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Einige Sagen aus dem Harz sind deutschlandweit bekannt. Aber wer war es, der sie zuerst sammelte und niederschrieb? Viele der vor einhundert Jahren überregional bekannten Sagensammler sind heute fast vergessen. Freilich, die Gebrüder Grimm kennt jeder; von Bechstein, Grässe und Pröhle hat man vielleicht noch in Fachkreisen gehört; aber Nolte, Hauer und Nachtigall ..., wer soll das denn sein? Sagen und Märchen sind nicht altbacken, sondern aktueller denn je. Sie zu erzählen, gehört heute zum "Immateriellen Weltkulturerbe". Deshalb widmen sich noch heute viele Sammler und Erzähler diesem Thema. Selbstverständlich, denn auch heute geschehen noch sagenhafte Dinge, die lohnen, aufgeschrieben und weitergegeben zu werden! Insgesamt stellt dieses Büchlein 30 der bekanntesten Sagensammler mit kurzem biographischen Umriss und jeweils eine ihrer Sagen (quer durch den Harz) dar. Das Team von "Sagenhafter Harz" möchte damit "Danke" sagen, denn ohne die Sammler, die Schriftsteller, die Verleger und ohne die Erzähler aller Zeiten, würde es recht karg aussehen, um unsere Harzer Sagenwelt. Dieses Werk soll also dazu beitragen, dass sowohl Geschichten, als auch die Menschen dahinter unvergessen bleiben.
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Seitenzahl: 139
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Allen Herzensmenschen, meiner Heimat sowie
den Sammlern & Erzählern zu Ehren gewidmet
EINLEITENDE WORTE
Johann Nachtigall
Der Mägdesprung
Der Ilsenstein
Heinrich Hauer
Lauenburg
Kaspar Gottschalck
Der Burggeist auf Scharzfeld
Johann Gustav Gottlieb Büsching
Die Tidianshöle bei Schloß Falkenstein am Harz
Gebrüder Grimm
Der Bergmönch im Harz
Ludwig Bechstein
Vom Kloster Walkenried
Karl August Ey
Die Sage der Rosstrappe
Adalbert Kuhn
Der wilde Jäger
Johann Georg Theodor Grässe
Der Name von Wernigerode
Ursprung von Stadt & Rathhaus Wernigerodes
Heinrich Pröhle
Die Lutterjungfer
Die Schätze im Weingartenloch
Christoph Adolph Leibrock
Die Teufelsmühle auf der Viktorshöhe
Julius Wolff
Der Sachsenspiegel
Georg Paul Hermann Größler
Der Glockenguß zu Stolberg
Das Nadelöhr bei Ilefeld
Theodor Nolte
Die drei Schicksalsgöttinnen (die Nornen)
Yggdrasil - die Weltesche
Clara Johanna Förstner
Questenberg
Albert Gillwald
Die Sage von der Entdeckung der Baumannshöhle
Marie Carola von Eynatten
Die Sage vom Hexentanzplatz
Marie Eichler
König Hübig
Johann von Harten
Wie der Rammelsberg zu seinem Namen kam
Otto Gotsche
und haben nur den Zorn
Otto Zander
„Der Eremit“ oder „Die Steinkirche bei Scharzfels“
Anneliese Probst
Der Raubgraf vom Regenstein
Manfred Oelsner
Die Teufelsmauer
Gegenstein
Dr. Harald Watzek
Der Brunnen der Weisheit
Gisela Griepentrog
Der silberne Nagel
Dr. Gundula Hubrich-Messow
Auszug der Zwerge
Elisabeth Berg
Der Harzkönig
Bernd Sternal
Markgraf Gero
Werner Körner
Die Sonnenscheiben am Königsstein
Carsten Kiehne
Zauber des Huflattichs an der Heimkehle
WEITERFÜHRENDE LITERATUR
„Die Volkssage will mit keuscher Hand gelesen und gebrochen sein. Wer sie hart angreift, dem wird sie die Blätter krümmen und ihren eigensten Duft vorenthalten. In ihr steckt ein solcher Fund reicher Entfaltung und Blüte, dass er auch unvollständig mitgeteilt in seinem natürlichen Schmuck genugtut …!“
(Jakob Grimm, 1844)
Dieses Büchlein gilt all Jenen zum Dank, die Pionierarbeit in der Sagensammlung, Sagenforschung und Darstellung des Harzes als sagenhafte Heimat oder atemberaubenden Urlaubsort geleistet haben bzw. dies nach besten Herzenskräften noch heute tun.
Seit nunmehr etwa zehn Jahren sammle ich selbst altüberlieferte Mythen, Märchen und Sagen, ebenso wie Anekdoten und bemerkenswerte Geschichten. Jene, die erst gestern geschahen oder gerade beim Schreiben passieren. Es ist ein Fluch unserer hektischen, stets betriebsamen Zeit, dass wir uns so selten Momente des Müßiggangs und Träumens erlauben. Halten wir aber nicht inne, sind wir nicht achtsam, bemerken wir nicht, dass auch der heutige Tag im Stande ist, atemberaubende Momente und Situationen zu entwerfen, die morgen schon Stoff für zukünftige Sagen beinhalten.
Denjenigen von uns, die Geschichten (gleich welcher literarischen Gattung) lieben, wird aufgefallen sein, dass Erzähler unterschiedlicher Epochen ein Sagenthema (z.B. den Bergmönch betreffend) unterschiedlich erzählen, dabei nicht nur eine andere Sprache an den Tag, sondern ganz andere Schwerpunkte in ihrer Erzählung legen. So ist es auch mit dem Räuber Daneil, der einst Halberstadt und das ganze Harzer Vorland unsicher machte. Von ihm gibt es grausame Abhandlungen, aber auch romantische, lüsterne und keusche, trübe und lichte, ausgefeilte und banale. Als Sagenerzähler fand ich diesen Aspekt äußerst spannend: Wem möchte ich diese Überlieferung in welcher Form zu Ohren bringen? Wer fühlt sich von welchem Stil angesprochen? Und welche Erzählform (wenn es denn eine perfekte gibt) passt in die heutige Zeit?
Märchen und das „Märchen erzählen“ gehören heute zum „Immateriellen Weltkulturerbe“, sie sind immer noch „Up to date“, absolut angesagt. Auf den Punkt gebracht, scheint es fast so zu sein, dass man Rabeneltern allein dran erkenne, dass sie ihren Kindern beim zu Bett Gehen keine Märchen erzählen. Aber wie steht es um die Sagen? Sie haben meines Erachtens noch immer den Ruf, altbacken zu sein. Oft lassen sie sich nicht gut erzählen, sind nicht „rund“ und zu finster. Selten enden sie im Guten mit einer Hochzeit, so wie es bei den hübschen Märchen der Fall ist. Wer also will das hören? Anscheinend eine Vielzahl von Menschen, denn in den vergangenen zweihundert Jahren gab es unzählige Sammler, Schriftsteller und Verleger, die sich diesem Thema widmeten und noch erscheinen jährlich unzählige Publikationen.
In diesem Büchlein habe ich mir die Mühe gemacht, einige der bekanntesten Sagenerzähler und Sagensammler der letzten Jahrhunderte vorzustellen, also einen Einblick in ihre Beweggründe zu geben, weshalb sie mit ihrer sagenhaften Arbeit begonnen haben und sie jeweils eine Sage vom Harz erzählen zu lassen. Mein Ziel ist, dass sie unvergessen bleiben, auch wenn ihre Bücher längst nur noch antiquarisch erhältlich sind. Mit den Anfängen leite ich zum Hier und Jetzt über, denn bis in die heutige Zeit gibt es in unterschiedlichen Heimatvereinen Harzliebende, die weiter recherchieren, aufschreiben, sammeln und erzählen. Am Ende des Büchleins fügte ich eine umfassende Liste aller Harzer Sagenbücher ein, die sich im Archiv von „Sagenhafter Harz“ befinden und dort nach Absprache eingesehen werden können. In meinem Werk möchte ich allen, auch den weniger bekannten Sagenfreunden, die hier nicht in aller Ausführlichkeit vorgestellt werden, aus ganzem Herzen „Danke“ sagen. Heimatgeschichte zu erhalten und zu verbreiten, hilft meiner Meinung, Heimatliebe zu vertiefen.
Auch möchte ich dem Team von „Sagenhafter Harz“ danken, die an diesem Werk mitgewirkt haben: Jelka Lüdtke (für Logo & Fotobearbeitung), Stefan Herfurth (für manches beigesteuerte Foto), Sina Wiedfeldt (fürs Lektorat), Sabrina Kiehne (für die gemeinsame Zeit der Recherche).
So verbleibe ich, verliebt in meine Berge und ihre Geschichte, mit harz’lichen Grüßen, Ihr Carsten Kiehne
Johann Carl Christoph Nachtigall
(1753 in Halberstadt – 1819 in Halberstadt)
Johann Nachtigall wurde als Sohn eines Predigers an der Paulskirche in Halberstadt geboren, besuchte das Stephaneum und studierte anschließend an der Universität Halle bis 1773 Theologie, Philologie und der Naturwissenschaften. Nach dem Studium kehrte er nach Halberstadt zurück und wurde 1800 zum Direktor seiner alten Schule ernannt.
Unter dem Pseudonym Otmar verfasste er 1800 das Werk „Volcks-Sagen“, bei dem es sich um die erste deutsche Sagensammlung mit wissenschaftlichem Anspruch handelt. Er selbst beteuerte, er hätte alle Sagen getreu nacherzählt, ihnen aber einen romantischverklärenden Anstrich gegeben. An sich sah er mündlich überlieferte Sagen als historische Zeitzeugen für die einfachen Menschen an. Selbst die Gebrüder Grimm geben „Otmar“ viele Male als Quelle ihrer Geschichten an!
1808 verlieh man ihm die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Halle. Von 1812 an hatte er bis zur Auflösung des Konsistoriums durch die neue Provinzialeinteilung Preußens das Amt des Generalsuperintendenten des Fürstentums Halberstadt sowie der Grafschaften Hohenstein und Mansfeld inne.
Werke
Volcks-Sagen. Nacherzählt von Otmar, 1800Fragmente über die allmählige Bildung der den Israeliten heiligen Schriften. In: Magazin für Religionsphilosophie, Exegese und Kirchengeschichte.Biographie […], von ihm selbst geschrieben und mit einigen seiner Schulreden über interessante Gegenstände, 1820Mägdesprung nennt man jetzt eine sehr ansehnliche Reihe von Hüttenwerken in dem schönen Selke-Thal, zwischen Ballenstedt und Harzgerode. Zur Erklärung dieses Namens zeigt das Volk auf einen hohen Felsen, der durch eine Säule ausgezeichnet ist, eine Vertiefung in dem Gestein, die einige Aehnlichkeit mit der Fußstapfe eines Menschen hat, und achtzig bis hundert Fuß von da, eine zweite Fußstapfe, welche, folgender Sage nach, ein Hühnen-Mädchen, das über das Thal wegsprang, eindruckte.
„Eine Hühnin, oder der Riesen-Töchter eine, erging sich einst auf dem Rücken des Harzes, von dem Petersberge herkommend. Als sie die Felsen erreicht hatte, die jetzt auf die Hüttenwerke herabsehen, erblickte sie ihre Gespielin, die ihr winkte, auf der Spitze des Rammberges. - Lange stand sie hier zögernd; denn ihren Standort und den nächsten Berggipfel trennte ein sehr breites Thal. Sie stand hier so lange, daß sich ihre Fußstapfen ellentief eindruckten in dem Felsen, wovon die schwachen Spuren noch jetzt zu sehen sind. Ihres Zögerns lachte höhnend ein Knecht des kleinen Volks, das diese Gegend bewohnte, und der in der Gegend von Harzgerode pflügte.
Dies merkte endlich die Hühnin, streckte ihre Hand aus, hob den Knecht mit den Pferden und dem Pflug in die Höhe, nahm alles zusammen in ihr Obergewand, sprang damit über das Thal weg, und in einigen Schritten hatte sie ihre Gespielin erreicht.“
»Sahst du noch nie die schöne Jungfrau auf dem Ilsenstein sitzen? Alle Morgen schließt sie den Fels auf, so bald der erste Sonnenstrahl ihn trift, und steigt herab zur Ilse, in deren spiegelhellem Wasser sie sich badet. Freilich allen Menschen ist es nicht vergönnt, sie zu sehen. Aber, wer sie sahe, preißt sie wegen ihrer Schönheit und Güte. Oft schon theilte sie von den Schätzen mit, die der Ilsenstein in sich schließt, und manche Familie verdankt der schönen Jungfrau ihr Glück.
Einst fand sie am frühen Morgen ein Köhler, der in den Forst gehen wollte, an der Ilse sitzen. Er grüßte sie freundlich, und sie winkte ihm mitzugehen. Er folgte, und bald standen sie vor dem großen Fels. Sie klopfte dreimal an, und der Ilsenstein that sich auseinander. Sie ging hinein, und brachte ihm seinen Ranzen gefüllt zurück, befahl ihm aber dabei ernstlich, ihn nicht zu öfnen, bis er in seiner Hütte wäre. Er nahm ihn und dankte. Als er fortging, fiel die Schwere des Sacks ihm auf, und er hätte gern gesehen, was darin sey. Endlich, als er auf die Ilsenbrücke kam, konnte er der Neugier nicht länger widerstehen. Er öfnete den Ranzen, und sah' – Eicheln und Tannäpfel. Unwillig schüttelte er die Eicheln und Tannäpfel von der Brücke herab in den angeschwollnen Strom. Doch bald hörte er ein lautes Klingeln, wenn die Eicheln und Aepfel die Steine der Ilse berührten, und bald sah' er, zu seinem Schrecken, daß er Gold verschüttet hatte. Weislich wickelte er den kleinen Ueberrest, den er noch in den Ecken des Sacks fühlte, sorgsam zusammen, und trug ihn nach Hause; er fand des Goldes noch so viel, daß er sich ein kleines Gütchen kaufen konnte.« - »Wer diese Jungfrau ist? – Höre, was die Väter und Mütter uns erzählten. Bei der Sündfluth, als das Wasser der Nordsee die Thäler und Ebnen von Niedersachsen überströmte, flohen ein Jüngling und eine Jungfrau, die sich schon lange liebten, aus dem Nordlande dem Harzgebirge zu, um hier ihr Leben zu retten. Mit dem Steigen des Wassers stiegen auch sie immer höher, und näherten sich immer mehr dem Brocken, der ihnen von fern her eine sichre Zuflucht darzubieten schien. Endlich standen sie auf einem ungeheuern Felsen, der weit über dem wogenden Meere hervorragte. Von hier sahen sie das ganze umliegende Land von der Fluth überdeckt; und, Hütten und Thiere und Menschen waren verschwunden. So standen sie hier einsam, und starrten in die Wogen hin, die an dem Fuße des Felsens sich brachen. Doch noch höher stieg das Wasser, und schon dachten sie darauf, über einen noch unbedeckten Felsenrücken weiter zu fliehen, und den Brocken heranzuklimmen, der wie eine große Insel über die wogende See hervorragte. - Da erbebte unter ihren Füßen der Fels, auf dem sie standen, spaltete sich, und drohte in einem Augenblick die Liebenden zu trennen. Auf der linken Seite, dem Brocken zugewandt, stand die Jungfrau, auf der rechten der Jüngling. Fest waren ihre Hände in einander verschlungen. Die Felsenwände bogen rechts und links aus, und – die Jungfrau und der Jüngling stürzten mit einander in die Fluthen. Ilse hieß die Jungfrau. Sie gab dem reizenden Ilsethal den Namen.« (aufgeschrieben von Otmar in „Volcks-Sagen“. 1800)
Heinrich Hauer (1763 in Wegeleben – 1838)
Heinrich Hauer erhielt seinen „höchst dürftigen Schulunterricht“ bei seinem Vater (der als Lehrer tätig war), wurde zuerst nach dessen Drängen und gegen seinen eigenen Willen Zimmermann. Die anderen Gesellen verulkten Hauer, der in jeder freien Minute ein Buch aus seinem Mantel hervorzog und, anstatt mit ihnen zu trinken und zu spielen, lieber in jeder Pause studierte. Als sie aber merkten, welches Wissen und welche Fähigkeiten er damit erwarb, ließen sie ihn in Ruhe.
In seiner Freizeit unterrichtete Hauer unentgeltlich und mit leidenschaftlicher Vorliebe die Dorfkinder des heutigen Bad Suderodes. Zu diesem Zeitpunkt reifte in ihm wohl die Idee, dass seine Neigung „die schönen Harzgegenden zu bereisen, was er mit guten Freunden mit viel Vergnügen genoss“ mit dem Lehrersein recht gut zu vereinbaren wäre: „Man stelle sich vor, durch die Harzberge zu reisen und das in der Gesellschaft meiner Schüler, die Liebe zum Wandern und zum Lehren zu vereinen …, es wäre mir der Himmel auf Erden!“
Tatsächlich legte er bald das Zimmererhandwerk nieder und absolvierte die Lehrerprüfung der königlichen Regierung, ohne je ein einziges Seminar besucht zu haben. Doch Lehrer zu sein war leider einst nicht mit dem Beamtenstatus und einem großzügigen Gehalt verbunden, „so griff er - als die Noth ihn bedrängte - zur Feder und schrieb sein erstes Buch: Die Freuden der Kinderzucht!“ Mit diesem Werk und seinen Briefen „Lustreisen mit Kindern durch den Harz“ entwickelte er eine Lehrmethode, die wir heute als „Fächerübergreifende Erlebnispädagogik“ beschreiben würden und erregte damit großes öffentliches Aufsehen, so dass selbst Königin Louise von Preußen auf ihn aufmerksam wurde und viele seiner künftigen Projekte, wie den Aufbau eines Taubstummenlehrinstituts in Quedlinburg finanziell unterstützte. Zeitgenossen beschreiben Heinrich Hauer als einen Mann mit Prinzipien, der mit Aufopferungsbereitschaft und Hingabe Zeit seines Lebens gerne sein letztes Hemd gab. Und wirklich steckte er in sein Institut auch den letzten eigenen Groschen und starb verarmt und ohne weitere Anerkennung im Kreise seiner Liebsten.
Heinrich Hauer, diesen verdienstvollen Mann, kennt heute fast niemand mehr …!
Werke
Die Freuden der Kinderzucht, 1804Lustreisen mit Kindern in den Harz (in 4 Heften), 1824Der Menschenfreund, Zeitschrift 1829Selbstbiographie, 1836„Tausendfache Erzählungen von den fürchterlichsten Gespenstern, Zauberern und Hexen waren zu Suderode in den Abendstunden bei Zusammenkünften an der Tagesordnung; hierdurch mussten natürlich die jugendlichen Herzen verunreinigt werden. Auch ich war nicht ganz frei davon geblieben. Aber Gott sei Dank, dass meine Denkkraft durch den Blick in das große Buch der Natur frühzeitig anfing zu erwachen, ehe das Gift des Aberglaubens imstande war, feste Wurzeln in meiner jugendlichen Seele zu schlagen.“
Auch Hauers Vater war nicht frei vom Aberglauben. Das zeigt auch die Behandlung seiner Kranken; er war nach unserer heutigen Ausdrucksweise ein Kurpfuscher. Er verordnete z.B. die Anwendung von Heilmitteln vor Aufgang oder Untergang der Sonne; schrieb auch vor, wann das Wasser im Bache abwärts oder aufwärts geschöpft werden müsse. Auch sympathetische Heilarten wurden von ihm angewendet. Er glaubte u.a., dass die unterirdischen Schätze von Geistern behütet würden. In Verbindung hiermit stand der Gebrauch der Wünschelrute. An den langen Winterabenden erzählte Hauers Vater seinen Freunden und Nachbarn von seinem Buch „Der Höllenzwang“. Wenn man in diesem vorwärts lese, so rufe man die Geister, bei denen die Schätze in Verwahrung seien; sollten die Geister wieder verschwinden, so müsse man das Buch rückwärts lesen. Heinrich Hauer hörte gespannt zu und konnte eine günstige Gelegenheit kaum erwarten, um im Bücherschatz seines Vaters die Schrift zu suchen. Er schreibt darüber:
„Endlich kam die frohe Stunde. Mein Vater machte auf einige Tage eine Reise in den Oberharz, um seine Kranken zu besuchen. Meine Mutter wartete ihre Haus- und Gartengeschäfte ab. Ich war mir einige Stunden allein überlassen. Endlich wurde das Wunderbuch, ganz versteckt unter allen Büchern, vorgefunden. Es war ein fingerstarkes, geschriebenes Buch. Auf der Decke stand der Titel „Höllenzwang“!
Mit Furcht und Zittern nahm ich es zur Hand; ich war unentschlossen, was ich tun sollte. Doch die Neubegierde war stärker als die Furcht. Ich schlug das Buch auf, fing an, darin zu lesen, und was ich las, waren mir lauter unverständliche Dinge. Ohne mich zu besinnen, las ich fort. Dann aber schreckte mich die Erinnerung zusammen: Dass durch das Vorwärtslesen die Geister zitiert würden. Vor Schreck ließ ich beinahe das Buch fallen und sah mich furchtsam um, ob nicht die Stube schon voller Geister sei. Aber ich sah nichts. Ich fing wieder an zu lesen und las das ganze Buch durch, von welchem ich nichts verstand – es erschien kein Geist!
Dadurch bekam der Aberglaube in meiner Seele einen ziemlichen Stoß. Aber mein Vater, dem ich es erzählte, hätte ich doch beinahe zornig gemacht. Er meinte, da kein Schatz in der Stube verborgen gestanden, so hätten auch keine Geister erscheinen können. Zu jener Zeit nahm ich diese Antwort für gegründet an. Mein Vater verschloss in Zukunft seine Bücher sorgfältiger, und zu seinem Ruhme muss ich es ihm nachsagen: So stark, wie zu jener Zeit das Schätze-heben und Danach-graben an der Tagesordnung waren, so riet er doch jedem Menschen davon ab, dem dieser törichte Gedanke einfiel. „Bete und arbeite, so wird dich Gott segnen!“, war sein Wahlspruch. (aufgeschrieben von Heinrich Hauer)