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UND PLÖTZLICH WAR ER NICHT MEHR DA
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion verschwand Melanies Mann spurlos und ließ sie und ihre beiden gemeinsamen Kinder zurück. Zudem räumte er alle gemeinsamen Konten leer. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Es kommt es noch schlimmer: Ihr Chef Konstantin unterstellt ihr, interne Informationen weitergegeben zu haben und entlässt Melanie, ohne Chance, sich erklären zu dürfen, fristlos aus ihrem gutbezahlten Job.
Als sie auch noch ihr Haus verliert, hat Melanie alles verloren. Eine zufällige und zugleich unerwünschte Begegnung mit Konstantin scheint ihr einziger Rettungsanker zu sein.
DAS GEHEIMNIS IN DEINEM HERZEN
Iolanthe und Reggie treffen sich an einer Bar. Er findet sie hinreißend und offenbar möchte auch sie ihn sofort vernaschen. Es ist, als hätten sich zwei Menschen zufällig und mit dem gleichen Ziel an einem Ort getroffen: Eine ungezwungene, heiße Liebesnacht.
Aber der Schein trügt!
Iolanthe weiß genau, wem sie da gerade gegenübersitzt. Reggie ist nämlich der Chef ihrer besten Freundin, der als Schwerenöter bekannt ist. In einem Gespräch zwischen den beiden Freundinnen, wurde er zu ihrem Wetteinsatz, denn Iolanthe ist der Meinung, dass sie jeden dazu bringen könne, sich in sie zu verlieben – selbst einen Frauenheld wie Reggie.
Doch schon bald werden beide feststellen, dass die Liebe ihren eigenen Regeln folgt!
FÜR DIE LIEBE MUSST DU NICHT PERFEKT SEIN
Juliane ist Studentin an einer der renommiertesten Modeschulen Europas in Berlin. Gerade steht der wichtigste Wettbewerb ihres Lebens vor der Tür: Edda-Dessous verspricht dem Gewinner eine Anstellung in ihrem Design-Team und die Umsetzung der Kollektion. Das wäre eine offene Tür in die Welt der Modeschöpfer. Wäre da nicht Tanja, Julianes größte Konkurrentin, die mit allen Mitteln versucht, ihre Kollektion zu sabotieren. Aber an Julianes Seite steht ihr Freund Rene, ein gefragter Modefotograf, der ebenfalls dabei ist, die Karriereleiter zu erklimmen. Gemeinsam scheinen sie unschlagbar! Doch an einem Abend, nur wenige Wochen vor dem Wettbewerb, muss Juliane erkennen, dass ihre Beziehung eine Lüge war, und ihre Konkurrentin noch viel durchtriebener ist, als sie es je für möglich gehalten hätte.
Sie glaubt, alles verloren zu haben, doch dann trifft sie auf Guido …
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LOTTE R. WÖSS
Über die Autorin:
Lotte R. Wöss, geboren 1959 in Graz, absolvierte nach der Matura die Ausbildung zur Diplom-Krankenschwester.
Schon als Kind schrieb und dichtete sie, es folgten Artikel und Gedichte für kleine Zeitungen, doch erst im reiferen Alter fand sie zurück zu ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, und veröffentlichte ihren Debütroman »Schmetterlinge im Himmel« als Selfpublisherin. Mittlerweile hat sie zahlreiche Liebesromane, Krimis und auch Kurzgeschichten veröffentlicht, sowohl als Selfpublisherin als auch in Verlagen.
Ihr bevorzugtes Genre bleiben aber Liebesgeschichten mit Tiefgang. Die Entwicklung, die ein Mensch machen kann, die Möglichkeit, an sich selbst zu arbeiten und einen Reifeprozess durchzumachen – das ist für Wöss Thema Nummer eins.
Lotte R. Wöss
Teil 2
Liebesroman-Reihe
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Oktober 2023 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Michael Lohmann
https://www.worttaten.de/
Korrektorat: Enya Kummer
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Illustrationen Band 1: Illustrationen: Adobe Stock ID 74737687, Adobe Stock ID 111938461, Adobe Stock ID 313477651, Adobe Stock ID 297131980, Adobe Stock ID 318353546, Adobe Stock ID 251022622, Adobe Stock ID 61736678 und freepik.com
Illustrationen Band 2: Adobe Stock ID 111938461, Adobe Stock ID 74737687, Adobe Stock ID 322692986, Adobe Stock ID 275062166, Adobe Stock ID 212774127, Adobe Stock ID 274028334 und freepik.com
Illustrationen Band 3: Adobe Stock ID 276217349, Adobe Stock ID 366070673, Adobe Stock ID 74737687, Adobe Stock ID 111938461 und freepik.com
LOTTE R. WÖSS
Und plötzlich war er nicht mehr da
Über das Buch:
Melanie kann es immer noch nicht fassen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion verschwand ihr Mann spurlos und ließ sie und ihre beiden gemeinsamen Kinder zurück. Zudem räumte er alle gemeinsamen Konten leer. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Drei Tage nach diesem Vorfall kommt es noch schlimmer: Ihr Chef Konstantin unterstellt ihr, interne Informationen weitergegeben zu haben und entlässt Melanie, ohne Chance, sich erklären zu dürfen, fristlos aus ihrem gutbezahlten Job.
Der nächste Knall lässt nicht lange auf sich warten, denn ihr wundervolles Haus, wurde hinter ihrem Rücken von ihrem verschwundenen Ehemann verkauft und die neuen Besitzer möchten pünktlich einziehen. In kurzer Zeit hat Melanie alles verloren. Als dann auch noch ihr Sohn Max in die falschen Kreise abzurutschen droht, muss sie etwas unternehmen. Eine zufällige und zugleich unerwünschte Begegnung mit Konstantin scheint ihr einziger Rettungsanker zu sein.
Und plötzlich ist er nicht mehr da ist der vierte Teil der Einfach-Liebe-Reihe. Alle Bände sind in sich abgeschlossen und durch wiederkehrende Figuren miteinander verbunden. Sie können unabhängig voneinander gelesen werden.
Der Roman ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel »Ein Wiedersehen für immer«.
Lotte R. Wöss
Einfach Liebe
Band 4
Liebesroman
Konstantin hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde. Der Gang hierher hatte ihm einiges an Selbstüberwindung abverlangt. Während der Ostertage hatte er mit sich selbst verhandelt. Schließlich war er zur Einsicht gelangt, es seiner ehemaligen Assistentin schuldig zu sein.
Die fristlose Entlassung vor zehn Monaten war ungerecht gewesen. Und ja, sie war grausam. Jedenfalls sah er das heute so. Es passierte praktisch nie, dass er jemanden dermaßen unfair behandelte. Doch bei Melanie hatte er genau das getan. Dabei hatte er sie als seine Assistentin über alle Maßen geschätzt.
Dem Hinauswurf hatte er eine zusätzliche Demütigung hinzugefügt, indem er sie mit der Security aus dem Haus geleiten … nein, werfen ließ.
Das schlechte Gewissen erdrückte ihn. Weshalb war er so brutal vorgegangen?
Er wusste es haargenau. Melanie hatte ihm etwas bedeutet. Mehr als eine Angestellte es dürfte.
Konstantin war stolz darauf gewesen, als der besonnene Stratege der Familie zu gelten. Seine Entscheidungen traf er auf keinen Fall leichtfertig und nie, bevor er sämtliche Pros und Kontras abgewogen hatte. Er war Jurist und es galt die Regel: Im Zweifel für den Angeklagten. Melanie hatte er diesen Grundsatz seiner Zunft nicht zugebilligt.
Und nun wollte er seinen Fehler eingestehen. Vielleicht wieder etwas gutmachen.
Da stand er nun, an einem Ort, der ihm Unbehagen einflößte. Das Haus wirkte renovierungsbedürftig, die schäbige Haustür aus Holz mit einem blinden Glasfenster sah aus, als führte sie in einen Schuppen. Der Eindruck wurde im Inneren verstärkt durch ein klappriges Fahrrad, einen kaputten Kinderwagen, dem ein Rad fehlte sowie mehrere Gerümpelteile, die sich im Flur verteilten. Die Treppenstufen waren ausgetreten. Einen Aufzug suchte man vergeblich. Konstantin wehrte sich gegen das Bedürfnis, Plastiktüten über seine neuen Oxford Shoes von Ferragamo zu streifen. Im Treppenhaus begegnete er einem Kaugummi kauenden Mädchen, das ihn von oben bis unten musterte.
Ein Mann im maßgeschneiderten Anzug war hier offenbar Sehenswürdigkeit Nummer eins. Konstantin ärgerte sich, dass er nicht erst zu Hause vorbeigefahren war, um sich nach der Arbeit umzuziehen. Jetzt fühlte er sich fehl am Platz.
Was war, um Himmels willen, passiert? Seinen letzten Informationen zufolge war Melanie wohlhabend verheiratet gewesen. Doch in der großzügig angelegten Villa in Starnberg hatten ihm fremde Menschen die Tür geöffnet. Zum Glück hatten ihm die neuen Besitzer Melanies Adresse geben können.
Warum wohnte Melanie in diesem heruntergekommenen Mietshaus? War das Café, in dem Konstantin sie letzten Monat überraschend als Bedienung angetroffen hatte, wirklich ihr jetziger Arbeitsplatz?
Er tastete sich drei Stockwerke hoch, immer auf den Boden achtend, um nicht auf einen Kaugummi oder Schlimmeres zu treten.
Melanie Marland. Ihr Namensschild. Wobei Schild übertrieben war, vielmehr befand sich ein Zettel neben dem Klingelknopf, der auch noch zerknittert aussah. Konstantin holte tief Luft und klingelte. Niemand entschuldigte sich gern, wenn er Mist gebaut hatte. Er war keine Ausnahme.
Die Tür wurde zögernd geöffnet und ein kleines Mädchen mit Zöpfen steckte seinen Kopf heraus.
Melanies Tochter. Wie hieß sie gleich?
»Hallo!« Konstantin hatte sich bemüht, Abstand zu seiner Assistentin zu halten. Daher waren seine Kenntnisse über ihr Privatleben minimal. »Ist deine Mama da?«
Lärm im Hintergrund.
»Ich möchte nicht, dass du schon wieder zu diesen Kerlen gehst. Bitte, Max ...« Melanie, ihr Tonfall klang frustriert.
»Na und? Mir doch egal!« Die patzige Stimme eines Jungen.
»Max, das sind randalierende, grölende ...«
»Sie sind meine Freunde! Immer machst du alles mies.« Ein Jugendlicher mit halblangen Haaren stürmte auf ihn zu. Er stieß seine Schwester weg und trat mit dem Fuß die Tür ganz auf. Konstantin wich gerade rechtzeitig zur Seite, der Halbwüchsige hätte ihn beinahe umgerannt in seiner Hast, die Treppe hinunterzueilen.
»Max ...!« Ein verzweifelter Aufschrei.
Und dann stand sie plötzlich vor ihm, ohne Make-up, die honigblonden Haare lockten sich um ihren Kopf. Obwohl ihre Kleidung lediglich aus Jeans und einem ausgeleierten T-Shirt bestand, wurden seine Knie weich. Ihre Ausstrahlung war unvermindert vorhanden und die Wirkung auf ihn genauso umwerfend wie eh und je.
Sie erstarrte kurz, dann traf ihn ein vernichtender Blick. Sie zog ihre Tochter zurück und wollte die Tür zuziehen. Konstantin war schneller, er betrat kurz entschlossen die Wohnung.
»Was willst du hier?« Ihre Miene war abweisend. »Möchtest du noch mal mit deinen sündteuren Schuhen auf mich treten und dich daran erfreuen, dass ich am Boden liege?«
»Das traust du mir zu?«
»Warum sonst bewegst du deinen Hintern hierher?«
»Um mich zu entschuldigen.«
Damit hatte sie nicht gerechnet, das erkannte er an ihrer Mimik. Nach einigen Sekunden beugte sie sich zu der Kleinen. »Lena, gehst du hinüber zu deinen Puppen? Carla muss bestimmt aufs Töpfchen.«
Das Kind drehte sich ohne Widerspruch um und verschwand im benachbarten Zimmer. Melanie schloss die Tür hinter ihr.
»Du willst dich tatsächlich entschuldigen? Der große Konstantin Heim von Werlenbach kommt in dieses Loch und bittet um Verzeihung?«
Er hatte ihren Sarkasmus verdient. Ohne jede Frage.
»Es tut mir wirklich leid, Melanie. Ich habe dir unrecht getan und ...«
»Weißt du jetzt, dass ich es nicht war? Toll! Gratuliere! Nach fast einem Jahr – grandios! Verdammt, du hast mir nicht einmal eine Verteidigung gelassen.«
Konstantins Wangen glühten. »Ich möchte es wieder gutmachen ...«
»Dass ich nicht lache!« Melanie stemmte ihre Arme in die Hüften. »Ich will dich nicht hier haben, Konstantin. Geh einfach.«
»Was ist geschehen, Melanie? Warum wohnst du hier mit deinen Kindern? Wo ist dein Mann? Weshalb arbeitest du in dieser fürchterlichen Bude, die sich Café schimpft?«
»Das geht dich überhaupt nichts an.«
»Du hast einen Bachelor in Wirtschaft. Du könntest ...«
»Was du nicht sagst!« Melanie wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Mit diesem verschlüsselten Arbeitszeugnis von dir?«
»Was soll das heißen?«
»Tu nicht so unschuldig! Das Zeugnis, das mir euer Personalchef ausgestellt hat, klingt auf den ersten Blick vorteilhaft, weil ein Arbeitszeugnis bekanntlich nicht ungünstig ausfallen darf. Aber die Formulierungen sind eindeutig. ›Durch ihr offenherziges Wesen war sie überall beliebt‹. Ich habe erst beim Arbeitsamt erfahren, was dieser Satz bedeutet. Nämlich, dass ich eine Plaudertasche bin, die illoyal ist. Und die Floskel: ›Das Arbeitsverhältnis wurde in beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst, wir wünschen alles Gute!‹ Super! Mit diesen überaus liebenswürdigen Abschiedsworten hatte ich absolut keine Chance. Und falls doch jemand interessiert war und bei euch angerufen hat, bekam er die Auskunft, wie treulos ich mich verhalten hätte. Kein Job für mich. Weißt du, was das bedeutet, wenn man zwei Kinder ernähren muss?«
Konstantin hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt nie den Kopf über die Form von Arbeitszeugnissen zerbrochen. Nächster Punkt auf seiner To-do-Liste: mit Herrn Bonner von der Personalabteilung sprechen.
»Was ist mit deinem Mann passiert?«
Melanies Miene verschloss sich. »Verschwinde! Ich komme auch ohne mildtätige Gaben zurecht.«
»Ich könnte dir deinen Job zurückgeben.«
»Und diejenige, die ihn jetzt hat, ebenso fristlos entlassen wie mich? Du bist ein Monster, Konstantin. Dort, wo andere ein Herz haben, ist bei dir ein Stein. Ein eiskalter Stein.«
Konstantin traf der Satz bis ins Mark. Ohne Widerstand ließ er sich über die Türschwelle schieben.
»Ich will dich nie wiedersehen. Und verzeihen kann ich dir nicht. Allerdings glaube ich keine Sekunde, dass dich das in irgendeiner Weise berührt.«
Konstantin fand sich vor der verschlossenen Tür wieder und hätte am liebsten seine Fäuste benützt, um dagegen zu schlagen.
Vermasselt.
Melanie starrte minutenlang auf die geschlossene Tür.
War das wirklich eben Konstantin gewesen? Vier Jahre war sie für ihn durchs Feuer gegangen, hatte sich glücklich geschätzt, den tollsten Chef der Welt zu haben. Vor allem seine besonnene, ruhige Art hatte sie tief beeindruckt. Sie hatte sich erlaubt, heimlich für ihn zu schwärmen. Natürlich mit gebotener Diskretion, denn er hatte nie anderes als berufliche Wertschätzung durchblicken lassen. Dennoch hatte sie sich in der irrigen Annahme befunden, sie würde ihm etwas bedeuten.
Bis zu jenem schrecklichen Tag, als ihr geliebter Chef ihr den Todesstoß gegeben hatte. Er hatte nicht wissen können, dass ihr Leben bereits vorher ein Scherbenhaufen gewesen war. Dass ihr Ehemann sie schändlich hintergangen hatte. Melanie fühlte sich immer noch dermaßen betrogen, dass sie nicht daran denken wollte. Damals hatte sie sich damit getröstet, dass sie ihre Arbeit hätte. Doch dann hatte ausgerechnet Konstantin ihr den letzten Rest an Boden unter den Füßen weggezogen.
Sie schloss die Augen und sah die Szene wieder deutlich vor sich, als wäre es gestern passiert und nicht vor zehn Monaten. Vierzig Wochen, in denen die Welt rund um sie jeden Tag ein Stückchen mehr zerbröselte.
Nichts am Morgen dieses 23. Juni 2016, einem Donnerstag, hatte sie auf die bevorstehende Katastrophe vorbereitet. Sie saß vor ihrem Computer und sollte später einen Vertrag für eine Kaufhauskette ausarbeiten. Konstantin hatte als Jurist der Familienfirma ›Heim Backwaren‹ eine enorme Verantwortung. Und sie hatte sein Vertrauen errungen. Zunehmend mehr Firmen-Interna waren in ihre Kompetenz übergegangen. Sie entwickelten sich zum perfekten Team. Glaubte sie zumindest. Konstantin hatte sie mit respektvoller Freundlichkeit behandelt, eine gewisse Grenze war nie überschritten worden. Melanie hatte ihn aus der Ferne verehrt und gedacht, sie würde ihn kennen, wenigstens ein wenig. Sie hatte sich geirrt.
Wie üblich checkte sie die Mails, druckte Verträge aus und sammelte Unterlagen für Besprechungen zusammen. Selbst als er sie ins Büro gerufen hatte, mit einer Stimme, die ungewohnt barsch aus der Sprechanlage klirrte, ahnte sie nichts von der Lawine, die kurz darauf auf sie zurollte.
»Melanie, deine Zeit hier bei uns ist zu Ende.« Sämtliche seiner Worte, ohne jedes Gefühl, hatte sich in ihrem Gedächtnis eingebrannt. Am meisten getroffen hatte sie die kalte Ruhe, mit der er sie ihr entgegengeschleudert hatte.
»Was meinst du damit?« War das ein Witz? Von Konstantin, der nie anders als ernst gewesen war? Wohl kaum.
»Du hast mich verstanden.« Er sah ihr direkt in die Augen, sie hielt dem Blick stand. »Ich bin enttäuscht von dir, dass du tatsächlich Firmen-Interna weitergetragen hast.«
Sie befeuchtete ihre Lippen und musste zweimal ansetzen, ehe sie ein paar Worte herausbrachte. »Das kannst du doch nicht glauben! Was wirfst du mir vor?«
»Du hast über den Ehevertrag von meinem Bruder Klaus mit seiner Frau getratscht. Ausgerechnet seiner Ex-Freundin gegenüber. Und jetzt pack deine Sachen. Das restliche Gehalt wird dir überwiesen.«
»Aber ...«
Was sollte sie getan haben? Meinte er Giulia Caspari, diese italienische Ziege, die stets aufgetakelt hier herumgestiefelt war, als gehörte ihr der Laden? Sein Bruder Klaus hatte sich glücklicherweise vor Monaten von ihr getrennt. Seither hatte Melanie die Dame nie mehr zu Gesicht bekommen, auch vorher hatten sie höchstens einen höflichen Gruß ausgetauscht.
»Ich diskutiere nicht.« Konstantin senkte den Kopf und beschäftigte sich demonstrativ mit den Papieren auf seinem Schreibtisch.
Sie stand belämmert da, Übelkeit stieg in ihr auf. Das durfte nicht wahr sein! Sie brauchte den Job dringend. Wer hatte sie denunziert? Niemals hätte sie getratscht, schon gar nicht zu einer Ex von irgendwem.
»Konstantin, bitte ...!«
»Ich will dich nicht mehr sehen.« Er griff zum Hörer. »Arndt? Schick sofort zwei Männer zu mir.«
Arndt Steiger war der Sicherheitschef. Sie konnte kaum atmen. Das passierte nicht wirklich!
»Ich bin unschuldig.«
Konstantin sah nicht auf und vertiefte sich in einen Brief. Melanie hätte am liebsten geweint, aber das konnte sie sich nicht leisten. Sie musste kämpfen. Ihre Zukunft hing davon ab.
Sie trat nah an seinen Schreibtisch und beugte sich vor. »Bitte, Konstantin, ich habe mit niemandem gesprochen. Traust du mir das ernsthaft zu? Denkst du wirklich, dass ich so etwas tun könnte ...?«
Sie wurden durch lautes Klopfen an der Tür unterbrochen, zwei Beamte von der Security traten ein.
»Passen Sie auf, dass Frau Marland ausschließlich ihre Privatsachen mitnimmt. In zehn Minuten will ich sie nicht mehr auf dem Firmengelände haben.« Konstantins Stimme klang so eisig, dass Melanie fröstelte.
»Kommen Sie.« Einer der Sicherheitsleute zog sie zur Tür. Sie warf Konstantin, dem Chef, dem sie vertraut hatte, einen letzten Blick zu. Er sah nicht mehr auf.
Ihre Augen waren vor Tränen blind, als sie ihre Fotos und ein paar Privatsachen vom Schreibtisch nahm und in eine Tüte steckte.
An den demütigenden Weg erinnerte sie sich ebenfalls. Flankiert von zwei stämmigen Kerlen erschien ihr die Strecke dreimal so lang. Sie wurde von einigen Kollegen beobachtet, die gewiss alle vermuteten, sie hätte Geld geklaut oder sonst etwas Kriminelles verbrochen. Was für eine Demütigung!
Sie hatte nichts getan. Und nun war sie zusätzlich auch noch arbeitslos.
»Mama, ist der Mann weg?« Lena stand vor ihr und riss sie damit aus der Vergangenheit. »Wer war das denn?«
»Mein früherer Chef.« Lena war erst sieben, zu klein, um das ganze Ausmaß des verhängnisvollen Verlustes ihres Jobs zu begreifen.
Er wollte sich entschuldigen. Wirklich?
Sie hatte Horrormonate hinter sich. Dank des geschliffen formulierten Arbeitszeugnisses war es ihr nicht möglich gewesen, eine adäquate Stelle zu bekommen. Schließlich hatte sie aufgegeben und nahm alles, was sie kriegen konnte. Sie schuftete wie ein Pferd und am Ende war es trotzdem zu wenig. Kindergeld und Mietzuschuss reichten gerade für die Wohnung, das Geld, das ihre beiden Jobs einbrachten, investierte sie in Lebensmittel und Kleidung, Extras waren keine drin. Ihre Kinder blieben oft allein. Alle litten unter der Situation. Besonders Max lief komplett aus dem Ruder. Er schwänzte die Schule und trieb sich mit zwielichtigen Freunden herum. Seine Schulpflicht sei erfüllt, hatte er erklärt, und eine andere Ausbildung lehnte er ebenfalls ab. Der Staat würde schon für ihn sorgen. Er plapperte die Phrasen seines Freundeskreises nach. Melanie kam einfach nicht mehr an ihn heran.
Heute hätte er auf Lena aufpassen sollen, da Melanie zu ihrem Zweitjob musste. Sie arbeitete zusätzlich zu ihrem Job im Café in den Abendstunden bei einer Reinigungsfirma und kam erst nach Mitternacht zurück. Sie wollte Lena nicht ohne Aufsicht lassen. Das war unverantwortlich. Nur was blieb ihr übrig? Max war abgehauen und sie brauchten das Geld dringend.
Ihre Nachbarn kannte sie kaum. Sie hatte keine Zeit gehabt, sich um Kontakte zu bemühen, die ihr in diesem Moment von Nutzen gewesen wären. Sie wählte Max’ Nummer. Wie erwartet ging er nicht ran. Sie wusste selbst, wie ätzend es für einen Sechzehnjährigen sein musste, jeden Abend auf die kleine Schwester aufzupassen.
Im Inneren verfluchte sie die beiden Männer, die sie im Stich gelassen hatten. Ihren Ehemann Gabriel und Konstantin. Letzterer hatte sie verletzt, mehr noch als Gabriel. Von dem hatte sie nichts Positives erwartet. Ihren Chef hingegen hatte sie richtiggehend gemocht und war überzeugt, dies beruhe auf Gegenseitigkeit. Leider nur in ihrer Einbildung. Ein Mann, der sie schätzte, hätte sie niemals fristlos entlassen. Sollte sie dankbar sein, dass durch einen Zufall plötzlich ihre Unschuld herausgekommen war? Und die Hölle vergessen, die sie und ihre Kinder in den letzten Monaten erleben hatten müssen?
Offenbar hatte er jetzt erst nachgeforscht. Sein Schock, sie in diesem Café zu sehen, war deutlich gewesen. Für manche mochte es ein schäbiger Arbeitsplatz sein, aber der alte Herr Leymeier war der Einzige, der ihr eine Chance gegeben hatte. Obwohl er ihr nur einen geringen Lohn zahlte, war Melanie froh gewesen, arbeiten zu dürfen.
Nichtstun war das Schlimmste.
Ihr Zweitjob in der Putzkolonne brachte ihr zusätzlich ein wenig ein. Für ihre Kinder.
Und das alles wollte Konstantin mit einer simplen Entschuldigung aus dem Weg räumen? Träum weiter!
Dennoch rührte sich da ein Teufelchen in ihr, das flüsterte, sie sollte aus seiner Reue Kapital schlagen. Niedergeschlagene Sünder waren oft zu großen Bußen bereit. Und sie konnte weiß Gott etwas Hilfe gebrauchen.
Stattdessen hatte sie dem Gefühl nicht widerstehen können, ihm die Türe vor der Nase zuzuknallen. War das falsch gewesen? Hatte sie nicht gelernt, dass Stolz ein ausgesprochen unzugänglicher Gefährte war? Ihre Kinder wurden nicht satt davon.
Dennoch, sie hatte genau so und nicht anders handeln können.
Melanie erinnerte sich an die Kälte, die in ihr aufgestiegen war, als sie ihn mit seiner Freundin im Café getroffen hatte. Was hatte ihn ausgerechnet in das schmuddelige Lokal getrieben?
Ein Monat zuvor
Melanie war dankbar, diesen Job erhalten zu haben. Bedienung in einem Café. Freilich wusste sie schon am zweiten Tag, dass es kein Ort war, an dem sich die Elite von München traf. Das Lokal war düster, mit einem Mobiliar, das aus dem letzten Jahrhundert stammte. Alle Vorschläge, die sie dem in die Jahre gekommenen Besitzer zur Verbesserung unterbreitet hatte, waren an ihm abgeprallt. Die mittelmäßigen Umsätze reichten ihm. Schließlich gab es Zeiten, in denen das Café randvoll war und sie kaum mit den Bestellungen nachkam.
Lena hatte am Vortag einen Zettel mitgebracht, dass es eine Klassenfahrt geben würde, Kosten: neunundfünfzig Euro für den Bus. Warum mussten Erstklässler so weite Fahrten unternehmen? Das Thema beschäftigte Melanie den ganzen Tag. Lena sollte nicht auf den Ausflug verzichten müssen. Sie war, seit Gabriel fort war, ohnehin zu still und angepasst. Melanie wollte sie wieder lachen hören. Neue Kunden kamen, geistesabwesend griff sie zu ihrem Bestellblock, als ein heißer Schauer sie durchfuhr.
Konnte es wahr sein? Saß da wirklich Konstantin in einem seiner teuren Anzüge? Sein Aussehen hatte sich nicht verändert, faszinierend, doch unnahbar. Er hatte es immer verstanden, eine Aura aus Distanz um sich aufzubauen. Dunkle Haare, die typischen hellbraunen Augen der Heim-Werlenbachs, attraktive Gesichtszüge und sportliche Figur. Darin unterschied er sich nicht von seinen Brüdern, die sich alle sehen lassen konnten. Diese besondere Anziehungskraft, verursacht durch seine langen Wimpern und das kaum wahrnehmbare Grübchen am Kinn, übte jedoch nur Konstantin auf sie aus.
Er war in Begleitung. Melanie konnte sich nicht erklären, warum es ein Schock für sie war, ihren ehemaligen Chef mit einer Frau zu sehen. Und was für einer Frau! Gertenschlank, zarte makellose Gesichtszüge und hellblonde lange Haare, die sich über ihre Schultern ergossen.
Der Traum eines jeden Mannes.
Sie hingegen zählte eher zu den kleineren Frauen, ihre Figur war alles andere als perfekt. Sie war nicht dick, hatte aber breite Hüften und kräftige Oberschenkel. Zudem benötigte sie dringend einen Haarschnitt, den sie sich momentan nicht leisten konnte.
Melanie straffte sich und näherte sich den beiden, sie hatten sich an einem Fenstertisch niedergelassen. Konstantin nahm die Hände seiner bezaubernden Begleiterin in seine. Eine Geste des Vertrauens und der Hingabe. Melanie wurde heiß vor Zorn. Warum? Was ging es sie an, mit wem Konstantin schlief? Wohin wanderten ihre Gedanken, um Himmels willen?
Die Stimme von Konstantins Geliebten war sanft und wohltönend. Konnte sie nicht schrill sein und in den Ohren wehtun?
Ich dachte immer, dass er mich mochte. Und dann lässt er zu, dass ich … Melanie registrierte, dass sie den Tränen nahe war. Nur nicht vor ihm die Beherrschung verlieren.
»Was darf ich bringen?« Sie bemühte sich angestrengt, ihren Tonfall sachlich zu halten.
Erkennen flackerte in Sekundenschnelle in Konstantins Blick auf. Er starrte sie an wie ein Wesen aus dem All. Ihre Augen wanderten demonstrativ zu seinen Händen, die über den Fingern seiner Begleiterin lagen.
Er löste sie nicht.
»Eine Flasche Mineralwasser, bitte«, orderte seine Freundin und riss Konstantin damit aus seinem Bann. Sie war es, die ihm ihre Hände entzog.
»Für mich auch.« Konstantins Stimme klang ungerührt. Oder war da ein winziges Beben herauszuhören? Melanie drehte sich rasch um.
Sie wollte brüllen und ihn anschreien. Was tat er hier? Weidete er sich an dem Gedanken, dass sie am Ende war? Seine Überraschung, sie hier zu sehen, hatte echt gewirkt.
Melanie öffnete zwei Wasserflaschen, angelte Gläser aus dem Schrank über der Bar und stapfte mit dem gefüllten Tablett zurück. Mit Anstrengung bekämpfte sie ihren Zorn und stellte die Flaschen mit den Gläsern auf den Tisch. Dabei sah sie weder Konstantin noch seine Flamme an, sonst hätte sie sich nicht mehr beherrschen können. Mit Schwung drehte sie sich um, doch die nächsten Worte der Frau ließen sie langsamer gehen.
»Sie scheint wütend zu sein.«
»Dazu hat sie keinen Grund.« Zitterte Konstantins Stimme ein wenig? »Aber es gibt eben Menschen, die ihre Fehler nicht einsehen und anderen dafür die Schuld in die Schuhe schieben möchten.«
Hatte sie sich verhört? Nein, Konstantin war überzeugt von dem, was er von sich gab.
»Hat sie Geld veruntreut?«
»Sie hat der Ex von Klaus verraten, dass zwischen ihm und seiner jetzigen Frau Nora ein Ehevertrag besteht.«
Jetzt reichte es Melanie. Was erlaubte sich Konstantin, vor seiner Geliebten über sie herzuziehen? Fuchsteufelswild überbrückte sie die paar Schritte zum Tisch.
»Das habe ich nicht.« Sie beugte sich zu seiner Begleiterin. »Hüten Sie sich vor ihm. Wenn jemand Sie denunzieren sollte, dann lässt er Sie fallen, wie eine heiße Kartoffel.«
Konstantins Gesichtszüge zeigten endlich eine Regung.
Ärger.
»Das ist unfair, Melanie, das weißt du. Nach diesem Vertrauensbruch blieb mir gar nichts anderes übrig, als dich zu entlassen.«
Der Zorn über die erlittene Ungerechtigkeit musste nun einfach heraus. Melanies Stimme tönte schneidend durch das Lokal.
»Fristlose Kündigung? Hast du auch nur die geringste Ahnung, was das bedeutet? Kein positives Arbeitszeugnis ist so viel wie keine Anstellung in einem adäquaten Job. Du kannst dir nicht im Entferntesten ausmalen, wie man lebt mit einem Riesenschuldenberg, der selbst mit Vierundzwanzig-Stunden-Jobs nicht kleiner wird. Kinder, die ihre Mutter kaum sehen und auffällig werden. Und, und, und. Hauptsache Mister Herzlos zitiert mich in sein Büro, schmeißt mich hinaus und lässt nicht einmal eine Verteidigung zu. Da sprach eindeutig der gerechte Jurist aus dir, Herr von und zu.«
Flackerte Reue über sein Gesicht?
Nein, sie hatte sich getäuscht. Konstantin blieb reglos wie eine Statue.
Das gab ihr den Rest.
»Bitte verlass das Lokal, nimm deine Freundin mit und genieß den Tag. Das Wasser geht auf mich, spielt auch schon keine Rolle mehr. Hauptsache, du gehst mir aus den Augen.«
Konstantin zog seine Brieftasche hervor und legte einen Zwanziger auf den Tisch. »Ich bleibe nichts schuldig. Komm, Ulla. Wir wechseln in ein besseres Café.«
Ein Tränenschleier verdeckte ihr die Sicht. Sie wusste nicht, was mehr weh tat: Dass er ihr keinen Glauben schenkte oder dass er so liebevoll zu seiner Freundin war?
Durch die ungeputzten Fensterscheiben beobachtete sie, wie er den Arm um diese Ulla legte und die beiden sich entfernten. Warum musste auch ihr Temperament mit ihr durchgehen! Hätte sie ihn mit sachlicher Argumentation überzeugen können?
Zu spät. Abgesehen davon wollte sie nie wieder etwas mit ihm zu tun haben.
Er hatte sie unbeschreiblich enttäuscht.
Melanie warf das Handy auf den Tisch und war am Ende ihrer Nerven. Sie hatte es ein Dutzend Mal probiert, aber Max hob nicht ab. Es war bereits sieben Uhr und in dreißig Minuten musste sie bei der Arbeit sein.
»Lena, ist es okay, wenn du ein paar Stunden allein bleibst?«
»Natürlich, Mama.« Große Augen in einem schmalen Gesicht. Lena hatte schon seit Langem nicht mehr widersprochen. Obwohl Melanie ihr ansah, dass sie Angst hatte. Ein siebenjähriges Mädchen sollte abends nicht alleingelassen werden. Hatte sie eine Wahl?
Wie konnte Max sie im Stich lassen? Aber er war auch nur ein sechzehnjähriger Junge, dem die Verantwortung, jeden Abend auf seine Schwester aufpassen zu müssen, über den Kopf wuchs. Zusätzlich war da diese unbestimmte Furcht, dass Max sich durch den Einfluss seiner Kumpel Stück für Stück von ihr entfernte. Ihre Hoffnung, es sei eine vorübergehende Phase und Max’ Vernunft brächte ihn in die Schule zurück, zerschlug sich täglich ein wenig mehr. Im Gymnasium Bernried war er ein passabler Schüler gewesen.
Es blieb auch keine Zeit, Lena zu Jenny zu bringen, der einzigen Freundin, die ihr geblieben war. Aber sie hatte Jenny ohnehin schon zu oft strapaziert. Ihre alte Schulkameradin hatte selbst drei Kinder. Ihr Mann Tim war Schichtarbeiter und obwohl sie es sich kaum leisten konnte, hatte sie Melanie mehrmals unter die Arme gegriffen. Mit Scham erinnerte sich Melanie daran, dass sämtliche Freunde und Bekannte sie hatten fallen lassen, nachdem Gabriel weg war.
Sie legte ihr Mobiltelefon in die Hände ihrer Tochter.
»Wenn irgendetwas sein sollte, rufst du Frau Schröder an. Das ist meine Chefin. Wirst du die Nummer finden?«
»Natürlich.« Lena wirkte empört. Klar, heutzutage lernten Kinder den Umgang mit Handys bereits im Babyalter.
Melanie legte eine Kinder-CD in den Player. »Du weißt, wann du ins Bett musst?«
»Um halb acht Uhr.« Die Kleine hatte vor Kurzem die Uhr gelernt.
»Das ist in einer Dreiviertelstunde.« Melanie kniete sich vor ihre Tochter und umarmte sie. »Schlaf gut, mein Goldschatz.«
»Wann kommt denn Papa wieder?«
Melanie seufzte innerlich. Warum hatte sie den Kindern diese Lüge von dem Job im Ausland erzählt? Von Tag zu Tag wurde der Weg zur Wahrheit weiter.
»Er kann erst kommen, wenn die Arbeit gemacht ist, das weißt du doch.« Sie musste den Kindern schnell reinen Wein einschenken.
Aber nicht jetzt.
Lena gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange. Melanie hätte alles dafür gegeben, ihre Tochter laut lachen zu hören, aber das war extrem lange her.
Mit zehn Minuten Verspätung erreichte sie ihren Arbeitsplatz. Frau Schröders Miene stand auf Sturm.
»Es tut mir leid ...«
»Ihre Ausflüchte interessieren mich nicht die Bohne.« Der Arbeitskittel hing schlaff an der hageren Gestalt ihrer Chefin herunter. Sie wäre eine attraktive Frau gewesen, wenn ihr ständig grantig-verkniffener Gesichtszug die Ebenmäßigkeit ihres Gesichtes nicht dermaßen verzogen hätte.
»Sie arbeiten mit Tanja im Vierten.«
Ausgerechnet! Tanja war die Faulste des gesamten Trupps. Melanie fuhr mit gemischten Gefühlen in den vierten Stock des verwinkelten Gebäudes. Die Bank, in der sie putzten, hatte beim Design gewaltig geklotzt. Teure Einrichtungsgegenstände, wohin man auch sah. Geld en masse. Unwillkürlich erinnerte sie sich an den aalglatten Bankangestellten, der sie davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass sämtliche Ersparnisse weg waren.
Konzentriere dich auf die Arbeit!
Melanie fand den Putzwagen gleich. Tanja lehnte dagegen und rauchte. Sinnlos, sie auf das Rauchverbot hinzuweisen.
»Da bist du ja endlich! Ich bin mit diesem Zimmer schon fast durch.«
Niemals war dieser Büroraum, der einem Herrn Kaspar gehörte, gründlich durchgereinigt. Sie arbeiteten zuerst schweigend, dann plapperte Tanja von ihrem neuesten Freund.
»Der ist reich, sag ich dir. Bald brauche ich hier nicht mehr zu putzen.«
Von Reichtum hatte Melanie erst mal genug. Sie wäre schon froh, wenn sie in ihrem Beruf einen Job finden könnte. Frau Müller-Klausental, die ältere, leicht nach Mottenkugeln riechende Dame vom Arbeitsamt, hatte ihr wenig Hoffnung gemacht.
»Illoyales Verhalten wird von keinem Arbeitgeber geschätzt.« Fehlte nur der erhobene Zeigefinger wie bei einer alten Schulmeisterin. Sie bestand auf Melanies alleiniger Schuld, das läse sie aus dem Arbeitszeugnis heraus. Melanie hatte zum ersten Mal erfahren, dass Zeugnisse spezielle Formulierungen enthielten, die einen potenziellen neuen Arbeitgeber gleich auf die Schwächen des Arbeitnehmers aufmerksam machten. Verboten und doch häufige Praxis. So war Melanie auf den Status einer Hilfsarbeiterin zurückgefallen. Sie war zu stolz, um ausschließlich von Sozialhilfe und Kindergeld leben zu wollen.
Kurz vor Mitternacht waren sie durch. Melanie fühlte sich unendlich müde, als sie sich bei Frau Schröder abmeldete.
»Ehe ich es vergesse, Ihre Tochter hat vor einer Stunde angerufen.«
»Lena? Vor einer Stunde schon? Warum haben Sie mir nicht Bescheid gegeben?« Melanie fröstelte.
»Ich habe keine Ahnung, wie sie heißt. Und denken Sie, ich renne Ihnen nach? Auf jeden Fall möchte sie, dass Sie zurückrufen. Weshalb ruft sie Sie nicht direkt an? Und während der Arbeitszeit ist das ohnehin nicht erlaubt.«
Das sollte sie lieber Tanja sagen, die mindestens zwanzig Minuten mit ihrem Neuen gequatscht hatte.
Melanie drehte sich zu ihrer Arbeitskollegin um. »Leihst du mir mal kurz dein Handy?«
Ihre Stimme klang dringlich, sodass Tanja es ihr ohne Zögern reichte. Es war ungewohnt, von einem fremden Telefon die eigene Nummer zu wählen. Lena meldete sich sofort.
»Mama!« Sie schluchzte, sodass Melanie kein Wort verstand.
»Lena, langsam, was ist passiert?«
»Max ist bei der Polizei ...« Melanie hörte eine männliche Stimme im Hintergrund und ihre Panik vergrößerte sich. Zwei Sekunden später war ein Mann am Telefon.
»Frau Marland? Hier ist Inspektor Baier, Polizeiinspektion Olympiapark. Bitte kommen Sie so schnell wie möglich nach Hause.«
»Ist etwas passiert mit meinen Kindern?«
»Sie sind beide gesund, machen Sie sich keine Sorgen. Bitte kommen Sie einfach rasch her.«
Melanie hätte gerne mehr gefragt, aber sowohl Tanja als auch Frau Schröder hörten zu. Es war besser, sie wussten nicht alles über ihre Privatprobleme.
Als sie zu Hause ankam, fand sie einen stämmigen Polizeibeamten, der fast die gesamte Küche einnahm, an ihrem Tisch sitzen. Er erhob sich sofort.
»Ihre Tochter war so nett, mir ein Glas Wasser zu bringen. Sie schläft. Ich bin Inspektor Baier.« Freundlich streckte er ihr die Hand hin.
Melanie schüttelte sie kurz. Ihr Kopf dröhnte.
»Frau Marland, wir haben Ihren Sohn Max aufgegriffen.«
Was für ein schreckliches Wort! Sie ließ sich auf einen der wackligen Küchenstühle sinken.
»Ist ihm etwas passiert? Wo ist er?«
»Er musste auf dem Revier bleiben, tut mir leid.«
Die Kopfschmerzen verstärkten sich.
»Er war mit einer randalierenden Jugendgruppe unterwegs. Sie haben Autos zerkratzt, Reifen aufgeschnitten, Fensterscheiben eingeschlagen und Hauswände besprüht.«
»Oh mein Gott!« Melanies Augen wurden nass. Hoffentlich musste sie sich nicht übergeben! Max war straffällig geworden. Er hatte mutwillig Autos und Häuser beschädigt. Ein Albtraum? Der Beamte schwieg, bis sie sich wieder auf ihn konzentrieren konnte. »Was geschieht denn mit ihm?«
»Er ist sechzehn, das heißt, er fällt unter das Jugendstrafrecht. Die Schäden sind leider nicht unerheblich. Wie lange ist Ihr Sohn denn schon Mitglied dieser Gruppe?«
»Gruppe? Seine Freunde, meinen Sie?«
Baier schnaubte. »Das sind keine Freunde. Es handelt sich um eine neue Jugendbewegung, die wir seit Monaten im Visier haben. Sie nennen sich ›New World‹ und bilden sich ein, eine bessere Welt schaffen zu können, indem sie mit Gewalt alles Bestehende ausradieren.«
»Max hat mir nie etwas davon erzählt.«
Himmel! Was sagte das über sie als Mutter aus?
Der Beamte sah sich um. »Ist Ihre Tochter öfters allein?«
Ein weiterer Minuspunkt auf ihrem Konto.
Melanie schüttelte heftig den Kopf. »Normalerweise ist Max bei ihr. Ich bin ...« Sie schluckte, denn sie brachte es kaum heraus. »... alleinerziehend. Es ist zurzeit ein wenig schwierig.«
Verständnis blitzte in den Augen des Beamten auf. »Das verstehe ich. Am besten kommen Sie morgen aufs Revier, damit Sie Ihre Aussage machen können. Ich kann nichts versprechen, aber wahrscheinlich dürfen Sie Ihren Sohn mit nach Hause nehmen. Vielleicht sollten Sie einen Anwalt zurate ziehen.«
Ein Anwalt! Stand es so schlimm um Max? Er würde vor Gericht zitiert werden, eine Vorstrafe erhalten und seine Chancen, jemals einen anständigen Job zu bekommen, lägen bei null.
Genau wie bei ihr.
Wie betäubt brachte sie den Beamten zu Tür, bedankte sich für sein Bleiben und versprach, am nächsten Tag pünktlich im Revier zu sein.
Danach brach sie weinend zusammen.
»Und hier muss der Stoff ein wenig gerafft werden, damit die Figur besonders gut zur Geltung ... Papa, du passt überhaupt nicht auf.« Julchen ließ ihre Arbeitsmappe mit den Modezeichnungen sinken. Vorwurfsvolle Miene.
Hellbraune Augen, die im Licht leuchteten wie Bernstein.
Seine Augen.
Sonst glich sie ihrer verstorbenen Mutter. Die leicht mollige Figur, der etwas zu groß geratene Mund mit den vollen Lippen, die Nase mit der drolligen Spitze und das kurz geschnittene braune Haar. Nicht zu vergessen die Sommersprossen, die sie hasste, ihrem Gesicht jedoch eine spezielle, pfiffige Note gaben.
»Tut mir leid.« Seit Julchen in Berlin studierte, kam sie kaum einmal im Monat auf Besuch zu ihm. Er sollte diese Zeit nützen und genießen. Aber momentan schweiften seine Gedanken ab. Zu Melanie.
Warum lebte sie in dermaßen ärmlichen Verhältnissen? Selbst wenn ihre Ehe geschieden wurde, müsste nicht ihr Mann für Unterhalt sorgen? Der galt als erfolgreicher Immobilienmakler. Sie hatte aus Freude gearbeitet, nicht weil sie Geld benötigte.
Was hatte sich geändert?
»Warum erzählst du mir nicht, was dich bedrückt?« Julchen sah ihn offen an. Seine Tochter war erwachsen, vor wenigen Wochen zweiundzwanzig geworden und erfolgreich in ihrem Studium. Und sie war eine Frau, die sich womöglich leichter in die Gedankengänge einer anderen Frau hineinversetzen konnte als er.
»Ich habe einen großen Fehler gemacht und einem Menschen unrecht getan.«
»Einer Frau?«
»Ja. Aber nicht so, wie du denkst. Melanie ist ... war meine Angestellte, meine Assistentin.«
»Richtig. Sie hat letztes Jahr gekündigt.«
»Daran erinnerst du dich?«
»Du weißt wohl gar nicht, wie oft du über deine neue Assistentin geklagt hast? Sie würde Hände und Füße brauchen, für eine Tätigkeit, die Melanie mit dem kleinen Finger erledigt hätte?«
»Das soll ich gesagt haben?«
»Nicht zu mir. Aber am Telefon. Zu Onkel Klaus.«
Konstantin schüttelte den Kopf. Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr an dieses spezielle Gespräch erinnern, an die mangelhaften Qualitäten seiner neuen Assistentin jedoch schon. Sie würde nie an Melanie heranreichen können.
»Also, sie hat gekündigt und ...?«
»Nein. Ich habe sie fristlos entlassen.«
Julchen blieb der Mund offen. »Du, Papa?«
Er senkte den Kopf. »Ich war einfach enttäuscht.«
»Du mochtest sie.«
»Sie war die beste Assistentin, die ich je hatte. Beate ist nur ein müder Abklatsch dagegen.«
»Du mochtest sie.«
»Ich konnte mich hundertprozentig auf sie verlassen.«
»Gib es einfach zu: Du mochtest sie.«
»Ja.« Konstantin trat zum Fenster. »Aber sie war verheiratet. Zum Glück. Mit einer Angestellten, noch dazu direkt Untergebenen etwas anzufangen, ist unprofessionell.«
»Ach, Papa! Immer korrekt. Die Liebe fragt nicht nach so was.«
Seine romantische Tochter!
»Meist geht es da nicht um Liebe, sondern um die ... ähm ... anderen Bedürfnisse.«
»Hast du denn welche?« Julchen sah ihn todernst an und Konstantin wusste im Moment keine Antwort. Da prustete sie los. »Dein Gesichtsausdruck ist göttlich. Sorry, ich musste dich einfach necken. Also: Du hast sie nicht angebaggert – schon gut, sieh mich nicht so an! Was hast du dann angestellt?«
Konstantin räusperte sich. »Ich dachte, Melanie hätte Vertrauliches ausgeplaudert. Es sprach alles gegen sie. Aber als ich sie in diesem Café traf - sie arbeitet als Bedienung, obwohl sie einen Bachelor in Wirtschaft absolviert hat – beschimpfte sie mich wütend. Als sei ihre Entlassung ungerechtfertigt gewesen. Vor Ostern bei unserem Stammtisch habe ich Klaus darauf angesprochen und musste feststellen, dass ich Melanie tatsächlich zu unrecht hinausgeworfen habe.« Konstantin schüttelte den Kopf und ballte seine Hände. »Die Tratschbase wurde als meine ›neue Assistentin‹ bezeichnet, also konnte es Melanie gar nicht sein, denn sie arbeitete bereits seit vier Jahren für mich. Ich verstehe bis heute nicht, warum ich das Ganze nicht genauer verfolgt habe, sondern sie stattdessen gleich vor die Tür gesetzt habe. Und zudem hat unser Personalchef außerdem mit einem schlechten Arbeitszeugnis verhindert, dass sie einen Job in ihrem Beruf findet. «
Julchen hatte ihre Arbeitsunterlagen zur Seite gelegt und hörte aufmerksam zu.
»Gestern wollte ich mich bei ihr entschuldigen und fuhr zu der Adresse, die unser Personalbüro hatte. Melanie lebte mit ihrer Familie in einer Villa am Rand von Bernried. Ich wusste, dass ihr Mann gut verdiente, sie haben zwei Kinder.« Konstantin starrte aus dem Fenster, obwohl er nichts wahrnahm. »Ich habe keine Ahnung, was passiert ist. Das Haus ist verkauft und Melanies jetziger Wohnort ist eine renovierungsbedürftige Mietskaserne in einem der schlimmeren Viertel von München. Sie sieht dünn und mitgenommen aus und sie war allein mit den Kindern.«
»Hast du ihr deine Hilfe angeboten?«
»Sie hat wütend und verbittert reagiert. Offenbar geht es ihr schlecht, finanziell meine ich. Von ihrem Mann war keine Spur zu sehen. Wenn sie sich getrennt haben, warum verklagt sie ihn nicht auf Unterhalt? Da wohnt sie mit den Kindern in so einem Loch, das geht gar nicht.«
Julchen sah ihrem Vater in die Augen. »Soll ich ehrlich sein, Papa?«
Konstantin nickte. »Wenn du mir sagen willst, dass ich Mist gebaut habe, dann weiß ich das bereits.«
»Warum warst du so extrem hart zu ihr? Ich meine, sie hat die Firma nicht finanziell geschädigt und sie war eine kompetente Assistentin. Die beste, wie du behauptet hast. Frauen tratschen manchmal, weshalb nahmst du ihr diesen vermeintlichen Ausrutscher dermaßen übel? Ich meine, selbst wenn es wahr gewesen wäre, wer ist zu Schaden gekommen?«
Konstantin schloss kurz die Augen. Julchen hatte recht. Warum? Er versuchte, sich an die Situation zu erinnern. Reggie hatte ihm ausrichten lassen, dass Klaus ...
»Ich denke, es kam alles zusammen. Onkel Klaus war wütend und hat verlangt, dass ich sie hinauswerfe ...«
»Dann dachte Onkel Klaus, diese Melanie wäre schuld?«
»Nein. Er kannte sie kaum. Er wusste lediglich, dass über den Ehevertrag zwischen ihm und Tante Nora getratscht worden war. Daher konnte seine Ex-Freundin ...«
»Diese grässliche Giulia Caspari?«
»Richtig. Sie rieb es ihm unter die Nase. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits in Nora verliebt und deswegen wurde er nicht gern an den Vertrag erinnert.«
»Also gut, du glaubtest, dass Melanie dahintersteckte. Hat sie sich nicht verteidigt?«
»Ich habe ihr das Wort abgeschnitten. Als sie nicht aufhören wollte, telefonierte ich nach unserer Security und sie wurde mit Gewalt aus meinem Büro befördert.«
»Whoa!«
»Ich weiß selbst, was für ein unglaublicher Trottel ich war.«
»Papa, du hast Jura studiert, nicht wahr?«
»Scheint so.«
»Ich meine, wo blieb da das ›Im Zweifel für den Angeklagten‹?«
Konstantin zuckte die Achseln. »Vermutlich war ich deswegen unerbittlich zu ihr, weil ich ihr vertraut hatte. Sie war mir näher als jede andere Angestellte. Bisher hatte ich eine Mauer, aber bei ihr ist sie gebröckelt.«
»Hattest du dich in sie verliebt? Ein bisschen wenigstens?«
»Ich mochte sie. Doch sie war verheiratet und zusätzlich meine Angestellte.« Konstantin ließ sich auf einen der Stühle sinken. »Ich habe mir nicht erlaubt, weiter zu denken. Ich erinnere mich nur an meine maßlose Enttäuschung. Dennoch entschuldigt es das Ganze keineswegs. Und nun lässt sie mich nicht Wiedergutmachung leisten.«
Julchen setzte sich ihm gegenüber hin.
»Du hast es versucht und wolltest dich entschuldigen, Thema erledigt, Papa. Wer keine Hilfe annehmen möchte, der soll es bleiben lassen. Eine ehrliche Bitte um Verzeihung sollte man akzeptieren.«
»Ich glaube, es geht ihr nicht gut.«
»Du kannst ihr nicht mit Gewalt helfen.«
Konstantin schwieg.
»Warum hast du nie geheiratet? Und du hattest keine Freundin mehr nach Mama, nicht wahr?«
Das war kein Punkt, den er mit seiner Tochter besprechen wollte oder konnte. Vor allem wenn sie so wenig subtil das Thema wechselte. Er strich sich durch die Haare und sein Blick wurde weich.
»Du siehst ihr unheimlich ähnlich.«
»Das hat Oma auch oft gesagt.« Julchens Mutter war kurz nach der Geburt verstorben. Julchen war bei ihren Großeltern großgeworden, die es Konstantin schwer gemacht hatten, sie zu besuchen. In deren Augen war er schuld am Tod ihrer Tochter, die er mit fünfzehn Jahren geschwängert hatte. Konstantin hatte sich jahrelang selbst die bittersten Vorwürfe gemacht. Er hätte nicht mit Emma schlafen sollen, trotz ... nein, es war lange her. Und er wollte nicht eine Tote anschwärzen, die sich nicht mehr verteidigen konnte.
Dennoch bezweifelte er in seinem tiefsten Inneren, dass ihre Liebe Bestand gehabt hätte. Dass Julchen existierte, das reute ihn keine Sekunde. Doch nach dem Drama, das sich rund um ihre Geburt abgespielt hatte, war das Thema Familie für ihn durch.
Wenn er ehrlich war, hatte er keine Frau mehr nahe an sich herangelassen. Solange seine Brüder ungebunden waren, hatte es ihm nichts ausgemacht. Aber nun hörte er bei jedem ihrer Stammtisch-Abende von ihren Frauen, war Zeuge ihrer Freude und Lebendigkeit. Als wäre ihre Welt vorher farblos gewesen, was freilich Unsinn war. Drei seiner Brüder waren in festen Händen. Blieben Reggie und er. Reggie war ein Frauenheld. Die Kerben an seinem Bett mussten mittlerweile so dicht sein, dass kaum eine weitere Platz hätte. Doch wenn Reggie sich unbeobachtet glaubte, war sein Blick sehnsüchtig. Offenbar beneidete er seine Brüder im selben Maß wie Konstantin um ihr Familienglück.
»Papa, wann kommst du mich eigentlich in Berlin besuchen?«
Vielleicht war das eine gute Idee. Ein wenig Abstand zu allem, vordergründig zu Melanies Problemen, bei denen sie sich nicht helfen lassen wollte.
»Nächstes Wochenende?«
Julchen strahlte und fiel ihm um den Hals. Er drückte sie ein wenig länger als nötig. Es tat zu gut.
Er würde nach Berlin fliegen und Melanie vergessen. Wenn sie seine Entschuldigung und Hilfe nicht annehmen wollte, dann war es eben so.
Sie hatte in der Nacht kaum schlafen können. Melanie brannten die Augen, als sie am Morgen für Lena das Frühstück zubereitete.
»Wo ist Max?« Lena wollte eine Erklärung für die gestrige Nacht. Melanie befürchtete, dass sie nichts essen würde, ohne eine Antwort erhalten zu haben.
»Er schläft bei einem Freund.« Schon wieder eine Lüge. In der Zwischenzeit hatte sie ihre Kinder bereits dermaßen oft belogen, dass sie aufpassen musste, sich nicht in ihrem eigenen Lügengewebe zu verheddern. Das Netz war so dicht geworden, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie da jemals wieder herauskommen würde. Ihre Kinder würden mit Recht stinksauer sein.
Im Moment jedoch begnügte sich Lena mit dieser Erklärung, aß ihr Müsli und holte ihre Schultasche.
Melanie brachte sie die vier Blocks weiter zur Schule. Der Weg beanspruchte nur zehn Minuten, doch Lena musste zwei verkehrsreiche Straßen überqueren. Ihre Lehrerin hatte Melanie mehrmals darauf angesprochen, dass Lena gut im Unterricht mitkam, nur leider selten lachte.
Mit Max sah es anders aus. Er war zutiefst schockiert gewesen, als sie zuerst aus dem Haus ausgezogen und dann mit wenig Geld hatten auskommen müssen. In der neuen Schule hatte Max keinen Anschluss gefunden, geschwänzt und schlechte Noten erhalten. Melanie hatte ihm geraten, die Klasse zu wiederholen. Doch er meinte, er wollte nicht mehr in die Schule. Er sei alt genug, um zu arbeiten. Oder besser gesagt, nichts zu tun. Denn um eine Lehrstelle kümmerte er sich keineswegs, die von Melanie vorgeschlagenen lehnte er ab.
Melanie wollte ihm Zeit geben, die Trennung von seinem Vater musste verkraftet werden. Immerhin passte er auf Lena auf, wenn sie zur Arbeit ging. Tagsüber war er mit seinen Freunden zusammen, die ebenfalls Lehrstellen suchten. Sie wollten sich gemeinsam umsehen und Probetage absolvieren. Naiv wie sie war, hatte sie dies alles geglaubt. Aber mittlerweile fragte sie sich, was die Jungs getrieben hatten. Wenn sie daran dachte, dass ihr Sohn mutwillig Dinge kaputt gemacht hatte, Sachen anderer beschädigt ... konnte das wahr sein?
Mit der U-Bahn fuhr sie zum Polizeirevier. Auf ihre Frage nach Max wurde sie weitergeschickt.
Zusammen mit anderen Jungen, die Melanie jedoch älter als Max einschätzte, saß ihr Sohn auf einer Holzbank und wirkte kein bisschen eingeschüchtert oder reuig.
»Leider ist erheblicher Sachschaden entstanden.« Der Beamte hielt Melanie bereitwillig die Liste zur Ansicht hin. Kurz hatte sie einen Schleier vor den Augen, ehe sie die aufgelisteten Schäden lesen konnte. Es waren zahlreiche Autos beschädigt worden, die Jungen hatten den Lack zerkratzt und die Reifen aufgeschnitten. Außerdem hatten sie mit Steinen die Fensterscheiben einer gesamten Straße eingeschlagen sowie mehrere Menschen umgerannt und erschreckt.
»Zum Glück ist keiner der Passanten verletzt worden!« Der Beamte meinte es tröstlich, der Schock blieb. Was war bloß in Max gefahren?
Eine Minute später stand er vor ihr.
»Ich bin unschuldig, Mama!« Er sah sie schräg an.
»Unschuldig! Sag’s ihnen!« Die anderen Jungen grölten.
»Nieder mit den Alten!«
»Es wird Zeit, dass endlich neuer Wind bläst.«
Die Burschen klopften und riefen Floskeln in den Raum.
»Max, wie konntest du nur ...!« Melanie schämte sich grenzenlos. Nicht einmal in den Flitterwochen, als Gabriel ihr die größte Demütigung zugefügt hatte, war sie dermaßen am Boden zerstört gewesen. Was war sie nur für eine Mutter, dass das Verhalten ihres Sohnes so aus dem Ruder laufen konnte?
»Die können nichts beweisen.« Max zeigte nicht einen Hauch von Reue.
»Du warst genauso dabei wie die anderen«, wies ihn der Beamte zurecht. »Herausreden ist nicht. Das gibt einige Sozialstunden für euch, bis ihr das Ganze abgearbeitet habt.«
»Na und?« Ein dünner schlaksiger Junge war hinter Max getreten. »Ihr könnt die Zukunft nicht aufhalten.«
Was wollte er damit sagen?
»Hier unterschreiben.« Der Beamte drängte, um wenigstens einen der rebellischen Jugendlichen loszuwerden, und hielt Melanie eine Mappe hin. Sie achtete gar nicht genau darauf, was sie da unterzeichnete, sondern war dankbar, dass sie Max mitnehmen durfte. Bereits die nächsten Worte des Polizisten erschreckten sie wieder. »Bis zur Gerichtsverhandlung ist genügend Zeit, dass Sie sich einen Rechtsanwalt suchen können.«
Ihr wurde siedend heiß und gleich darauf eiskalt. »Einen Anwalt?« Sie befeuchtete ihre trockenen Lippen.
»Nimm’s nicht krumm, Mutti!« Der schlaksige Bursche klopfte ihr auf die Schulter. »Jugendstrafrecht. Da kriegen wir ein paar Sozialstunden.« Er drehte sich um und johlte. »Das hält uns nicht ab, weiter unsere Ziele zu verfolgen, nicht wahr? Die Zukunft kommt.«
Alle grölten mit und wiederholten den Satz fortwährend, bis einer der Beamten »Ruhe!« brüllte.
»Noch ein Ton, und ihr werdet getrennt.«
»Klaro! Wenn Sie nicht weiterwissen, schwingen Sie die Gewaltkeule. Weil Sie in Wirklichkeit klein wie Ameisen sind. Und was macht man mit Ameisen? Man steigt einfach drauf.« Er demonstrierte das mit seinem Schuh, den er am Platz hin und her drehte, als gäbe es ein reales Insekt darunter zu vernichten. »Am Ende gewinnen wir. Die Zukunft gehört uns.«
Die Jugendlichen applaudierten und Max zu Melanies Schrecken ebenfalls.
»Lass uns gehen, Max.« Zu ihrer Erleichterung ging ihr Sohn ohne Widerrede mit. Alle verabschiedeten sich mit einem speziellen Zeichen: Zuerst schlossen sie die gestreckten Fingerspitzen, um sie dann gemeinsam auseinanderschnellen zu lassen. Dazu schrien sie »Future« und die Sitzenden trampelten mit den Füßen. Melanie hastete hinaus und zog Max am Ärmel mit.
Sie schwiegen auf dem Weg zur U-Bahn-Station. Melanie war ratlos, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte. Sie erkannte ihren ausgeglichenen Jungen von früher nicht wieder. Auch während der Fahrt nach Hause, fand sie den Mut nicht, Max anzusprechen. Er verhielt sich betont unbeteiligt.
Wie sollte sie sich einen Anwalt leisten können? Max vorbestraft! Er bekäme keine Arbeit. Welcher Chef nahm einen kriminellen Radaubruder? In Max‘ Gesichtszügen konnte sie keinerlei Gewissensbisse erkennen. Das war früher anders gewesen. Meist hatte sie ihrem Sohn an der Nasenspitze angesehen, wenn er etwas angestellt hatte. Und jetzt saß er ihr gegenüber in der U-Bahn mit einer gleichgültigen Miene, als hätte sie ihn nicht soeben von der Polizeistation holen müssen.
Ein unangenehmes Kribbeln wanderte ihre Arme hinauf. Zwischen all den Leuten war ohnehin nicht der geeignete Ort, mit Max in Ruhe zu sprechen.
Kaum hatte sie die Wohnungstür aufgeschlossen, schob sich Max an ihr vorbei.
»Ich geh schlafen.«
»Max, wir reden zuerst.«
Er drehte sich mit einem Blick, der ihr fremd war, um.
»Ich bin müde.«
»Das ist deine eigene Schuld.« Melanies Stimme kratzte, doch sie musste hart bleiben. »Du hast mich gestern Nacht im Stich gelassen! Du solltest auf Lena aufpassen.«
Falscher Anfang.
»Ich hatte Wichtigeres zu tun.«
»Wichtiger?« Es brach unaufhaltsam aus ihr heraus. »Du weißt, wie schwer das alles für mich ist. Deine Schwester musste ohne Aufsicht hierbleiben, während du ... ist dir überhaupt bewusst, dass du eine Straftat begangen hast?«
»Na und?«
Melanie schnappte nach Luft. »Was hast du dir dabei gedacht? Du hast Autos beschädigt, Scheiben eingeschlagen. ...«
»Anders wird niemand aufmerksam. Mama, du bist einfach hinten. Siehst du nicht, wie kaputt unser Land bereits ist? Es gibt keinen einzigen Politiker, der nicht Dreck am Stecken hat. Und da willst du weiterhin zuschauen? Es muss Schluss sein mit diesem korrupten Pack.«
Melanie zuckte zurück, denn sie hatte diesen entstellenden Gesichtsausdruck des Hasses nie zuvor bei ihrem Sohn gesehen.
»Max, der Einzige, dem du neben unschuldigen Menschen schadest, bist du selbst. Ich möchte, dass du diese Bande nie wiedersiehst.«
Ein mitleidiger Zug streifte Max’ Gesichtszüge. »Glaubst du im Ernst, dass du mich davon abhalten kannst, das Richtige zu tun? Bleib nur weiter in deinem Kokon. Irgendwann wirst du einsehen, dass man etwas für sein Glück tun muss.«
»Max, du verbaust dir deine gesamte Zukunft. Es wird zu einer Gerichtsverhandlung kommen, du bist vorbestraft und du wirst nie eine Lehrstelle bekommen.«
»Mama, du denkst viel zu eng. Take it easy. Wir alle werden in Käfige gepresst, arbeiten, Schule, Unterdrückung – das muss ein Ende haben. Wir sind mehr als nur Individuen, die den vorgegebenen Schienen folgen müssen, während andere in der Luft fliegen. Wie lange willst du dir das gefallen lassen?«
Melanie blieb der Mund offen stehen. Wo war ihr gutmütiger Junge geblieben? Wer steckte in dem trotzigen Teenager vor ihr? Und vor allem, warum fiel ihr keine passende Entgegnung auf die Blödsinnigkeiten, die Max von sich gegeben hatte, ein?
»Wer essen will, muss arbeiten, das war immer schon so.«
Eine lapidare Antwort, die von Max eine wegwerfende Geste mit der Hand hervorrief.
»Sagt wer? Mama, denk um! Sieh dich an, wie du aussiehst, strampelst dich ab, trotzdem reicht es nicht einmal für die neuen Schuhe, die sich Lena wünscht.«
Melanie musste schlucken. Es stimmte, Lena hatte schon lange ein Auge auf Turnschuhe geworfen, die leuchteten. Ein Luxus, der unerschwinglich war.
»Früher war das nie ein Problem.«
»Max, du weißt, dass Papa ...«, Melanie brachte es nicht über sich, ihrem halb erwachsenen Sohn wiederum dieselbe Lüge aufzutischen.
»Dass Papa was ...? Ich weiß es längst, dass du uns nicht die Wahrheit sagst, Mama.«
Kälte durchdrang sie plötzlich, als ob sie mit einem Kübel Eiswasser übergossen worden wäre. Max wusste Bescheid?
»Papa hat keinen tollen Auftrag in Australien. Er hat uns verlassen, wahrscheinlich weil du ihn betrogen hast ...«
»Nein!« Das durfte doch nicht wahr sein! »Wer sagt denn so was?«
»Alle sagen das! In der Schule. Kein Mensch glaubt das mit dem Job im Outback, wo es keinen Handy-Empfang gibt. Denkst du, ich bin blöd?«
Nein, Max war nicht dumm. Sie war bescheuert, wenn sie geglaubt hatte, mit diesem Märchen durchzukommen. Die Welt stürzte über sie ein, doch im Grunde hatte sie sich das eigene Grab geschaufelt! Was war ihr bloß eingefallen, ihre Kinder dermaßen zu belügen? Und wie machte man Schadensbegrenzung in dieser verfahrenen Lage?
»Ich kann es erklären ...« Mit jedem Wort versank sie tiefer im Sumpf.
Max hielt ihr sein Mobiltelefon hin. »Ruf Papa an. Er soll mir selbst sagen, was Sache ist.«
»Das kann ich nicht. Sein altes Handy funktioniert nicht mehr.«
»Wo ist Papa wirklich?«
Die Lüge hatte sie eingeholt. Und nun stand sie da vor ihrem Sohn, der sie anklagend betrachtete, und ihr fehlten die Worte.
»Max, ich muss zur Arbeit. Wir reden am Abend in Ruhe über alles.«
Feigling!
»Schon klar.« Seine Stimme war leiser geworden, resigniert. Nackte Hilflosigkeit durchdrang sie.
»Max, könntest du bitte Milch und Brot besorgen? Und die Butter ist auch fast alle. Geld ist am üblichen Platz.«
»Okay.«
»Und bitte hol Lena von der Schule ab, ich habe einen Topf Kartoffelgulasch für euch beide im Kühlschrank.«
»Sonst noch was?«
»Überleg dir in der Zwischenzeit, was du mit deinem Leben anfangen willst. Es wird höchste Zeit, dass du dich um eine Lehrstelle kümmerst.«
»Natürlich, Mama.«
Die Einsicht war zu schnell gekommen. Aber Melanie hatte keine Zeit mehr. Sie angelte den Schlüssel vom Haken. Es war eine Flucht, denn der alte Herr Leymeier hatte Verständnis für sie als alleinerziehende Mutter.
Mit gemischten Gefühlen verließ sie die Wohnung. Sie war eine Versagerin. Heute Abend käme sie um ein ausführliches Gespräch nicht herum. Melanie nahm sich fest vor, nichts mehr zu beschönigen und Max reinen Wein über seinen Vater einzuschenken.
Doch als Melanie nach einem anstrengenden Arbeitstag heimkam, war Max verschwunden.
Melanie stand vor Konstantins Haus. Die Villa war von gewaltigen Ausmaßen, ein Altbau, der jedoch ausgezeichnet renoviert war. Durfte sie stören? An einem Samstagnachmittag? Vermutlich waren er und seine Freundin ohnehin nicht zu Hause. Sie hatte weiche Knie. Vor einigen Wochen hatte sie sein Hilfsangebot rüde zurückgewiesen.
Jetzt kam sie angekrochen.
Sie wusste sich keinen Rat mehr. Max war seit vier Wochen verschwunden und die Polizei war alles andere als kooperativ. Sie hatten zu wenig Ressourcen, als dass sie sich um abgängige Teenager kümmern könnten. Dafür war die Jugendbande ›New World‹ mehrmals aktiv geworden, hatte schwere Sachbeschädigungen begangen und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Menschen ernsthaft zu Schaden kämen.
Melanie hatte Angst um ihren Sohn. Panik, dass es kein Zurück mehr gäbe und sich die Gefängnistore hinter ihm schlossen. Oder dass er im Rahmen einer Polizeiaktion verletzt oder sogar ... nein, daran wollte sie nicht denken.
Konstantin war ihre letzte Hoffnung.
Lena stand stumm neben ihr. Melanie hätte viel darum gegeben, wenn ihre Tochter sich in den fröhlichen Wirbelwind zurückverwandeln könnte, der sie vor einem Jahr gewesen war.
»Wir klingeln erst mal.«
Melanies Zeigefinger stoppte kurz vor dem Klingelknopf. Was tat sie hier eigentlich? Konstantin hatte keinerlei Grund, ihr zu helfen. Sie sah zu ihrer Tochter, die blass und still war und in deren Augen Unsicherheit und Angst zu lesen waren. Melanie musste es tun. Sie hatte keine Wahl.
Melanies Finger machte sich selbstständig und ein melodiöser Glockenton erschallte im Inneren der Villa.
Vielleicht war er gar nicht zu Hause. Es war Wochenende. Schönes Wetter. Ein Tag wie geschaffen für einen Ausflug. Vermutlich war er mit seiner bildschönen Freundin unterwegs. Auch wenn er daheim war, wer sagte, dass er Zeit für sie hatte?
Es war eine junge Frau, die die Tür öffnete. Leicht mollig, mit neckischen Grübchen, einem kecken Kurzhaarschnitt und ein paar Sommersprossen im Gesicht. Sie ähnelte Konstantin kaum, doch Melanie kannte sie vom Foto in Konstantins Büro.
»Sie sind Juliane, nicht wahr?«
»Hallo!« Juliane streckte ihr die Hand hin. »Nennen Sie mich Julchen, das tun alle in der Familie.«
Nun, sie gehörte wohl kaum zur Familie. Dennoch konnte sie sich der unkomplizierten Ungezwungenheit von Konstantins Tochter nicht entziehen.
»Ich bin Melanie Marland.« Sie ergriff Julchens Hand und schüttelte sie kurz.
»Tatsächlich? Die Melanie? Diejenige, die für meinen Vater gearbeitet hat?«
»Ja.« Hatte Konstantin über sie gesprochen? In welchem Zusammenhang? Wusste Julchen Bescheid? »Ist Ihr Vater zufällig zu Hause?«
»Bitte siezen Sie mich nicht! Dann komme ich mir extrem alt vor.«
Melanie musste lachen. Alt und dieses lebenssprühende Mädchen waren ein Widerspruch in sich. »Einverstanden, dann nenn du mich bitte Melanie.« Ob es Konstantin recht war, dass sie sich mit seiner Tochter verbrüderte? Der Charme von Julchen war umwerfend.
»Kommt herein.«
»Ich werde deinen Vater nicht lange aufhalten ...«
Gelogen. Das, was sie von ihm wollte, würde ein beträchtliches Stück seiner Zeit beanspruchen.
»Er ist im Garten. Wir hocken alle auf Nadeln, denn mein Onkel bekommt sein Kind, ich meine seine Frau.«
»Oh.« Wahrscheinlich meinte sie Klaus Heim von Werlenbach, Graf und Oberhaupt der Familie. Seinetwegen hatte Konstantin Melanie hinausgeworfen. Melanie kannte ihn flüchtig von einigen Meetings, sie konnte sich nicht erinnern, mehr als Belangloses mit ihm gesprochen zu haben.
»Ist das deine Tochter?« Julchens Frage riss sie wieder aus ihren Gedanken und sie konzentrierte sich auf die Gegenwart.
»Ja, das ist Lena.«
»Freut mich, Lena!« Julchen legte den Arm um die Kleine. »Dir wird unser Garten gefallen. Wir haben eine Schaukel und Goldfische im Teich.«