier.«
»Und du arbeitest hier.«
»Was sollte ich denn ansonsten tun? Mir die Fingernägel polieren lassen? Ich bin froh, dass Maurus mir die Möglichkeit gegeben hat, mit euch zu kommen. Und nun erzähl mir, was heute Morgen los war!«
Fulcinia ließ sich in einem der aus Weidenruten geflochtenen Sessel nieder und hörte sich die Geschichte von dem Toten in der Wasserleitung an.
»Das könnte Ärger bedeuten«, sagte sie und nickte, als Rufina geendet hatte.«
»Warten wir es ab. Ich nehme an, inzwischen haben die Heizer wieder ihre Arbeit aufgenommen?«
»Natürlich. Ich habe sie heute Morgen dazu überreden können, das Holz bei den Holzschlägern abzuholen, so sparen wir zumindest die Lieferkosten.«
Rufina lächelte kaum merklich. Es verblüffte sie auch nach drei Jahren gemeinsamen Lebens immer wieder, wie die vornehme Fulcinia es fertig brachte, die ungehobelten Männer zur Arbeit anzuhalten. Es war schon ein Anblick, wenn sie mit sanfter, höflicher Stimme inmitten der halb nackten, rußverschmierten, schwitzenden Gesellen, die vor den Glutlöchern des Praefurniums schufteten, ihre Anweisungen gab. Jedes ihrer leisen Worte wurde sofort ohne jede Frage und ohne jedes Zögern befolgt. Hier zeigte sie Autorität, doch sowie sie sich Fremden gegenüber fand, wurde sie schüchtern und versank in eine geradezu magische Unscheinbarkeit.
»Wo sind eigentlich deine Kinder, Rufina? Sollten sie nicht ihren Unterricht beendet haben?«
»Sie haben so lange gebettelt, bis ich ihnen erlaubt habe, an den Rhein hinunterzugehen. Aber du hast Recht«, sagte sie mit einem Blick auf die inzwischen schon weit nach Westen gewanderte Sonne, »sie sollten allmählich nach Hause finden.«
»Ich denke, du musst dir um sie keine Sorgen machen, sie sind sehr vernünftig für ihr Alter.«
»Ich sollte mir keine Sorgen machen, aber ich mache sie mir. Ich hasse das Warten. Seit diesen Tagen im Februar...«
»Ich weiß. Sie werden gleich kommen, Rufina. Besser gesagt, dieses Trampeln auf dem Gang scheint mir sogar ihr sofortiges Eintreffen zu bedeuten.«
In der Tat näherten sich Schritte. Genagelte Sandalensohlen klopften auf den Holzboden, Gekicher und ein Quietschen ertönten, und dann stürmten zwei Kinder, ein achtjähriges Mädchen und ihr um ein Jahr jüngerer Bruder, in das Zimmer.
»Maura! Crispus! Bona Dea, wie seht ihr aus!«
»Schlammig, Mama. Crispus ist ins Wasser gefallen, und ich habe ihn herausgezogen.«
»Ich sagte doch, sie sind vernünftig, Rufina!«, stellte Fulcinia trocken fest.
»Natürlich sind wir das, Tante Dignitas. Und die Sonne ist auch schon ganz warm, uns ist gar nicht kalt gewesen.«
»Außerdem haben wir etwas gefunden, Mama. Also, deswegen bin ich ja ins Wasser gefallen. Wir haben nämlich den Männern zugesehen.«
»Den Männern?«
»Ja, die das hier aus dem Sand waschen!«
Eine schmutzige Faust öffnete sich, und ein Glitzern darin versetzte Rufina in Erstaunen.
»Ist das Gold?«
»Ja, Mama. Die Legionäre waschen es aus dem Sand. Mit Sieben. Aber Crispus hat das hier einfach so zwischen den Kieseln gefunden.«
»Wo wart ihr denn nur?«
»Hinter dem Hafen, da, wo die Auen beginnen!«
»Ihr wart außerhalb der Stadtmauern? Hört mal, ihr zwei, das macht ihr mir nicht noch einmal! Ich habe euch erlaubt, zum Wasser hinunterzugehen, aber die Stadt dürft ihr nicht verlassen. Das ist viel zu gefährlich! Ich habe es euch schon so oft untersagt!«
»Aber Mama...!«
»Keine Widerrede, Maura. Ich verbiete es.«
»Aber da sind die Wäscherinnen und die Goldsucher und die Fischer und die...«
»Maura!«
»Und keine Wölfe!«, fügte das Mädchen trotzig hinzu.
»Womit sie Recht hat, Rufina.«
»Fulcinia, ist das nicht meine Sache?«
»Doch, aber sie haben Recht, Rufina. Ich denke, ich weiß auch den Grund, warum sie in die Auen gehen.« Rufina sandte der Älteren einen zornigen Blick. »Und du weißt es ebenfalls!«, schloss Fulcinia ihre Rede.
»Ja, Mama. Es ist besser so. Wenn wir uns raufen, magst du das auch nicht!«
Rufinas Zorn löste sich in feinen Rauch auf, und sie fuhr Crispus liebevoll durch die kurzen, krausen Haare, die seinen Kopf wie ein wolliges, rotes, und derzeit ein wenig schlammiges, Fell bedeckten.
»Ja, ich weiß. Aber euer Vater ist nun mal vor den Mauern von wilden Tieren angefallen worden. Ich habe Angst um euch beide.«
»Das sagst du immer wieder, Mama. Aber es ist Sommer, und die wildesten Tiere, die wir je in den Auwiesen angetroffen haben, sind ein paar glitschige Frösche.«
Rufina zog auch ihre Tochter in die Arme. Ihre Haare waren nicht kraus, sondern nur lockig und tiefschwarz und hatten sich ungebärdig aus den Zöpfen gelöst. Beide Kinder aber besaßen die gleiche seidige Haut, deren Farbe an Haselnüsse denken ließ. Bedauerlicherweise machte dieses matte, warme Braun sie oft genug zum Gespött der Gleichaltrigen.
»Schon gut, Maura. Aber bleibt immer zusammen, ja? Versprecht ihr mir das?«
»Natürlich, Mama. Ich passe auf Crispus auf!«
»Blödsinn, Mama, ich passe auf Maura auf. Sie ist ja bloß ein Mädchen!«
»Ach, bloß ein Mädchen? Und wer hat dich vorhin aus dem Wasser gezogen?«
»Das war doch nicht tief, nur weil ich ausgerutscht bin...«
»Schluss, ihr beiden!«
»Ist doch wahr!«, murrte Crispus leise, aber gab dann doch mit einem schelmischen Grinsen nach. »Darf ich das behalten, Mama?«, fragte er und wies auf das Goldklümpchen.
Fulcinia nahm es in die Hand, betrachtete das unregelmäßige, glitzernde Stück Metall und belehrte ihn mit sanfter Stimme: »Das Gold, Kinder, gehört, wie alle Schätze des römischen Bodens, dem Kaiser Traian. Die Leute, die es aus dem Rhein waschen, liefern es an die staatlichen Sammelstellen ab. Es dient dazu, Münzen zu prägen, mit denen der Caesar seine Magistrate, Legionen und Feldherren bezahlt, um uns zu schützen.«
»Und um sich goldene Rüstungen machen zu lassen.«
»Das auch.«
»Und Schmuck für Plotina Pompeia.«
»Auch das.«
Fulcinia legte das Goldklümpchen wieder auf den Tisch.
»Kann er nicht auf das kleine Stückchen verzichten?«
»Er könnte es, wenn ihr die Einzigen wäret, die so denken. Aber wenn alle so handelten, gäbe es bald gar kein Gold mehr
für ihn.«
»Und alle Leute wären reich und könnten sich goldene Rüstungen machen.«
»Und niemand hätte mehr Münzen, um sich Brot zu kaufen.«
»Dann müssen wir das Gold also abgeben?«
»Im Prinzip ja.«
»Da.«
Crispus nahm das Gold und drückte es Fulcinia in die Hand. Diese nickte zustimmend, schränkte aber dann mit einem kleinen Lächeln ein: »Aber manchmal muss man wohl abwägen. Es ist ein sehr kleines Stück, eher so etwas wie ein Andenken an einen schönen, sonnigen Aprilnachmittag, würde ich sagen. Behaltet es, Kinder.«
»Oh, danke, Tante Dignitas.«
Crispus schloss seine schmutzige Faust glücklich um das Klümpchen, Maura hingegen hatte das inzwischen getrocknete Lederbeutelchen in die Hand genommen, betrachtete es neugierig und zupfte dann an dem Bändchen.
»Was ist da denn drin, Mama? Hoppla, das ist ja Schmuck! Oh, und ist genauso gemacht wie deine Halskette!«
»Leg es hin, Maura. Es gehört nicht mir. Es ist aus den Wasserleitungen gespült worden.«
»Wie der Hase?«
»Wie der Hase!«
»Wann?«
Rufina erzählte ihren Kindern die Geschichte von der verstopften Wasserleitung und hatte gebannte Zuhörer. Maura hielt die ganze Zeit über die zierlichen Ohrringe in der Hand und sah sie mit leuchtenden Augen an.
»O Mann, eine tote Leiche im Kanal. Wie ist der da reingekommen? Ist der umgebracht worden?«
Crispus war höchst angetan von der Vorstellung und entwickelte aus dem Stegreif einige äußerst gruselige Szenarien, die von wilden Verfolgungsjagden, Meuchelmördern und Golddiebstählen handelten.
»Lass es gut sein, mein Junge. Ihr habt gehört, was eure Mutter dazu weiß. Wenn sich etwas Neues ergibt, werden wir es erfahren. Nun seht zu, dass ihr saubere Kleider findet, und wascht euch gründlich!«
»Ja, Tante Dignitas!«
Beide Kinder gaben Rufina einen schnellen Kuss auf die Wange und hüpften aus dem Raum. Sie sah ihnen kopfschüttelnd nach und meinte: »Sie sollten dich nicht immer Tante Dignitas nennen.«
»Warum nicht? Ich bin nun mal eine würdevolle Person.«
»Das bist du wirklich.«
»Was wirst du mit den Ohrringen machen?«
»Vermutlich sollte ich sie dem Magistrat überbringen. Ich könnte mir denken, dass dieser Tote sie irgendwie bei sich trug. Mag sein, sie waren für ihn von Bedeutung.«
Fulcinia betrachtete die kleinen Schmuckstücke ebenso nachdenklich wie Maura zuvor.
»Ja, möglicherweise.«
»Was mich daran erinnert, dass ich wohl meinen Schmuck verkaufen muss, wenn sich nicht ein Wunder ereignet.«
»Nein, Rufina!«
Fulcinia konnte, wenn sie wollte, sehr bestimmend sein, auch wenn sie nie ihre Stimme hob oder anders als nur leise und ruhig sprach.
»Die Lehrer für die Kinder, die Bücher und Schriftrollen...«
»Ihr Großvater wird ab jetzt so glücklich sein, das alles zu bezahlen. Ich werde ihn darauf hinweisen.«
Einen wundervollen Augenblick lang genoss Rufina die Vorstellung, wie Fulcinia maior den knurrigen Crassus mit milder Strenge davon überzeugte, die Ausbildungskosten für seine Enkel übernehmen zu dürfen. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass es ihr gelingen würde.
»Einer der Heizer hat einen Bruder, der uns das Holz billiger liefern kann. Vielleicht solltest du dir mal die Konditionen nennen lassen.«
»Ja, das werde ich, und ich könnte vormittags auch selbst das Bad beaufsichtigen, Barbaria ist so nachlässig. Vielleicht könnte man auch noch einen zusätzlichen Händler finden und ihm den kleinen Stand gegenüber dem Salbraum verpachten. Ach, ich muss einfach weiter über Möglichkeiten nachdenken, um Ausgaben einzusparen und zusätzliches Geld einzunehmen.«
Fulcinia nickte. »Ich werde gleichfalls darüber nachdenken, Rufina.« Dann, mit einem milden Anflug von Humor, schloss sie: »Nicht zuletzt können wir ja im Rhein Gold waschen gehen!«
3. Kapitel
Goldsucher
Siehe, das verschwiegene Bett hat die beiden Liebenden aufgenommen.
OVID, ARS AMATORIA
 
Der Februarnachmittag war in eine frühe Dunkelheit übergegangen, und es herrschte tiefe Stille in dem Haus am Waldrand. Müßig drehte sich der Besitzer des Anwesens von dem warmen Körper an seiner Seite weg und betrachtete die blonde Gestalt mit etwas Abstand. Sie schlief den Schlaf einer zutiefst befriedigten Frau. Er hatte das Seine zu diesem erquicklichen Zustand beigetragen. Nicht ohne davon einen ähnlichen Genuss gehabt zu haben. Doch der Müßiggang musste nun bald ein Ende haben, es galt, die Dinge voranzutreiben, die er begonnen hatte.
Als er zum Fenster trat, den Laden einen Spaltbreit aufschob und in den verschneiten Wald hinausschaute, fröstelte er. Noch konnte er seine neue Unterkunft nur als provisorisch betrachten. Zwar lagen dicke Felle auf dem Bett, und Öllampen warfen ihr flackerndes Licht in die schattigen Ecken, aber städtischen Komfort bot die Behausung nicht. Das würde sich bald ändern. Mit Gold ließ sich alles ändern. Und das Gold floss – im wahrsten Sinne des Wortes – in seine Taschen. Es gab verschiedene Quellen, und er hatte die besten ausfindig gemacht. Vor allem aber hatte er Männer, die ihn unterstützten. Zwei von ihnen wollten an diesem Abend zu ihm kommen und die Ausbeute vorlegen. Er selbst hatte bei seinen Streifzügen durch die Wälder, die er unternommen hatte, um sich nach dem Vorankommen der Arbeiten am Wasserkanal zu erkundigen, einen echten Topf voll Gold entdeckt.
Noch einmal warf er einen Blick auf die Schlummernde, dann warf er sich warme Kleider über und streifte die Pelzstiefel über die Füße. Es gab hier draußen kein Hypocaustum, das den Boden erwärmte, nur Kohlepfannen heizten den Raum. Und diese Frau seine Bettstatt. Immerhin.
Er brauchte nicht lange auf seine Handlanger zu warten, Fußtrappeln und heftiges Keuchen kündeten sie an. Geräuschvoll klopften sie an die Tür. Er öffnete ihnen und blickte in zwei panikverzerrte Gesichter.
»Meister, schließ die Tür, sie sind hinter uns her!«
»Rasch!«, keuchte auch der andere.
»Wer ist hinter euch her?«, fragte der Angesprochene kühl und zog die schwere Holztür zu.
»Die Wölfe!«
»Mh.«
»Wirklich. Sieh!«
Der eine zeigte eine zerfetzte Tunika vor und eine halb entblößte, blutende Wade.
»Fast hätten sie uns erwischt.«
»Sieht so aus. Verbindet die Wunde. Dort drüben gibt es Tücher und Salben. Wo haben sie euch erwischt?«
»Am Quelltopf.«
Beide Männer, hartgesottene Burschen, die den Wald und seine Geheimnisse kannten, zitterten noch immer wie Espenlaub. Er sah keinen Anlass, ihnen nicht zu glauben. Ärgerlich war es dennoch, denn jener Quelltopf war reich an dem edlen Metall, das das Wasser in Flimmer und Körnchen aus einem unterirdischen Lager ausgewaschen hatte. Erstaunlich war nur, dass sich bisher noch niemand an dem Reichtum bedient hatte.
»Sucht die Quelle morgen bei Tageslicht auf. Dann trauen die Wölfe sich nicht heraus, sie jagen lieber in der Dämmerung.«
»Nein, Meister. Wir gehen nie wieder dorthin!«
»Ihr tut, was ich sage!«
»Nein!«
»Muss ich nachhelfen?«
Eine lange Peitsche knallte durch die Luft.
»Selbst wenn du uns das Fleisch von den Knochen prügelst, wir gehen nicht wieder zur Quelle.«
Auch der andere schloss sich der Weigerung an.
»Genau. Denn es sind nicht nur die Wölfe, sondern auch die Alte, die sie befehligt.«
»Wer?«
»Ein altes Weib. Sie hat die Wölfe auf uns gehetzt!«
»Ihr habt Gespenster gesehen!«
»Ja, aber welche mit scharfen Zähnen.«
Es war hoffnungslos. Diese einfältigen Trottel würden durch nichts zu bewegen sein, den Ort noch einmal aufzusuchen. Er schickte sie hinter das Haus, wo sie in einem Verschlag die Nacht verbringen konnten, und kehrte in den behaglichen, warmen Raum zurück, in dem sich die pelzbedeckte Lagerstatt befand. Ärgerlich war er zwar über den Vorfall, aber nicht sonderlich beunruhigt. Die Quelle würde nicht von einem Tag auf den anderen versiegen, die Wölfe im Frühjahr genügend Beute finden, um die Nähe der Menschen zu meiden. Dann wollte er selbst den Topf plündern. In der Zwischenzeit gab es Abwechslung genug. Er entledigte sich seiner Stiefel und der wollenen Überkleider und setzte sich auf die Bettkante. Vorsichtig schob er eine Decke aus weichem Marderfell beiseite und betrachtete das goldene Vlies, das sich zwischen den Schenkeln seiner Geliebten ausbreitete. Sie frönte nicht, wie die vornehmen Römerinnen, der Sitte, sich alle Körperhärchen sorgsam auszuzupfen, und zur Abwechslung empfand er das an ihr als überaus erregend. Er würde ihr ein goldenes Geschmeide schenken, beschloss er. Es würde sie noch williger machen.
Sie schlummerte ruhig, doch als er sacht mit den Fingern die blonden Locken teilte und das zarte, noch von den Spielen des langen Nachmittags rosige Fleisch rieb, stöhnte sie wollüstig auf.
4. Kapitel
Nichts als Ärger
Halte nun durch und sei hart!Der Schmerz kommt dir einmal zustatten.Oft hat bitterer Trank Leidenden Stärkung gebracht.
OVID, AMORES
 
Der Haushalt erwachte mit dem Krähen des Hahnes zum Sonnenaufgang. Rufina schlug die weichen Decken zur Seite und stand ein wenig schlaftrunken auf, um die Läden vor den Fenstern zu öffnen. Der Morgen war noch kühl, und feuchter Nebel verhüllte die Gebäude der Nachbarschaft. Aber die Bewohner der Colonia machten sich bereit, das neue Tagwerk zu beginnen. Schritte schlurften über die Steine, Türen knarrten und klappten, gegenüber schob der Bäcker einen Tisch auf die Straße, auf dem er bald seine Backwaren aufschichten würde. Der Geruch von Holzfeuer und frischem Brot wurde herangeweht und verdrängte den zarten Duft der taufeuchten Veilchen, die die Blumenhändlerin auf Moos gebettet in flachen Körben in ihrem Hof stehen hatte. Der musikalische Esel des Fischhändlers sang seine morgendliche Arie, die in einem atemlosen Ahh-i-Ahhh endete. Gutmütig ließ er sich von seinem Herren dann vor den Karren spannen. Er brachte ihn zum Rheinhafen, um den frischen Fang abzuholen. Zwei Elstern zankten sich beredt um etwas, das die Nacht auf dem Pflaster hinterlassen hatte, vielleicht eine tote Maus oder einen aus dem Nest gefallenen Jungvogel.
Die kühlfeuchte Luft ließ Rufina schaudern, und eilig machte sie mit kaltem Wasser Toilette. Das Wohnhaus hatte ein eigenes, kleines Bad, nur eine Wanne, ein Becken und zwei Latrinen. Manchmal benutzte sie die Einrichtungen des Badehauses vor den Besuchern, aber an diesem Morgen hatte sie es eilig. Sie warf sich eine frische Tunika über und legte eine warme, braune Wollstola an. Ihre Haare entwirrte sie energisch mit der Bürste. Im Februar hatte sie die langen Flechten abgeschnitten und am Grab ihres Mannes geopfert. Ihre Locken reichten ihr nun wieder bis auf die Schultern, doch für einen fraulichen Knoten tief im Nacken waren sie noch bei Weitem zu kurz. Mit einigen Wollbändern, die sie so hineinflocht, wie Fulcinia es ihr gezeigt hatte, bändigte sie die Haare schließlich, sodass sie ihr nicht in die Stirn fielen. Bis zum Abend würde diese adrette Frisur zwar nicht halten, aber am Vormittag kam der Pachteintreiber, und ihm wollte sie mit dem gebührenden Auftreten begegnen. Bevor sie jedoch ihre üblichen Pflichten im Haus in Angriff nahm, war ihr erster Gang in die Thermen. Sie musste einfach sicher sein, dass die Becken heute gesäubert und rechtzeitig gefüllt wurden.
Die drei Frauen, die die Räume in Ordnung zu halten hatten, waren bei der Arbeit und reinigten die Liegebänke im Tepidarium. Höflich grüßten sie die Patrona und versicherten, alles gehe seinen gewohnten Gang. Die blauen Fliesen des Kaltwasserbeckens glänzten sauber und leuchteten wie das Meer im Sonnenschein, sprudelnd ergoss sich das klare Wasser aus den Rohren. Auch das große Warmbadebecken war schon halb gefüllt, wenn auch das Wasser noch kalt war, denn die Heizer würden ihre Arbeit erst beginnen, wenn sie die Asche vom Vortag ausgeräumt und den Holzvorrat des Tages griffbereit vor dem Praefurnium aufgestapelt hatten. Dass sie damit beschäftigt waren, ließ sich aus dem Rumpeln und den dumpfen Schlägen der Äxte entnehmen, die die Scheite in handliche Stücke spalteten.
In dem großen Becken allerdings befanden sich wieder einmal Fremdkörper. Diesmal auf dem Wasser.
»Phönizier greifen die Colonia an?«
»Barbaren aus dem Norden, Mama!«