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Gernrode - die tausendjährige Stadt am Rand des Ostharzes, ist ein stilles und bescheidenes Städtchen, obschon es mit seiner Geschichte protzen könnte: Markgraf Gero bekam hier seinen zweifelhaften Ruf als Bezwinger der Wenden; Barbarossa und Heinrich VI hielten ihre Hoftage ab. Die Äbtissinnen des Stifts waren Vorreiterinnen in Sachen Krankenversorgung, Schulbildung der Ärmsten & der Reformation. Allein die Geschichten um die tausendjährige Stiftskirche St. Cyriakus, mitsamt der ältesten Nachbildung des heiligen Grabes, könnte Bücher füllen. Dieses Buch erzählt von ruhelosen Geistern, von Raubrittern und Riesen, von Göttern und ihrer Wohnstatt sowie von wahren Wundern. Wer würde diese Stadt nicht besuchen wollen, die schon Eichendorff, Heine, Fontane, Gebrüder Grimm, Andersen, Klopstock, Goethe uva. ins Staunen versetzte.
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Seitenzahl: 95
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EINLEITENDE WORTE
MARKGRAF GERO
DAS GASTMAHL DES GERO
DER WIEDERKEHRENDE BLUTTAG
DAS WUNDER DES HEILIGEN DORNS
DAS BILDNIS GEROS
DER HEILIGE TEICH
DIE NIXE IM SILBERTEICH
BISCHOF ARNULFS SPOTTGESANG
DIE SEELÖCHER
DIE BUTTERJUNGFER
DIE MÜHLE DES TEUFELS
WIE DER MÜLLER SEINE SEELE RETETE
DIE GOLDENEN KOHLEN
SAGEN VOM MÄGDESPRUNG
SPUREN WAHRER LIEBE
DER RETTENDE SPRUNG
DIE NIX AM UNTRÜBORN
DIE NONNE
DAS MARIECHEN VON GERNRODE
WAS ES MIT DEM GIERSCH AUF SICH HAT
GRAF VIKTOR UND DER SCHWEINEHIRT
SCHÄTZE AUF DER HEINRICHSBURG
WIE DIE ERICHSBURG FIEL
WEN EIN BANNSPRUCH BANNT
DER GEIST DER ST. STEPHANUS
HARZSCHÜTZEN AM UNTRÜBORN
ZIGEUNER IM RAMBERG
DER LETZTE BÄR
DER BÄRENTÖTER
GEMUNKEL VOM BLÄKHOF
DER BLÄKHOF ALS HENKERSSITZ
ABWEHR GEGEN DÄMONEN
DIE GREGORGRUBE
DER STUBENBERG
LASS DIR KEINEN SCHMARRN ANDREHEN
SCHLUSSGEDANKEN
LITERATURVERZEICHNIS
DANKSAGUNG
„Gernrode im Harz“ - Stahlstich von Sagert, 1841
„Gernrode war ein kleiner stiller Ort, ich sah beinahe gar keine Menschen auf der Straße, aber in einem kleinen Haus stand ein Fenster offen und ich hörte eine weibliche Stimme ein hübsches Lied von der Liebe singen. Ich horchte und da die Unsichtbare nicht erschien, nahm ich den Eichenkranz von meiner Mütze und legte ihn zum Dank für den Gesang schweigend auf die Türschwelle nieder …!“
(aufgeschrieben von Hans Christian Andersen, 1831)
Seit vielen Jahren bin ich verzaubert von den engen Straßen dieser einst so großen Stadt, von der altehrwürdigen Stiftskirche St. Cyriakus, vom Stubenberg, der alle Häuser überragt, sowie den Bergen und Waldungen („Alte Burg“, „Osterberg“, „Zum einzelnen Bäumchen“ sowie den „Bückeberg“, aus dessen Kiefernwäldchen ich schon als Kind träumend über die Flure schaute und den Grillen beim Zirpen lauschte). Und schon immer hatte ich ein Faible für Geschichte und Geschichten.
Das ich aber irgendwann einmal ein Sagenbüchlein über diesen Ort schreiben würde und, dass dieses Büchlein mich sehr viele graue Haare kosten würde, das ahnte ich nicht und noch heute hört es sich für mich nach einem bösen Albtraum an. Ach, ich träumte davon, dass es noch heute dreiste Räuber gibt! Ja, wirklich! Doch lebte einer dieser Schufte nicht im tiefen Wald, in einer dunklen Höhle. Er sah auch auf den ersten Blick nicht böse aus. Er raubte weder Gold noch Geschmeide … er stahl ein Buch. Das lag nicht etwa daran, dass er besonders gebildet war, … nein eher nicht! Oh, ich erzählte ihm viele Geschichten und er sagte, er würde sie herrlich zu bebildern verstehen … und gemeinsam würden wir durch die Lande ziehen, die Menschen mit unserer Kunst zu erfreuen. Doch am Morgen war er fort und nahm meine Geschichten mit und sagte allen Menschen, er hätte unser Buch geschrieben … er ganz allein! Welch ein böser Traum! Zum Glück, erwache ich langsam und will Dir nun die zauberhaften Geschichten unserer Heimat erzählen …
Ein kleiner stiller Ort … mit großer Geschichte, das ist Gernrode.
Eine wunderschöne Stadt mit tausend Geschichten, das ist Gernrode.
Von Dichtern besungen, von Märchenerzählern bereist, das ist Gernrode.
Leiderfahren und sich doch dem kleinen Glück zuwendend …
… täglich frisch, „ein hübsches Lied von der Liebe“ singend …
… den altehrwürdigen Glanz hochhaltend, das ist Gernrode!
1.Einmal im Jahr steigt Markgraf Gero aus seiner Grablege, die in der Klosterkirche zu Gernrode steht und wandert gemächlich hinüber zu seiner Burg Gersdorf. In dieser Stammburg wohnten bereits seine Vorfahren. Wenn er das tut, sagt man – ich kann es nur so weitergeben, denn mit eigenen Augen sah ich es nie – bleibt er oft verwundert stehen. Soweit er zu blicken vermag, gen Quedlinburg, Blankenburg, Ballenstedt und Halberstadt, nirgends ist ein Feind auszumachen, überall sieht er ein blühendes, wohlhabendes Land. Zu seiner Zeit durfte man sich keine Stunde aus dem Städtlein wagen, schon gar nicht nachts, denn überall lauerten die heimtückischen Slawen.
Ihm war es zu Lebzeiten das dringlichste Anliegen Frieden zu schaffen und den Heiden den christlichen Glauben nahe zu bringen. Doch zu oft ward seine Gutmütigkeit ausgenutzt, der zerbrechliche Frieden geschändet und die Dörfer seines Gaus flammten in brandroter Glut. Endlich vermochte er aber doch mit harter Hand die Aufstände zu brechen. Ein kampfloses Jahr ward vorübergegangen, was für ihn Anlass war, alle Slawenfürsten auf seine Burg Geronisroth zu einem Freundschaftsmahl zu laden. Erstaunt aber voller Herzensfreude, nahm er die vielen Raben zur Kenntnis, die (einer nach dem anderen) Zusagen der Slawenfürsten brachten. In Geronisroth war ein munteres Treiben, denn alles Volk war mit der Vorbereitung des großen Gastmahls betraut. Und endlich kamen die Fürsten mit zahlreichem Gefolge.
Unter den slawischen Knechten war ein Sachsenjunge namens Warko. Der war einst aus dem Kindbett geraubt und verschleppt worden und wusste nichts von seiner Herkunft. Wie dieser Jüngling aber an diesem Tage in die Burg einzog, erkannte die Mutter ihn sofort.
Erst schalt der junge Mann sie ein „törichtes Weib“, als sie ihm aber von dem Muttermal erzählte und sie Recht behielt, da drückte er sie an sein Herz und begann leise zu jammern. Ein listiger Überfall sei geplant, in dem Gero gemordet werden soll. Seine Herren hätten Schwerter unter ihren Festgewändern versteckt.
Schnell lief die Frau zu den Wohnräumen des Markgrafen, doch hörte da von einer Wache, e sei bereits unterwegs in den Festsaal. „Lieber Gott, ich darf nicht zu spät sein!“, dachte sie und rannte so schnell es ihre Beine zuließen die Treppen hinab, über den Hof zum großen Saale hin. Gero war bereits am Ende des langen Ganges zum Festsaal angekommen, seine Mannen schon willig, die zweiflüglige Tür aufzuhalten, als sie schrie: „Bei deinen Söhnen Gero … nein!“ - Der Markgraf hielt inne, die Wachen guckten verdutzt, reagierten rasch und warfen sich dem eilenden Weib entgegen. „Halt Närrin, was ist dein Verlangen?“, schrien der eine, sie mit dem Speer von sich wegstoßend. „Herr Markgraf, ich muss …, sie dürfen nicht, …Hinterhalt!“, wie wild sagte sie diese Worte, wurde da auf einmal totenblass im Gesicht und fiel bewusstlos zu Boden.
Keine zehn Minuten waren vergangen, als Gero den Festsaal betrat. Die Slawen erhoben sich, stellten ihre Weinbecher zu Tisch und blinzelten sich an. Manche Hand grub sich klammheimlich ins Gewand, den kalten, scharfen Stahl suchend. „Meine lieben Freunde“, begann Gero seine Rede, „Zu einem Gastmahl habe ich geladen …!“ Die Slawenfürsten waren bereit loszuschlagen, jetzt würde es geschehen, ihre Zeit wäre gekommen, des große Geros letzte Atemzüge, nichtsahnend stand er vor ihnen, keine fünf Meter entfernt … als plötzlich ein unglaublicher Krach losschlug. Überall zum Festsaal wurden die Türen aufgestoßen. Geharnischte Ritter sprengten herein. Markgraf Gero schrie: „Ihr kommt zu einem Festmahl, mich zu morden?“ Die Slawen hatten verstanden, ihr Hinterhalt war gescheitert. Blutdurstig und vom Weine betört, stürzten sich die dreißig Fürsten auf Gero und seine Mannen. Doch was war das für ein ungleicher Kampf.
Die Sachsen in Rüstung mit Langschwertern versehen, von den Emporen schossen fünfzig Armbrüste und die Slawen hatten nur Dolche.
Keinen Meter waren sie von der Stelle gekommen, keine zehn Sekunden hatte das Ganze gedauert…da lagen die Fürsten röchelnd am Boden, schwimmend in ihrem eigenen Blut. – Die Waffenknechte der Fürsten ergaben sich sofort, als sie vom Tode ihrer Herren erfuhren und Warko, der geraubte Junge, der wurde Geros Schildknappe. Das Eigentum der Slawen, bekam der Sieger, doch nicht für sich allein, wollte Gero das viele Gold haben. Es sollte allen zu Gute kommen und ein frohes Herz bereiten. So stiftete er die St. Cyriakus.
Ob diese Variante (aufgeschrieben nach Cramm) des Gastmahls wahr ist, bleibt uns verborgen! Wie wir wissen ist die „Geschichte unserer Lehrbücher“ immer jene Lüge, auf die sich Fachkreise einigten! Nachfolgend wird diese Sage etwas anders erzählt:
2.Blutrot ging die Sonne an jenem Abend unter, als der Slawenfürst Tugimar mit seinem gerade erst heimgekehrten Sohne auf dem höchsten Turme der hölzernen Feste zu Stecklenberg stand, um ihm zu eröffnen, welch großes Ereignis dieser Nacht bevorstehen würde.
„Mein Sohn, ein ganzes Jahr ist es her, dass wir uns zuletzt in den Armen gehalten haben und so gibt es heute gleich doppelten Grund zu feiern! Wir ziehen noch des Nachts zu Geros Burg, aber stell‘ dir vor, nicht zum Kampfe, zum Gastmahl!“ „Zum Gastmahl bei Gero guter, weiser Vater? Gero war uns doch niemals gut gesonnen! Erschlugst du nicht seinen Bruder in der Schlacht? Das Blut in den Adern gefriert mir, allein beim Gedanken daran ungeschützt auf seiner Feste zu sein.“, so sein Sohn.
„Schutz wird nicht mehr vonnöten sein, wenn der Bund des Brüder-Friedens im Harzer Gau bald liegt! 29 Fürsten werden mit uns reiten, feiern und lachen. Mein Sohn mach dich bereit!“ „Mein Vater, bedenke ...!“ „Still Sohn, es ist beschlossen. Wir reiten!“, sprach Tugimar mit eiserner Miene die keine Widerrede duldete.
Und kurze Zeit später, ritten einunddreißig Slawenfürsten durch den dichten Wald. Nur das Getrappel der Hufe war zu vernehmen und als der Tross kurz auf der Elfenwiese innehielt, um von den Wesen dieser Stätte den Segen zum Überqueren zu erbitten, da war es totenstill und dichter Nebel zog gespenstisch über den herbstnassen Boden. Keinem der Männer war wohl zu Mute, aber niemand von ihnen hätte in Worte fassen können, was ihre Seelen umschlich und bevor der Gedanke wieder heimzukehren in Tugimar Wurzeln schlagen konnte, rief er „Weiter!“ in die Nacht und die Schar sprang von dannen.
Kurz vor Geros Burg, ritt Tugimar noch kurz neben seinem Sohne her, schaute ihm tief in die Augen und der Blick verriet, dass sie ähnlich fühlten. „Mein starker Sohn, egal was der Abend bringt, es kommt, wie es kommen soll!“
Das Burgtor Geronisroths stand weit geöffnet und die Wachen schritten bereitwillig aus dem Weg, als der Tross über die Zugbrücke trabte. Selbst Markgraf Gero, Kaiser Ottos bester Mann, kam in den Burghof um seine edlen Gäste zu begrüßen. Wie Brüder nahm er jeden Einzelnen in seine Arme. „Endlich, endlich ist der Tag gekommen, da in unserem Gau die viel zu lange Nacht dem Lichte weichen muss! Seid mir willkommen.“, sprach Gero herzlich. Dann aber stockte seine Rede. Er besah sich die Slawenfürsten, nahm die Kurzschwerter & Dolche wahr und fragte schroff: „Ihr kommt unter Waffen zu einem Gastmahl? Wie soll ich das verstehen Tugimar?“ - „Reine Vorsicht in den tiefen Wäldern Gero!“, beschwichtigte er den Markgrafen und sprach zu seinen Getreuen „Meine lieben Slawenbrüder, lasst euer Rüstzeug bei den Rossen, sicher hat Gero eignes Besteck für unser Festmahl im Saale bereit!“
So war es dann auch und was war das für ein Fest. Nicht nur die Pferde in den Ställen wurden aufs Vortrefflichste mit frischem Klee, bestem Hafer und gutem Wasser versorgt. Nein, die Tafel der Ritter und Fürsten war auf das Edelste gedeckt. In silbernen Töpfen war Gebratenen und Gesottenes und in goldenen Krügen kostbarster Wein in solcher Menge angerichtet, dass mehrere Tage und Nächte lang gefeiert werden könne. Die Fürsten langten dann auch tüchtig zu und probierten schließlich, ob der Wein auch in kürzerer Zeit zu leeren wäre, als gerade gesagt. Bald erfüllte ein freudvoller und beherzter Gesang den Raum, der nur von spärlichem Fackelschein beleuchtet war. Alles lachte und tanzte gar mit manch prallem Weibe auf den Tischen. Aber wirklich alles?
Nein, Tugimars Sohn sprach dem Wein nur mäßig zu und blickte besorgt in die Runde. Geros Mannen schienen zu sehr an sich zu halten, während seine slawischen Mitstreiter schon mehr unter den Tischen zu liegen schienen als dass sie daran saßen.