2,99 €
Geheimnisse können tödlich sein, aber die Wahrheit noch viel grausamer …
Der dritte Band der fesselnden Thriller-Reihe um Detective Kay Hunter
Der brutale Mord an einer Teenagerin schockiert Detective Kay Hunter und ihre Kollegen zutiefst. Was hat den Mörder dazu gebracht, ein junges Mädchen derart zuzurichten? Bei ihren Ermittlungen stößt Kay auf jede Menge schrecklicher Geheimnisse, in die nicht nur das Opfer, sondern ihr gesamtes Umfeld verstrickt war. Konfrontiert mit Gier, Korruption und einer wachsenden Zahl an Verdächtigen, wird auch die Schlinge um Kays Hals immer enger, da ihre eigenen Feinde einen Rachefeldzug gegen sie führen. Und während der Fall alles von ihr fordert, macht sie eine Entdeckung, die sie daran zweifeln lässt, ob sie überhaupt noch jemandem trauen kann …
Weitere Titel in der Reihe
Lass sie nicht sterben (ISBN: 9783987789649)
Töte sie alle (ISBN: 9783989981157)
Erste Leser:innenstimmen
„Die Auflösung des Falls war brillant und völlig unvorhersehbar.“
„Die Mischung aus Spannung, Action und emotionaler Tiefe ist einfach unschlagbar.“
„Kay Hunters Kampf gegen Korruption und Gier, während sie selbst ins Visier ihrer Feinde gerät, macht diesen Krimi zu einem echten Pageturner.“
„Spannend, packend und voller unerwarteter Wendungen.“
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 300
Der brutale Mord an einer Teenagerin schockiert Detective Kay Hunter und ihre Kollegen zutiefst. Was hat den Mörder dazu gebracht, ein junges Mädchen derart zuzurichten? Bei ihren Ermittlungen stößt Kay auf jede Menge schrecklicher Geheimnisse, in die nicht nur das Opfer, sondern ihr gesamtes Umfeld verstrickt war. Konfrontiert mit Gier, Korruption und einer wachsenden Zahl an Verdächtigen, wird auch die Schlinge um Kays Hals immer enger, da ihre eigenen Feinde einen Rachefeldzug gegen sie führen. Und während der Fall alles von ihr fordert, macht sie eine Entdeckung, die sie daran zweifeln lässt, ob sie überhaupt noch jemandem trauen kann …
Deutsche Erstausgabe November 2024
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98998-117-1
Copyright © 2017, Rachel Amphlett Titel des englischen Originals: One to Watch
The moral rights of the author have been asserted (in translated language and in English)
Die Urheberpersönlichkeitsrechte der Autorin wurden geltend gemacht (in übersetzter Sprache und in Englisch)
Übersetzt von: Helga Köller Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © luminescent, © manfredxy stock.adobe.com: © masisyan, © Dan Badiu Korrektorat: Marita Pfaff
E-Book-Version 28.10.2024, 10:04:21.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Unser gesamtes Verlagsprogramm findest du hier
Website
Folge uns, um immer als Erste:r informiert zu sein
TikTok
YouTube
Eva Shapperton stieß einen spitzen Schrei aus, der in der Kakofonie unterging, die aus dem weißen Zelt im oberen Garten drang. Ihre Schuhe rutschten auf dem glitschigen Rasen aus, sie ruderte wild mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Stöhnend richtete sie sich mühsam auf. Scheiße, der Rasen ist eine einzige Stolperfalle, dachte Eva und verdrehte die Augen. Schwer keuchend stand sie da, die Hände in die Hüften gestemmt, und blickte den Hang hinauf.
Warum hatte sie nicht einfach gefragt, wo die blöde mobile Toilette stand? Eva seufzte und sah sich resigniert um. Und wo zum Teufel blieb Sophie? Die hatte sich nach der Rede in Luft aufgelöst. Wäre sie nicht ihre beste Freundin gewesen, hätte Eva sich gar nicht erst blicken lassen.
Der süße Duft von frisch gemähtem Gras lag in der Luft. Rauch stieg wie gespenstische Finger aus den Feuerschalen. Die Gäste tanzten ausgelassen zu lauter Musik, die ihr noch in den Ohren dröhnte. Bunte Lichter flackerten über die Zeltwände, während der DJ einen Hit aus den Siebzigern spielte.
Eva hielt ihre Armbanduhr in den Schein der Feuerschale und schielte darauf: zweiundzwanzig Uhr. „Kein Wunder, dass alle blau sind“, murmelte sie und bekam einen Schluckauf.
Sie biss sich auf die Lippe und fragte sich, was morgen passieren würde, wenn Sophie ihr Geheimnis verriet. Es war wie eine tickende Zeitbombe, die sie nicht entschärfen konnte. Im Nachhinein wünschte sie sich, Sophie hätte ihr nie davon erzählt. Es wäre so viel einfacher gewesen.
Als die Musik kurz verstummte, hörte sie weiter unten den Bach plätschern, und ihre Blase drückte schmerzhaft. Mit zusammengekniffenen Beinen taumelte sie auf das Gebüsch zu. Wieder rutschte sie aus und fluchte leise vor sich hin. Über die Schulter blickend, sah sie die Köpfe einiger Gäste, die das Zelt zum Rauchen verlassen hatten. Auf keinen Fall würde sie in deren Sichtweite pinkeln.
Der Boden wurde allmählich ebener und Eva entdeckte rechts von sich einige große Rhododendronbüsche. Sie seufzte und trat in eine Pfütze. „Scheiße! Wenn ich hier fertig bin, gehe ich“, murmelte sie und kauerte sich hinter den Busch. Nachdem sie sich erleichtert hatte, versuchte sie, den Schlamm von ihren teuren Sandalen zu wischen.
Eva wollte so schnell wie möglich verschwinden und machte sich auf den Weg zum Zelt, als sie plötzlich etwas im Gebüsch bemerkte. Da lag jemand. Nur wenige Schritte entfernt ragten zwei bleiche, reglose Beine aus dem dichten Gestrüpp.
Evas Kehle schnürte sich zu, ihr Herz raste, ihr Magen flatterte. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, die Szene im schwachen Licht zu erfassen.
Als sie näher kam, erkannte sie den unteren Teil des Kleides. „Sophie, bist du das? Bist du ohnmächtig geworden?“ Alle Sinne in Alarmbereitschaft stolperte sie hinüber.
Wenn Sophie das Bewusstsein verloren hatte, musste sie ihre Atemwege überprüfen und sie in die stabile Seitenlage bringen.
Eva keuchte und ging vorsichtig um den Busch herum. „Soph?“ Sie blieb wie angewurzelt stehen, als sie ihre Freundin erblickte. Sophie rührte sich nicht, ihr schönes Kleid war voller Blut. Ihr Körper lag grotesk verdreht da, die Beine ineinander verschlungen, das Gesicht abgewandt.
„Sophie?“ Evas Herz hämmerte wie ein Presslufthammer. Mit aller Kraft riss sie sich zusammen, um ihr zu helfen.
Vorsichtig beugte sie sich über ihre Freundin, fasste sie an der Schulter und drehte sie langsam um. Der schlaffe Körper war schwer wie Blei, Eva kämpfte, um ihn herumzuwälzen.
Endlich war es geschafft und Eva öffnete den Mund, um mit der Wiederbelebung zu beginnen, als sie von Panik ergriffen wurde.
Sophies Augen waren weit aufgerissen und starrten ins Leere, ihr Kopf rollte zur Seite. Das blanke Entsetzen lag auf ihren Zügen, eingefroren für die Ewigkeit. Ein dunkler Streifen zog sich wie ein grausames Lächeln über ihre Wange. Dort, wo ihre Nase hätte sein sollen, klaffte ein schwarzes Loch.
Eva starrte den Hügel hinauf und begann zu schreien.
Der Einsatzwagen raste über die kurvige Landstraße, vorbei an herrschaftlichen Villen und einem gepflegten Golfplatz. Eigentlich sollte heute Kays freier Abend sein. Doch der hatte vor einer halben Stunde ein jähes Ende gefunden, als Detective Inspector Sharp sie zu einem Einsatz rief.
Jetzt fuhr sie über ein weitläufiges Anwesen und eine geschwungene Auffahrt zu einem imposanten Gebäude. Zahlreiche festlich gekleidete Menschen standen davor - das war wohl die „große Gesellschaft“, von der Sharp gesprochen hatte. Eine Menschenmenge, die unmöglich von sechs Uniformierten allein befragt werden konnte.
Kay parkte neben Sharps Wagen, stieg aus und ließ ihren Blick über die Gäste schweifen. Unzählige Augenpaare, weit aufgerissen und voller Verwirrung, richteten sich auf sie. Eine Frau, in Tränen aufgelöst, wurde von ihrem Mann zu einer Bank geführt, wo er leise auf sie einredete.
Kay rieb sich über das Gesicht und seufzte verdrossen. „Sind die alle abgefüllt, oder was?“
„Sieht ganz so aus“, erwiderte Sharp trocken. „Wer vorher nichts getrunken hat, holt das jetzt sicher nach. Kein Wunder unter diesen Umständen.“
Sie stöhnte verärgert auf. Auch wenn die Zeugen nicht unter Alkoholeinfluss standen, waren die Befragungen in einem Mordfall oft schwierig, wie sie aus eigener Erfahrung wusste. Die ersten Stunden waren entscheidend, bevor die Erinnerung verblasste oder durch andere Personen beeinflusst wurde. Eine schier unlösbare Aufgabe.
„Wer ist für die Gästeliste zuständig?“
„Gavin Piper, zusammen mit den Uniformierten. Er ist hier irgendwo.“ Sharp blickte über die Menge hinweg. „Sehen Sie sich erst mal um. Wir treffen uns in zehn Minuten auf der Terrasse. Dann reden wir mit den Eltern des Opfers.“
Kay ging durch das Haus und beobachtete die Beamten, die in verschiedenen Räumen Gäste befragten. Ihre Aussagen würden morgen genauestens überprüft werden müssen, bevor es an die akribische Arbeit ging, alle Lücken zu schließen.
Sie lief durch das Wohnzimmer und entdeckte eine angelehnte Seitentür, die auf eine gepflasterte Terrasse führte, an die sich ein weißes Festzelt anschloss.
Die Feuerschalen am Rand rauchten noch schwach, bewacht von entschlossenen Polizisten, die jeden unbefugten Zugang zu den Eisenkörben verhinderten; schließlich könnte der Täter die Mordwaffe in den Flammen entsorgt haben.
Sie blickte auf die Leinwand mit den bunten Lichtern, die in der Stille des Zeltes pulsierten. Kay trat näher und spähte durch die zurückgeschlagene Plane in den verlassenen Raum. Ein paar Stühle waren umgekippt, die Gäste hatten die Tische offenbar fluchtartig verlassen, als der Alarm ertönte.
Ihr Blick fiel auf das Mischpult, hinter dem der DJ sichtlich zusammenzuckte. Er schlug sich mit der Hand auf die Brust und richtete sich auf, die Hände voll mit Kabeln. „Oh Mann, wo kommen Sie denn her?“, rief er überrascht.
Kay hielt ihre Dienstmarke hoch und stellte sich vor. „Detective Sergeant Kay Hunter.“
Er reichte ihr die freie Hand. „Tom Williams. Ihr Kollege hat mich bereits befragt.“ Während sein Blick über die aufgebaute Ausrüstung wanderte, zog Williams ein Kabel aus einem der Lautsprecher und die Anlage verstummte mit einem dumpfen Knacken.
„Okay, dann kennen Sie das Spiel ja. Waren Sie schon vor der Party hier?“
„Ich kam gegen vier ins Zelt.“ Williams begann, sich ein weiteres Kabel um die Hände zu wickeln.
„Und wo waren Sie vorher?“
„In meinem Van, ich habe Radio gehört und Zeitung gelesen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Nicht sehr glamourös, oder?“ Er verzog missmutig das Gesicht. „Und jetzt muss ich die Anlage lüften. Der Rauch von den Feuerschalen - das können Sie sich nicht vorstellen.“ Er warf das zusammengerollte Kabel in einen schwarzen Kasten neben Kay.
„Ist Ihnen jemand aufgefallen, der sich merkwürdig verhielt? Sah jemand verdächtig aus?“
Williams schüttelte den Kopf. „Ich war mit dem Aufbau der Anlage beschäftigt, also nein. Aber das sagte ich Ihrem Kollegen schon. Danach habe ich noch ein paar Stunden im Van geschlafen, sorry.“
Kay gab ihm ihre Visitenkarte und überließ den DJ seiner Arbeit.
Zurück auf der Veranda entdeckte sie Sharp auf der anderen Seite, umringt von aufgeregten Gästen. Er unterhielt sich mit einem älteren Ehepaar und einem jungen Mann. Der Wind trug einen amerikanischen Akzent herüber. Neugierig trat sie näher an den älteren Mann heran, der mit lauter Stimme sprach und seine langen Beine fest in den Boden gestemmt hatte. Die Hände hielt er vor dem Körper verschränkt, als wolle er keine unnötigen Gesten machen. Neben ihm stand sein jüngeres Ebenbild und starrte mit hängenden Mundwinkeln auf den Boden.
Kay ließ den Blick über die Frau schweifen. Offenbar hatte sie mehr als einmal unter dem Messer gelegen, ihre Gesichtszüge wirkten unnatürlich starr und leicht verzerrt. Als sie Kay bemerkte, legte sie schützend den Arm um ihren Sohn.
Sharp nickte ihr zu, als sie näherkam. „Ah, Hunter, gutes Timing.“ Er deutete auf das Paar. „Das sind Blake und Courtney Hamilton und ihr Sohn Josh.“ Sharp senkte die Stimme und erklärte leise: „Er ist der Verlobte des Opfers.“
Kay reichte den Eltern die Hand und sprach ihnen ihr Beileid aus. Dann wandte sie sich Josh zu und stellte sich vor.
Der junge Mann starrte sie mit geröteten Augen und unverhohlenem Schmerz an. Seine Stimme zitterte, als er sagte: „Sie müssen den Mörder finden. Er darf nicht ungestraft davonkommen.“ Er biss sich auf die Lippe und spannte seinen ganzen Körper an, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten.
Sharp trat vor. „Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht“, versicherte er und wandte sich an die Eltern: „Bringen Sie Ihren Sohn nach Hause. Wir melden uns morgen.“
Mr Hamilton bedankte sich, legte die Hand auf die Schulter seines Sohnes und zog ihn mit sich.
Kay sah der Familie nach, bis sie schließlich im Schatten des Gartenweges verschwand, der zur Vorderseite des Hauses führte. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. „Der arme Junge.“ Sie warf einen Blick auf das verlassene Zelt. Die Stille war jetzt noch bedrückender. „Hier ist alles wie in einem Königspalast arrangiert. Das muss ein Vermögen gekostet haben.“
„Weil nicht nur eine Verlobung gefeiert wurde“, erläuterte Sharp und schob die Hände in die Hosentaschen. „Die Hamiltons und die Whittakers - genauer gesagt Lady Griffith und ihr Mann - gehören einer kleinen religiösen Gruppe an. Dort werden junge Mädchen dazu angehalten, ein Keuschheitsgelübde abzulegen, bis sie verheiratet sind. Das wurde heute Morgen mit einer großen Zeremonie gefeiert, und danach folgte die Verlobung.“
Kay öffnete den Mund und schloss ihn schnell wieder. „Ein was?“
Sharp presste die Lippen zusammen und stieß mit zusammengebissenen Zähnen aus: „Enthaltsamkeitsgelübde.“ Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Das ist wohl ein amerikanischer Trend, der vor ein paar Jahren hierher geschwappt ist.“
„Oh.“ Kay blinzelte und deutete auf die prunkvollen Aufbauten. „Klingt wie etwas aus einem mittelalterlichen Roman, oder?“
„In der Tat.“
„Wow.“ Kay verzog den Mund und wiegte den Kopf.
Sharp nickte zum hinteren Teil des Gartens, wo die Spurensicherung unter der Leitung von Harriet Baker gerade ein paar Scheinwerfer aufbaute.
„Wie auch immer. Sophie Whittaker lag jedenfalls hinter diesen Büschen.“ Er deutete auf einen entfernten Teil des Gartens. „Laut Harriet wurde ihr der Schädel mit einem stumpfen Gegenstand eingeschlagen.“
„Sollen wir jetzt die Gäste auf Blutspritzer untersuchen?“
Sharp nickte. „So in etwa. Und alle anderen, die hier gearbeitet haben – vom Caterer bis zum Barkeeper.“ Er verdrehte die Augen und fuhr sich mit der Hand über den Kopf.
„Wo sind die Eltern des Opfers?“
„In einem Gästezimmer, weil die Spurensicherung noch ihr Schlafzimmer durchsucht. Debbie West ist bei ihnen.“ Sharp warf einen Blick auf die Uhr und entschied, dass sie die Eltern des Opfers befragen würden, bevor sie das weitere Vorgehen besprachen.
Kay nickte und folgte ihm durch den langen Flur, dessen Fenster auf die geschwungene Auffahrt hinausgingen. Jeder Schritt auf der mit Teppich ausgelegten Treppe schien ihr schwerer zu fallen. Ihre Gedanken waren bei der bevorstehenden Begegnung mit den Eltern des getöteten Mädchens.
Auf dem Treppenabsatz stellte sich ihnen eine Frau in den Weg, das graue Haar zu einem festen Knoten gebunden, die Hände vor dem Bauch gefaltet und die Lippen zusammengepresst. „Kann ich Ihnen helfen?“
„Detective Inspector Devon Sharp. Wir müssen mit Mr und Mrs Whittaker sprechen. Und Sie sind?“
„Grace Jamieson. Ich bin Lady Griffith’ Haushälterin.“
Eine Tür öffnete sich und Debbie West trat eilig in den Flur. „Sir, perfektes Timing“, flüsterte sie. „Sie verlieren langsam die Geduld …“
„Danke, Debbie.“ Sharp schob sich an der Frau vorbei und betrat das Gästezimmer.
Die Haushälterin setzte sich in Bewegung, um ihm zu folgen, doch West hielt sie mit erhobener Hand auf. „Sie müssen hier warten, Mrs Jamieson.“
Kay folgte Sharp, nickte Debbie kurz zu und bereitete sich innerlich auf die bevorstehende Aufgabe vor. Die Familie eines Mordopfers zu treffen, stellte immer eine große Herausforderung dar. Erschwerend kam hinzu, dass die Tochter erst sechzehn Jahre alt gewesen war.
Unterwegs hatte Sharp erwähnt, dass die Mutter auch unter dem Namen Lady Diane Griffith bekannt war und über tausend Ecken mit der königlichen Familie verwandt sein sollte.
Sie saß kerzengerade auf einem hellgrünen Samtschemel, das dunkle Haar mit echtem Schildpatt aus dem Gesicht gekämmt. Sie trug ein tiefblaues trägerloses Kleid und darüber eine Stola. Aus hellblauen Augen sah sie Sharp an.
„Mr Whittaker, Lady Griffith, das ist Detective Sergeant Kay Hunter. Sie wird diese Ermittlung mit mir leiten“, erklärte Sharp mit fester Stimme.
Kay überkam der panische Gedanke, ob sie einen Knicks machen sollte, aber sie verdrängte ihn sofort und schüttelte der Dame einfach die Hand. Dann wandte sie sich Matthew Whittaker zu und hob den Kopf, um den hochgewachsenen Mann anzusehen. Unter buschigen Brauen blitzten braune Augen hervor und starrten sie an. Eine leichte Alkoholfahne wehte ihr entgegen, als er sich vorstellte.
„Inspector, dauert es noch lange, bis wir unser Schlafzimmer betreten dürfen?“, fragte er. „Meine Frau benötigt Ruhe. Sie können sie nicht stundenlang hier festhalten.“
„Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten, Mr Whittaker. Meine Leute arbeiten so schnell sie können.“ Dass gerade zwei Kriminaltechniker sein Zimmer auf den Kopf stellten, behielt Sharp lieber für sich.
„Kümmern Sie sich lieber um diesen widerlichen Kerl, der immer wieder hier auftaucht“, warf Diane Whittaker mit scharfer Stimme ein.
Kay wirbelte herum. „Josh Hamilton? Der Verlobte Ihrer Tochter?“
Die Adlige verdrehte die Augen. „Nicht Josh, um Himmels willen. Der andere Junge, der immer herkam und Ärger bereitete.“ Sie schnippte mit den Fingern und hob den Kopf zur Decke. „Peter … Peter …“
„Peter Evans“, ergänzte ihr Mann und drehte sich zu Sharp um. „Es stimmt, Sie müssen mit ihm reden. Er hat ein Problem damit, dass Sophie Josh versprochen wurde.“ Seine Miene verfinsterte sich. „Als er das letzte Mal hier war, habe ich ihm gedroht, die Polizei zu rufen, wenn er nicht verschwindet. Er ist eine verdammte Nervensäge. Wie ein verliebter Welpe.“
„Haben Sie seine Adresse?“, stieß Kay aus. Whittaker ratterte den Straßennamen mit der Wut und Präzision eines Maschinengewehrs herunter.
Kay sah Sharp fragend an. „Fahren Sie hin!“, befahl er. „Und nehmen Sie zwei Uniformierte mit. Beeilen Sie sich!“ Kay drehte sich auf dem Absatz um und verließ zügig das Zimmer.
Kay klammerte sich ans Lenkrad und starrte auf die Rücklichter des Streifenwagens vor ihr, während ihr Herz mit jeder Kurve schneller schlug. Als sie den weitläufigen Vorort erreichten, verstummte das Martinshorn und sie atmete erleichtert auf. Es war besser, einen möglichen Verdächtigen nicht vor ihrer Ankunft zu warnen.
Sie folgte dem Streifenwagen aus dem Kreisverkehr in ein Labyrinth aus Reihenhäusern, bis er vor einem unscheinbaren dreistöckigen Haus zum Stehen kam. Als sie aus dem Wagen sprang, kam ihr Constable Derek Norris entgegen.
„Nichts für ungut, aber wir gehen vor“, sagte er knapp. Kay nickte und winkte ihn voraus.
Norris bedeutete seinem Beifahrer, einem jungen Mann, dessen Namen Kay nicht kannte, ihm zu folgen. Dann schlüpfte er durch das morsche Holztor zum Haus.
Norris hämmerte gegen die Tür, das dumpfe Echo durchbrach die Stille der Nacht. Kurz darauf ertönte Gebell aus dem oberen Stockwerk. Ein Mann brüllte, der Hund verstummte. Kay umklammerte ihren Teleskopschlagstock, Adrenalin schoss durch ihre Adern.
Norris hob erneut die Faust, als plötzlich die Außenbeleuchtung aufflammte. Ein junger Mann, kaum älter als zwanzig, öffnete die Tür und starrte mit weit aufgerissenen Augen heraus. Norris schob ihn in die Wohnung.
Kay drehte sich zu dem jungen Kollegen um und befahl ihm, seinen Posten unter keinen Umständen zu verlassen und bei Bedarf sofort Verstärkung anzufordern. Dann stürmte sie hinter Norris die Treppe hinunter, doch der versperrte ihr den Weg. „Es gibt ein Problem“, murmelte er und verzog das Gesicht.
Ein kurzer Blick genügte, um die kleine heruntergekommene Einzimmerwohnung zu erfassen: ein ungemachtes Bett, ein abgewetztes Sofa, ein kleiner Fernseher und ein winziges Bad, das von einer nackten Glühbirne erhellt wurde. Mit erhobenem Schlagstock blickte sie an Norris vorbei zu dem Mann, der am Fußende des Bettes saß und verwirrt wirkte.
„Sind Sie Peter Evans?“
Er hob den Blick, sein schulterlanges Haar war feucht, seine blauen Augen blutunterlaufen. „Ja.“
„Ich hab mich kurz umgesehen. Hinter der Tür steht ein gepackter Koffer“, flüsterte Norris Kay zu. „Mit Männer- und Frauenkleidung. Und auf dem Bett sind Blutflecke.“
„Hat er sichtbare Wunden?“ Sie streckte sich, um besser sehen zu können.
Norris schüttelte den Kopf.
„Verfluchter Mist!“, zischte Kay. „Okay, abführen, Wohnung versiegeln.“ Sie deutete mit dem Daumen auf den jungen Kollegen. „Er soll hierbleiben, bis die Spurensicherung kommt.“
Norris nickte und wandte sich entschlossen wieder dem Verdächtigen zu. Seine Stimme hallte durch den Flur, als er ihm seine Rechte vorlas und ihn aus der Wohnung führte.
Kay griff nach ihrem Handy und wählte auf dem Weg zum Auto Sharps Nummer. Als sie sich gegen den Wagen lehnte, sah sie die hell erleuchteten Fenster der Nachbarhäuser. Der Gesprächsstoff für morgen war auf jeden Fall gesichert.
Nach dem vierten Klingeln meldete sich Sharp. „Was gibt’s?“
„Evans saß auf gepackten Koffern, und auf seinem Bett ist Blut. Wir haben ihn festgenommen.“
„Dann werden wir ihn sofort verhören“, entschied Sharp. „Ich schicke die Spurensicherung rüber. Wir sehen uns auf dem Revier.“
Kay beendete das Gespräch und warf einen Blick auf den Verdächtigen, der zusammengesunken im Streifenwagen saß, den Kopf gegen die Kopfstütze gelehnt. Eine bleischwere Ungewissheit legte sich auf ihre Brust. Was war in dieser Wohnung geschehen? Welche dunklen Geheimnisse würden ans Licht kommen, wenn er endlich redete?
Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich hinter das Lenkrad fallen und machte sich auf den Weg zur Wache, entschlossen, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Peter Evans schlurfte in den dunklen Verhörraum und ließ sich schwer auf einen Stuhl sinken. Sein Pflichtverteidiger setzte sich neben ihn und stellte seine Aktentasche mit einem dumpfen Geräusch ab.
Evans trug einen schlabbrigen Papieroverall und Einwegüberschuhe, da seine eigene Kleidung von der Spurensicherung beschlagnahmt worden war. Er hielt die Hände im Schoß und zupfte nervös an dem raschelnden Material.
Kay schlug ihr Notizbuch auf, starrte den jungen Mann an und versuchte, hinter seine Fassade zu blicken. Sharp belehrte den Verdächtigen über seine Rechte und ließ ihn seine Personalien angeben. Dann lehnte er sich zurück und musterte ihn scharf. „Mr Evans, ich habe schon viele Morde gesehen, aber noch keinen so kaltblütigen.“
Evans hob das Kinn und sah Sharp direkt in die Augen. „Ich bin unschuldig“, stieß er mit brüchiger Stimme aus und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.
Mit einem Anflug von Mitleid und einem Hauch von Abscheu schob Sharp ihm eine Packung Taschentücher über den Tisch. Der junge Mann zog zwei heraus und putzte sich geräuschvoll die Nase.
„Wann haben Sie Sophie das letzte Mal lebend gesehen?“, fuhr der DI ungerührt fort.
„Gestern Morgen um acht.“ Evans schniefte. „Das war meine einzige Chance, sie zu sehen. Zur Party durfte ich nicht kommen, und in der Kirche war ich auch nicht erwünscht – zum Glück. Diese eingeschworene fromme Bande ist mir nicht geheuer.“
„Wo trafen Sie sich?“
„In der Nähe ihres Hauses. Sie schlich sich während der Vorbereitungen raus.“
„Wollten Sie ihr die Zeremonie ausreden?“
Evans’ Anzug knisterte, als er mit den Schultern zuckte, dann senkte er den Kopf und murmelte kaum hörbar: „Ja, das Ganze war einfach falsch und schwachsinnig.“ Sein Blick schnellte nach oben. „Herrgott noch mal, sie sollte ihrem Vater zuliebe enthaltsam bleiben! Wir leben doch nicht im Mittelalter! Außerdem hätte sie Josh sowieso erst mit achtzehn geheiratet.“
„Wie hat sie auf Ihre Versuche reagiert?“
Er wischte sich über die Augen. „Sie sagte, sie müsse es tun und ein Rückzieher käme nicht infrage. Es wäre wichtig, den Schein zu wahren.“ Er machte Anführungszeichen in der Luft und rief: „Bullshit!“
„Wie alt sind Sie, Mr Evans?“
„Neunzehn.“
„Und Sie hatten eine Beziehung mit einer Sechzehnjährigen?“
Der junge Mann schob herausfordernd die Unterlippe vor. „Dagegen gibt es doch kein Gesetz, oder?“
„Hatten Sie Geschlechtsverkehr mit ihr, bevor sie sechzehn wurde?“
„Nein.“ Evans rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und funkelte Sharp an. „Sie war meine große Liebe. Diese Leute … die haben sie nur benutzt.“
„Welche Leute?“
„Ihre und Joshs Eltern.“
„Inwiefern benutzten sie Sophie?“
Der junge Mann sackte in sich zusammen. „Es ging ihnen nur ums Geld. Blake Hamilton ist völlig besessen davon, zur englischen Aristokratie zu gehören.“
„Und als Sophie seinen Sohn heiraten wollte, beschlossen Sie, die Sache selbst in die Hand zu nehmen?“
„Nein!“
„Erklären Sie mir, warum wir Blut auf Ihrem Bett fanden“, warf Kay plötzlich ein.
Der junge Mann schluckte und murmelte verlegen: „Vom Sex mit Sophie.“
Sharp runzelte irritiert die Stirn. „Ich dachte, ihr habt euch draußen getroffen.“
„Wir sind in meinem Van zu meiner Wohnung gefahren.“
„Haben Sie sie dort zum Sex gezwungen?“
„Nein!“ Die Farbe wich aus seinem Gesicht. „Natürlich nicht!“
„Dann erklären Sie mir das Blut auf Ihrem Bett.“
Evans’ Gesicht lief plötzlich rot an. „Es … die Leidenschaft hat mich gepackt, ich war etwas ungestüm. Ich habe sie nicht vergewaltigt, das müssen Sie mir glauben!“
„Und wie ist Sophies Pass in Ihre Wohnung gekommen?“, fragte Kay.
Der junge Mann ließ die Schultern hängen. „Ihre Sachen waren in meinem Koffer, weil wir durchbrennen wollten. In den letzten Wochen hat sie bei jedem Treffen ein paar Kleidungsstücke mitgebracht.“
„Wohin sollte die Reise denn gehen?“
„Nach Frankreich“, murmelte er trotzig. „Wir sprechen Französisch, Sophie sogar besser als ich.“ Er seufzte schwer. „Wir wollten dort als Englischlehrer arbeiten. Und ein bisschen reisen. O Gott …“ Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch und vergrub das Gesicht in den Händen. „Und jetzt ist sie tot.“
Sharp ließ ihm einen Moment Zeit, dann schlug er die Akte vor sich auf und klickte mit dem Kugelschreiber. „Wo ist die Tatwaffe?“
„Welche Tatwaffe? Ich bin unschuldig! Das sagte ich doch!“ Der Verdächtige sprang von seinem Stuhl auf, knallte die Hände auf den Tisch und lehnte sich vor. „Während Sie mir hier Löcher in den Bauch fragen, läuft Sophies Mörder frei herum.“
Der Pflichtverteidiger packte den Arm seines Mandanten und drückte ihn sanft auf den Stuhl zurück. Herausfordernd hob er die Augenbrauen in Sharps Richtung.
Der erhob sich, „Verhör um null Uhr siebenundzwanzig beendet“, und schaltete das Tonbandgerät aus.
Kay sammelte ihre Notizen ein und stand auf. „Wir bringen Sie jetzt in Ihre Zelle, Mr Evans.“
Der junge Mann starrte auf seine zitternden Hände. Ein bitteres Lachen entfuhr ihm. „Ich kann es nicht glauben.“
Kay hielt inne, als sie die Tür öffnete. Ein ungutes Gefühl beschlich sie, als sie seinen leeren Blick sah. Etwas stimmte hier nicht.
„Kommen Sie, Mr Evans“, forderte sie ihn auf und führte ihn aus dem Verhörraum. Aber das Unbehagen ließ sie nicht los. Sie wusste, dass der Fall nicht gelöst war und sie womöglich einen Unschuldigen hinter Gitter brachten.
Kay parkte ihren Wagen in der Einfahrt und warf beim Aussteigen einen prüfenden Blick auf die stille Straße. Ein Fuchs huschte wie ein Schatten über den pockennarbigen Asphalt. Im trüben Mondlicht kramte sie in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel und öffnete die Tür.
Das Licht in der Küche brannte und tauchte den Flur in einen warmen Schein. Ausnahmsweise stolperte sie nicht über ein Tier. Als Partner in einer der geschäftigsten Tierarztpraxen der Stadt brachte Adam seine Arbeit oft mit nach Hause - im wahrsten Sinne des Wortes. Doch in den vergangenen Wochen hatte er sich vor allem um trächtige Stuten gekümmert.
Sie ließ ihre Tasche schwer auf den Küchentresen fallen, füllte ein Glas mit Wasser und trank es in einem Zug aus. Trotz ihrer großen Erschöpfung würde es mindestens eine halbe Stunde dauern, bis sie entspannt genug wäre, um schlafen zu können. Also ging sie ins Wohnzimmer, schaltete die Leselampe an und blätterte in der Zeitung vom Vortag.
Sie versuchte, einen Artikel zu lesen, aber sie verlor immer wieder den Faden. Sagte Evans die Wahrheit? Hatte Sophie ihm wirklich freiwillig ihre Sachen und ihren Pass gegeben? Trotz des Blutes in seiner Wohnung und der bisherigen Beweise brauchten sie mehr, um ihn anzuklagen.
Seufzend ließ sie sich auf das Sofa sinken. Morgen würden sie die Aussagen aller Partygäste und die der Eltern des verlobten Paares durchgehen. Was für ein Höllenritt - das würde ewig dauern.
Und die Hamiltons? Diese amerikanische Familie schien im Geld zu schwimmen. Nicht nur, dass sie teure Designerklamotten trugen, die Frau sah aus, als hätte sie ein Vermögen beim Schönheitschirurgen gelassen. Es war beim besten Willen nicht möglich, ihr Alter zu schätzen. Ihr Mann schien jedenfalls Mitte fünfzig zu sein.
Jetzt war Kay nicht nur hellwach, sondern auch neugierig, und beschloss, mehr über sie erfahren. Was hatte ein stinkreicher Amerikaner mit einer britischen Familie aus dem niederen Adel zu tun? Sie schlurfte in die Küche, um ihr Handy zu holen.
Zurück auf der Couch googelte sie Blake Hamilton. Hamilton Enterprises beanspruchte die ersten drei Seiten für sich. Sie klickte auf die Homepage der Firma und öffnete den Bereich Management. Blake stammte aus Connecticut und hatte vor drei Jahren in Großbritannien eine Beratungsfirma gegründet, die sich auf den Aufbau lukrativer Unternehmensnetzwerke spezialisiert hatte. Die Firma wuchs schnell und ließ die Konkurrenz weit hinter sich.
Kay speicherte eine Erinnerung in ihrem Handy, sich die Homepage genauer anzusehen. Dann suchte sie nach Diane Whittaker, auch bekannt als Lady Griffith. Die Ergebnisse waren dürftig und beschränkten sich im Wesentlichen auf Berichte aus Klatschblättern. Ihre Eltern waren vor einigen Jahren gestorben, sie unterstützte mehrere lokale Wohltätigkeitsorganisationen und wurde überall lobend erwähnt. Über ihre Persönlichkeit verrieten die Artikel jedoch wenig.
Matthew Whittaker besaß eine Softwarefirma. TechWave Solutions war weniger erfolgreich als Hamilton Enterprises, aber in der Branche hoch angesehen, wenn man der Homepage glauben durfte. Es gab einige Fotos, die ihn mit seiner Familie bei gesellschaftlichen Anlässen zeigten. Kay vergrößerte eines und betrachtete Sophie. Der Anblick ihres breiten Lächelns versetzte ihr einen Stich ins Herz, als hätte jemand ein kaltes Messer hineingestoßen.
Sie schloss die Augen und holte tief Luft. Wenn sie weiter im Netz surfte, würde sie nie schlafen. Es juckte sie in den Fingern, die gefundenen Informationen aufzuschreiben, aber heute nicht mehr. Außerdem würde Sharp diese Aufgabe ohnehin an einen uniformierten Polizisten oder einen Verwaltungsangestellten delegieren.
Also schaltete sie das Licht aus und schlich die Treppe hinauf. Vorsichtig stieg sie über die knarrende fünfte Stufe, um Adam nicht zu wecken, und zwängte sich durch den Spalt der angelehnten Schlafzimmertür. Noch schnell den Wecker gestellt und ab unter die warme Decke zu Adam.
„Ein neuer Mordfall?“, murmelte er verschlafen.
Sie verdrehte die Augen und zischte: „Hätte ich gewusst, dass du wach bist, hätte ich mich nicht wie ein verfluchter Spion hochgeschlichen.“
„Das hast du ziemlich gut gemacht, muss ich sagen.“
Sie drehte sich um, schlug ihm auf den Arm und unterdrückte ein Kichern. „Halt die Klappe und schlaf weiter.“
Kay blickte von ihrem Schreibtisch auf, als Sharp mit Detective Chief Inspector Larch im Schlepptau den Einsatzraum betrat. Der DCI eilte an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, und baute sich vor dem Whiteboard auf. Seine strengen Augen durchbohrten das Team, und augenblicklich verstummten alle und richteten ihre volle Aufmerksamkeit auf ihn.
Sharp flüsterte Larch etwas zu und reichte ihm ein Blatt Papier. Larch schnappte es sich, presste die Lippen zusammen und warf Kay ein hämisches Grinsen zu, bevor er Sharp bedeutete, weiterzumachen.
Nach den letzten gelösten Fällen hatte Kay gehofft, dass der DCI die Ermittlungen der Internen Aufsicht gegen sie endlich zu den Akten legen würde, aber offensichtlich war das nicht der Fall.
Sie biss sich auf die Lippe, bis sie einen metallischen Geschmack auf der Zunge spürte. Aber Larchs Abneigung würde sie nicht davon abhalten, ihre Weste reinzuwaschen und die Ungerechtigkeit ihrer Suspendierung ein für alle Mal hinter sich zu lassen.
Sharps Stimme schnitt wie ein scharfes Messer durch das Büro und riss sie aus ihren Gedanken.
„Alle mal herhören!“ Er hielt einen Moment inne, bis sich alle zu ihm umgedreht hatten. „Gestern Abend wurde Sophie Whittaker, die Tochter von Lady Griffith of Crossways Hall und Matthew Whittaker, während einer Party brutal ermordet.“ Er pinnte ihr Foto an die Tafel, neben das Bild ihrer Leiche, das ein Forensiker am Tatort aufgenommen hatte. „Sie war sechzehn Jahre alt und wurde mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen. Die Tatwaffe wurde nicht gefunden. Die Familie gehört einer exklusiven Kirchengemeinde an, einem Ableger der örtlichen Baptistenkirche. Gefeiert wurden Sophies sogenanntes Keuschheitsgelübde und ihre Verlobung mit Josh Hamilton. Hunter, finden Sie heraus, was es mit diesem Gelübde auf sich hat. Wir kümmern uns später darum.“
Kay nickte und machte sich Notizen. „Ja, Chef.“
„Am Tatort erhielten wir einen Hinweis, der zur Verhaftung von Peter Evans führte“, machte Sharp weiter. „Er befindet sich in Gewahrsam. Die Spurensicherung fand in seiner Wohnung einen gepackten Koffer mit Kleidungsstücken des Opfers und ihren Pass. Auf seinem Bett war Blut. Er bestreitet alle Vorwürfe und sitzt in einer Arrestzelle.“
Eine bedrückende Stille legte sich über den Raum, die nur durch das leise Kratzen eines Kugelschreibers auf Papier unterbrochen wurde.
„Wir werden den Verdächtigen nach dieser Besprechung noch einmal verhören.“ Sharp sah auf seine Uhr. „DCI Larch hat eine baldige Autopsie angeordnet, aber es wird mindestens achtundvierzig Stunden dauern, bis die Ergebnisse vorliegen.“ Er warf allen einen unerbittlichen Blick zu. „Ohne Aufschub bleiben uns noch sechsundneunzig Stunden, um die Schuld des Verdächtigen zu beweisen.“
DCI Larch trat vor und ergriff das Wort. „Ich werde diesen Fall mit Argusaugen verfolgen. Sophie Whittakers Pate ist der Right Honourable Richard Fremchurch, und er erwartet, dass die Ermittlungen zügig abgeschlossen werden.“ Er sah jeden von ihnen an. „Ich bin der Einzige, der Informationen an die Medien weitergibt. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ Zustimmendes Gemurmel erfüllte den Raum. „Gut. Fahren Sie fort“, blaffte Larch in gewohnter Manier und nickte Sharp zu.
„Zur Aufteilung für heute: Miles, Sie beobachten das erneute Verhör. Ich will wissen, was Sie von dem Kerl halten. Danach besprechen wir das. Dann fragen Sie bei der Spurensicherung nach, ob noch mehr in Evans’ Wohnung gefunden wurde.“
„Wird erledigt, Chef.“
Während sie sich Notizen machte, nickte Kay DC Miles zu. Sie arbeitete schon eine Weile mit ihr zusammen und bewunderte ihre Hartnäckigkeit. Aber ihr letzter gemeinsamer Fall hatte sie fast das Leben gekostet und ihren Ehrgeiz etwas gedämpft.
„Piper, Sie durchleuchten Peter Evans’ Leben. Ich will wissen, ob er uns die Wahrheit gesagt hat.“
Als Gavin Piper nickte, bemerkte Kay, dass seine Augen blutunterlaufen waren. Sein blondes Haar war noch zerzauster als sonst, vermutlich hatte er die halbe Nacht Zeugenaussagen am Tatort aufgenommen. Wahrscheinlich würde er sich später literweise Kaffee hinter die Binde kippen.
Sie blickte gerade wieder nach vorn, bereit, den Befehlen ihres Vorgesetzten zu folgen, als Sharp sich wieder an sie wandte. „Hunter, Sie und Barnes befragen die Eltern des Opfers.“
Larch deutete mit seinem Wurstfinger auf sie und zischte: „Und seien Sie taktvoll! Es wird mir zu Ohren kommen, wenn Sie sich nicht an die Spielregeln halten!“ Dann stapfte er davon und hinterließ eine beißend riechende Aftershave-Wolke.
Nachdem die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss gefallen war, beendete Sharp das Meeting und schickte alle zurück an die Arbeit.
Barnes lenkte den Wagen vor Crossways Hall, dem Anwesen der Whittakers, und Kay starrte ehrfürchtig auf die mächtigen Schornsteine, die sich hoch über dem Gebäude erhoben. Efeu kletterte an den Mauern empor, seine grünen Ranken reichten bis zu den obersten Fenstern, und eine Glyzinie bewachte den verschnörkelten Eingang.
„Nicht schlecht, wenn man das nötige Kleingeld hat“, merkte er trocken an.
„Allerdings. Wer weiß, ob sie jetzt noch hierbleiben wollen“, murmelte Kay und dachte an den Schmerz der Familie.
„Ich weiß nicht, ob ich das könnte.“ Barnes parkte neben einem weißen Lieferwagen. Kay stieg aus und wartete auf ihren Kollegen.
„Wie willst du vorgehen?“, fragte er.
„Sprich du lieber mit der Mutter“, schlug sie vor. „Du hast selbst ein Kind und kannst dich wahrscheinlich besser in ihre Lage versetzen. Ich rede mit dem Vater.“
Kurz vor der Haustür stürmte ein Mann mit Bierbauch und hochrotem Kopf auf sie zu. Mit geballten Fäusten rannte er die Treppe hinunter und warf sich in den Lieferwagen. Dann ließ er die Reifen durchdrehen und raste davon, Kieselsteine prasselten gegen das Auto der Ermittler.
„Es tut mir so leid“, ertönte eine gedämpfte Stimme. Sie drehten sich zu Matthew Whittaker um, der erschöpft und mit hängenden Schultern in der Tür stand.
„Wer war das?“, erkundigte sich Kay.
„Ihm gehört der Zeltverleih“, erklärte Whittaker. „Er kommt nicht an seinen Pavillon heran, weil noch alles abgesperrt ist. Deshalb will er den Mietvertrag verlängern und verlangt entsprechend mehr Geld. Angeblich steht das so im Vertrag. Er hat sogar gedroht, für die Unannehmlichkeiten eine Extra-Gebühr zu berechnen.“ Er machte mit den Fingern Anführungszeichen und ließ die Arme sinken.
„Wenn Sie mir seinen Namen nennen, werde ich mich darum kümmern. Vielleicht kann ich etwas aushandeln“, bot Kay an.
„Das wäre sehr freundlich. Ich nehme an, Sie möchten uns einige Fragen stellen“, sagte Whittaker mit gepresster Stimme.
„Guten Tag, Detectives.“ Hazel Aldridge lugte lächelnd durch die Tür. Kay hoffte, dass man ihr die Erleichterung über die Anwesenheit der Opferschutzbeauftragten nicht ansah. Ihre Rolle als Bindeglied zwischen dem Ermittlungsteam und den Familien war von unschätzbarem Wert.
„Hazel, danke, dass Sie gekommen sind“, meinte Kay und wandte sich wieder Whittaker zu. „Dürfen wir eintreten?“
Sie wurden durch den großen Flur zu einer dunklen, holzvertäfelten Tür geführt, die ins Wohnzimmer ging. Diane Whittaker erhob sich mit rot umrandeten Augen von einem malvenfarbenen Zweisitzer.
„Guten Morgen, Lady Griffith“, begann Kay leise. „Ich weiß, dass Sie gerade eine schwere Zeit durchmachen. Trotzdem müssen wir Ihnen ein paar Fragen stellen.“
Die Dame nickte und bot ihnen einen Platz an. Als sie sich gesetzt hatten, zog Kay ihr Notizbuch aus der Tasche. „In Peter Evans’ Wohnung wurden Sophies Kleider und ihr Pass sichergestellt. Haben Sie eine Ahnung, wie diese Sachen in seinen Besitz gelangt sind?“
Diane Whittaker keuchte, schlug zitternd die Hand vor den Mund und sank auf dem Sofa zusammen.
Kay senkte die Stimme und tastete sich behutsam vor. „Wissen Sie etwas über Sophies Beziehung zu Peter Evans?“