Schwulitäten unterm Tannenbaum - Xaver Ludwig Cocker - E-Book

Schwulitäten unterm Tannenbaum E-Book

Xaver Ludwig Cocker

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Beschreibung

Wenn im Advent die Lichtlein brennen, darf das schwule Gemüt nicht zu kurz kommen! Deshalb hat Xaver Ludwig Cocker im vorliegenden Band zahlreiche Märchen, Geschichten, Lieder und Gedichte rund um die weihnachtliche zwischen Männern zusammengestellt. Bei Lebkuchenschmaus und Tannenduft kann nämlich allerhand Romantisches oder Prickelndes passieren: Da taucht mitten in der Bescherung ein Stripper im Weihnachtsmannkostüm auf, eine Straßenbahn voller halbnackter Kerle fährt durch die Nacht und Privatdetektiv Kinkhorn muss ausgerechnet in der Adventszeit einen Diebstahl unter Pornodarstellern aufklären. In der Speisekammer eines Knabeninternats geschehen am Heiligen Abend wunderliche Dinge, ein Weihnachtswichtel mischt sich in das Liebesleben eines ahnungslosen Schweden ein und der arme Kevin wird seine Familie einfach nicht los, obwohl er seinen Dates ein sturmfreies Haus über die Feiertage versprochen hat. Festlich geschmückt mit über 80 Illustrationen, teilweise farbig.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis
Cover
Titelseite
Impressum
Zum Geleit
1. Die allerersten Baumschmücker
2. Es ist für Jungs eine Zeit angekommen
3. Der selbstverliebte Koloss
4. Tomte Tummeltuck
5. Nords Manntanne
6. Lasst uns Po und Schwanz befrei'n
7. Ruppiger Knechter
8. Morgen, Chubby, wird's was geben
9. Der Eispräsident
10. Es bückt sich Ray
11. Henry Rothirsch mit den zehn Enden
12. Die Sünde vor Weihnachten
13. Ein pornografischer Zwischenfall
14. Der feuchte Adventstraum
15. Mille lädt ein
16. Der Weihnachtsgast Augusto
17. Wie der Grantler die XXXmas-Party vermiesen wollte
18. Der Pfefferkuchenfluch
19. Spanners Weihnachtsabend
20. Lederpüppchen
21. Süßer die Männer nie küssen
22. Der Tannenbaumdieb
23. Der Schlingel mit dem Kingsize-Ding
24. Kevins volles Haus
25. Morgen kommt die Weihnachtspost
26. Unanständiges Christnachtmurmeln
27. Der Nussknabberer
28. Am Weihnachtshimmel
29. Die Polar-Tram
30. Wenn Weihnachten ist
31. Verlobung zum Fest
32. Heimlichkeiten in der Speisekammer
33. Das Lied vom Tannenzapfen
34. Der vertauschte Weihnachtswunsch
35. Der Einbruch zur Heiligen Nacht
36. Die Weihnachtserektion
37. Bittere Bergweihnacht
38. Rudolf, der kurzsichtige Elf
39. Weihnachtspoppers
40. Schneeflöckchen, Schweißsöckchen
41. Das Rätsel der 69. Straße
42. Que(e)rgereimte Weihnacht überall
43. Spuk der Raunächte
44. Der sexy Kellner mit den Cocktailgläsern
45. Die zwölf sinnlichen Monate
46. Ein Lied beim Saunieren zu singen
47. Der Chronist von Hornia
48. Wintersportfantasie
49. Die drei Gaben
50. Leise knirscht es im Schnee
51. O Tannenbaum
52. Mehr von Xaver Ludwig Cocker
53. Blick ans non-queere Ufer

Xaver Ludwig Cocker (Hrsg.)

Schwulitäten unterm Tannenbaum

Homoerotische Weihnachtserzählungen, Gedichte und Lieder

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Texte: © Copyright by X.L. Cocker

Umschlaggestaltung und Illustrationen: © Copyright by Yeoj

Verlag: YEOJ Selbstverlag

J. Springstein

Marktlaubenstraße 9

35390 Gießen

[email protected]

Zum Geleit

Weihnachten – so bezeichnet man in der Regel die religiösen Festtage des Heiligen Abends und des 1. sowie 2. Weihnachtstag, an denen die Christenheit die Geburt ihres Heilands Jesus Christus feiert. Häufig bezieht sich der Begriff auch auf den Advent, die etwa vierwöchige Zeit vor dem Heiligen Abend. Neben Gottesdiensten in Kirchen sowie Andachten zuhause wird die Weihnachtszeit dazu genutzt, den Kindern besondere Freude zu bereiten und Familientraditionen zu pflegen.

All diese Aspekte will das vorliegende Werk mitnichten parodieren oder angreifen. Der Herausgeber respektiert den christlichen Glauben und ist sich bewusst, welche wichtige Rolle das Weihnachtsfest für fromme und bibeltreue Menschen spielt. Umso dringlicher bittet er sensible Lesende, deren religiöse Gefühle schnell verletzt werden, von der Lektüre des vorliegenden Buches Abstand zu nehmen.

»Schwulitäten unterm Tannenbaum« ist eine Zusammenstellung von Alltagserzählungen und Märchen, die zur Advents- und Weihnachtszeit spielen und dementsprechend den Hintergrund des Beschenkens, Schmückens, Backens und Liedersingens nutzen. Keinesfalls werden Sie hier eine Deformierung der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium finden. Umgeschriebene Lieder betreffen zum Großteil Volksweisen; beliebte Kompositionen alter Meister mit biblischem und kirchlichem Kontext wurden ausgespart.

Die Texte richten sich an ein (hauptsächlich) schwules Publikum mit Sinn für Erotik und Humor. Sie sollen dazu dienen, einen gemütlichen Weihnachtsmarktbesuch mit einem zweideutigen Gedicht oder frechen Lied ausklingen zu lassen, oder (be-)sinnliche Erholung von der jährlichen Betriebsfeier bieten, falls jene mal wieder zu spießig ausgefallen ist…

*

Lieben Sie Anagramme? Falls ja, werden Sie an folgender Danksagung Gefallen finden. Vielleicht hat der eine oder die andere Lesende bereits festgestellt, dass der Inhalt mancher Erzählung an eine andere, bekanntere Geschichte erinnert, die ungleich heteronormativer daherkommt. Das liegt daran, dass ich mich von zahlreichen Schriftstellerkolleg*innen anregen lassen und deren Werke frei bearbeiten durfte.

Gleich drei Texte gehen auf Ideen von Chris Anders Hansen zurück, nämlich die Nummern 5, 9 und 44. Er führt im Bereich der Prosa damit den Reigen der Inspirationsquellen an. Den zweiten Platz müssen sich Lars Tinderding, Vorbild der Nummern 4 und 15, und Rudi Flo Deutz teilen, dessen Oeuvre mir als Richtschnur für die Nummern 20 und 22 diente. Allen dreien danke ich von Herzen.

Ebenso gebührt großer Dank den Idolen auf den britischen Inseln und amerikanischen Kontinenten, die hier in der Reihenfolge des Inhaltsverzeichnisses genannt werden sollen: Oswald Rice (Nr. 3), Archie Astaight (Nr. 13), Hugh H. Jones (Nr. 24), Lars van Schliburg (Nr. 29), J.R. Lowking (Nr. 39), Gaston Eregeo (Nr. 41), S.C. Elwis (Nr. 47) und E. Horny (Nr. 49). Gleichfalls muss an dieser Stelle den russischsprachigen Kollegen Nikolai Loggo und Rasmus Michalak gedankt werden; deren Meisterschaft im Erzählen war mir Muster für die Märchen »Spuk der Raunächte« und »Die zwölf sinnlichen Monate«.

Natürlich gilt großer Dank auch den deutschsprachigen Vorbildern: Les Mannhörn (Nr. 1), Drafi Dorner (Nr. 11), Wolffried Rich (Nr. 16), Berti Saublitz (Nr. 26), T.H.E.O. Affmann (Nr. 27), Wigald Homut (Nr. 31), Paul de Hamel (Nr. 32) und Günther Boltvic (Nr. 34). Nicht minder wichtig ist es mir, meine Dankbarkeit den schwedischen Helden der Schriftstellerkunst Marjan Mahlberg und Elmar Föllegas auszudrücken, deren melancholische Geschichten mich zu »Einbruch zur Heiligen Nacht« und »Bittere Bergweihnacht« inspirierten.

Wer mir bis hierhin gefolgt ist, wird merken, dass die Erzählungen Nr. 8 und Nr. 18 nicht genannt worden sind. Die gehen teilweise auf folkloristische Motive zurück, teilweise sind sie meine eigene Erfindung.

Vorliegender Band beinhaltet nicht nur Prosa, sondern gleichfalls Poesie. Auch hier muss ich gestehen, mich bei einigen Dichtungen nach Modellen und Schablonen diverser Großmeister gerichtet zu haben. Mein Dank gilt Otto Domherr (Nr. 7), Doro T. Fonthaene (Nr. 10), Espen von Eichhof-Fjord (Nr. 19) und Claudius Matthias (Nr. 46). In internationale Gefilde führten mich Werke von Nemo Coltcreme, Prof. Suess und Bert Morlag, die ich sehr frei in »Die Sünde vor Weihnachten«, »Wie der Grantler die XXXmas-Party vermiesen wollte« und »Rudolf, der kurzsichtige Elf« verwandelt habe. Ralf Ebenhof von Mannsfell gebührt ebenfalls Dank, denn das Gedicht »Der feuchte Adventstraum« ist eine Hommage an sein Werk, ebenso die Liedtexte der Nummern 25 und 48. Die restlichen Verse, die ich auf bekannte Volksmelodien zusammenreimte, sind wiederum meine eigenen Kreationen.

Der Herausgeber wünscht nun viel Freude beim Schmökern und gegebenenfalls eine lustige Rate- und Recherchestunde.

Frohe Weihnachten! Ihr X.L. Cocker

 

Die allerersten Baumschmücker

Man schrieb das Jahr 1489. Hanns-Achim Went, der als tüchtiger Bauer etwas entfernt vom Dorfrand lebte, stapfte durch den Wald. Er war ärgerlich, obgleich er mit des Försters Erlaubnis eine gut gewachsene, wenn auch etwas kurz geratene Tanne hatte abschlagen dürfen, um seinen Kamin damit zu füttern. Zwar hatte er im Herbst geglaubt, für ausreichend Feuerung gesorgt zu haben, aber der Winter war kälter als gewöhnlich und sein Christoffel, mit dem er Haus und Hof teilte und der sonst immer lustig und lüstern war, litt unter der Kälter und zog sich, sobald die wärmenden Flammen erloschen, mit eingeschrumpfter Rute in dicke Wolldecken zurück. Natürlich, Hanns-Achim konnte in solchen Momenten einfach mit unter die Decke krabbeln und seinen Christoffel mit rubbelnder Hand, schubberndem Schenkel, kuschligem Bart und hauchendem Kusse wärmen. Aber das war auf die Dauer nichts, es kam auf die Art kein Schwung in die Sache. Christoffel freute sich wohl darüber, aber quieken vor Lust sollte er und jubeln und ächzen vor Begierde – das wünschte sich Hanns-Achim, aber sein frierender Freund gab nur selten derlei Laute von sich. Und das wiederum härmte des Bauern Freude an der Liebestätigkeit.

Den ganzen Dezembermonat hatte Hanns-Achim Went schon darüber nachgegrübelt, was er wohl erfinden könne, um einmal wieder eine rechte, lasterhafte Stimmung des Verlangens in sein Bauernhaus zu bringen; eine Stimmung, in der Christoffel ihn wie einen neuen Mann betrachten und die auch ihn selber reizen würde. Den Kamin eifrig zu befeuern, damit sie beide, nur leicht bekleidet, einander ihre im rötlichen Schein der Flammen schimmernde Haut bewundern könnten, reichte nicht. Überdies wurde dadurch ja das Feuerholz knapp.

So stapfte er denn auch durch den verschneiten Wald mit neuem Holzvorrat. Für eine Tanne hatte er sich entschieden, weil er ihren Duft und das Knacken des Harzes mochte, obgleich das Holz schnell verbrannte. Schon von Weitem sah er sein Haus und heller Schein strahlte ihm entgegen. Christoffel hatte eine Kerze ins Fenster gestellt und je näher Hanns-Achim kam, desto mehr konnte er erkennen, was sein Freund hinter den Scheiben gerade trieb. Er war mit einem Pelz bekleidet und lachte über das ganze Gesicht, denn vor ihm lagen unzählige Strohhalme, die er fröhlich zu kleinen Bündeln schnürte. Die waren für die hungrigen Hirsche und Rehe und Hasen im Wald gedacht. Abseits lagen kleine, rote Äpfel, von denen er die fauligen aussortierte, um sie den wilden Sauen hinzuwerfen. Das alles wollte er zu einer Futterkrippe bringen und damit den Tieren zeigen, dass sie Stall und Garten des Bauernhofs in Ruhe lassen konnten und nicht zu plündern brauchten. Gewiss sang er während der Arbeit vor sich hin, wie es seine Gewohnheit war, doch sein zarter Tenor konnte nicht durch die dicken Balken des Bauernhauses nach draußen dringen, wo der Winterwind pfiff.

Hanns-Achim trat ins Haus, hängte seinen roten Wintermantel an den Haken und stellte den Tannenbaum in die Ecke. Wohlgemerkt, unsere Geschichte spielt vor vielen hundert Jahren und die Art und Weise, wie die Leute damals miteinander redeten, würden wir heute nicht mehr verstehen. Deshalb wird die Unterhaltung der beiden Männer, die auf Hanns-Achims Ankunft folgte, in heutiger Sprache wiedergegeben.

»Na, mein Lieber, da hat dir der Förster aber einen hübschen Baum überlassen«, grüßte ihn Christoffel mit heller Stimme und zwinkerte ihm mit seinen tiefliegenden, aber liebevollen Augen an. »Hast du mit Geld, Naturalien oder deiner schieren Männlichkeit bezahlt?«

»Scherze nicht«, brummte Hanns-Achim. »Wir müssen mit dem Holze sparsamer umgehen.«

»Oh, mein Lieber, hast du etwa schlechte Laune? Ich weiß doch, dass der Förster begehrlich nach dir schielt. Dafür brauchst du dich nicht zu schämen, im Gegenteil! Zeigt es mir doch, was für einen anziehenden Mann ich habe.«

Damit hakte sich Christoffel bei Hanns-Achim unter und ging mit ihm an den Tisch, wo die Strohbündel lagen. Es war warm genug in der Stube, sodass ihm sein Pelz nur lose am Leib hing und vorn nicht richtig zugeknöpft war. Da konnte Hanns-Achim sehen, dass sein Freund nichts drunter trug. In Hüfthöhe ragte etwas kühn in die Luft und blitzte bei jedem Schritt aus dem Spalt hervor. Der Bauer wusste, um was es sich da handelte, und dachte im Stillen:

›Immerhin ist Christoffels Rute einmal nicht zusammengeschrumpft, wenn ich komme.‹

Und nicht nur das: Christoffel schmiegte sich lüstern an ihn, als er ihm die Vorbereitungen für die Futterkrippe zeigte. Mit dem Finger wies er auf Stroh und Äpfel, mit dem Kopf hingegen nickte er immer wieder der Bettstatt zu, die in der Ecke hinterm Kamin stand. Hanns-Achim wusste, was sein Freund ihm damit bedeuten wollte, aber die Aussicht auf eine Liebelei unter der Decke, die wieder genauso verlaufen würde wie die vorherigen, lockte ihn nicht. Sich vornehmend, offen und ehrlich mit Christoffel zu sein, atmete er tief ein und sprach:

»Mein teurer Freund, sei nicht traurig, aber die ganze Sache macht mir keine rechte Freude mehr. Vielleicht liegt es an meinem Alter oder an sonst was, ich weiß es nicht. Das mit dem Schubbern und Rubbeln und Küssen und Stoßen, das reicht mir nicht mehr. Das führt zu einem hübschen Höhepunkt mit heißer, herber Mannessahne, aber dann ist es auch schon vorbei. Man müsste etwas Neues erfinden, weißt du? Etwas, das zum länger währenden Spielen einlädt, damit die Wollust stärker brodelt und jubiliert und man anhaltend feurig bleibt.«

Christoffel schwieg zunächst und machte ein nachdenkliches Gesicht. Dann schob er sein Kinn, welches dank seines kräftigen Kiefers ohnehin deutlich vorstand, Hanns-Achim trotzig entgegen und erwiderte:

»Du hast recht, Liebster, mir ist das auch schon aufgefallen. Ich habe bereits daran gedacht, aber das ist nicht so leicht zu ändern.«

»Das ist es ja gerade«, brummte Hanns-Achim missmutig. »Ich bin zu alt und zu dumm dazu, scheint es, und du gewiss zu unerfahren. Meilenweit gibt es keine anderen Männer, die traulich wie wir zusammen wohnen und liegen und lieben. Selbst wenn es sie gäbe, wir erführen es nicht, weil unsereins ihre Zuneigung im Geheimen ausleben müssen. Wen sollen wir also fragen, um uns Rat zu holen? Ach, ich bekomme richtiges Kopfweh vom vielen Nachdenken und es fällt mir doch nichts Aufregendes ein. Wenn es so weitergeht, schlummern wir allmählich während der ganzen Sache ein und enden als zwei Bauern, die nebeneinander essen und schlafen, aber nicht miteinander.«

Sinnend saßen beide vor dem Stroh, Hanns-Achim mit knurrigem, Christoffel mit gewitztem Gesicht. Ein paar Halme waren aus einem Bündel gerutscht und übereinander gefallen, weil sie abgeknickt waren, und jetzt bildeten sie auf dem Fußboden ein zufälliges Muster. Christoffel stieß seinem Liebsten sanft in die Seite, zeigte auf das Stroh und fragte:

»Sieht das nicht reizend aus? Die Halme bilden mit ihren Knicksen und Spitzen und Zacken fast schon Sternchen.« »Stimmt«, sagte der Bauer, »aber was hilft uns das?«

»Reich mir ein paar Halme her«, bat Christoffel und ein Leuchten trat in seine tiefen Augen. »Ich habe einen Gedanken, doch braucht es Fingerspitzengefühl.«

Er versuchte zuerst, die Strohhalme umeinander zu winden, doch waren sie zu spröde und knickten auseinander. Christoffel ließ sich davon nicht entmutigen. Er nahm einen dünnen Bindfaden aus der Schublade, worin er sein Nähzeug verstaute. Er benutzte ihn, um die abgebrochenen Halme miteinander zu verknüpfen, indem er ihre Spitzen kreuzweise übereinander legte und anschließend den Faden herumwickelte. Die äußeren Enden band er auf ähnliche Weise wiederum mit anderen Halmen zusammen. Er achtete darauf, dass die Halme einen Kranz bildeten, dessen inneres Loch nicht breiter als ein Handgelenk war. Nach nur kurzer Zeit war er mit dem Strohkränzchen fertig und hielt es stolz in die Höhe.

»Dein Kunstwerk gleicht einem Stern aus Stroh, den man als Armreif verwenden könnte«, stellte Hanns-Achim fest.

»Fast richtig«, nickte Christoffel, »aber für den Arm ist der Kranz nicht gedacht, sondern fürs Gemächt. Ich weiß doch, wie du es genießt, wenn ich dort unten fest zupacke. Jetzt soll der Reif eng darum gelegt werden, damit sich das Blut dauerhaft in deiner Männlichkeit staut, und die Halmspitzen werden deine Haut mit feinen Stichen necken. Ob’s dir wohl gefällt?«

Noch während er sprach, hatte sich Christoffel zum Schoße des Bauern gebeugt, das nackte Fleisch herausgeholt und den Strohreif darum gelegt. Hanns-Achim spürte die Festigkeit des Kranzes und stöhnte leise:

»Ja, bind ihn fest zu, deinen Stern, damit meine Rute steif und hart bleibt und nicht gleich nach dem ersten süßen Höhepunkt zusammenfällt.«

»Quälen dich die Halmspitzen nicht zu sehr?«, sorgte sich Christoffel.

Hanns-Achim schüttelte den Kopf. »Sie sind wie deine Nägel, wenn sie sich vor Lust in meine Haut bohren. Ich mag das. Ich mag es wirklich sehr!«

Im Hinblick auf Christoffels leicht zu verschüchternde Rute schlug er vor, dass sein Freund einen ähnlichen Kranz für sich basteln sollte.

»Das werde ich«, versprach Christoffel, »doch wird es ein engerer Kranz werden. Du trägst deinen an der Wurzel der Rute, um Gemächt und Weichteile gelegt. Mein Reif soll oben die dickste Stelle meiner Eichel umkränzen und die Vorhaut wie ein Gatter davon abhalten, sich allzu flink über sie zu stülpen.«

Hanns-Achim lobte die Erfindungsgabe seines Freundes, wollte ihm aber in nichts nachstehen und sagte:

»Ich probiere derweil eine weitere Erfindung aus, denn dein Gedanke hat mir wiederum einen Einfall beschert.«

Er wählte von den Strohhalmen die allerkürzesten aus und wand sie zu sehr, sehr kleinen Sternchen, deren Mitte nur ein winziges Loch aufwies.

»Da passt ja nicht einmal ein Finger hindurch«, staunte Christoffel und wollte wissen, wozu die kleinen Strohsterne dienen sollten.

Hanns-Achim lächelte, zog seinen Freund eng an sich und streichelte die nackte, zarte Brust. Die linke Brustwarze nahm er zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte zu. Unweigerlich gab Christoffel einen hohen Ton von sich.

»Ich weiß doch, wie du es magst, wenn ich an deinen Nippelchen spiele«, raunte der Bauer ihm ins Ohr. »Nicht länger will ich daran bloß kneifen und knabbern. Nein, ich werde dir die kleinen Strohsternchen anstecken. Die Warze quetsche ich durch das winzige Loch, damit der Kranz gut hält, und dessen Zacken werden deine Brust bei jedem Atemzug kratzen und kraulen.«

Das gefiel Christoffel außerordentlich und er machte sich sogleich daran, auch für Hanns-Achim solche Nippelstrohkränze zu formen, die er ihm unter das dichte Brusthaar an die Manneszitzen steckte.

»Oh ja, das sind ganz neue, frische Gefühle, die in mir entstehen«, freute sich der Bauer, »und die zerbrechlichen Halme zwingen uns, behutsam vorzugehen und die Lust zu zügeln. Auf diese Weise wird sie länger andauern und unsere Männersahne spritzt nicht vorschnell in die Decken.«

»Spritzende Sahne«, wiederholte Christoffel murmelnd und blickte zur Kerze im Fenster hin. »Das gibt mir einen weiteren Gedanken ein!«

Hanns-Achim machte ein dummes Gesicht, denn er konnte sich nicht vorstellen, was sein Liebster ausgerechnet jetzt mit einer Kerze anstellen wollte. Der hielt sie sich über die schmale, unbehaarte Brust und kippte das Licht schräg an, sodass etwas von dem heißen Wachs, das flüssig rund um den Docht schwamm, auf seine Haut tropfte.

»Uh!«, rief er auf und sog zischend die Luft zwischen den Zähnen ein.

Hanns-Achim kannte diesen Laut. Er bedeutete, dass Christoffel zwar Schmerz empfand, aber zugleich eine gewisse Lust dabei verspürte. Neugierig geworden, nahm er ihm die Kerze ab und wollte das Spiel mit dem heißen Wachs auf seinem eigenen Leib ausprobieren. Dass er deutlich behaarter war als sein Liebster, gereichte ihm jedoch zum Nachteil, denn sein Fell hinderte die Tropfen daran, die Haut zu berühren. Der einzige Bereich frei von Härchen fand sich zwischen seinen Schenkeln und gehörte zu den empfindsamsten Stellen überhaupt. Daher wundert es nicht, dass der Bauer sich scheute, ausgerechnet dorthin das heiße Wachs zu träufeln. Christoffel kam ihm zu Hilfe.

»Lass mich deinen prall gefüllten Sack mit der Zunge belutschen und auch die Rute nässen«, sagte er. »Die Feuchtigkeit kühlt die Haut und wird zur Hitze des Kerzenwachses einen reizvollen Gegensatz bilden!«

Gesagt, getan. Ohnehin von den engen Strohzacken zur aufrechten Stellung gezwungen, blähte sich Hanns-Achims Gemächt unter Christoffels Zuwendung regelrecht auf. Als dann aus sicherer Entfernung die Wachstropfen auf den feuchten Weichteilen landeten, stöhnte der Bauer erschrocken auf, hielt aber nicht darin inne, immer weitere Spritzer auf die blanke Haut zu kippen.

»Du hast recht, Liebster«, lobte er seinen Freund. »Dieses Spielchen lässt mich zucken und zittern. Wie kleine Blitze trifft es mich und es ist, als ob unbekannte Funken der Lust entflammen.«

»Zudem sehen die Wachsflecken auf unseren Leibern aus, als hätten wir schon viele Male aufeinander den eigenen Samen geträufelt«, fügte Christoffel hinzu, angetan von dem Anblick der weißen Spuren, die sich auf der Haut langsam verhärteten. »Ein Genuss fürs Auge fürwahr!«

Und er streckte unwillkürlich seine linke Hand an seinen eigenen Hintern, um dort mit den Fingern in die Ritze zu fahren, die vor Wollust zu schwitzen begann. Mit dem Kopf hingegen wanderte er von Hanns-Achims Weichteilen tiefer, um nachzuspüren, ob sich auch in dessen Spalte bereits feuchtwarme Schweißtröpfchen fänden.

»Soll das Kerzenwachs etwa auch dort landen?«, fragte der Bauer und hatte Bedenken, denn jener Bereich dünkte ihm schützenswert.

»Ja und nein«, antwortete Christoffel geheimnisvoll. »Mir kommt in den Sinn, mit der Kerze einen Versuch zu machen, aber nicht so, wie du es dir gerade vorstellst.«

Er nahm Hans-Achim die Kerze aus der Hand und ging damit zum Herd, wo er sie löschte und in einen Topf mit Wasser legte. Dann nahm er zwei weitere Kerzen und tat sie ebenfalls hinein. Zuletzt hielt er den Topf über die Flammen des Kamins, bis das Wasser warm war, aber nicht kochte.

»Willst du das Wachs schmelzen?«, fragte Hanns-Achim.

Christoffel schüttelte den Kopf.

»Es soll nur gerade so weich werden, dass es formbar wird. Daraus kneten wir uns Figuren unanständiger Art, wie wir sie gern in uns spüren würden. Wenngleich dein Gemächt in mir und meine Rute in dir jeweils große Freuden bringen, sehnt sich unser beider Hinterleib nach Abwechslung, nicht wahr? Die können wir dadurch erfahren. Sieh, die Kerzen sind ausreichend weich! Fass ins warme Wasser, nimm dir eine und mache lange Stücke oder kleine Pflöckchen, wie es dir beliebt!«

Dem Bauern kam das anfangs ulkig vor, aber er tat, was Christoffel ihm auftrug. Sobald er die erste Kerze in eine lange, gebogene Männlichkeit umgestaltet hatte, die eher an die eines Esels als an die eines Menschen erinnerte, ging ihm auf, welch vielfältige Möglichkeiten das neue Handwerk bot.

»Wir können mit Formen und Figuren laborieren, ohne dass es uns schadet, da selbst das erhärtete Wachs nicht grob genug ist, uns zu verletzen! Und sind wir an einer Gestalt satt, tun wir sie ins heiße Wasser zurück und kneten eine neue daraus. Wunderbar!«

Er verwandelte die zweite Kerze in einen dicken Stab, in dessen Schaft er mit einem Sieb Noppen drückte, die ihn nach dem Einführen von innen angenehm walken sollten. Welch Glück, dass sie viele Kerzen besaßen. Das war nicht selbstverständlich, zu jener Zeit waren Wachskerzen ein teures Gut. Hanns-Achim und Christoffel hatten aber sparsam und mit Bedacht gewirtschaftet, sodass sie eine stolze Anzahl Kerzen kaufen und für die Winterzeit aufbewahren konnten. Dass einige davon nun zweckentfremdet wurden, hielten beide für verzeihlich, weil es ja ein süßer Zweck war. Aus der dritten Kerze gestaltete Hanns-Achim eine Art Spirale und lächelte:

»Wollen sehen, wie diese Windungen sich im Hinterleibe anfühlen. Doch warum formst du keinen Wachspflock für dich, mein Lieber?«

»Weil ich abermals einen Gedanken habe«, verriet Christoffel. »Ich nehme mir eine Handvoll Äpfel und ein Messerchen. Die Stiele entferne ich und bohre mit dem Messerchen durch die Mitte der Früchte einen Gang, ohne den Apfel zu zerstören. Sieh, es klappt! Nun reich mir ein Seil. Es muss dünn, aber kräftig sein.«

Zum Glück hatte Hanns-Achim ein solches vorrätig. Er gab es Christoffel und war gespannt, was jener mit dem Geschirre anrichten würde.

»Ich fädele die ausgehöhlten Äpfel an dem Seil auf, sodass eine Kette entsteht. Zwischendurch mache ich genug Knoten hinein, auf dass zwischen jeder Frucht ein Abstand bleibt und sie nicht zu enge beieinander liegen. Nun noch etwas Kerzenwachs auf das Seil, damit es hart und stabil wird. Erkennst du, was es darstellt? Eine Kette voller Kugeln zum Zwecke der Liebe. Eine Liebeskugelkette gewissermaßen.«

Hanns-Achim runzelte verwirrt die Stirne, denn noch verstand er nichts. Um seinem Geist auf die Sprünge zu helfen, spreizte Christoffel seine Beine und wies mit dem Finger auf den hinteren Eingang.

»Dort schiebe mir die Kette behutsam hinein, Kugel für Kugel. Ziehst du sie anschließend wieder gemächlich heraus, wird es mir werden, als ob viele, viele dicke Gemächte aus meinem liebeshungrigen Inneren schlüpften.«

Nun musst du, lieber Leser, wissen, dass im Jahre 1489 die Äpfel mitnichten so dick und pausbackig waren wie die Produkte, die man heute von Supermärkten und Obsthainen kennt. Was Hanns-Achim da in Christoffel hineinschob, nannte man Holzapfel oder Krabapfel und war nicht dicker als eine Kinderfaust. Trotzdem beeindruckte es den Bauern, was der zierliche Leib seines Freundes aufnehmen konnte, und er sah gespannt zu, wie ein Apfel nach dem nächsten im Dunkel verschwand – nicht merkend, wie ihm der lüsterne Geifer von den Lippen tropfte.

»Nun zieh bedachtsam an dem Seile, bis es flutscht«, säuselte Christoffel mit lieblicher Stimme.

Hanns-Achim gehorchte und ein Apfel nach dem anderen fand seinen Weg wieder nach draußen, begleitet von Christoffels hellem Gestöhn. Wie sehr ihm die Liebeskugelkette gefiel, war seiner steifen Rute deutlich abzusehen, von der glitzernder Vorsaft lief, wann immer ein Apfel aus dem Löchlein glitt. Der Bauer selbst beglückte sich mit dem Wachsstab, den er mit Noppen versehen hatte und der nun hart genug war, um eingeführt zu werden. Da reichte bereits eine Daumenlänge, um ihm ganz ungewohnte Gefühle im Leibesinneren zu bescheren!

Das Beste aber war, dass beide einander gleichzeitig die Kehrseite verwöhnen konnten und dennoch Platz genug zwischen ihnen bestehen blieb, um sich am wollüstigen Antlitz und dem hitzigen Schütteln des jeweils anderen zu erfreuen. Daraus konnte das eigene Verlangen immer neuen Auftrieb schöpfen. Unvermittelt jedoch unterbrach Hanns-Achim den schönen Zeitvertreib, indem er warnte:

»Ob die Früchte deiner Liebeskette das Rein und Raus mehrmals durchhalten, ist fraglich.« Er zeigte auf eine Delle, die sich der letzte Apfel durch zu viel Druck seitens Christoffels zugezogen hatte. »Besser, wir fertigen eine andere Kette aus robusterem Stoff an, wie zum Beispiel dicke Walnüsse. Was meinst du?«

Da sprang Christoffel auf, fiel dem Bauern um den Hals und küsste ihn auf beide Wangen.

»Du hast ja wunderbare Einfälle«, freute er sich. »Von wegen, du wärst alt und dumm und langweilig.«

Sie suchten ein zweites Seil, Nüsse und warmes Wachs zusammen, bastelten eine neue Liebeskugelkette und tauschten währenddessen, knüpfend und knotend, weitere Ideen für Wachsformen, Strohreifen und anderem Spielwerk aus. Dabei wurde ihr Plauderton derart übermütig, dass sie beinahe zu spät erkannten, wie sich in den Pfiff des Winterwindes, der ums Bauernhaus wehte, fröhliche Kinderstimmen mengten.

»Was mag das sein, wo kommt das her?«, stutzte Christoffel und lauschte.

Da pochte es schon an der Türe und es klang durch die Holzbacken herein:

»Joseph, liber Joseph min, hilf mir wiegen min Kindelin, dass Gott muss din Lohner sin im Himmelreich der Maiden Kind Maria.«

Hanns-Achim linste durchs Schlüsselloch und flüsterte Christoffel zu:

»Es sind die Dorfkinder, die von Haus zu Haus und Tür zu Tür ziehen, um Almosen für die Armen zu erbetteln. Sie glauben, Weihnachtsliedgesang würde die Herzen der Menschen erweichen. Ein neuer Brauch ist es, den unser Geistlicher versucht durchzusetzen. Und es gelingt ihm, sogar der kleine Bub von den Luthers ist dabei.«

»Bei der Kälte? Der arme Martin«, erwiderte Christoffel. »Gern würde ich ja den Kindern etwas geben, aber in unserem Zustand können wir ihnen nicht öffnen. Wenn sie den Eltern erzählen, was wir hier tun, geht es uns an den Kragen!«

Da pochte es ein zweites Mal und das nächste Weihnachtslied ertönte. Anhand des Lichtes, das durch die Fensterscheiben drang, wussten die Kinder ja, dass Bauer Went daheim war.

»Wartet einen Augenblick«, rief er durch die geschlossene Türe und zupfte sich die Strohsterne von Brust und Schoß.

Christoffel schnappte sich die Kerzen und versuchte eiligst, ihre unzüchtige Gestalt durch tüchtiges Reiben und Rubbeln umzuformen. Es half aber nichts, denn das Wachs war zu kalt und änderte sich nicht.

»Steck sie an die Tannenzweige und zünde ihre Dochte an«, befahl Hanns-Achim. »So können sie zügig herunterbrennen und nichts bleibt von ihrer Anstößigkeit übrig.«

Christoffel sprang zur Tanne, die noch immer in der Ecke lehnte, und steckte die Kerzen auf. Hanns-Achim warf ihm die Strohsterne hinterdrein und die beiden Liebeskugelketten ebenso.

»Steck das ins Gezweige«, befahl er, während er sich den roten Mantel umwarf. »Die Nadeln sind dicht genug, dass sie unser Spielwerk verbergen können.«

Es pochte zum dritten Mal.

»Öffnen wir jetzt nicht, machen wir uns verdächtig«, fürchtete Hanns-Achim und drückte die Klinke.

Christoffel, der noch splitterfasernackt war, schmiss die Sterne und Ketten einfach auf das Bäumchen, sprang dann hinter die Strohbündel und versteckte seine Blöße hinter der weißen Tischdecke.

Die Tür ging auf und die Kinderschar sang ein lateinisches Liedlein. Das heißt, sie begannen zu singen, hielten aber just inne, als sie die Tanne erblickten.

Da stand nun das Bäumchen in der Ecke: An seinem dunklen Gezweig hingen die roten Backen der Äpfel und Nüsse und ließen den Betrachtern das Wasser im Munde zusammenlaufen. Die Strohsterne gaben der Tanne ein feierliches Antlitz und die Wachskerzen brannten heimelig. Das jüngste Kind der Sängerschar lachte über das ganze rosige Gesicht und patschte in die Hände.

»Welch wunderbarer, bunter Baum«, rief es.

»Er macht Eure Stube sehr weihnachtlich, werter Bauer Went«, fügte das älteste Kind mit ernster Miene hinzu.

Zwei andere entdeckten Christoffel, und weil sich Strohhalme in sein Haar verirrt hatten und sein Leib mit der weißen Decke umhüllt war, glaubten sie, er sei das Christkindchen und habe ihnen den Baum als Weihnachtsgabe gebracht.

»Ja, so ist es«, bestätigte Hanns-Achim schnell, »die Weihnachtstanne strahlt zum Zeichen des Glücks, das uns das Christfest bringt, und lädt euch zum munteren Reigen ein. Sind die Kerzen erst heruntergebrannt, dürft ihr das Bäumchen plündern und euch an den schmackhaften Gaben gütlich tun. Wascht sie aber vorher artig ab!«

Dabei hob er streng den Finger und die Kinder versprachen, auf seine Worte zu hören.

»Ihr seid heute ganz anders als sonst, Bauer Went«, stellte der älteste Sängerbub fest, der Hanns-Achim sonst eher wortkarg, aber freundlich erlebte. »Woran liegt das?«

Der Bauer konnte freilich nicht verraten, dass es an der wollüstigen Aufregung lag, die die Kinder unversehens gestört hatten. Also schwindelte er ein bisschen:

»Das liegt daran, dass ich heute nicht Bauer Went bin, sondern der Mann der Weihnacht, der dem Christkind hilft, seine Gaben zu verteilen. Ich achte darauf, dass nur die artigen Kinder etwas kriegen, jawohl!«

In Wahrheit achtete er lediglich darauf, dass niemand in einen Apfel biss, der vorher bereits im Christoffel gesteckt hatte.

Die Kinder blieben ein Weilchen im Bauernhaus, tanzten um die Tanne herum und durften anschließend jeder eine Nuss und ein Äpfelchen mit nach Hause nehmen. Natürlich hatten sie längst gemerkt, wer in der Verkleidung des Christkindleins steckte, aber sie freuten sich darüber und erzählten später ihren Eltern und Großeltern voller Begeisterung von ihrem Besuch beim alten Went.

»Dort gab es ein Weihnachtsbäumchen, eine Christtanne!«, riefen sie. »Von Sternen übersät, mit Äpfeln und Nüssen behangen und von Kerzenlicht umhüllt! Das Christkind hat es gebracht und der Weihnachtsmann hat geprüft, wer artig und wer unartig ist.«

Die Geschichte gefiel den Dorfleuten außerordentlich und schon im nächsten Jahr hatte jedes Haus sein eigenes kleines Weihnachtstännchen in der Stube stehen. Und wer einen kannte, der als Christkind oder Weihnachtsmann verkleidet die Kindlein nach ihrem Gehorsam befragen konnte, der lud ihn ein, vorbeizukommen.

Andere Leute aus anderen Dörfern, die das sahen, machten es in den Folgejahren nach: Jeder holte sich einen Tannenbaum und putzte ihn an, der eine so, der andere so, aber Kerzenlichter, Strohsterne, Äpfel und Nüsse hängten sie alle daran. Von da aus hat sich der Brauch rund um den Weihnachtsbaum über die ganze Erde verbreitet. Aber keiner erfuhr jemals, wozu der Schmuck an Hanns-Achim Wents Tanne ursprünglich gedient hatte, denn weder der Bauer noch sein Freund verrieten es irgendwem.

Woher ich es aber weiß? Das bleibt mein Geheimnis. Gleichwohl wünsche ich Dir, lieber Leser, dass du weiterhin unbefangen hübsch geschmückte Weihnachtsbäume betrachten kannst, ohne dass sogleich unzüchtige Gedanken in deinem Kopf herumspuken.

 

Es ist für Jungs eine Zeit angekommen

Es ist für Jungs eine Zeit angekommen, die bringt uns eine Sinnlichkeit. Es ist für Jungs eine Zeit angekommen, da wird’s erotisch weit und breit. Ist der Schoko-Nikolaus auch hohl, wirkt er doch, wirkt er doch wie ein leck’res Phallussymbol.

Es hängen Eiszapfen lang und obszön Vor jedem Schlafzimmerfenster herab. Es hängen Eiszapfen lang und obszön, welch Jungenglied bleibt da still und schlapp? Möchtest du noch mehr Erotik seh’n, brauchst du nur, brauchst du nur hin zum Winterbaden geh’n.

Am Weihnachtsmarkte die Düfte uns locken, ’s gibt Glühwein, Grog und Kakao mit Rum. Am Weihnachtsmarkte die Düfte uns locken, schau dich nach schwankenden Männern um! Denn wer torkelt, lallt und singt, leicht und flink, leicht und flink auch in deinen Hintern dringt.

 

Der selbstverliebte Koloss

Wenn die Schwulen nach dem Besuch ihrer queeren Bars und Clubs den Heimweg antraten, schlenderten sie für gewöhnlich am Garten von Richard Rafty vorbei. Die meisten von ihnen kannten ihn nur unter seinem Pseudonym „der Koloss“. Es handelte sich um einen ehemaligen Pornostar, der sich seinen Beinamen aus zwei Gründen verdient hatte: Zum einen war er mit 2,07 m überdurchschnittlich groß gewachsen und hatte mit Krafttraining seine schon von Natur aus kräftige Statur mit überdimensionalen Muskeln ausgestattet, die jeden anderen Bodybuilder grün vor Neid werden ließen. Zum anderen war sein wichtigstes Berufswerkzeug – sein Penis – in passender Proportion zu seinem restlichen Körper geraten (soll heißen, er hatte einen mordsmäßigen Schwengel zwischen den dicken Schenkeln). Kein Wunder also, dass er während seiner aktiven Zeit bei allen Pornoproduzenten heiß begehrt war und seine Auftritte in diversen Videos deren Kassen klingeln ließen.

Weil Richard Rafty alias der Koloss darüber hinaus nicht dumm war und seinen Marktwert schnell erkannt hatte, floss auch immer mehr Geld auf sein eigenes Konto, bis er sich für reich genug hielt, um sich aus dem Business zurückzuziehen. Er kaufte sich eine Villa, die von einem großen Garten umgeben war, und ließ eine hohe, weiße Mauer drum herum bauen. Niemand konnte drüber hinweg in den Garten oder auf die Villa schauen, und sollte jemand auf die Idee kommen, die Mauer zu erklimmen, empfingen ihn ganz oben gefährlich spitze Gitterstäbe. Schnell wurde den Fans und Nachbarn klar: Der Koloss wollte niemanden sehen und um nichts in der Welt belästigt werden. Ausgerechnet jene Mauer war es nun, die die schwulen Männer an jedem Partywochenende passierten; erschöpft vom Tanz zu glamouröser Discomusik und angeschickert von mehr als nur einem Szene-Drink.

»Hier wohnt der Koloss, der Typ mit dem Riesenteil«, lallte dann mindestens einer der Betrunkenen. »Seit sieben Jahren hat ihn keiner mehr live gesehen. Nur an alten Videos im Internet kann man sich noch an ihm aufgeilen.«

Es fand sich regelmäßig ein Lästermaul, das daraufhin zu antworten pflegte:

»Der ist bestimmt fett geworden oder hat Erektionsstörungen. Darum will er nicht gesehen werden. Er schämt sich, weil er alt wird.«

»Kein schwuler Mann hält es aus, sieben Jahre ohne Kontakt zu anderen Kerlen zu leben«, meinten die Skeptiker. »Der bestellt sich bestimmt Callboys ein, die sich das Schweigen hübsch bezahlen lassen.«

»Oder ob er ein ganz anderes Problem hat?«, fragten sich die Hobby-Psychologen. »Erholt er sich von Drogenmissbrauch oder hält er innere Einkehr, weil er zur Religion gefunden hat?«

Dass es bedauerlich war, nichts mehr vom Koloss zu hören, darin waren sich alle Schwulen einig. Und noch bedauerlicher war es, den Garten nicht betreten zu dürfen, denn es hieß, dort sei es immer Sommer, damit Richard Rafty stets nackt herumstolzieren könne. Künstliches Licht würde für Beachatmosphäre sorgen und Heizungsrohre unter der Erde führten angeblich dem Gras, den Blumen und den Bäumen ausreichend Wärme zu.

»Und das alles für sich allein?«, empörte sich eines Tages ein neu Hinzugezogener, als er die Gerüchte vernahm. »Wie egoistisch! Ein immergrüner Sommergarten so nah an unserem Szeneviertel wäre der ideale Platz zum Cruisen. Wir müssen einen Weg hinein finden!«

Die meisten der alteingesessenen Schwulen winkten ab und gaben nichts auf diese Idee. Doch fanden sich ein Lästermaul, ein Skeptiker und ein Hobby-Psychologe, die sich dem Neuen anschlossen. Ob sie wirklich glaubten, die Mauer überwinden zu können, ist zweifelhaft; wahrscheinlicher ist, dass sie scharf auf Frischfleisch waren und deswegen sein Vorhaben guthießen.

Wie dem auch sei! Der Neue besorgte eine Leiter und allerlei Werkzeug, darunter eine Feile, denn er hatte von dem spitzen Gitter über der Mauer gehört. In einer besonders dunklen Dezembernacht schlich er sich mit den drei Zufallsbekanntschaften zu Richard Raftys Grundstück, lehnte die Leiter an die Mauer und kletterte hinauf. Oben angekommen, band er dicke Seile um die Gitterstäbe und ließ sie herab, während er die Leiter hinaufzog.

»He«, maulte der Skeptiker, »wieso nimmst du die Leiter weg? Wie sollen wir denn heraufkommen?«

»Hangelt euch an den Seilen hoch, wie im Sportunterricht«, erwiderte der Neue. »Die Leiter brauchen wir, um auf der Gartenseite wieder herunterzukommen. Außerdem soll sie unser Vorhaben nicht jedem Vorbeilaufenden verraten.«

Ob er das wirklich meinte, ist ungewiss; vielleicht wollte er nur sehen, wie fit seine Zufallsbekanntschaften waren und ob ihr Schweißgeruch, den sie unweigerlich nach dem Erklimmen ausströmen mussten, von anziehender oder abstoßender Natur war.

Wie dem auch sei! Auf dem Mauersims stellten sie fest, dass die Gitterstäbe tatsächlich spitz waren, und während das Lästermaul mit der Feile dem entgegenwirkte, versuchte der Hobbypsychologe die Stäbe mit aller Kraft auseinanderzubiegen. Doch das Eisen war widerstandsfähiger, als sie alle gedacht hatten, und sie saßen immer noch da, als langsam die Sonne aufging.

»Immerhin können wir von hier aus den Garten sehen«, seufzte der Neue, »und vielleicht sogar den Koloss selbst.«

Die Strahlen der Morgensonne zeigte ihnen eine große Wiese mit weichem grünen Gras. Hier und da wuchsen prächtige Blumensträucher, außerdem zwölf Pfirsichbäume, die ihre zarten Frühjahrsblüten in Rosa und Perlweiß hervorbrachten, obwohl außerhalb längst der Winter angebrochen war. Vögel saßen in den Zweigen und zwitscherten so lieblich, dass die Möchtegerneindringlinge bezaubert zuhörten.

»Wie wunderschön es hier ist«, schwärmte sogar der Skeptiker. »Und was es kosten muss, hier für ewigen Frühling zu sorgen! All diese Herrlichkeit nur für sich zu behalten, ist wirklich unverschämt. Wir müssen hinein!«

Er begann, an den Gitterstäben emporzuklettern. Die anderen warnten ihn, er würde sich an den Spitzen den Bauch aufschlitzen, sobald er drüberstiege, aber der Skeptiker war findig. Er zog seine dicke Winterjacke aus, wickelte sie über die Gitterspitze und knotete sie mit den Ärmeln am Stab fest. Auf die Art war aus der messerscharfen Gefahr ein butterweiches, harmloses Hindernis geworden.

Ob der Skeptiker den Einfall nur deshalb hatte, weil er mit seinem hautengen Shirt auf trainiertem Oberkörper prahlen wollte und daher die Jacke ausgezogen hatte? Einen hübschen Anblick bot er wohl, wie er in dem Zustand übers Gitter klomm, und als er drüben war, schoben ihm die anderen die Leiter durch die Stäbe, damit er sie an die Innenseite der Mauer stellen konnte. Er kletterte hinab und betrat die Wiese, die so warm war, dass er seine Winterschuhe auszog und barfuß darüber lief. Ob er das nur tat, weil er zeigen wollte, dass er im Vergleich zu anderen Männern hübsche, zierliche Füße hatte und darauf hoffte, der Neue könne sich für jenes Körperteil besonders interessieren, wie es ja ab und zu bei Männern vorkam?

Wie dem auch sei! Die anderen drei folgten seinem Beispiel und kurze Zeit später schlenderten sie fröhlich durch den Garten, rochen an den Blumen und freuten sich am Vogelsang. Dabei fiel ihnen auf, dass die Rabatte nicht irgendeine beliebige Gestalt hatten, sondern in ihrer Form an menschliche Silhouetten erinnerten. Die Blumen darin waren dergestalt gepflanzt, dass zwei besonders helle die Augen, eine mit roten Blüten den Mund und die Brustwarzen und der Rest den übrigen Leib präsentierten. Und je länger man hinsah, desto deutlicher wurde, dass die Rabatte den Koloss in verschiedenen Posen zeigten.

»Und die andersfarbigen Blüten in der Mitte stellen wohl sein ausgesprochen großes Teil dar«, staunte das Lästermaul.

Doch nicht nur die Beete und Rabatte waren dem Koloss nachempfunden. Sah man genauer hin, konnte man erkennen, dass die Sträucher und Buchsbäumchen in eine besondere Form geschnitten worden waren. Mancher Busch sah aus wie ein muskelbepackter Männerarm, ein anderer wie ein kräftiger Rücken und die Wegesränder waren gar von erigierten Penissen aus Laub gesäumt.

»Er hat seinen eigenen Körper zum Vorbild genommen, um alles hier im Garten danach auszurichten«, rief der Hobby-Psychologe verblüfft. »Wie kann ein Mann nur so selbstverliebt sein?«

Ehe die anderen antworten konnten, hörten sie ein Wasserplätschern. Sie schauten sich um, wo es herkäme, und fanden nahe der Villa einen großen Swimmingpool, in dessen Mitte wiederum ein künstlicher Springbrunnen herrliche Wasserfontänen in die Lüfte schoss. Wo andere Brunnen dieser Art bronzene, barbusige Nixen oder steinerne, nackte Putten zur Verzierung nutzten, fand sich hier eine lebensgroße Statur von Rafty: hüllenlos und in der gleichen Pose, in welcher der antike Koloss von Rhodos oft dargestellt wird. Der einzige Unterschied war, dass der hiesige Koloss mit seinem Gliede das Badewasser in den Pool leitete, sodass es ausschaute, als würde er pinkeln.

Die vier Männer wussten nicht recht, ob sie den Anblick albern, beschämend oder erregend finden sollten, und ihre Blicke wichen einander aus. Ob einer unter ihnen war, fragten sie sich im Stillen, der sich in Richard Raftys Porno-Oeuvre auskannte und diese Pisspose einem bestimmten Film zuordnen konnte? Teilte etwa einer der vier Eindringlinge die Vorliebe für Natursekt, die die Statur andeutete?

Wie dem auch sei! Die Hitze des Gartens, die betörenden Blumendüfte und nicht zuletzt die Anstrengung der Mauerüberwindung verleiteten sie schließlich dazu, sich vollständig zu entkleiden und in den Pool zu springen. Der Neue fing an und die anderen drei folgten seinem Beispiel, nicht zuletzt, weil unter Wasser manches größer erschien, als es in Wirklichkeit war. Ob zusätzlich der Anblick enthüllter Achselhöhlen den einen oder anderen reizte, ist zwar nicht bekannt, aber nicht unwahrscheinlich.

Im Pool wandelten sich Neugier und Verlegenheit bald in ungestümen Spaß. Während sie planschten, tauchten sie sich gegenseitig unter und spritzten einander das Wasser ins Gesicht. Aus ungestümen Spaß wurde alsbald Wollust und Verlangen. Das Lästermaul begann, sein Mundwerk nicht mehr für bissige Kommentare zu verwenden, sondern für zärtliche Lippenbekenntnisse auf anderer Männer Wange, Bauchnabel, Zeh und Pobacke. Der Hobby-Psychologie stoppte seine Analysen und gab sich ganz den Trieben und Instinkten hin – sowohl seinen eigenen als auch denen der anderen Badenden. Der Skeptiker wollte nicht länger zweifeln und schwarzsehen, sondern setzte seinen Fokus aufs proaktive Zupacken. Was ihm da in die Hände kam, war weich und hart zugleich, pulsierte und wuchs und profitierte enorm von seiner positiven Zuwendung. Der Neue indessen scheute sich nicht, die drei anderen mit allem Unbekannten, was er an sich hatte, aufs Innigste vertraut zu machen.

Da war das frische, warme Poolwasser bald nicht mehr die einzige Flüssigkeit, die im Becken herumschwamm. Lusttropfen, Speichel und zuletzt heftige Spritzer heißen Spermas, übrigens in vier verschiedenen Schattierungen, mischten sich ins Nass und gaben ihm einen herben, eigenartigen Geschmack. Da fiel der Skeptiker in seinen alten Habitus zurück und zog es vor, lieber das frische Wasser aus dem pinkelnden Statuenpenis zu trinken, als ihm der Durst kam. Auch der Hobby-Psychologe fand seine alte Stimmung wieder und sagte:

»Es ist komisch, dass wir hier stundenlang unbehelligt Spaß haben können. Ein wohlhabender Einsiedler wie der Koloss müsste doch sein Grundstück mit Überwachungskameras ausgestattet haben. Mich wundert, dass man uns noch nicht erwischt und hinausgeworfen hat!«

»Vielleicht ist er zu geizig, um in Kameras und Security zu investieren«, mischte sich das Lästermaul ein. »Oder zu arm. Den Garten zu beheizen, muss zu dieser Jahreszeit Unmengen kosten, und so viel wird er an seinen Sexfilmchen auch nicht mehr verdienen, wo er keine Neuen mehr dreht. Zudem ist die ganze Anlage hier arg klimafeindlich. Da wird er sich hüten, zu viele Leute darin einzuweihen.«

Sie beschlossen, das Grundstück noch weiter zu erkunden, solange sie niemand daran hinderte. In die Villa konnten sie nicht, denn sie war verschlossen und der Skeptiker warnte, dass drinnen eventuell eine Alarmanlage losgehen könnte. Also spazierten sie eine Runde ums Haus, fanden noch mehr erotisch zugeschnittene Sträucher und überdies Mosaike auf der Einfahrt, die wieder Richard Rafty, diesmal in einem seiner Pornofilmkostüme, darstellten.

»Mannomann, der Typ ist ein Narzisst, wie er im Buche steht«, sagte der Hobby-Psychologe.

»Seht mal dort«, unterbrach ihn das Lästermaul und deutete auf die Mauer.

Unweit der gusseisernen Toreinfahrt befand sich inmitten der weißen Wand eine Holztür. Der Pfad dorthin war mit Kopfsteinpflaster ausgelegt, doch wucherte bereits Gras zwischen den einzelnen Steinen empor.

»Das deutet darauf hin, dass dieser Pfad schon lange nicht mehr benutzt wurde«, schlussfolgerte das Lästermaul. »Die Holztür selbst sieht auch schon recht lädiert aus.«

»Was willst du uns damit sagen?«, fragte der Neue.

»Bestimmt war das früher ein Dienstboteneingang«, erklärte das Lästermaul. »Aber der Koloss muss seinen Butlern und Stubenmädchen gekündigt haben, um ganz allein zu sein, und deswegen werden Tür und Pfad in ihrer Pflege vernachlässigt. Wisst ihr, was das für uns bedeutet?«

Er zwinkerte den drei anderen zu und wartete die Antwort nicht ab.

»Anstatt über das Gitter zu klettern, können wir das morsche Türholz präparieren und uns hier einen unauffälligen Zugang zum Garten verschaffen! Mit den frivolen Büschen und Verzierungen eignet er sich hervorragend als Cruising-Area und wir können unsere Freunde und Lover herholen, wann immer wir wollen.«

Der Hobby-Psychologe wollte etwas einwenden, aber da war das Lästermaul schon zur Leiter gerannt, kletterte übers Gitter, zog sich die Winterjacke des Skeptikers an und lief die Außenseiter der Mauer entlang, bis er die Holztür fand. Er rüttelte und klopfte und die anderen kamen ihm von innen zur Hilfe. Die Türe war natürlich abgeschlossen, aber weil das Holz tatsächlich an einigen Stellen schon alt und von dem widersprüchlichen Klima angegriffen war – einerseits frostig, andererseits schwül – gelang es ihnen, eine Latte zu lockern. Als Schlupfloch war das noch zu eng, aber mit der Feile konnten sie weitere Latten aushebeln, bis alle hindurchpassten.

»Wenn wir die Latten nur lose zurückstecken, fällt es niemandem auf, dass die verschlossene Tür einen geheimen Eingang besitzt«, grinste das Lästermaul. »Ich schlage vor, wir treffen uns morgen wieder hier?«

Ob es der Kick war, erwischt zu werden, oder die Omnipräsenz von Richard Raftys üppiger Männlichkeit, spielt keine Rolle. Die Männer kehrten anderntags außerordentlich gern in den Garten zurück, vergnügten sich einmal mehr im Pool und spazierten anschließend durch die Büsche, um nach den besten Plätzen für Outdoor-Abenteuer schwuler Art Ausschau zu halten. Und weil es auf dem Gras weich und warm war, die Büsche und Bäume akkurat gepflegt waren und die bunten Blütensträucher ausladend gediehen, fand sich so manches romantische Versteck für traute Zwei-, Drei- und Mehrsamkeiten.

Das sprach sich über kurz oder lang im Szeneviertel herum. Des Dezemberwetters überdrüssig, in dem jedermann mit Schals, Daunenjacken und Pudelmützen unförmig eingepackt war und keiner mit seiner Figur protzen konnte, verlangten immer mehr Discogänger, Barhopper und Kneipengäste, den Frühlingsgarten zu besuchen. Die Attraktivsten und Charmantesten wurden von den vier Freunden eingelassen, allerdings mit verbundenen Augen, denn der Skeptiker und das Lästermaul bestanden beide darauf, dass das Wissen um den Geheimgang nicht weitergegeben werden dürfe.

So verging die Adventszeit für die vier auf höchst erquickliche Weise, bis kurz vor Heiligabend plötzlich Richard Rafty auftauchte. Er hatte nämlich seine Tante besucht, die in Cornwall lebte, und war einige Wochen bei ihr geblieben. Weil nun das Weihnachtsfest vor der Tür stand, war er zurückgekehrt, denn die Tante hatte begonnen, Geschenke für die eigenen Kinder zu kaufen, Pudding und Kuchen für die Nachbarn zu backen und vielerlei anderen Kram zu erledigen, den man eben vor dem Fest erledigen muss. Da war sich der Koloss überflüssig vorgekommen. Familienfeierlichkeiten waren ihm ohnehin zuwider, weil bei solchen die Kinder und nicht er im Mittelpunkt standen, und um sie zu meiden, reiste er in seine Villa zurück. Als er dort ankam, sah er die nackten und halbnackten Männer in Pool und Gebüsch und schrie mit mürrischer Stimme:

»Was macht ihr hier? Verzieht euch, ihr Einbrecher! Wagt es nicht, mit euren mickrigen Schwänzen, fetten Bäuchen und dürren Armen meinen Besitz zu entweihen!«

Verängstigt hielten die Männer in ihrem triebigen Tun inne und schnappten sich ihre Klamotten, als der Koloss sein Handy zückte, um die Polizei zu rufen.

»Mein eigener Garten ist immer noch mein eigener Garten«, schimpfte Rafty. »Das muss jeder einsehen! Ich werde niemals jemandem außer mir selbst erlauben, sich an seiner Schönheit zu ergötzen.«

Er wies den Männern die offene Toreinfahrt, durch die er eben hereingefahren war. Verängstigt liefen alle hinaus, bloß das Lästermaul lächelte dabei:

»Jetzt wird er nie erfahren, wie wir hineingekommen sind!«

Noch am selben Tag stellte der Koloss ein Warnschild mit den folgenden Worten auf: »Unbefugten ist der Zutritt bei Strafe verboten!« Und damit sich keiner von Vogelsang, Blütenduft und Swimmingpool mehr herbeigelockt fühlte, stellte er die Gartenheizung ab und ließ den Winter auf sein Grundstück. Sofort eroberte der Frost die Blumen und sie erstarrten vor Kälte. Das Wasser im Brunnen gefror zu Eis und die penisgleichen Buchsbäumchen schneiten zu, sodass sie gleich viel höher und dicker aussahen.

»Das sieht doch ganz reizvoll aus«, lobte sich der Koloss, als er durchs Fenster schaute. »Einstweilen soll es so bleiben, dann will keiner mehr einbrechen. Halbnackt herumstolzieren kann ich auch innerhalb meiner Villa. Das macht sowieso mehr Spaß, weil alle Flure mit Spiegeln versehen sind.«

Die armen Freunde hatten von nun an keinen Ort mehr, wo sie cruisen konnten. Das war in den ersten Tagen nach dem Rauswurf nicht schlimm, denn weil sie aus dem Frühlingsgarten nur spärlich bekleidet in den Winter gejagt worden waren, hatte sich jeder von ihnen erkältet und musste sich erstmal kurieren. Das Lästermaul lag mit Eukalyptussalbe eingeschmiert im Bett, der Skeptiker schniefte in der heißen Badewanne, der Hobby-Psychologe umgab sich mit Unmengen von dampfenden Teetassen und der Neue glaubte, anhaltendes Flirten mit dem süßen Apotheker trüge zur Heilung bei. Was davon wohl am besten geholfen hat? Egal, denn drei Tage später fanden sie sich zusammen und versuchten zunächst, auf den Straßen des Szeneviertels ähnlichen Spaß zu haben wie im Garten von Richard Rafty. Es gelang ihnen aber nicht, denn die Wege waren zu schmuddelig und die Luft zu kalt. Nach ihren Club- und Barbesuchen schlenderten sie traurig an der hohen Mauer entlang und schwärmten von dem herrlichen Garten, der dahinter verborgen lag.

»Wie glücklich waren wir dort«, seufzte der Skeptiker.

»Wir bräuchten eine Drohne, die den Koloss beobachtet«, schlug das Lästermaul vor. »Mit der können wir prüfen, wann er wieder verreist. Dann schlüpfen wir erneut durch unseren Geheimgang und setzen das fröhliche Leben fort.«

Der Neue fand die Idee super und setzte die Drohne gleich auf seinen Wunschzettel fürs Weihnachtsfest. Und siehe! Am Heiligen Abend lag unter seinem Tannenbaum ein Päckchen mit einem erstklassigen Gerät, dass er auch gleich bedienen konnte, obwohl er weder Lizenz noch Übung besaß.

»Ich muss ja ein wirklich braver Junge gewesen sein«, lachte er, »wenn der Weihnachtsmann so gütig zu mir ist!«

Am nächsten Morgen rief er das Lästermaul, den Skeptiker und den Hobby-Psychologen an. Nachdem sie Weihnachtsgrüße ausgetauscht hatten, verabredeten sie sich für den Nachmittag am geheimen Eingang. Von dort starteten sie die Drohne, die mithilfe einer kleinen Kamera die Lage im Garten checken sollte. Doch wie enttäuscht waren die vier, als das Bild ihnen den Zustand des Grundstücks zeigte: Der Winter war darin eingekehrt, die Vögel wollten nicht singen und die Beete vergaßen zu blühen. Der Schnee bedeckte das Gras mit seinem dicken weißen Mantel und der Frost ließ alle Bäume silbern erscheinen. Als die Drohne das Hinweisschild einfing, welches der Koloss aufgestellt hatte, kehrte sie von selbst über die Mauer zum Neuen zurück und setzte sich verdrossen auf den verschneiten Boden.

»Dieser selbstverliebte Fatzke hat die künstliche Frühlingswärme abgestellt«, schimpfte das Lästermaul.

»Und das, nachdem er uns rücksichtslos eine schwere Erkältung beschert hat«, fügte der Skeptiker wütend hinzu.

»Nicht zu vergessen das Body-Shaming, mit dem er unsere Bäuche, Arme und Schwänze bedacht hat«, erinnerte sich der Hobby-Psychologe.

Ihr Groll wuchs und wuchs und keine Weihnachtsstimmung herrschte mehr in ihrem Herzen. Heimzahlen wollten sie es dem Koloss! Rächen wollten sie sich für die Schmach, die er ihnen angetan hatte, und nicht länger hinnehmen, dass er etwas Besseres sein sollte als sie.

»Wir gehen in den Garten und machen uns das Winterwetter zunutze«, rief der Neue aus. »Einen Schneemann werden wir dem Koloss vor die Nase setzen, der auf den ersten Blick so aussieht wie er, aber auf den zweiten Blick offenbart, wie hässlich Richard Rafty wirklich ist!«

Das klang nach einem lustigen Streich, fanden die anderen, und sie schlüpften in den Garten und machten sich ans Werk. Dank der Brunnenstatue war es ihnen ein Leichtes, die Proportionen und Formen des einstigen Pornostars aufs Genaueste nachzuempfinden, und der Schnee war weder zu weich noch zu fest für ihr Vorhaben. Einzig ihr typisch schwules Feingefühl für alles Schöne stand ihnen im Weg. Denn als der Schneemann fertig war, sah er zwar auf den ersten Blick wirklich wie Richard Rafty aus. Aber der Plan, ihn auf den zweiten Blick all seine Hässlichkeit offenbaren zu lassen, war gründlich schiefgegangen und hatte sich ins Gegenteil verkehrt: Bizeps und Trizeps waren noch ein Stück kräftiger geraten als beim Original, die Rundungen des Hinterns ein klein wenig knackiger, ja selbst der Penis hatte ein Quäntchen mehr zu bieten, als man es aus Raftys Filmen kannte. Vor allem aber sein Antlitz blickte deutlich sanfter, ja regelrecht liebenswert drein. Ob es an des Skeptikers weihnachtlicher Gutmütigkeit lag, an des Lästermauls heimlicher Schwärmerei für den Koloss oder schlicht am Kunstverständnis des Hobby-Psychologen, immer die höchstmögliche Ästhetik zu erreichen, ist nicht bekannt. Fakt ist, der Schneemann geriet wunderschön.

Wie dem auch sei! Die vier Männer merkten nichts davon, hielten ihr Werk für den Zweck gelungen und fassten sich an den Händen, um wie kleine Kinder um den Schneemann herumzutanzen. Dabei sangen sie laut:

»Frostiger Koloss,hast ein Herz so kalt wie Eis.Deine Videosmachten dich einst groß,doch die sind der letzte Sch…«

Den grölenden Gesang hörte Richard Rafty selbstverständlich, als er sich gerade vor einem seiner Spiegel bewunderte.

»Ich kann nicht verstehen, warum diese Kerle trotz fehlendem Frühling noch herkommen«, sagte er, als er ans Fenster trat und in seinen kalten, weißen Garten blickte. »Ich hoffe, dass sich das bald ändert«.

Da entdeckte er die vier Männer und in ihrer Mitte – ja, was sah er da? Es war der wundervollste Anblick, den er sich denken konnte. Dort, umgeben von den tanzenden Besuchern, stand ein schneeweißer Mann, den Richard Rafty sich nicht herrlicher vorstellen konnte. Splitternackt war er, gesegnet mit einem muskulösen, perfekten Körper und anbetungswürdigem Genital. Die schwarzen Augen blickten freundlich auf den munteren Reigen, sein Lächeln verhieß Güte und Liebenswürdigkeit. Als der Koloss jenen Fremden sah, wurde es ihm ganz warm ums Herz.

»Wie selbstverliebt bin ich gewesen«, sprach er reumütig zu sich selbst. »Jetzt verstehe ich, wozu all die Spiegel nützlich sind. Sie sollen das Bild dieses Prachtkerls tausendfach vervielfältigen, auf dass die Welt sich an ihm sattsehen kann! Und der Pool, die Beete, die Bäume, all das soll für ihn fließen, blühen, Früchte tragen! Und alle schwulen Männer des Szeneviertels sollen kommen, ihn bewundern und meine Freude an ihm teilen.«

Er nahm sich vor, die Mauer so schnell wie möglich niederzureißen, und bedauerte aufrichtig, sie überhaupt gebaut zu haben. Ehe er aber ans Werk ging, musste er unbedingt den fremden, schneeweißen Mann kennenlernen. Er warf sich einen Pelzmantel über, stapfte in den Schnee und eilte dem Reigen zu. Die vier ungebetenen Gäste wussten gar nicht, wie ihnen geschah, als sich der Koloss einfach einreihte und ihr Lied mitsang – allerdings mit einem anderen Text:

»Frostiger Koloss,ach, wie lächelst du mir süß!Und dein Mund so rundund dein Teil so steillocken mich ins Paradies.«

Da standen die vier anderen staunend still, denn solch eine Reaktion hatten sie nicht erwartet. Sie glaubten, Richard Rafty wolle sich über sie lustig machen oder habe den Verstand verloren. Der echte Koloss tanzte derweil weiter um den Schneekoloss herum und sang:

»Frostiger Fremder,wärest doch lebendig du!Ja, dann küsst ich dich,ja, dann müsst ich michum dich schlingen immerzu!«

Lästermaul, der sich verstört aus dem Reigen gelöst hatte, flüsterte dem Neuen zu:

»Immerhin verrät diese Strophe, dass er durchaus kapiert, nur einen Schneemann vor sich zu haben. Einen Augenblick lang fürchtete ich schon, uns sei die Figur zu lebensecht geraten. Aber he, was ist das?«

Ein Windstoß brach über die Mauer in den Garten und wehte einen alten Zylinder herbei; zugleich tönte von fernher Schellengeläut.

»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich das für einen Gruß vom Weihnachtsmann halten, der eben draußen auf seinem Schlitten vorbeifuhr, als der Koloss sein Liedlein trällerte«, staunte der Hobby-Psychologe und hob den Zylinder auf.

Der Neue, dessen Glaube an den gutherzigen Geschenkebringer seit dem Erhalt der Drohne fester denn je geworden war, nahm ihm den Hut ab und sprach im Brustton der Überzeugung:

»Er war’s ganz gewiss und hat den Wunsch von Richard gehört, wetten? Lasst uns dem Schneemann den Zylinder aufsetzen und abwarten, was passiert!«

Gesagt, getan. Kaum prangte der Hut auf dem Kopf des künstlichen Koloss, begannen seine Kohlenaugen zu blinzeln, seine Schneeschultern zu zucken und seinem runden Mund entfuhr ein tiefes, aber freundliches »Oh, schön!«

Der Skeptiker bekam es mit der Angst zu tun. Er glaubte, ein Spukphänomen vor sich zu haben, sah in der lebendig gewordenen Schneefigur ein mordlustiger Rächer des personifizierten Klimawandels und ergriff schlagartig die Flucht. Die anderen blieben, obschon der Hobby-Psychologe der Meinung war, gerade Zeuge einer Massenhypnose zu sein.

»Du sprichst, du gehst, du lebst«, jubelte der wahre Koloss und fiel in die Arme des Schneemanns, die ihn sachte umschlangen. »Wie kann das sein?«

»Es ist eben Weihnachten«, sagte der Neue. »Da gehen Herzenswünsche in Erfüllung.«

Richard Rafty schlug sich an die Stirn.

»Stimmt, heute ist der erste Weihnachtstag! Da sind Wunder möglich!« Und zum Schneemann gewandt, sprach er: »Willkommen in meinem Garten, mein Lieber! Ich bin Richard Rafty und freue mich, den schönsten Mann der Welt bei mir zu Gast zu haben.«

»Danke, danke, du hübscher Mann«, erwiderte die Schneefigur. »Gerne würde ich mich vorstellen, aber ich kenne meinen Namen gar nicht. Das Kompliment aber, werter Herr, muss ich zurückgeben. Sehen wir nicht genau gleich aus? Da habe ich es doch ebenfalls mit dem schönsten Mann der Welt zu tun!«

Der echte Koloss schüttelte lachend den Kopf und errötete.

»Nein, nein, nein, du bist tausendmal schöner als ich. Einen Namen kann ich dir gerne geben. Willst du nicht Frosty heißen? Du glänzt schließlich wie Millionen Schneeflocken und Eiskristalle!«

Der Schneekoloss verneigte sich und nahm den Namen gern an.

»Nun erklärt mir, liebe Freunde, was es mit jener Weihnacht auf sich hat, von der ihr spracht und deren Zauber ich meine Existenz zu verdanken habe«, bat er.

»Wozu erklären, wenn wir sie dir zeigen können?«, rief Richard Rafty übermütig. »Eine geschmückte Tanne werde ich holen und aufstellen lassen! Buden und Stände mit Lebkuchen und Glühwein sollen den Garten füllen, Schlittschuhläufer und Kurrendesänger. Dann wirst du verstehen, was die Weihnachtszeit ist!«

Es brauchte nur wenige Telefonate und der Baum samt allem Schmuck wurde geliefert. Der Christkindlmarkt aus dem Stadtzentrum wurde abgebaut und im Garten wieder neu errichtet. Der Swimmingpool wurde zur Eisbahn umgestaltet. Zudem wies Richard Rafty das Lästermaul, den Hobby-Psychologen und den Neuen an, all ihre Kontakte spielen zu lassen, um den Christkindlmarkt mit Menschen zu füllen. Nur eine Stunde später glitten junge Herren elegant übers Eis, schlürften plaudernde Männer Punsch und Glühwein und fütterten verliebte Pärchen einander mit Lebkuchenherzchen und anderen Süßigkeiten. Als der Schneekoloss das Geschehen betrachtete, nickte er und sagte:

»Weihnachten ist also ein Fest des Frohsinns und der Liebe.«

»Richtig«, bestätigte Richard Rafty. »Und du, Frosty, machst mich froh und ich bin in Liebe zu dir entflammt! Wenn ich dich doch nur auch froh machen könnte. Aber deine Kälte und meine Hitze können wohl nicht vollkommen zueinanderfinden.«

Da funkelte es in den kohlschwarzen Augen des Schneekolosses.

»Es wird sich ein Weg finden«, lächelte er vielsagend und Richards Herz begann vor Aufregung zu pochen – genauso, wie sein Genital gegen das Innenfutter seines Pelzmantels pochte.

Sie fassten den Entschluss, ihre Zuneigung gleich heute körperlich auszuleben, benötigten jedoch dafür die Hilfe der drei Eindringlinge, der sie ihre Romanze zu verdanken hatten. Der Neue riet ihnen, ihr Stelldichein im kältesten Saal der Villa zu vollziehen. Das Lästermaul lieh dem Pornostar Thermosocken und Thermohemd. Der Hobby-Psychologe bastelte aus einer Rettungsdecke eine Art Kondom, das Richards Penis wärmen, den Hintern des Kolosses hingegen vor dem heißen Sperma schützen sollte.

»Oder andersherum, je nachdem, wer wen… ihr wisst schon…«, stotterte er.

Frosty nahm ihm kichernd das »Thermokondom« ab, stülpte es über sein frostiges Teil und packte den mollig eingewickelten Richard.

»Reite mich, mein pelziger Husky«, befahl er.

»Wie du willst, mein arktischer Riese«, erwiderte der Koloss.

Und schon vereinigten sich die zwei vor den Augen der drei Umstehenden, ohne Scham und Scheu. Eine eisblaue Zunge spielte mit rosaroten Nippeln, dampfender Atem traf auf glitzernde Kristallwangen, salziger Schweiß mischte sich mit frostigem Pulver. Heiß und Kalt, sonst im ständigen Kriege miteinander, fanden hier zu einem ausgeglichenen Geben und Nehmen, das von Lust und Liebe angetrieben wurde. Wo ein weißer Schenkel unter der warmen Hand zu schmelzen drohte, wehte zur rechten Zeit ein kühler Windhauch aus dem Fenster in den Saal; wo nackte Menschenhaut eine Frostbeule riskierte, schob sich ein prompt ein lauer Luftstrom durch den Türspalt vom Kaminzimmer, um jeglichen Gefrierbrand abzuwenden. So liebten Schneekoloss und Menschkoloss einander den ganzen Weihnachtstag lang und der Hobby-Psychologe musste anwesend bleiben, um immer neue »Thermokondome« aus der Rettungsdecke zu schneiden.

Der Neue und das Lästermaul sahen dem Treiben staunend zu und konnten nicht widerstehen, die Fäustlinge in ihre Hosen zu schieben, aus denen sie nach einem ruckelnden Weilchen wieder hervorkamen – verräterisch feucht, versteht sich. Daran, ein Smartphone in die Hand zu nehmen und das Geschehen zu filmen, kamen sie nicht. Und als sie später dem Skeptiker von dem Erlebnis berichteten, meinte der:

»Das ist besser so. Die Leute würden das Video für ein KI-generiertes Fake halten und ihr hättet mehr Ärger als Nutzen davon gehabt. Aber neidisch bin ich schon, nicht dabei gewesen zu sein.«

»Vielleicht darfst du das nächste Mal zugucken«, tröstete ihn das Lästermaul. »Mir scheint, Richard Rafty mag es noch immer, wenn man ihm beim Akt zusieht. Vor der Macht der Gewohnheit sind auch ehemalige Pornohelden nicht gefeit.«