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Seit abertausend Jahren fasziniert der Harz die Menschen, allen voran der Oberharz mit seinem windumsausten "Vater Brocken", der auch als nebligster Ort Deutschlands gilt. Zwei Drittel des Jahres liegt dieser Hexenberg dem Auge tief verschleiert verborgen und regt nicht nur darum unsere Phantasie an. Die zahlreichen sagenumwobenen Kultstätten und Kraftorte rings um den Brocken, wie Wurmberg, Trudenstein oder der Wolfshäger Kalenderstein beweisen, dass diese Bergregion den Menschen bereits weit vor dem Christentum heilig war. Nicht umsonst kursieren hier mehr Teufels- und Hexensagen als irgendwo sonst in Deutschland. Über 160 Sagen, Märchen und Legenden - vom Brocken und den umliegenden Orten Schierke, Elend, Braunlage, Sorge, Zorge, Tanne, Benneckenstein, Sankt Andreasberg, Torfhaus etc. - trug der Sagenexperte und Heimatforscher Carsten Kiehne aus beinahe 100 antiquaren Sagenbüchern zusammen, um die größte Oberharz-Sagensammlung herauszubringen, die es jemals gab - ein wahrer Schatz. Lass dich also von ihm entführen und verführen, um all die fast vergessenen Orte neu kennen und lieben zu lernen!
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Carsten Kiehne gehört seit vielen Jahren zu den renommiertesten Kennern der Harzer Sagenwelt. Als Autor und Herausgeber vieler Bücher wie „Kräutersagen aus dem Harz", „Sagenhaftes Glück" & „Bäume – heilig & heilsam" sowie TV- Auftritten wie im ZDF & MDR ist er überregional bekannt. Als Initiator der Interessensinitiative „Sagenhafter Harz" gibt er Workshops und Führungen zum Thema im gesamten Harz. (Dipl.SozPäd., Psychotherapeut HP, Reikimeister & Meditationslehrer)
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Einleitende Worte
Sagenumwobener Brocken
Sagen von Braunlage & seinem Wurmberg
Sagen von Schierke, Elend, Sorge & Tanne
Sagen von Elbingerode & Königshütte
Sagen von Hohegeiß, Benneckenstein & Zorge
Sagen von Sankt Andreasberg
Sagen vom Torfhaus
Literaturverzeichnis
Dankesliste
„Wenn du mich fragst, ist das größte Wanderglück, stets ein sagenhafter Augenblick!“
Die hier in deinen Händen liegende Sagensammlung ist die umfangreichste, die der Oberharz bisher gesehen hat und doch noch weit davon entfernt, vollzählig zu sein. Immer wieder finde ich in alten Harzer Schriften neue Varianten und bekomme immer mehr Erzählungen mündlich zugetragen, dass das Buch „Sagenhafter Oberharz“ täglich dicker wurde. Doch, wo soll Schluss sein, bei 200 Seiten, bei 300, oder 400? Umfangreich ist’s geworden, vollzählig aber nicht!
Begonnen habe ich mit meiner Arbeit und dem Anspruch, alle Harzer Sagen, Märchen, Legenden und Anekdoten zu sammeln, weil es mich ärgerte, dass die großen Verlage Bücher mit dem Namen „Harzer Sagen“ auf den Markt schmissen, oft lieblos bearbeitet, ohne dass der jeweilige Erzähler oder Herausgeber jemals an den Sagenorten gewesen war. Das spürt man an der Erzählweise oder daran, dass die in der Sage beschriebenen Orte, so gar nicht aussehen oder wirken. Dazu kommt, dass jene Sagenbände immer nur beim letzterschienen Buch abguckten, also immer die gleichen Geschichten in anderem Kleidchen vortrugen. Was dabei bis jetzt verloren ging, war die Vielfalt an Geschichten und damit ein Großteil unserer Heimatgeschichte.
Mein Anspruch war und ist, letztlich jedem, der einzigartigen Harzorte seine eigene, gebündelte Sagenwelt zurückzuschenken, wofür mir hunderte Sagenbücher und Ortschroniken aus dem Harz im Original vorliegen. „Ein Sagenbuch für jeden Ort? Dass lohnt sich nicht!“, sagen die großen Verlage, womit ich ihnen in finanzieller Hinsicht Recht geben muss, doch es geht eben nicht nur ums Geld, sondern auch um die Liebe zum Harz und dessen Geschichte … und, wer sagt oder könnte es ermessen, dass es sich dafür nicht lohnt?
Mit dem Buch „Sagenhafter Oberharz“, das du, lieber Leser, gerade in deinen Händen hältst, ist meine Harz-Reihe der regionalen Sagenbücher nach vielen Jahren nun beendet. Erschienen sind neben diesem Werk:
Sagenhafter Nordharz (Wernigerode bis Goslar)
Sagenhafter Ostharz (Mansfeld bis Blankenburg)
Sagenhafter Südharz (Sangerhausen bis Nordhausen & Stolberg)
Sagenhafter Südwestharz (Walkenried bis Osterode)
Sagenhafter Westharz (Seesen und ein Großteil der Bergstädte)
Weil sie uns teilhaben lassen an früheren Zeiten, in die wir uns über die kleinen, feinen Geschichten hineinträumen können. Sie nehmen uns mit an den Kachelofen unserer Großeltern oder die Herdstatt, an der man noch überm offenen knisternden Feuer kochte. Sagen entführen uns in eine Zeit, in der man sich noch die Zeit nahm, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen und damit Lebenserfahrungen, Warnungen und Ratschläge auszutauschen, oder eben nur gemeinsam über Schwänke zu lachen. Die Geschichten nehmen uns mit in ferne Welten, in denen das Leben noch unberechenbar und eine Harzüberquerung gefährlich war. Für unsere Vorfahren muss jeder Tag noch ein Abenteuer gewesen sein: Du wusstest einfach nicht, ob du den Winter, gerade hier auf dem Oberharz, überlebst. Das Leben war hart, aber ehrlich, für uns nicht mehr wirklich, kaum mehr vorstellbar und gerade deshalb ist es so wichtig, Geschichten über das Vergangene zu lesen.
Wenn ich mich von diesen Geschichten entführen lasse, wenn ich berührt in sie eintauche, dann erlebe ich die Not und die Freuden der Menschen hautnah. Ich verstehe dann plötzlich, wie gut es mir geht, im Hier und Jetzt, wie gesegnet wir sind, ohne Kriege aufwachsen zu dürfen; in dem Wohlstand, stets Kleidung und Nahrung zu haben; und in der Gewissheit zu leben, dass es ganz sicher ein Morgen gibt. Dieser Wohlstand der heutigen Zeit kann der Seele aber auch gefährlich werden. Er birgt die Gefahr der Abstumpfung, der Lethargie, denn wer alles hat, schätzt oft wenig wert; und wer nicht mehr einschätzen kann, was wichtig ist, beschäftigt sich oft bloß mit Nebensächlichkeiten. Wer aber seine kostbare Zeit damit vertut, nur Belangloses zu tun, krankt bald an fehlendem Lebenssinn. Darüber wird man traurig und ängstlich, das Wesentliche im Leben verkannt zu haben. Kann es sein, dass unsere Gesellschaft eben daran krankt: Schau dir die Zahlen seelisch erkrankter Menschen an; jene die an Depression, Burnout, Ängsten oder Vereinsamung leiden. Die Krankheitszahlen sind exorbitant und steigen jährlich in erbebendem Maße an.
Sagen und Märchen helfen aber nicht nur, uns selbst und unser Leben zu reflektieren und uns kundzutun, wie gut es uns geht, uns Lebensweisheiten zu schenken; uns aus der Geschichte zu lehren, nicht immer die gleichen Fehler zu machen, sondern sie machen uns Lust auf mehr; Lust darauf, den Sagenort zu erkunden, raus in die Natur zu gehen, selbst wieder Wunder zu erleben, denn die wahre Kunst ist doch, im Alltag das Wunderbare wieder zu entdecken.
So beschreibt Goethe z.B. in seiner Harzreise von 1777, wie wichtig es ihm war, durch den „echten, winterlichen Harz zu reisen“, um Abstand von dem falschen, zweijährigen Hofleben in Weimar zu bekommen: „Nun ist’s, als ob in den fatalen Verhältnissen, worin er steckt, ihn sein Genius ganz verlassen hätte, seine Einbildungskraft scheint erloschen; statt der allbelebenden Wärme, die sonst von ihm ausging, ist politischer Frost um ihn her.“ (nach Wolff) – Auch der Dichter Heinrich Heine musste aus seinem Alltag entfliehen, um auf Goethes Spuren im Harz sich selbst und das Höchste wiederzufinden: „… auf die Berge will ich steigen, wo die frommen Hütten stehen, wo die Brust sich frei erschließet, und die freien Lüfte wehen. Auf die Berge will ich steigen, wo die dunklen Tannen ragen, Bäche rauschen, Vögel singen, und die stolzen Wolken jagen. Lebet wohl, ihr glatten Säle! Glatte Herren, glatte Frauen! Auf die Berge will ich steigen, lachend auf euch niederschauen.“ (Harzreise, 1824) – So wie Goethe, Heine und all die anderen berühmten Harzbesucher, hat sich auch der Dichter Eichendorff vom ehrlichen Wandererleben und der malerischen Bergkulisse beeindrucken lassen und schrieb: „Dann fuhr plötzlich der helle Schein des Mondes wie ein langer Blitz über den ganzen Himmel und beleuchtete auf eine Sekunde mit matter Dämmerung die öde Einsamkeit. Staunend und nicht ohne inneres Leben, fühlt‘ ich in diesem Augenblicke die Abgeschiedenheit von aller Welt, die furchtbare Nähe des Himmels, und jetzt erst verstand ich’s, warum gerade hier auf dem Blocksberge die Hexen tanzen sollen.“ – Ähnliches erlebte wohl auch der Sagensammler Förstner, wenn er schrieb: „Im Harze droben, wo die kleinen wilden Bergströme durch Felswand und Wiese sich tosend zwängen und schlängeln, wo Felsklippen aufragen wie Festungstürme, sind die Sagen noch immer zu Hause. Mag der Kluge lächeln und der Aufgeklärte sich blähen mit seiner Weisheit, Zauber steckt in den Sagen und Märchen und wer daran hängt, dem ist es ein Segen, ...“ und genauso ist’s ein Segen, die sagenhaften Orte in der Natur zu erwandern, lässt uns Eichendorff wissen, indem er mit uns singt:
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt,
dem will er seine Wunder weisen, in Berg und Wald und Strom und Feld.
Die Trägen, die zu Hause liegen, erquicket nicht das Morgenrot,
sie wissen nur von Kinderwiegen, von Sorgen, Last und Not um Brot.
Die Bächlein von den Bergen springen, die Lerchen schwirren hoch vor Lust,
was soll ich nicht mit ihnen singen aus voller Kehl‘ und frischer Brust?
Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den lässt er reisen durch den Harz,
wird ihm hier alle Wunder weisen, ich sag‘ euch: unvergesslich ward‘s.“
Doch nicht nur die Dichter und Denker, sondern auch die großen Könige und Kaiser, die Mächtigen aller Herren Länder, hat es in den Harz gerufen: Heinrich den I. – unseren ersten deutschen König auf die Quedlinburg, Heinrich IV auf die Harzburg und Barbarossa auf den Kyffhäuser und ebenso nach Goslar. Nicht nur wegen des Reichtums an Wild und Holz oder aufgrund der Edelmetalle in den Bergen kamen sie hierher und errichteten im Mittelalter einen gewaltigen Burgengürtel, sondern auch um die Christianisierung der Heiden auf dem Harze voranzutreiben.
Der Harz nämlich, mit seinen tiefen Tälern und steil aufragenden Bergen und Felsklippen, welche allesamt von einem undurchdringbaren Urwald umgeben waren, war bestes Rückzugsgebiet von all jenen, die noch an ihren alten Göttern hingen und sich nicht zu Christus bekennen wollten. Auch die Heiden, wenn wir sie so nennen wollen, spürten den Zauber unserer Berge, den Zauber von Wurm- und Blocksberg, weshalb wir heute noch ihre Altäre finden, ihre Opferstätten, ihre Runensteine, Kalendersteine und Steinkreise und Vieles mehr. Von ihrem Glauben, ihren Ritualen, sowie der Verteufelung ihrer Götter und der nicht gerade friedlich vollzogenen Christianisierung lesen wir noch heute in den Sagen – das macht die Kulturgeschichte der letzten 2.000 Jahre begreifbar, verständlich, mitempfindbar.
Ganz so wie wir heute – wenn wir einen Sonnenauf- oder Sonnenuntergang im dichten Tann miterleben und uns diese magische Szenerie berührt – haben schon unsere Ururahnen sich vom Zauber des Harzwalds begeistern lassen und sich dann, war das Tageslicht verschwunden, am knisternden Feuer zusammengefunden, um sich die Nacht mit dem Erzählen guter Geschichten zu erhellen. Mögen die Geschichten des Oberharzes, lieber Leser, auch dich erhellen und dir sagenhaft schöne Stunden bereiten! Das wünsche ich dir von Herzen,
dein Sagen- & Märchenerzähler
Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.
(Joseph, Freiherr von Eichendorff)
Es war einmal vor vielen tausend Jahren, als es noch keine Berge im Harz gab und alles Land fruchtbar eben lag. Kein Hügelchen störte das flache Land. In jener Zeit regierte ein König „Harz“ genannt, der war gut und sein Volk redete von ihm in Hochachtung und gab ihm den Namen „König der Liebe“. Und wann immer der König der Liebe durch seine Ländereien ging, dann war sein Herz erfüllt. Eine heiße Welle schoss durch seinen Körper und er flüsterte: „Herr Gott, viel tausend Dank für dieses kostbare Geschenk. Ach könnte doch jeder Mensch dieses Gefühl, dass mich umschleicht, wenn ich über deine Erde wandele, in seinem Herzen tragen!“ Und wann immer er mit seinen Dienern auf dem höchsten Turm seines stolzen Schlosses stand, das vielmehr ein ansehnliches Haus war, als eine befestigte Burg, und weit in das Land hinaus sah, dann sprach er zur Welt (und seine Liebsten konnten ihn flüstern hören): „Meine geliebten Gefährten, mein geliebtes Land, ach könnte ich doch immer über euch wachen und allen Wesen Liebe, Brot und Arbeit geben!“ Ja, für ihn waren alle Menschen Brüder und in diesem Sinne lebte und handelte er auch. Wer einmal in seine tiefen, klaren Augen schaute, der vergaß diesen Blick niemals. Dieser König brauchte keine Soldaten, deshalb hatte er auch keine – er meinte schlicht, seine Liebe könne gegen jede Herausforderung bestehen. Wobei der Sieg schlussendlich ein erfülltes Herz sei, das dann beide in sich tragen.
Eines Tages fiel ein fremdes Heer in sein Königreich ein. Der König der Schatten begehrte sein Land, seinen Besitz, und sandte seine Soldaten nach dem König der Liebe aus. Sie forderten ihn auf, sich zu ergeben. Noch in der gleichen Nacht, in der ihn die Kunde ereilte, sattelte er sein Pferd und brach allein zum Lager des Königs der Schatten auf. - Dort angekommen lachten die Soldaten verhöhnend über diesen soldatenlosen König und dass sie den Krieg schon ohne Schlacht gewonnen hätten. Der König aber blickte jedem der Soldaten nur einmal tief in die Augen und alles bittere Lachen verstummte, es wandelte sich in schamvolles Schweigen, dann in ein süßes Lächeln und schließlich in puren Frohsinn und Herzensfreude. – Vom lauten und lebhaften Treiben im seinem Lager, erwachte der König der Schatten. Herrisch und wütend, rief er nach seinen Dienern. um sich ankleiden zu lassen, und ängstlich erfüllten sie rasch all seine Wünsche! Endlich gerufen, betrat der König der Liebe sein Zelt. „Na, soldatenloser König, siehst du nun ein, dass es ohne Streitmacht nicht geht?“ Als ihn aber des Harzkönigs Blick traf, verstummte er.
Er wusste nicht, was er sagen sollte, wurde unsicher wie ein eingeschüchtertes Kind – das war ihm noch nie passiert. Wütend auf sich selbst (seine Ängstlichkeit niederringend), rang er nach Fassung und gab hohnlachend von sich: „Gibst du mir dein Reich nun freiwillig oder soll ich Blut fließen lassen?“ „Was hast du davon?“, fragte der König der Liebe. „Was schon, mehr Macht, mehr Gold, mehr Ansehen und alle sollen mich fürchten!“ - „Ich fürchte dich nicht!“, sprach der Harzkönig. Zornig begehrte der Soldatenkönig auf, „Dann wirst du‘s lernen müssen, mich zu fürchten!“ und schritt mit seinem Schwert drohend auf den König der Liebe zu. Der aber breitete seine Arme, und schneller als der König der Schatten reagierte, nahm er ihn in eine Umarmung, die in aller Zartheit fest war und kein Entkommen zuließ. „Gibt‘s denn keinen Menschen der dich schätzt, der dich von Herzen liebt?“ fragte der Harzkönig. „Nein, alle fürchten sie mich!“, brach es aus dem Anderen heraus. Der Harzkönig umschloss dessen zitternde Hand mit den seinen und sprach: „So werde ich dich schätzen und auf ewig dein Bruder sein!“ „Du willst mein Bruder sein, obschon ich dich vernichten wollte?“, wunderte sich der König der Schatten. „Ja!“ war die schlichte Antwort, die sich tief in das Herz des anderen grub. Und weiter sprach er: „Vielleicht besitzt du Schätze, große Macht!? Der wirkliche Schatz, die wahre Macht aber ist die Liebe, hier in meinem Herzen!“ und er führte die Hand des Soldatenkönigs auf seine Brust, so dass dieser den Herzschlag spürte. Es war ihm, als könne er das Herz der Erde fühlen und Tränen begannen zu fließen. Ein ganzes Meer an Tränen ergoss sich und dort, wo die Tränen auf den Boden fielen, da wuchsen wie durch Zauberei Blumen, deren Knospen so leuchtend gelb waren, wie die Sonne selbst!
„So ist es also doch wahr, was die Leute von dir erzählen!“, sprach der Soldatenkönig mit zittriger Stimme, „obwohl du ganz alleine bist, bist du stärker als ich mit allen Soldaten. Die Liebe muss wunderbar sein! So will ich mit dir gehen, weil ich mich nach dem sehne, was in dir ist. Meine Soldaten sollen wieder ihrem alten Handwerk nachsinnen und Bauern werden, die genau wie du in der Liebe zu ihrem Tun und der Erde aufgehen.“ – Und so war es, dass das Herz des Königs der Liebe wieder einmal gesiegt hatte. Viele andere Kriege wurden zu seinen Lebzeiten verhindert und nahe am Tode sprach der Harzkönig seinen letzten Wunsch: „Mein Herz soll zu einem großen Gebirge heranwachsen, dass die Menschen schützt, ihnen Brot und Arbeit gibt. Mein Herz soll so sichtbar werden, soll sich so schön aus dem flachen Land erheben, dass es für jedes Wesen gereicht, Liebe zu empfinden. So sei es!“ Und der König starb und der Harz war geboren. So danken wir ihm dafür und geloben uns stets zu erinnern! (aufgeschrieben nach Elisabeth Berg)
Lust an der Macht
Früher lebten die zwölf Großen stets friedlich miteinander. Jeder hatte seinen Thron auf dem Brocken und seine Zeit des Regierens – ein ewiger Kreislauf, in dem jeder einmal das Zepter halten durfte. Wie aber einmal der Februar die Macht im Harz in seinen blaukalten Klauen hatte, da gefiel sie ihm so gut, dass er einfach beschloss, das Zepter zu behalten. Als der Tag kam, an dem der März eigentlich an der Reihe gewesen wäre, da schrie der Februar, eiskalt wie er war: „Ihr werdet mir nicht nach dem Zepter gieren – möge euch das Herz einfrieren!“
Kaum waren diese Worte ausgesprochen, zog ein so eisiger Wind vom Brocken herab, dass nicht nur die elf Monate sofort erstarrten, sondern auch weit unten in den Tälern, jeder Hauch von Frühling im Eis erstickte. Selbst die schönen Schneeglöckchen, denen der Winter wenig anhaben kann, versteinerten im wilden Hauch des Frostes. „Ha, ihr Großen, ihr Bunten, ihr allseits Geliebten, was seid ihr nun noch?“ – Der selbst gekürte König Februar stürmte gleich vom Brocken herab und fand im Norden nur Eis, im Westen und Osten ebenso und selbst tief im Süden erweiterte sich sein Reich, schneller als sein eisiger Blick jagen konnte. Welcher Mensch ihm widersprechen wollte, der schmeckte seinen frostigen Atem. Bäume und Blumen, die ihm zu widerstehen versuchten, hatte der Hagel erschlagen. „Ganz wie in alten Zeiten!“, lachte der Februar und gedachte der letzten Eiszeit, in der sein Reich wirklich groß und allgewaltig war. Wer wollte seiner Macht damals entgehen?
Sieben Tage reiste er umher, sich an seiner eigenen Eisigkeit erfreuend. Danach aber war es recht eintönig. Ihm fehlte das gute Gespräch und selbst ein saftiger Streit mit den anderen Monaten wäre ihm nun lieb und teuer gewesen. Nach wieder sieben Tagen kam mit der immer dicker werdenden Eisdecke die lähmende Leere. Alles war gefroren, nur sein Herz, das sehnte sich nach Tauwetter. Sieben Tage später kam die tiefe Traurigkeit – so machte alles keinen Sinn – und er weinte und weinte. Als bald die heißen Tränen zu Boden schlugen, taute das Eis und gab allmählich ein winziges Stück Erde frei und Mutter Erde, die erwachte sogleich.
Erst winzig, dann sich streckend, immer größer werdend, spross ein Märzenbecher fein. Und wie sich dessen Blüte öffnete, da erwachten die anderen Elf und schüttelten sich den Schnee von ihren Mänteln. Du hättest sehen sollen, wie der Februar sich vor dem März zu Füßen warf, auch die anderen Monate mit dicken Tränen um Verzeihung bittend, was den Monaten wiederum das Herz erwärmte. „Ich will kein Land und keinen Tag regieren“, sagte er, „wenn’s nicht lieb und rechtens ist. Verzeiht ihr mir?“
Keiner der Monate brauchte etwas zu sagen, kannte doch ein Jeder die Lust an der Macht nur zu genau. Sie alle hatten bereits zuvor mit dem Gedanken gespielt das Zepter zu behalten. Wie der Februar in die herzenswarmen Augen der anderen blickte, da beschloss er, um nie wieder in Versuchung zu geraten, etwas von seiner Macht von nun an für immer einzubüßen und den anderen zu überlassen. Seitdem ist er der kürzeste Monat im Jahr! (aufgeschrieben nach einem alten Märchen)
Vor Menschenangedenken lebte auf dem Brocken ein steinaltes, eiskaltes Wesen. Es soll so alt, wie die Felsen selbst gewesen sein, mit wallend weißem Bart. Viel älter war es noch als alle Worte, drum war, was man sagte, die Sage, noch lange nicht von den Menschen erfunden worden … und doch ging sein Ruf ihm als Angst voraus: Furchterregend war sein Wesen, was ein Jeder bibbernd verspürte, und wer es aufsuchte, kam nimmermehr heim. Viel schlimmer aber noch: Sein Reich ward von Tag zu Tag größer … und, was er zu fassen bekam, starb noch im selben Augenblick! Nur Eine – die wir heute Göttin nennen würden - selbst taub und stumm, hörte in sich ein Sehnen, ein Rufen, worauf sie sich neugierig aufmachte, den Weg ihrer Bestimmung zu folgen, dieses Rauschen ihrer Sinne zu ergründen und dem eiskalten Wesen zu begegnen.
Über wundervolle Blumenwiesen streifte sie, hinein in dichte, tausendgrüne Wälder. Uralte Bäume grüßten freundlich und neigten ihre buschigen Häupter. Ganz zum Verdruss, der vielen bunten Vögel, die aufgeschreckt umherflatterten und böse gegen die Baumriesen piepten, bis sie sahen, wem die himmelhohen Eichen und Buchen dort unten huldigten. Doch sie ging einfach lächelnd weiter, über Stock und Stein, passierte die graukarge Baumgrenze und gewahrte, wie ihre Glieder kalt und taub wurden.
Doch ein frisches, feines Flüstern trieb sie weiter, immer weiter den stolzen Blocksberg hinauf, bis sie ihn sah: Ein langer weißer Mantel, ausgebreitet über mächtigen Schultern; ein grimmiger Blick, der nichts Gutes verhieß und sie frösteln ließ. Hatte sie sich unten im satten Grün noch groß und stark gefühlt, wichen neben ihm all ihre Kräfte. Nur der Mut verzagte ihr nicht. So schritt sie näher an das Ungetüm heran. Ihre weiche Haut ward ganz blau vor Kälte … und Eiskristalle legten sich als eisiges Korsett um ihre Güte.
„Wer bist du?“, hauchte sie durchs Herz und weckte in ihm einen scharfen, blitzblauen Blick. Oh, ihr Körper erstarrte in nur einem Atemzug, allein ihr grünes Herz vermochte noch schwach schlagend zu widerstehen. „Ich kenne dich …!“, dachte sie warm und er verstand und brüllte sturmgewaltigen Hohnes: „Und doch bist du hier, bist nun mein für alle Zeit!“ – „Einsam bist du hier oben, oder?!“, dachte sie und schenkte dem Wintergeist einen Blick, der ansonsten den Himmel aufreißt und vom Frühling singt. Eisig fauchte der Große zurück und lachte, … doch in einem Winkel seiner Augen, hatte sich ein warmes Tränlein im Geheimen verborgen gehalten und perlte ihm nun übers Antlitz. Selbst verschlug es ihm nun den Todesatem, worauf er kurz erstarrte, völlig überrascht von diesem unbekannten Ding in seinem Reich. „Was machst du mit mir?“, fragte er die blasse Schönheit fast kleinlaut. „Ich? Ich liebe dich!“, fühlte sie frei heraus, bevor sie erfror!
„Mich … lieben?“, hauchte er sanft über die Kuppe des Berges, worauf ein zweites Tränlein aus dem anderen Auge brach, seine Wange küsste, herabfiel und die versteinerte Göttin netzte. Rundum behütet sank sie ins dunkle Erdenreich, immer tiefer und tiefer ins Warme hinein, darin sie langsam aufzutauen begann. „Danke“, dachte sie ihm ins Herz, was das Seine endlich erweichte. „Danke“, dachte auch er und beschloss, beschenkt mit dem ersten warmen Gedanken, von nun an sein Reich mit der Holden zu teilen. Im Winter wäre weiterhin er an der Macht; im Sommer hingegen, würde er‘s lächelnd ertragen, wenn ihre sanften Füße – lustwandelte sie über’n Brocken – seinen Leib liebkosten!
Oder: „Der zebrochene Berg“
Der Brocken liegt eingehüllt in Dunkelheit, in Donnern und Blitzen vor meinen Augen. Natürlich, es ist Donnerstag, jener Tag der dem germanischen Gott Thor oder Donar geweiht ist. Auf seinem Ziegengespann fährt Donar heran, rollend, polternd, ohrenbetäubend und erinnert mich an eine alte Legende, die sich hier am Blocksberg zugetragen haben soll:
Einst lebten auf dem Brocken in einem finsteren Schloss noch die furchtbaren Riesen, gewaltig an Kraft, doch winzig an Hirn. Thrym, ihr König, hatte dem Gott Thor, während dieser schlief, den Hammer gestohlen. Wie Thor erwachte, erschrak er und tobte sehr, denn, was war er ohne Mjöllnir, den Zermalmer? - Thor suchte zu verhandeln, um seine stärkste Waffe wieder zu bekommen, doch Thrym wollte ihn demütigen, forderte die Göttin Freya zur Frau, was Asgard niemals zulassen würde. Doch Loki, der Gewitzte, der Gestaltwandler, hatte einen Plan: „Ich verwandle dich in Freya und du sagst Thrym, es wäre Brauch der Götter, dass die Braut bei der Zeremonie den Hammer im Schoße hätte. Und wenn du ihn packen kannst, dann ...!"
So reisten Thor, in Gestalt von Freya, und Loki, in Gestalt einer Magd, zum Brocken, wobei sich der Gewittergott beinahe dreimal verraten hätte: Zum einen donnerte es furchtbar, als die „Braut" den Festsaal betrat; dann schaute sie stechend, als Thrym ihr einen Brautkuss zu geben versuchte; und zuletzt, da fraß Freya mehr, als alle Riesen zusammen. Doch Loki wusste den König der Riesen stets zu besänftigen. Als das Fest zum Höhepunkt kam, ließ Thrym den Hammer holen und in den Schoß seiner vermeintlichen Frau legen. – Da war Thor wieder er selbst, schwang den Zermalmer, zerschmetterte die Riesen und deren Feste und ließ keinen Stein auf dem anderen, worauf man den Berg von nun an, den zerbrochenen Berg, den „Brocken", nannte.
„Þá qvað þat Þrymr, þursa dróttinn: Berið inn hamar, brúði at vígia, leggit Miollni í meyiar kné, vígit ocr saman Várar hendi!" Hló Hlórriða hugr í briósti, er harðhugaðr hamar um þecþi; Þrym drap hann fyrstan, þursa dróttin, oc ætt iotuns alla lamði.“ - „Da sagte Thrym, der Thursen König: Bringt den Hammer, die Braut zu weihen! Leget Mjöllnir der Maid in den Schoß! Mit der Hand der War weiht uns zusammen! Das Herz im Leib lachte da Thor, als der hartgemute den Hammer sah: erst traf er Thrym, der Thursen König; der Riesen Geschlecht erschlug er ganz.“ (Þrymskviða, Strophe 30, 31.)
Immer war es so, am letzten Tag eines jeden Jahres, dass – kaum war es Nacht geworden – es von den hohen Bergen des Oberharzes herunterkam und jagte und fraß. Es fraß alles und jeden … und wehe einem, der nicht rechtzeitig in seiner Hütte war und die Tür nur notdürftig verrammelte. Dieses Ding kam und sah nach, schon alleine, weil es die Schreie der Menschen liebte … und den Geruch von Angst. Zum Schutz hatten die Menschen drei Kreuze ans Tor gemalt, nur das schien das Untier aus irgendeinem Grunde aufzuhalten.
„Du hast sie doch angebracht, oder?“, fragte die junge Frau, wie sie draußen behäbige Schritte vernahm und ein Schnüffeln am Tore. „Jaja natürlich, ich meine, ganz sicher … oder? Ich-ich, nein, ich hab’s vergess …!“, er kam nicht dazu seinen Satz auszusprechen, als sich von draußen mit aller Gewalt etwas gegen die Türe warf, und nochmal. Es knarkste und knackte nur so, dass die beiden wussten, lange wird das hölzerne Tor nicht mehr standhalten können. Da krachte es nur und eine dunkle, beharrte Gestalt auf allen Vieren mit leuchtenden Augen, die vor Vorfreude zu blitzen schienen, hüllte den ganzen Eingang ein. Mit etwas Mühe quetschte es sich durch die enge Pforte, wollüstig und gierig, die Menschen, die sich dicht aneinanderdrückten, nicht aus dem Blick lassend, während der Geifer dickflüssig auf die Dielen tropfte. Aus seinem Maul stank es nach Tod.
Deutlich konnte man darin einen menschlichen Arm mitsamt Hand und Fingern und goldenem Ring erkennen. Den hatte das Vieh irgendwo abgebissen und noch nicht richtig durchgekaut. Nun aber wollte es noch mehr, mehr. Nein, hungrig war’s nicht, es wollte nur spielen, spielen mit der Angst dieser armseligen Würstchen, die sich Menschen nannten. So quetschte es sich näher und näher an die Menschlein heran, die dort zusammengekauert am Boden saßen und schnüffelte an dem prallen Weibchen, das in Tränen und Angst zerging. Ja, Angst gab es genug, in jeder Hütte, vor allem in dieser, denn das Männchen zitterte ebenso wie Espenlaub, seinen grausamen Tod erwartend. Das Untier wartete noch mit dem ersten Bissen, leckte seine Beute bloß ab und schnüffelte, nur noch ein bisschen warten, den Geruch auskosten, sie schwitzen lassen, dann erst, gesalzen, galt’s sie zu kosten und ihr süßes Blut zu schlürfen. Eine lange, stachelige Zunge, zerriss ihre Kleider und fuhr tiefe Striemen in ihren jungen Leib …!
Mit einem Male schreckt sie aus ihren Träumen hoch und schüttelt den Liebsten wach, der selig an ihrer Seite schlief: „Du hast doch die drei Kreuze ans Tor angebracht, oder?“ - „Jaja natürlich, ich meine, ganz sicher … oder? Ich-ich, nein, ich hab’s vergess …!“ Er kam gar nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden, da hatte sie ihn schon aus der Streu gestoßen und ihn angeherrscht: „Bitte, geh‘ und tu’s sofort!“ – Wie er mit zufriedenem Ausdruck wiederkam, der verriet: „Es ist getan!“, waren draußen plötzlich schwere Schritte zu hören …, irgendetwas Gewaltiges schnüffelte an der verrammelten Tür … doch wagte sich nicht hinein, so schliefen sie Arm in Arm ein … und wachten behütet am neuen Morgen auf, als es „Pochpochpoch“ draußen an die Tür schlug.
Wie beide öffneten, war scheinbar das ganze Dorf in schierer Aufregung: „Glaubt nur, diesmal hat es Niemanden geholt. Bauer Benzel hat drüben seinen Hof die ganze Nacht in vollem Licht stehen lassen und solchen Krach gemacht, dass das Monster erschrak und fortgelaufen ist. Es scheint Licht und Lärm zu hassen!!!“ – Seit dieser Nacht wird zu Neujahr überall geböllert und der Himmel in Licht getaucht, indem man Raketen abschießt. Das Monster hat sich seitdem auch wirklich nirgendwo im Harz mehr blicken lassen. (aufgeschrieben nach einer alten Legende)
Von den Millionen Menschen die jährlich den sagenumwobenen Blocksberg erklimmen, gemeinhin eher als Brocken bekannt, pilgern nur Wenige zum Hexenaltar, wovon wiederum nur ein Bruchteil still an den Klippen verharrt. Wer achtsam zu lauschen versteht, könne noch heute das Raunen der Zauberweiber hören. An vier vollen Monden sollen sie sich hier getroffen, den Altar geweiht, das aufgebahrte Götzenbildnis umtanzt und auf den Lichtalb gewartet haben. Unter dem Hexenaltare soll ein unterirdischer Gang gewesen sein, der zur Wohnstatt des Kobolz führt.
Man könne ihn hervorlocken, wüsste man noch die alten Gesänge: „... Sá er einn staðr þar, er kallaðr er Álfheimr … (Das ist der Ort, der Álfheim heißt) … Þar byggvir fólk þat, er Ljósálfar heita … (Da haust das Volk, das man Lichtalben nennt.), … en Dökkálfar búa niðri í jörðu, ok eru þeir ólíkir þeim sýnum ok miklu ólíkari reyndum … (Aber die Schwarzalben wohnen unten in der Erde und sind ungleich von Angesicht und noch viel ungleicher in ihren Verrichtungen.). … Ljósálfar eru fegri en sól sýnum … (Lichtalben sind schöner als die Sonne von Angesicht), … en Dökkálfar eru svartari en bik …(aber die Schwarzalben schwärzer als Pech) …!“
Eine solche Anrufung aber sollten nur erfahrene Priesterinnen wagen! Der Alb des Brockens (ein Wesen das wir heute im Volksmund Kobold nennen und mit Namen Kobolz heißt) würde dann herausgekrochen kommen und die Würdigen lehren: Nicht nur, wie man wieder zu Kräften kommt, sondern wie man große Mächte in sich bündelt, so dass man siegreich gegen seine Widersacher wird; wie man sich zu wahrer Größe erhebt! Kobolz - Kind einer Lichtalbe, die zu Walpurgis herabgestiegen war, um sich an diesem Ort mit einem Schwarzalb zu paaren - war Beides: Licht und Schatten. Er weckte das Beste in den Priesterinnen ..., oder den Wahnsinn! Bei schwachen Menschen entfachte er Ängste und Begierden und verwirrte durch elfenartigen Spuk deren Sinne. Auf dem Brocken sah es dann so aus, als würde schlicht dichter Nebel am Boden kleben. Hellfühlige aber spürten eine seltsame Kälte aus diesem weißtrüben Fluss von sich Besitz ergreifen. Halluzinationen, Panik und "Albträume" wären das, was jene Menschen verfolgen würde, die ungeschult oder unachtsam dem Kobolz auf die Pelle rücken.
Kein Wunder also, dass die Christen einst meinten, sie würden auf dem Brocken dem Helfer des Teufels oder gar dem Leibhaftigen selbst begegnen …! Wie ist das heute? Da brauchen wir wenig Bedenken zu hegen. Köpfe und Herzen der Menschen sind so randvoll von wirren Gedanken und krausen Geistern, dass es auf einen „Alb“ mehr oder weniger nun auch nicht mehr ankommt, oder etwa doch?! (aufgeschrieben nach Pröhle & mit Hilfe der Snorra-Edda)
„Ein Nebel verdichtet die Nacht. Höre, wie's durch die Wälder kracht! Aufgescheucht fliegen die Eulen. Hör, es splittern die Säulen ewig grüner Paläste." Und ganz gleich, wie feste man im Glauben steht, freiwillig geht kein Frommer vor die Tür. An den Toren prangen drei Kreuze zum Schutze vor dem Bösen. Dost und Baldrian hängen im Gebälk, verhütend, dass die Hexenbrut hier landet. Und alles lauscht gebannt in die Nacht: „Hörst du Stimmen in der Höhe? Aus der Ferne, aus der Nähe? Ja, den ganzen Berg entlang strömt ein wütender Zaubergesang!"
Während in den Tälern allen Kirchengängern Angst und Bange ward, ritten die tollen Weiber auf den Höhen gen Blocksberg, auf Besen und Böcken und schrien und kreischten, zum Stelldichein mit dem Höllenfürsten. Welches Zauberweib würde es diesmal sein, die sich dem Urian ergibt und im Hexenkreis von ihm im wilden Ritt genommen wird?
„Die Hexen zu dem Brocken ziehn, die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün. Dort sammelt sich der große Hauf, Herr Urian sitzt oben auf. So geht es über Stein und Stock, es farzt die Hexe, es stinkt der Bock."
Und, wenn die Hexen am Steinkreis hocken, mit nackten Leibern den Teufel locken, dann kommt er aus den Nebeln hervor und lässt sich von allen berichten: „Was ward das Schlimmste, das ihr vollführt?" Die Tollste wird dann von Urian verführt, im Kreise der Hexen am Brocken. (aufgeschrieben nach Goethe's „Walpurgisnacht")
Ein Mann war einst aus seiner Heimat Wernigerode geflohen und suchte als preußischer Soldat Obdach, weil eine Hexe ihn suchte und töten wollte. Wie‘s dazu kam, erzählte er einem ungläubigen Kameraden: „Ich war am Blocksberg zu Hause, hütete mit einem Freund am ersten Mai die Schafe und wir fragten uns, wie viele Hexen es wohl in Wernigerode geben würde. Wir beschlossen, das herauszufinden, legten einen Kreis von Drachenwurz, Schlangen- oder Hörnkenkraut genannt, um uns her und warteten auf die Nacht. Um elf kamen die Hexen auf Besen, Heugabeln und anderen Geräten herangeflogen. Zuletzt preschte unsere Nachbarin auf ihrem Kutschbock heran, der von keinem Gespann gezogen ward und wir riefen ihr zu: „Nawersche, nehmt uns doch mit!“ Tatsächlich ließ sie uns aufsteigen, fuhr wie der Blitz davon und setzte uns am Blocksberg ab. Rasch legten wir wieder einen Kreis aus unseren Kräutern und konnten nun in Sicherheit das Teufelsfest beschauen. Da tanzten tausend Gäste um die riesigen Feuer am Hexenaltar und der Teufelskanzel und soffen ihre Waldmeisterbowle, wie die Nawersche sagte. Eine Musik ward da gespielt, sag ich dir, die so betörend klang, als ob die Engel sängen.
Und so schön waren die Damen, die uns verlockten, aus dem schützenden Kräuterkreis herauszukommen, dass wir uns gegenseitig die Augen zuhielten. Der Leibhaftige ordnete die Tänze, sang und tanzte mit und wir konnten nicht anders, als die Schalmei vorzuziehen und mitzumusizieren.
Da kam der Teufel auf uns zu, gab uns bessere Instrumente, auf denen wir die ganze Nacht zum Tanze spielten. Stille sollten wir nur sein, als die ganze Schar zum Hexenwaschbecken trat, sich mit Blut zu weihen und dem Teufel den Treuekuss zu geben. Was dann geschah, traue ich mich gar nicht laut zu sagen …, bis sich der Spuk Punkt zwölf im Nebel auflöste. Nur Urian stand noch an seinem Altar, kam auf uns zu und fragte, was wir fürs Aufspielen haben wollten. Wir sagten ihm, dass wir seine Schalmeien gerne behalten wollten, was er gestattete. Am andern Morgen aber sahen wir, dass die Instrumente Katzen waren, die Mundstücke waren deren Schwänze, die wir ganz abgenagt hatten. Ich traute mich nicht mehr nach Hause und kam hierher. Meinen Bruder tötete die Hexe, weil er nach Wernigerode zurückkehrte.“ (aufgeschrieben von Kiehne in „Sagenhafter Brocken“)
Der Brocken auf alten Postkartenmotiven, um 1890 (die Walpurgisnacht & das Maiwandern)
Bei Osterwieck beklagte ein Bauer sein armes Weib, ward es doch krank und bleich und dem Tode nahe. „Sag' meine Liebste", flüsterte er weinend an ihrem Lager, „wie dir zu helfen ist, will ich doch alles für dich tun!" - "Dann nimm unser Pferd zur Geisterstunde aus dem Stall!", seufzte sie, „Setze dich obenauf und halt' dich gut fest und sprich: Fliege hin, nach dem Blocksberg steht mein Sinn!" und ungeachtet dessen, dass der Mann große Augen bekam und sich gleich bekreuzigte, sprach sie weiter: „Dort wird dir eine alte Muhme mit schwarzem Haar entgegenkommen, bitte sie um drei ihrer Haare und bring sie mir, sonst muss ich sterben!"
Der Bauer schnappte nach Luft und fragte verunsichert, ob sein Weib etwa von Hexen abstamme, was sie glaubhaft verneinte, ihn aber dringlichst bat, ihr den Wunsch zu erfüllen. Er versprach's und tat, wie ihm geheißen, setzte sich auf den Klepper und sprach: „Fliege hin, nach dem Blocksberg steht mein Sinn!" - Da erhob es sich, wie von Geisterhand, ritt durch die Lüfte zum Brocken, wo allerhand Teufelsweiber auf Besen und Klapperstöcken umherritten und ihn mit bösen Blicken begafften. Endlich fand er die schwarzhaarige Alte, mit feurigen Augen und messerscharfen Zähnen, ging aber beherzt zu ihr hin und riss, ohne lang zu überlegen, an ihrem Haar herum. Da schalt sie ihn, biss und kratzte, dass es ihm leid war. Er nahm einen Knüppel zur Hand und schlug die Alte wutentbrannt mit einem harten Hieb zu Tode, riss ihr dann die Haare vom Haupt und flog auf seinem Pferd nach Osterwieck zurück.
Seine Liebste freute sich sehr über das Haar, bis sie das Blut daran entdeckte und sich anhören musste, was geschehen war. „Dann hast du meine Großmutter erschlagen!", schrie und weinte sie. Da wusste er, dass er mit einer Hexe im Bunde war, verließ sie noch zur selben Stunde, sie anzuzeigen und brennen zu sehen.
Doch wie er mit einigen mutigen und frommen Christenmenschen zu seinem Hof zurückkam, da lag bereits sein ganzes Anwesen in den Klauen des gierigen Feuerteufels. Manche sagen, seine Frau wäre darin jämmerlich ums Leben gekommen, andere wollen sie auf ihrem Pferd gen Brocken reiten gesehen haben. (aufgeschrieben nach Müllendorf)
In Wernigerode gab es einmal frisch Verlobte, die hatten sich recht innig lieb, doch wie’s auf Mitternacht zuging ward die Frau unruhig. Unruhig bis panisch, denn es war eben jene Nacht zum 1. Mai, die bei den alten Harzern stets heftiges Herzpochen auslöst: die Walpurgisnacht, in der die Hexen zum Brocken fliegen. Da der Verlobte aber gar nicht ans Gehen, sondern nur ans Schmusen dachte, musste sie ihm gestehen, dass sie losmüsse, los zum Brocken, weil ihr Gebieter warte. Oh ja, du und ich, wir wären im Wissen darum, dass die Liebste eine Hexe ist, fuchsteufelswild oder kreidebleich vor Angst geworden, nicht aber jener Mann. Ihn hatte der Spuk, von dem die Leute viel Aufregendes zu erzählen hatten – nackte Weiber in Mass, über- und untereinander – schon immer heimlich fasziniert. Er wollte mit. „Wenn du mich liebst, lass mich Anteil nehmen an deinem Hexenleben, ich will dir auch den Diener geben!“
Da ließ sich die Verlobte nicht lang bitten, zog ihn hinter sich her und nach draußen in den Hof, in dem schon ein riesiger Puterhahn stand, wartete und nach dem Mann biss. Sie guckte bloß streng, ein Blick den jeder Ehemann bei seinem Weibe kennt und sagte: „Sieh dich bloß vor und flieg uns artig auf die Blocksbergkuppe, sonst Puter, kommst du in die Suppe!“ … und das Tier ließ sie aufsitzen und er setzte sich hinter sie und schmiegte sich an, ganz dicht und behaglich, wie’s frisch Verliebte gerne tun und schon gings los in wildem Flug, der auch nicht lange dauerte. Wie der Mann auf dem Tanzplatz beim Hexenaltar aber sah, wie viel seltsames Volk dort zusammenströmte, da war’s ihm nicht mehr ganz geheuer. Hier oben war alles nackend, lief lustig umher, sich gegenseitig an Stellen liebkosend, die er nicht einmal wagte im Traum zu berühren. Und was war das? Gab’s da nicht feurige Weiber mit drei Brüsten, und dort? Weiber, die untenrum bestückt, wie Männer waren! Wonach er sich so lang gesehnt, hier wurd‘ es wahr, doch achso geil und dolle toll, wie man’s hier trieb, war ihm zu viel. Mit jedem Schritt verschwanden seine breiten Schultern und alle Männlichkeit verkroch sich im tiefsten Inneren. „Gutes Weib, mir ist nicht wohl dabei, auch bin ich vom Flug und dem Ganzen recht müde geworden. Ach, geh‘ doch lieber alleine tanzen.“, sagte er zitternd.
Da wies sie ihm ein Himmelbett am Rande des Tanzplatzes, deckte ihn gut zu und überließ ihn seinen Träumen, die ihn rasch umnachteten. Wie er aber erwachte – oh Schreck – da war sein Weib und das Himmelsbett weg und er fand sich wieder in einem verwesenden Pferdgerippe liegen. So kann’s dir gehen, willst du Tor, dich an eine Hexe schmiegen! (aufgeschrieben nach Schrader)
Seltsames wissen wir zu berichten!“, überschlugen sich die Hammerschmiede, als sie den gemütlichen Raum der Schenke betraten. Eben, als der erste Maimorgen graute, waren sie aus ihrer Hüttenschicht gekommen, um hier an der Renne, einem erst kürzlich errichteten Wirtshaus an der Holtemme, noch einen zu heben. Der Steiger, der seinen Dienst gerade erst begonnen hatte, blickte auf, sah in die Runde und war sehr erstaunt: All seine Leute, die er als äußerst mutige Männer kannte, sahen kreidebleich zu Boden, zitterten wie Espenlaub mit wackligen Knien. - „Was ist mit euch?“, fragte er schroff heraus und lachte, „Ist euch etwa der Teufel begegnet?“ – „Das nicht!“, sagte der Mutigste, „Aber als wir eben über den Beerberg liefen, da tippelten oben hunderte von Katzen, tanzten, zechten und spielten Musik. Auch Ihre Katze war dabei Herr Steiger. Sie hatten uns nicht bemerkt, aber als Alfred auf einen Stock trat, da zischte und fauchte sie und alle Katzen waren stumm und versuchten, uns zu wittern. Wir wagten kaum zu atmen und erst, als alle Tiere weiterspielten und tanzten, kamen wir auf leisen Sohlen hierher.“ – Da sprangen plötzlich Türen und Fenster auf und sicher hundert Katzen stürmten auf die Menschen ein und wollten sie zerreißen. Die sechs Männer aber nahmen, was in ihre Hände fiel und wehrten sich: Messer, Besen und glühende Stangen aus dem Kamin und droschen auf die Tollwütigen ein, dass denen alle Lust aufs Beißen & Kratzen verging.
Am Tage drauf, sah man in Wernigerode viele Frauen gehen, die Blessuren an Kopf und Gliedern hatten. Waren das etwa die Hexen, die sich am Beerberg in Katzen verwandelt hatten? Keiner wusste es zu sagen, aber seit jenem Tage macht man am Morgen des 1. Mai, wenn man zur Steinernen Renne hinauf spazieren will, einen großen Bogen um die Hippelwiese. (aufgeschrieben nach Rockstuhl)
Ein Schmied in Schierke hatte eine Frau, die von den Leuten verdächtigt wurde, eine Hexe zu sein. Das wollte er nicht glauben, doch ganz sicher war er sich nicht. Ich meine, Anzeichen gab es schon, doch welcher Mann findet beim genaueren Beobachten seines Eheweibes, nicht hier und da eine Hexenseite? In der letzten Aprilnacht wollte er es nun genauer wissen.
Zu seinem Weibe sagte er, er müsse diese Nacht ein Werkstück zu Ende bringen und sie müsse ihm dabei helfen. Sie klagte, dass es ihr nicht gut gehen würde, und sie ins Bett müsse, sich gesund zu schlafen, doch dies ließ er heute nicht gelten. Sie musste mit ran und wohl oder übel den Blasebalg treten. „Ich bin erschöpft vom Tagwerk“, sagte sie bald und versuchte sich zurückzuziehen. „Nur noch etwa drei Stunden, dann ist’s geschafft“ sagte er streng, wohl wissend, dass dann die Geisterstunde vorüber wäre. – Wie die Kirchenuhr aber elf Mal schlug, fiel sein gutes Weib plötzlich in einen tiefen Schlaf. Auch beim lauten Anreden reagierte sie nicht. Wie der Mann ihr endlich eine Ohrfeige gab, siehe da, da war’s nicht seine Frau, sondern bloß ein Strohwisch, womit er seine schreckliche Gewissheit hatte! (nach Schrader)
Die Hexen- oder Flugsalbe war ein interessantes Ding, bestehend u.a. aus der Tollkirsche, dem Bilsenkraut, Schierling, Fliegenpilz, dem Johannis- und dem Eisenkraut, Tierblut und Tierschmalz … und unzähliger anderer zauberhafter Zutaten. In den Hexenakten sind wenig Aufzeichnungen über die genaue Zusammensetzung verschriftlicht, denn unter Folter gestanden die „Hexen“ nur, sie hätten „die Schmier“ direkt vom Höllenfürsten erhalten! In alten Kräuterbüchern wird man aber fündig, mit steter Warnung, dass solche Rauschdroge einen „mehrtägigen Flug“ garantiere. Nicht selten wäre die Seele einer Hexe fortgeflogen und hätte sich nicht mehr zurück in ihren Leib gefunden. Vorsicht ist also allemal geraten!