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SCHOKOSPATZ TRIFFT KEKSPRALINE
Nora steht das Wasser bis zum Hals. Obwohl sie nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters die geerbte Schokoladen-Manufaktur mit Geschick führt, hat sie auf einmal haufenweise Probleme am Hals.
Nora hat einen außergewöhnlichen Rettungsplan für ihre Firma. Sie will Klaus Heim von Werlenbach, den Inhaber einer renommierten Keksfabrik, dazu bringen, sie zu heiraten. Da passt es gut, dass seine geplante Hochzeit geplatzt ist. Eine Vernunftehe soll es werden! Mit einem gewaltigen Marketingschachzug. Zu ihrer Hochzeit möchte sie ein Gemeinschaftsprodukt ihrer beiden Firmen - genannt ,Hochzeitskuss' - auf den Markt bringen. Es gibt allerdings ein Problem ...
Der Roman ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel Hochzeitskuss mit Folgen und Per Handschlag für immer.
LIEBE MICH SO WIE ICH BIN
Ein Jahr ist vergangen, seit seine Freundin Dani Jos mit einer anderen im Bett erwischt hat. Sie trennte sich noch in derselben Nacht von ihm. Was niemand weiß: Jos hat sie absichtlich vergrault.
Jos ist komplett überrascht, als Danis Mutter in sein Büro stürmt. Wütend zeigt sie ihm ein Foto, auf dem Dani mit ihrem Sohn auf dem Arm zu sehen ist. Jos ist schockiert. Ist das etwa sein Kind?
Von Frau Kaiser erfährt er, dass der Junge krank ist. Sie verlangt von ihm, Dani und dem Baby zur Seite zu stehen, ob er nun will oder nicht ...
Der Roman ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel Mit Fingerspitzen für immer.
EIN RÄTSEL NAMENS LIEBE
Michaels große Liebe Ulla verschwand in der Nacht vor genau elf Jahren, drei Monaten und zwanzig Tagen spurlos.
Von einem Privatdetektiv erfährt Michael, dass sie unter falschem Namen in einem psychiatrischen Sanatorium auf Sylt lebt und sich scheinbar an nichts mehr erinnert. Er ergreift die Chance und bricht auf, um seine Ulla wiederzusehen.
Eben erst angekommen, entdeckt er am Strand eine Frau. Michael traut seinen Augen kaum! Dort steht seine geliebte Ulla, als wäre nie etwas geschehen. Voller Freude geht er zu ihr, doch als er sie anspricht, erkennt sie ihn nicht.
Noch rätselhafter ist, dass es so scheint, als wüsste Ullas Bruder Oliver seit Jahren über ihren Zustand Bescheid. Michael versteht die Welt nicht mehr ...
Der Roman ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel Zwei Seelen für immer.
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LOTTE R. WÖSS
Über die Autorin:
Lotte R. Wöss, geboren 1959 in Graz, absolvierte nach der Matura die Ausbildung zur Diplom-Krankenschwester.
Schon als Kind schrieb und dichtete sie, es folgten Artikel und Gedichte für kleine Zeitungen, doch erst im reiferen Alter fand sie zurück zu ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, und veröffentlichte ihren Debütroman “Schmetterlinge im Himmel” als Selfpublisherin. Mittlerweile hat sie zahlreiche Liebesromane, Krimis und auch Kurzgeschichten veröffentlicht, sowohl als Selfpublisherin, als auch in Verlagen.
Ihr bevorzugtes Genre bleiben aber Liebesgeschichten mit Tiefgang. Die Entwicklung, die ein Mensch machen kann, die Möglichkeit an sich selbst zu arbeiten und einen Reifeprozess durchzumachen – das ist für Wöss Thema Nummer Eins.
Lotte R. Wöss
Teil 1
Liebesroman-Reihe
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Oktober 2023 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Michael Lohmann
https://www.worttaten.de/
Korrektorat: Enya Kummer
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
http://buchcoverdesign.de/
Illustrationen Band 1: Adobe Stock ID 71766285, Adobe Stock ID 317697233, Adobe Stock ID 256148242 und freepik.com
Illustrationen Band 2: Adobe Stock ID 108960389, Adobe Stock ID 252377206 und freepik.com
Illustrationen Band 3: Adobe Stock ID 308986832, Adobe Stock ID 52006106, Adobe Stock ID 313477651, Adobe Stock ID 109231581, Adobe Stock ID 330191240, Adobe Stock ID 74737687, Adobe Stock ID 252377206 und freepik.com
LOTTE R. WÖSS
Schokospatz trifft Kekspraline
Über das Buch:
Schokospatz trifft Kekspraline (Einfach Liebe Teil 1)
Nora steht das Wasser bis zum Hals. Obwohl sie nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters die geerbte Schokoladen-Manufaktur mit Geschick führt, hat sie auf einmal haufenweise Probleme am Hals. Ihre Stiefmutter kämpft mit allen Mitteln darum, sie aus der Firma zu drängen. Sabotageakte folgen und Nora steht in der Verantwortung. Es gibt keine Beweise. Keine Zeugen. Niemand will es gewesen sein! Würde ihre Stiefmutter wirklich so weit gehen?
Nora hat einen außergewöhnlichen Rettungsplan für ihre Firma. Sie will Klaus Heim von Werlenbach, den Inhaber einer renommierten Keksfabrik, dazu bringen, sie zu heiraten. Da passt es gut, dass seine geplante Hochzeit geplatzt ist. Eine Vernunftehe soll es werden! Mit einem gewaltigen Marketingschachzug. Zu ihrer Hochzeit möchte sie ein Gemeinschaftsprodukt ihrer beiden Firmen – genannt ‚Hochzeitskuss‘ – auf den Markt bringen.
Es gibt allerdings ein Problem: Nora hat nicht gerade die Maße eines Topmodels. Ganz im Gegenteil, sie empfindet sich selbst als nicht gerade hübsch. Aber auch Klaus trägt seit seiner Kindheit Narben im Gesicht und bei ihrem ersten Aufeinandertreffen empfinden beide das Äußere des jeweils anderen als wenig anziehend. Die Idee scheint zum Scheitern verurteilt, bis Klaus plötzlich seine Meinung ändert und zwei Bedingungen nennt, mit denen Nora niemals gerechnet hätte.
Ein liebenswerter Roman über zwei Menschen, die an die wahre Liebe nicht mehr glaubten und feststellen werden, dass auf jeden Topf ein Deckel passt.
Lotte R. Wöss
Einfach Liebe
Band 1
Liebesroman
1 Der Antrag
Nora blickte an der Fassade des imposanten Gebäudes der Heim Backwaren AG hoch. Vom wahrscheinlich reizenden Ort Bernried am Starnberger See hatte sie bei der Durchfahrt kaum etwas gesehen. Für Oktober war es ziemlich warm und sie sehnte sich nach der Kühle des Büros.
Nein, der Mut durfte sie nicht im letzten Augenblick verlassen! Aufgeben war keine Option. Ihre Hand umklammerte die Aktenmappe. Monatelang hatte sie das Konzept erarbeitet. Drei Mal war der Termin mit dem Chef der Firma verschoben worden. Noch einmal tief Luft holen, ehe sie das Haus durch die Glastür betrat.
Das Foyer war eindrucksvoll gestaltet, in hellen Farben und gemütlich. Nora musste ein paar Schritte zum Informationspult in der Mitte zurücklegen. Die modisch gekleidete Empfangsdame grüßte freundlich und fragte schließlich. »Zu wem möchten Sie?«
»Ich habe um siebzehn Uhr einen Termin bei Graf Heim von Werlenbach.« Noras Stimme klang energisch wie immer und verbarg ihre Unsicherheit. Sie machte ihrem Beinamen ›Kalte Walküre‹ alle Ehre.
»Frau Doktor Spatz aus Bad Hofgastein?« Die Angestellte lächelte freundlich. Nora schalt sich innerlich, denn sie hatte vergessen, sich vorzustellen. Wo waren ihre Manieren?
Spatz! Der Name war ein Hohn, wenn man sie betrachtete. Deswegen zögerte sie immer, ihn zu nennen. Niemals hätte man sie mit diesem kleinen Vogel in Verbindung gebracht. Sie war einen Meter achtzig groß und etwas mehr als mollig. Ihre langen braunen Haare waren in einem Zopf zusammengefasst.
Weder Tonfall noch Mimik der hübschen, schlanken Dame an der Rezeption war anzumerken, ob sie Noras Erscheinung in Kombination mit ihrem Namen lächerlich fand. Sie war offenbar gut geschult.
»Herrn Heims Büro ist im obersten Stock, genau gegenüber dem Lift.
Sie können es nicht verfehlen.«
»Ich bin zu früh, die Verkehrsverhältnisse waren schwer einzuschätzen.«
»Das spielt keine Rolle. Sie sind sein letzter Termin für heute.«
Das könnte eine wichtige Mitteilung sein. Ob es gut war, wusste Nora zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu sagen. Würde er sich für sie Zeit nehmen oder wollte er rasch nach Hause? Laut den Informationen, die sie über sein Privatleben hatte, war das zweifelhaft.
Sie durfte keine Ablenkung zulassen. Noras Griff um ihre Aktenmappe wurde fester. Schon seit langer Zeit hatte sie es sich abgewöhnt, Handtaschen zu tragen. Passend zu ihrer Körpergröße und Fülle hätten sie die Größe eines Rucksacks haben müssen.
Oben angekommen stand sie vor dem Schreibtisch einer adretten Dame mit kurzen Haaren, die sie ebenfalls mit einem Lächeln begrüßte. Sie wirkte sportlich, mit makelloser Figur, sodass Nora sich zum zweiten Mal wie ein Walross fühlte. Das Wunder der Natur betätigte die Sprechanlage.
»Dein Siebzehn-Uhr-Termin ist hier.«
»In Ordnung, Britta.« Was für eine Stimme! Tief und volltönend.
Ob er mit seiner Assistentin schlief? Nora wusste nicht, woher ihre dummen Gedanken kamen. Im Moment total irrelevant.
Es war so weit.
Am liebsten hätte Nora einen Rückzieher gemacht, doch es war ihre letzte Chance. Sie klopfte und betrat den Raum.
Klaus Heim von Werlenbach war müde. Eigentlich hatte er an diesem Tag genug gearbeitet. Das Meeting zu Mittag hatte ihm einiges abverlangt und die Gehaltsverhandlungen mit dem Betriebsrat hatte er auch nicht zu einem befriedigenden Abschluss führen können. Das lag zum Teil an ihm. Vor exakt vier Monaten hatte er angefangen, sich in einen echten Kotzbrocken zu verwandeln. Zwar bemühte er sich um Höflichkeit, doch die Welt erschien ihm dermaßen finster, dass er nicht zu seinem früheren Humor zurückgefunden hatte. Und jetzt stand dieser dubiose Termin mit einer Frau Spatz an, die eine kleine Schokoladenmanufaktur in Bad Hofgastein besaß. Unbedeutend für ihn.
Dennoch musste er sich zusammenreißen und sie zumindest anhören. Dass sie hartnäckig war, hatte sie bereits bewiesen. Sie war am Ball geblieben, obwohl er die ersten drei Treffen nicht hatte einhalten können.
Die Frau, die nun eintrat, entsprach überhaupt nicht seinen Erwartungen. Sie war keine stark geschminkte Geschäftsfrau mit Hochsteckfrisur, die ihren hageren Körper in einem langweiligen Geschäftskostüm versteckte. Vielmehr zeigte sich eine üppige, groß gewachsene Frau, deren Rundungen der perfekt geschnittene Hosenanzug betonte. Für seinen Geschmack hatte sie eindeutig ein paar Kilogramm zu viel auf ihren Rippen.
Was konnte sie wollen? Mit geschäftsmäßiger Höflichkeit erhob er sich und reichte ihr die Hand.
»Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen, Frau Doktor Spatz.« In Österreich waren Titel von Bedeutung, und er wollte, dass sie sich wohlfühlte.
»Ich bedanke mich für den Termin, Graf von Werlenbach.« Auch sie hatte ihre Hausaufgaben gemacht und sich erkundigt, wie man einen Grafen anzusprechen hatte.
»Heim genügt, das ist mein Name!« Kaum jemand sprach ihn mit seinem Adelstitel an. Höchstens seine jüngeren Brüder, wenn sie sich über ihn lustig machen wollten.
»Bitte setzen Sie sich!«
Nora war nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, aber die Narben dieses Mannes, die sein Gesicht unschön teilten, konnte niemand übersehen. Seine Oberlippe war asymmetrisch und seine Lippen ungleichmäßig dick. Auf den ersten Blick sah er alles andere als attraktiv aus. Dennoch wirkte der lebhafte Ausdruck in den hellbraunen Augen auf Nora anziehend, das konnte sie nicht leugnen. Für die Bilder in der Zeitung waren seine Narben offenbar retuschiert worden, denn sie traten nicht in dieser Deutlichkeit hervor. Wie sie aus Berichten wusste, wurde der Graf mit einem Wolfsrachen geboren.
Seine Figur hingegen zeigte eine gewisse Sportlichkeit, der Maßanzug saß perfekt und sein Charisma beeindruckte Nora vom ersten Moment an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Wieder stand sie kurz davor, von ihrem Vorhaben abzusehen. Dass er bemerkte, wie sie ihn angestarrt hatte, war an Peinlichkeit wohl kaum zu überbieten.
»Frau Spatz, Sie kommen aus Bad Hofgastein?«, fragte er, nachdem sie keine Anstalten machte, das Gespräch zu beginnen. Aus seiner Stimme hörte sie keinerlei Emotionen. Vermutlich wurde er öfter mit so einer Reaktion konfrontiert. Sie riss sich zusammen.
»Ja, aus Salzburg.« Sie hielt sich an ihrer Mappe fest. Er runzelte die Augenbrauen und verharrte geduldig. Tatsächlich gab es auf ihre dumme Bemerkung keine passende Antwort. Schließlich war es eine Beleidigung anzunehmen, der Graf wüsste nicht, wo Bad Hofgastein läge. Ein paar Sekunden verstrichen, ehe sie sich wieder fing. Nervös benetzte sie ihre Lippen.
»Sie werden sich wundern, warum ich um den Termin gebeten habe.«
»Tatsächlich kam es mir in den Sinn.« Die Formulierung klang humorvoll, seine Stimme enthielt jedoch eine Nuance Schärfe und er blickte demonstrativ auf seine Armbanduhr.
Das war schlecht. Nora beeilte sich.
»Vielleicht ist es am besten, ich komme direkt zur Sache.« Das war bedeutend schwieriger, als sie sich ausgemalt hatte. Der Graf spürte leichte Ungeduld in sich aufsteigen.
»Ich bitte darum!« Gerade rechtzeitig hielt er sich zurück, nochmals auf die Uhr zu sehen. Das Gespräch drohte, langweilig zu werden.
Doch dann stand seine Welt plötzlich Kopf.
»Ich möchte Ihnen die Ehe anbieten.«
Hatte er sich verhört? Eher nicht, denn die Amazone vor ihm sah ihn erwartungsvoll an.
»Sind Sie verrückt?« Er fuhr sie dermaßen unwirsch an, dass sie zusammenzuckte. Seine gute Erziehung zwang ihn, ruhiger zu werden. »Ich will nicht unhöflich sein, Frau Spatz, aber …«
Nora spürte, wie ihre Felle davonschwammen. Sie musste sich beeilen und bemühte sich um Geschäftsmäßigkeit. Rasch zog sie ihren Laptop und ihre Mappe aus der Aktentasche. Beides legte sie auf seinen Schreibtisch.
»Werfen Sie einen Blick in meine Aufstellungen. Für unsere Firmen ein
Riesengeschäft. Eine Win-win-Situation.«
Er stand auf. »Frau Spatz, es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, aber …!« Sein Tonfall klang förmlich, sodass Nora zu ihrer gewohnten Routine zurückfand und ihn einfach unterbrach.
»Hören Sie mich erst an, Herr Heim! Mir gehört die Manufaktur Spatz-Schokoladen in Bad Hofgastein, bekannt für feinste Schokolade. Unser
Hauptprodukt sind die Klammsteiner Herzen, nach Burg Klammstein benannt. Mein Urgroßvater war der Erfinder der Streifenglasur, einer Schokoglasur aus verschiedenen Brauntönen.«
Klaus Heim saß wieder hinter seinem Schreibtisch, machte jedoch keinerlei Anstalten, die vor ihm liegende Mappe mit dem Logo von Spatz-Schokoladen zu öffnen. Nora ließ sich nicht beirren.
»Ich möchte Ihnen eine Geschäftsidee unterbreiten. Wir sind dabei, eine zartschaumige Pralinencreme zu kreieren, die einen Unterkeks braucht. Tatsächlich hat es solche Pralinenkekse schon mehrmals auf dem Markt gegeben, leider waren sie relativ erfolglos. Deswegen brauchen wir eine geniale Marketingstrategie. Aus Anlass unserer Hochzeit würde ich den Namen Hochzeitskuss vorschlagen. Außerdem …!«
Heim hatte genug und sprang auf. »Bei aller Liebe, Frau Spatz, aber …«
»Es wäre nur eine Ehe auf dem Papier und auf Zeit. Nach zwei bis drei Jahren lassen wir uns wieder scheiden. Wir müssten nicht einmal zusammenwohnen, zumindest nicht ständig. Schließlich liegen unsere Orte zweihundertfünfzig Kilometer auseinander.«
»Ich finde Ihre Idee schlichtweg absurd und beleidigend.« Dachte diese monströse Schokoladefabrikantin, er wäre so ausgehungert nach einer Ehefrau, dass er jede nehmen würde?
»Tut mir leid, aber ich möchte unsere Zeit nicht länger verschwenden.« Seine Stimme hatte einen messerscharfen Tonfall angenommen. »Alle Heim-Erzeugnisse verkaufen sich bestens. Besonders die Heim-Waffeln, unsere Klassiker, gehen ausgezeichnet. Es braucht keine neuen Produkte.«
Nora blieb sitzen, obwohl ihr elend zumute war. Sie konnte beharrlich sein wie ein Terrier, der sich in ein Hosenbein verbissen hatte. Mit sanftem Vorgehen setzte man in der Geschäftswelt keinen Fuß vor den anderen.
»Stimmt. Sie haben Ihr Sortiment schon ewig nicht verändert. Eine Aufstockung könnte also nicht schaden«, fuhr sie fort; sie schien unbeirrt. Das Handtuch zu werfen, war kein Weg. Es hing zu viel davon ab. »Ich habe Ihnen hier die Eckdaten aufgeschlüsselt. Wenn Sie einen Blick …«
»Frau Spatz! Sie reden von Hochzeit und nicht von einem x-beliebigen Geschäft. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?« Würde er den Sicherheitsdienst rufen müssen, um diese Dame mit Gewalt hinauszubefördern?
»Herr Heim, Sie haben vor Kurzem eine Beziehung beendet. Und das knapp vor der Hochzeit.«
»Die ganze Welt weiß das!« Er hatte sich vor ihr aufgebaut wie ein gereizter Tiger. Alle konnte er auf diese Weise in die Flucht schlagen. Nur dieser zu breit geratene Spatz ließ sich nicht beirren.
»Sie sind momentan ungebunden, daher …«
Zum Teufel war diese Frau hartnäckig! Er beugte sich zu ihr, stützte sich mit beiden Händen auf den Armlehnen ab. Sein lodernder Blick sollte sie verbrennen – Dr. Nora Spatz wich jedoch nicht zurück.
»Ich habe keine Ahnung, warum und wie weit Sie über meine geplatzte Hochzeit Bescheid zu wissen glauben. Aber denken Sie wirklich, dass ich dermaßen verzweifelt wäre, eine wildfremde Frau, noch dazu eine Dame, die überhaupt nicht meinem bevorzugten Typ entspricht, zu ehelichen?«
Seine Mutter hätte ihm die Ohren lang gezogen, würde sie auch nur ahnen, wie beleidigend er sich geäußert hatte. Der Termin strapazierte seine Nerven. Dabei hatte er sich seit vier Monaten durch nichts und niemanden aus der eisigen Ruhe bringen lassen, in die er geflüchtet war.
Eine andere wäre weinend hinausgelaufen. Frau Doktor Spatz blieb ungerührt und kühl.
»Das ist mir klar! Normalerweise würden Sie eine Ehe mit einer Frau wie mir niemals in Erwägung ziehen. Das ist mir mehr als bewusst. Tatsächlich befinde ich mich in einer Notlage. Deswegen habe ich einen Geschäftsplan ausgetüftelt, der eine Eheschließung auch für Sie schmackhaft machen sollte. Und, das möchte ich betonen, es wäre eine Ehe auf dem Papier und auf Zeit.« Sie klappte ihren Laptop auf. »Ich habe einen Joint-Venture-Vertrag ausgearbeitet. Mir ist vollkommen bewusst, dass Heim-Backwaren in einer anderen Liga als Spatz-Schokoladen spielt. Aber eine Verbindung zwischen beiden wird definitiv für Sie von Vorteil sein.«
Heim hörte nicht alles, was sie erzählte. Er war auf einmal fasziniert von ihrer Lebhaftigkeit und ihrem Mienenspiel. Trotz ihrer gewaltigen Erscheinung sah er eine Agilität in ihr, die er auf den ersten Blick nicht vermutet hätte. Auf dem Laptop erschien ein Foto, das eine schokoladige Köstlichkeit zeigte, überzogen mit einer in mehreren Brauntönen gestreiften Glasur.
»Die Kekspraline Hochzeitskuss muss mit einem Knalleffekt eingeführt werden! Das erste Mal wird sie bei unserer Hochzeit verteilt und danach an sämtliche Vertriebsquellen geliefert. Ziel ist, dass verliebte Paare sich mit dieser Keks-Praline identifizieren.«
Bestimmt nicht auf Kosten seiner Hochzeit. Kurz war er abgelenkt gewesen und hatte sie plappern lassen, aber jetzt musste er die Dame stoppen, bevor sie sich weiter in Hirngespinsten verfing.
Er würde eine Heirat nie mehr in Erwägung ziehen. Und schon gar nicht mit einer Frau, deren Äußeres schlichtweg nicht seinem Geschmack entsprach.
»Ich werde das Ganze hier an dieser Stelle abbrechen, tut mir leid, Frau Spatz!« Seine Stimme klirrte durch den Raum und klang in seinen eigenen Ohren hart. »Die Idee ist unmöglich durchführbar.«
Sie wirkte enttäuscht. Nein, mehr als das. Am Boden zerstört. Als hätte sämtlicher Lebensmut sie verlassen.
»Bitte überlegen Sie es sich.« Sie versuchte es noch einmal. Doch die
Resignation war rauszuhören. Nora wusste, wann sie verloren hatte. Plötzlich hatte er Hemmungen, ihr wehzutun. Warum eigentlich? Sie war eine Geschäftsfrau, konnte austeilen und einstecken. Trotzdem spürte er eine Verletzlichkeit hinter ihrer offensiven Art. Das offenbarte sich in dem Augenblick, als sie ans Fenster trat und ihm den Rücken zukehrte.
»Sie haben eine wunderschöne Gegend hier. Der Blick auf den See ist malerisch.« Am leichten Zittern ihrer Stimme merkte er, dass sie nach dieser Niederlage um Fassung rang. Er wollte ihr ein paar Minuten zugestehen. Also ging er darauf ein. »Das stimmt. Jede Jahreszeit hat ihr eigenes Flair. Hin und wieder friert der See im Winter sogar zu.«
»Das muss beeindruckend sein!« Sie versuchte, Zeit herauszuholen, doch er kam zum Thema zurück.
»Frau Spatz, Sie sind eine intelligente Frau, deswegen werden Sie verstehen, wenn ich sage, dass ich unter keinen Umständen heiraten werde.« Energisch klappte er ihren Laptop zu und drückte ihn ihr in die Hände. »Heim-Backwaren strebt auch keinerlei Fusion an. Unsere Produkte verkaufen sich ausgezeichnet in fast allen europäischen Ländern. Sollten wir jemals eine Kreation mit Schokolade in Erwägung ziehen, werden wir an Sie denken. Ohne dass jemand zwangsverheiratet wird, versteht sich.«
Aus und vorbei. Abgewiesen. Nora kannte diesen Ton aus zahlreichen Geschäftsverhandlungen.
Sie schluckte und wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Sie hatte darauf gebaut, dass er nach dem Fiasko seiner geplatzten Hochzeit nur zu gerne auf ihre Idee eingegangen wäre. Offenbar hatte sie sich geirrt. Er hatte nicht einmal richtig zugehört.
Sie kehrte zum Schreibtisch zurück und packte ihren Laptop in die Aktenmappe. Einen letzten Versuch noch.
»Es wäre vollkommen risikofrei für Sie. Eine Vernunftehe. Nur auf dem Papier. Selbstverständlich mit einem handfesten Ehevertrag, dass keiner von uns bei der Scheidung Verluste zu beklagen hat. Am Anfang ein paar gemeinsame gesellschaftliche Anlässe, später …«
»Stopp! Der Marketingtrick mit einer Ehe würde nur dann wirken, wenn man sich quasi auf unsere Verliebtheit stützen könnte. Da diese Verbindung nur eine Farce ist, ginge der Schuss nach hinten los.«
»Die Allgemeinheit würde es glauben«, versicherte sie dermaßen enthusiastisch, dass er es ihr fast abnahm. Fast!
»Unsinn!«
»Ihre gescheiterte Hochzeit liegt erst vier Monate zurück. Alle würden denken …«
»… dass ich meine Braut wegen einer anderen sitzengelassen habe. Ihretwegen?«
Die Wut verleitete ihn zu Beleidigungen. Doch sein Gegenüber ließ sich nicht aus der Fassung bringen.
Nora war sich bewusst, dass ihre Erscheinung niemanden verleiten würde, seine Braut zu verlassen. Zudem war Giulia Caspari eine Schönheit mit Modelmaßen. Nora war es gewohnt, mit abfälligen Bemerkungen über ihr Äußeres umzugehen. Sie konnte verstehen, dass man ihr in der Firma den Spitznamen ›Kalte Walküre‹ verpasst hatte.
»Ich weiß, dass sich die meisten wundern würden. Sie gehören jedoch nicht zu den oberflächlichen Menschen, die bei ihren Mitbürgern nicht in tiefere Schichten bohren können. Vor allem wissen Sie aus eigener Erfahrung, wie schnell man vorverurteilt und ausgegrenzt wird.«
Heim war für einen Moment sprachlos. Noch nie in seinem Leben hatte ihn jemand dermaßen offensichtlich auf sein deformiertes Gesicht hingewiesen.
Möglicherweise hatte er genau das verdient, nach seinen verbalen Entgleisungen.
Nora nützte sein Schweigen. »Gerade das Außergewöhnliche kann ein ausgesprochen wirksames Werbemittel sein! Es wäre nur für die Öffentlichkeit. Was sich zu Hause in den vier Wänden abspielt, bleibt uns überlassen. Ich wäre Ihnen auf keinen Fall im Weg.«
Er starrte sie an, dann lachte er. »Ich soll mich mit anderen Frauen vergnügen? Es vergingen keine zwei Stunden, bis die Paparazzi das durchschauen würden.« Er winkte heftig ab. »Das Ganze artet aus, Frau Spatz. Ich möchte das Gespräch an dieser Stelle wirklich beenden.«
»Ich bin keine Vorzeigefrau, das wissen wir beide. Und Sie sind ein Graf!« Er ärgerte sich plötzlich über diese nervtötende Frau, die einfach nicht aufgeben wollte.
»Abgesehen von meinem Adelstitel glauben Sie aber, dass ich genau zu Ihnen passe, nicht wahr? Das hässliche Biest muss froh sein, wenn es überhaupt eine Frau abkriegt.« Er beugte sich zu ihr, sein Gesicht vor Zorn verzerrt. Nora wich erschrocken zurück, die Mappe an sich gepresst. Doch er hob seinen Tonfall noch um einige Dezibel an.
»Sie sehen mich an und denken, das Monster verdient nichts anderes, nicht wahr? Sie verstehen, was ein Wolfsrachen ist? Siebzehn Operationen. Anfangs sah ich einem Tier ähnlicher als einem Menschen. Auch jetzt wirke ich nicht gerade wie ein Frauenmagnet. Ausgenommen, ich winke mit der Kreditkarte. Aber so stelle ich mir eine Ehe nicht vor.«
»Sie wissen, dass ich nicht an Ihrem Geld interessiert wäre! Außerdem würden wir uns kaum sehen. Es wäre eine Ehe auf dem Papier, rein zu unserem Nutzen. Meine Firma bekommt die Chance auf einen Vertrieb in ganz Deutschland. Wir beide erhalten ein neues Produkt, das uns Aufschwung gibt.«
Er durfte nicht länger zuhören. Irgendetwas war an dieser Frau, die so verzweifelt versuchte, ihn zu überzeugen.
»Sagt Ihnen die Redewendung ›Den Bogen überspannen‹ etwas? Ich habe definitiv genug.«
Warum war sie dermaßen hartnäckig? Vor ihrem Termin hatte er sich selbstverständlich die nötigen Kenntnisse über ihre Firma angeeignet. Eine Schokoladenmanufaktur, die jedoch keinerlei finanzielle Probleme hatte. Oder doch? Die Frau vor ihm sah … erschüttert aus. Als wäre ein Lebenstraum zerstört und nicht nur eine fiktive geschäftliche Vereinbarung geplatzt.
»Es tut mir leid, dass Sie den Weg umsonst gemacht haben.« Eine
Floskel, das offenbarte er bereits in seinem nächsten Satz, den er scharf hinzufügte. »Trotzdem ist mir so eine hirnrissige Idee noch niemals untergekommen!«
Nora wurde leicht schwarz vor Augen.
Ein Hinauswurf. Endgültig.
Sie spürte Tränen in sich aufsteigen, wollte sich aber vor dem Grafen keine Blöße geben. Gelernt reichte sie ihm ihre Hand, sprach formelle Abschiedsworte und verließ den Raum, ohne zurückzublicken.
Sie war gescheitert. Das würde ihrem Stiefbruder gefallen. Und ihrer Stiefmutter erst. Die Lösung war ihr perfekt erschienen. Es war unweigerlich Zeit für Plan B.
War sie nicht immer schon brillant darin gewesen, B-Pläne zu entwickeln?
2 Eine Vernunftehe?
Klaus blickte minutenlang auf die geschlossene Türe. Er konnte es nicht fassen! Ein Heiratsantrag bei einer geschäftlichen Besprechung! Hätte er anders reagiert, wenn es sich um eine schlanke Frau handeln würde?
Nein, eine Ehe käme für ihn nie mehr infrage.
Auf seinem Schreibtisch lag die vergessene Mappe. Er nahm sie und wollte im ersten Moment der seltsamen Frau folgen. Doch vermutlich hatte sie das Gebäude schon lange verlassen. Neugierig blätterte er die Unterlagen durch und ertappte sich dabei, in ihre Ausarbeitung hineinzulesen.
Er war beeindruckt. Nora Spatz hatte an alles gedacht und bis ins Detail berechnet, in welcher Weise das neue Produkt zu vermarkten wäre. Tatsächlich schien es ein überragender Marketing-Trick zu sein, die Kekspraline anlässlich der Hochzeit seiner Erfinder zu präsentieren. Eine limitierte Edition, um die Gier der Menschen anzuheizen und bei steigender Nachfrage zu einem dauerhaft angebotenen Artikel aufzusteigen. Wider Willen imponierten ihm ihre klare Auffassung und ihre Strategie.
Er überlegte.
Nach dem Fiasko seiner abgesagten Hochzeit hatte er gedacht, er würde nie mehr heiraten. Die Demütigung saß ihm bis heute in allen Knochen, und er war stolz darauf, dass nichts an die Öffentlichkeit durchgedrungen war. Einerseits.
Andererseits entnahm er den Andeutungen von Frau Doktor Spatz, dass doch einiges durchgesickert war.
»Hier bist du!« Sein Bruder Konstantin ließ sich ihm gegenüber nieder, in denselben Stuhl, auf dem vor zwei Stunden Nora Spatz gesessen hatte.
»Hast du vergessen, dass heute unser Herrenabend ist?«
Schuldbewusst sah Klaus auf seine Armbanduhr.
»Was ist das?« Konstantin deutete auf die Mappe vor ihm. Stumm reichte Klaus ihm die Unterlagen.
»Hochzeitskuss?« Konstantin grinste. »Ist das nicht vorbei?«
»Schau es dir bitte an und sag mir deine Meinung. Es wäre ein Vertrag mit einer Schokoladenfirma.«
»Du willst expandieren? Ein neuartiges Produkt? Nach den Misserfolgen unseres Vaters dachte ich, wir bleiben einfach bei den bewährten Heim-Keksen und ändern nichts. Die Verkäufe liegen im Plan.«
»Vaters Versuch, das Sortiment aufzufrischen, ist an Mittelmäßigkeit und miserablen Marketingstrategien gescheitert. Geschmacklich war es eine Katastrophe und beide Neueinführungen konnten keinesfalls mit unseren restlichen Produkten mithalten, die seit Jahrzehnten unverändert sind, um es mal zu bemerken.«
»Das stimmt. Dennoch schreiben wir schwarze Zahlen und haben keinerlei Zwang, uns mit irgendeinem Risiko zu verzetteln.«
»Ich werde nächste Woche nach Bad Hofgastein fahren, um mir die Firma anzuschauen.« Klaus war selbst überrascht über seine Worte. Was tat er da?
»Ich werde die Schokolade testen. Vielleicht ist die Idee grandios: ein Joint Venture auf Basis einer Ehe.«
Klaus erlebte selten, dass sein Bruder schockiert war. Dies war einer dieser Momente.
»Welche Ehe?«
»Meine mit Frau Spatz. Die Kekspraline wird anlässlich unserer Hochzeit herauskommen.«
»Verstehe ich richtig? Du hast die Dame erst heute kennengelernt? Oder habe ich etwas falsch verstanden? Sie muss ein heißer Feger sein, wenn du in diesem Tempo eine Ehe in Erwägung ziehst. Aber bedenke, dass Aussehen nicht alles ist.«
Klaus lachte kurz. Doch dann wurde er ernst. »Sie ist hochintelligent, das wirst du beim Durchsehen dieser Mappe feststellen. Sie hat jedes Detail berücksichtigt.«
»Wahrscheinlich hat sie dafür ihre Leute.«
»Das denke ich nicht. So ein heikles Thema wird sie nicht mit einem Berater diskutieren. Sie war es, die mir die Ehe angeboten hat.«
»Ist sie scharf auf deinen Titel? Oder ist es das Geld?«
»Sie sieht die Vertriebsmöglichkeiten und unsere Verbindungen in Europa. Vermutlich ist da noch etwas, ich tippe auf Privates. Ich werde sie genauer befragen, bevor ich mich auf Glatteis begebe. Deshalb muss ich nach Salzburg und die Geschichte persönlich vor Ort abklären.«
Konstantin hatte Mühe, den Sachverhalt zu verarbeiten.
»Hast du ihr zugesagt?«
»Im Gegenteil! Ich habe sie hinausgeworfen.«
»Ah«, nickte Konstantin. »In deiner gewohnt charmanten Art!« Klaus beachtete ihn nicht.
»Aber dann habe ich ihre Ausführungen gelesen und das hat mich überzeugt. Zumindest möchte ich dem Ganzen eine Chance geben.«
»Du bist nicht krank oder ähnliches? Hallo! Du willst dich an eine fremde Frau binden?«
»Es wäre eine reine Vernunftehe auf dem Papier.«
Das beruhigte seinen Bruder keineswegs.
»Ist sich die Dame zu gut für Sex mit dir?« Konstantin wusste, wie sehr Klaus sein Leben lang unter seiner Verunstaltung gelitten hatte. Nur Giulia schien es nichts ausgemacht zu haben, deswegen hatte Konstantin die sonstigen Kapriolen von Klaus’ Verlobter akzeptiert. Aber dann hatte es Streit im Paradies gegeben, die Hochzeit war einen Tag vor dem Termin abgesagt worden.
Klaus hatte niemandem die genauen Umstände verraten, lediglich, dass sie in beiderseitigem Einvernehmen dahintergekommen wären, den größten Fehler ihres Lebens zu machen. Das war zumindest die offizielle Version.
»Du hast auf jeden fall etwas Besseres verdient!« Konstantin redete sich in Rage. »Warum denkst du über ein dermaßen zweifelhaftes Angebot überhaupt nach?«
Das wusste Klaus selbst nicht. Vor zwei Stunden hatte er Frau Doktor Nora Spatz mit rüden Worten hinausbefördert. Schon allein das Äußere dieser Frau hatte nicht im Geringsten seinen Vorstellungen entsprochen. Aber beim Lesen der Unterlagen war ihm bewusst geworden, dass ein Mensch von hoher Kreativität hinter der Fassade stecken musste.
Beinahe hätte er eine – in seinen Augen – oberflächliche Barbiepuppe geheiratet, deren einzige Interessen Mode und Luxus waren. Möglicherweise sollte er zur Abwechslung das Pferd von hinten aufzäumen.
»Noch ist nichts beschlossen, ich überlege nur alle Eventualitäten.« Klaus blieb ruhig. »Eine Ehe auf Zeit, beispielsweise. Was den Sex betrifft, weiß ich selbst nicht, ob ich es will. Zumindest wäre es besser, als dafür bezahlen zu müssen.«
Der Blick seines Bruders wechselte von Entsetzen zu Bedauern, sodass Klaus sich abwandte. Mit Mitleid hatte er noch nie gut umgehen können.
»Es wäre eine geschäftliche Vereinbarung. Irgendwie wird man für alles zur Kasse gebeten, entweder bar oder anderswie.«
Konstantin seufzte. Davon konnte er ein Lied singen, denn auch sein Leben war nicht in geraden Bahnen gelaufen. Er drang also nicht weiter in seinen Bruder, sondern erhob sich, die Mappe in der Hand.
»Ich lese es morgen. Heute gibt es ein Bier für uns. Die anderen werden sich schon wundern, wo wir bleiben.«
Die anderen, das waren sein zweiter Bruder Michael sowie seine beiden Cousins Reggie und Jos. Die Hotelbar in dem eleganten Wellnesshotel am Starnberger See bot eine gemütliche Ecke, in der sich die fünf Männer regelmäßig trafen. Ausnahmsweise waren sie vollzählig versammelt, was selten der Fall war. Die berufliche Auslastung sowie die Geschäftsreisen von Michael und Jos machten es problematisch, den wöchentlichen Stammtisch einzuhalten.
Selbstverständlich schlug Klaus’ Heiratsabsicht ein wie eine Bombe.
»Du willst tatsächlich eine Frau heiraten, die du kaum kennst?« Michael schüttelte den Kopf.
»Sie ist die erste Frau, die mir einen Antrag gemacht hat!« Klaus fand die Situation zunehmend amüsant. »Überhaupt, wer von euch hat schon einen Hochzeitsantrag bekommen?«
Reggie lachte. »Das ist nicht dein Ernst, Klaus! Normalerweise fragen wir die Frauen und ich werde mich hüten …«
»Ganz meine Meinung!« Konstantin winkte dem Barkeeper. »Was trinken wir?« Kurze Zeit später hatten sie ihre Bestellungen aufgegeben und nahmen das hochinteressante Thema erneut auf.
»Also, Klaus, gehen wir einmal alle Pros und Kontras durch!« Konstantin war der Analytiker der Familie.
»Zuerst einmal möchte ich wissen, wie es überhaupt dazu kam!«, forderte Reggie.
In kurzen Sätzen schilderte Klaus den Besuch von Nora Spatz.
Michael sah nachdenklich aus. »Das könnte uns guttun. Seitdem zahlreiche Billigkekse den Markt erobern, haben wir Einbußen. Nicht so, dass wir bankrottgehen, aber ein Aufschwung käme zur richtigen Zeit. Und warum nicht etwas mit Schokolade herausbringen? Schokolade ist beliebt.«
»Der Markt ist überhäuft mit Schokoladenkreationen«, gab Jos zu bedenken. »Es ist schwierig, ein neuartiges Produkt zu platzieren.«
»Dafür haben wir den Namen unserer Heim-Kekse.« Klaus wunderte sich über sich selbst. Vor wenigen Stunden hatte er Nora Spatz weggeschickt und jeglichen Gedanken an irgendeine Verbindung zurückgewiesen. Was war in ihn gefahren? Dachte er ernsthaft daran, eine Frau zu heiraten, deren Erscheinungsbild ihn kaum ansprach? Diese monströse Erscheinung! Obwohl Klaus seinerseits eine beachtliche Körpergröße aufzuweisen hatte, träumte er von einer zarten, anschmiegsamen Frau. Und ganz bestimmt wünschte er sich keine Walküre.
Doch seine Zunge entwickelte ein Eigenleben.
»Und die Erfindung von Nora Spatz’ Urgroßvater ist genial. Eine gestreifte Schokoladenglasur in fünf verschiedenen Brauntönen. Das ist ein vielversprechender Ausgangspunkt für die Vermarktung.«
»Das leuchtet mir alles ein! Aber warum musst du sie gleich heiraten?« Jos, der Jüngste und Stillste in der Runde, brachte es nun auf den Punkt.
»Es ist die Chance, unsere Kreation mit einem Knall einzuführen. Ein brillanter Marketingtrick. Frau Spatz hat von meiner geplatzten Hochzeit gehört und dachte wohl, ich wäre froh, wenn …«
Michael schlug heftig auf den Tisch.
»Was erlaubt sich diese Dame? Nur weil sie eine Schönheit ist …«
»Wieso glaubt ihr alle, dass sie eine Venus sein muss?«
Sie starrten Klaus überrascht an. Reggie räusperte sich.
»Soll das heißen, dass sie es nicht ist? Ich dachte, sie hätte dir den Kopf verdreht und dass du deswegen mit dem Teil unter der Gürtellinie …«
Sie wurden kurz unterbrochen. Eine junge Kellnerin stellte neue Drinks auf den Tisch. Offenbar hatte sie den letzten Satz des Gespräches mitgehört, denn sie verschwand schnell, mit auffällig roten Wangen.
»Noch habe ich nichts entschieden!« Klaus nippte an seinem Cocktail.
»Seht mich an! Die Chirurgie hat ihr Bestes gegeben. Aber mit diesem Gesicht werde ich niemals auf eine Liebesheirat hoffen dürfen. Giulia hat mich geheilt.«
»Du hast nie verraten, was Giulia dir angetan hat …«
»Das wird auch so bleiben!«
Michael fuhr unbeirrt fort. »Nur weil sie dich verletzt hat, gilt das nicht für sämtliche Frauen der Welt.«
»Seht uns doch alle an!« Klaus hob sein Glas und prostete in die Runde. »Nicht einer von uns hat eine glückliche Beziehung vorzuweisen. Ich werde niemandem erzählen, warum meine Hochzeit nicht stattfand. Nur so viel … dass Giulia mich niemals geliebt hat. Ich werde in drei Monaten zweiundvierzig, das ist ein Alter, in dem man verheiratet sein sollte. Nora Spatz erwartet keine Liebe, sie möchte eine Vernunftehe, basierend auf geschäftlichen Interessen. Ihre kleine Firma käme auf den deutschen Markt, und wir bekämen ein verkaufsträchtiges Produkt, das uns Auftrieb gibt. Noch vor hundert Jahren war eine arrangierte Ehe eine Selbstverständlichkeit. Und es gab kaum Scheidungen.«
An den fassungslosen Mienen seiner Brüder und Cousins erkannte Klaus, dass sie ihm überhaupt nicht zustimmten. Konstantin rieb über sein rechtes Ohr.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass du wie ein Mönch leben willst? Ich dachte, du möchtest Kinder? Der Klapperstorch ist in Rente.«
»Arrangierte Ehe«, schnaubte Reggie. »Früher ließ man sich einfach nicht scheiden, das gehörte sich nicht. Das bedeutet keineswegs, dass sie glücklich waren.«
»Was ist schon Glück? Ein dehnbarer Begriff!« Klaus trank ein paar große Schlucke.
»Du hast noch nicht zu dir selbst zurückgefunden! Nicht umsonst heißt es Trauerjahr – da ist das Wort ›Jahr‹ drin!« Michael zog seine Augenbrauen zusammen. »Du kannst nicht nach knapp vier Monaten …«
»Doch. Ich werde nächstes Wochenende nach Salzburg fahren.«
Jos legte seinem Cousin die Hand auf die Schulter. »Du hast das nicht nötig. Wieder so eine Dame, die nur auf dein Geld scharf ist?«
Klaus überlegte kurz.
»Das kann ich ausschließen. Aber du hast recht, es muss noch etwas dahinterstecken. Ich werde es herausfinden, bevor ich eine Entscheidung dieser Tragweite treffe. Ich denke, so weit kennt ihr mich. Es wird nichts passieren, das Heim-Backwaren schaden könnte.«
Die Mienen der Männer schienen zu entgleisen. Schließlich war es Konstantin, der ihn unwillig anknurrte. »Bist du irre, Klaus? Wir machen uns Sorgen um dich, nicht um die dämliche Firma! Nach der Sache mit Giulia warst du nie mehr derselbe. Seit vier Monaten wandelst du herum wie ein Zombie, du funktionierst, bist ruppig und ständig schlecht gelaunt.«
Klaus zuckte zusammen. Er musste zugeben, dass daran etwas Wahres war. Die geplatzte Hochzeit stieß ihm nach wie vor sauer auf. Giulia hatte ihn enttäuscht und das ließ ihn an sich selbst zweifeln.
»Im Grunde genommen ahnten wir alle, dass die Sache mit Giulia falsch war!«
Klaus starrte Jos schockiert an. Nein, niemand konnte es wissen! Es war sein und Giulias Geheimnis.
»Warum hast du fünf Jahre gebraucht, um ihr einen Heiratsantrag zu machen?«
»Nun, ich war dann über vierzig und es war Zeit«, verteidigte sich Klaus lahm.
»Du warst bereits an ihrem dreißigsten Geburtstag über vierzig. Giulia hatte es erwartet und war frustriert. Vergiss nicht, wir haben es mitbekommen.«
Das stimmte, Giulia hatte an ihrem runden Geburtstag eine gigantische Feier veranstaltet. Die Party war in vollem Gange, als sie sein Geschenk ausgepackt hatte, eine wertvolle Halskette mit einem diamantenen Anhänger in Form eines Sterns. Er hatte sich noch gewundert, warum sie dies in aller Öffentlichkeit getan hatte. Auch der Dümmste musste erraten haben, dass sie sich einen Verlobungsring erhofft hatte. Giulia hatte Contenance bewahrt, aber er hatte gespürt, dass sie gekränkt war.
Den Heiratsantrag hatte er ihr erst ein halbes Jahr später gemacht.
Kurz vor seinem einundvierzigsten Geburtstag. Er hatte plötzlich den Wunsch nach einem Kind verspürt und gewusst, dass die Zeit verrann. Er wollte kein so alter Vater werden wie sein eigener, der mit fünfzig eine junge Frau geheiratet hatte. Dennoch, seine Eltern hatten sich geliebt.
Auf eine Liebesheirat hoffte Klaus nicht mehr.
Seit dem Fiasko mit Giulia war sein Vertrauen zu einem Nichts geschrumpft.
»Eine Frau zu finden, die mich liebt und nicht mein Geld oder den Titel, ist aussichtslos.«
Sie sprachen durcheinander.
»Aus dir spricht die Enttäuschung!«
»Selbstmitleid! So kennen wir dich nicht!«
»Es gibt Frauen, die nicht nur ans Äußere denken!«
»Mir ist nie eine untergekommen. Euch offenbar auch nicht, sonst wärt ihr in festen Händen! Und meine Zeit läuft ab. Ihr seid noch keine vierzig …«
Konstantin räusperte sich, denn sein vierzigster Geburtstag fand im nächsten Monat statt. Doch Klaus ließ sich nicht ablenken.
»Ich möchte eine Familie. Zumindest die Illusion davon. Je mehr ich darüber nachdenke, scheint mir eine Vernunftehe eine vielversprechende Sache zu sein. Wir werden einen Ehevertrag aushandeln, es gibt keine Beleidigungen und Kränkungen, weil wir uns emotional nicht nahe genug sein werden. Unter zivilisierten Menschen lässt sich alles regeln.«
»Das ist kompletter Unsinn! Klaus, komm in die Realität zurück! Du kannst doch keine Frau heiraten, die du gerade mal – wie lange …? – kennst? Nimm sie dir als Geliebte, wenn du scharf auf sie bist!«
»Hast du nicht zugehört, Michael? Sie ist nicht unbedingt ein sexuell anregendes Wesen.« Klaus empfand diese Beschreibung selbst als ausgesprochen hart. »Aber es wird reichen, um meine Pflicht zu erfüllen.«
Wiederum blieb es sekundenlang still.
»Sie ist also keine vollbusige Schönheit?« Michael betonte die Worte entsprechend.
»Im Gegenteil, Busen hat sie mehr als genug! Den hat sie wirklich.« Klaus hatte, zu seiner eigenen Überraschung, das Bild von Nora Spatz detailgetreu in seinem Kopf. »Sie ist eine ungewöhnliche Frau. Auffällig lebendig mit einem intelligenten Blick.«
»Spatz klingt nach einer ätherischen Elfe!«, sinnierte Konstantin.
»Tatsächlich würde nichts weniger auf sie zutreffen! Sie hat fast meine Größe und ist … füllig.«
Er wusste nicht recht, warum er sie schönredete. Frau Spatz war ungewöhnlich – und seine Familie würde das bald herausbekommen.
Oder er sollte das Ganze schleunigst vergessen.
»Vielleicht brauche ich Julchens Hilfe. Mit passender Kleidung …«
»Wunder kann sie auch nicht wirken!«, wehrte Konstantin ab. »Und sie beginnt ihr Modestudium erst.«
»Sie ist genial, ein Talent, das seinesgleichen sucht. Wenn es zur Hochzeit kommt, dann wird sie das Hochzeitskleid schneidern.«
Wieder war es still. Keiner bezweifelte, dass Julchen dazu imstande wäre. Sie war Konstantins Tochter aus einer Teenagerliebe und erst seit vier Jahren in der Familie Heim zu Hause. Aufgewachsen war sie bei ihren Großeltern, die dem jungen Vater das Leben schwergemacht hatten. Julchens Mutter war nach der Geburt an einer Lungenembolie gestorben, ihre Eltern hatten das Konstantin ihr Leben lang vorgehalten. Unter größten Schwierigkeiten hatte der Vater seine Tochter trotzdem so oft wie möglich besucht. Seit dem Tod der Großeltern lebte Julchen, eigentlich Juliane, bei ihm.
»Versprich, dass du dir das Ganze noch gründlich überlegst«, bat Michael schließlich.
»Das werde ich!« Klaus sah sich um. »Und nun Schluss mit diesem
Thema. Die nächste Runde geht auf mich!«
3 Versagt
Während der Heimfahrt wurde Nora die komplette Leere in ihrem Inneren bewusst. Sie hatte versagt, kein Wunder bei diesem aberwitzigen, blödsinnigen Plan.
Elf Uhr nachts, die perfekte Zeit für ein Skype-Gespräch mit ihrer besten Freundin Renate, die seit sieben Jahren in den USA lebte.
»Ist es nicht gut gelaufen?« Ihre Freundin sah ihr schon an, dass sie erfolglos geblieben war.
»Graf Nikolaus Heim von Werlenbach hat absolut keinen Grund, mich zu heiraten. Wäre ich schön und schlank, sähe es anders aus.«
»Rede keinen Unsinn! Du hast ein bildhübsches Gesicht! Ich wäre froh, wenn ich deine glatte Haut hätte!«
Renate kämpfte bis heute mit Akne, die sie aber dank moderner Kosmetik gut im Griff hatte.
»Ich wollte, ich wäre eines dieser grauen Mäuschen, von denen immer in Romanen geschrieben steht. Diese unscheinbaren Mauerblümchen, die mit Make-up und anständiger Kleidung zur Ballkönigin avancieren. Bei mir hilft keine Schminke oder aufregende Garderobe. Ich bin einfach eine unförmige Riesin. Weißt du, wie man mich heimlich in der Firma nennt? Kalte Walküre!«
»Das liegt ausschließlich daran, dass du als Geschäftsfrau berechnend, intelligent und mit allen Wassern gewaschen bist.«
Das stimmte natürlich. Sie war bekannt für ihre brillanten Strategien und ein würdiger Gegner am Verhandlungstisch. Dabei waren ihre imposante Erscheinung und die zehn Kilogramm Übergewicht nicht unbedingt ein Minus.
»Du findest eine Lösung, Nora!« Das hoffte Nora sehr.
»Ja! Papa ist einfach zu früh gestorben. Sind John und Amy okay?«
»John ist nach wie vor beliebt. Die Studentinnen umschwärmen ihn wie die Bienen den Honig.«
»Du musst dir keine Sorgen machen, er hat nur Augen für dich.«
John war Professor an der Ohio State University, Renate war ihrer großen Liebe nach Columbus gefolgt.
»Nora, es existiert bestimmt eine andere Keksfirma, die du fragen könntest?«
»Ich werde darüber nachdenken, aber nicht mehr heute!«
»Erhol dich erst mal! Und denk dran: Es gibt immer eine Lösung! Dein
Papa hat an dich geglaubt!«
Ihr Vater war der Kreateur von süßen Köstlichkeiten gewesen und sie hatte das wirtschaftliche Management übernommen. Nora und ihr Vater standen sich unheimlich nahe. Gemeinsam hatten sie hart gearbeitet. Leider hatte Nora den Stress viel zu oft durch Essbares ausgeglichen. Seit ihrem Einstieg bei Spatz-Schokoladen vor sechs Jahren war der Umsatz zusammen mit ihrem Gewicht gewachsen.
Doch dann beendete der Herzinfarkt die vielversprechende Zusammenarbeit und die meisten Ideen waren nicht mehr zu Ende entwickelt worden. Von heute auf morgen war sie auf sich allein gestellt gewesen. Sie hatte sich täglich neu behaupten müssen. In Vaters Testament hatte er ihr den Hauptanteil vererbt und sie als Firmenleitung eingesetzt. Ihr Stiefbruder Philipp, der gerade erst sein Studium beendet hatte, fühlte sich benachteiligt. Nora hatte fast rund um die Uhr gearbeitet, denn in dreieinhalb Wochen würden die Gesellschafter zusammenkommen – dann würde sich entscheiden, wer endgültig das Sagen hatte. Bis vor vier Monaten war es kein Thema gewesen. Ihr war es gelungen, die Firma erfolgreich weiterzuführen. Die Zahlen hatten sich gehalten und die meisten Mitinhaber sahen keinen Grund, Nora als Vorsitzende ablösen zu lassen. Doch ein Sabotageakt hatte alles zunichtegemacht – genau zur selben Zeit, als die Hochzeit des Grafen von Werlenbach mit der italienischen Schönheit Giulia Caspari geplatzt war.
Irgendjemand hatte die Schokoladenmasse für das Paradeprodukt Klammsteiner Herzen mit Essig versetzt und sie hatten das komplette Sortiment zurücknehmen müssen. Der Täter war bis heute nicht gefasst worden. Nora vermutete ihren Stiefbruder dahinter. Leider gab es keine Beweise. Als Geschäftsführerin galt sie als Verantwortliche. Sie hätte die Firma nicht im Griff. Zu Lebzeiten ihres Vaters hätte es dergleichen niemals gegeben. Noch ein Grund mehr für Philipp und seine Mutter Isabella, an Noras Ast zu sägen. Philipp war außerdem frisch verheiratet und sie erwarteten das erste Kind. Daher wurde er neuerdings auch zusätzlich von seiner Frau Vanessa beeinflusst, die ihn gerne in der Position des Geschäftsführers gesehen hätte.
Während Nora wohl unverheiratet bleiben würde.
›Fettes Walross‹ hatte ihre Stiefmutter Isabella sie genannt. Und dass ihr gesamtes Vermögen nicht ausreichen würde, einen Mann in ihr Bett zu bekommen. Obwohl sich Nora ein dickes Fell zugelegt hatte, war dieser Ausdruck sehr verletzend für sie.
Mit sechsunddreißig Jahren noch Jungfrau zu sein, war vom bitteren Geschmack der Endgültigkeit begleitet. Selbst wenn der Graf ihr Angebot angenommen hätte, wäre es nur eine Ehe auf dem Papier gewesen. Ihr ging es vorrangig um seinen Schutz und niemals darum, dass er …
Hätte sie es gewollt?
Sein Aussehen verhinderte vermutlich, dass er zum begehrtesten Junggesellen des Jahres avancierte. Die zwei dicken Narben, die asymmetrische Form seines Mundes, die große Nase – er war bestimmt alles andere als ein Mädchenschwarm. Dennoch hatte er eine starke Ausstrahlung, die Stellen an Nora vibrieren ließ, derer sie sich niemals zuvor bewusst gewesen war.
Durch puren Zufall hatte sie von der geplatzten Hochzeit erfahren. Offiziell war in der Presse nur von einer einvernehmlichen Trennung die Rede gewesen.
»Es wäre ein Riesenfehler«, hatte die Braut in einem Interview erklärt.
»Zum Glück haben wir das noch rechtzeitig erkannt.« Der Graf hatte sich jeglichen Kommentars enthalten und lediglich die Ausführungen seiner Ex-Braut bestätigt.
Doch Nora hatte ein wenig mehr erfahren. Am Tisch der Konditorei in Bad Hofgastein, die von ihrer Stiefmutter betrieben wurde, saß eine Klatschreporterin. Die Hochzeit war erst am Vortag in aller Hast abgesagt worden. Eine Hotelangestellte hätte eine heftige Auseinandersetzung in der Hochzeitssuite belauscht, die das Paar schon einen Tag vor dem Ereignis bezogen hatte. Ganz so friedlich war die Trennung offenbar nicht verlaufen. Kein Wunder, einen Tag vor der Trauung! Da konnte nur ein Knüller dahinterstecken. Der Graf war gleich darauf abgereist und hatte bleich und komplett fertig ausgesehen. Die Klatschreporterin bedauerte, dass sie nichts berichten durfte, weil ihr Chef es untersagte.
Nora hatte sich jedoch die Geschichte zusammengereimt. Ihrer Meinung nach musste der Graf eine unangenehme Seite an seiner Verlobten entdeckt haben, sodass ihm eine Heirat unmöglich war. Vielleicht hatte sie ihn betrogen? Oder ihn um Geld gebracht? Firmengeheimnisse weitergegeben? Irgendein Vertrauensbruch musste passiert sein. Seine Ex-Verlobte war daraufhin von der Bildfläche verschwunden und hielt sich an einem unbekannten Ort im Ausland auf. Auch das war für Nora ein Zeichen, dass Giulia Caspari der schuldige Teil an dem Zwist war.
Die Trennung war jedoch für Heim-Backwaren nicht förderlich gewesen. Giulia Caspari stammte aus einer renommierten italienischen Weindynastie. Die Regel, dass Geld zu Geld kam, schien sich durch eine Verbindung der beiden bestätigt zu haben.
Diese Ausgangslage war Nora passend erschienen, dem Grafen ihre Offerte zu unterbreiten. Sie hatte wochenlang über einem Joint-Venture-Vertrag gesessen, um eine Grundlage für die Verhandlungen zu haben.
Wo war ihre Mappe überhaupt? Mit Schrecken bemerkte sie zum ersten Mal, dass sie nur den Laptop eingepackt, ihre Unterlagen hingegen liegen gelassen hatte. Ganz toll! Nein, sie würde nicht anrufen, bestimmt nicht. Diese Genugtuung wollte sie dem Grafen nicht geben. Dabei hatte sie geglaubt, dass sie den Geschäftsmann in ihm überzeugen und er über ihr Aussehen hinwegsehen könnte.
Aber das alles war nicht wirklich durchdacht. Aus welchem Grund sollte er sie heiraten? Bei ihren Überlegungen war ihr entgangen, was es für ihn bedeuten müsste, sich mit ihr bei der Hochzeit blicken zu lassen. Er hätte sich unbeschreiblichem Spott ausgesetzt.
Sie hatte nur an ihre eigenen Vorteile gedacht. Ans Geschäft und dass Isabella aufhören müsste, ihr zuzusetzen. Mit einem starken Ehemann im Hintergrund hätte sie weiterhin den Erfolgskurs von Spatz-Schokoladen beibehalten können. Mit einer Ehe auf dem Papier, in der jeder seiner Wege ginge und dem Partner Freiheiten ließe.
Theorie war eben etwas anderes als Praxis! Wie hatte sie annehmen können, dass das funktionieren könnte? Dass der vornehme Graf nicht schon längst wieder eine Braut in Aussicht hatte? Oder gar keine mehr wollte?
In den letzten Jahren hatte sie sich einen Eispanzer zugelegt. Eine Frau in ihrer Position und mit ihrem Aussehen musste mit Kränkungen rechnen und fertig werden. Und doch ließen sie die Bemerkungen hinter ihrem Rücken nicht unberührt. Der Spitzname ›Walküre‹ traf sie weniger als das Adjektiv ›kalt‹ davor.
Das war sie nicht. Obwohl sie allen diese Seite zeigte. Unantastbar zu sein.
Sie hatte sich von diesem Tag zu viel versprochen, tatsächlich gehofft, dass ein reicher Firmenchef sie heiraten würde, und sei es nur auf dem Papier. Wie konnte sie das nur denken? Kein einziger Mann interessierte sich ernsthaft für sie. Zum Glück hatte Heim abgelehnt! Schließlich raffte sie sich auf, schüttelte ihre Schuhe von den Füßen und zog ihren Hosenanzug aus. Nach eingehender Beratung in eleganten Modehäusern in Salzburg hatte sie seriöse Kleidung gewählt, geschäftsmäßig und nicht zu aufgetakelt. Sogar in Übergrößen fanden sich Kleider und Kostüme. Aber aus einem Walross ließ sich beim besten Willen keine Gazelle machen.
Sie schleppte sich aus der Dusche und trocknete ihren verhassten Körper ab. Sie schlug nach ihrem stämmigen Vater. Früher war sie Mitglied des Schwimmclubs gewesen und hatte an zahlreichen Meisterschaften teilgenommen. Auch während ihres Studiums in Wien hatte sie versucht, ihre Trainingseinheiten einzuhalten. Erst mit ihrem Eintritt in die Firma vor sechs Jahren war ihr die Zeit knapp geworden.
Mit Schaudern dachte sie an die diversen Diätprogramme, die sie absolviert oder abgebrochen hatte. Auf Dauer konnte sie nichts durchhalten. Sie hätte schon lange wieder mit dem sportlichen Ausgleich beginnen müssen.
Das Bild ihres Vaters stand auf dem Schrank. Sie holte es herunter und hielt es vor sich hin.
»Ach, Papa, was soll ich nur tun?« Tränen tropften ihre Wangen herab und sie ließ es zu. »Es war eine dumme Idee, aber ich musste es probieren! Du hättest einfach noch nicht sterben dürfen!«
Seit zwei Jahren hatten ihr Vater und sie die Fusion mit Heim-Backwaren geplant, allerdings ohne Hochzeit. Die Sache war durchdacht und bis ins Detail vorbereitet.
Der Graf hatte es nicht einmal angesehen.
Jäh wurde ihre Konzentration wieder auf den Bildschirm vor ihr gelenkt. Renate meldete sich ein zweites Mal.
»Tante Nora!« Jetzt war ein kleines Mädchen mit dunklen Locken zu sehen.
»Amy, wie geht es dir?« Nora war sofort abgelenkt und aufgemuntert.
Sie plauderte gerne mit Renates Tochter, die zweisprachig aufwuchs.
»Wann fliegst du zu uns?«
»Bald, Schätzchen!« Nora hatte schon lange versprochen, einmal zu Besuch zu kommen.
Amy erzählte ihr kurz über ihren Hund, bevor sie wieder verschwand.
»Wenn nur die Zeit nicht so knapp wäre!« Nora kam mit Renate zum ursprünglichen Thema zurück. »Im November ist die Inhaberversammlung!«
»Das war doch an der Uni deine Spezialität, Nora! Du hast in Sekunden die allerbesten Sachen geschafft!«
Renate war die Beste. Sie hatte es immer verstanden, Noras leeren Akku aufzufüllen.
Danach ging es ihr wesentlich besser. Sie würde es schaffen.
4 Überraschender Besuch
Ihre Stiefmutter Isabella kam ungelegen. Bevor Noras Vater gestorben war, hatte sie sich selten bei Spatz-Schokoladen blicken lassen. Dafür war sie jetzt ständig da. Sie saß ihr gegenüber und Nora hätte sich gerne um dieses Gespräch gedrückt. Sie hatte so viel um die Ohren.
Die Sitzung der Gesellschafter rückte näher und Nora wusste nicht, wie sie agieren sollte, damit die Mitinhaber sie weiterhin als Geschäftsführerin unterstützten. Ihr Vater hatte ihr den Firmenvorsitz an seiner Stelle überlassen, aber alle zwei Jahre wurde neu gewählt. Es würde knapp werden. Philipp und seine Mutter würden auf jeden Fall gegen sie stimmen. Sie war sich bewusst, dass Isabella bereits mit sämtlichen Beteiligten telefoniert hatte. Freilich hatten die Hauptinhaber noch nie viel von der zweiten Ehefrau von Noras Vaters gehalten, doch sie waren nicht mehr die gewieften Füchse von früher. Philipp würde in gewohnt eloquenter Form Argumente vorbringen. Tatsächlich standen die Chancen schlecht für Nora. Es war ungerecht! Seit dem Tod ihres Vaters hatte sie die Qualitätsproduktlinie weitergeführt. Zusammen mit Philipp hatte sie erreicht, dass die Klammsteiner Herzen auch in einigen Konditoreien in der Stadt Salzburg vertrieben wurden.
Nora versuchte, sich auf Isabellas Worte zu konzentrieren.
»Ich bin wirklich besorgt um dich! Der Stress, dein Gewicht und dieser Sabotageakt. Dabei könntest du es dir leichter machen. Ein Mann ist als Führungsperson wesentlich besser geeignet.«
Nora wusste bereits, worauf das hinauslaufen würde.
»Philipp ist tüchtig, aber gerade einmal zwei Jahre in der Firma. Er wäre mit der Leitung überfordert.«
»Und du bist es nicht? Die Essigaffäre ist vier Monate her und du hast den Übeltäter immer noch nicht gefunden!«
»Die Polizei arbeitet daran.«
Isabella rollte effektvoll mit ihren Augen. Nora musste neidvoll anerkennen, dass sie auch mit über fünfzig Jahren eine wunderschöne Frau war. Selbstverständlich trug sie Konfektionsgröße sechsunddreißig und das raffiniert geschnittene Kleid unterstrich ihr jugendliches Aussehen.
»Die Polizei interessiert sich wohl kaum für so eine lächerliche Sache. Ich meine, was ist schon groß passiert? Mit Essig kann man niemanden umbringen. Deswegen fällt es in deinen Bereich. Da es sich zweifelsohne um einen Mitarbeiter handelt, sind rigorose Maßnahmen zu Abschreckung angesagt.«
»Die da wären?«
»Gehaltskürzungen. Oder kündige das gesamte Team, es gibt Arbeitslose zuhauf.«
Bei so einer überheblich dummen Bemerkung krampfte sich in Nora alles zusammen. Sie stand auf.
»Ich muss zu Rudi in die Manufaktur hinüber.«
»Der kann warten! Mir tut das Herz weh, wenn ich dich heute hier so sehe, Nora! Du warst immer schon korpulent, aber als Jugendliche hast du zumindest ein wenig Sport betrieben.«
Ein wenig? Immerhin war sie Leistungsschwimmerin gewesen.
»Du bist als Firmenchefin das Aushängeschild von Spatz-Schokoladen. Angesichts dieses unseligen Vorfalls erschien dein Foto mehrmals in der Zeitung. Gott sei Dank nur in der Lokalpresse! Es schreit quasi alle an, dass Schokolade fett macht. Wir wollen sie doch verkaufen!«
Wir? Eine interessante Aussage einer Frau, die bis zu diesem Zeitpunkt zwar gut von den Einnahmen gelebt hatte, sich aber herzlich wenig dafür interessierte, wie diese zustande kamen.
»Die Verkaufszahlen stimmen. Und was ist passiert, Isabella? Wir haben momentan einen temporären Lieferstopp an die Konditoreien in Salzburg. Der Hauptverkauf findet lokal in unserer Region statt.«
»Du hast nicht mitbekommen, dass die Leute auch hier zweifeln.« Isabella stand auf und legte ihre Hand auf Noras Oberarm. »Philipp hat eine bildschöne Frau und bald einen Sohn! Seine Familie wäre die weitaus bessere Werbung für Spatz-Schokoladen.«
In Nora verkrampfte sich etwas.
»Ich bin Viktors leibliche Tochter und Vater hat mir die Firma vermacht.«
»Er hat Philipp seinen Namen gegeben und ihn als Sohn anerkannt.«
»Das stimmt. Aber Namensgebung ist nicht gleich Adoption. Da Philipp noch einen blutsverwandten Vater hat, ging das nicht.«
Isabella wurde weiß vor Zorn und das Make-up trat deutlich hervor.
»Du dicke Schlampe wirst nicht ewig hier am Hebel sitzen!«
Damit raste sie aus der Türe. Nora sank hinter ihrem Schreibtisch auf den Stuhl und zog die unterste Schublade auf, gefüllt mit Schokoriegeln und Pralinen. Nach dieser Attacke brauchte sie Trost. Nora wusste einfach nicht, wie sie mit ihrer Stiefmutter umgehen sollte. Sie angelte einen Riegel, zog die Schutzfolie ab und wollte gerade hineinbeißen.
Annette, Noras Assistentin, stand in der Türe. »Was für eine schreckliche Frau!«
Schuldbewusst ließ Nora den Schokoriegel wieder in die Schublade fallen und erhob sich hastig.
Warum eigentlich? Als persönliche Assistentin wusste Annette natürlich von ihrem Süßigkeiten-Reservoir. Doch Nora schämte sich. Dass der Graf sie abgewiesen hatte, nagte an ihr.
Wäre sie schlank, hätte ihr Angebot ihm vermutlich sogar geschmeichelt!
»Ich bin bei Rudi!«
Sie zog ihren weißen Mantel an, um der Fabrikation einen Besuch abzustatten. Danach würde sie zum ersten Mal in dieser stressreichen Woche früher aufhören. Vielleicht bekam sie über das Wochenende die große Erleuchtung.
Ein Gespräch mit Rudi würde sie beruhigen. Er war immer eine Art zweiter Vater gewesen. Klein und wendig, sein Haar etwas schütter geworden im Lauf der Jahre, mit wunderbaren Klavierspielerfingern, mit denen er seine kreativen Schokoladeschöpfungen herstellte.
Sie erreichte die unteren Räume. In der Schleuse angelte sie sich aus dem Regal Überschuhe und eine der weißen Plastikhauben. Strenge Hygienemaßnahmen mussten eingehalten werden. Überraschenderweise war Rudi, der Chef-Chocolatier, nicht allein in der Halle. In Schutzanzüge eingemummte Menschen gruppierten sich um ihn. Spatz-Schokoladen veranstaltete hin und wieder Führungen.
»Was ist das für eine Gruppe?«, erkundigte sie sich bei Swantje, dem blonden Mädchen aus Norddeutschland, das ihre Lehre absolvierte.
»Ein Volleyballverein aus Kitzbühel. Sie sind bereits seit drei Monaten angemeldet. Allerdings kam heute einer dazu, der gefragt hat, ob er sich anschließen darf. Der Große ganz hinten.«
Nora musste sich tief zur kleinen und zierlichen Swantje hinunterbücken. Immer wenn sie neben anderen Frauen stand, kam sie sich noch monströser vor.
Der von Swantje bezeichnete Mann beugte sich gerade vor. Er trug vorschriftsmäßig einen Mundschutz und eine Haube, aus Gründen der Hygiene. Rudi demonstrierte die spezielle Streifenglasur, und Praktikantin Gabi hielt auf einem Silbertablett Klammsteiner Herzen zur Verköstigung bereit. Irgendetwas an diesem Besucher kam Nora bekannt vor. Kannte sie ihn? Da hob er den Blick. Unter seiner Mundmaske blieb sein vernarbtes Gesicht verborgen, doch die Augen verrieten ihn.
Graf Nikolaus Heim von Werlenbach.
Was tat er hier? Sie näherte sich der Gruppe. Warum stand er in ihrer Manufaktur und hatte sich dieser Führung angeschlossen? Sie betrat den Raum. Als Rudi sie erblickte, brach er seinen Vortrag kurz ab.
»Ich möchte Ihnen die Leiterin von Spatz-Schokoladen vorstellen, Frau Doktor Nora Spatz. Ihr Urgroßvater war der Erfinder der speziellen Streifenglasur.«
Alle applaudierten pflichtschuldig, und Nora hatte wie immer das Gefühl, unverdiente Früchte zu ernten. Obwohl sie selbst leidenschaftlich gerne Schokolade aß, war sie bei der Herstellung nicht zu gebrauchen gewesen. Letztendlich hatte sie sich für ein Wirtschaftsstudium entschieden, allerdings nicht zum Schlechtesten der Firma.
Warum nur musste ihr Vater mit fünfundsechzig Jahren einem Herzinfarkt erliegen? Es war komplett unerwartet gekommen. Sie hatten an diesem Abend zusammen gelacht. Ihre Vorarbeiten für das neue Projekt waren fast beendet gewesen. Die Bezeichnung ›Kuss‹ für die Kekspraline stand für sie fest, nur was vor dem ›Kuss‹ kommen sollte, war noch unklar. Sie hatten die albernsten Namen erfunden, von ›Morgenkuss‹ über ›Sommerkuss‹ bis zu ›Schmetterlingskuss‹ oder ›Schneekuss‹.
Viktor Spatz hatte schließlich selbst Heim-Backwaren vorgeschlagen, da deren Qualitätsprodukt die Schokolade von Spatz auf das Beste ergänzen würde.
An eine Hochzeit hatte er dabei nicht gedacht, dies wäre zu seinen Lebzeiten auch unnötig gewesen. Hätte er geahnt, dass Isabella und Philipp seiner Tochter das Leben schwer machen würden, hätte er sie mit geringeren Anteilen bedacht. Plötzlich fiel ihr die Stille auf, die Gruppe hatte sich in den Nachbarraum begeben. Sie schüttelte ihre Trance ab und wollte folgen.
»Hier steckst du!«
Nora drehte sich unwillig um. Isabella. Schon wieder!
»In dem weißen Outfit sehen alle gleich aus, bis auf dich. Ein Walross ist nicht zu übersehen!«
Philipp stand neben seiner Mutter, einen halben Kopf kleiner als Nora, und trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Mit seinen blauen Augen und dunkelblonden Haaren war er auf jeden Fall ein attraktiver Bursche. Warum drückte er sich dermaßen in den Schatten seiner Mutter?
»Ich möchte kurz mit dir sprechen, Nora!«
Philipp hatte sich wieder einmal von seiner Mutter anstacheln lassen. Widerwillig folgte sie den beiden in das angrenzende Büro von Rudi.
»Du wirst bei der Sitzung kaum Chancen haben, die Firmenleitung zu verteidigen.«
»Warum tust du das, Philipp? Von deiner Mutter habe ich es erwartet, aber nicht von dir!«
»Du bist unfähig!«
»Mutter!«
»Mein Vater hat mir die Leitung aus gutem Grund übertragen!«
»Dein Vater war schon etwas zurück in seinen Ansichten.« Isabellas Stimme schnitt durch den Raum, während sie sich gekonnt demonstrativ auf der Kante von Rudis Schreibtisch niederließ. »Sonst hätte er dich nie und nimmer eingesetzt. An den Kopf einer Firma gehört ein Mann.«
»Das klingt furchtbar aus dem Mund einer Frau.« Nora konnte es sich nicht verkneifen.
»Es gibt wenige Frauen, die dafür geschaffen sind, an der Spitze zu stehen. Auf jeden Fall sind das Damen von Format. Ein gepflegtes Aussehen, ansprechendes Erscheinungsbild und Kompetenz in allen Lagen.«
Nora war für einen Moment sprachlos. Isabella stieß ihren Sohn an.
»Sag, was wir besprochen haben.« Nora fand ihre Balance wieder.
»Gute Idee, Brüderchen. Sprich dich aus! Was hat Mutti für dich entschieden?«
Philipp räusperte sich. Er wirkte dermaßen verlegen, dass er Nora fast schon leidtat.
»Du trittst als Leiterin zurück und lässt mich ans Ruder. Dafür verspreche ich dir, dass du inoffiziell weiterhin …«
Auf gut Deutsch: Sie sollte wie bisher die Arbeit erledigen und Philipp würde den Firmenchef spielen.
»Niemals! Du und deine Mutter, ihr würdet die Firma in den Bankrott treiben.«
Philipp wurde blass. Einer Diskussion mit Nora war er nicht gewachsen. Seine Mutter hatte damit jedoch keine Probleme.
»Unter welcher Leitung sind die Klammsteiner Herzen verdorben? Das wird uns einiges von unserer Reputation kosten, und wir müssen die Händler davon überzeugen, wieder Spatz-Produkte zu kaufen. Ich weiß, wie kritisch die Salzburger sind, denn mir allein hast du diesen Deal zu verdanken.«
Das stimmte. Isabella hatte durch die Kontakte ihrer Konditorei den Handel eingefädelt, dass in drei Salzburger Kaffeehäusern die Klammsteiner Herzen verkauft wurden. Auch wenn die Vereinbarungen dann von Nora ausgehandelt worden waren.
»Seit wann ist der Chef der Firma für einen Sabotageakt verantwortlich? Der Täter wird gefunden werden …«
»Nach über vier Monaten?«