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Warum ist das innere Kind wichtig, wenn es um Beziehungen geht? Lebt man das innere Kind in einer Beziehung aus, dann aktiviert man im anderen den Elternanteil. Schlüpft man in die Rolle der Mutter oder des Vaters, so weckt man das innere Kind des anderen. Eine Liebesbeziehung wird aber von Mann und Frau geführt - weder vom inneren Kind noch von der inneren Mutter oder vom inneren Vater. Aber was bedeutet das überhaupt, Frau bzw. Mann sein? Wie unterscheidet man zwischen den inneren Anteilen? Diese und andere Fragen beantwortet Susanne Hühn. Sie führt den Leser auf eine heilige Reise der Liebe, eine Reise in eine heilsame Beziehung.
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Seitenzahl: 290
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Susanne Hühn
Seh’ ich aus wie deine Mutter?
Mitgefühl und Heilung für das innere Kind in Beziehungen
Über die Autorin
Susanne Hühn wurde 1965 in Heidelberg geboren. Schon mit fünf Jahren beschloss sie, Masseurin zu werden. Nach dem Abitur besuchte sie eine Schule für Physiotherapie, machte 1986 ihr Staatsexamen und arbeitete danach als Krankengymnastin.
Der Zusammenhang zwischen dem Denken und Fühlen und dem körperlichen Symptom, das ihre Patienten jeweils zeigten, interessierte Susanne Hühn besonders, und so absolvierte sie Ausbildungen und Seminare zum Thema ganzheitliche Medizin. Mit 28 Jahren ließ sie sich zur psychologischen Beraterin ausbilden. Aufgrund eigener Themen kam sie auch in Kontakt mit spirituellen Therapieformen wie Kinesiologie und Reinkarnationstherapie nach Rhea Powers.
Parallel zu ihrer Tätigkeit als Physiotherapeutin begann Anfang der Neunzigerjahre Susanne Hühns Weg als spirituelle Lebensberaterin und Meditationslehrerin. Zudem fing sie 1992 an zu schreiben. Nach wie vor faszinierte sie der Zusammenhang zwischen Körper, Geist und Seele, und so begab sie sich auf ihre eigene Forschungsreise. Ihr erstes spirituelles Selbsthilfebuch entstand 1999 und wurde im Schirner Verlag veröffentlicht. Im Jahr 2005 beendete Susanne Hühn ihre Tätigkeit als Physiotherapeutin. Seither widmet sie sich ganz der Lebensberatung und dem Schreiben von Büchern, Artikeln und Geschichten.
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ISBN 978-3-8434-6147-4
www.schirner.com
1. E-Book-Auflage 2014
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten
Inhalt
Über die Autorin
Einleitung
Das erste Tor: Anerkennen, was ist Der dunkle Drache: Verleugnung
Erster Schlüssel
Die Werkzeuge des ersten Tores
Das zweite Tor: Radikale Selbstverantwortung Der dunkle Drache: Opferbewusstsein
Zweiter Schlüssel
Die Werkzeuge des zweiten Tores
Das dritte Tor: Nichtangriffspakt Der dunkle Drache: Rache
Dritter Schlüssel
Die Werkzeuge des dritten Tores
Das vierte Tor: Echte Reue und die Bitte um Vergebung Der dunkle Drache: Scham
Vierter Schlüssel
Die Werkzeuge des vierten Tores
Das fünfte Tor: Klare Vereinbarungen treffen Der dunkle Drache: Verantwortungslosigkeit
Fünfter Schlüssel
Die Werkzeuge des fünften Tores
Das sechste Tor: Wiedergutmachung leisten und annehmen Der dunkle Drache: Verweigerung durch Stolz
Sechster Schlüssel
Die Werkzeuge des sechsten Tores
Das siebte Tor: Das Glück des inneren Kindes Der dunkle Drache: Angst vor Abhängigkeit
Siebter Schlüssel
Die Werkzeuge des siebten Tores
Nachwort
Anhang
Einleitung
Lieber Leser, liebe Leserin,
warum ist denn das innere Kind so wichtig, wenn es um Beziehungen geht? Fast jeder hat bereits davon gehört, dass wir oft genug die Themen unserer Kindheit in unseren Beziehungen wiederholen, was also gibt es Neues? Hat nicht Robin Norwood in ihrem Buch Wenn Frauen zu sehr lieben, das bereits 1991 erschienen ist, schon längst alles gesagt?
Wie also komme ich auf die Idee, es brauchte noch ein Buch über das innere Kind, so, als wären nicht alle Themen längst bekannt?
Weil ich euch in unseren Seminaren erlebe. Weil ich eure Not und eure Hilflosigkeit dabei, euch einander mitzuteilen, hautnah spüre, wenn ihr zu uns kommt und nicht wisst, wie ihr eure Liebe gesund und friedlich leben könnt. Weil das innere Kind dermaßen tief und oft genug unerkannt wirkt, dass man gar nicht genug darüber schreiben und wissen kann. Viele Beziehungen zerbrechen an der zerstörerischen Macht des verletzten inneren Kindes. Denn diesem inneren Kind stehen nun, da ihr erwachsen seid, viel mehr Werkzeuge als früher zur Verfügung, um das zu bekommen, was es so dringend braucht. Machtmissbrauch, emotionale Kälte, sexuelle Verführung oder Verweigerung, übermäßiges Kümmern, Kindchen spielen und süß sein, unterschwellige und offene Manipulation bis hin zur Gewalt – das innere Kind hat Zugriff auf all eure Fähigkeiten, wenn ihr es ungehütet in euch toben lasst. Dieses innere Kind ist der Garant dafür, dass ihr überlebt (mehr über das innere Kind: Die Heilung des inneren Kindes, Schirner Verlag 2008). Es hat nichts als seine eigene Heilung im Sinn, sein unermesslicher Hunger nach Liebe und Zuwendung will gestillt werden, egal wie. Die Mittel, die es anwendet, sind nur nicht besonders konstruktiv. Das innere Kind hat, wie jedes andere Kind auch, das Recht, sich zu holen und zu fordern, was es braucht. Aber, im Gegensatz zu einem wirklichen Kind, nicht von jemand anderem. Und genau hier beginnt die innere Reise.
Eines vorab: Ich habe schon viel über das innere Kind geschrieben, und wenn ihr meine anderen Bücher kennt, dann ist euch sicher einiges vertraut. Ich weiß, dass ich mich wiederhole. Aber in diesem Buch möchte ich euch ausdrücklich zeigen, wie ihr das innere Kind innerhalb eurer Beziehungen schützen und versorgen könnt – euer eigenes, nicht das eures Partners. In diesem Buch erfahrt ihr, wie ihr die Wunden, die ihr euch durch das unangemessene Zuschieben oder Übernehmen von Verantwortung zugefügt habt, heilen könnt.
Eines bleibt meistens auf der Strecke, wenn ihr euch im inneren Kind befindet oder die Mutter bzw. den Vater gebt: euer Sexualleben. Schon allein deshalb lohnt es sich, die inneren Kinder selbst zu versorgen und aus der Elternrolle auszusteigen, oder? Doch Vorsicht: Das innere Kind kann Sex nutzen, um sich »lieb Kind« zu machen oder um euch Energie zu rauben, denn ihm stehen eure Mittel als Erwachsene zu Verfügung.
Was ist das eigentlich, dieses innere Kind? Falls ihr mein Buch Die Heilung des inneren Kindes nicht kennt, in dem ich euch viele Werkzeuge anbiete, um euer inneres Kind kennenzulernen und in Sicherheit zu bringen, möchte ich euch hier noch einmal aufzeigen, worüber wir reden:
Wenn wir an das innere Kind denken, dann lächeln wir liebevoll oder auch ein bisschen ironisch und meinen damit den Teil, der mit »Das Kind im Manne« oder »Die innere Prinzessin« oder »Pippi Langstrumpf« beschrieben wird. Dieses Kind bekommt ab und zu ein wenig Raum, es darf sich ab und zu einmal ein Eis bestellen, obwohl der Diätplan dagegen spricht, oder vor einem Schaufenster mit Modelleisenbahnen stehen bleiben. Wir sind großzügig, wenn es um die inneren Kinder geht, ja, sie dürfen ab und zu einmal spielen, denn sie tragen ja dazu bei, dass wir uns besser fühlen. Unser inneres Kind wird so verharmlost und verniedlicht, dass wir oft erschrecken, wenn wir seine wahre Kraft und seinen immensen Einfluss auf unser Leben, seine dramatischen Verletzungen und die unbändige Freude, die es uns bringen kann, zu spüren beginnen. Oft genug wollen wir es gar nicht wahrhaben und verleugnen diese starke Kraft.
Es ist das innere Kind, das leuchtende Augen bekommt, wenn wir uns den verbotenen Eisbecher erlauben, ja. Es ist aber auch das innere Kind, das uns dazu bringt, andere und uns selbst bis zum Exzess zu kontrollieren und zu vereinnahmen oder uns vereinnahmen zu lassen. Es ist das innere Kind, das so tief einsam ist, dass wir nicht anders können, als Drogen welcher Art auch immer zu nehmen, und das diese vage Ungeborgenheit und jene Selbstzweifel, die uns immer wieder vor den Abenteuern des Lebens zurückschrecken lassen, in uns hervorruft. Es ist das innere Kind, das dafür sorgt, dass unsere Beziehungen immer wieder scheitern, weil wir immer wieder zu den gleichen Streitpunkten gelangen, und das uns im Beruf unzufrieden sein lässt, weil wir nicht für unsere Wünsche und Bedürfnisse einstehen.
Es ist aber auch das innere Kind, das sich mutig über alle Ängste und Zweifel hinwegsetzt und seinem Herzen treu bleibt. Das innere Kind schenkt uns so viel Kraft und Lebendigkeit, dass wir all unsere Aufgaben mit Leichtigkeit und Anmut erledigen könnten. Das innere Kind lässt uns entweder durch das Leben tanzen oder müde dahinschlurfen, je nachdem, wie es ihm geht. Es ist kein einzelner Persönlichkeitsaspekt, sondern ein Energiefeld aus vielen verschiedenen, kompliziert miteinander verwobenen Anteilen, die alle eins gemeinsam haben: Sie spüren und erleben die Dinge direkt und unverfälscht, sie sind die emotionalen Zeugen unserer Vergangenheit. Hier ist unsere emotionale Wahrheit gespeichert. Das innere Kind ist wie der wahre Emotionalkörper, hier ist all das zu spüren, verankert, was wir uns nicht erlaubt haben – seien es Liebe, Trauer, Angst, Schock, Wut oder überschäumende Lebensfreude. Das innere Kind ist ein Geflecht aus Erfahrungen, Wünschen, Träumen, Sehnsüchten, Erinnerungen an andere Dimensionen und liebevollere Zeiten, ein Energiefeld, das alles enthält, was man selbst – die an ihre Umgebung angepasste und funktionierende Persönlichkeit – nicht spüren kann, darf oder will. Wie auch immer ihr eure Kindheit erlebt habt, die Wahrheit ist im inneren Kind gespeichert. Was auch immer ihr träumt und euch vom Leben zu erhoffen glaubt, es ist euer inneres Kind, das das Drehbuch eures Lebens schreibt, weil es die Wahrheit kennt, das, was ihr wirklich und wahrhaftig wollt.
Wir können unser inneres Kind nur erfassen, wenn wir erlauben, dass wir von ihm im Herzen berührt werden. Das Reich des inneren Kindes ist nicht durch logische Argumente oder durch den Intellekt zu erfassen, und es reagiert auch nicht darauf. Seine Welt ist magisch, sie ist die Welt der inneren Bilder, der Symbole und der Verzauberung. Wenn ihr versteht, was in eurer Kindheit passiert ist, warum ihr verletzt seid, warum ihr auf eine bestimmte Weise reagiert, dann ist das sicher sehr hilfreich, aber es ändert absolut nichts. Das innere Kind lässt sich davon weder beeindrucken noch erreichen, im Gegenteil. Nun könnt ihr euch ganz bewusst dabei zusehen, wie ihr dennoch auf die alte, wahrscheinlich für andere völlig unverständliche Weise reagiert. Ihr wisst, warum ihr es tut, aber ihr könnt es trotzdem nicht ändern. Die inneren Kinder wirken nicht im Verborgenen, sondern zeigen sich ganz direkt in all den Situationen, in denen alte Wunden berührt werden.
Wenn ihr ein verletztes inneres Kind habt – und wer hat das nicht? –, dann braucht es eine große, beinahe heilige Macht, damit ihr in Frieden miteinander leben könnt: Mitgefühl. Für euch selbst und füreinander. Das schreibt sich leicht. Aber im Alltag, wenn ihr an genau den Stellen berührt werdet, an denen es so wehtut, dass ihr erstarrt und flüchten oder euch unsichtbar machen wollt, ist es beinahe unmöglich, Mitgefühl aufzubringen, weder für den anderen noch für sich selbst. Und so fühlen wir uns gekränkt, werden trotzig, werfen mit spitzen oder eiskalten Bemerkungen um uns, jammern, erleben uns als Opfer und machen unsere Schotten, die Chakren, dicht.
Mitgefühl, meint ihr dann, wie komm ich dazu? Bin ich seine Mutter? Seh’ ich aus wie ihr Vater? Muss ich dem anderen alles recht machen, nur damit sein inneres Kind glücklich ist und Ruhe hält? Ist es nicht genau mein Mitgefühl, das mich in einer geradezu co-abhängigen Beziehung festhält? Sorge ich nicht schon genug für ihn, nehme ich mich nicht schon genügend zurück, um sie nicht zu erschrecken? Nun, wenn ihr euch mit euren inneren Kindern beschäftigt, dann haltet ihr emotionalen Zündstoff in den Händen. Die Macht, die euch das Wissen um die Verletzlichkeit des anderen gibt, kann ungeheuer zerstörerisch sein und wird eure Beziehung auf einen Prüfstand stellen. Nur diejenigen, die sich in einer wahrhaft liebevollen und unterstützenden Beziehungen befinden, sind in der Lage, die Themen des inneren Kindes anzuschauen und in die Erlösung zu bringen. Denn was bringt es, wenn man sich die Verletzungen des eigenen inneren Kindes anschaut und der Partner diese Informationen gegen einen nutzt? Nur eine neue Verletzung. »Das ist wieder nur dein inneres Kind, das Bestätigung braucht.« Wenn man diesen Satz um die Ohren gehauen bekommt, dann tut man sehr gut daran, sich von diesem Partner fernzuhalten. Es braucht also viel Vertrauen und Liebe, um sich diese Themen anzuschauen, besonders die gegenseitige Bereitschaft und Versicherung, auf jeden Machtmissbrauch zu verzichten – was gar nicht so einfach ist, denn diese Macht spielt ja auch dem verletzten und deshalb unbewussten inneren Kind in die Hände …
Eines vorweg:
Eine Liebesbeziehung wird von Mann und Frau geführt. Weder von der inneren Mutter noch vom inneren Kind noch vom inneren Vater.
Lebt man das innere Kind in einer Beziehung aus, so aktiviert man im anderen den Elternanteil oder dessen eigenes inneres Kind, ganz einfach. Bietet man die Mutter oder den Vater an, so aktiviert man das innere Kind des anderen. Willst du den Mann erreichen, liebe Leserin, dann tue es aus der Frau heraus, die du bist. Willst du die Frau haben, lieber Leser, dann lebe deinen Mann. Wie man das macht, dazu später. Aber vielleicht versteht ihr bereits jetzt, dass ihr großen Einfluss auf die Kräfte habt, die in eurer Beziehung maßgeblich wirken. Je eindeutiger jeder von euch eure Beziehung von der Mann-Frau-Ebene aus führt, desto mehr stärkt ihr den anderen in seiner Position als Mann oder Frau. Das gilt natürlich auch für gleichgeschlechtliche Beziehungen. Versteht ihr? Wenn du als Frau einen Mann haben willst, dann komme aus der Mutterrolle und aus dem inneren Kind heraus, und stehe als Frau vor ihm! Willst du als Mann eine Frau, dann höre auf, dein inneres Kind zu leben, und aktiviere den inneren Mann! Auch das schreibt sich leicht. Denn was bedeutet das überhaupt, Frau bzw. Mann sein? Wie unterscheidet man zwischen der inneren Mutter, dem Vater, dem Kind und der Frau oder dem Mann? Und überhaupt – muss man den anderen nicht, wenn man ihn bedingungslos liebt, so lassen, wie er ist? Nun, es ist durchaus legitim, vom anderen das höchste Maß an Selbstverantwortung zu fordern, das er geben kann. Das ist nicht »verändern«, sondern »ernst nehmen«. »Verändern« würde bedeuten, mehr von ihm zu wollen, als er geben kann. Wenn es dir nicht reicht, was dir dein Partner anbietet, dann passt es womöglich nicht. Was er aber geben kann und vor allem geben will, auch wenn es anstrengend ist, das willst du hoffentlich auch mit ihm teilen! Du nimmst den anderen ernst, eben weil du ihn liebst, und lässt ihm nichts durchgehen, weil diese Liebe Früchte tragen soll. Das ist Fürsorge für eure Liebe.
Und darum geht es in diesem Buch: Wie wirkt das innere Kind? Wie können wir uns selbst heilen? Was braucht es innerhalb der Beziehung? Welche Aspekte dürfen endlich aktiviert werden? Es braucht sehr viel Liebe, Nachsicht und Mitgefühl, sehr viel Stärke, um dem inneren Kind, dem eigenen und dem des Partners, einen guten Platz zu geben, vor allem, wenn ihr euch immer wieder an den gleichen Stellen berührt. Ach was, berührt. Wenn ihr immer wieder wegen der gleichen Themen kalten oder heißen Krieg gegeneinander führt!
Ich freue mich sehr, mit euch auf eine heilige Reise der Liebe zu gehen. Auf dieser Reise werden uns sieben Tore begegnen, die es zu durchschreiten gilt. Jedes dieser Tore hat einen grimmigen Wächter, der überwunden werden will – aber es lohnt sich. Lasst uns zusammen gehen, gemeinsam schaffen wir das. Vielleicht durchschlendert ihr die ersten drei Tore völlig entspannt und fragt euch, was ich euch eigentlich vermitteln will – doch unversehens steht ihr vor dem vierten und wisst nicht, wie ihr es meistern sollt … Dann freue ich mich sehr, euch von dort abholen zu dürfen.
»Hilft mir dieses Buch auch, wenn mein Partner so gar nicht an diesen Themen interessiert ist?« Ja. Denn die ersten Tore musst du sowieso allein durchschreiten, weil sie nur mit dir zu tun haben. Deine Beziehung ist der Auslöser, aber die Themen sind in dir. Wenn du deinen Anteil, deine Portion Zunder aus euren Angelegenheiten herausnimmst, dann öffnen sich mit ziemlicher Sicherheit auch für euch beide ganz neue Wege.
Ich hoffe von ganzem Herzen, euch zu dienen. Möge euch der Weg helfen, Frieden in eure Beziehung zu bringen, damit die Liebe ungehindert und noch stärker fließt.
Das erste Tor: Anerkennen, was ist Der dunkle Drache: Verleugnung
Weil ich dich liebe, erlaube ich dir, mich auch an den Stellen zu berühren, an denen es schmerzt.
Warum ist denn dieses innere Kind so wichtig, und worüber reden wir hier überhaupt?, magst du dich vielleicht fragen.
Sprechen wir zunächst ein bisschen über deinen Mandelkern. Das ist ein sehr alter Teil deines Gehirns, der aus dem ursprünglichen Riechhirn entstanden ist, der Teil, der zuerst auf jedes Ereignis reagiert. Er unterscheidet auf der Stelle, ob eine Situation für dich bedrohlich ist oder nicht, er ist wie ein Leibwächter, der dich blitzschnell in Sicherheit bringt. Das heißt, der Mandelkern entscheidet ohne Umschweife und ohne dass auch nur ein einziger bewusster Anteil deines Gehirns daran beteiligt ist, ob du in einer bestimmten Situation einer Flucht- und Angstreaktion (Stammhirn) unterliegst oder ob du entspannt und gelassen (Frontallappen) bleiben kannst. Die Amygdala ist tatsächlich wie ein Schalter, der zwischen den Gehirnteilen hin- und herschaltet.
Ich bin natürlich keine Hirnforscherin, aber das hier ist wichtig zu wissen: Die Mandelkerne (lat.: Amygdali, wir haben zwei davon, einen links, einen rechts) sind, wie gesagt, aus dem Riechhirn, dem Sitz unseres Geruchssinnes, heraus entstanden. Und das ist auch logisch, denn der Geruchssinn bildet das Frühwarnsystem der meisten Tiere. Er ist bei vielen Tieren die am frühesten und besten entwickelte Sinneswahrnehmung. Die Wahrnehmung von Gerüchen sorgt für blitzschnelle, unmittelbare Reaktionen, sei es der sexuelle Lockstoff eines potenziellen Partners, der Geruch einer Beute oder der eines Feindes. Im Mandelkern nun wird für jede Situation neu entschieden, ob wir mit einem älteren oder einem entwicklungsgeschichtlich neueren Anteil unseres Gehirnes reagieren und ob der Schaltkreis einer Angstreaktion aktiv wird oder nicht. Weil die Verknüpfungen zu den älteren Teilen, dem Reptilien- und dem Säugetiergehirn, älter und damit auch besser ausgeprägt und schneller sind, erfolgt die erste Reaktion bei einkommenden Informationen (jedes Ereignis bildet eine Information für unser Gehirn) zumeist aus den älteren Gehirnanteilen heraus – Wettbewerb, Überleben, dann erst Fürsorge und Emotionen. Der erste Impuls sorgt für das Überleben.
Es gibt im Mandelkern (der so heißt, weil dieser Gehirnteil wirklich wie eine Mandel aussieht) zwei verschiedene Schaltkreise: Der eine sorgt dafür, dass bestimmte Ereignisse mit Angst verknüpft werden, der andere Schaltkreis entkoppelt dieses Ereignis wieder von Angst, nämlich dann, wenn wir das gleiche Ereignis noch weitere Male erleben – dann aber ohne bedrohliche Auswirkungen. Merken wir uns also: Angst entsteht sofort, bei der ersten Bedrohung. Um diese Angst zu verlernen, braucht es dagegen mehrfache positive Wiederholungen. Das ist auch klar, denn dein Gehirn, besonders die Mandelkerne, wollen dein Leben schützen. Natürlich lernen sie sofort alles über bedrohliche Situationen und löschen diese Informationen nur langsam, denn eine gesunde, rasche und angemessene Reaktion auf Gefahr ist für die Mandelkerne nun einmal wichtiger als die Fähigkeit, entspannt spazieren zu gehen. Flucht, sich tot stellen oder Angriff sind wichtiger als Mitgefühl, zumindest waren sie es während der Zeit, als unser Gehirn entstand. Wissenschaftler nennen diese Schaltkreise Angst- bzw. Löschneuronen. Frei von Angst zu werden lernen wir also im wahrsten Sinne des Wortes über bewusst erlebte positive Erfahrungen.
Der älteste Teil unseres Gehirnes ist das sogenannte Reptiliengehirn. Dieses Hirnteil ist emotionslos und sorgt für unser Überleben, schickt uns kompromisslos in den Wettbewerb und sorgt dafür, dass wir uns ohne Umschweife verteidigen, erstarren oder angreifen. Erst das entwicklungsgeschichtlich danach entstandene Säugetiergehirn gibt uns die Fähigkeit, Emotionen, soziales Verhalten und Fürsorge zu erleben. Da die Anlagen des Reptiliengehirns aber auch hier vorhanden sind, schwanken unsere Handlungsimpulse ständig zwischen den Polen Wettbewerb und Fürsorge, Angriff und Unterstützung, dem Recht des Stärkeren und der mitfühlenden Sorge für Schwächere hin und her.
Und dann gibt es da noch die »brandneuen« Stirnlappen des Neocortex. Diese erlauben uns, komplexe Dinge wie Sprache, Musik, verfeinerte motorische Fähigkeiten, Voraussicht und abstrakte Ideen zu entwickeln. Hier finden wir vor allem unser Bewusstsein, unsere Fähigkeit, über uns selbst nachzudenken, die Dinge von verschiedenen Seiten zu betrachten und sie unabhängig von uns selbst zu sehen. Im Vorderhirn bist du in der Lage, auch die andere Seite der Medaille zu betrachten und aus deiner sehr persönlichen, dich betreffenden Sicht der Dinge das größere Ganze zu überschauen. Wenn Goethe durch seinen Faust erklären lässt, er will wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält, dann kann er das nur über den Neocortex erfahren. Die Stirnlappen denken zu hundert Prozent kooperativ und bilden somit einen vollkommenen Gegenpol zum Reptiliengehirn.
Was hat das mit dem inneren Kind zu tun?
Nun, als Baby reift dein Gehirn gerade erst heran. Und zwar genau in der Reihenfolge, in der es auch entwicklungsgeschichtlich gereift ist. Der Frontallappen, in dem deine Vernunft und die Möglichkeit, konstruktive Lösungen zu finden, liegen, ist noch nicht aktiviert. Du reagierst ohne Sprache, ohne kognitive Fähigkeiten. Du lernst die Dinge unmittelbar durch dein emotionales und körperliches Erleben, bist nicht in der Lage, zu reflektieren und das, was du erlebt hast, zu überdenken, weil dein Vorderhirn noch nicht ausgereift ist. Du hast noch keine Sprache, somit bist du nicht in der Lage, dich auszudrücken und verständlich zu machen – außer durch deinen emotionalen und körperlichen Ausdruck. Alles, was dir gefährlich vorkommt, egal, ob es das tatsächlich ist oder nicht, wird von deinem Mandelkern, der Amygdala, als bedrohlich abgespeichert. Die Amygdala lernt über Emotionen, besonders über Angst und Schock. Und sie lernt schnell. Wenn du als kleines Kind bedroht wirst oder Angst bekommst, wenn du einen Schock erleidest, dann rafft die Amygdala sämtliche Ereignisse, die während des Schocks stattfinden, unüberprüft zusammen. Es ist, als greife sie während des Traumas, bildlich gesprochen, nach allen vier Tischtuchzipfeln eines gedeckten Tisches und stopfe das gesamte Geschirr, die Vase mit den Blumen, die Essensreste, die Tischdekoration, die Kerzen, das Besteck und auch die Servietten und die vollen Rotweingläser zusammen in eine Kiste. Sogar die CD mit der Musik, die gerade läuft, und alle Düfte im Raum packt sie dazu. Darauf schreibt sie »Gefahr, verlassen zu werden«, oder »Gefahr, körperliche Gewalt«, »Verletzung«, »Verhungern« oder was auch immer. Manchmal schließt sie sogar noch den entsprechenden Seelenanteil mit weg, damit du die Sache komplett vergisst und weitermachen kannst. Du fühlst dich an dieser Stelle dann zwar irgendwie leer, hast keine Erinnerung, bist wie taub, aber du kannst weiterleben.
Bei einem Schock werden also sämtliche bewussten Hirnteile, die bei Kindern sowieso noch nicht ausgereift sind, ausgeschaltet, und die Amygdala ergreift das Kommando. Das ist auch sehr sinnvoll. Die Amygdala entscheidet blitzschnell, ob eine Situation für dich bedrohlich ist oder ob du entspannt bleiben kannst. Ist sie bedrohlich, dann sorgt die Amygdala für die passende Stresshormonausschüttung und ermöglicht dir damit Flucht, Angriff oder Erstarrung, je nachdem, welcher Angsttyp du bist und welche Reaktion nach Meinung deiner Amygdala angemessen und sinnvoll ist.
Soweit ist das alles wunderbar und genau richtig. Wirst du nach einem Schock getröstet, darfst du weinen, darfst du wütend werden oder trauern, dann läuft die emotionale Welle aus, und du kommst wieder in dein Gleichgewicht. Wiederholt sich die schockierende Erfahrung nicht, dann sortiert dein Gehirn nach und nach diese Gefahrenkiste aus, sorgt dafür, dass alles gereinigt wird und an seinen richtigen Platz kommt, um im Bild zu bleiben. Was aber passiert üblicherweise? Du wurdest eben nicht getröstet, niemand hat überhaupt mitbekommen, dass du einen Schock erlitten hast, die Kiste modert in deinem Inneren vor sich hin. Geschieht nun etwas, das dich an den Inhalt dieser Kiste erinnert, auch wenn es überhaupt nicht unmittelbar mit dem Schock selbst in Verbindung steht – ein Duft, ein Musikstück, ein Wort –, dann reagiert dein Gehirn, deine Amygdala, wie auf eine echte Gefahr. Und das bedeutet nun einmal Flucht, Angriff oder Erstarrung. Weil eventuell ein Seelenanteil fehlt, kannst du dich überhaupt nicht an den Schock erinnern, und du fragst dich, was denn eigentlich los ist, findest aber keine Antwort. Da ist nur diese Leere.
Wenn du nun noch weißt, dass eine der ältesten und wichtigsten Funktionen deines Gehirnes die Schmerzvermeidung ist, dann kannst du dir vorstellen, wie viele unbewusste Tricks du anwenden wirst, um nie wieder die Gefahrenkiste zu berühren, ja, um ihr nicht einmal nahe kommen zu müssen. Dazu brauchst du gar nichts beizutragen, dein Gehirn macht das ganz von selbst für dich.
Als du älter wurdest, als dein Gehirn zu reifen begann, hast du mit den Mitteln, die dir zur Verfügung standen, zu verstehen versucht. Du hast aus dem, was dir das Leben angeboten und zugemutet hat, Schlussfolgerungen gezogen und Verhaltensregeln aufgestellt, um in Zukunft Schmerzen zu vermeiden. Du begannst, dich selbst zu kontrollieren, und hast, weil dein Gehirn noch nicht ausgereift war, teilweise merkwürdige kognitive Verknüpfungen gebildet. Und diese nie hinterfragt, weil auch sie unbewusst entstehen.
»Wenn ich niemanden an mich heranlasse, dann werde ich auch nicht enttäuscht.«
»Wenn ich keine Gefühle zeige, dann merkt niemand, dass ich welche habe.«
»Wenn ich nur ganz flach atme, dann tut es nicht so weh.«
»Männer (Frauen, Hunde, dunkle Tunnel, quiekende Mäuse, Spinnen, Abschiede, Gefühle, …) sind gefährlich.«
»Wenn ich funktioniere, dann komme ich irgendwie durch.«
Und so weiter. Das größte Trauma, das, welches am tiefsten sitzt, ist die Beschämung. Scham erleben wir meistens sehr früh, zu einer Zeit, in der wir noch keine Sprache haben und erst recht noch keine Möglichkeiten, uns selbst zu beruhigen. Scham vernichtet uns. Im Gegensatz zur Schuld, bei der wir glauben, wir hätten etwas falsch gemacht (was ja manchmal auch stimmt), fühlen wir uns in der Scham komplett falsch, stellen unsere gesamte Existenzberechtigung infrage. Dieser Schmerz ist so immens, dass wir alles, wirklich alles zu tun bereit sind, um das nie wieder fühlen zu müssen. Wir sind als Kinder einfach vollkommen unserem emotionalen Erleben ausgesetzt, es gibt noch keine Filter und keine inneren bewussten Aufräumarbeiten.
Wurdest du als Kind nicht gehalten, nicht geschützt oder getröstet, dann befinden sich in deinem Gehirn, bildlich gesprochen, eine Menge hochexplosiver emotionaler Sprengsätze. Diese Sprengsätze sind doppelt und dreifach gesichert, es gibt Stacheldrahtzäune und Landminen, damit sie ja nicht hochgehen und dich zerstören. Wurdest du nicht nur unabsichtlich verletzt, sondern womöglich sogar bewusst beschämt, dann hast du sinnbildlich die alte Berliner Mauer in deinem Inneren errichtet – mit Todesschützen. Wenn ihr jemand zu nahe kommt, wird ohne Vorwarnung scharf geschossen. Das klingt krass, aber das ist es auch. Denn diese Abwehr kann dich richtig gemein werden lassen. Das kann so weit gehen, dass du lieber vorsätzlich jemanden verletzt, als dich selbst spüren zu müssen – das kennst du sicher, hast es zumindest am eigenen Leib durch andere erlebt. Lieber schießt man die dunklen Pfeile ab und greift andere an, als die eigene Not zu erkennen und für sich selbst einzutreten.
Du wirst erwachsen, das heißt, dein Gehirn reift heran. Du bekommst Zugriff auf neuere Anteile, die dich differenzierter reagieren lassen. Da du aber nicht weißt, was da in deinem Stammhirn vor sich hinmodert, kannst du diesen inneren Keller auch nicht aufräumen – außer, du beschäftigst dich ganz bewusst damit. Deine Verteidigungs- und Abwehrmechanismen werden immer besser und komplizierter, denn alles, was du mit deinem nun gereiften Gehirn lernst, steht auch der Schmerzvermeidung zur Verfügung.
Wann immer dich nun eine Situation an eine alte und damit kindliche Verletzung erinnert, und sei es noch so weit hergeholt, reagiert deine Amygdala und sendet »Gefahr im Verzug!«. Du reagierst mit Angriff, Erstarrung oder Verteidigung, ohne zu verstehen, was eigentlich gerade mit dir los ist. Womöglich, wenn dein Schmerzvermeidungssystem ganze Arbeit geleistet hat, glaubst du auch noch, deine Reaktion wäre vernünftig und angemessen. Das Dumme daran ist, dass dein nun gereiftes Gehirn nun mit all diesen verdrängten Themen anders umgehen könnte. Es würde sich also lohnen, diese Tabuzonen zu überprüfen und neu einzuordnen. Der Erwachsene, der du bist, könnte für das innere Kind das tun, was damals so dringend nötig gewesen wäre – doch wer sucht schon freiwillig all die schmerzverseuchten Gebiete auf, die der Pflege und Fürsorge bedürfen?
Und all diese Themen werden durch das innere Kind, über das wir hier reden, verkörpert. Natürlich gibt es auch andere Aspekte: Freude, Neugier, Lust auf Neues, Freiheit, Unschuld – diese Aspekte bereichern dein Leben ungemein. Doch meistens steht die Schmerzvermeidung des inneren Kindes im Vordergrund. Noch einmal zum Verständnis: Diese Schmerzvermeidung zeigt den unbändigen, unbedingten Überlebenswillen deines inneren Kindes und ist eine starke, wichtige Kraft! Es gibt aber jetzt, wo du erwachsen bist, bessere Möglichkeiten, mit Schmerz umzugehen, als ihn um jeden Preis zu vermeiden, denn du vermeidest damit auch das Leben.
Dass du mit der Hauptabsicht des inneren Kindes, Schmerz zu vermeiden, keine echte, freie, selbstbestimmte Beziehung führen kannst, wird dir sicher deutlich, oder? Für manche von uns ist es ein Wunder, dass wir überhaupt überlebt haben. Bist du zu sehr verletzt worden, dann wird dein inneres Kind niemanden an sich heranlassen und du führst womöglich nur kurze Beziehungen, die niemals in die Tiefe gehen, oder ihr lebt aneinander vorbei, ohne euch wirklich zu berühren, habt euch arrangiert. Möglicherweise lebst du auch in einem immerwährenden emotionalen Drama. Das fühlt sich vielleicht lebendig an, aber letztlich ist es emotionale Schaumschlägerei, um echte Nähe zu vermeiden – die übrigens ganz schön süchtig machen kann. Es gibt sehr gute Selbsthilfegruppen für Emotions-Süchtige (EA, Emotions Anomymous). Wer geht da wohl hin? Die im Drama verhafteten, um sich schlagenden inneren Kinder natürlich. Ich darf das schreiben, ich gehörte auch dazu.
So. Und mit alldem in deinem Inneren gehst du nun eine innige Liebesbeziehung mit einem anderen Menschen ein. Dieser Mensch weiß genauso wenig wie du, wo deine Fallstricke liegen, noch kennt er seine eigenen.
Fragst du immer noch, was das innere Kind mit alldem zu tun hat? Der erwachsene Mann und die erwachsene Frau wollen sich nahekommen, doch das innere Kind tut alles, um seinen Hunger nach Liebe bei der vermeintlichen Mama, dem angenommenen Papa zu stillen. Gleichzeitig schützt es sich mit allem, was ihm zur Verfügung steht, vor erneuten Verletzungen.
Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie es sich anfühlt, erwachsen zu sein, verwechseln es mit übertriebener Selbstkontrolle, die sie dann »Vernunft« nennen, und diesem angespannten Funktionieren, das wir an den Tag legen. »Das Leben ist nun einmal kein Zuckerschlecken«, seufzen wir tapfer und vergessen dabei ganz, dass wir das auch nicht ernsthaft wollen können! Denn vom Zuckerschlecken wird man dick, man bekommt Karies und wird sowohl emotional aufgeputscht als auch mental träge. Das Leben ist tatsächlich kein Zuckerschlecken, es ist viel besser! Das Leben ist eher wie ein grüner Smoothie, lebendig, voller Licht und Vitalstoffe, vielfältig, gesund und sehr einfach zu haben. Zucker hingegen muss mühsam angebaut, geerntet und raffiniert werden – und das natürlich von anderen. Verstehst du?
Reden wir über das Erwachsensein. Erwachsen zu sein bedeutet, bewussten Zugriff auf die nun herangereiften Hirnteile zu haben und sie zu nutzen. Jene Hirnteile, die dir vernünftige, konstruktive Lösungen, die auf Mitgefühl und deiner echten, umfassenden Wahrnehmung basieren, ermöglichen. Du kannst, wenn du erwachsen, das heißt herangereift bist, frei entscheiden, welchen deiner vielen Impulse du Ausdruck verleihst und welche du zu deiner Handlungsgrundlage machst. Du bist selbstbestimmt und in der Lage, deine Emotionen wahrzunehmen, zudem kannst du aber auch all die anderen Aspekte sehen. Vor allem kannst du unterscheiden, ob deine Emotionen der Situation angemessen sind oder ob sie deine Verletzungen spiegeln. Bist du erwachsen, dann wirst du deine Verletzungen und deine Schmerzvermeidung nicht zur Handlungsgrundlage erheben, sondern dich gut um dich kümmern. Entscheiden aber wirst du mit dem Assoziationscortex, einem großen Teil der Hirnrinde, in dem alle in den verschiedenen Gehirnteilen ankommenden Informationen zusammenlaufen und verarbeitet werden – im Gegensatz zur Amygdala aber nicht rein emotional. Der Assoziationscortex berücksichtigt alle Faktoren, die du wahrnimmst, bewusst und unbewusst. Hier laufen im wahrsten Sinne des Wortes die Fäden zusammen, die zu einer echten, bewussten und reifen Entscheidung führen – es sei denn, du hast sie schon getroffen, indem du die der Schmerzvermeidung dienende Information deiner Amygdala zur Handlungsgrundlage auserkoren hast. Was heißt das ganz konkret? Du bleibst bewusst und handlungsfähig, egal, wie sehr dich eine Situation emotional auch triggert. Du bist in der Lage, sie als das zu erkennen, was sie ist – eine Erinnerung, die nichts mit dem Jetztzustand zu tun haben muss. Du erkennst sie an, aber du lässt dich nicht von ihr beherrschen, sondern schaust dir die Situation genau und mit all deinen Sinnen an.
Die meisten von uns verwechseln das Erwachsensein mit dem von sich selbst abgeschnittenen Funktionieren (dazu später mehr). Wenn du als Kind emotional überfordert warst, dann hast du dir aus den wenigen Informationen, die dir zur Verfügung standen, ein Weltbild gebastelt, das, wie schon öfter gesagt, auf Schmerzvermeidung beruht. Du funktionierst wie gewünscht, besonders emotional, du verleugnest, was dich tatsächlich bewegt, nimmst weder deine Gefühle noch deine Wünsche und Träume zur Kenntnis und tust, was die Situation eben erfordert, damit du nicht noch mehr verletzt wirst. Du bist tatsächlich ein Opfer der Umstände, die dir deine Eltern anbieten oder zumuten, denn du kannst dich nur anpassen, aber nicht eigenständig entscheiden und agieren. Du kannst nur verweigern oder funktionieren, mehr Möglichkeiten hast du nicht, wenn du nicht gehört wirst.
Leider hat uns niemand gesagt, dass wir irgendwann damit aufhören dürfen, weil das gesellschaftlich gesehen eine relativ neue Entwicklung ist. Die Kirche und der Staat waren in vergangenen Zeiten (und ja, natürlich auch heute noch, aber wir brauchen nicht mehr mitzumachen) sehr daran interessiert, dich im negativen Kindstatus zu halten, in Angst und Abhängigkeit. Kirche und Staat sind in den meisten Fällen schlechte Eltern. Solange sie an deiner Abhängigkeit und nicht an deiner Reifung und Selbstbestimmung interessiert sind, musst du ihre sogenannte Fürsorge nicht besonders ernst nehmen.
Niemand hat dir je gesagt, dass du nun erwachsen bist und damit die Verantwortung für dich und deine Entscheidungen nicht nur selbst übernehmen darfst und sollst, sondern, und das ist der Knackpunkt, auch KANNST. Dein Gehirn ist aufgrund seiner Reifung in der Lage, die Dinge zu überblicken und die Verantwortung, die du auf dich nimmst, auch zu tragen. Wenn du das aber nicht üben durftest, wenn du nicht nach und nach in deine Selbstbestimmung geführt wurdest, wenn dir nicht erlaubt wurde, eigene, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen, ohne dass sofort Schmerz durch Liebesentzug, Ärger, Enttäuschung oder Gleichgültigkeit die Folge war, dann weißt du gar nicht, dass du es nun kannst. Du verwechselst das angestrengte, von dir selbst abgeschnittene, funktionierende Wesen, zu dem du geworden bist, mit dem echten Erwachsenen, der seine eigenen Entscheidungen trifft und Ja sowie Nein sagen kann und darf.
Deshalb hier eine Liste mit den Rechten, die du als Erwachsener hast und für dich in Anspruch nehmen darfst:
Du hast das Recht, Nein zu sagen, wenn dir eine Situation nach sorgfältiger Prüfung gegen den Strich geht, weil sie nicht dem Leben dient.
Du hast das Recht, Ja zu sagen, wenn dir eine Situation als sinnvoll und dem Leben dienend erscheint.
Du hast das Recht, deine innerste, sorgfältig geprüfte Wahrheit zu deiner Handlungsgrundlage zu machen, egal, ob sie anderen gefällt oder nicht.
Du hast das Recht, die Konsequenzen all deiner Entscheidungen zu tragen und auf dich zu nehmen.
Du hast das Recht, dich vollkommen verantwortlich für dich und dein Leben zu fühlen und alles zu tun, was dich und dein Leben nährt und schützt.
Du hast das Recht, für all das einzustehen, was dir heilig ist und innig am Herzen liegt.
Du hast das Recht, du selbst zu sein und deine sorgfältig geprüfte Sicht der Dinge für dich als Basis deiner Handlungen anzuerkennen.